Donnerstag, 30. Dezember 2010

Urteile des Verwaltungsgerichts Köln: Mehreren Klagen von Sportwettvermittlern stattgegeben

Das Verwaltungsgericht Köln hat in mehreren Hauptsacheentscheidungen (u.a. 1 K 3288/07) Klagen unterschiedlicher, durch die Kanzlei Bongers vertretener Sportwettvermittlungsunternehmen stattgegeben und die Ordnungsverfügungen der Stadt Köln in Gestalt der erlassenen Widerspruchsbescheide aufgehoben.

Dabei verweist die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln in der Urteilsbegründung zutreffend darauf, dass es für Verfahren, in denen Untersagungsverfügungen und Widerspruchsbescheide vor dem 31.12.2007 ergangen sind, maßgeblich auf die Rechtslage ankommt, die bis zum 31.12.2007 bestanden hat.

Dies ergebe sich zum einen daraus, dass sich der maßgebliche Zeitpunkt zur Bewertung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes nach materiellem Recht richte. Es komme in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich darauf an, ob das neue Recht seine gewissermaßen "rückwirkende Berücksichtigung" bei der gerichtlichen Beurteilung der nach früherem Recht erlassenen Verwaltungsakte vorschreibe. Dies sei aber weder im Glücksspielstaatsvertrag, noch im Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag NRW geschehen. Eine Ausnahme habe das Bundesverwaltungsgericht in ähnlichen Fällen nur für Anfechtungsklagen aus dem Erschließungsbeitragsrecht angenommen, da dort eine Pflicht zur Beitragserhebung bestehe und somit feststehe, dass der etwa aufgehobene Bescheid aufgrund geänderter Rechtslage sogleich wieder an den Beitragspflichtigen gerichtet werden müsse. Vergleichbare Voraussetzungen seien aber im "Sportwettenrecht" nicht gegeben. Unter diesen Umständen sei wegen der Dauerwirkung der angefochtenen Verfügung nicht – wie in der Regel – auf den Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung abzustellen, andererseits jedoch zu berücksichtigen, dass den Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages, die ab 1. Januar 2008 Geltung gefunden haben, keine Rückwirkung zukommen könne. Dies ergebe sich nicht nur aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Rückwirkungsregelung, sondern auch daraus, dass durch § 22 Abs. 2 GlückStV – AG NRW das vorher geltende Sportwettengesetz NRW erst mit Wirkung ab dem 1. Januar 2008 aufgehoben wurde. Daher könne das neue Recht weder für die vor diesem Zeitpunkt erlassenen Verwaltungsakte gelten, noch finde es ab diesem Zeitpunkt ohne Weiteres auf Altverfügungen Anwendung.

Sodann stellt das Verwaltungsgericht fest, dass im maßgeblichen Beurteilungszeitraum bis zum 31. Dezember 2007 die untersagte Tätigkeit nicht gegen § 14 Abs. 1 OBG verstoßen habe, weil es sich gerade nicht um unerlaubtes Glücksspiel im Sinne von § 284 StGB gehandelt habe. Das staatliche Sportwettenmonopol habe im Übergangszeitraum den Anforderungen des Europarechts schon in formeller Hinsicht nicht genügt. Der Text des Artikels 46 Abs. 1 EG fordere nämlich für die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen entsprechende Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Diese seien aber nicht gegeben gewesen. Zudem habe der EuGH für das Glücksspielrecht gefordert, dass die Mitgliedsstaaten das von ihnen angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen hätten, wobei das Verwaltungsgericht sodann ergänzend auf die Vorgaben im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006 verweist. Sämtliche dieser Voraussetzungen seien unter europarechtlichen Gesichtspunkten gerade nicht verwirklicht worden. Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28.03.2006, mit welcher eine "Übergangsregelung" getroffen wurde, komme keine Gesetzeskraft zu. Zudem seien für die vom Bundesverfassungsgericht als Voraussetzung für Untersagungsmaßnahmen dargestellten Maßgaben, jedenfalls unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung, keine konkreten Formulierungen gewählt worden. Die Formulierungen "Mindestmaß an Konsistenz” bzw. "konsequent auszurichten” oder "expansive Vermarktung” seien zu unbestimmt. Ob die Übergangspraxis dem genügt habe, hing im Übrigen nicht nur von den Anweisungen der zuständigen Landesministerien oder des Monopolisten ab, sondern maßgeblich von der lückenlosen tatsächlichen Umsetzung vor Ort.

Letztlich genüge die Gesetzeslage auch in materieller Hinsicht während der Übergangszeit den Anforderungen des Europarechts nicht. Hierbei wird vom Verwaltungsgericht umfassend dargestellt, dass sich die Anzahl der Spielbanken zwischen den Jahren 2000 und 2007 dauerhaft erhöht hat, im Übrigen die wirklich suchtrelevante Spielbereiche sich insbesondere im Casino- und Automatenspiel befänden, nicht hingegen im Bereich von Lotterien und Sportwetten. Insbesondere habe es maßgebliche Lockerungen durch die am 01.01.2006 in Kraft getretene Spielverordnung gegeben, so dass letztlich eine Inkohärenz der deutschen glücksspielrechtlichen Regelungen vorliege. Es komme somit gar nicht mehr darauf an, ob sich die Inkohärenz und die fehlende Systematik zusätzlich auch aus intensiven Werbekampagnen des Monopolinhabers ergebe, sondern schon die nichtkohärente Gesetzeslage führe zur Feststellung der Gemeinschaftswidrigkeit des staatlichen Wettmonopols. Zudem hebt das Verwaltungsgericht hervor, dass auch ein Interesse an der Einnahmenmaximierung bei den staatlichen Stellen bestehe, weil durch die Zulassung weiterer Spielbanken und die Ermöglichung eines erweiterten Automatenspiels nach der SpielV notwendigerweise auch höhere Einnahmen aus Spielbankenabgaben und örtlichen Aufwandssteuern erfolgen würden.

Mit Nachdruck kritisiert das Verwaltungsgericht in der Entscheidung die Rechtsauffassung des OVG Nordrhein-Westfalen in dessen jüngster Eilentscheidung, wobei das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hinweist, dass das OVG NRW vom bindenden Inhalt der EuGH-Rechtsprechung abweiche.

Insgesamt führt das Verwaltungsgericht aus, dass damit auch nach aktueller Rechtslage von einer Gemeinschaftswidrigkeit des Sportwettenmonopols auszugehen sei und sich daraus gleichzeitig ergebe, dass selbstverständlich dann auch während der Übergangszeit bis Ende 2007 eine gemeinschaftswidrige Rechtslage bestanden hat. Abschließend wird sodann klargestellt, dass die vom OVG Münster in der Übergangszeit vertretene Auffassung, der Anwendungsvorrang des EU-Rechts könne ausnahmsweise durchbrochen werden, weil andernfalls eine "inakzeptable Gesetzeslücke" entstehe, ebenfalls – wie höchst richterlich durch den EuGH geklärt – rechtsfehlerhaft war. Der EuGH habe auf Ersuchen der Kammer explizit entschieden und verbindlich festgestellt, dass aufgrund des Vorrangs des unmittelbar geltenden Unionsrechts eine nationale Regelung über ein staatliches Sportwettenmonopol, die nach den Feststellungen eines nationalen Gerichts Beschränkungen mit sich bringe, die mit dem freien Dienstleistungsverkehr unvereinbar seien, nicht für eine Übergangszeit weiter angewandt werden dürfe.

Auch erteilt das Verwaltungsgericht den zuletzt von einigen Verwaltungsgerichten in Eilverfahren merkwürdigerweise vertretenen Meinungen, trotz einer gemeinschaftswidrigen Rechtslage bedürfe es noch einer Erlaubnis, eine klare Absage. Hier gelte der Anwendungsvorrang des EU Rechts. Schließlich verweist es zutreffend darauf, dass das OVG Nordrhein-Westfalen auch mit seiner Rechtsauffassung unrichtig liege, das Vermitteln von Sportwetten stelle unter dem Gesichtspunkt der Spielsucht und ihrer Folgen eine konkrete Gefahr dafür dar, dass in jedem Einzelfall der Sportwettvermittlung durch die Kläger beim jeweiligen Wettteilnehmer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Spielsucht ausgelöst oder verschlimmert würde. Hierzu fehle es schlichtweg an gerichtsverwertbaren Anhaltspunkten.

