Mittwoch, 13. April 2011

LG Bamberg: Beschwerde der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen

Das Landgericht Bamberg hat in durch die Bielefelder Kanzlei KARTAL Rechtsanwälte geführten Strafverfahren die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft Bamberg gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Amtsgericht Bamberg zurückgewiesen (Az. 1 Qs 33/2011).

Die Staatsanwaltschaft Bamberg hatte zwei private Sportwettenvermittler wegen unerlaubter Veranstaltung eines Glücksspiels nach § 284 StGB angeklagt. Mit Beschluss vom 28.12.2010 hatte das Amtsgericht Bamberg die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und im Wesentlichen ausgeführt, dass die derzeit existierende Verbotsnorm des § 4 GlüStV gegen Gemeinschaftsrecht verstoße und es deshalb keiner behördlichen Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten durch private Anbieter bedürfe. Hiergegen hatte sich die Staatsanwaltschaft mit sofortiger Beschwerde vom 08.03.2011 gewendet.

In dem Zurückweisungsbeschluss vom 01.04.2011 sieht das Landgericht Bamberg eine Strafbarkeit der Angeschuldigten als nicht gegeben an (S. 3).
Die Kammer geht von den höchstrichterlichen Grundsätzen aus, dass der Gesetzgeber nicht ein Verhalten unter Androhung von Strafe verbieten könne, um sich gleichzeitig ebenso zu verhalten, ohne sich zugleich mit dem durch das Verbot aufgestellten Zielen in Widerspruch zu setzen.
Als Ziel des Glücksspielstaatsvertrages zitiert das Landgericht § 1 GlüStV. Demnach sei das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen. Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht entschieden, dass die Regelung zum Erlaubnisvorbehalt des § 4 GlüStV entsprechend der Auffassung des Amtsgerichts "und der vordringenden Auffassung in Literatur und Rechtsprechung (nunmehr auch in Fischer, Kommentar zum StGB 58. Auflage 2011, § 284 Rn. 2, 16a) gegen das Europäische Gemeinschaftsrecht (Art. 49, 56 EUV), das den Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel läuft", verstößt (S. 4).

Entsprechend den Entscheidungen des EuGH vom 08.09.2010 folgt die Kammer dem Kohärenzgebot hinsichtlich der Ausgestaltung des Sportwettenmonopols. Sodann stellt sie fest, dass die derzeitigen Regelungen des GlüStV gegen dieses Gebot verstoßen. Als tatsächliche Beispiele nennt das Landgericht die staatliche Zielsetzung der Gewinnmaximierung, die staatliche "Ignoranz gegenüber einzelnen besonders Sucht fördernden Spielarten" und die teilweise umfassende staatliche Bewerbung von Glücksspielen (S. 5).

Schließlich verweist die Kammer auf die völlig ungewisse Rechtslage, so dass sich die Angeschuldigten zudem auf einen Verbotsirrtum nach § 17 S. 1 StGB berufen könnten: "Selbst wenn die Angeschuldigten bei Nachfrage gegenüber der zuständigen Behörde die Auskunft erhalten hätten, dass sie eine Erlaubnis bedürften, müssten sie angesichts der seit Jahren bestehenden Rechtsunsicherheit, der (…) kontroversen Rechtsprechung zum GlüStV und der vom Amtsgericht zitierten durchaus seriösen Presseberichterstattung (Der Spiegel, 37/2010, S. 38, Anm. des Verfasser) nicht von einer Strafbarkeit ihres Verhaltens ausgehen" (s. 5).

Kontakt:
KARTAL Rechtsanwälte
Rechtsanwalt Jusuf Kartal
Friedenstraße 36
33602 Bielefeld


Das BVerfG führt in seinem Sportwettenurteil (BVerfGE 115, 276 ff = NJW 2006, 161 ff) unter Rn. 144 aus, dass die Anforderungen des Verfassungsrechts parallel zu den vom EuGH formulierten Vorgaben verlaufen. Das Übergehen der Rechtsprechung des EuGH führt somit zur Verfassungswidrigkeit!
"Rn 144: Insofern laufen die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben. Nach dessen Rechtsprechung ist die Unterbindung der Vermittlung in andere Mitgliedstaaten mit dem Gemeinschaftsrecht nur vereinbar, wenn ein Staatsmonopol wirklich dem Ziel dient, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen nur eine nützliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01 - Gambelli u.a., Slg. 2003, I-13076, Rn. 62). Die Vorgaben des Gemeinschaftsrechts entsprechen damit denen des Grundgesetzes."

In der mündlichen Verhandlung am 22.07.2010 hatten die obersten Bundesrichter Zweifel geäußert, ob die Strafnormen der §§ 284, 287 StGB im Lichte der verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Rechtsprechung als hinreichend bestimmt angesehen werden können. Eine Strafbarkeit könne nicht von der Würdigung tatsächlichen Verhaltens staatlicher Glückspielanbieter abhängig gemacht werden. weiter lesen
BGH, Urteile vom 22. Juli 2010 Az.: I ZR 163/07, I ZR 170/07;
Urteile vom 18. November 2010 Az: I ZR 156/07, I ZR 159/07, I ZR 165/07, I ZR 168/07, I ZR 171/07

Ralf Bender:

Zur Anwendbarkeit des § 284 StGB seit Geltung des Glücksspielstaatsvertrages
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Seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages am 01.01.2008 sind immer wieder Versuche einiger Ermittlungsbehörden und Gerichte zu beobachten, eine Strafbarkeit gem. § 284 StGB im Falle des Veranstaltens oder Vermittelns von Sportwetten in Deutschland zu begründen.
Während beispielsweise die Staatsanwaltschaft Baden-Baden in einem Einstellungsbeschluss vom 14.09.2010 (abrufbar unter www.vewu.com) von einer fehlenden Strafbarkeit infolge der bekannten EuGH- Rechtsprechung ausgeht, hält die Staatsanwaltschaft Essen § 284 StGB derzeit für anwendbar, was zu einem umfangreichen gegenwärtigen Prozess gegen 12 Angeklagte vor dem Landgericht Essen geführt hat. Weitere Ermittlungsverfahren gegen Betreiber von Sportwettenannahmestellen sind eingeleitet worden. Der Unterzeichner als Mitverteidiger des Hauptangeklagten in oben genanntem Verfahren vor dem Landgericht Essen nimmt dies zum Anlass, eine kurze Zusammenfassung des derzeitigen Meinungsstandes und der eigenen Schlussfolgerungen abzugeben.

