Mittwoch, 28. März 2018

EC-Cash-Terminals: Der Spuk des Verfalls ist vorbei


Ein Beitrag von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein

In einem zusammen mit dem Strafrechtler Sören Keck betriebenen Vorlage-Verfahren hat der EuGH Klartext gesprochen. Selbstredend verbietet EU-Recht deutschen staatlichen Stellen, von einem Spielhallenbetreiber, der ein EC-Cash-Terminal bereithält, eine Erlaubnis der BaFin zu verlangen und ihn wegen des Fehlens dieser Erlaubnis zu schikanieren.

Diese Selbstverständlichkeit folgt in Beantwortung des hier vorformulierten Vorlagebeschlusses schon daraus, dass die Bereitstellung und Befüllung eines EC-Cash-Terminals kein „Zahlungsdienst“ im Sinne der Richtlinie 2007/64/EG ist, sondern nur eine vorbereitende Tätigkeit. Die erlaubnispflichtige Finanzdienstleistung erbringe der externe Dienstleister (Netzbetreiber). Der Gerichtshof folgt damit unserer Sicht der vorrangigen unionsrechtlichen Rechtslage.

Der Gerichtshof stellt in C-568/16 darauf ab, dass der Spielhallenbetreiber nicht die für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge durchführt und deshalb keine Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht. Die Annahme eines Zahlungsdienstes im Sinne der Richtlinie sei nicht gerechtfertigt, weil der Spielhallenbetreiber keine die Konten der Kunden betreffenden Vorgänge abwickelt. Eine Erlaubnispflicht könne nicht mit den Erfordernissen des Schutzes der Verbraucher als Diensteempfänger legitimiert werden.

Der Gerichtshof hat die absehbare Klarstellung, dass die These, ein Spielhallenbetreiber erbringe mit einem EC-Cash-Terminal einen erlaubnispflichtigen Zahlungsdienst, unionsrechtswidrig ist, also nicht auf die in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen von ihrem Anwendungsbereich gestützt, sondern die Vorlagefragen 1 und 2 unbeantwortet gelassen. Der Gerichtshof setzt eine Stufe vor den Ausnahmen von der Richtlinie an und folgt unserer Auffassung, dass schon kein „Zahlungsdienst“ im Sinne der Richtlinie vorliegt.

Die skurrilen Maßnahmen, die von Netzbetreibern und Spielhallenbetreibern vorgenommen wurden, um unter die Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie zu gelangen, waren mithin überflüssig und der Missachtung des Unionsrechts durch Staatsanwälte und deutsche Gerichte geschuldet. Die Bereithaltung eines EC-Cash-Terminals durch ein Spielhallenbetreiber ist auch dann kein Zahlungsdienst gemäß der Richtlinie, wenn der Spielhallenbetreiber ein Entgelt bekommt.

Die Maßnahmen der Spielhallenbetreiber und ihrer Netzbetreiber, um in die Anwendungsbereiche der Ausnahmen vom Anwendungsbereich der Richtlinie gem. Art. 3 lit. e („Dienste, bei denen der Zahlungsempfänger dem Zahler Bargeld im Rahmen eines Zahlungsvorgangs aushändigt“) oder Art. 3 lit. o („Dienste von Dienstleistern, die keinen Rahmenvertrag mit dem Geld von einem Zahlungsskonto abhebenden Kunden geschlossen haben, bei denen für einen oder mehrere Kartenemittenten an multifunktionalen Bankautomaten Bargeld abgehoben wird“) waren allerdings nicht nur überflüssig. Vielmehr können durch diese Maßnahmen entstandene Schäden vom deutschen Staat nach dem unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch zurückverlangt werden. Auch die Schäden, die durch Straf- oder Bußgeldverfahren einschließlich der Anordnung des Verfalls entstanden sind, können nach dem unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch zurückverlangt werden. Diesen Gang sollten Geschädigte auch gehen, gegebenenfalls gegenüber derjenigen Körperschaft, die für die qualifizierte Verletzung der Vorlagepflicht durch die letzte Instanz haftet.

Nach der Entscheidung des EuGH in der Sache Rasool steht einmal mehr fest, dass deutsche Behörden und Gerichte das Unionsrecht insbesondere im Bereich der die öffentliche Aufgabe der Kanalisierung erfüllenden Spielhallen nicht frei von Willkür falsch anwenden und Schaden billigend in Kauf nehmen, obwohl das Unionsrecht den Eingriffen schon auf den ersten Blick (und erst recht auf den zweiten Blick, den man von einem deutschen Amtswalter/Richter erwarten kann) entgegensteht.

Erschreckend auch die fehlende Bereitschaft der Gerichte, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, indem der Gerichtshof zur Auslegung des EU-Rechts angerufen wird. Obwohl die Anrufung des EuGH ihre höherrangige Pflicht gem. Artikel 267 III AUEV ist, hatten weder der zweite Strafsenat beim OLG Stuttgart (2 Ss 268/15) noch der vorlagepflichtige BGH (1 StR 368/14) eine Vorlage nach Luxemburg überhaupt erwogen.

Kontakt:
Blume Ritscher Nguyen Rega Rechtsanwälte
Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
Gerhofstraße 38
20354 Hamburg
Tel.: 0171/8503528
eMail: karpenstein@raeblume.de
Online: www.raeblume.de



Dienstag, 27. März 2018

EuGH zu Bargeldabhebungen in Spielhallen

  • Gegenstand:
    Niederlassungsfreiheit
    Rechtsangleichung

  • s.a.:
    Spielhallen: EC Karten-Automat und Erlaubnispflicht – Vorlage an den EuGH

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

22. März 2018(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Zahlungsdienste – Richtlinie 2007/64/EG – Art. 3 Buchst. e und o – Art. 4 Nr. 3 – Anhang – Nr. 2 – Geltungsbereich – Betrieb multifunktionaler Terminals, an denen in Spielhallen Bargeld abgehoben werden kann – Kohärenz der Strafverfolgungspraxis der nationalen Behörden – Verfall der durch eine Straftat erlangten Beträge – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 17“

In der Rechtssache C‑568/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Amtsgericht Nürtingen (Deutschland) mit Entscheidung vom 2. November 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 10. November 2016, in dem Strafverfahren gegen

Faiz Rasool,

Beteiligte:

Rasool Entertainment GmbH,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça (Berichterstatter), der Richter E. Levits und A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,


Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Rasool, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Kauder, R. Steiner und R. Karpenstein,

–        der Rasool Entertainment GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt S. Keck,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck, R. Verbeke und J. Van den Bon, advocaten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch T. Scharf und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Buchst. e und o sowie Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. 2007, L 319, S. 1) in Verbindung mit Nr. 2 des Anhangs dieser Richtlinie und von Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens gegen Herrn Faiz Rasool in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Rasool Entertainment GmbH (im Folgenden: RE), der beschuldigt wird, in von dieser Gesellschaft betriebenen Spielhallen multifunktionale Terminals, an denen Bargeld abgehoben werden kann, aufgestellt zu haben, ohne über die nach den deutschen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2007/64 erforderliche Erlaubnis für die Erbringung von Zahlungsdiensten zu verfügen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht


3        Die Richtlinie 2007/64 wurde durch die Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. 2015, L 337, S. 35) mit Wirkung vom 13. Januar 2018 aufgehoben und ersetzt. Aufgrund des streitgegenständlichen Zeitraums ist im Ausgangsverfahren jedoch die Richtlinie 2007/64 maßgeblich. In deren Erwägungsgründen 6, 20, 22, 26, 36 und 54 hieß es:

„(6)      Bestimmte Bereiche sollten ... aus diesem rechtlichen Rahmen ausgeklammert bleiben. So sollte seine Anwendung auf Zahlungsdienstleister beschränkt werden, deren Haupttätigkeit darin besteht, für Zahlungsdienstnutzer Zahlungsdienste zu erbringen. Ebenso wenig sollte er für Dienste gelten, bei denen ausschließlich Banknoten und Münzen vom Zahler an den Zahlungsempfänger transferiert oder transportiert werden oder der Transfer mit Hilfe eines Schecks in Papierform, eines Wechsels in Papierform, eines Schuldscheins oder anderen Instruments, eines Gutscheins in Papierform oder einer Karte, die auf einen Dienstleister oder eine andere Partei gezogen sind, erfolgt und die Bereitstellung eines Geldbetrags an einen Zahlungsempfänger vorsieht. …



(20)      Da die Situation von Verbrauchern und Unternehmen nicht dieselbe ist, brauchen sie nicht im selben Umfang geschützt zu werden. Zwar müssen die Verbraucherrechte durch Vorschriften geschützt werden, von denen vertraglich nicht abgewichen werden darf, doch sollte es Unternehmen und Organisationen freistehen, abweichende Vereinbarungen zu schließen. …



(22)      Nach der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern [(ABl. 2005, L 149, S. 22)] sowie der Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt (Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr) [(ABl. 2000, L 178, S. 1)] und der Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher [(ABl. 2002, L 271, S. 16) in der durch die Richtlinie 2005/29 geänderten Fassung] sollten die Verbraucher vor unlauteren oder irreführenden Praktiken geschützt werden. …



(26)      Diese Richtlinie sollte das Recht des Zahlungsdienstnutzers festlegen, einschlägige Informationen kostenlos zu erhalten, bevor er an einen Zahlungsdienstvertrag gebunden ist. Ebenso sollte der Verbraucher während des Vertragsverhältnisses jederzeit verlangen können, dass ihm die vorvertraglichen Informationen und der Rahmenvertrag kostenlos in Papierform übermittelt werden, damit er die Dienste von Zahlungsdienstleistern mit ihren Vertragsbedingungen vergleichen und im Streitfall überprüfen kann, welche Rechte und Pflichten sich für ihn aus dem Vertrag ergeben. …



(36)      Diese Richtlinie sollte eine Erstattungsregelung enthalten, nach der ein Verbraucher in den Fällen geschützt ist, in denen der ausgeführte Zahlungsvorgang den Betrag überschreitet, der vernünftigerweise zu erwarten gewesen wäre. …



(54)      Da überprüft werden sollte, ob diese Richtlinie einwandfrei funktioniert und wie die Errichtung eines gemeinsamen Zahlungsverkehrsmarkts voranschreitet, sollte die Kommission drei Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist dieser Richtlinie einen Bericht vorlegen. Mit Blick auf die weltweite Integration von Finanzdienstleistungen und die Harmonisierung des Verbraucherschutzes, … sollte sich die Überprüfung auf die Frage konzentrieren, ob der Geltungsbereich hinsichtlich außergemeinschaftlicher Währungen … ausgedehnt werden müsste.“

4        Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie bestimmte:

„In dieser Richtlinie werden die Regeln festgelegt, nach denen die Mitgliedstaaten die folgenden sechs Kategorien von Zahlungsdienstleistern unterscheiden:



d)      Zahlungsinstitute im Sinne dieser Richtlinie;

…“

5        Nach Art. 3 Buchst. e und o der Richtlinie waren sowohl „Dienste, bei denen der Zahlungsempfänger dem Zahler Bargeld im Rahmen eines Zahlungsvorgangs aushändigt, nachdem ihn der Zahlungsdienstnutzer kurz vor der Ausführung eines Zahlungsvorgangs zum Erwerb von Waren oder Dienstleistungen ausdrücklich hierum gebeten hat“, als auch „Dienste von Dienstleistern, der bzw. die keinen Rahmenvertrag mit dem Geld von einem Zahlungskonto abhebenden Kunden geschlossen hat bzw. haben, bei denen für einen oder mehrere Kartenemittenten an multifunktionalen Bankautomaten Bargeld abgehoben wird, vorausgesetzt, dass diese Dienstleister keine anderen der im Anhang genannten Zahlungsdienste erbringen“, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen.