Das Gericht hat die Berufung in den einzelnen Urteilen nicht zugelassen, wobei allerdings für die Beklagtenseite die Möglichkeit besteht, einen Antrag auf Zulassung der Berufung unter den dort dargestellten, erschwerten Bedingungen zu stellen.

Die Stadt Köln wird sich abschließend auf die Geltendmachung umfangreicher Schadensersatzansprüche einstellen müssen. Diverse Betriebsstätten sind in der Übergangszeit und auch in den Jahren danach durch ordnungsbehördliche Zwangsmaßnahmen geschlossen worden, wobei den Betreibern diverser Wettannahmestellen erhebliche Schäden durch massive Gewinnausfälle entstanden sind. Diese werden nunmehr kurzfristig geltend gemacht werden, wobei mit Interesse zu verfolgen sein wird, wie die Stadt Köln es rechtfertigen will, Schadensersatzansprüche in Millionenhöhe bedienen zu müssen, während man gleichzeitig die leeren Kassen der Kommunen beklagt.

Kontakt:
Rechtsanwaltskanzlei Bongers
D - 61348 Bad Homburg

VG Köln: Verbot von Sportwetten auch auf der Grundlage des aktuell geltenden Glücksspielstaatsvertrages rechtswidrig.
05. April 2011 weiterlesen

Sonntag, 26. Dezember 2010

Die Europäische Kommission prüft im Fall Kellner

Kellner: ....."Es haben zwei Bundesländer (Brandenburg und Bayern) einen Bescheid gesendet, worin die Einstellung der Hausverlosung gefordert wird, in beiden Fällen habe ich dagegen Klage eingereicht, da ich keine Internetverlosung mache, was von diesen Behörden behauptet wird.“ ...... "Ich habe über diese Drangsalierungen die europäische Kommission informiert und diese hat mir schriftlich bestätigt, dass diese Vorgänge jetzt überprüft werden“ Quelle

Hier wurde bereits über Herr Kellner berichtet

RECHT: Andere Länder...
Haus-Lotterie in Tirol und in der Mark
POTSDAM - Dem österreichischen Millionär Karl Rabeder ist gelungen, was seinem Landsmann Franz Josef Kellner bisher versagt blieb. Rabeder hat seine 321-Quadratmeter-Villa in Telfs bei Innsbruck im österreichischen Bundesland Tirol per Lotterie verlost. Jetzt ist eine Bayerin die glückliche neue Besitzerin. weiterlesen

In Anbetracht höchstrichterlicher Urteile dürfte wohl kaum noch zu bestreiten sein, das der deutsche Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) gemeinschafts- und damit auch verfassungswidrig ist.

Aus meiner Sicht beinhaltet die am 8.9.2010 durch den EuGH festgestellte Gemeinschaftswidrigkeit der Monopolgesetzgebung deren Verfassungswidrigkeit, da durch den Solange II-Beschluss des BVerfG, die Überprüfung der Freiheitsgrundrechte dem EuGH obliegt.

Mit den Feststellungen des EuGH verstößt der GlüStV u.a. erneut gegen die Gambelli- und weiterer Rechtssprechung des EuGH, den Kartell- und Monopolregeln der EU sowie gegen das Sportwettenurteil (BVerfGE 115, 276 ff = NJW 2006, 161 ff)

Die Begründung für das Monopol wurde durch den EuGH als unzulässig angesehen, wodurch dieses rechtswidrig geschaffen wurde. Ein Auslandsbezug ist nicht notwendig.

Trotzdem wird gegen den Österreicher Kellner, der europarechtswidrige GlüStV weiter angewandt und in seine Gemeinschaftsgrundrechte eingegriffen, ohne die durch das EG-Recht den Mitgliedstaaten auferlegte Untersuchungs- und die Beweislastpflicht einzuhalten. (EuGH, Rs.C-42/02, Lindman, Slg. 2003, I-13519, Rn. 25 und 26; EuGH, Rs. C-67/98, Zenatti, Schlußanträge von GA Fenelly, Slg. 1999, I-7301, Rn. 29.)

Von österreichischen Anbietern wurden in anderen Fällen den italienischen Behörden die Amtshaftung angedroht und diese sogar angezeigt.

Grundrechte in der Europäischen Union mehr Justiz, Freiheit und Sicherheit
Rechtsprechung zu Art. 49 EG - (Freier Dienstleistungsverkehr) s.u.
mehr zum Europarecht

Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 8.9.2010
in den Rechtssachen Carmen Media Group Ltd, Markus Stoß u.a. und Kulpa Automatenservice Asperg GmbH u.a. im Hinblick auf den deutschen Glücksspielstaatsvertrag von Univ.-Prof. Dr. iur. Christian Koenig

EU-Kommissar Michel Barnier mahnte bereits unter Verweis auf die jüngste EuGH-Rechtsprechung eine europarechtskonforme Neuregelung des Glücksspielstaatsvertrages an. Der EuGH hatte in seinen Urteilen vom 8. September 2010 zu mehreren Vorlagen deutscher Verwaltungsgerichte die derzeitige Monopolregelung für mit Europarecht nicht vereinbar erklärt. Nach Ansicht des EuGH gibt es in Deutschland keine hinreichende kohärente und systematische Regelung. Quelle

Zu einer eigenen Entscheidung über die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht sind nationale Gerichte - gleich welcher Instanz - nicht befugt. EuGH 22.10.1987, Rs 314/85, Foto-Frost, Slg. 1987, 4199. s.u.a. EuGH-Urteil vom 18. Juli 2007 (AZ: C-119/05)
Das VG Arnsberg spricht in seinem Urteil sogar von einer Missachtung des europäischen Anwendungsvorranges.

Das VG Berlin bestätigt die Europa- und Verfassungswidrigkeit und verweist auf die Entscheidungen des EuGH und des BVerfG. Das BVerfG, stellte in dem Verfahren (1 BvR 1054/01 v. 28.03.2006) fest, dass ein staatliches Monopol nur dann verhältnismäßig ist, wenn es rechtlich so ausgestaltet ist, dass es konkret der Suchtprävention dient, indem es an den legitimen Zielen, insbesondere Suchtbekämpfung und Begrenzung der Wettleidenschaft, rechtlich und faktisch ausgerichtet ist (Rn. 143) und nicht einmal als Nebenziel fiskalische Zwecke verfolgt werden (EuGH C-258/08 [Ladbrokes], Rn. 28). Der Senat hebt an dieser Stelle die Parallelität ausdrücklich hervor: "Insofern laufen die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben." (BVerfG, a.a.O., Rn. 144) mehr unter

Ausserdem stellte der EuGH am 08.09.2010 fest, dass fiskalische Gründe im Vordergrund stehen und nicht die behauptet die Spielsuchteindämmung! Dadurch handelt es sich in Wahrheit um ein gemeinschaftsrechts- und verfassungswidriges Finanzmonopol, zu dem der Staat nicht berechtigt war. (vgl. Art. 105 Abs. 1, Art. 106 Abs. 1, Art. 108 Abs. 1 GG; BVerfGE 14, 105, 111ff) "Es war und ist ein Fiskal-Monopol. Es dient nicht, wie immer behauptet wird, der Spielsuchtbekämpfung. Der Staat nutzt es allein zur Erzielung von Einkünften." (so Prof. Rupert Scholz, focus 13.09.2010) und unter

Wenn der Staat eine bestimmte (berufliche) Tätigkeit in die Rechtsform des Staatsmonopols überführt, so ist dies entweder als Verwaltungs- oder als Finanzmonopol möglich. Finanzmonopole dienen fiskalischen Zwecken und sind als solche prinzipiell mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Finanzmonopole sind nur insoweit verfassungsmäßig, wie sie im GG über eine ausdrückliche, d. h. verfassungsunmittelbare Rechtfertigung verfügen (vgl. Art. 105 Abs. 1, Art. 106 Abs. 1, Art. 108 Abs. 1 GG). Über diese, schon im Zeitpunkt des Inkrafttretens des GG bestehenden Finanzmonopole hinaus ist der Staat nicht berechtigt, neue oder weitere Finanzmonopole zu begründen. Dies ist unstreitig. (vgl. BVerfGE 14, 105, 111ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 114, 259, 413, 417 m.w.N.)