Eine Strafbarkeit gem. § 284 StGB scheidet aus Rechtsgründen, unabhängig von der Frage, ob Sportwetten angeboten, vermittelt oder veranstaltet werden, aus.

Rechtslage bis 31.12.2008
Auch nach der Einführung des Glückspielstaatsvertrages zum 01.01.2008 ist jedenfalls für die weitere Übergangszeit im Sinne des § 25 Abs. 1, Satz 1 Glücksspielstaatsvertrag (31.12.2008) obergerichtlich festgestellt, dass für den Glücksspielstaatsvertrag ein normativ begründetes Vollzugsdefizit bestand, welches einer strafrechtlichen Ahndung entgegen steht (KG Berlin, Urteil vom 23.07.2009 (1 Ss 541/08), ZfWG 2010, S. 94 ff)
Das Kammergericht stellt unter 1. c) wie folgt fest:
"Ob der Angeklagte im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB auch "ohne behördliche Erlaubnis" gehandelt hat,....., kann dahinstehen. Auch bei vollständiger Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestandes, verstieße die strafrechtliche Sanktionierung der abgeurteilten Tat jedenfalls gegen Verfassungs- und Gemeinschaftsrecht. Ohne eine verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage kommt aber eine strafrechtliche Sanktion nach§ 284 StGB nicht in Betracht."
Unter 2.) führt das Kammergericht für das Jahr 2008 wie folgt aus:
"Denn auch für den Fall, dass der Beklagte das Wettbüro auch im Jahr 2008 betrieben hat, kommt eine Bestrafung weiterhin nicht in Betracht......, denn der Glücksspielstaatsvertrag und das Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag wiesen jedenfalls bis zum Ablauf der Übergangsfristen..... Vollzugsdefizite auf. Diese waren normativ angelegt. Damit fehlt es auch für durch den Angeklagten im Jahre 2008 gegebenenfalls noch begangene Teilakte an der verfassungsrechtlichen Grundlage für eine strafrechtliche Sanktion."
Folgerichtig stellt das Kammergericht daher auch fest, dass
"für beide Zeiträume ....... eine Bestrafung des Angeklagten aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist."
Rechtslage ab 01.01.2009
Die Rechtslage ist nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in den verbundenen Rechtssachen Markus Stoß u.a. (C 316/07, C 358/07 – C 360/07, C 409/07 und C 410/07 vom 08.09.2010) vom 08.09.2010 nach diesseitiger Einschätzung unverändert.
Der EuGH hat festgestellt, dass das in Deutschland bestehende staatliche Monopol auf die Veranstaltung von Sportwetten in seiner derzeitigen Ausprägung nicht geeignet sei, die Erreichung des mit seiner Errichtung verfolgten Zieles der Spielsuchtbekämpfung zu verfolgen. Damit fehle dem staatlichen Monopol die Grundvoraussetzung für die Beschränkung der Dienst- und Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art. 43 und 49 EG, da das für diese Beschränkung erforderliche überragende Allgemeinwohlinteresse, eben die Spielsuchtbekämpfung, nicht nachhaltig verfolgt werde.
Somit ist auch hier ein Vollzugsdefizit festgestellt worden. Wenn sich der Staat zur Begründung eines Verbotes jedoch auf eine Verwaltungsnorm beziehen will, muss diese wirksam und anwendbar sein. So stellt der EuGH zur strafrechtlichen Konsequenz unter Rdn-Nr.: 115 des oben genannten Urteils wie folgt klar:
"Angesichts der in Rdn-Nr.: 19 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Angaben des Verwaltungsgerichts Gießen ist auch darauf hinzuweisen, dass ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nichterfüllten Verwaltungsmodalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Unionsrecht abgelehnt oder vereitelt hat."
Im Ergebnis scheidet damit eine Strafbarkeit gemäß § 284 StGB bis zum heutigen Tage und auch darüber hinaus aus.
Hieran ändert auch der Beschluss des 4. Senats des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 15.11.2010 (4 B 733/10) nichts. Das OVG Münster hat ausweislich der Entscheidungsgründe vorübergehend eine weitere Anwendung der Vorschriften des Glücksspielstaatsvertrages für zulässig gehalten, weil das zuständige Bundesministerium an einem Entwurf zur Überarbeitung der Spieleverordnung unter Berücksichtigung der begleitenden, noch unveröffentlichten Ergebnisse einer weiteren Evaluationsstudie arbeite. Im Ergebnis nimmt das OVG Münster in der oben genannten Entscheidung zur Beurteilung der aktuellen Rechtslage gesetzgeberische Vorhaben und Maßnahmen (so sie denn tatsächlich durchgeführt werden sollten) vorweg, um wiederum, wie bereits innerhalb des dem sogenannten Winner-Wetten-Urteil zugrundeliegenden Sachverhaltes, das durch den EuGH eindeutig bestätigte Prinzip des Anwendungsvorranges europäischen Rechts zu umgehen. Denn jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht ist verpflichtet, dem Europarecht zuwiderlaufende Bestimmungen des nationalen Rechts unmittelbar und sofort nicht weiter anzuwenden (EuGH Urteil in der Rechtssache "Winner-Wetten-GmbH" vom 08.09.2010, C 409/06).
Vor diesem Hintergrund können zukünftige – mögliche – Rechtsentwicklungen nicht in den Blick genommen werden.
Dies bedeutet, dass die das Monopol begründenden Vorschrift des § 10, Abs. 5 Glücksspielstaatsvertrag derzeit nicht angewendet werden darf. Es bedeutet weiterhin, dass das Fehlen einer Erlaubnis aus Gründen des Monopols weder dem Veranstalter, noch dem Vermittler entgegen gehalten werden kann, wie VG Mainz (Beschluss vom 09.11.2010, 6 L 1089/10. MZ) zutreffend feststellt.
Die nunmehr ergehenden und die Rechtswidrigkeit einer Untersagungsverfügung bestätigenden verwaltungsgerichtlichen Urteile setzen sich im Detail mit der Frage des Erlaubnisvorbehalts auseinander. Eine fehlende Erlaubnis kann jedenfalls dann nicht zur Begründung einer Untersagungsverfügung herangezogen werden, wenn für den betreffenden Antragssteller faktisch nicht die Möglichkeit besteht, eine derartige Erlaubnis zu erlangen, und wenn dies im Widerspruch zu höherrangigem Recht steht, wie das OVG Lüneburg (OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.07.2008, 11 M C 71/08) schon vor längerem festgestellt hat. Bis zu den Entscheidungen des EuGH vom 08.09.2010 bestand eine solche Möglichkeit der Durchführung eines geordneten Verwaltungsverfahrens, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, nach diesseitiger Kenntnis jedoch auch in allen anderen Bundesländern, gerichtet auf die Erlangung einer Erlaubnis, rechtlich wie faktisch, nicht.