6        Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie sah vor, dass für die Zwecke dieser Richtlinie der Begriff „Zahlungsdienst“ „jede im Anhang aufgeführte gewerbliche Tätigkeit“ bezeichnet.

7        Nach Art. 4 Nr. 4 der Richtlinie 2007/64 handelte es sich bei einem „Zahlungsinstitut“ um „eine juristische Person, die nach Artikel 10 eine Zulassung für die [unionsweite] Erbringung und Ausführung von Zahlungsdiensten erhalten hat“.

8        In Art. 4 Nr. 14 war ein „Zahlungskonto“ definiert als „ein auf den Namen eines oder mehrerer Zahlungsdienstnutzer lautendes Konto, das für die Ausführung von Zahlungsvorgängen genutzt wird“.

9        Gemäß Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie schrieben die Mitgliedstaaten vor, dass Zahlungsinstitute, die Zahlungsdienste erbringen wollen, vor dem Beginn der Erbringung von Zahlungsdiensten die Zulassung als Zahlungsinstitut erwirken müssen.

10      Nach Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 2007/64 waren als „Zahlungsdienste“ u. a. Dienste anzusehen, „mit denen Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge“.

Deutsches Recht

11      Die Richtlinie 2007/64 wurde u. a. durch das Gesetz über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz – ZAG) vom 25. Juni 2009 in das deutsche Recht umgesetzt. In § 1 Abs. 1 ZAG sind als „Zahlungsdienstleister“ u. a. Kreditinstitute, E‑Geld‑Institute, der Bund, die Länder, die Gemeinden sowie die Europäische Zentralbank, die Deutsche Bundesbank und die anderen Zentralbanken der Europäischen Union benannt. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 ZAG sind Unternehmen, die, auch wenn sie nicht zu diesen Einrichtungen gehören, gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Zahlungsdienste erbringen, ebenfalls Zahlungsdienstleister. Diese Unternehmen sind „Zahlungsinstitute“.

12      Gemäß § 1 Abs. 10 ZAG sind Dienste, bei denen „der Zahlungsempfänger dem Zahler Bargeld im Rahmen eines Zahlungsvorgangs aushändigt, nachdem ihn der Zahlungsdienstnutzer kurz vor der Ausführung eines Zahlungsvorgangs zum Erwerb von Waren oder Dienstleistungen ausdrücklich hierum gebeten hat“, keine Zahlungsdienste. Die in Art. 3 Buchst. o der Richtlinie 2007/64 vorgesehene Ausnahme findet sich in ähnlicher Formulierung in § 1 Abs. 10 Nr. 14 ZAG.

13      Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 ZAG bedarf ein Zahlungsinstitut der schriftlichen Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, um in Deutschland Zahlungsdienste erbringen zu dürfen.

14      Gemäß § 31 Abs. 1 ZAG macht sich strafbar, wer ohne Erlaubnis nach § 8 Satz 1 ZAG Zahlungsdienste erbringt.

15      § 73 des Strafgesetzbuches (im Folgenden: StGB) sieht vor:

„(1)      Ist eine rechtswidrige Tat begangen worden und hat der Täter oder Teilnehmer für die Tat oder aus ihr etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Verfall an. Dies gilt nicht, soweit dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde.

(2)      Die Anordnung des Verfalls erstreckt sich auf die gezogenen Nutzungen. Sie kann sich auch auf die Gegenstände erstrecken, die der Täter oder Teilnehmer durch die Veräußerung des erlangten Gegenstandes oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder aufgrund eines erlangten Rechts erworben hat.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16      Herr Rasool ist Geschäftsführer von RE, die in Deutschland zwei Spielhallen mit Geldspielautomaten betreibt. Bis Ende 2012 stellte RE den Spielhallenkunden multifunktionale Terminals zur Verfügung, an denen sie Geldscheine in Münzen wechseln und mit der ihnen von ihrer Bank ausgestellten EC‑Karte und der entsprechenden PIN (Personal Identification Number) Bargeld abheben konnten.

17      Die von diesen Terminals ausgehenden Vorgänge und Transaktionen wurden von dem externen Dienstleister TeleCash (im Folgenden: Netzbetreiber) abgewickelt. Dieser war Eigentümer der multifunktionalen Terminals und vermietete sie an RE.

18      Bis Mai 2011 wurden Abhebungen wie folgt abgewickelt. Der Netzbetreiber überprüfte nach Eingabe der PIN, ob das Bankkonto des Kunden eine entsprechende Deckung aufwies und ließ gegebenenfalls die Auszahlung zu. Außerdem sorgte er dafür, dass RE die von den Kunden jeweils abgehobenen Beträge erstattet wurden. RE erhielt keine Vergütung als Gegenleistung für das Aufstellen der multifunktionalen Terminals, sondern zahlte an den Netzbetreiber 0,13 Euro pro Transaktion und ein fixes monatliches Entgelt von 48 Euro. Die einzige Tätigkeit von RE bestand letztlich darin, die multifunktionalen Terminals mit Bargeld zu befüllen.

19      Ab Juni 2011 ließ RE, um nach einer Änderung des nationalen Rechts weiterhin ohne die für Zahlungsdienstleister erforderliche Erlaubnis Bargeldabhebungsdienste erbringen zu können, eine teilweise Änderung der Betriebsmodalitäten für die in ihren Spielhallen aufgestellten multifunktionalen Terminals dahin vornehmen, dass sie nun eine als „Cash-Back“ bezeichnete Möglichkeit boten. Dabei konnten die Kunden an den multifunktionalen Terminals nur noch dann Bargeld abheben, wenn sie gleichzeitig einen Gutschein über 20 Euro erwarben, der zum Bestücken eines Geldspielgeräts mit Münzen berechtigte. Die Konten der Kunden wurden hierbei von ihrer jeweiligen Bank mit dem abgehobenen Bargeldbetrag und zusätzlich mit dem Gutscheinbetrag belastet.

20      Da die Staatsanwaltschaft Stuttgart (Deutschland) der Auffassung war, dass RE selbst bei diesen Betriebsmodalitäten als erlaubnispflichtiges „Zahlungsinstitut“ zu qualifizieren sei, leitete sie ein Strafverfahren gegen Herrn Rasool in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer von RE ein, da er vorsätzlich und ohne Erlaubnis unter Verstoß gegen § 8 ZAG Zahlungsdienste erbracht habe. Außerdem beantragte die Staatsanwaltschaft für alle RE von den verschiedenen Banken der Spielhallenkunden für deren Abhebungen gutgeschriebenen Beträge den Wertersatzverfall gemäß § 73 StGB, der einen Betrag von 1 096 290 Euro betraf. Mit Urteil vom 11. März 2015 sprach das vorlegende Amtsgericht Nürtingen (Deutschland) Herrn Rasool frei, da er keine Zahlungsdienste im Sinne des ZAG erbracht habe.

21      Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart Revision beim Oberlandesgericht Stuttgart (Deutschland) ein, das mit Urteil vom 18. März 2016 das Urteil des vorlegenden Gerichts vom 11. März 2015 aufhob und dies u. a. damit begründete, dass RE sich selbst dann nicht der nach § 8 Abs. 1 ZAG bestehenden Erlaubnispflicht entziehen könne, wenn es sich beim Betrieb der multifunktionalen Terminals nicht um ihre Haupttätigkeit handele. Die Rechtssache wurde daher an das vorlegende Gericht zurückverwiesen.

22      Unter diesen Umständen ist das vorlegende Gericht erstens der Auffassung, dass die Tätigkeit von RE insbesondere deshalb unter die in Art. 3 Buchst. o der Richtlinie 2007/64 vorgesehene Ausnahme falle, weil diese Gesellschaft zum einen keinen „Rahmenvertrag mit dem Geld von einem Zahlungskonto abhebenden Kunden“ im Sinne dieser Vorschrift und auch keinen Vertrag mit den Banken der an den multifunktionalen Terminals Geld abhebenden Kunden geschlossen habe. Zum anderen sieht das vorlegende Gericht auch keine Gründe des Verbraucherschutzes, die eine Erlaubnispflicht für die von RE angebotenen Zahlungsdienste rechtfertigen würden, da die einzige von ihr erbrachte Leistung darin bestanden habe, die multifunktionalen Terminals mit Bargeld zu befüllen.

23      Zweitens werde die Tätigkeit von RE jedenfalls nach dem Übergang zum „Cash-Back“-System von Art. 3 Buchst. e der Richtlinie 2007/64 erfasst und sei damit nicht erlaubnispflichtig.

24      Drittens möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob die von RE erbrachte Dienstleistung insbesondere deshalb als „Zahlungsdienst“ qualifiziert werden kann, weil durch ihre Tätigkeit Barabhebungen von einem Zahlungskonto im Sinne von Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 2007/64 ermöglicht würden.

25      Es stellt insoweit fest, dass das Befüllen der multifunktionalen Terminals mit Bargeld durch RE den Spielhallenkunden zwar materiell die Möglichkeit zum Abheben von Bargeld geboten habe. Der Begriff „ermöglicht“ in Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 2007/64 erfasse jedoch nicht Tätigkeiten wie die vorliegend von RE ausgeübte, die im Verhältnis zu den von einer Bank erbrachten Zahlungsdiensten, die es ermöglichten, ein Bankkonto zu eröffnen und von diesem aus mittels einer EC‑Karte Bankgeschäfte vorzunehmen, und zu den von einer Gesellschaft wie dem Netzbetreiber erbrachten Zahlungsdiensten, durch die die multifunktionalen Terminals mit den Bankkonten der Kunden verbunden würden, rein akzessorisch seien.

26      Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die beanstandete Tätigkeit von RE als „Zahlungsdienst“ qualifiziert werden kann, wenn sie für die Kunden der Spielhallen kostenlos erbracht werde. Eine solche kostenlose Dienstleistung sei im Verhältnis zur Haupttätigkeit von RE, nämlich dem Betrieb von Spielhallen, rein akzessorisch, so dass sie nicht die Voraussetzung in Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2007/64 erfülle, wonach die Tätigkeit des Dienstleisters gewerblich erbracht werden müsse.

27      Viertens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das von der Staatsanwaltschaft Stuttgart eingeleitete Verfahren gegen die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelten Grundsätze verstößt, wonach staatliche Eingriffe im Bereich des Glücksspiels nicht gerechtfertigt werden können, wenn der betreffende Mitgliedstaat keine systematische und kohärente Politik betreibe, die einem zwingenden Erfordernis wie etwa dem Verbraucherschutz entspreche. Außerdem sei das Strafverfahren willkürlich, da die rechtswidrige Erbringung einer Dienstleistung wie das von RE ermöglichte Abheben von Bargeld nur äußerst selten strafrechtlich verfolgt werde.

28      Fünftens möchte das vorlegende Gericht schließlich im Hinblick auf den unionsrechtlich garantierten Grundsatz der Rechtssicherheit wissen, ob die Staatsanwaltschaft Stuttgart nach § 73 StGB den Verfall sämtlicher durch die multifunktionalen Terminals an die Spielhallenkunden ausgezahlten Beträge beantragen kann.