Die Politik weist laufend auf die fiskalische Bedeutung des staatlichen Sportwetten- und Glücksspielmonopols hin. Mit fiskalischen Gründen darf auch europarechtlich eine Abschottung des deutschen Marktes gerade nicht gerechtfertigt werden. (EuGHE 2003, 13031 [Gambelli], Rn. 69, 72) vgl. (GA Gulmann, Schlussanträge, EuGHE 1994, 1039 [Schindler], Rn. 110). Ein Mitgliedstaat kann somit nicht vorgeben, dass er sich gezwungen sehe, den Zugang seiner Bürger zu Wettangeboten einzuschränken, wenn er sie gleichzeitig dazu ermuntert, an staatlichen Glücksspielen teilzunehmen.

Der Glücksspielstaatsvertrag verstößt auch gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz GG)
”Verstöße gegen das Zitiergebot sind zwar nur ein Formfehler, aber mit gravierenden Folgen. Durch diesen wird jedes Gesetz ungültig. Der Gesetzgeber kann diesen Schaden nur durch eine neue Rechtsnorm heilen.” Zitat von Prof. Rupert Scholz (Staatsrechtler und Politiker) vom 23.04.2010 in AUTO-Bild. weiterlesen Verletzt ein Gesetz ein Freiheitsgrundrecht, so folgt daraus die Nichtigkeit des Gesetzes weil nur so der Grundrechtseingriff zu beheben ist. Die Rechtsfolge ist hier eindeutig.”, Zitat Prof. Heintzen, 2001…
VerwProzR_Rn_659-690
bb. Vereinbarkeit der Rechtsgrundlage mit EU-Recht
a.) Anwendungsvorrang des unmittelbar anwendbaren EU-Rechts
Kommt die Überprüfung einer Vorschrift eines Parlamentsgesetzes in Betracht, haben das streitentscheidende Gericht (und somit der Klausurbearbeiter) neben der Vereinbarkeit der Vorschrift mit höherrangigem nationalen (Verfassungs-)Recht auch deren Vereinbarkeit mit EU-Recht zu untersuchen. Das ergibt sich aus dem grundsätzlichen Anwendungsvorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht
1: Kollidiert eine nationale Vorschrift mit unmittelbar anwendbarem EU-Recht, verliert sie ihre Anwendbarkeit. Handelt es sich bei der dann nicht anwendbaren nationalen Norm um eine Rechtsgrundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts, fehlt es diesem somit dementsprechend an einer dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes gerecht werdenden Rechtsgrundlage. Der Verwaltungsakt ist schon deshalb rechtswidrig.

Das Bundesverfassungsgericht (BvR 1682/07) hat am 1. Dezember 2010 einstimmig beschlossen:

„Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 23. Januar 2007 - 13 Sa 954/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.“

„Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).“ Rn 14

„Dazu gehöre, nicht durch Kostenbarrieren von der Verfolgung berechtigter Interessen und geschützter Positionen auf dem Rechtsweg abgehalten zu werden oder zu deren Durchsetzung aussichtslose und zugleich kostenträchtige Gerichtsverfahren führen zu müssen.“ Rn 15

„Justiz hat mit Gerechtigkeit so viel zu tun wie die Landeskirchenverwaltung mit dem lieben Gott“, zitiert Wörz den Schriftsteller und Juristen Herbert Rosendorfer auf seiner Website.
Wollen wir hoffen, das die Rechtsfindung nicht lange dauern möge wie im Fall Wörz.

Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs

acte-clair-Doktrin
des EuGH: Die Maßstäbe des EuGH zur Vorlagepflicht und des BVerfG entsprechen jetzt einander.
Was europarechtswidrig ist, ist auch verfassungswidrig.

Eine Kammerentscheidung des BVerfG hat es in sich: Scheinbar als ob es nur Selbstverständliches bestätigen würde, hob es eine Entscheidung des BAG auf, weil dieses durchentschieden hatte, statt dem EuGH vorzulegen (NJW 2010, 1268 m. Anm. Reinhard).
Der EuGH als gesetzlicher Richter i. S. des Art. 101 I 1 GG wird entzogen, „wenn das nationale Gericht eine eigene Lösung entwickelt, die nicht auf die bestehende Rechtsprechung des EuGH zurückgeführt werden kann und auch nicht einer eindeutigen Rechtslage entspricht“. Selbstgestricktes Europarecht durch heimische Gerichte ist damit verfassungswidrig. Wortlautgehorsam gegenüber Luxemburg ist gefragt – nicht Zu-Ende-Denken einer angebrochenen Rechtsprechung, sondern allein die Anwendung des Vorhandenen. Entsprechend darf das nationale Gericht nur selbst entscheiden, wenn die Beantwortung der europarechtlichen Frage „offenkundig“ ist. Davon darf es bei einer unvollständigen EuGH-Rechtsprechung nur dann ausgehen, wenn es überzeugt ist, dass dies auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH so ist. so Prof. Dr. Gregor Thüsing (NJW Editorial 26/2010)

Die verfassungs- und unionsrechtlichen Maßstäbe an die Rechtfertigung eines staatlichen Wettmonopols der 16 Bundesländer entsprechen einander.
- Was Europarechtswidrig ist, ist auch verfassungswidrig -.
(zur "Parallelität" vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01, juris, Rn. 144, BVerfG, 6.7.2010 – 2 BVR 2661/06, Rn. 83 f. Zur Bindungswirkung für Behörden insbesondere: EuGH, 9. 9. 2003 – C-198/01, Slg. 2003, I-8055, Rn. 51)
KARLSRUHE: Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung die Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs auch in arbeitsrechtlichen Fragen bestätigt. Eine Kontrolle europäischer Entscheidungen durch das Verfassungsgericht komme nur in Betracht, wenn die europäischen Institutionen ihre Kompetenzen in schwerwiegender Weise überschritten, heißt es in dem Beschluss der Karlsruher Richter. Geklagt hatte ein Mitarbeiter eines Automobilzulieferers. Zur Befristung seines Arbeitsvertrages war eine Sonderregelung für Arbeitnehmer über 52 Jahre herangezogen worden. Der Europäische Gerichtshof hatte dies als Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung gewertet. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Befristung daraufhin für unwirksam.| 26.08.2010 | 11:00 UTC Quelle

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteile vom 15. Juli 1964 – Rs. 6/64 [Costa/E.N.E.L.], Slg. 1964, 1253 [1269 ff.], und vom 9. März 1987 – Rs. 106/77 [Simmenthal] –, EuGHE 1978, 629, Rn. 13 ff.) besteht aus Art. 10 EGV und dem als Strukturprinzip des Gemeinschaftsrechts entwickelten Grundsatz des „effet utile“ für nationale Gerichte die Pflicht, gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht von sich aus außer Anwendung zu lassen (vgl. zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch BVerfG, Urteile vom 09.06.1971, BVerfGE 31, 145-
2 BvR 225/69 ; 8. April 1987 – 2 BvR 687/85 –, BVerfGE 75, 223 [244 f.] m.w.N., und vom 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 u.a. [Nachtbackverbot] –, BVerfGE 85, 191 [204]).

Hinsichtlich der Nichtanwendung nationaler Gesetze wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ist zwar eine besonders sorgfältige Prüfung und auch Zurückhaltung geboten. Bei hinreichend manifesten Verstößen nationaler Rechtsnormen gegen das Gemeinschaftsrecht sind die nationalen Gerichte zu deren Nichtanwendung jedoch nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. (s. VG Berlin, Urteile VG 35 A 108.07 und 35 A 15.08, so auch VG Freiburg, Urteil vom 16. April 2008 – 1 K 2683/07 –, zitiert nach juris, Rn. 27; Bay. Verwaltungsgerichtshof vom 03.04.2009). Auf diese Bedeutung hat auch der BGH am 14.2.2008 hingewiesen. mehr


-Völkerrecht und Europarecht- Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A./ Verena Lessmann (Universität Bremen)
EuGH, EGMR und BVerfG: Die dritte Gewalt im transnationalen Mehrebenensystem (Auszug) PDF download

II. Das Verhältnis des BVerfG zum EuGH:
Die europäischen Gemeinschaften stellen supranationale Organisationen dar, wobei der Begriff der Supranationalität dazu dienen soll, die Besonderheit der Europäischen Gemeinschaften zu kennzeichnen. 7
Diese Besonderheit ergibt sich daraus, dass die Mitgliedstaaten zur Gründung der Gemeinschaft bestimmte Hoheitsrechte an diese übertragen haben. 8
So wird der Europäischen Union in Gestalt der Europäischen Gemeinschaft (EG) durch Art. 249 EGV die Befugnis zum Erlass von Rechtsnormen zuerkannt, die in den innerstaatlichen Rechtsraum zum Teil unmittelbar hineinwirken.9

Durch die Kompetenzübertragung und die Einräumung einer unmittelbar in den nationalen Rechtsraum einwirkendenden Rechtsetzungsbefugnis, wurde mit der EG eine neue öffentliche Gewalt geschaffen, die gegenüber der Staatsgewalt der einzelnen Mitgliedstaaten selbständig und unabhängig ist. 10
Das Gemeinschaftsrecht ist daher unbestritten als eine eigenständige Rechtsordnung zu betrachten 11, die monistisch in ein Rangverhältnis zum nationalen Recht treten kann.