Vor diesem Hintergrund gilt nach wie vor die bereits mehrfach zitierte Fundstelle des EuGH aus der Rechtssache Markus Stoß u.a., nach welcher jedenfalls eine Strafbarkeit ausscheiden muss, da diese auf die Verletzung einer Verwaltungsnorm beruht, deren ordnungsgemäße Erfüllung der Staat selbst vereitelt. Die zur Begründung der Strafbarkeit zwingend erforderliche Verletzung der Verwaltungsnorm, die zur Begründung der Strafnorm aufgrund der Verwaltungsakzessorietät unerlässlich ist, liegt nicht vor. Insofern ist auch die Entscheidung des OVG Münster vom 15.11.2010 nicht geeignet, eine abweichende Beurteilung zu begründen, so auch VG Trier, Beschluss vom 29.10.2010, 1 L 1230/10 TR und VG Köln, 1 K 3293/07.
Insbesondere in der letztgenannten Entscheidung hob das Gericht deutlich hervor, dass die unmittelbar vorhergehende Eilentscheidung des OVG Münster für die Kammer des VG Köln jedenfalls nicht nachvollziehbar sei. Beide Entscheidungen sind in Kenntnis der Rechtsprechung des OVG Münster vom 15.11.2010, 4 B 733/10, ergangen, die Rechtsauffassung des OVG Münster wird von diesen Gerichten zutreffend nicht geteilt. Das VG Köln hat im Anschluss an die mehrfach zitieren Entscheidungen des EuGH vom 08.09.2010 ausdrücklich die bestehende Inkohärenz der Regelungen auf dem Glücksspielmarkt bestätigt (S. 19 des Urteils). Es hat gleichzeitig zutreffend nachfolgende Rechtsansicht vertreten (S. 20/21 des Urteils):
"Ebenso wird vom bindenden Inhalt (Hervorhebung diesseits) der EuGH-Rechtsprechung abgewichen, wenn das OVG NRW in seiner jüngsten Entscheidung auf eine "expansive Tendenz", "bewusste und zielgerichtete Expansionsstrategie", von vorneherein bestehende "Absicht zur Ausweitung der Spielgelegenheit" abstellt und den Spielraum des nationalen Gesetz- und Verordnungsgebers erst dann verletzt sieht, wenn trotz "belegter Ungeeignetheit" normative Korrekturen ausbleiben bzw. keine "angemessen zeitnahe" Reaktion erfolgt."
Es besteht daher nach dem sog. Winner-Wetten Urteil (C-409/06) des EuGH gerade nicht die Möglichkeit, bei Vorliegen der festgestellten Europarechtswidrigkeit des Glücksspielstaatsvertrages für eine Übergangszeit bis zur ev. Umsetzung gesetzgeberischer Ziele, wie das OVG Münster meint, eine solche gemeinschaftswidrige nationale Regelung weiter anzuwenden. Folgerichtig und konsequent schlussfolgert das VG Köln daher auch auf Seite 22 des Urteils:
"Da nach alledem die im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden materiellen Regelungen über das staatliche Sportwettenmonopol unanwendbar sind, wirkt sich dies gleichermaßen auf das formelle Erfordernis der Erlaubnispflicht (Hervorhebung diesseits) nach § 1 Abs. 1, S. 1 und § 2 SportwettenG NRW aus."
Damit ist aufgrund der Verwaltungsakzessorietät des § 284 StGB der Anwendung der Strafnorm der Boden entzogen. Die Norm des § 284 StGB setzt tatbestandlich die Veranstaltung eines öffentlichen Glücksspiels ohne behördliche Genehmigung voraus; eine solche behördliche Genehmigung zu erlangen hat der Staat jedoch für Private in gemeinschaftswidriger Weise durch den Glücksspielstaatsvertrag vereitelt. Das VG Stuttgart ( Urteil vom 15.12.2010, 4 K 3645/10) setzt sich im Detail mit der nunmehr notgedrungen ins Felde geführten Rechtsauffassung einiger Ordnungsbehörden auseinander, nach welcher auch im Falle einer Unionsrechtswidrigkeit des Monopols jedenfalls von einem Erlaubnisvorbehalt auszugehen sei. Dem erteilt das Gericht unter Hinweis auf das Carmen-Media-Urteil des EuGH vom 08.09.2010 ( ZfWG 2010, 344) eine klare Absage. Zur Frage der Strafbarkeit führt das VG Stuttgart unter Rn. 39 des Urteils wie folgt aus:
"Die Untersagungsverfügung kann schließlich auch nicht wegen des vom Beklagten behaupteten Verstoßes gegen § 284 StGB aufrechterhalten werden. Weder eine Auslegung als polizeirechtliche Ordnungsverfügung (§§ 1, 3 PolG) noch eine Umdeutung (§ 47 LVwVfG) in eine solche ist möglich. Denn gegenwärtig könnte eine polizeirechtliche Ordnungsverfügung nicht erlassen werden. Dass hierbei erhebliche Probleme der sachlichen Zuständigkeit und des Nachschiebens bzw. des Austausches von Ermessenserwägungen aufträten, bedarf keiner Vertiefung, weil es jedenfalls schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Einschreiten fehlt. Ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit mit Blick auf § 284 StGB liegt nämlich nicht vor. Zwar stellt diese Vorschrift das Veranstalten von öffentlichem Glücksspiel oder die Bereitstellung von Einrichtungen hierzu ohne behördliche Erlaubnis unter Strafe. Ein Strafrechtsverstoß kommt aber dennoch nicht in Betracht. Dabei kann offen bleiben, ob § 284 StGB derzeit überhaupt verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Denn auch wenn man dies annimmt, kann die Vorschrift nach Sinn und Zweck und bei unionsrechtskonformer Auslegung keine Grundlage für ein polizeirechtliches Einschreiten darstellen, wenn - wie hier (siehe die Ausführungen zu 1. und 2.) - staatliche Vorschriften eine rechtliche Möglichkeit zur Erteilung einer Genehmigung im Bereich der Sportwetten für Private nicht vorsehen und ein staatliches Monopol dort konkret jedenfalls derzeit nicht gerechtfertigt ist. Unter diesen Umständen fehlt es jedenfalls an einer Strafbarkeit (vgl. VG Hamburg, a.a.O., Rn. 135 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 16.08.2007 - 4 StR 62/07 - NJW 2007, 3078) (Hervorhebung diesseits). Andernfalls würde über den Weg des Strafrechts ermöglicht, eine unionsrechtswidrig in Grundrechte (Art. 12 GG) und Grundfreiheiten (Art. 49 bzw. 56 AEUV) eingreifende Monopolstruktur vorläufig aufrechtzuerhalten; in seinem Urteil vom 08.09.2010 (Winner Wetten C- 409/06, Rn. 62-69, GewArch 2010, 442 = NVwZ 2010, 1419) hat der Europäische Gerichtshof aber gerade ausgeschlossen, dass für eine Übergangszeit unionsrechtswidrige Zustände akzeptiert werden dürfen."
