Montag, 12. März 2012

Was ist eine Hausverlosung „im Internet“? - Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg gegen den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Der Glücksspielstaatvertrag (GlüStV) sieht in seinem § 4 Abs. 4 vor, dass das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten ist. Was unter diesem Internetverbot konkret zu verstehen ist, wird allerdings in der Praxis völlig unterschiedlich beurteilt, was zwei neue, völlig divergierende Gerichtsentscheidungen des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) vom. 7. bzw. 8. Februar 2012 zum gleichen Sachverhalt zeigen.

1. Sachverhalt

Der in Österreich wohnhafte Antragsteller bot über seine weltweit und damit auch in den Ländern Brandenburg und Bayern aus abrufbare Internetseite die Teilnahme an der einmaligen Verlosung eines Hausgrundstücks in der Nähe von Berlin an. Über die auf der Internetseite angegebene E-mail-Adresse und eine Telefonnummer konnte die Reservierung von Losen erfolgen.

Dieses Angebot wurde ihm sowohl in Brandenburg wie auch Bayern untersagt. Gegen die jeweils sofort vollziehbaren Untersagungsverfügungen des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburg bzw. der Regierung von Mittelfranken beantragte der Veranstalter Vollstreckungsschutz.

2. Entscheidungsgründe

Diesen Sachverhalt beurteilen die beiden damit befassten zweitinstanzlichen (und im einstweiligen Rechtsschutz auch letztinstanzlichen) Verwaltungsgerichte völlig konträr, einerseits „bewertend“ und ergebnisorientiert und andererseits am Wortlaut ausgerichtet.

2.1. OVG Berlin-Brandenburg

Das OVG Berlin-Brandenburg argumentiert in seinem Beschluss vom 8. Februar 2012, Az. OVG 1 S 20.11, erkennbar entscheidungsorientiert mit der „absehbaren Nachahmung durch andere“, die nach Ansicht des OVG zu unterbinden sei. Maßgeblich sei bei einer „bewertenden Betrachtung“ nicht eine bestimmte "Internet-Technik", sondern eine am Normzweck orientierte, auf den Vertriebsweg "Internet" abstellende Auslegung.

Das OVG führt hierzu aus:

„Entgegen dem Beschwerdevorbringen unterfällt die fragliche Hausverlosung auch tatbestandlich dem Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, selbst wenn diese nicht überwiegend im Internet abgewickelt werden sollte. Die Argumentation des Antragstellers, die zwischen dem Angebot von Informationen im Internet (über das Hausgrundstück, die Verlosungsbestimmungen und die Kontaktdaten des Veranstalters) einerseits und der Übermittlung von Kontaktdaten der Teilnehmer über das Internet per E-Mail anderseits differenzieren will, überzeugt nicht. Durch diese technische, allein auf das Bemühen zur Umgehung des Internetvertriebsverbots zurückzuführende Sichtweise wird der Gesamtvorgang der Veranstaltung künstlich aufgespalten, ohne letztlich etwas Wesentliches daran zu ändern, dass die Hausverlosung - soweit ersichtlich - ausschließlich im Internet angeboten wird und ohne die Nutzung dieses Mediums schlechterdings nicht durchführbar wäre. Zudem trägt auch die vom Antragsteller gewählte Glücksspielvariante die für die Schaffung von § 4 Abs. 4 GlüStV ursächlichen typischen Gefahren im Sinne von § 1 GlüStV in sich.

Im Einzelnen:

Trotz der Aufspaltung zwischen der reinen Informationsvermittlung im Internet und den weiteren Schritten (Vertragsschluss, Vertragsabwicklung sowie Auslosung), die - ohne die von der Beschwerdeschrift aufgezeigten Möglichkeiten einer softwaregestützten (automatischen) Registrierung bzw. automatisch generierten Kontaktierung nutzend - per E-Mail, Telefon, Briefpost oder „offline“ durchgeführt werden sollen, ergibt eine bewertende Betrachtung, dass die Verlosung insgesamt gesehen nicht außerhalb des Internet stattfindet (zu Umgehungsvarianten: vgl. Hüsken, GewArch 2010, 336 ff. sowie juris).