Ausgangspunkt für die Bestimmung des Verhältnisses von BVerfG und EuGH ist vor diesem Hintergrund das Verhältnis des mitgliedstaatlichen Rechts zum Gemeinschaftsrecht.

Der EuGH hat 1964 in seiner Costa/ ENEL- Entscheidung den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor jeder innerstaatlichen Rechtsnorm festgestellt.12
Als Argumente führte er die Eigenständigkeit des Gemeinschaftsrechts und die Notwendigkeit der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten an. Neuerdings macht der EuGH noch deutlicher, dass er eine verstärkte Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts anstrebt.13
So hat er dem Grunde nach anerkannt, dass europarechtswidrige Mitgliedstaatsurteile einen Haftungsanspruch auslösen.

Das BVerfG differenziert dagegen bei der Beurteilung der Vorrangfrage danach, ob eine Kollision des Gemeinschaftsrechts mit einfachem Gesetzesrecht oder mit Verfassungsrecht vorliegt. Dabei hat es den Anwendungsvorrang gegenüber einfachem Gesetzesrecht uneingeschränkt anerkannt, da nur so die dem Bürger von der Gemeinschaft eingeräumten subjektiven Rechte verwirklicht werden können. 14
Infolge dessen kommt den deutschen Fachgerichten eine Nichtanwendungskompetenz gegenüber gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Gesetzen zu. 15
Bezüglich der Kollision von unmittelbar anwendbarem sekundärem Gemeinschaftsrecht – also „europäischem Verwaltungsrecht“ – mit nationalem Verfassungsrecht unterliege der Anwendungsvorrang jedoch grundgesetzlichen Grenzen.

Seit dem Solange-II-Beschluss aus dem Jahr 1986 ist das BVerfG der Auffassung, dass das Gemeinschaftsrecht nun einen dem GG vergleichbaren Grundrechtsschutz jedenfalls generell vorsieht. 18
Materiellrechtliche Folge dieser Rechtsprechung ist, dass Gemeinschaftsrechtsakte nicht mehr anhand der Grundrechte des GG überprüft, sondern an den Gemeinschaftsgrundrechten gemessen werden sollen. Es ist daher festzustellen, dass dem Gemeinschaftsrecht – dessen einheitliche Anwendung damit gewahrt wird – ein Anwendungsvorrang vor jeder innerstaatlichen Norm zukommt, sofern die Integrationsgrenzen des GG nicht überschritten werden.
Aus der Anerkennung des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts folgen neben der materiellrechtlichen Auswirkung auch nicht unerhebliche verfassungsprozessuale Konsequenzen, die das BVerfG mit dem Begriff Kooperationsverhältnis umschreibt.19
Dabei habe der EuGH den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der EG zu garantieren, so dass das BVerfG sich auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränken könne.20
Der EuGH sei daher auch für den Grundrechtsschutz der Bürger der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Akten der deutschen öffentlichen Gewalt, die aufgrund von Sekundärrecht ergehen, zuständig.21

7 Vgl. Herdegen, Europarecht, § 6 Rn. 8 ff.; Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, § 3 Rn. 115 ff.
8 Dies ist in Deutschland zunächst über die Integrationsklausel des Art. 24 I GG möglich gewesen und seit 1992
bezüglich der Europäischen Union ausdrücklich in Art. 23 GG vorgesehen.
9 So gilt gemäß Art. 249 EGV die Verordnung unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, ohne dass es einer nationalen
Umsetzungsmaßnahme bedarf.
10 BVerfGE 22, 293 (296); 31, 145 (174); EuGHE 1964, 1259 (1269); Herdegen, Europarecht, § 11 Rn. 19.
11 BVerfGE 31, 145 (173 f.).
12 EuGHE 1964, 1259 (1269 f.); diese Rechtsprechung hat der EuGH in seiner Judikatur zur internationalen
Handelsgesellschaft bestätigt, EuGHE 1970, 1125 (1135).
13 Ausführlich zur diesbezüglichen neueren Rechtsprechung Haltern, VerwArch 2005, 311 ff.
14 BVerfGE 31, 145 (173 f.).
15 BVerfGE 31,145 (174 f.).
16 BVerfGE 37, 271 (279); 73, 339 (375 f.).
17 BVerfGE 73, 339 (376).
18 BVerfGE 73, 339 (378 f.); 89, 155 (174 f.); 102, 147 (162 f.), zum Zeitpunkt der Solange-I-Entscheidung
(BVerfGE 37, 271 f.) bestand aus der Sicht des BVerfG auf Gemeinschaftsebene noch kein ausreichender
Grundrechtsschutz, insbesondere hat der EuGH erst 1969 intensiv damit begonnen, die Gemeinschaftsgrund-
rechte als ungeschriebene Rechtsprinzipien zu entwickeln; vgl. Oppermann, Europarecht, 2005, § 6 Rn. 33.
19 BVerfGE 89, 155 (175).
20 BVerfGE 89, 155 (175).
21 BVerfGE 89, 155 (175); 102, 147 (163).



Das Europarecht ist überstaatliches Recht in Europa.
Aufgrund der Bedeutung des ungeschriebenen Primärrechts ist die Rolle des Europäischen Gerichtshofs für die Entwicklung des Europarechts kaum zu überschätzen. Formell gesehen ist er in oberster Instanz zuständig für die Überprüfung von Rechtsakten des Sekundärrechts am Primärrecht und die Überprüfung des Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten am Europarecht (Primär- und Sekundärrecht). Verfahren können insbesondere von den Organen der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten, den Gerichten der Mitgliedstaaten oder Einzelpersonen eingeleitet werden.
Der Europäische Gerichtshof hat sich bei der Erfüllung dieser Aufgabe in vielen Fällen aber nicht auf eine Auslegung des Primärrechts beschränkt, sondern im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einen wesentlichen Beitrag zur Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften geleistet. Als Beispiele mögen die Rechtsprechung zur gemeinschaftlichen Rechtsordnung als Rechtsordnung sui generis (Van Gend & Loos), zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht (Costa/ENEL) und zur Entwicklung gemeinschaftlicher Grundrechte (Stauder) gelten. Diese und andere Fälle üben maßgeblichen Einfluss auf die Eigenart des Europarechts aus. Diese große Bedeutung der Rechtsprechung rechtfertigt es, zumindest in gewissen Bereichen von einer Case-law-Rechtsordnung zu sprechen.
Einige in der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze haben bei späteren Vertragsänderungen Eingang in das kodifizierte Primärrecht gefunden. So wurden etwa die vom Europarecht anerkannten Grundrechte inzwischen in der EU-Grundrechtecharta verschriftlicht und mit dem Vertrag von Lissabon über Art. 6 Abs. 2 EU-Vertrag in das Primärrecht aufgenommen.

Im Hinblick auf die dynamische Entwicklung der EG und der neu geschaffenen Europäischen Union, sowie der Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH), war eine dem Artikel 79 Grundgesetz Rechnung tragende Ermächtigungsgrundlage geboten. So steht das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBL. I 2086) im engem Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrages über die Europäische Union (auch als Vertrag von Maastricht bezeichnet), welcher am 1. November 1993 in Kraft getreten ist.

Seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon wird das Recht der Europäischen Union als Unionsrecht bezeichnet[1][Anm 2] Das Recht der mit der EU institutionell verbundenen, rechtlich aber weiterhin eigenständigen Europäischen Atomgemeinschaft steht jedoch gleichberechtigt neben dem Unionsrecht.
Der Europäische Gerichtshof spricht wegen der funktionellen Ähnlichkeit des Primärrechts mit nationalen Verfassungen auch von der „Verfassungsurkunde der Gemeinschaft“.

Rechtsverbindlichkeit der EU-Grundrechtecharta
Der Schutz der Grundrechte in der Europäischen Union ist durch Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union primärrechtlich verankert. Organe der Union und der Mitgliedstaaten haben in Anwendung des Unionsrechts die sich daraus ergebenden Grundrechte einzuhalten. Die vom ersten Europäischen Konvent erarbeitete Charta der Grundrechte der Europäischen Union kodifiziert erstmals die durch das Unionsrecht gewährten Grundrechte. Das Dokument ist mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon seit 1. Dezember 2009 rechtsverbindlich.