29      Unter diesen Umständen hat das Amtsgericht Nürtingen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 3 Buchst. o der Richtlinie 2007/64 dahin auszulegen, dass die in einer staatlich konzessionierten Spielhalle bestehende Möglichkeit, Bargeld an einem Cash-Terminal, das zugleich ein Geldwechsler ist, mit EC‑Karte und PIN abzuheben, wobei die bank- und kontotechnische Abwicklung von einem externen Dienstleister („Netzbetreiber“) vorgenommen wird und die Auszahlung an den Kunden erst erfolgt, wenn der Netzbetreiber nach Prüfung der Kontodeckung einen Autorisierungscode an das Terminal schickt, während der Spielhallenbetreiber lediglich den multifunktionalen Geldwechsler mit Bargeld befüllt und von der kontoführenden Bank des Geld abhebenden Kunden eine Gutschrift in Höhe des abgehobenen Betrages erhält, eine Tätigkeit im Sinne von Art. 3 Buchst. o der Richtlinie und damit nicht erlaubnispflichtig ist?

2.      Sollte die in Frage 1 beschriebene Tätigkeit keine Tätigkeit im Sinne von Art. 3 Buchst. o der Richtlinie 2007/64 sein:

Ist Art. 3 Buchst. e der Richtlinie 2007/64 dahin auszulegen, dass die in Frage 1 beschriebene Möglichkeit zur Bargeldabhebung mit PIN eine Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn zeitgleich mit der Bargeldabhebung ein Gutschein in Höhe von 20 Euro generiert wird, welcher bei der Aufsicht der Spielhalle einzulösen ist, um einen Geldspielautomaten durch die Hallenaufsicht mit Münzen zu bestücken?

Für den Fall, dass die in den Fragen 1 und 2 beschriebene Tätigkeit keine durch Art. 3 Buchst. o und/oder e vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommene Tätigkeit sein sollte:

3.      a)      Ist Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 2007/64 dahin auszulegen, dass die in den Fragen 1 und 2 beschriebene Tätigkeit des Betreibers der Spielhalle ein erlaubnispflichtiger Zahlungsdienst ist, obwohl der Betreiber der Spielhalle kein Konto des Geld abhebenden Kunden führt?

3.      b)      Ist Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2007/64 dahin auszulegen, dass die in den Fragen 1 und 2 beschriebene Tätigkeit des Betreibers der Spielhalle ein Zahlungsdienst im Sinne dieser Regelung ist, wenn der Betreiber der Spielhalle den Service kostenlos zur Verfügung stellt?

Für den Fall, dass der Gerichtshof die dargestellte Tätigkeit als erlaubnispflichtigen Zahlungsdienst ansehen sollte:

4.      Sind das Unionsrecht und die Richtlinie 2007/64 dahin gehend auszulegen, dass sie der strafrechtlichen Sanktion des Betriebs eines EC-Cash-Terminals in einem Fall mit den vorliegenden Besonderheiten entgegenstehen, wenn gleichartige Terminals in zahlreichen staatlich konzessionierten Spielhallen sowie in staatlich konzessionierten und zum Teil auch staatlich betriebenen Spielbanken ohne Erlaubnis betrieben wurden oder werden und die zuständige Zulassungs- und Beaufsichtigungsbehörde keine Einwendungen erhebt?

Für den Fall, dass auch die Frage 4 verneint wird:

5.      Sind die Richtlinie 2007/64 und die unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sowie Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie in einem Fall mit den vorliegenden Besonderheiten einer Behörden- und Gerichtspraxis entgegenstehen, die anordnet, dass diejenigen Geldbeträge der Staatskasse zufallen („Verfall“), die der Betreiber der Spielhalle über eine Dienstleistung des Netzbetreibers von den Bankkunden erhalten hat, die mit EC‑Karte und PIN das von ihm aufgefüllte Bargeld und/oder Gutscheine zum Spielen an den Geldspielautomaten abgehoben haben, obwohl alle Gutschriften nur denjenigen Beträgen entsprechen, die die Kunden an Bargeld und Gutscheinen zum Spielen über den Automaten erhalten haben?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur dritten Frage


30      Mit seiner dritten Frage, die zuerst zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64 in Verbindung mit Nr. 2 ihres Anhangs dahin auszulegen ist, dass ein Bargeldabhebungsdienst, den ein Spielhallenbetreiber seinen Kunden mittels in den Spielhallen aufgestellter multifunktionaler Terminals anbietet, ein „Zahlungsdienst“ im Sinne dieser Richtlinie ist, wenn der Betreiber die Leistung kostenlos erbringt, er keine die Zahlungskonten dieser Kunden betreffenden Vorgänge abwickelt und sich die dabei von ihm ausgeübten Tätigkeiten darauf beschränken, die Terminals zur Verfügung zu stellen und mit Bargeld zu befüllen.

31      In Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64 in Verbindung mit Nr. 2 ihres Anhangs werden als „Zahlungsdienst“ gewerbliche Tätigkeiten, mit der Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge bezeichnet.

32      Im vorliegenden Fall ist – ohne dass es erforderlich wäre, festzustellen, ob es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistung, die kostenlos gewesen sein soll, um eine gewerbliche Tätigkeit von RE handelte – darauf hinzuweisen, dass sich RE gemäß den Ausführungen im Vorlagebeschluss darauf beschränkte, multifunktionale Terminals anzumieten, in ihren Spielhallen aufzustellen und mit Bargeld zu befüllen.

33      Bei diesen Handlungen handelte es sich zwar um vorbereitende und mit den über die Zahlungskonten der Spielhallenkunden abgewickelten Vorgängen verbundene Tätigkeiten. Jedoch wurden diese, wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, von einem externen Dienstleister vorgenommen, nämlich vom Netzbetreiber. Dieser stellte die Verbindung zwischen den multifunktionalen Terminals und dem jeweiligen Bankkonto dieser Kunden her, indem er ihre EC‑Karten und PIN‑Codes erkannte und so die Geldabhebungen möglich machte.

34      Unter diesen Umständen kann bei einer Dienstleistung wie der von RE mittels der multifunktionalen Terminals angebotenen nicht davon ausgegangen werden, dass durch sie im Sinne von Nr. 2 des Anhangs der Richtlinie 2007/64 „Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden“. Außerdem verfügt der Gerichtshof über keinerlei Informationen, aus denen hervorginge, dass RE im Zusammenhang mit dieser Dienstleistung „alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge“ im Sinne dieser Vorschrift durchführen würde.

35      Diese Sichtweise wird erstens durch eine Auslegung des Kontexts gestützt, in den sich Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64 und Nr. 2 ihres Anhangs einfügen.

36      Wie aus dem sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie hervorgeht, wird der Bereich der Zahlungsdienste durch die Richtlinie nicht vollständig harmonisiert. Gemäß diesem Erwägungsgrund sollte die Anwendung der Richtlinie 2007/64 auf Zahlungsdienstleister beschränkt werden, deren „Haupttätigkeit“ darin besteht, für Zahlungsdienstnutzer Zahlungsdienste zu erbringen.

37      Vorbehaltlich der insoweit vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Würdigung geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten hervor, dass die Haupttätigkeit von RE im Betrieb von Spielhallen bestand und dass in diesem Zusammenhang die sich auf die multifunktionalen Terminals beziehenden Vorgänge eine zu dieser Tätigkeit rein akzessorische Dienstleistung darstellten.

38      Zweitens kann, da RE keine die Konten der Spielhallenkunden betreffenden Vorgänge abwickelte, die Qualifizierung eines Bargeldabhebungsdienstes, wie er von RE angeboten wurde, als „Zahlungsdienst“ im Sinne der Richtlinie nicht mit Erfordernissen des Schutzes des Verbrauchers als Zahlungsdienstempfänger, wie sie sich aus den Erwägungsgründen 20, 22, 26, 36 und 54 der Richtlinie 2007/64 ergeben, gerechtfertigt werden.

39      Nach alledem ist die dritte Frage dahin zu beantworten, dass Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64 in Verbindung mit Nr. 2 ihres Anhangs dahin auszulegen ist, dass ein Bargeldabhebungsdienst, den ein Spielhallenbetreiber seinen Kunden mittels in den Spielhallen aufgestellter multifunktionaler Terminals anbietet, kein „Zahlungsdienst“ im Sinne dieser Richtlinie ist, wenn der Betreiber keine die Zahlungskonten dieser Kunden betreffenden Vorgänge abwickelt und sich die dabei von ihm ausgeübten Tätigkeiten darauf beschränken, die Terminals zur Verfügung zu stellen und mit Bargeld zu befüllen.

 Zur ersten, zur zweiten, zur vierten und zur fünften Frage

40      In Anbetracht der Antwort auf die dritte Frage sind die erste, die zweite, die vierte und die fünfte Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

41      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG in Verbindung mit Nr. 2 des Anhangs dieser Richtlinie ist dahin auszulegen, dass ein Bargeldabhebungsdienst, den ein Spielhallenbetreiber seinen Kunden mittels in den Spielhallen aufgestellter multifunktionaler Terminals anbietet, kein „Zahlungsdienst“ im Sinne dieser Richtlinie ist, wenn der Betreiber keine die Zahlungskonten dieser Kunden betreffenden Vorgänge abwickelt und sich die dabei von ihm ausgeübten Tätigkeiten darauf beschränken, die Terminals zur Verfügung zu stellen und mit Bargeld zu befüllen.

Da Cruz Vilaça

Levits

Borg Barthet

Berger

Biltgen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. März 2018.

Der Kanzler
A. Calot Escobar
   
Der Präsident der Fünften Kammer
J. L. da Cruz Vilaça

*      Verfahrenssprache: Deutsch.

Quelle



Vorabentscheidungsersuchen des Amtsgerichts Nürtingen (Deutschland) eingereicht am 10. September 2016 – Strafverfahren gegen Faiz Rasool
(Rechtssache C-568/16)

Verfahrenssprache: Deutsch

Vorlegendes Gericht

Amtsgericht Nürtingen

Parteien des Ausgangsverfahrens
Faiz Rasool, Rasool Entertainment GmbH, Staatsanwaltschaft Stuttgart

Vorlagefragen

1.     Ist Artikel 3 Buchst. o der Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt (Richtlinie 2007/64/EG)1 dahin auszulegen, dass die in einer staatlich konzessionierten Spielhalle bestehende Möglichkeit, Bargeld an einem Cash-Terminal, das zugleich ein Geldwechsler ist, mit EC-Karte und PIN abzuheben, wobei die bank- und kontotechnische Abwicklung von einem externen Dienstleister („Netzbetreiber“) vorgenommen wird und die Auszahlung an den Kunden erst erfolgt, wenn der Netzbetreiber nach Prüfung der Kontodeckung einen Authorisierungscode an das Terminal schickt, während der Spielhallenbetreiber lediglich den multifunktionalen Geldwechsler mit Bargeld befüllt und von der kontoführenden Bank des Geld abhebenden Kunden eine Gutschrift in Höhe des abgehobenen Betrages erhält, eine Tätigkeit im Sinne von Art. 3 Buchst. o der Richtlinie und damit nicht erlaubnispflichtig ist?

2.     Sollte die in Frage 1 beschriebene Tätigkeit keine Tätigkeit im Sinne von Art. 3 Buchst. o sein:

Ist Artikel 3 Buchst. e Rl. 2007/64/EG dahin auszulegen, dass die in Frage 1 beschriebene Möglichkeit zur Bargeldabhebung mit PIN eine Tätigkeit im Sinne dieser Bestimmung ist, wenn zeitgleich mit der Bargeldabhebung ein Gutschein i. H. v. 20 € generiert wird, welcher bei der Aufsicht der Spielhalle einzulösen ist, um einen Geldspielautomaten durch die Hallenaufsicht mit Münzen zu bestücken ?