Die Differenzierung des Antragstellers zwischen einer Veranstaltung „im Internet“ und einer „Übermittlung über Internetleitungen“ bzw. zwischen einer „Datenübermittlung im world wide web und dem e-mail-Verkehr“ überzeugt schon in technischer Hinsicht nicht (...). Dies muss hier jedoch nicht weiter vertieft werden, denn auch bei der Betrachtungsweise des Antragstellers wäre eine Erlaubnisfähigkeit nicht begründbar (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 6. April 2011 - RO 5 S 11.268 - juris); dies gilt auch deshalb, weil ein Verstoß gegen das in § 5 Abs. 3 GlüStV bestimmte Werbeverbot auch danach nicht entfiele.
Entscheidend ist jedoch, dass dem Erlass der maßgeblichen Regelungen in § 4 Abs. 4 bzw. § 5 Abs. 3 GlüStV - wie bereits angedeutet - nicht ein auf eine bestimmte „Internet-Technik“ festgelegtes, sondern ein gefahrenorientiertes, schon an der Ermöglichung der Teilnahme ansetzendes Verständnis des im Glücksspielstaatsvertrag und den Ausführungsgesetzen der Länder nicht näher definierten Tatbestandsmerkmals „im Internet“ zugrunde liegt (ebenso VG Mainz, Urteil vom 22. März 2010 - 6 K 1135/08.MZ - juris Rn. 25 und VG Ansbach, a.a.O., Rn. 18 f.). Diese Regelungsintention ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien (vgl. Landtag Brandenburg, Drs. 4/5156, Teil B., zu § 4 GlüStV, S. 69), wonach der Gesetzgeber nicht zwischen einer Veranstaltung im Internet und einer solchen über das Internet unterschieden, sondern zur Sicherung der Ziele des § 1 GlüStV maßgeblich auf den „Vertriebsweg Internet“ abgestellt hat, der dem Glücksspielbereich generell untersagt werden sollte (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008, a.a.O., Rn. 40 und 48 sowie Urteil vom 28. März 2006, a.a.O., Rn. 137, 139 und 153). In der bereits zitierten Entscheidung des VG Ansbach (a.a.O., Rn. 19) wird zutreffend darauf hingewiesen, dass auch der über das Internet erfolgende E-Mail-Verkehr eine erleichterte Zugangsmöglichkeit für die Spielteilnahme sowie eine fehlende soziale Kontrolle aufweist, die im Interesse des effektiven Jugendschutzes durch § 4 Abs. 4 GlüStV unterbunden werden soll. Diese auf den Zweck des Internetvertriebs- bzw. Werbeverbots abstellende Auslegung des Tatbestandsmerkmals „im Internet“ liegt auch der Entscheidung des EuGH in Sachen Carmen Media (Rn. 100 ff. m.w.Nachw.) zugrunde, wonach das Verbot in § 4 Abs. 4 GlüStV nicht die Vermarktung einer bestimmten Art von Glücksspielen, sondern das Internet als einen bestimmten Vertriebskanal für Glücksspiele betrifft. Insofern ist zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „im Internet“ von Bedeutung, ob die Ausspielung über das Internet „vermarktet“ bzw. „vertrieben“ wird und ob sie in ihren Auswirkungen den bekannten, nach § 4 Abs. 4 GlüStV zu unterbindenden Glücksspielen gleichsteht. Hiervon ist der Antragsgegner zu Recht ausgegangen, wobei nicht speziell die Person des Antragstellers und dessen Seriosität im Fokus der Betrachtung steht, sondern das von ihm gewählte Geschäftsmodell („Erste legale Hausverlosung dieses Hauses in Deutschland“) und dessen absehbare Nachahmung durch andere.“


2.2. BayVGH

Der BayVGH argumentiert zwar auch mit Sinn und Zweck der Regelung (die teleologische Auslegung als Königsdisziplin der Juristen), geht aber zunächst einmal vom Wortlaut der Regelung und nicht gleich vom angestrebten Ergebnis aus.

Der Verwaltungsgerichtshof hält in seinem Beschluss vom 7. Februar 2012, Az. 10 CS 11.1212, fest, dass die Verlosung außerhalb des Internets stattfinde:

„Dafür spricht zunächst der Wortlaut der Regelung. Denn bereits nach natürlichem Sprachgebrauch spielt sich das vom Antragsteller angebotene Glücksspiel nicht im Internet, sondern außerhalb davon ab. Zwar wird im Internet über die Hausverlosung und ihre Einzelheiten informiert. Es werden die Modalitäten in den Teilnahmebedingungen detailliert beschrieben und eine E-Mail-Adresse sowie eine Telefonnummer benannt, über die Kontakt zum Veranstalter aufgenommen werden kann, um unter Angabe von Namen, Adresse, Telefonnummer und E-Mail-Adresse Wünsche für eine Losreservierung mitzuteilen. Die Spielteilnahme als solche erfolgt aber außerhalb des Internets. Die Reservierung von Losen wird nicht auf der Internetseite des Antragstellers vorgenommen, sondern erfolgt in mehreren Schritten außerhalb dieser Seite. Zunächst übermittelt der Teilnahmewillige seine Reservierungswünsche unter Angabe der genannten Daten per E-Mail oder per Telefon an den Veranstalter. Dieser fordert den Teilnahmewilligen sodann mit einer manuell und nicht automatisch erstellten Antwort auf, die Reservierungsgebühr auf ein gleichzeitig mitgeteiltes Treuhandkonto zu übermitteln. Erst mit dem Eingang der Zahlung auf dem Treuhandkonto ist die Reservierung verbindlich abgeschlossen. Die Verlosung selbst findet ebenfalls außerhalb des Internets statt.

Dass das Glücksspiel des Antragstellers in Form der Hausverlosung nicht im Sinne von § 4 Abs. 4 GlüStV im Internet veranstaltet wird, bestätigt schließlich auch der Sinn und Zweck dieser Regelung. Ziel des Internetverbots ist es, die Spiel- und Wettsucht zu bekämpfen sowie einen effektiven Jugendschutz zu gewährleisten (vgl. BVerwG vom 01.06.2011 Az. 8 C 5/10 RdNr. 20). Der Normgeber ging davon aus, dass gerade das Internet als Vertriebsweg nicht geeignet ist, den Jugendschutz wirkungsvoll zu gewährleisten, und dass die Anonymität des Spielenden und das Fehlen jeglicher sozialen Kontrolle es unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Glücksspielsucht erforderlich machten, das Internet als Vertriebsweg auszuschließen (vgl. LT-Drucks 15/8486, S. 15). Dies spricht aber dafür, dass § 4 Abs. 4 GlüStV dann nicht einschlägig ist, wenn ein auf einer Internetseite angebotenes Glücksspiel so ausgestaltet ist, dass die spezifischen Gefahren des Internets im Hinblick auf den Jugendschutz und die Entstehung von Spielsucht nicht bestehen. Ein solcher Fall liegt vor, wenn in einem Internetauftritt eines Glücksspielanbieters über die Information über das Glücksspiel hinaus lediglich die Möglichkeit eröffnet wird, um eine unverbindliche Zusendung von Losen zu bitten, der gesamte Bestell- und Bezahlvorgang im Übrigen aber außerhalb des Internets abzuwickeln ist (vgl. Dietlein/Hecker/Ruttig, Glücksspielrecht, 2008, § 4 RdNr. 98). Denn eine solche Ausgestaltung des Glücksspiels macht es erforderlich, dass der Spielwillige seine Personalien offenbart und damit aus der Spielsucht fördernden Anonymität des Internets heraustritt. Außerdem entsteht Raum, den Belangen des Jugendschutzes durch entsprechende Vorkehrungen Rechnung zu tragen, wenn die verbindlichen Bestell- und Zahlvorgänge erst außerhalb des Internets erfolgen. Demgegenüber ist das Internetverbot nach § 4 Abs. 4 GlüStV einschlägig, wenn die für die verbindliche Teilnahme wesentlichen Vorgänge im Internet ablaufen und lediglich die Bezahlung außerhalb des Internets erfolgt (vgl. BayVGH vom 25.08.2011 Az. 10 BV 11.1176 RdNr. 28).