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten enthält einen Katalog von Grundrechten und Menschenrechten (Konvention Nr. 005 des Europarats). Über ihre Umsetzung wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Anwendungsvorrang
Einer höherrangigen Rechtsnorm kommt gegenüber einer niederrangigen Rechtsnorm Anwendungsvorrang zu, wenn sie statt ihr anzuwenden ist. Die Geltung der verdrängten Rechtsnorm bleibt für solche Fälle bestehen, in denen sie nicht mit der höherrangigen Rechtsnorm kollidiert.
Beispiele:

* Unionsrecht vor mitgliedstaatlichem (nationalem) Recht
* Verfassung vor Gesetz
* besondere Vorschrift vor allgemeiner Vorschrift (lex specialis derogat legi generali)

Der Anwendungsvorrang ist vom Geltungsvorrang abzugrenzen.

Zur Zuständigkeit des EuGH
Nach Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) ist der Europäische Gerichtshof ausschließlich zuständig zur Auslegung europäischen Rechtes, nicht aber zur Auslegung des nationalen Rechtes der Mitgliedstaaten.
Der Europäische Gerichtshof entschied, dass eine Vorlage und damit das Verfahren nach Art. 177 EGV (seit dem Vertrag von Amsterdam Art. 234 EGV) zulässig war. Er ging hierbei davon aus, dass der Zweck dieser Regelung im EGV die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und dem Europäischen Gerichtshof sei.
Insbesondere sei es Zweck des Art. 234 (ex-177) EGV eine einheitliche Anwendung europarechtlicher Vorschriften sicherzustellen, unabhängig davon, aus welchen Gründen diese zur Anwendung kämen.

Die beiden wichtigsten Europäischen Gerichte sind der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und der Europäischen Menschenrechtsgerichsthof (EGMR). Die Rechtsprechung des EuGH legt besonderen Wert auf den "effet utile". Bei Unklarheiten bei der Auslegung von EU-Recht ist ausschlaggebend, bei welcher Auslegung das EU-Recht seine größtmögliche Wirksamkeit entfalten kann. Und Widersprüche zwischen EU-Recht und nationalem Recht müssen so aufgelöst werden, dass das EU-Recht weder in Wirkung noch in der Durchsetzung unzulässig beeinträchtigt wird. Auch der Rechtsprechung des EGMR kann man einen "effet utile" nicht absprechen, wenn es darum geht, den Menschenrechten Durchschlagskraft zu verleihen. Europäische Gerichte und ihre Rechtsprechung

Die Quellen des Gemeinschaftsrechts

Haftung der Mitgliedstaaten für fehlerhafte Umsetzung und Anwendung von Gemeinschaftsrecht
Factortame (1990): Vorläufiger Rechtsschutz zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts

Rechtsprechung zur Staatshaftung nach Unionsrecht
1. Leitentscheidung Francovich (1991): gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung der Mitgliedstaaten für die Nichtumsetzung von Richtlinien
2. Leitentscheidung Brasserie du Pêcheur/Factortame (1996): gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung für die Verletzung von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht
• Rechtfertigung der richterrechtl. Einführung der Staatshaftung aus der Aufgabe der Sicherung der "Wahrung des Rechts" nach Art. 164 (heute 220) EGV
• Bestimmung der Haftungsvoraussetzungen analog zu Art. 215 II (heute 288 II) EGV nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind
• insbes. Haftung nur bei hinreichend qualifiziertem Verstoß; dafür Haftung auch ohne Verschulden
• Haftung auch für legislatives Unrecht
• angemessener Umfang der Entschädigung (grds. auch entgangener Gewinn)
3. Weitere wichtige Entscheidungen
a) British Telecommunications (1996): Haftung auch für fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien
b) Dillenkofer (1996): zu den Haftungsvoraussetzungen des hinreichend qualifizierten Verstoßes und der Verleihung subj. Rechte (Verb. Rs. C-178/94 u.a., Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845, Nr. 23 ff)
c) Hedley Lomas (1996): Haftung auch für gemeinschaftsrechtswidrige Verwaltungspraxis (Rs. C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Nr. 28)
d) Köbler (2003): Haftung auch für höchstrichterliche Entscheidungen
• typische Effet-utile-Rspr.
Quelle: DAS RECHT DER EU UND SEINE DURCHSETZUNG IN DEN MITGLIEDSTAATEN

Wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes
Zum Grundsatz der Staatshaftung
aus dem EuGH-Urteil v. 30.09.2003, Rs. C-224/01 - Köbler / Österreich
30. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass der Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, aus dem Wesen des EG-Vertrags folgt (Urteile vom 19. November 1991 in den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 35, Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 31, vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38, vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 24, vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94 und C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20, vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-127/95, Norbrook Laboratories, Slg. 1998, I-1531, Randnr. 106, und Haim, Randnr. 26).

31. Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass dieser Grundsatz für jeden Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht unabhängig davon gilt, welches mitgliedstaatliche Organ durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen hat (Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 32, vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62, und Haim, Randnr. 27).

32. Im Völkerrecht wird der Staat, dessen Haftung wegen Verstoßes gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung ausgelöst wird, als Einheit betrachtet, ohne dass danach unterschieden würde, ob der schadensverursachende Verstoß der Legislative, der Judikative oder der Exekutive zuzurechnen ist. Dasselbe muss erst recht in der Gemeinschaftsrechtsordnung gelten, da alle staatlichen Instanzen einschließlich der Legislative bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die vom Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Normen, die die Situation des Einzelnen unmittelbar regeln, zu beachten haben (Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 34).

33. In Anbetracht der entscheidenden Rolle, die die Judikative beim Schutz der dem Einzelnen aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen zustehenden Rechte spielt, wäre die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der Einzelne unter bestimmten Voraussetzungen dann keine Entschädigung erlangen könnte, wenn seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt werden, der einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats zuzurechnen ist.

34. Hierbei ist von Belang, dass ein letztinstanzliches Gericht definitionsgemäß die letzte Instanz ist, vor der der Einzelne die ihm aufgrund des Gemeinschaftsrechts zustehenden Rechte geltend machen kann. Da eine durch eine rechtskräftige Entscheidung eines solchen Gerichts erfolgte Verletzung dieser Rechte regelmäßig nicht rückgängig gemacht werden kann, darf dem Einzelnen nicht die Befugnis genommen werden, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Wege den gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen.

35. Im Übrigen ist ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, insbesondere deshalb nach Artikel 234 EG zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet, um zu verhindern, dass dem Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehene Rechte verletzt werden.

36. Demnach verlangt der Schutz der Rechte des Einzelnen, der sich auf das Gemeinschaftsrecht beruft, zwingend, dass diesem das Recht zustehen muss, vor einem nationalen Gericht den Ersatz des Schadens zu verlangen, der auf die Verletzung seiner Rechte durch eine Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts zurückzuführen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 35).

37. Einige Regierungen, die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens Erklärungen eingereicht haben, haben geltend gemacht, dass der Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, nicht auf Entscheidungen eines nationalen letztinstanzlichen Gerichts Anwendung finden könne. Sie haben sich u. a. auf den Grundsatz der Rechtssicherheit, insbesondere die Rechtskraft, auf die richterliche Unabhängigkeit und Autorität sowie auf das Fehlen eines für die Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten über die Staatshaftung aufgrund solcher Entscheidungen zuständigen Gerichts berufen.

38. Hierzu ist festzustellen, dass die Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft nicht zu bestreiten ist (Urteil Eco Swiss, Randnr. 46). Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können.

39. Die Anerkennung des Grundsatzes der Staatshaftung für Entscheidungen letztinstanzlicher Gerichte stellt jedoch die Rechtskraft einer solchen Entscheidung nicht in Frage. Ein Verfahren zur Feststellung der Haftung des Staates hat nicht denselben Gegenstand und nicht zwangsläufig dieselben Parteien wie das Verfahren, das zur rechtskräftigen Entscheidung geführt hat. Obsiegt nämlich der Kläger mit einer Haftungsklage gegen den Staat, so erlangt er dessen Verurteilung zum Ersatz des entstandenen Schadens, aber nicht zwangsläufig die Aufhebung der Rechtskraft der Gerichtsentscheidung, die den Schaden verursacht hat. Jedenfalls verlangt der der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnende Grundsatz der Staatshaftung eine solche Entschädigung, nicht aber die Abänderung der schadensbegründenden Gerichtsentscheidung.