Für den Fall, dass die in den Fragen 1 und 2 beschriebene Tätigkeit keine durch Artikel 3 Buchst. o und/oder e vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommene Tätigkeit sein sollte:

3a.     Ist Nummer 2 des Anhangs zur Richtlinie 2007/64/EG dahin auszulegen, dass die in den Fragen 1 und 2 beschriebene Tätigkeit des Betreibers der Spielhalle ein erlaubnispflichtiger Zahlungsdienst ist, obwohl der Betreiber der Spielhalle kein Konto des Geld abhebenden Kunden führt?

3b.     Ist Artikel 4 Nr 3 der Richtlinie 2007/64 dahin auszulegen, dass die in den Fragen 1 und 2 beschriebene Tätigkeit des Betreibers der Spielhalle ein Zahlungsdienst in Sinne dieser Regelung ist, wenn der Betreiber der Spielhalle den Service kostenlos zur Verfügung stellt?

Für den Fall, dass der Gerichtshof die dargestellte Tätigkeit als erlaubnispflichtigen Zahlungsdienst ansehen sollte:

4.     Sind das Unionsrecht und die Richtlinie über Zahlungsdienste im Binnenmarkt dahingehend auszulegen, dass sie der strafrechtlichen Sanktion des Betriebs eines EC Cash-Terminals in einem Fall mit den vorliegenden Besonderheiten entgegenstehen, wenn gleichartige EC Terminals in zahlreichen staatlich konzessionierten Spielhallen sowie in staatlich konzessionierten und zum Teil auch staatlich betriebenen Spielbanken ohne Erlaubnis betrieben wurden oder werden und die zuständige Zulassungs- und Beaufsichtigungsbehörde keine Einwendungen erhebt?

Für den Fall, dass auch die Frage 4 verneint wird:

5.    Sind die Richtlinie über Zahlungsdienstleistungen und die unionsrechtlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sowie Artikel 17 der Charta dahin auszulegen, dass sie in einem Fall mit den vorliegenden Besonderheiten einer Behörden- und Gerichtspraxis entgegenstehen, die anordnet, dass diejenigen Geldbeträge der Staatskasse zufallen (“Verfall“), die der Betreiber der Spielhalle über eine Dienstleistung des Netzbetreibers von den Bankenkunden erhalten hat, die mit EC Karte und PIN das von ihm aufgefüllte Bargeld und/oder Gutscheine zum Spielen an den Geldspielautomaten abgehoben haben, obwohl alle Gutschriften nur denjenigen Beträgen entsprechen, die die Kunden an Bargeld und Gutscheinen zum Spielen über den Automaten erhalten haben?“

____________

1 Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG; ABl. L 319, S. 1

Quelle

Vorsitzender Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt


Spielhallen:

Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht B. wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein

Ein Spielhallenbetreiber, dessen Grundrechte und EU-Grundfreiheiten durch Beschränkungen im Landesrecht konterkariert werden, hat im Hauptsacheverfahren den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht B. wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.
Der Betreiber hatte aufgezeigt, dass nach der Systematik des Unionsrechts und der ständigen Rechtsprechung des EuGH nicht er die EU-Rechtswidrigkeit der landesrechtlichen Beschränkungen aufzeigen muss, sondern die Verwaltung die unionsrechtlich belastbare Rechtfertigung der von ihr ausgehenden Verstöße gegen das höherrangige Recht. Der Betreiber hatte auch auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs verwiesen, demnach die Verwaltungsgerichte keine Reparaturbetriebe der Verwaltung sind.
Dennoch hatte der Vorsitzende Richter nur dem Spielhallenbetreiber eine Ausschlussfrist gemäß § 87b VwGO gesetzt, um alle Tatsachen und Beweise vorzubringen, aus denen die Klage gerechtfertigt sein soll. Die Antragsgegnerin, also die darlegungsbelastete Verwaltung hingegen verschonte der Vorsitzende Richter mit einer derartigen Präklusionsfrist.
Der Spielhallenbetreiber sah in dieser Ungleichbehandlung einen objektiven Anlass, um bei vernünftiger Würdigung aller Umstände an der Unparteilichkeit des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht B. zu zweifeln. Und in der Tat entspricht es sogar der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht, dass für die Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit genügt, „wenn vom Standpunkt eines Beteiligten aus gesehen hinreichend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass geben, an der Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu zweifeln. Kriterium für die Unparteilichkeit des Richters ist die Gleichbehandlung der Parteien.“ (BVerwG, 9 A 16.16).
Der Spielhallenbetreiber hat weiteren objektiven Anlass, an der Unparteilichkeit des Richters zu zweifeln. Der Richter wurde nämlich nicht in einem demokratischen Verfahren zum Verwaltungsrichter ernannt, sondern durch die Verwaltung, der sich der Spielhallenbetreiber als Gegner gegenübersieht.
In Bayern hat sich für die Verwaltung bewährt, dass Juristen vom Staatsministerium des Innern von der Universität rekrutiert und als Verwaltungsbeamte mit der späteren Option des Richters auf Lebenszeit eingestellt werden. Verhält sich der Jurist in der Verwaltung wie es sich für die Verwaltung gehört, kann er vom einfachen Verwaltungsbeamten zum Verwaltungsrichter auf Probe und nach weiterer Bewährung in der Verwaltung sogar zum Richter auf Lebenszeit ernannt werden, um über seine Verwaltungskollegen zu richten. Für die Ernennung zum Verwaltungsrichter ist also kein demokratisches Gremium zuständig, sondern der Gegner des Bürgers vor Gericht.
Wer sich also gefragt hat, weshalb die Richter der 16. Kammer beim VG München im Beschluss vom 14.9.2017 die Vorgaben des EU-Rechts ignorieren, weil sie die „Argumentation des EuGH aus Sicht des erkennenden Gerichts als nicht vertretbar“ empfinden (Rn. 23), findet die Antwort in einer bayerischen Tradition, die so gesund ist wie Leberkäs mit Weißbrotsemmel und Schnaps. Die Verwaltung selbst bestimmt, welcher Jurist über ihr Fehlverhalten richtet. Eine gute Idee. Weiterer Vorschlag: Die bayerische Lotterieverwaltung stellt die Schiedsrichter für die Spiele, auf die bei Oddset gewettet werden kann.
Dem abgelehnten Vorsitzenden wurde übrigens Gelegenheit zur dienstlichen Stellungnahme gegeben. Die Ungleichbehandlung sei erfolgt, so seine Ausrede, weil die Verwaltung im Unterschied zum Kläger keinen weiteren Vortrag angekündigt habe. Das muss man nicht verstehen.
Zu den undemokratischen Umständen seiner Ernennung lässt sich Richter L. nicht ein. Ein Schweigen sagt halt mehr als 1000 Worte.
Kontakt: Blume Ritscher Nguyen Rega Rechtsanwälte
Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
Gerhofstraße 38
20354 Hamburg
Tel.: 0171/8503528
eMail: karpenstein@raeblume.de
Online: www.raeblume.de


Die Gerichte versuchen eine "politisch" korrekte Entscheidung zu treffen - dadurch ist eine unabhängige Justiz nicht gewährleistet! weiterlesen


Montag, 26. März 2018

Spielbank in Stralsund eröffnet

Weitere Spielbanken sollen in Neubrandenburg, Schwerin und Rostock entstehen.

Die Spielbanken MV GmbH & Co KG mit Sitz in Rostock setzt auf einarmige Banditen (“Slot-Maschinen”).
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Wie die Ostsee-Zeitung am 23.3.2018 berichtete, wird es künftig nur in Rostock das so genannte „große Spiel“ geben mit Roulette, Black Jack und Poker. Die Karten dafür werden dann auch von echten Croupiers ausgegeben.
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Hintergrund:

Die Ostseespielbanken wurden zum 5. Aug. 2013 geschlossen.

Es verblieben Steuerschulden. 
Vgl. Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern 3. Senat,
Urteil vom 19.09.2012, 3 K 273/11

Bis auf die Spielbank Rostock, sollen alle weiteren nur mit Spielautomaten ausgestattet werden, wodurch sich diese von privat geführten Spielhallen nur durch die hohen Verlustmöglichkeiten unterscheiden.

Damit sind die Automatensääle der „staatlichen“ Spielbanken, auch in „privater“ Hand, kein taugliches Mittel zur Suchtprävention.

In den letzten Jahren haben die staatlich konzessionierten Spielbanken mit der Schaffung von Dependancen, im Bereich der Innenstädte Automatensäle eröffnet und zielen damit auf neue Kunden mit dem „kleinen Geldbeutel“. weiterlesen

Bereits zwischen den Jahren 2000 und 2007 hat sich die Zahl der erlaubten Spielbanken in Deutschland (gemessen nach Spielbankstandorten einschließlich Dependancen) von 69 auf 85 erhöht - und anschließend bis 2009 auf nur 84 verringert - (VG Köln · Urteil vom 24. März 2011 · Az. 1 K 8130/09, Rn 52)

Die Begründung, zur Bekämpfung der Spiel-/Wettsucht sei ein staatliches Monopol erforderlich, ist unglaubwürdig, wenn gleichzeitig der Umsatz der Spielcasinos gesteigert wird und die Anzahl der Geld-Spielautomaten (Slot-Machines/einarmigen Banditen) in den staatlich konzessionierten Spielbanken zunimmt, die zum Teil privatrechtlich betrieben werden. Elf staatlich konzessionierte Spielbankunternehmen in privater Trägerschaft mit 34 Standorten in sechs Bundesländern werden durch den Bundesverband privater Spielbanken in Deutschland e. V. (BupriS) vertreten. 

Die slot machines der staatlichen Spielbanken unterliegen keinen gesetzlichen Bestimmungen.
Dagegen werden die Spielabläufe der Geldspielgeräte durch die Spielverordnung bis ins Detail geregelt.
Im Gegensatz dazu enthält die Spielverordnung für Geldspielgeräte eine bis ins Detail gehende Regelung der Spielabläufe.

Mittlerweile unterhalten alle bundesdeutschen Spielbanken einen oder mehrere Automatensäle, in denen ausschließlich Geldspielautomaten (slot machines) aufgestellt sind, an denen in kürzester Zeit einige Tausend EUR verspielt und mehrere Hunderttausend EUR gewonnen werden können.
Die in den Automatensälen aufgestellten Geldspielautomaten bieten die selben Spiele wie die privaten Spielhallen an, nur unterliegen diese nicht den Beschränkungen wie Mindestspielzeit, Höchsteinsatz, Höchstgewinn und Mindestgewinnquote, zudem gibt es auch keine zahlenmäßige Limitierung der Geldspielautomaten.

So dürfen in Spielhallen nur noch 12 Geräte stehen, die auf 8 reduziert werden sollen. Dagegen stehen in den Automatensälen der Spielbanken häufig 100 slot machines. Die Spielbanken in Berlin halten in zentraler Lage rund 1.000 Geldspielgeräte bereit.

Zunehmend wird auch von Seiten der staatlichen Spielbanken dieselbe Zielgruppe anvisiert, die auch die privaten Spielhallen frequentieren. So wurde z.B. in Hamburg am "Steindamm" ein Automatensaal in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs, direkt neben einer privaten Spielhalle eröffnet.

In Köln ist in Zentrumslage ein Neubau einer staatlichen Spielbank geplant.