Legt man dies zugrunde, so ist auch nach seinem Sinn und Zweck § 4 Abs. 4 GlüStV nicht auf die Hausverlosung des Antragstellers anwendbar. Denn der Reservierungswunsch, ist auch dann unverbindlich, wenn er nicht ohnehin per Telefon, sondern per E-Mail an den Veranstalter übermittelt wird. Verbindlich reserviert ist ein Los vielmehr erst dann, wenn der Veranstalter den Teilnahmewilligen außerhalb des Internets unter Angabe des dafür vorgesehenen Treuhandkontos zur Zahlung aufgefordert hat und die Zahlung dort eingegangen ist.
Bestätigt wird dieses Ergebnis schließlich auch durch die Systematik des Glücksspielstaatsvertrags. Neben dem Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, im Internet öffentliche Glücksspiele zu veranstalten oder zu vermitteln, enthält dieser in § 5 Abs. 3 GlüStV auch das Verbot, für öffentliches Glücksspiel im Internet zu werben. Dies macht eine Abgrenzung von Veranstaltung und Vermittlung einerseits und Werbung andererseits erforderlich und zeigt, dass nicht jeder Internetauftritt, der die Möglichkeit der Teilnahme an einem Glücksspiel betrifft, ein Veranstalten oder Vermitteln von Glücksspielen darstellt, sondern auch Werbung für ein Glücksspiel sein kann, das anderweitig veranstaltet wird.“


Die ausschließlich für Glücksspielangebote im Internet zuständige Regierung von Mittelfranken war damit für die verfahrensgegenständliche Untersagung nicht zuständig.
Quelle: Archiv für Glücksspiel- und Wettrecht

Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg: Hausverlosung im Internet ist unzulässiges Glücksspiel
Pressemitteilung 3/12 des OVG Berlin-Brandenburg weiterlesen


Aus meiner Sicht liegt kein Glücksspiel im Internet vor.
Denn nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 4 GlüStV ist lediglich das Veranstalten und Vermitteln „im Internet" verboten, nicht aber die Übermittlung „über" Internetleitungen. vgl. VG Karlsruhe  Urteil v 26.04.2012  (3 K 330/10) Rn 48 


Das Verbot einer stationären Tombola in Österreich, durch eine deutsche Behörde, dürfte schon deshalb unzulässig sein, weil der Ort, auf den es sich beziehe, nicht der deutschen Hoheitsgewalt unterliege.

Der Veranstalter, ein österreichischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Österreich, der seine Hausverlosung in Österreich mit Billigung der zuständigen österreichischen Behörden stationär über einen Treuhänder durchführen will, unterliegt zweifelsfrei der Dienst- und Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43 und 49 EG.

Der EuGH hat am 08.09.2010 festgestellt, dass das in Deutschland bestehende staatliche Monopol auf die Veranstaltung von Sportwetten und Lotterien in seiner derzeitigen Ausprägung nicht geeignet sei, die Erreichung des mit seiner Errichtung verfolgten Zieles der Spielsuchtbekämpfung zu verfolgen. Damit fehle dem staatlichen Monopol die Grundvoraussetzung für die Beschränkung der Dienst- und Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art. 43 und 49 EG, da das für diese Beschränkung erforderliche überragende Allgemeinwohlinteresse, eben die Spielsuchtbekämpfung, nicht nachhaltig verfolgt werde.

Zur Unvereinbarkeit des GlüStV mit dem EG-Vertrag wegen unverhältnismäßiger Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG)
Auszug aus dem Rechtsgutachten zum Entwurf vom 14. Dezember 2006 eines Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland

Es ist derzeit noch nicht ersichtlich, dass das staatliche Monopol im Bereich der Sportwetten und Lotterien in seiner derzeitigen Ausgestaltung mit höherrangigem Recht vereinbar wäre. (Kommissionsschreiben)

Wie der Gerichtshof hervorgehoben hat, müssen nämlich die unmittelbar geltenden Bestimmungen des Unionsrechts, die für alle von ihnen Betroffenen eine unmittelbare Quelle von Rechten und Pflichten sind, einerlei, ob es sich um die Mitgliedstaaten oder um solche Einzelnen handelt, die an dem Unionsrecht unterliegenden Rechtsverhältnissen beteiligt sind, ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an und während der gesamten Dauer ihrer Gültigkeit entfalten (vgl. in diesem Sinne Urteile Simmenthal, Randnrn. 14 und 15, und Factortame u. a., Randnr. 18).