Fazit:
Die aus meiner Sicht unionswidrige Schaffung des GlüStV als Staatsmonopol der 16 Bundesländer in Form eines Kartells führt zur Verfassungswidrigkeit, da den Rechtsgrundsätzen und Normen des Gemeinschaftsrechts, insbesonders aus den bereits bekannten Urteilen des EuGH nicht nachgekommen wurde. Auf die Europarechtswidrigkeit hat EU-Kommission mehrfach hingewiesen.
Mit der Annahme eines Falles durch den EuGH wird das Bundesverfassungsgericht nicht mehr tätig da die Wahrung der Grundfreiheiten dann durch den EuGH erfolgt. Die am 8.9.2010 festgestellte Europarechtswidrigkeit beinhaltet gleichzeitig die Verfassungswidrigkeit.
(s. Solange-Beschluß 1986 s. o.)

Der Europäische Gerichtshof: Ein europäisches "Verfassungsgericht"
Fazit: Im Vergleich zu innerstaatlichen Gerichtsbarkeiten nimmt der EuGH Kompetenzen als Verfassungsgericht, Verwaltungsgericht, Zivilgericht, Dienst- Disziplinargericht wahr.

Grundlegendes zur Prüfung des Gemeinschaftsrechtes durch nationale Gerichte. Grundsätzlich genießt das primäre Gemeinschaftsrecht einen Anwendungsvorrang. (pdf-download)

Bereits mit dem Harlauer-Urteil des EuGH, bestätigt durch die Urteile vom 8.9.2010, unterliegt die Bewertung der Kohärenz und Konsistenz nunmehr der Definitionsmacht des EuGH und nicht mehr den unterschiedlichen Vorstellungen der bundesdeutschen Gerichte. Folglich sind bei der Auslegung die vom Gerichtshof entwickelten Maßstäbe der "vollständigen Kohärenz" zugrunde zu legen.

Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationaler Rechtsnormen ergibt sich aus der Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts aus Art. 10 EGV und – wenn es um die Umsetzung von Richtlinien geht – zusätzlich aus Art. 249 III EGV.
Gebunden sind durch dieses Interpretationsgebot alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, also auch Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden.

Die Mitgliedstaaten sind zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet (Art. 10 I EGV) und müssen alle Maßnahmen unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des EGV gefährden könnten (Art. 10 II EGV)

Dienstleistungsfreiheit
Einige Aufsichtsbehörden sind noch immer der Ansicht, dass die europäischen Grundfreiheiten weiter eingeschränkt werden können und widersprechen damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. (s. Rechtsfolgen, Prof. Dr. Koenig in timelaw 4/10; I,2 )
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften reicht es für die Einschlägigkeit der europäischen Grundfreiheit der Dienstleistungs-freiheit aus, dass die Dienstleistung selbst die Grenze überschreitet, ohne dass Leistungserbringer oder -empfänger die Grenze überschreiten; hierbei handelt es sich um eine sogenannte Korrespondenzdienstleistung. Dies wurde unter anderem für Fernseh- und Hörfunksendungen angenommen (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 1974 – Rs. 155/73 - Sacchi –, EuGHE 1974, 409, Rdn. 7 f.). In einem weiteren Urteil vom 10. Mai 1995 (– C-384/93 –Alpine Investments –, EuGHE 1995, I-1141 Rdn. 22) führte der EuGH aus: „Folglich ist …. zu antworten, dass Art. 59 EWG-Vertrag (nun Art. 49 EG-Vertrag) dahin auszulegen ist, dass er Dienstleistungen erfasst, die ein Leistungserbringer potentiellen Leistungsempfängern, die in anderen Mitgliedsstaaten ansässig sind, telefonisch anbietet und die er ohne Ortswechsel von einem Mitgliedsstaat aus erbringt, in dem er ansässig ist." In dem genannten Fall ging es um ein Unternehmen, das mit potentiellen Kapitalanlegern ohne vorherige Anmeldung Kontakt aufnahm, um diese zum Abschluss von Warenterminverträgen zu bewegen. In der rechtlichen Wertung ist kein Unterschied zwischen einer telefonischen Kontaktaufnahme oder einer solchen Möglichkeit mittels Internet zu erkennen, solange die Möglichkeit besteht, von einem anderen Mitgliedsstaat hierauf zuzugreifen. Diesem Ansatz entspricht es, dass der EuGH festgestellt hat, dass Art. 49 EG-Vertrag keine Anwendung findet, wenn die wesentlichen Elemente der fraglichen Betätigung sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedsstaates hinausweisen (EuGH, Urteil vom 18. März 1980 – Rs. 52/79 - Debauve –, EuGHE 1980, 833 Rdn. 9).
Ein grenzüberschreitender Bezug ist demgegenüber grundsätzlich immer dann gegeben, wenn die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit die innergemeinschaftlichen Grenzen überschreitet, überschritten hat oder überschreiten soll (Pache, in: Schulze/Zuleeg, Europarecht, § 10 Rdn. 13 m.w.N.).
Hierfür hat der Europäische Gerichtshof bereits nicht selten Spuren eines grenz-überschreitenden Elements ausreichen lassen (Pache, a.a.O., § 10 Rdn. 15 m.w.N.). Im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit genügt etwa, dass eine nationale Maßnahme in einem hypothetischen Fall Auswirkungen auf den inner-gemein-schaftlichen Handel haben könnte (vgl. Pache, a.a.O., § 10 Rdn. 15 Fn. 39). Für die Dienstleistungs-freiheit mag dies vom Gerichtshof enger beurteilt werden, aber auch hier genügt das Vorhandensein zumindest irgendeines Merkmals einer wirtschaftlich relevanten Betätigung über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinaus, wobei so gut wie jede handelsrechtliche Regelung der Mitgliedstaaten das Potential hat, den Marktzugang zu beschränken und damit den Anwendungsbereich der europa-rechtlichen Grund-freiheiten zu eröffnen (vgl. Pache, a.a.O., § 10 Rdn. 15; s.a. Lach, Umgekehrte Diskriminierung im Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 131 ff., 399 f. [Thesen 22-26]).

Wichtigstes Kriterium für die Feststellung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts ist daneben die Ansässigkeit der an der Dienstleistung Beteiligten in verschiedenen Mitgliedstaaten (Kluth, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, 3. Auflage 2007, Art. 49, 50 EGV Rdn. 8). So hat der Europäische Gerichtshof etwa einen über den nationalen Rahmen hinausweisenden Aspekt schon darin erkannt, dass ein Sportler an einem Wettkampf in einem anderen Mitgliedstaat teilnimmt / teilnehmen will als demjenigen, in dem er wohnt (EuGH, Urteil vom 11. April 2000, C-51/96 u.a. - Deliège –, EuGHE 2000, I-2549 Rdn. 58). Diese Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofes zugrundegelegt, ist auch für den vorliegenden Sachverhalt der Anwendungsbereich des Art. 49 EGV eröffnet. Bereits am 7. Juli 2008 wies das VG Berlin (Az. VG 35 A 108.07) in der vielbeachteten Urteilsbegründung auf Seite 75 ff. auf die Dienstleistungsfreiheit hin. mehr zum VG Berlin

Durch den Gleichheitsgrundsatz sind inländische Anbieter den Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten gleichzustellen. Zum Europarecht betonte der Senat am 8.11.2005 in Karlsruhe, da sich die Berufsfreiheit länderübergreifend auswirke, seien die europarechtlichen Erwägungen bei der zu fällenden Entscheidung mit zu berücksichtigen. Eine andere Beurteilung würde über den "Umweg" des Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) gegen das sogenannte Willkürgebot verstoßen. Quelle Gleiches ergibt sich aus den Gemeinschaftsgrundrechten (vgl. Kapitel III Gleichheit, Art. 20ff Charta der Grundrechte) (vgl. VG Stuttgart Urteil vom 14.02.2011)
Gebot der Inländergleichbehandlung (vgl. Kluth in: Calließ/Ruffert, Art. 50 Rn 36) Die Regelungen müssen unterschiedslos anwendbar sein, d. h. diese gelten in gleicher Weise und mit den gleichen Kriterien für in Deutschland ansässige Wirtschaftsteilnehmer wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten (EuGH-Gambelli Rn. 70; s.u.a. Art. 9 EUV Gleichheit, Unionsbürgerschaft)
Die Reichweite der Grundrechte wird aus der Charta nicht unmittelbar ersichtlich. Diese geht bezüglich der Gewährung von Schutzrechten teilweise über das deutsche Grundgesetz hinaus. Ihre Grenzen ergeben sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, auf die verwiesen wird. Quelle
Schutz der Grundrechte in der EU nach dem Vertrag von Lissabon. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Analysen 8/08 vom 20. Februar 2008. mehr