In Leipzg befindet sich die „staatliche“ Spielbank direkt neben einem Kino und wirbt mit einem einarmigen Banditen vor dem Casinoeingang, mit dem Jugendliche kostenlos üben können.
Spielbank Leipzig
Zugang ab 18 Jahre
So sieht das Sozialkonzept der staatlichen Spielbank Leipzig aus!

Statt das Angebot der staatlich konzessionierten Spielbanken (auch in privater Hand) zu reduzieren, wird auch im Bereich der Geldspielautomaten das Angebot weiter ausgeweitet. Selbst mitten in Köln entsteht ein neues Casino. In den letzten Jahren haben die staatlich konzessionierten Spielbanken mit der Schaffung von Dependancen, im Bereich der Innenstädte Automatensäle eröffnet und zielen damit auf neue Kunden mit dem ”kleinen Geldbeutel”.  Mit der Abstandsregelung werden die staatlichen Angebote bevorzugt, die nicht unter diese Regelung fallen. DERWESTEN vom 14.06.2016: "Westlotto versucht zunehmend, junge Kunden zu werben"

Zum staatlichen "Auftrag" führt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung 1 BvR 539/96 vom 19.07.2000 aus:

    .......Denn der Betrieb einer Spielbank ist eine an sich unerwünschte Tätigkeit, die der Staat gleichwohl erlaubt, um das illegale Glücksspiel einzudämmen, dem nicht zu unterdrückenden Spieltrieb des Menschen staatlich überwachte Betätigungsmöglichkeiten zu verschaffen und dadurch die natürliche Spielleidenschaft vor strafbarer Ausbeutung zu schützen.

Mitglieder von Bundesgerichten sehen den Rechtfertigungsgrund zunehmend kritisch. So führt HAHN (Richter am Bundesverwaltungs-gericht) aus:

    “In einem beklagenswerten Widerspruch zu den weiteren Zielen des gewerblichen Spielrechts, die Spielsucht einzudämmen, steht die vielfach zu beobachtende Ausweitung von Spielbanken mit Automatensälen, in denen vielfach hunderte sog. einarmiger Banditen (“Slot-Maschinen”) stehen, und der Veranstaltung von Lotterien und Ausspielungen, für die nicht zuletzt im öffentlichen Einnahmeinteresse teils aggressive Werbung betrieben wird.”

(HAHN, Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Gewerberecht und zum Gaststättenrecht, GewArch 1999 S. 355, 361).  Ähnlich kritisch das KG Berlin WuW 1996 S. 633, 647 (gewerbliche Spielvermittler). weiterlesen

s.a.:
Spielbanken in Bayern, Zuschuss fürs Glücksspiel
Bayerns Staatskanzlei-Chefin Christine Haderthauer sieht die neun Spielbanken im Freistaat als Verlustbringer, deren Sanierungsbemühungen weitgehend gescheitert sind.
weiterlesen 
Spielbanken BW
weiterlesen 
Spielbanken Rheinland-Pfalz, seit Jahren in den roten Zahlen
Landesrechnungshof RP 
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Wettbewerbsverzerrung durch Steuerstundung
Wie aus den im Bundesanzeiger veröffentlichten Bilanzen (s.u.) hervorgeht, wurde dem staatlich konzessionierten Spielbankunternehmen in privater Trägerschaft, Mecklenburg-Vorpommerns, Ostsee-Spielbanken die Spielbankenabgabe gestundet  weiterlesen
weitere Veröffentlichungen:

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Mehr zur Steuergeldverschwendung bei deutschen Spielbanken
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Mittwoch, 14. März 2018

Das VG Chemnitz setzt mit dem Urteil vom 13.12.2017 (3 K 1980/14) das Unionsrecht nicht um!

Wie aus der Webseite der Landesdirektion Sachsen (LDS) hervorgeht, wurde das Gemeinschaftsrecht nicht beachtet, womit in unzulässiger Weise die Rechte des Rechtsträgers beschnitten wurden, die diesem aus der Charta der Grundrechte der EU, den Grundrechten und den grundrechtsähnlichen Rechten (Grundfreiheiten) erwachsen. (vgl. u.a. Admiral, Pfleger, Berlington, Ince)

EuGH (Rs. C-581/14) zur Auslegung von Art. 267 AEUV sowie zum Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts.

Die LDS Sachsen führt wie folgt aus:
„Die dreistündige Verhandlung fand am 13. Dezember 2017 vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz statt (3 K 1980/14 n.v.). Das Gericht erläuterte die Sach- und Rechtslage. Im Rahmen der Ermessensentscheidung war nach Auffassung des Gerichts allerdings nicht auf europäische Vorgaben abzustellen.
Die Verwaltungsgerichte und das OVG Bautzen haben bereits mehrfach entschieden, dass EU-Normen bei Erlaubnisverfahren von Spielhallen nicht verletzt werden (z.B. VG Leipzig Beschluss vom 8. Januar 2018 Az.: 5 L 578/17 n.v.; OVG Beschluss vom 9. November 2017 Az.: 3 B 240/17, Rdnr. 11 juris; OVG Bautzen Beschluss vom 19. Februar 2018 Az.: 3 B 2/18, Rdnr. 13 f n.v.).“
  Quelle

Damit verstößt auch das VG Chemnitz grob gegen die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Rechtfertigungsanforderungen für Beschränkungen des Unionsrechts. (s.u.a.: EuGH-Urteil in der Rechtssache C-3/17 Sporting Odds Ltd - Art. 56 AEUV – Art. 4 Abs. 3 EUV (Charta der Grundrechte)

s.a.: Das Recht der EU und seine Durchsetzung in den Mitgliedstaaten (Akademie für öffentliche Verwaltung des Freistaates Sachsen) Grundlagenfragen der europäischen Integration, zum Europarecht und zum Öffentlichen Recht. Europarecht Prüfung von Grundfreiheiten

Francovich-Entscheidung: Dem einzelnen Bürger steht bei einer Verletzung des Unionsrechts durch einen Mitgliedstaat ein Anspruch auf Ersatz zu, wenn dem Einzelnen durch den staatlichen Verstoß ein Schaden entstanden ist.
Quelle: wikipedia

s.a.: Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht. Zum Grundsatz der Staatshaftung aus dem EuGH-Urteil  v. 30.09.2003, Rs. C-224/01 - Köbler / Österreich weiterlesen




Spielhallen: Landesdirektion Sachsen unterliegt vor Gericht

Ein Beitrag von Günter Utikal

Der Anwalt ist Organ der Rechtspflege. Rechtspflege bedeutet Pflege des Rechts, nicht der Justiz und schon gar nicht Pflege der Verwaltung. Verlässt sich der Anwalt darauf, dass der Richter das Verwaltungsunrecht schon richten werde, haftet er auf Schadensersatz. Beim Bundesgerichtshof steht zur Anwaltshaftung im Urteil vom 10.12.2015 schon im Leitsatz:

„Die Verpflichtung des Rechtsanwalts, die zugunsten seiner Partei sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich darzustellen, erfährt durch Grundsatz „iura novit curia“ keine Einschränkung.“ (BGH XI 272/14, Leitsatz).

Für alle, deren Lateinkenntnisse sich auf Tim und Struppi beschränken: Von der Theorie, der Richter würde das Recht kennen und anwenden, hält der Bundesgerichtshof überhaupt nichts. Der Anwalt muss dem Gericht redundant, penetrant und laut genug das Recht erläutern. Dankt das Gericht „für die angenehme Verhandlungsführung“ und weist die Klage ab, war noch Luft nach oben. Vielleicht hätte ja eine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit Zugang zum rechtlichen Gehör verschafft?

Dies vorausgeschickt musste das Glücksspielreferat der Landesdirektion Sachsen (Leitung: Frau Bartsch) vor Gericht vor dem Recht kapitulieren; ungewohnt aber zu Recht (VG Chemnitz, Urt. V. 13.12.2017, 3 K 1980/14). Was war geschehen, dass das Unrecht dem Recht wich? Streitig war der Widerruf der von der LDS erteilten glücksspielrechtlichen Erlaubnis gem. 24 GlüÄndStV, die die LDS ohne gesetzliche Grundlage zum Betrieb einer Spielhalle verlangt, obwohl gem. § 18a SächsGlüStV AG die gewerberechtliche Erlaubnis die glücksspielrechtliche Erlaubnis „einschließt“.

Nach einem Anwaltswechsel hatte der Kläger seine Argumentation auf das Unionsrecht verlagert. Er trug dezidiert vor, dass eine zusätzliche glücksspielrechtliche Erlaubnis selbst dann, wenn es ein solches Erfordernis im sächsischen Gesetz gäbe, nicht mit Unionsrecht und nicht mit der Rechtsprechung des EuGH vereinbar ist. Daran könnten (Fehl-)Entscheidungen sächsischer Gerichte nichts ändern. Der Kläger und sein Anwalt, nennen wir in Anlehnung an Kafka Rechtsanwalt „K.“, haben redundant dargelegt, dass die Handhabung des Unionsrechts durch die Landesdirektion und die sächsischen Gerichte korrekturbedürftig ist.

In der lebhaften mündlichen Verhandlung präsentierte Rechtsanwalt K. u.a. Beweise, dass weder der Freistaat Sachsen noch die übrigen Bundesländer „wirklich“ darauf ausgerichtet sind, durch eine systematische und kohärente Glücksspielpolitik die Suchtgefahr zu bekämpfen, sondern primär die Maximierung der Staatseinnahmen durch staatlich konzessionierte Spielbanken und die staatlichen Lotterieunternehmen verfolgen. Rechtsanwalt K. stellte auch klar, dass LDS und Gerichte die Behördenpraxis in den anderen Bundesländern mit in den Blick nehmen müssten. Ein zusätzliches Genehmigungserfordernis sei nach der Rechtsprechung des EuGH nicht anwendbar, weil die Praxis in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird.

Die 3. Kammer des VG Chemnitz hatte sich auf Bitte von Rechtsanwalt K. für die mündliche Verhandlung den ganzen Tag Zeit genommen. Sie bekam viele weitere Informationen zur Sach- und Rechtslage, die sie sich eigentlich (§ 86 VwGO) selbst hätte beschaffen müssen.

Bevor der Kampf ums Recht in die zweite Halbzeit ging, hatte das Gericht seine Sicht in der Mittagspause geändert. Nach Wiederanpfiff hieß es: Die Verfügung der Landesdirektion wird aufgehoben. Die Berufung wird nicht zugelassen, der Kläger kann die Doppelspielhalle weiter betreiben.

Wie reagierte die Landesdirektion? Wie geht eine Verwaltung, die sich – mit Unterstützung „ihres“ 3. Senats beim OVG Bautzen und ihres 8. Senats beim BVerwG –dem Recht und der Rechtsprechung des EuGH versperrt und Sachsen ins EU-rechtliche Abseits stellt, mit der Erkenntnis um, dass nicht alle sächsischen Richter nach ihrer Pfeife tanzen?

Erste Maßnahme: Trick 28. Die 3. Kammer hat mit Glücksspiel nichts mehr zu tun. Alle glücksspielrechtlichen Verfahren werden der 4. Kammer zugeordnet. Dort regiert Richter M., das hat sich bewährt.

Zweite Maßnahme: Trick 17 mit Selbstüberlistung. Zurück in die Siebziger. Die Landesdirektion reicht Beschwerde ein.
Eine Beschwerde gegen ein Urteil ohne Zulassung der Berufung? Wäre nicht ein Antrag auf Zulassung der Berufung der richtige Rechtsbehelf? Dann könnte die umfassend aufbereite unionsrechtliche Sach- und Rechtslage vor dem OVG in Bautzen diskutiert werden.