Die verfassungs- und unionsrechtlichen Maßstäbe an die Rechtfertigung eines staatlichen Wettmonopols der 16 Bundesländer entsprechen einander. - Was Europarechtswidrig ist, ist auch verfassungswidrig -. (zur "Parallelität" vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01, juris, Rn. 144, BVerfG, 6.7.2010 – 2 BVR 2661/06, Rn. 83 f. Zur Bindungswirkung für Behörden insbesondere: EuGH, 9. 9. 2003 – C-198/01, Slg. 2003, I-8055, Rn. 51)

Mit den Urteilen des EuGH vom 08.09.2010 ist ein Vollzugsdefizit festgestellt worden. Wenn sich der Staat zur Begründung eines Verbotes jedoch auf eine Verwaltungsnorm beziehen will, muss diese wirksam und anwendbar sein.

Gerade im Hinblick auf die Urteile des EuGH vom 08.09.2010, und das neuerliche Kommissionsschreiben (s.o.) wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.2005 (Az.: 1 BvR 223/05) erneut relevant der in der Anwendung der verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren eine Verletzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) durch die Außerachtlassung gemeinschaftsrechtlich begründeter subjektiver Rechte der Veranstalter und Vermittler sah. Das BVerfG stellte fest, dass   „angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Gambelli .[…] und ihrer Rezeption in Rechtsprechung und Literatur […] erhebliche Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit des § 284 StGB […] nicht ohne Verstoß gegen das Willkürverbot ausgeschlossen werden könnten.“ (a.a.O. S. 13)
Gegenstand des Beschlusses ist die Verletzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) durch die Außerachtlassung gemeinschaftsrechtlich begründeter subjektiver Rechte der Veranstalter und Vermittler von Sportwetten im Rahmen von verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren.


Nachweis konkreter Gefahren für das Gemeinwohl erforderlich
Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit von Untersagungsbescheiden ist nur zulässig, wenn im Einzelfall konkrete Gefahren für das Gemeinwohl gegeben sind. Allgemeine Behauptungen zu Gefahren des unerlaubten Glücksspiels begründen kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung. Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.2005 reichen die abstrakten Gefahren des Glücksspiels gerade nicht aus, um die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen.  Quelle

Das Bundesverfassungsgericht forderte mit dem Beschluss, Az.: 1 BvR 2410/08 v. 20.03.2009 (vgl. u.a. Labrokes; Hartlauer), die Einhaltung der vollen Kohärenz. Die erkennenden Gerichte haben in jedem Fall die volle Kohärenz des Auftritts der Monopolbetriebe zu prüfen. (Rn.14, 29,46; zugleich BA S. 7,11, 13, 14). Hervorzuheben ist der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab. Das Bundesverfassungsgericht hebt für die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht auf die bloße Beseitigung des Regelungsdefizits ab. Maßstab ist vielmehr die "vollständige Konsistenz der rechtlichen und tatsächlichen Monopolausgestaltung" (Rn. 24- BA S. 10). Nach dem Bundesverfassungsgericht darf die Ausgestaltung des staatlichen Monopols also auch in tatsächlicher Hinsicht keine grundlegenden Defizite mehr aufweisen (Rn. 24 und 44 – BA S. 13 unten unter bb). 

Mit der einstimmigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. April 2009 (2 BvR 1496/05, Rn. 33 f. – juris, BVerfGK 15, 330) - (vgl. S. 5) wurde ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) der deutschen beziehungsweise in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der ausländischen privaten Anbieter - so auch in die allgemeine Handlungsfreiheit des Beschwerdeführers - festgestellt. Jedenfalls die Anwendung von § 284 StGB ist insoweit mit der Verfassung unvereinbar.

Eine fehlende Erlaubnis kann jedenfalls dann nicht zur Begründung einer Untersagungsverfügung herangezogen werden, wenn für den betreffenden Antragssteller faktisch nicht die Möglichkeit besteht, eine derartige Erlaubnis zu erlangen, und wenn dies im Widerspruch zu höherrangigem Recht steht.

Es besteht daher nach dem sog. Winner-Wetten Urteil (C-409/06) des EuGH gerade nicht die Möglichkeit, bei Vorliegen der festgestellten Europarechtswidrigkeit des Glücksspielstaatsvertrages für eine Übergangszeit bis zur ev. Umsetzung gesetzgeberischer Ziele, eine solche gemeinschaftswidrige nationale Regelung weiter anzuwenden. Da nach alledem die im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden materiellen Regelungen über das staatliche Sportwettenmonopol unanwendbar sind, wirkt sich dies gleichermaßen auf das formelle Erfordernis der Erlaubnispflicht aus.

Nach ständiger Rechtsprechung kann eine in einem Mitgliedstaat geschaffene Erlaubnisregelung, mit der legitime, in der Rechtsprechung anerkannte Ziele verfolgt werden, insbesondere keine Ermessensausübung der nationalen Behörden rechtfertigen, die geeignet ist, den Bestimmungen des Unionsrechts und vor allem denen, die eine Grundfreiheit wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende betreffen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. So der EuGH in der Rs: Carmen Media Group Rn 86 (vgl. u. a. Urteil vom 3. Juni 2010, Sporting Exchange, C 203/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 49).

Eine Verbotsverfügung ist als unverhältnismäßig anzusehen, wenn diese über das hinausgeht, was zur Bekämpfung einer möglichen Spielsucht erforderlich ist. (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Gambelli u. a., C-243/01, Slg. 2003, I-13031, Randnr. 74, vom 6. März 2007, Placanica u. a., C-338/04, C-359/04 und C-360/04, Slg. 2007, I-1891, Randnr. 62, und Kommission/Spanien, Randnr. 39).