Da für Deutsche die Möglichkeit besteht an der in Österreich angebotenen öffentlichen Hausverlosung teilzunehmen, ist unzweifelhaft eine Grenzüberschreitung gegeben. Die Bundesdeutschen Behörden bestätigen dies durch ihre Verfügung. Diese Grundrechtseinschränkung der Dienstleistungsfreiheit ist nach den Feststellungen des EuGH nicht erst seit dem 8.9.2010 unzulässig. (vgl. EuGH, Urteil vom 29.04.1999 Az. C-224/97 – Ciola, Urteil vom 24. März 1994 Az. C-275/92 - Schindler; EuGHE 1994, I-1039, Rdn. 39 ff. - Ergebnisse: EuGH-Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit)

Das Bundesverwaltungsgericht (8 C 14.09 und 8 C 15.09) bestätigte mit seinem Beschluss vom 24.11.2010, in Anlehnung an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (Sportwettenurteil) und des EuGH, dass zur Wirksamkeit des GlüStV die Gesamtkohärenz, also eine widerspruchsfreie Gesamtregelung für den gesamten Glücksspielbereich gegeben sein muß.

Es bedurfte einer systematischen und kohärenten Glücksspielpolitik, wie der EuGH sie in der Rechtssache Gambelli eingefordert hat - also eines "Vollmaßes" an Konsistenz bereits für die alte und natürlich auch für die neue/zukünftige Rechtslage. Die Gesamtkohärenz muß zu jeder Zeit gewahrt werden. Eine Abweichung von diesem Rechtsgrundsatz führt zur Willkür und ist unionsrechtswidrig !

mehr zum Gemeinschaftsrecht
Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung

Mehr zur Hausverlosung Berlin

update: 11.08.11

Glücksspiele - Zwei Milliarden Euro für Weihnachtslose ausgeschüttet

Zwei Tage vor Heiligabend hat die spanische Weihnachtslotterie Gewinne im Gesamtwert von 2,3 Milliarden Euro ausgeschüttet. weiterlesen



http://winyourhome.blogspot.com/2010/12/tv-sender-wollen-werbefreiheit-fur.html
http://winyourhome.blogspot.com/2010/09/lotto-keine-genehmigung-fur-eurojackpot.html

Wettmonopol - 3,4 Milliarden Euro stehen auf dem Spiel

Am Glücksspielstaatsvertrag scheiden sich nach wie vor die Geister. Die Ministerpräsidenten der Länder konnte sich auf ihrer Sitzung vor anderthalb Wochen in Berlin nicht auf eine Novellierung einigen und haben sich deshalb erst einmal vertagt.

Fakt ist: der Glücksspielvertrag in Deutschland ist am 8. September vom EuGH als mit dem europäischen Recht nicht vereinbar eingestuft worden. Andere Urteile in dieselbe Richtung folgten.

Die privaten Wettanbieter, ermutigt durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 8. September dieses Jahres, sehen sich darin bestätigt, dass die Einschränkungen auf dem deutschen Wettmarkt nicht mehr der aktuellen Rechtslage entsprechen und das Monopol des Staates überholt ist.

Der staatliche Anbieter Oddset setzt sich hingegen dafür ein, am bestehenden Glücksspielstaatsvertrag festzuhalten. Ein kommerzielles Konzept könne fatale Folgen für den Breitensport haben, wird hier argumentiert.

Umstritten sind jedoch nach wie vor die tatsächlichen Wettumsätze. Laut einer Studie von Goldmedia, die im Oktober 2010 veröffentlicht wurde, wird der Umsatz auf dem deutschen Markt auf insgesamt 7,8 Milliarden Euro taxiert. Für Prof. Dr. Tilman Becker, Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim, sind diese Zahlen eindeutig zu hoch: "Ich komme lediglich auf 3,4 Milliarden Euro." weiterlesen

Interessengruppen streiten über Glücksspielmonopol
Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) sorgt sich um den Standort Deutschland im Bereich des Online-Glückspiels. weiterlesen



Weihnachtsgrüße

Ich wünsche allen Teilnehmern, Freunden und Unterstützern

Fröhliche Weihnachten
und einen guten

Rutsch ins Neue Jahr

Ihr Volker Stiny von winyourhome.de/braincontest.org


Donnerstag, 23. Dezember 2010

Wie beantwortet die rechtswissenschaftliche Lehre die entscheidenden Fragen nach den Urteilen des EuGH vom 8. September 2010?

Eine Auswertung der Aufsätze
von
Streinz/Kruis: "Unionsrechtliche Vorgaben und mitgliedstaatliche Gestaltungsspielräume im Bereich des Glücksspielrechts" (NJW 52/2010, 3745 ff.)
und
Heine: "Glücksspielstaatsvertrag ade? – Zur Bedeutung der jüngsten EuGH-Rechtsprechung" (NJW-aktuell 41/2010, 16 ff.)
durch Dr. Stefan Bolay, Hambach & Hambach Rechtsanwälte

1. Binden die EuGH - Urteile die nationalen Gerichte mit der Folge, dass diese die Unionsrechtswidrigkeit des deutschen Glücksspielmonopols feststellen müssen?

Streinz/Kruis (NJW 2010, 3749):

"Der EuGH hat im Urteil Carmen Media entschieden, dass das durch den GlüStV errichtete staatliche Monopol für Lotterien und Sportwetten nicht den unionsrechtlichen Vorgaben an die kohärente und systematische Ausgestaltung entspricht. Diese Auslegung des Unionsrechts bindet die nationalen Gerichte und Behörden. Allerdings betont der EuGH ausdrücklich, dass die Unvereinbarkeit von den Feststellungen des vorlegenden VG Schleswig abhängt, wonach die deutschen Behörden in Bezug auf andere Arten von Glücksspiel, die nicht dem Monopol unterliegen, aber ein höheres Suchtpotential aufweisen, eine Politik der Angebotserweiterung mit dem Ziel der Einnahmenmaximierung betreiben. Dies entspricht der Arbeitsteilung zwischen EuGH und nationalen Gerichten im Verfahren nach Art. 267 AEUV, wonach ersterer das Unionsrecht auslegt, während die Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts den letzteren obliegt (EuGH, NVwZ 2010, 1409 Rdnr. 62 – Stoß u.a.m.w. Nachw.). Theoretisch scheint daher ein Abweichen von der verbindlichen Entscheidung des EuGH möglich, soweit ein nationales Gericht in Bezug auf den Sachverhalt andere Feststellung trifft. Praktisch dürfte dies aber daran scheitern dass sich diese Feststellung maßgeblich auf die Lockerung der rechtlichen Bedingungen für den Betrieb von Automatenspielen stützt; dabei handelt es sich um ein leicht nachprüfbares Faktum, das keiner entgegen gesetzten Feststellung zugänglich sein dürfte."

Heine (NJW-aktuell 41/2010, 16 u. 18):

"Im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV (ex-Art. 234 EGV) entscheidet der EuGH weder über die Gültigkeit oder die Auslegung mitgliedstaatlicher Rechtsnormen, noch stellt er deren Vereinbarkeit mit Unionsrecht fest (vgl. nur B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 3. Auf., § 6 Rdnr. 11).Vielmehr gibt er (nur) 'Hinweise' auf der Grundlage des Sachverhalts, wie ihn die Gerichte vorgelegt haben, um diesen eine Auslegung des nationalen Rechts ohne Verstoß gegen Unionsrecht zu ermöglichen. Ein Verstoß führt dabei wegen des Vorrangs des Unionsrechts zwingend zur Nichtanwendbarkeit des nationalen Rechts. Diese Hinweise des EuGH sind bindend für Behörden, Gerichte und den Gesetzgeber. Die Hinweise in den Urteilen vom 8. 9. 2010 haben es in sich! (…)
Die Unionsrechtkonformität bemisst sich nach einer Gesamt-Kohärenz der Glücksspielpolitik in toto (Stoss Rdnr.83, CM Rdnrn.45, 68). Daher ist es auch bedeutungslos, dass das BVerfG den GlüStV als einen Teil dieser Glücksspielpolitik für verfassungsgemäß erklärt hat (NJW 2009, 139). Bei diesem Gesamtpaket des Glücksspielregimes liegt der (deutsche) Hase im (europäischen) Pfeffer. Nach dem unterbreiteten Sachverhalt sind es vor allem zwei Gründe, welche das unionsrechtliche Erfordernis der Kohärenz und Systematik der Begrenzungen der Grundfreiheiten bei einer Gesamtschau nicht erfüllen: 1. die intensiven Werbekampagnen der Inhaber der staatlichen Monopole zur Gewinnmaximierung (Stoss Rdnr. 100); 2. die Politik der Angebotsausweitung bei den liberalisierten Glücksspielen (zusätzliche Spielbanken, Lockerungen in der SpielV; vgl. CM Rdnr. 67). (…)
Dieser Punkt 1 der Rügen des EuGH ist gewiss unterschiedlichen Einschätzungen zugänglich, nicht aber Punkt 2: die gesetzlichen Lockerungen im Bereich der Automaten und Kasinos."