Nicht so die Landesdirektion! Die juristische Herausforderung wird nicht angenommen; zu groß die Überlegenheit des Rechts.

„Beschwerde“ meint Beschwerde bei der Anwaltskammer. Rechtsanwalt K. habe eine „rote Linie überschritten“. Er habe die Landesdirektion und die sächsischen Gerichte kritisiert und sich angemaßt, seine Meinung öffentlich zu äußern. Frevel.

Auszüge aus der Beschwerde der LDS (die mittlerweile drei Ordner füllt):

„Die Vorsitzende vermerkte schriftlich, dass Herr K das Verwaltungsgericht aufrief, EU-Recht nicht außer Acht zu lassen und bittet um Berücksichtigung seiner Schriftsätze. Er bat auch um Übersendung aller Entscheidungen im Zusammenhang mit glücksspielrechtlichen Erlaubnissen des Verwaltungsgerichts.“
Jetzt reicht es! Der Anwalt überschreitet eine blutrote Linie. Er bittet das Gericht um rechtliches Gehör! Nein, das darf es in Sachsen nicht geben.

Weiter im Text:

„Mit Verfügung vom 24. November 2017 übermittelte das VG Chemnitz einen Schriftsatz von Herrn K nebst weiteren Anlagen. Der Schriftsatz hatte 59 Seiten und ist unterteilt in 157 Absätze. In seinem Inhalt greift Herr K in ununterbrochener Abfolge die Landesdirektion sowie die Verwaltungsgerichte nebst Bundesverwaltungsgericht an und macht dem Gericht Vorgaben zur Verfahrensführung. Hier einige Auszüge:
„Die Kammer wird gebeten, keine anderen mündlichen Termine an dem 13. Dezember 2017 anzusetzen und sich den Abend freizuhalten.“
Grob standeswidriges Verhalten. Ein Schriftsatz mit 59 Seiten und mit Kritik an der Rechtsprechung sächsischer Verwaltungsgerichte. Und dann noch diese dreiste Bitte, für die mündliche Verhandlung ausreichend Zeit einzuräumen! Anwalt „K“ muss sofort aus dem Verkehr gezogen werden. Früher war besser!

Weiter aus der Beschwerde:

„Am 14. Dezember 2017 fand vor dem VG Chemnitz eine mündliche Verhandlung statt, an welchem auch Herr K als Klägervertreter auftrat. Dabei führte Herr K folgendes aus: „Sämtliche bisher zuständigen Spruchkörper urteilten falsch. Insbesondere das OVG Sachsen und vor allem der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts liegen in ihren Entscheidungen falsch und missachten das Europarecht hartnäckig. Einzig akzeptable Entscheidungen gab es vom VG Leipzig, welches im Verfahren L 29-2135/188 erstinstanzlich (im vorläufigen Rechtsschutz und in der Hauptsache) festgestellt hatte, dass es in Sachsen keiner glücksspielrechtlichen Erlaubnis zusätzlich zur Gewerbeerlaubnis gemäß § 33i Gewerbeordnung bedarf.“
Wieder diese grobe Verletzung des Standesrechts! Lob und Kritik an deutschen Spruchkörpern. So geht es nicht, Herr K!

Das Beste aber kommt zum Schluss:

„Herr K akzeptiert aber keine Rechtsprechung, er ist das Recht.“
Das hat gesessen. Schach dem „K“!

Kontakt:
Günter Utikal
E-Mail: guenter.utikal@gmx.de
Tel.: 0172 9128830


Dienstag, 13. März 2018

Zu den Urteilsgründen des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.10.2017

Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Sozietät Redeker Sellner Dahs
Willy-Brandt-Allee 11
D - 53113 Bonn
Tel.: +49 228 72625-128
Fax: +49 228 72625-99
E-Mail: reichert@redeker.de

Mit großer Spannung hat die glückspielrechtliche Fachwelt seit der Pressemitteilung auf die Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts zu seinem Onlinecasinourteil vom 26.10.2017 gewartet. So sehr, dass noch vor deren öffentlicher Verfügbarkeit nun bereits die ersten Kommentare bei ISA eingehen. Auslöser sind anonymisierte Fassungen der Urteilsbegründung, die den Beteiligten zugestellt wurden.
 Dass schon vor Veröffentlichung bei Behörden und Dritten die öffentliche Diskussion in Gang gekommen ist, besagt etwas über das Klärungsbedürfnis. Doch wer rechtliche Klärung erhofft hat, wird enttäuscht sein. Denn das Bundesverwaltungsgericht findet zwar klare Worte, aber auf dünner Basis. Seiner rechtlichen Würdigung lag nur beschränkter Tatsachenvortrag zugrunde (s. Rn.16). Dem Bundesverwaltungsgericht wird man das nicht zum Vorwurf machen können, wohl aber, dass es bei dieser Ausgangslage gemeint hat, selbst entscheiden zu können, ohne zurückzuverweisen. Die rechtliche Würdigung des Sachverhalts unterliegt aber auch darüber hinaus durchgreifenden Mängeln (s. zu alledem 2.).

1. Zum Inhalt des Urteils

Mit Urteil vom 26.10.2017 hat das Bundesverwaltungsgericht die Legalität einer Untersagungsverfügung bestätigt, die einem EU-ausländischen Glücksspielanbieter, der sich nicht am Konzessionsverfahren beteiligt hat, das Angebot von Online-Casinoanbietern und Sportwetten untersagt.
Das Gericht beurteilt die für das Verfahren relevanten gesetzlichen Bestimmungen dabei als unionsrechtskonform. Mit der Rechtmäßigkeit des Konzessionsverfahrens selbst befasst es nicht, weil es der Auffassung ist, dass es hierauf nicht ankommt, da der betroffene Anbieter sich am Konzessionsverfahren nicht beteiligt hatte.
Das Internetverbot, auf das sich die Untersagung von Online-Casinospielen stützt, sieht es unter Berufung auf seine frühere Rechtsprechung als verfassungsgemäß und unionsrechtskonform an. Die späteren Durchbrechungen dieses Internetverbotes durch die Zulassung von Lotterieangeboten, Pferderennwettangeboten und Sportwettangeboten im 1.GlüÄndStV stellen die Kohärenz dieses Verbotes nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht in Frage. Für Lotterieangebote und Pferdewettrennangebote seien vergleichbare Spielsuchtgefahren nicht ersichtlich. Und für die Sportwette handele es sich lediglich um eine auf die Zeit der Experimentierklausel begrenzte Ausnahme. Die Gefahren durch Spielsucht, Manipulation und Geldwäsche, von denen der Gesetzgeber ausgehe, seien durch entsprechende Studien belegt, die dem Gesetzgeber vorgelegen hätten.
Die von der Vorinstanz noch erhobenen rechtlichen Beanstandungen der Bestimmtheit und des Ermessens wurden teils ausgeräumt und im übrigen verworfen. Hinsichtlich der von der Vorinstanz erhobenen Beanstandungen der Bestimmtheit drang das Gericht auf Abhilfe durch Klarstellungen der Behörde, soweit es diese teilte. Hinsichtlich des Rests legt es eine weniger strenge Elle an die Klarheit der Formulierung an als der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof. Auch die Bedenken gegen die Ermessensausübung teilt es nicht. Seiner bisherigen Rechtsprechung entsprechend begründet § 9 als Sollvorschrift kein Ermessen, sondern eine Verpflichtung zum Einschreiten (Rn.29), wenn kein atypischer Fall vorliegt. Die Annahme der Vorinstanz, dass es angesichts des bundesweiten Vollzugsdefizites eines Konzeptes zur Steuerung des Vollzuges bedürfe, teilt es nicht.

2. Kritische Würdigung der Urteilsbegründung

Diese Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts dürfte keinen dauerhaften Bestand haben. Schon der Vorbehalt in tatsächlicher Hinsicht, unter den das Bundesverwaltungsgericht das Urteil unausgesprochen selbst gesetzt hat (S. 16, Rn. 32), stellt den rechtlichen Befund in Frage. Zudem sieht die rechtliche Subsumtion sich schwerwiegenden unionsrechtlichen und prozessualen Einwänden ausgesetzt, von denen hier nur einige zentrale kurz ausgeführt sein sollen:
  • Prozessual: Das Bundesverwaltungsgericht erkennt zutreffend, dass die Wirksamkeit des Internetverbotes davon abhängt, dass die Besonderheiten des Internets, die nach seiner früheren Beurteilung ein Verbot rechtfertigten, noch fortbestehen. Es prüft dies aber nicht, sondern stützt sich darauf, dass nicht ersichtlich sei, „dass sich an diesem Befund zwischenzeitlich etwas geändert hätte“ (Rn.32). Dies sei nämlich „weder berufungsgerichtlich festgestellt noch vorgetragen oder im Hinblick auf die weiterhin bestehenden Besonderheiten des Internets sonst ersichtlich“ (Rn.32). Prozessual begegnet dies revisionsrechtlichen Bedenken, weil das Bundesverwaltungsgericht verkennt, dass das Berufungsgericht gar keine Veranlassung hatte, entsprechende Feststellungen zu treffen. Denn die Untersagungsverfügung war nach dessen Beurteilung schon aus anderen Gründen rechtswidrig. Wenn also Vortrag, der die Gefährlichkeit des Internets belegt, dem BVerwG nicht vorlag und die rechtliche Beurteilung hiervon aber abhing, hätte das Gericht zurückverweisen müssen. Denn die rechtlich erforderliche Feststellung der Gefahren ist nach dem geltenden Prozessrecht keine revisionsrichterliche Aufgabe, sondern die eines Tatsachengerichts.
  • Unionsrechtlich: Überdies verstößt das Bundesverwaltungsgericht damit grob gegen die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Rechtfertigungsanforderungen für Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit. Denn zu diesen gehört das Nachweiserfordernis für den Mitgliedstaat, welches das Urteil in Inhalt und Bedeutung verkennt.