Die Begründung einer Erlaubnispflicht ist nämlich vor dem Hintergrund der Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu sehen. Der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung (Nachweise siehe bei AG Berlin-Tiergarten, Beschluss vom 25.07.2011, AZ 249 Ds 14 Js 2738/10 (3/11), 249 Ds 3/11, Rdnr. 8 in JURIS) festgestellt, dass eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch einen Erlaubnisvorbehalt nur in Betracht kommt, wenn diese Beschränkung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Das bedeutet, dass die Beschränkung geeignet sein muss, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeit beiträgt. Eben dies verneint der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Recht.

Der Erlaubnisvorbehalt in seiner derzeitigen Form dient ausschließlich der Sicherung des staatlichen Monopols. Gerade der vorliegende Fall untermauert diesen Zusammenhang, wurde doch die Unterlassungsverfügung auf das Bestehen eines staatlichen Monopols gestützt.

"Der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV und der Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten an private Wettanbieter – auch – in anderen Mitgliedsstaaten stellen eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar."

Die Frage der Rechtfertigung der Beschränkung ist unionsrechtlich anhand von vier durch das BVerwG (8 C 15.09 vom 24.11.2010) aufgestellten Voraussetzungen zu prüfen, wie sich aus den Rn. 61 ff. der Entscheidung ergibt. So müssen die staatlichen Maßnahmen mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar, aus Gründen öffentlicher Gewalt oder Ordnung, oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten; ferner dürfen sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

Jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht ist verpflichtet, dem Europarecht zuwiderlaufende Bestimmungen des nationalen Rechts unmittelbar und sofort nicht weiter anzuwenden (EuGH Urteil in der Rechtssache "Winner-Wetten-GmbH" vom 08.09.2010, C 409/06).

Mit dem Urteil (10 BV 10.2665 / M 22 K 07.3782) vom 24. Januar 2012 stellte der BayVGH unter Punkt 1.2.4.1. auf Seite 15 fest:

Denn die Wahrung des Unionsrechts ist nicht nur Aufgabe der nationalen Gerichte. Vielmehr verpflichtet der (Anwendungs-) Vorrang des Unionsrechts neben den nationalen Gerichten auch die Behörden dazu, entgegenstehendes nationales Recht von sich aus unangewendet zu lassen: damit haben die Behörden - wie die damit befassten Gerichte - nicht nur die "Verwerfungskompetenz", sondern im konkreten Kollisionsfall auch eine unionsrechtlich geforderte "Verwerfungspflicht" (vgl. Streinz in Streiz EUV/AEUV, Kommentar, 2. Aufl. 2011, RdNr. 39 zu Art. 4 EUV m.w.N.). Der angeführte Hinweis der Beklagten in ihrem Änderungsbescheid vom 23. Januar 2012 auf die Rechtsauffassung des Bayerischen Verwaltugsgerichtshofs in seinen "noch nicht rechtskräftigen", weil vom beteiligten Vertreter des öffentlichen Interesses (zu dessen Funkton vgl. § 5 Abs. 2 LABV vom 29.7.2008, GVBI S. 554) inzwischen mit der Nichtszulassungsbeschwerde angegriffenen Urteilen vom 12. Januar 2012 lässte nach Auffassung des Senats allerdings noch nicht hinreichend deutlich werden, dass die Beklagten - und mit ihr der Freistaat Bayern als zuständiger Landesgesetzgeber, dess Belange über die Mitwirkung des Vertreters des öffentlichen Interesses im Verfahren gesichert werden - ihren besherigen Rechtsstandpunkt der Fortgeltung des staatlichen Sportwettenmonopols tatsächlich endgültig aufgegeben und den Anwendungsvorrang der unionsrechtlichen Grundfreiheiten insoweit wirklich anerkannt hat.

Und unter Punkt 1.2.4.3 auf Seite 18

Zur Klarstellung wird im Übrigen nochmals darauf hingewiesen, dass der Klägerin das Fehlen der erforderlichen Erlaubnis solange nicht entgegengehalten werden kann, wie ihr die Erfüllung dieser Verpflichtung unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vereitelt worden ist (vgl. EuGH vom 6.3.2007 Rs. C-338/04 u.a. - M Placanica u.a. - RdNrn. 69 f sowie vom 15.9.2011 Rs. C-347/09 RdNr. 32; BayVGH vom 12.1.2011 Az. 10 BV 10.2271 RdNr. 58). Aufgrund der in Bayern fehlenden Identität von Erlaubnisbehörde und Untersagungsbehörde lässt sich aber die Erlaubnisfährigkeit der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten nur dann hinreichend beurteilen und gegebenenfalls verneinen, wenn das Erlaubnisverfahren mit Blick auf den unionsrechtlichen Anwendungsvorrang ergebnisoffen durchgeführt wird, die für die Erteilung der Erlaubnis zuständige Behörde im Rahmen des Art. 25 BayVwVfG auf eine ordnungsgemäße und erfolgversprechende Antragstellung hinwirkt und bei Zweifeln oder Unklarkeiten über die Beachtung von Vorschriften über die Art und Weise der Gewerbetätigkeit die Sicherstellung der materiellen Erlaubnisanforderungen gegebenenfalls durch Nebenbestimmungen gewährleistet (vgl. BayVGH vom 12.1.2012 Az. 10 BV 10.2271 und 10 BV 10.2505 sowie vom 23.1.2012 Az. 10 CS 11.923 RdNr. 38). Quelle: BayVGH Urteil vom 24. Januar 2012 10 BV 10.2665/M 22 K 07.3782 (pdf-download)

Prof. Dr. Koenig: Behörden dürfen gegen nicht zugelassene Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten keine – auf die fehlende Zulassung gestützten – Sanktionen erlassen, bis ein transparentes, diskriminierungsfreies und wettbewerbsoffenes Konzessionsvergabeverfahren durchgeführt worden ist. Verhängen Landesbehörden dem widersprechende Sanktionen, wie insbesondere sofort vollziehbare Untersagungsverfügungen, so verstoßen sie offenkundig und erheblich, also "hinreichend qualifiziert", gegen ihre – subjektiv gerade die Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten schützende – unionsrechtliche Verpflichtung und setzen sich damit der unionsrechtlichen Staatshaftung aus.