Zwischenzeitlich liegen eine ganze Reihe weiterer verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen vor, die den Erlaubnisvorbehalt als nicht durchgreifend erachtet haben.
Zu beachten ist insbesondere weiterhin die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 24.11.2010 (AZ.: 8 C 14.09 und 8 C 15.09). Den Entscheidungen des BVerwG vom 24.11.2010 ist jedenfalls zu entnehmen, dass zur Beurteilung der europarechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols, auch soweit es nur einen sog. "Sektor" des Glückspiels wie z.B. Sportwetten betrifft, sich die erforderliche Kohärenzprüfung auf den gesamten Glückspielbereich zu erstrecken hat. Die Regelungen und (vor allem tatsächlichen) Handhabungen und Ausgestaltungen der übrigen, nicht dem Monopol unterliegenden Glückspielsektoren, z.B. Pferdewetten oder Geldspielgeräte, dürfen dem Zweck des Glückspielstaatsvertrages und dem zu dessen Durchsetzung festgelegten Monopol nicht zuwiderlaufen. Das Bundesverwaltungsgericht stellt insoweit fest:
"In den Blick zu nehmen ist dabei nicht allein die rechtliche Ausgestaltung, sondern auch die tatsächliche Handhabung. Das Ziel der Begrenzung der Wetttätigkeit darf weder konterkariert noch dürfen ihm entgegenlaufenden Ausgestaltungen in den anderen Glückspielbereichen geduldet werden."
Das Bundesverwaltungsgericht verlangt insoweit Feststellungen zu der Frage, ob andere, nicht dem Glückspielstaatsvertrag unterliegende Glücksspielsektoren auch tatsächlich Restriktionen erfahren, die der Suchprävention als Primärzweck des Glückspielstaatsvertrages dienen.
Damit setzt das BVerwG die Vorgaben des EuGH aus der Rechtsprechung vom 08.09.2010 um.
Das Bundesverwaltungsgericht stellt, ausdrücklich für die Rechtslage ab dem 01.01.2008, unter Rn. 60 des Urteils 8 C 15.09 vom 24.11.2010 wie folgt fest:
"Der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV und der Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten an private Wettanbieter – auch – in anderen Mitgliedsstaaten stellen eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung (Hervorhebung diesseits) der Dienstleistungsfreiheit dar."
Die Frage der Rechtfertigung der Beschränkung ist unionsrechtlich anhand von vier durch das BVerwG aufgestellten Voraussetzungen zu prüfen, wie sich aus den Rn. 61 ff. der Entscheidung ergibt. So müssen die staatlichen Maßnahmen mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar, aus Gründen öffentlicher Gewalt oder Ordnung, oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten; ferner dürfen sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.
Die Eignung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch das staatliche Monopol kann nur angenommen werden, wenn sie auf die Bekämpfung der Spielsucht und den Spielerschutz als zwingende Gründe des Allgemeininteresses gestützt wird, ebenso wie ihre Anwendung in der Praxis geeignet sein muss, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Spielsucht beiträgt.
Ohne positive Beantwortung der für das Monopol wesentlichen Prämisse der kohärenten und systematischen Begrenzung der Wetttätigkeit kann eine europarechtlich unbedenkliche Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nicht stattfinden. Hierzu ist der gesamte Glückspielmarkt wie auch das Werbeverhalten des Monopolisten in den Blick zu nehmen.
Dies hat der BayVGH in dem der zitierten Entscheidung des BVerwG zugrundeliegenden Urteil nicht getan, weshalb seine Entscheidung aufgehoben wurde.
Eine Überprüfung der sog. Kohärenzfrage führt jedoch gerade zu der Erkenntnis, dass das angestrebte Ziel der Suchtbekämpfung nicht kohärent und systematisch im Sinne der zitierten Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG verfolgt wird.
Der EuGH hat dies auf Grundlage der Feststellungen des VG Gießen in dem vorgenanntem Urteil C- 316/07 (Markus Stoß u.a.) eindeutig festgestellt. Zwischenzeitlich hat auch das VG Minden in einem Urteil vom 01.02.2011 (1 K 2346/07) die Inkohärenz insbesondere der tatsächlichen Ausgestaltung des gesamten Glückspielmarktes umfänglich anhand von zahlreichen Beispielen aus den Bereichen der Automatenspiele und der Spieleverordnung auf den Seiten 12 bis 17, also über fünf Seiten der Urteilsbegründung festgestellt. Es hat nochmals die Auffassung bestätigt, dass eine formale Bezugnahme auf das Merkmal der "Erlaubnis" als Argumentation nicht tragfähig sei. Wegen des staatlichen Monopols könnten Private keine Erlaubnis erhalten. Da das Monopol aber mit Unionsrecht unvereinbar sei, müssten alle das Monopol betreffenden Regelungen, so auch der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV, unangewendet bleiben. Dementsprechend kann das Fehlen einer Erlaubnis nicht entgegengehalten werden, VG Minden, Urteil vom 01.02.2011, 1 K 2346/07.
Dies schlägt auf die Strafrechtsnorm des § 284 StGB durch, was zu deren Unanwendbarkeit bis zum heutigen Tage führt.
Kontakt:
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Rechtsanwalt Ralf Bender
Fachanwalt für Steuer- und Strafrecht
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update: Das OVG Münster hat sich mit mehreren Entscheidungen korrigiert:
OVG NRW (Az.: 13 B 1331/11) vom 30.11.2011
OVG NRW (AZ.: 4 B 1139/11) vom 27.10.2011
OVG NRW (Az.: 4 A 17/08) vom 30.09.2011