    • Nach ständiger und eindeutiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt die Aufgabe der Darlegung und des Nachweises beim Mitgliedsstaat, der dies spätestens im gerichtlichen Verfahren zu belegen hat (s. nur Urteil vom 13.11.2013, Rs. C-42/02 – Lindmann; Urteil vom 08.09.2010, Rs. C-316/07, Stoß u.a., Rn. 71; Urteil vom 19.10.2016, Rs. C-148/15, Deutsche Parkinson; Urteil vom 14.06.2017, Rs. C-685/15, Online Games u.a., Rn. 50 ff). Dazu bedarf es keiner bloßen Behauptungen, sondern entsprechender Darlegungen und Untersuchungen. Solche Belege sind weder in den Vorinstanzen noch im Revisionsverfahren vorgetragen worden. Sie werden vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht konkret angeführt.
    • Rechtlich verkannt wird offenbar auch, dass für die Gefahrenbeurteilung unionsrechtlich ein regulierter Internetvertrieb mit in den Blick genommen werden muss. Denn zum nach dem EuGH erforderlichen Nachweis der Verhältnismäßigkeit gehört die Erforderlichkeit der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (hier des Verbots; vgl. mit jeweils weiteren Nachweisen: Urteil vom 13.11.2013, Rs. C-42/02 – Lindmann, Rn. 25; Urteil vom 30. April 2014, Rs. C 390/12, Pfleger u.a., Rn. 50; Urteil vom 19.10.2016, Rs. C-148/15, Deutsche Parkinson, Rn. 35 ff.). Diese setzt voraus, dass es kein milderes Mittel gibt. Modelle wie die schleswig-holsteinische Regulierung und die Regulierung in zahlreichen anderen Mitgliedsstaaten mit weit besserem Erfolg als die Glückspielregulierung der Länder belegen dies.
    • Dunkel bleibt schließlich, wie sich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in seinen Ausführungen zur Sportwette mit dem Ince-Urteil des EuGH in Einklang bringen lässt. Der Senat geht darauf mit keinem Wort ein. Er ist der Auffassung, dass der Klägerin das Konzessionserfordernis der §§ 4,4a ff GlüStV entgegengehalten werden kann, ohne zu erläutern, warum er meint, hierzu das Gegenteil annehmen zu können als der Europäische Gerichtshof mit dessen Urteil vom 4.2.2016 – C-336/14 – Ince gerade zur gleichen Rechtslage gemeint hat, dass das Fehlen der Konzession nicht entgegengehalten werden könne. Dass der betreffende Anbieter am Konzessionsverfahren teilgenommen hätte, ist auch dort nicht festgestellt. Es genügte dem EuGH, dass das Konzessionverfahren nach dem Vorlagebeschluss diskriminierend und intransparent durchgeführt wurde und der staatliche Anbieter aufgrund seiner Übergangserlaubnis weiter anbieten darf (Rn.85 ff).
  • Tatsächlich: Der vom BVerwG selbst gemachte Vorbehalt in tatsächlicher Hinsicht kommt schon jetzt zum Tragen. Denn die Annahme, dass die angenommenen Gefahren des Internets hinreichend belegt seien, ist offensichtlich unzutreffend. Die vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Aussagen des Gesetzgebers sind dementsprechend unkonkret und pauschal. Auch spricht das Bundesverwaltungsgericht nur abstrakt von dem Internet immanenten Gefahren (später ist von Spielsucht, Manipulation und Geldwäsche die Rede), ohne auch nur ansatzweise anzuführen, warum diese im Bereich von Onlinecasino größer sein sollen als anderswo. Gleiches gilt für frühere Aussagen anderer Gerichte. Eine konkrete Untersuchung wird nirgends angeführt. Studien, welche belegen, dass die behaupteten Gefahren (Spielsucht, Manipulation und Geldwäsche) im Internet stärker vorliegen als im terrestrischen Vertrieb, liegen nirgends zugrunde. Auch die Behauptung des Bundesverwaltungsgerichtes, dass in den Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag auf konkrete eingeholte Studien und Berichte zum Suchtpotential von Online-Casinospielen und Online-Poker verwiesen würde, ist nach diesseitiger Kenntnis unzutreffend. Solche Studien gibt es nicht. Vielmehr erweisen sich die behaupteten Gefahren des Internets als Mythos, der seit vielen Jahren von Autor zu Autor weitergereicht wird, ohne dies zu substantiieren. Die Fachwelt und die Fachgerichte werden dies aufzuarbeiten haben.
Dementsprechend zeigen vorliegende Studien das glatte Gegenteil:
  • Die Annahme erhöhter Sucht- und Betrugsgefahren im Internet übersieht die Möglichkeit der elektronischen Dauerüberwachung in Echtzeit im Onlinebereich.
  • Die Möglichkeiten des Monitorings des Spielverlaufs, die gerade das Onlineangebote bieten, für die individuelle Spielsuchtprävention werden vollständig ignoriert.
  • Die Annahme erhöhter geldwäscherechtlicher Gefahren EU-ausländischer Onlinecasinoangebote im Vergleich zu den in Deutschland zugelassenen Glückspielformen verkennt, dass alle EU-Onlineanbieter unionsrechtlich harmonisierten Anforderungen der Geldwäscheprävention unterliegen. Deren Überwachung erfolgt dabei in der Praxis jedenfalls in Großbritannien und Malta sogar dichter und schärfer als in Deutschland.
Kein Wort von alledem findet sich im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts.
Nachfolgende Instanzgerichte werden sich damit daher in den kommenden Monaten zu befassen haben.

3. Zur Bedeutung des Urteils

Insgesamt zeichnet sich damit aber schon jetzt ab, dass das Urteil ein ähnliches Schicksal erleiden wird wie viele andere höchstrichterliche Urteile der Vergangenheit im Bereich des Glücksspielrechts. Ihre Wirkung verpuffte, weil sie der Prüfung an höherrangigem Recht nicht standhielten oder tatsächliche Befunde verkannten:
In rechtlicher Hinsicht hat es sich über zehn Jahre hinweg als geradezu prägend für das Glückspielrecht der Länder erwiese, dass ober- oder gar höchstrichterliche Beurteilungen immer wieder durch das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof widerlegt wurden:
  • Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.03.2001 (6 C 2/01) wurde obsolet durch die Verwerfung des Sportwettmonopols durch das Bundesverfassungsgericht am 28.3.2006 (BVerfGE 115, 276). Dieses griff dabei namentlich auf tatsächliche Besonderheiten des Vertriebs und der Werbung zurück, denen das Bundesverwaltungsgericht keine Aufmerksamkeit schenkte.
  • Die Eilrechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte, die in den Jahren 2003 und 2004 den Vollzug bestimmte, wurde vom Bundesverfassungsgericht immer wieder verworfen, weil sie Unionsrecht verkannte (BVerfG, B.v. 26.8.2004 – 1 BvR 1446/04 -; B.v. 15.12.2004 – 1 BvR 2495/04 -; Beschluss vom 27.4.2015 – 1 BvR 223/05 -), was schließlich zum Erliegen des Vollzuges führte.
  • Die Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts aus dessen Urteil vom 28.3.2006 erwies sich als unionsrechtswidrig durch das EuGH-Urteil i.S. Winner-Wetten vom 8.9.2010.
  • Die Rechtsprechung fast der gesamten verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Sportwette für die Folgerechtslage des Glücksspielstaatsvertrages ab dem 1.1.2008 wurde ihrerseits widerlegt durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 8.9.2010 i.S. Markus Stoß und Carmen Media,
  • um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Und in politischer Hinsicht wiederum wurde vieles durch immer neue Anläufe des Gesetzgebers überholt (das Sportwettmonopol des Lotteriestaatsvertrages durch das Bundesverfassungsgericht, dessen Übergangsregelung durch den Glückspielstaatsvertrag, dessen Onlinecasinoverbot und Sportwettmonopol zuerst durch die schleswig-holsteinische Rechtslage, anschließend das Internetverbot des Glücksspielstaatsvertrages durch den 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrag, ebenso das Sportwettmonopol durch das Konzessionssystem etc).

Das hier gleiches zu erwarten ist, ist absehbar. Wie aufgezeigt beruht das aktuelle Urteil in tatsächlicher Hinsicht auf Prämissen, die sich bei Überprüfung als nicht haltbar erweisen und ist rechtlich mit der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs in zentralen Hinsichten unvereinbar.

Für die Politik sollte das Urteil daher vor allem eines sein, nämlich ein Weckruf dazu, sich endlich auf eine verfassungs- und unionsrechtskonforme gemeinsame Glücksspielpolitik zu verständigen, die auch Wirkung zeigt. Daher müssen für die Überarbeitung des Staatsvertrages Fakten und Evidenz zur Kenntnis genommen werden, wenn über die Zulassung der Onlinecasinoangebote entschieden wird. Denn die Fachwelt weiß nur zu gut, dass es nicht darum geht, ob der deutsche Verbraucher darauf zugreifen kann, sondern nur darum, ob er dabei geschützt wird. Schließlich existiert das Verbot des Onlinespiels und namentlich von Onlinecasinoangeboten nicht erst seit gestern, sondern seit zehn Jahren. Dennoch blieb es stets wirkungslos, obwohl Gerichte der Vollziehung des Verbotes fast nie im Wege standen. Auch an Versuchen, dem Internetangebot mit Untersagungen zu begegnen, hat es nicht gefehlt. Durchgesetzt haben sie sich dennoch nie. Dem angestrebten Verbraucherschutz hat daher keine dieser Bemühungen je genutzt. Soweit vereinzelt Webseiten vom Netz verschwunden sein mögen, tauchten andere an ihrer Stelle auf. Zeit also vielleicht, den Prohibitionsansatz zu überdenken und sich den Vorbildern einer wirksamen Onlinecasinoregulierung zuzuwenden, um dem Auftrag und den Zielen gerecht zu werden, denen sich die Länder mit dem Glückspielstaatsvertrag verschrieben haben.

Bonn, den 9. März 2018

Prof. Dr. Koenig: Zu den Urteilsgründen BVerwG 8 C 18.16

Interview TIME Law News mit Prof. Dr. Koenig

Zu den Urteilsgründen BVerwG 8 C 18.16 – Hat das Bundesverwaltungsgericht das Internetverbot für drei Glücksspielarten rechtskonform bestätigt?

Das Gespräch führten Dr. Wulf Hambach, Partner und Dr. Bernd Berberich, Salary Partner, Hambach & Hambach Rechtsanwälte

Prof. Dr. Koenig ist Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung und Mitglied der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn. Seine Lehrtätigkeiten, Veröffentlichungen und Forschungsprojekte sowie rechtswissenschaftlichen Gutachtertätigkeiten konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf das Recht des Europäischen Binnenmarktes. Darüber hinaus war Prof. Koenig neben Dr. Wulf Hambach Prozeßvertreter vor dem EuGH in der Sportwetten-Rechtssache C-46/08 Carmen Media.

TIME
Law News (TLN): Herr Professor Koenig, das Bundesverwaltungsgericht titulierte in einer Pressemitteilung Ende Oktober 2017 u.a. zur Rechtssache BVerwG 8 C 18.16 wie folgt: „Internetverbot für drei Glücksspielarten bestätigt“. Wie bewerten Sie diese Aussage, nachdem nunmehr die Urteilsgründe vorliegen?


Koenig:
Zunächst gilt es, sich zu vergegenwärtigen, wie es überhaupt zu dieser Aussage kam. In der jeweiligen Vorinstanz wurde im Kern gar nicht über die Rechtmäßigkeit des Internetverbots für bestimmte Glücksspielarten geurteilt. Vielmehr wurden gegenüber Glücksspielanbietern im Internet ergangene Untersagungsverfügungen von dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg aufgehoben, weil, so die Vorinstanz, sie erstens zu unbestimmt gefasst waren und zweitens kein einheitliches, vorab formuliertes Vollzugskonzept seitens der Behörde entwickelt worden war.
Die teilweise Unbestimmtheit der ursprünglichen Untersagungsverfügung hat das Bundesverwaltungsgericht sogar bestätigt. Im Urteil kam dies nur deshalb nicht so deutlich zum Ausdruck, weil die Beteiligten hierzu die Streitsache beidseitig für erledigt erklärten. Bezüglich des von der Vorinstanz gerügten Ermessensfehlers hat das Bundesverwaltungsgericht zudem das Urteil vor allem deshalb aufgehoben, weil nach der Vorinstanz eine Pflicht zum Einschreiten bestanden haben soll. Es reiche dann, so das Bundesverwaltungsgericht, dass die Behörde „im regulären Gang der Verwaltung“ die Überzeugung gewonnen hat, dass die Voraussetzungen für ein Einschreiten vorliegen. Was hierbei „regulärer Gang“ heißen soll, wird indes nicht näher ausgeführt.

TLN
: Wie konnte es dann aber dazu kommen, dass das Bundesverwaltungsgericht das Internetverbot für drei Glücksspielarten bestätigt hat?