Entsprechend der EuGH-Rechtsprechung Costa / Engelmann muss die Konzessionsvergabe transparent sein, d.h. "auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruhen, damit der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden". Eine Vergabe "unter der Hand" ist unzulässig. Alle interessierten Wirtschaftsteilnehmer müssen "auf der Grundlage sämtlicher einschlägiger Informationen an Ausschreibungen teilnehmen können". Bedingungen und Modalitäten des Vergabeverfahrens müssen "klar, genau und eindeutig formuliert" sein. Negative Auswirkungen müssen für die Bewerber bestimmt und vorhersehbar sein.

VG Kassel: Staatliches Wettmonopol verringert weder Spielsucht noch übermäßiges Spielangebot

Für die Begründung eines Veranstaltungsmonopols mit Suchtgefahren gibt es keine Rechtsgrundlage. Das sei von zahlreichen Gerichten bestätigt worden. So hatte unter anderem das Verwaltungsgericht Halle in einem mittlerweile rechtskräftigen Urteil (Az.: 3 A 158/09 HAL) festgestellt:

Die wissenschaftliche Auswertung, bei der auch der aktuelle Stand der Forschung einbezogen wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass die Gefahr einer "Lottosucht" faktisch nicht existent ist.
Hier wurde deutlich, dass das VG Halle bei Lotterien mit bis zu zwei wöchentlichen Ziehungen auch eigenständige Zweifel an der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht hat. Die Kammer warf die Frage auf, ob es bei Lotterien mit bis zu zwei Ziehungen in der Woche überhaupt eine relevante Suchtgefahr geben kann, die einen solchen Eingriff in die Grundrechte rechtfertigen könnte. Das Wissenschaftliche Forum Glücksspiel hat den Bewertungsmaßstab festgelegt: Verfügbarkeit/Anmeldung/Zahlung/Dauer des Spieles/Ziehungsfrequenz (s. ZfWG 1/08)

"Der oben dargelegte Befund einer im Wesentlichen nicht vorhandenen Wett- und Spielsucht im Bereich der Glücksspiele des staatlichen Lotto-Toto-Blocks belegt die oben schon dargelegte Inkohärenz bei der Bekämpfung der Wett- und Spielsucht."

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) konnte kein ausreichendes Suchtpotenzial bei Geldspielautomaten feststellen, dass die von der Stadt Frankfurt beschlossene Regelung, dass Spielstätten acht Stunden am Tag schließen müssen, rechtfertigen würde. Es sei nicht mit dem "Grundrecht auf Berufsfreiheit der Spielhallenbesitzer" vereinbar entschied der Hessische VGH.

Für Lotterien konnten keinerlei Glücksspielsüchtige festgestellt werden. s. Tabelle 4.9: Bevölkerungsrisiko von Glücksspielangeboten (Bühringer, G. et al. (2007): Pathologisches Glücksspiel in Deutschland: Spiel- und Bevölkerungsrisiken, in: Sucht: Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis, 53(5), S. 296 – 307. )

Entsprechend dem Ziel des Glücksspielstaatsvertrages (§ 1 GlüStV) ist das Entstehen von Glücksspiel- und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen. So mussten die Behörden entsprechend prüfen und handeln. Den Urteilen konnte diesbezüglich nichts entnommen werden. Die Behörden haben demnach - auch nichts dazu vorgelegt, obwohl diese zur Prüfung möglicher Suchtgefahren verpflichtet sind.

Demnach lässt sich auch bei der in Österreich stationär durchzuführenden Hauslotterie keine höhere Spielgefährdung als bei anderen Lotterien ausmachen. Die neuesten Erkenntnisse der Glücksspielforschung zeigen, dass es keine Spielsüchtige bei langlaufenden Hauslotterien gibt. Kein Spielsüchtiger ist bereit mehrere Monate auf eine Ziehung zu warten! Anders als bei den „klassischen“ Glücksspielen erfolgen der Spielabschluss, die Spieldurchführung und die Spielentscheidung bei der privaten Hauslotterie – ähnlich wie bei den Lotterien – eben nicht innerhalb weniger Minuten oder sogar Sekunden. Bei den „klassischen“ Glücksspielen, insbesondere den Spielen, die in einer Spielbank angeboten werden, kann ein Spiel unmittelbar dem anderen folgen, sodass der Spieler innerhalb kurzer Zeit sehr viel Geld verlieren kann. In dieser Situation sind die Spieler einer besonderen Gefahrenlage ausgesetzt, weil ihr natürlicher Spieltrieb geradezu „angestachelt“ wird. Vergleichbares kann jedoch bei einer nur einmal durchgeführten privaten Hauslotterie von vornherein nicht eintreten, weil zwischen der Kontaktaufnahme, der Anmeldung und Losreservierung, der einmaligen Banküberweisung für die Teilnahme, der Verbuchung und der notariellen Ziehung, die Entscheidung über Gewinn oder Verlust ein erheblicher Zeitraum von mehreren Monaten liegen sollte.