Die Staatsanwaltschaft Baden-Baden führt in seiner Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO vom 14.9.2010 wie folgt aus: „Das Verfahren war einzustellen, da auf der Grundlage des Beschlusses des Europäischen Gerichtshofs vom 08.09.2010, mit dem die deutschen Regelungen zum Glücksspielmonopol als nicht mit EU-Recht vereinbar erklärt wurden, ein strafbares Handeln des Beschuldigten nicht festgestellt werden kann.“ pdf-download

s.u.a. Prof. Bernd Hecker - Europäisches Strafrecht S. 330 ff

Aufgrund der Rechtswidrigkeit des Monopols seien auch die Erlaubnisregelungen nicht im Strafrecht anwendbar. So stellte das VG Stuttgart auf Seite 13 des Urteils fest:
"Andernfalls würde über den Weg des Strafrechts ermöglicht, eine unionsrechtswidrig in Grundrechte (Art. 12 GG) und Grundfreiheiten (Art. 49 bzw. 56 AEUV) eingreifende Monopolstruktur vorläufig aufrechtzerhalten"

Am 15. Juni 2012 bestätigte das LG München I , Az. 12 Qs 22/11 die Unanwendbarkeit des § 284 StGB. Der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht führt im vorliegenden Fall zur Unanwendbarkeit des § 284 StGB. Wenn eine Strafnorm - wie im Fall des § 284 8tGB - eine aufgrund des Europarechts unanwendbaren Norm wieder zur Gültigkeit verhelfen würde, so ist auch diese aufgrund Verstoßes gegen das Europarecht im konkreten Einzelfall unanwendbar. Denn das bloße Abstellen auf das formelle Erfordernis der behördlichen Genehmigung würde zu einem erneuten Verstoß gegen die Grundfreiheiten des Art. 49 und Art. 56 EUV führen (so auch EUGH, Urteil vom 6.3.2007). 

VG Potsdam (6 K 936/08) stellte am 27.03.2012 fest, dass auch § 284 StGB nicht angewandt werden kann, weil es sich um eine verwaltungsakzessorische Strafnorm handelt, die man nicht anwenden kann, wenn gar nicht die Möglichkeit zu einer Erlaubniserteilung für privatrechtliche Wettvermittler bestehe.

LG Berlin schließt Strafbarkeit nach § 284 StGB
wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des staatlichen Sportwettenmonopols aus

AG Obernburg am Main: Vermittlung von Sportwetten nicht strafbar

AG Essen spricht Sportwettenvermittler frei

LG Bochum verneint Verbotsgesetzcharakter des § 284 StGB

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg spricht Pokerturnierveranstalter vom Vorwurf des § 284 StGB frei

Amtsgericht Berlin-Tiergarten spricht Sportwettvermittler frei - so urteilte auch die
Berufungskammer des Landgerichts Berlin

Verwaltungsgericht Hamburg: Staatliches Sportwettenmonopol nicht erforderlich und daher rechtswidrig. Aus diesem Grund sei auch keine Strafbarkeit nach § 284 StGB gegeben (S. 35).

Das AG Augsburg geht davon aus, dass der Erlaubnisvorbehalt in seiner derzeitigen Form ausschließlich der Sicherung des staatlichen Monopols dient.
Eine Strafbarkeit des Angeklagten scheidet daher bereits aus objektiven Gründen aus.

Das Bundesverfassungsgericht (2 BvR 1496/05) - (vgl. S. 5) hatte ausdrücklich einen staatlichen Strafanspruch verneint, wenn der strafbewehrte Ausschluss privater Wettunternehmer von der gewerblichen Veranstaltung von Sportwetten wegen des rechtswidrigen Staatsmonopols verfassungswidrig ist.

Die gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit des § 284 StGB kann nicht als zweifelsfrei angesehen werden! 