Koenig:
Das Bundesverwaltungsgericht arbeitete mit einer sog. Ergebnishypothese und untersuchte, ob sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg nicht aus anderen Gründen als richtig erweist. Erst infolgedessen beschäftigte sich das Revisionsgericht mit den zwei entscheidenden Folgefragen: erstens, ob Online-Poker- und Online- Casinospiele im Einklang mit übergeordnetem Recht ausnahmslos durch das Internetverbot gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV verboten sind und zweitens, ob das Angebot von Online-Sportwetten im Einklang mit Verfassungs- und Unionsrecht untersagt werden kann, wenn hierfür keine Erlaubnis beantragt wurde, obwohl dies rechtlich und faktisch dem konkreten Anbieter möglich gewesen wäre und, hiervon losgelöst, auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit keine Duldung aufgrund offensichtlicher materieller Rechtmäßigkeit in Betracht kommt.

TLN
: Hierbei handelt es sich um hochkomplexe Fragen, bei welchen vor allem auch die tatsächliche Kohärenzlage auf dem deutschen Glücksspielmarkt eine Rolle spielt. Wie konnte das Bundesverwaltungsgericht dies alles in dem Urteil berücksichtigen?


Koenig:
Gerade hier liegt der Hase im Pfeffer! Das Bundesverwaltungsgericht darf die besagte Ergebnishypothese überhaupt nur anstellen und in der Sache selbst als Revisionsgericht entscheiden, wenn die entscheidungserheblichen Tatsachen von der Vorinstanz auch hinreichend festgestellt wurden. Eine eigene abschließende Entscheidung in der Sache selbst ist damit grundsätzlich nur auf der Grundlage von Tatsachen möglich, welche die Vorinstanz festgestellt hat. Eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Bewertung der dargelegten hochkomplexen Fragen der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Internetverbots wurde aber in den Vorinstanzen gerade nicht geschaffen.

TLN
: Heißt das, dass das Bundesverwaltungsgericht damit seine Kompetenzen überschritten hat? Und was gilt es überhaupt als Maßstab für eine Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit, etwa hinsichtlich des Internetverbots bestimmter Glücksspielarten, zu beachten?


Koenig:
Grundsätzlich ist es Sache des Mitgliedstaates, das nationale Schutzniveau in Bezug auf Glücksspiele selbst zu bestimmen und die Erforderlichkeit einzelner Maßnahmen zu beurteilen. Gleichwohl, und das stellt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil selbst fest, obliegt es dem Mitgliedstaat, der sich auf ein legitimes Ziel zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Dienstleistungsfreiheit berufen möchte, dem Gericht alle Umstände darzulegen, anhand derer dieses Gericht sich vergewissern kann, dass die Maßnahme auch tatsächlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt. Vorliegend werden aber seitens des Bundesverwaltungsgerichts überhaupt keine Umstände dargelegt, geschweige denn bewertet, welche auch nur im Ansatz eine taugliche Entscheidungsgrundlage für eine plausible Schlüssigkeitskontrolle der tatsächlichen Kohärenzlage hätten darstellen können! Es stellt sich nämlich vordringlich die Frage, ob ein vollständiges Verbot von Online-Poker und Online-Casinospiele wirklich dazu führen kann, dass entsprechend spielinteressierte Personen stattdessen dann Lotto spielen oder Pferdewetten abgeben, wovon der Gesetzgeber auszugehen scheint. Das geht aber völlig an der Realität vorbei, was die tatsächliche Marktsituation in Deutschland eindrücklich belegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies alles schlicht mit Schweigen weggebügelt.

TLN
: Das klingt in der Tat nach einer schweren Verkennung der revisionsrechtlichen Kompetenzen des Bundesverwaltungsgerichts. Was können die hiervon betroffenen Anbieter in rechtlicher Hinsicht tun?


Koenig:
Wie bereits gesagt, hätte das Bundesverwaltungsgericht zwingend das Verfahren an die Vorinstanz zur umfassenden Aufklärung in rechtstatsächlicher Hinsicht zurückverweisen müssen. Indem das Bundesverwaltungsgericht stattdessen in der Sache selbst entschieden hat und nicht einmal im Ansatz die tatsächliche Eignung der vom Gesetzgeber erwünschten Kanalisierungseffekte bezüglich des Vertriebswegs Internet anhand von belastbaren Daten erörtert und bewertet hat, hat das Gericht willkürlich den betroffenen Anbietern den gesetzlichen Tatsachenrichter entzogen. Es ist deshalb den Betroffenen dringend anzuraten, eine Urteilsverfassungsbeschwerde wegen willkürlichen Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG einzulegen.

TLN
: Wie sehen Sie in diesem Kontext die aktuellen Reformbemühungen einiger Bundesländer, welche die Notwendigkeit erkannt haben, alle Glücksspielarten einer kohärenten Regulierung zuzuführen und damit den deutschen Glücksspielmarkt zeitgemäß, zukunftsfähig und rechtssicher zu gestalten?


Koenig:
Alles andere macht schlicht keinen Sinn! Man kann die Lebenswirklichkeit nicht ausblenden, zumal die Erfahrungen etwa in Dänemark oder auch Schleswig- Holstein zeigen, dass eine sachgerechte Regulierung nicht zu höheren Suchtgefahren führt, sondern vielmehr auf einer rechtssicheren Basis effektiv der Schwarzmarkt bekämpft werden kann. Hier gilt, was Innenminister Grothe von Schleswig-Holstein im September 2017 so treffend im Landtag gesagt hat: „Formale Verbote führen nicht dazu, dass die Spieler geordnete und überwachte Angebote nutzen. Wir dürfen nicht länger versuchen, das Internetglücksspiel mit analogen Instrumenten aus dem vergangenen Jahrtausend in den Griff zu bekommen.“

TLN: Sehr geehrter Herr Professor Koenig, wir danken Ihnen für das sehr instruktive Gespräch!

Samstag, 3. März 2018

Ist das deutsche Lotto noch zu retten?


Glücksspiel-System angeblich vor Kollaps
„Nur noch eine Frage der Zeit“: Steht Lotto vor dem Aus?
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Wirtschaft Glücksspiel „Nur noch eine Frage der Zeit, bis Lotto vor dem Aus steht“
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„Nur noch eine Frage der Zeit“ – Steht das deutsche Lotto vor dem Aus?
DLV: 36 Milliarden Euro Schaden wegen Glücksspielstaatsvertrag
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Über Jahrzehnte garantierte Lotto milliardenschwere Einnahmen.
Doch ein verkorkstes Glücksspielgesetz bedroht die Zukunft des staatlich organisierten Spiels – mit dramatischen Folgen für Staat und Spieler.
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Der Deutsche Lottoverband
Pressemitteilung

Glücksspielstaatsvertrag: 10 Jahre Desaster – Staatsversagen mit Ansage


Politisches Handeln ist dringend notwendig: Bundesländer verlieren seit 2008 allein bei Lotterien bis zu 36 Milliarden Euro. Auch 2017 Rückgang der Lottoumsätze

Hamburg, Februar 2018 – Anfang 2008 haben die Länder mit dem ersten Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) ein beispielloses juristisches und wirtschaftliches Desaster ausgelöst. 10 Jahre später sind die Folgen mehr als dramatisch.

Um das staatliche Lotteriemonopol juristisch zu schützen, erfanden die Länder damals die „Lotto-Sucht“, die wissenschaftlich erwiesenermaßen nicht existiert. Infolge dieser umstrittenen Monopolbegründung mussten Werbung und Vertrieb der staatlichen Lottogesellschaften, der Klassen- und Soziallotterien stark eingeschränkt werden. Die Umsätze brachen drastisch ein.

„Seit 2008 haben die Bundesländer alle Warnungen ignoriert. Der Schaden für Lotto ist immens: 36 Milliarden Euro Umsätze und damit 15 Milliarden Euro Steuern und Zweckerträge gingen verloren, Tausende Gerichtsverfahren wurden und werden geführt, Existenzen sind vernichtet worden“, so Norman Faber, Präsident des Deutschen Lottoverbandes. „Das Geld fehlt nicht nur den Landeshaushalten, sondern auch dem Gemeinwohl, Breitensport, Wohlfahrt und Kultur.“

Im Vergleich zum Umsatzwachstum europäischer Lotteriemärkte (+2 % p.a.), sind den deutschen Lotterien Umsätze in Höhe von rund 36 Mrd. Euro entgangen. Entsprechend der Lotterieabgabenquote von rund 40 % fehlen den Ländern rund 15 Mrd. Euro Steuern und Zweckerträge, das entspricht 1-2 Milliarden Euro pro Jahr (Grafik). Auch 2017 waren die Lottoumsätze mit rund -4 % erneut rückläufig.

Die unabhängigen Lotterievermittler in Deutschland (z.B. „Faber“, „Lotto24“), die neben den rund 23.000 Annahmestellen und Klassenlotterieeinnehmern staatliche Lotterien vertreiben, sind durch die Werbe- und Vertriebsrestriktionen besonders stark betroffen. Während die Vermittler vor 2008 bis zu eine Milliarde Euro jährlich zu den staatlichen Lotterieumsätzen beitrugen, waren es 2017 nur noch rund 250 Millionen Euro (-75 %). Diverse Vermittler haben aufgrund von behördlichen Auflagen, z.T. jahrelangen Antragsverfahren sowie drastisch reduzierten Provisionen inzwischen die Geschäftstätigkeit eingestellt. Kumuliert haben die Länder allein durch die Beschränkungen der Lotterievermittler seit 2008 bis zu 9 Milliarden Euro an Lotterieeinnahmen verloren.

Nachdem die „Suchtbegründung“ des GlüStV 2010 vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert ist, haben die Länder mit dem ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag (1. GlüÄndStV) das Chaos bei Lotterien und Sportwetten auf andere Spiele ausgeweitet. Auch die neuen Regelungen scheiterten überwiegend vor den Gerichten, Tausende Verfahren belasten bis heute die deutsche Justiz. Die Umsetzung des rechtlich erforderlichen 2. GlüÄndStV scheiterte Ende 2017 am Widerstand einiger Bundesländer. Nun stehen die Länder vor einem beispiellosen wirtschaftlichen und juristischen Scherbenhaufen.

Dass es auch anders geht, zeigt der Blick in europäische Nachbarländer wie die Niederlande oder Großbritannien. Dort verzeichnen die Lotterien dank liberalerer Regelungen seit Jahren ein stetiges und starkes Umsatzwachstum.

Der Deutsche Lottoverband (DLV) appelliert daher erneut an die Bundesländer, eine umfassende Reform zur Regulierung aller Glücksspielbereiche auf den Weg zu bringen, unter Berücksichtigung der tatsächlichen Risiken. „Nur so können die vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Vorgaben erfüllt werden“,  so Faber. „Ansonsten drohen weitere hohe Verluste für das deutsche Lotto, möglicherweise sogar das Ende des Lotterieveranstaltungsmonopols.“

Der Deutsche Lottoverband


Der Deutsche Lottoverband (DLV) ist der Zusammenschluss der unabhängigen Lotterievermittler in Deutschland. Die Verbandsmitglieder fördern seit mehr als 30 Jahren den Absatz der Produkte des Deutschen Lotto- und Totoblocks (DLTB) sowie der Klassenlotterien und helfen so, die Staatseinnahmen zu steigern, Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten und die Förderung von Sport, Kultur und Wohlfahrt nachhaltig zu sichern.

Anhang: Grafiken zur Lotteriemarktentwicklung

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