Der BayVGH stellte in seiner o.a. Entscheidung vom 7. Februar 2012, Az. 10 CS 11.1212  fest, dass § 4 Abs. 4 GlüStV dann nicht einschlägig ist, wenn ein auf einer Internetseite angebotenes Glücksspiel so ausgestaltet ist, dass die spezifischen Gefahren des Internets im Hinblick auf den Jugendschutz und die Entstehung von Spielsucht nicht bestehen, da die verbindlichen Bestell- und  Zahlvorgänge erst außerhalb des Internets erfolgen. Indem der Spielwillige seine Personalien offenbart und damit aus der Spielsucht fördernden Anonymität des Internets heraustritt, entsteht Raum den Belangen des Jugendschutzes durch entsprechende Vorkehrungen Rechnung zu tragen

Hinsichtlich des zur Rechtfertigung des Monopols vorgebrachten Jugendschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung ist das staatliche Sportwettenmonopol nach Überzeugung des VG Hamburg nicht erforderlich (S. 24). Es bestünden nämlich mildere, gleich effektive Mittel, um den Jugendschutz sicherzustellen und die Kriminalität im Zusammenhang mit Sportwetten zu bekämpfen. Das Gericht verweist hierbei auf Genehmigungsvorbehalte und behördliche Kontrollen. Diese milderen Mittel halte der Staat auch bei Pferdewetten und dem Automatenspiel für hinreichend effektiv (S. 25).

Im Folgenden betont das Verwaltungsgericht noch einmal, dass das bloße Fehlen einer Erlaubnis weder dem Anbieter noch dem Vermittler entgegengehalten werden könne, solange in europarechtswidriger Weise privaten Anbietern keine Erlaubnis ausgestellt werde (S. 27). Aus diesem Grund sei auch keine Strafbarkeit nach § 284 StGB gegeben (S. 35).
Klicken Sie hier um das Urteil im Volltext zu lesen (PDF).

Das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 1496/05) - (vgl. S. 5) hatte ausdrücklich einen staatlichen Strafanspruch verneint, wenn der strafbewehrte Ausschluss privater Wettunternehmer von der gewerblichen Veranstaltung von Sportwetten wegen des rechtswidrigen Staatsmonopols verfassungswidrig ist.

EuGH: Urteil Rs. C-72/10 und C 77/10 Costa u.a.
Rn 81. Jedenfalls dürfen nach ständiger Rechtsprechung die durch innerstaatliche Rechtsvorschriften auferlegten Beschränkungen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels erforderlich ist (Urteil Gambelli u. a., Randnr. 72). Somit kann es zwar unter bestimmten Voraussetzungen gerechtfertigt sein, gegen einen Betreiber von Glücksspielen, der aufgrund beweiskräftiger Indizien unter Verdacht steht, in kriminelle Aktivitäten verwickelt zu sein, Vorkehrungen zu treffen, doch kann ein Ausschluss vom Markt durch Entzug der Konzession nur dann als dem Ziel der Bekämpfung der Kriminalität angemessen betrachtet werden, wenn er auf einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer hinreichend schweren Straftat beruht. Eine Rechtsvorschrift, die einen Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern – sei es auch nur vorübergehend – vom Markt zulässt, könnte nur dann als angemessen betrachtet werden, wenn ein wirksames gerichtliches Verfahren und, falls sich der Ausschluss später als ungerechtfertigt erweisen sollte, Ersatz für den entstandenen Schaden vorgesehen sind.

Grundsätzlich sind für das Strafrecht zwar die Mitgliedstaaten zuständig, jedoch setzt das Gemeinschaftsrecht dieser Zuständigkeit Grenzen. So darf das Strafrecht nicht die vom Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beeinträchtigen. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bekräftigt, dass ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hat.  Quelle: PM Nr. 20/2007 ganz unten  (EuGH, Placanica vom 06.03.2007 Rn 68 ff.)

EuGH: Urteil Rs. C-64/08 Engelmann Rs. C 64/08
34 Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine Beschränkung wie die hier festgestellte, soweit sie eine Diskriminierung darstellt, nur dann mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wenn sie einer ausdrücklichen Ausnahmebestimmung wie Art. 46 EG zugeordnet werden kann, d. h. der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Urteile vom 16. Januar 2003, Kommission/Italien, C 388/01, Slg. 2003, I 721, Randnr. 19, und vom 6. Oktober 2009, Kommission/Spanien, C 153/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 37).

35 Außerdem muss eine solche Beschränkung den Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit genügen, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben, und kann nur dann als geeignet angesehen werden, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2009, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, C 42/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 59 bis 61).

47 Was die Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Beschränkung mit dem Unionsrecht angeht, so können die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit als fundamentale Grundsätze des Vertrags nur durch Regelungen beschränkt werden, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten. Ferner ist die fragliche nationale Regelung nur dann gerechtfertigt, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteil vom 9. März 2006, Kommission/Spanien, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

51 Die ohne jede Transparenz erfolgende Vergabe einer Konzession an einen Wirtschaftsteilnehmer, der in dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, dem der öffentliche Auftraggeber zugehört, stellt eine Ungleichbehandlung zum Nachteil von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmern dar, die keine reale Möglichkeit haben, ihr Interesse an der fraglichen Konzession zu bekunden. Eine derartige Ungleichbehandlung verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und stellt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, die nach den Art. 43 EG und 49 EG verboten ist, sofern sie nicht aus objektiven Gründen gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Coname, Randnr. 19, Parking Brixen, Randnr. 50, und vom 17. Juli 2008, ASM Brescia, C 347/06, Slg. 2008, I 5641, Randnrn. 59 und 60).