Bundesverfassungsgericht - 1 BvR 223/05 Rn 33
Angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache "Gambelli" (Urteil vom 6. November 2003) und ihrer Rezeption durch Rechtsprechung und Literatur (vgl. etwa Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, 52. Aufl., 2004, § 284 Rn. 7 und 11; Kühl, in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 25. Aufl., 2004, § 284 Rn. 12; Eser/Heine, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 26. Aufl., 2001, § 284 Anm. IX; Landgericht Hamburg, Beschluss vom 12. November 2004 - 629 s 56/04 -, NStZ-RR 2005, S. 44; Landgericht München I, Beschluss vom 27. Oktober 2003 - 5 Qs 41/03 -, NJW 2004, S. 171; Landgericht Wuppertal, Beschluss vom 17. August 2004 - 30 Qs 3/04 -; Landgericht Baden-Baden, Beschluss vom 2. Dezember 2004 - 2 Qs 157/04 -; Amtsgericht Heidenheim, Urteil vom 19. August 2004 - 3 Ds 42 Js 5187/03 - AK 424/03 -, JURIS; Schleswig-Holsteinisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 18. Januar 2005 - 3 MB 80/04 -; Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Dezember 2004 - BS 28/04 -; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 9. Februar 2004 - 11 TG 3060/03 -, GewArch 2004, S. 153) könnten erhebliche Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit des § 284 StGB auch nicht ohne Verstoß gegen das Willkürverbot ausgeschlossen werden.

Rn 34

Die Entscheidung des Europäischen Gerichthofs betrifft nicht nur die europarechtliche Zulässigkeit mitgliedstaatlicher Glücksspielmonopole, sondern stellt auch die Frage, ob deren Strafbewehrung am Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts scheitert. Die Vorlage zum Europäischen Gerichtshof in der Sache "Gambelli" erfolgte nämlich in einem Strafverfahren, und die Prüfung der Vereinbarkeit mit gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten bezieht sich ausdrücklich auf Vorschriften, nach denen in Italien unter anderem die Vermittlung von Wetten ohne die nach anderen Rechtsvorschriften erforderliche Genehmigung unter Strafe gestellt ist (vgl. Rn. 9 des Urteils vom 6. November 2003).

Eine Verbotsverfügung ist als unverhältnismäßig anzusehen, wenn diese über das hinausgeht, was zur Bekämpfung einer möglichen Spielsucht erforderlich ist.
(vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Gambelli u. a., C-243/01, Slg. 2003, I-13031, Randnr. 74, vom 6. März 2007, Placanica u. a., C-338/04, C-359/04 und C-360/04, Slg. 2007, I-1891, Randnr. 62, und Kommission/Spanien, Randnr. 39).

Es ist derzeit noch nicht ersichtlich, dass das staatliche Monopol im Bereich der Sportwetten und Lotterien in seiner derzeitigen Ausgestaltung mit höherrangigem Recht vereinbar wäre. (Kommissionsschreiben)

Gerade im Hinblick auf die Urteile des EuGH vom 08.09.2010, und das neuerliche Kommissionsschreiben  wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.2005 (Az.: 1 BvR 223/05) erneut relevant, dass hinsichtlich der Strafbarkeit der Vermittlung von Sportwetten in EU-Ausland in der Anwendung der verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren eine Verletzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) durch die Außerachtlassung gemeinschaftsrechtlich begründeter subjektiver Rechte der Veranstalter und Vermittler sah. Das BVerfG stellte fest, dass   „angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Gambelli .[…] und ihrer Rezeption in Rechtsprechung und Literatur […] erhebliche Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Vereinbarkeit des § 284 StGB […] nicht ohne Verstoß gegen das Willkürverbot ausgeschlossen werden könnten.“ (a.a.O. S. 13)
Gegenstand des Beschlusses ist die Verletzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) durch die Außerachtlassung gemeinschaftsrechtlich begründeter subjektiver Rechte der Veranstalter und Vermittler von Sportwetten im Rahmen von verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren.


Nachweis konkreter Gefahren für das Gemeinwohl erforderlich
Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit von Untersagungsbescheiden ist nur zulässig, wenn im Einzelfall konkrete Gefahren für das Gemeinwohl gegeben sind. Allgemeine Behauptungen zu Gefahren des unerlaubten Glücksspiels begründen kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung. Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27.04.2005 reichen die abstrakten Gefahren des Glücksspiels gerade nicht aus, um die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu rechtfertigen.  Quelle


Quelle Rechtsgutachten Prof. Widmaier, S. 40ffWeiter heißt es in dem Beschluß:
„Angesichts dieser Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs könnte im verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahren die Konformität der deutschen Rechtslage mit Gemeinschaftsrecht kaum ohne eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof festgestellt werden. Sie kann daher auch nicht bei der Bewertung des besonderen Vollzugsinteresses in verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren als ausreichend sicher behandelt werden.“  (Rn. 33 und 35).
Schreiben der Kommission vom 04.04.2006 u.a. über die Zulässigkeit des Strafrechts (Auszug)
Die Kommission sieht in der Anwendung des Strafrechts (§ 284 Abs. 1 StGB) eine Beschränkung des Art. 49 EGV.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gehören wirtschaftliche Interessen und der Schutz der Einnahmen eines Mitgliedstaates nicht zu den in Art 46 EGV genannten Gründen und können keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses bilden, der zur Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit oder des feien Dienstleistungsverkehrs berechtigt.
vgl. EuGH Rs C 243/01 Gambelli u.a. Rn 61, und in diesem Sinne Urteile vom 16.07.1998, Rs C 264/96, ICI, Slg. 1998, I-4695, Rn 28 und v. 3.10.2002, Rs C 136/00 Danner, Slg. 2002, I-8147, Rn 56

Urteil des Gerichtshofs Rs. C-64/08 - Strafverfahren gg. Ernst Engelmann und Placanica u. a. (C-338/04, C-359/04 und C-360/04), siehe auch Pressemitteilung Nr. 20/2007 (ganz unten)

Strafrechtliche Sanktionen
Grundsätzlich sind für das Strafrecht zwar die Mitgliedstaaten zuständig, jedoch setzt das Gemeinschaftsrecht dieser Zuständigkeit Grenzen. So darf das Strafrecht nicht die vom Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beeinträchtigen. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bekräftigt, dass ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hat. Die Italienische Republik darf daher gegen Personen wie die in den Ausgangsverfahren Beschuldigten keine Strafen wegen der Ausübung einer Tätigkeit des organisierten Sammelns von Wetten ohne Konzession oder polizeiliche Genehmigung verhängen.
Quelle: PM Nr. 20/2007 ganz unten

vgl. EuGH Rs.: C‑347/09 vom 15. September 2011 - Strafverfahren gegen Jochen Dickinger, Franz Ömer

Klare Worte findet der EuGH auch hinsichtlich der Strafbarkeit von Glücksspielunternehmen und Kunden: Solange es in einem Mitgliedstaat keine europarechtskonforme Regelung gibt, kann der "Verstoß eines Wirtschaftsteilnehmers gegen eine in einem Mitgliedstaat erlassene Monopolregelung im Glücksspielbereich nicht zu strafrechtlichen Sanktionen führen". (Rn.: 43)

Laut Europarecht ist ein nationales Glücksspielmonopol nur dann zulässig, wenn es Anforderungen des Allgemeininteresses gerecht wird. Die Republik Österreich begründet das Monopol mit der Verhinderung von Kriminalität sowie dem Schutz der Bürger vor übermäßigen Spielausgaben. bet-at-home.com setzt dem entgegen, dass die Geschäftspolitik der derzeitigen Konzessionärin Österreichische Lotterien GmbH - ein Tochterunternehmen der Casinos Austria AG - auf Einnahmenmaximierung abziele und damit den Zielen des Verbraucher- und Spielerschutzes, die das Monopol rechtfertigen, widerspräche.
"Die Beweislast liegt hier aufseiten der Republik Österreich.", so Prof. Dr. Franz Leidenmühler, Vorstand des Instituts für Europarecht an der Johannes Kepler Universität Linz. " weiter lesen

EuGH-Urteil im Verfahren bet-at-home.com: Österreichisches Glücksspielmonopol schwankt weiter lesen

vgl. EuGH Rs. C-64/08 vom 9. September 2010 - Strafverfahren gegen Ernst Engelmann
Bezirksgericht Zell am See spricht Casinobetreiber Ernst Engelmann frei

Mit dem Costa-Urteil vom 16. Februar 2012 verschärft der Europäischer Gerichtshof die Anforderungen an die Vergabe von Glücksspielkonzessionen und bestätigt unter der Rn 43/83 seine bisherige Rechtsprechung (Urteil Placanica u. a., Randnr. 69/70), dass keine strafrechtlichen Sanktionen bei einem unionsrechtswidrigen Ausschluss verhängt werden dürfen.

Bereits im Jahre 2007 stellte der EuGH in der Rechtssache Placanica (verb. Rs. C-338/04, C-359/04 und C-360/04, Slg. 2007, S. I-1932, Rz. 63) wie folgt fest:

Gegenüber unionsrechtswidrig von einer Zulassung ausgeschlossenen Anbietern darf der "Umstand, dass sie keine Konzession besitzen, nicht zum Anlass für die Verhängung einer Sanktion gegen sie genommen werden."

Demzufolge dürfen die Aufsichtsbehörden der Länder gegen nicht zugelassene Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten, deren Angebot in Deutschland die nicht zulassungsgebundenen Rechts- und Schutzvorschriften einhält, keine – auf die fehlende Zulassung gestützten – Sanktionen, wie insbesondere sofort vollziehbare Untersagungsverfügungen, erlassen. weiterlesen


Staatliche Betreiber versuchen zur Einnahmeerhöhung mit immer neuen Produkten ihren Markt auf neue Verbrauchergruppen auszudehnen (erst 2009 eingestellte Minuten - Jugend-Internet-Lotterie QUICKY, Tageslotterie-KENO, Lotto am Mittwoch, Oddset, Toto, Super 6, Glücksspirale, Sofortlotterie-Rubbellose, BINGO und ab 23.03.2012 der neue Eurojackpot mit einer Gewinnsumme bis 90 Mio €) anstatt einer solchen Ausweitung entgegenzuwirken, wie es in den politischen Zielen der Gesetzesmotive zu § 284 StGB (Deutscher Bundestag, Drucksache 13/8587) nachzulesen ist.

Zur Rechtsstaatlichkeit im Glücksspielwesen weiterlesen

Hierzu führt RA Martin Reeckmann, Regierungsdirektor a.D wie folgt aus:
Die hierbei vom Bundesrat eingenommene Position beinhaltet nichts anderes als das Interesse der Bundesländer an der Aufrechterhaltung der Monopolstellung der landeseigenen Unternehmen im Deutschen Lotto- und Totoblock, das mit der Erweiterung des Sechsten Strafrechtsreformgesetzes unverblümt dem Bundes- und Strafgesetzgeber untergeschoben wurde. Weder der Initiative der Länder noch den nachfolgenden Beratungen in Bundesrat und Bundestag zur Änderung der §§ 284 ff. StGB lagen wissenschaftlich belastbare Erkenntnisse zu Spielsucht oder Kriminalitätsbelastung privater Glücksspielangebote zu Grunde. Es hat auch keine inhaltliche Erörterung von Fragen der Spielsucht stattgefunden. In den Gesetzesmaterialen finden sich keine diesbezüglichen Hinweise oder Belege. Quelle

Die Unionsrechtswidrigkeit führt zur Unanwendbarkeit der §§ 1 ff GlüStV mit der Folge, dass auch die verwaltungsakzessorischen §§ 284 ff StGB unanwendbar sind.

Aufsatz zur weltweiten Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts durch die Möglichkeit eines Aufrufs einer Internetseite von Deutschland aus
Den BGH-Richtern wird vorgeworfen, dass sie damit ausnahmslos alle Fälle, unabhängig davon, ob sie überhaupt einen inneren Bezug zur Bundesrepublik haben, deutschem Recht unterstellen. Eine solche Sichtweise verkennt den globalen Charakter des Internets. Würde nämlich jeder Staat dieser Erde einer solch uferlosen Ansicht folgen, käme es zum absoluten Chaos.  Quelle

Ebenfalls unanwendbar ist § 9 GlüStV als Rechtsgrundlage für Untersagungsverfügungen, da an das Fehlen einer Erlaubnis, die in unionsrechtswidriger Weise nicht erlangt werden konnte, keine Sanktionen geknüpft werden können, zumal derzeit wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts keine Erlaubnispflicht besteht. Dies darf auch nicht durch eine Heranziehung der subsidiären Vorschriften des Landesstrafrechts (z.B. Art. 7 II BayLStVG i.V.m. § 284 StGB) umgangen werden. (Streinz/Kruis, NJW 2010, 3749 f.)