54 Besteht in einem Mitgliedstaat eine Regelung über die Erteilung von Genehmigungen, mit der rechtmäßige, von der Rechtsprechung anerkannte Zwecke verfolgt werden, kann eine solche Regelung keine Ermessensausübung der nationalen Behörden rechtfertigen, die geeignet ist, den Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere wenn sie Grundfreiheiten wie die im Ausgangsverfahren fraglichen betreffen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen (vgl. u. a. Urteile Sporting Exchange, Randnr. 49, und Carmen Media Group, Randnr. 86).

Generalanwalt Mengozzi ist in seinen Schlussanträgen vom 4. März 2010 in der Rechtssache Stoß u. a. (C 316/07, C 358/07, C 359/07, C 360/07, C 409/07 und C 410/07) auf die Schwierigkeiten, die Staaten bei der Durchsetzung der nationalen Rechtsvorschriften über das Glücksspiel angesichts des Internets haben, eingegangen. Unter der Nr. 79 führte er aus, dass „Schwierigkeiten, denen ein Staat bei der Wahrnehmung seiner Aufgabe, eine nationale Regelung durchzusetzen, begegnen mag, für die Beurteilung ihrer Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht unerheblich [sind]. Eine Beschränkung in nationalen Rechtsvorschriften ist als solche mit dem Vertrag vereinbar oder nicht, und die Möglichkeit, diesen nationalen Regeln zuwiderzuhandeln, ist insoweit unerheblich …“

EuGH Stoß u.a. verbundene Rechssachen C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07
94 In den Randnrn. 50 bis 52 des Urteils Schindler, das zu einer Regelung eines Mitgliedstaats ergangen ist, mit der Lotterien verboten wurden, hat der Gerichtshof u. a. ausgeführt, dass andere in dem entsprechenden Mitgliedstaat weiterhin zugelassene Geldspiele wie Fußballtoto oder das Spiel „Bingo“, auch wenn es bei ihnen zu Einsätzen in einer Höhe kommen kann, die mit denen bei Lotterien vergleichbar sind, und der Zufall bei ihnen eine bedeutende Rolle spielt, sich hinsichtlich ihres Gegenstands, ihrer Regeln sowie der Einzelheiten ihrer Durchführung doch von den großen Lotterien in anderen Mitgliedstaaten unterscheiden. Er hat daraus den Schluss gezogen, dass die Lage bei diesen anderen Spielen nicht mit der bei den Lotterien vergleichbar ist, die durch die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats verboten wurden, und dass sie diesen nicht gleichgestellt werden können.

Die Unionsrechtswidrigkeit führt zur Unanwendbarkeit der §§ 1 ff GlüStV mit der Folge, dass auch die verwaltungsakzessorischen §§ 284 ff StGB unanwendbar sind. (mehr)

Ebenfalls unanwendbar ist § 9 GlüStV als Rechtsgrundlage für Untersagungsverfügungen, da an das Fehlen einer Erlaubnis, die in unionsrechtswidriger Weise nicht erlangt werden konnte, keine Sanktionen geknüpft werden können, zumal derzeit wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts keine Erlaubnispflicht besteht. Dies darf auch nicht durch eine Heranziehung der subsidiären Vorschriften des Landesstrafrechts (z.B. Art. 7 II BayLStVG i.V.m. § 284 StGB) umgangen werden.  (Streinz/Kruis, NJW 2010, 3749 f.)

"In Fragen der Innenpolitik beginnen die Mitgliedsstaaten, Deutschland eingeschlossen, erst langsam zu verstehen, dass Europa hier nach dem Vertrag von Lissabon Standards setzen kann", sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), in einem anderen Zusammenhang.  Quelle

Zur Anwendbarkeit des § 284 StGB seit Geltung des Glücksspielstaatsvertrages
Anmerkungen zum Online-Verbot gem. § 4 Abs. 4 GlüStV
Mehr zum Unionsrecht
Allgemeine Rechtsinfos zum Thema Hausverlosung

Hier wurde bereits über Herr Kellner berichtet

update:


Das Verwaltungsgericht Potsdam hat am 27.03.2012 unter Berücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 08.09.2010 festgehalten, dass das staatliche Wettmonopol gemeinschaftswidrig ist und war.
Leitsatz:
1. Das Staatliche Glücksspielmonopol lässt sich im Land Brandenburg angesichts seiner derzeitigen Ausgestaltung europarechtlich nicht rechtfertigen.
2. Das Aufstellen von Cashpoint-Automaten in Spielhallen verstößt nicht gegen das Internetverbot.
Gegenteilige Eilentscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg sieht das Gericht als überholt an.    weiterlesen


Mit Urteil vom 10. Mai 2012 (Az: 9 O 476/12) hat LG Bremen das Internetverbot des Glücksspielstaatsvertrages für unionsrechtswidrig und unanwendbar erklärt.

Fortgeltungsanordnungen
Die Rechtslage ist – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins – in allen Ländern identisch. Dort gelten vergleichbare gesetzliche Fortgeltungsanordnungen.

Da keines dieser Gesetzte notifiziert wurde ist davon auszugehen, dass sie allesamt europarechtswidrig und damit weitgehend unanwendbar sind.
Dementsprechend ist die Vermittlung und Veranstaltung von Glücksspielen im Internet bundesweit nicht mehr verboten. (vgl. BGH I ZR 30/10 vom 28. September 2011, Rdnr. 43 ff)   weiterlesen






zuletzt aktualisiert: 21.06.2012