LG Wiesbaden: Keine Verhängung von Zwangsgeldern aus unionsrechtswidrigem Urteil
Wie der EuGH schon mit Urteil vom 29.04.1999 in der Rechtssache C-224/97 – Ciola deutlich gemacht hat, verbietet der Anwendungsvorrang des Unionsrechts selbstredend auch die Bestrafung aus einem unionsrechtswidrigen Urteil – und zwar gleichgültig, ob dieses Urteil nur vorläufig vollsteckbar oder sogar rechtskräftig ist.

Rechtsbeugung - Wenn Aufsichtsbehörden den Rechtsbruch decken
Das hessische Innenministerium wurde vom Fachbeirat Glücksspielsucht auf Einhaltung des GlüStV verklagt. Obwohl das Ministerium selbst mit der ihr nachgeordneten landeseigenen Glücksspielaufsicht und der ihr unterstellten Justiz gerade für die Einhaltung des Gesetzes sorgen sollte, wurde die Klägerin über die landeseigene Justiz kalt gestellt.  weiterlesen

Richtlinienkonforme Auslegung: Im Zuge einer immer stärker werdenden Europäisierung des Rechts basieren viele Rechtsvorschriften auf einer EU-Richtlinie bzw. EU-Verordnung. Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 AEUV verpflichtet, zur Durchführung einer EU-Richtlinie erlassene Gesetze unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen (BGH 09.04.2002 - XI ZR 91/99). Quelle


Prof. Dr. Gerhard Wolf:

Rn 94
Der Satz nulla poena sine lege wurde gleichlautend in § 1 Strafgesetzbuch und in Art. 103 Abs.2 GG aufgenommen. Beachtet wird er bis heute nicht.

Rn 98
Die bedenkenlose Übernahme der "teleologischen Auslegung" nach 1945 verkennt, daß diese "noch heimtückischer" als die gesetzliche Zulassung der Rechtsanalogie zuungusten des Täters war. Sie kommt nur "auf diskreterem Weg zum selben Ergebnis".

Rn 101
Die Schlüsselfrage, um die es im Strafrecht bis heute geht, lautet: Gilt der Satz "nulla poena sine lege" oder gilt er nicht ? Wenn er gilt, hat er den Inhalt, daß die Strafbarkeit, und zwar abschließend, gesetzlich bestimmt ist. Der Richter erkennt nur, ob die Tat dem Gesetz zufolge strafbar ist. Der Gesetzesinhalt wird durch einzelne Tatbestandsmerkmale bestimmt, die insbesondere von der Strafrechtswissenschaft zu definieren sind. Diese Konzeption schließt aus, daß der Beurteiler eigenständig über die Strafbarkeit entscheidet, also etwas dazutut, was im Gesetz nicht enthalten ist. Das ist keine "formale Gesetzestreue", sondern nichts anderes als eine Respektierung der rechtsstaatlich unabdingbaren Gewaltenteilung.   Quelle


Die Urteile des EuGH vom 8. September 2010 (Vorabentscheidungsersuchen C-316-07 u. a. sowie C-409/06) erklären § 5 Abs. 2 des LottStV (Monopole) für unvereinbar mit Art. 43 und 49 EU (Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit). Sie verbieten aufgrund des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts auch eine übergangsweise Anordnung der Weitergeltung der Rechtsvorschriften des LottStV und der Landesgesetze zur Durchsetzung der staatlichen Glücksspielmonopole. Aus diesen Urteilen lässt sich ableiten, dass auch die Monopole aus § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV und aus den landesrechtlichen Durchführungsgesetzen zum GlüStV als wesentlich inhaltsgleiche Nachfolgevorschriften wegen Unvereinbarkeit mit unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht (Art. 49 und 56 AEUV) ab sofort unanwendbar sind. (FN BayRS 2187-3-I)

Dirk Postel 
Der Begriff "Glücksspiel(monopol)" und die Einheit der Rechtsordnung
JurPC Web-Dok. 71/2005, Abs. 1 - 10

Die Strafrechtsprechung des Bundesgerichtshofs versteht unter einem Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB ein Spiel, bei dem die Entscheidung über Gewinn und Verlust nach den Vertragsbedingungen nicht wesentlich von den Fähigkeiten, den Kenntnissen und der Aufmerksamkeit der Spieler, sondern allein oder jedenfalls hauptsächlich vom Zufall abhängt.(12) Bei der Prüfung, ob der Ausgang des Spiels hauptsächlich durch den Zufall bedingt ist oder ob er durch Fähigkeiten und Fertigkeiten beeinflusst werden kann, sind die Spielverhältnisse zu Grunde zulegen, unter denen das Spiel eröffnet ist und gewöhnlich betrieben wird, also die Fähigkeiten und Erfahrungen des Durchschnittsspielers und damit die sich aus ihnen in Anbetracht der Fertigkeiten des "Spielmachers" und der Beschaffenheit des Spielmaterials ergebenden Chancen.(13)

(12) BGH, Beschluss vom 29. September 1986 - 4 StR 148/86 -, BGHSt 34, 171; BGH, Urteil vom 04. Februar 1958 - 5 StR 579/57 -, BGHSt 11, 209.
(13) BGH, Beschluss vom 11. Januar 1989 - 2 StR 461/88 -, BGHSt 36, 74; BGH, Urteil vom 18. April 1952 - 1 StR 739/51 -, BGHSt 2, 274 mit Hinweis auf zahlreiche Entscheidungen des Reichsgerichts.

zuletzt aktualisiert: 24.06.2012


zuletzt aktualisiert: 13.10.2012