Zusammenfassende und abschließende Antwort:

Ja.
Zwar haben die Entscheidungen des EuGH grundsätzlich keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung mit der Folge, dass alle nationalen Gerichte zwingend die Unionsrechtswidrigkeit des deutschen Glücksspielmonopols feststellen müssen.
Jedoch führen sie in concreto zu einer faktischen Bindungswirkung, da der von den vorlegenden Gerichten vorgetragene Sachverhalt bezüglich der Lockerung der gewerberechtlichen Regelungen zu Geldspielgeräten und der Erhöhung der Anzahl der Spielbanken unwiderlegbar richtig ist. Daher kann ein nationales Gericht faktisch nicht zu einem anderen Ergebnis als der Unionsrechtswidrigkeit des deutschen Glücksspielmonopols gelangen kann.

2. Bleiben die §§ 1 ff GlüStV und die §§ 284 ff StGB trotz der Unionsrechtswidrigkeit des deutschen Glücksspielmonopols (teilweise) anwendbar?

Streinz/Kruis (NJW 2010, 3749 f.):

"Damit stellt sich nun die Frage, welche Normen des GlüStV von der Unanwendbarkeit betroffen sind. Da Art. 4 I GlüStV nur allgemein eine Erlaubnispflicht enthält und sich das staatliche Monopol erst aus Art. 10 II und V GlüStV, die diese Erlaubnis den von den Ländern kontrollierten juristischen Personen vorbehalten, ergibt, könnte man zu dem Ergebnis kommen, nur die Art. 10 II, V GlüStV seien unanwendbar, so dass private Wettanbieter eine Erlaubnis nach Art. 4 I GlüStV beantragen könnten. Dagegen spricht jedoch, dass der Gesetzgeber bisher private Veranstalter insgesamt vom Markt für Sportwetten und Lotterien ausschließen wollte. Hinzu kommt, dass die Unionsrechtswidrigkeit nicht dazu führt, dass der Gesetzgeber nun den Markt zwingend für private Wettbewerber öffnen muss. Es bleibt ihm weiterhin unbenommen, ein an den Vorgaben des Unionsrechts orientiertes staatliches Monopol zu errichten, auch wenn dies aufgrund der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern schwierig werden dürfte. Eine Anwendung von Art. 4 I GlüStV mit der Folge der Öffnung des Marktes für private Wirtschaftsteilnehmer dürfte deshalb seinem Willen nicht entsprechen. Demnach ist auch Art. 4 I GlüstV unanwendbar mit der Folge, dass bis zu einer unionsrechtskonformen Neuregelung keine Erlaubnispflicht besteht. Ebenfalls unanwendbar ist § 9 GlüStV als Rechtsgrundlage für Untersagungsverfügungen, da an das Fehlen einer Erlaubnis, die in unionsrechtswidriger Weise nicht erlangt werden konnte, keine Sanktionen geknüpft werden können, zumal derzeit wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts keine Erlaubnispflicht besteht. Dies darf auch nicht durch eine Heranziehung der subsidiären Vorschriften des Landesstrafrechts (z.B. Art. 7 II BayLStVG i.V.m. § 284 StGB) umgangen werden.
Nicht ganz so eindeutig kann die Frage der Unanwendbarkeit des Internetverbots nach § 4 IV GlüStV beantwortet werden. Zwar ist ein Verbot dieses Vertriebskanals für Glücksspiel wegen der damit verbundenen besonderen Gefahren grundsätzlich gerechtfertigt. Dass Fehlen einer kohärenten Gesamtkonzeption zur Bekämpfung der Spielsucht dürfte jedoch auch auf dieses Verbot mit der Folge der Unanwendbarkeit durchschlagen.
An die Stelle des GlüStV tritt insoweit die GewO mit dem Grundsatz der Gewerbefreiheit § 1 I. Da die §§ 33 c bis 33 g gem. § 33 h GewO auf Glücksspiele nicht anwendbar sind, trifft private Wirtschaftsteilnehmer bis zu einer unionsrechtskonformen Neuregelung nur die Anzeigepflicht nach § 14 GewO."

Heine (NJW-aktuell 41/2010, 18):

"Im Hinblick auf die Strafverfolgung sind die Behörden derzeit gut beraten, die einschlägigen Strafverfahren nach § 170 II StPO einzustellen. Zwar findet sich in der Praxis immer wieder die Einschätzung, eine Unionswidrigkeit des verwaltungsrechtlichen Regelungen des Glücksspiel sei wegen der grundlegenden Wertentscheidung des Gesetzgebers (repressives Verbot) für die §§ 284 StGB bedeutungslos. Ganz ungeachtet der Frage, ob sich diese Werteinschätzung (generelle Unerwünschtheit und nur ausnahmsweise Zulassung) beim derzeitigen Stand der Dinge halten lässt, so ist jedenfalls eine funktionale Separierung von unionsrechtswidrigem verwaltungsrechtlichen Verbot und unionskonformem Straftatbestand schlicht ein Verstoß gegen das Unionsrecht (EuGH, NJW 2004,140 – Gambelli)."

Zusammenfassende und abschließende Antwort:

Nein.
Die Unionsrechtswidrigkeit führt zur Unanwendbarkeit der §§ 1 ff GlüStV mit der Folge, dass auch die verwaltungsakzessorischen §§ 284 ff StGB unanwendbar sein müssen.
Mit Blick auf den GlüStV kann aus teleologischen und systematischen Gründen nicht allein die monopolbegründende Regelung des § 10 GlüStV unanwendbar sein, sondern muss das gesamte Regelungssystem, einschließlich des Internetverbots in § 4 Abs. 4 GlüStV unanwendbar sein.
Im Übrigen fehlt es auch und gerade beim Internetverbot an einer "kohärenten Gesamtkonzeption" (Streinz/Kruis) bzw. an einer "Gesamtkohärenz" (Heine), da das deutsche Internetverbot Onlinepferdewetten (vgl. etwa: http://www.wettstar.de) und Online-Geldspielgeräte (vgl. etwa: http://www.7play.de) überhaupt nicht umfasst und zudem durch staatliche Angebote wie Lotto per E-Brief in Hessen (vgl.: https://service.deutschepost.de/epost/faq/was-ist-der-dienst-lotto-e-postbrief) ausgehöhlt wird.

3. Machen sich Glücksspielaufsichtsbehörden schadensersatzpflichtig, wenn sie nach dem 8.9.2010 Untersagungsverfügungen auf Grundlage des GlüStV erlassen?

Streinz/Kruis (NJW 2010, 3750):

Ein Staatshaftungsanspruch wegen des Vollzugs einer unionsrechtswidrigen Norm (…) setzt (…) einen hinreichend qualifizierten Verstoß voraus (Dazu Berg, in: Schwarze, (Hrsg.), EU-Kommentar, (o Fußn.63), Art. 288 EGV Rdnrn. 82 ff). Da die Frage der Vereinbarkeit des deutschen Monopols mit den unionsrechtlichen Vorgaben bis zu dem Urteil des EuGH vom 8. 9. 2010 stark umstritten war und sogar die Mehrheit der deutschen Gerichte wohl von einer Vereinbarkeit ausging, wird es bis zu diesem Urteil an einem hinreichend qualifizierten Verstoß fehlen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Kommission bereits am 31. 8. 2010 ein Vertragsverletzungsverfahren eröffnete, da sich daraus (noch) nicht eindeutig die Unionsrechtswidrigkeit ergibt. Sollten nach dem 8. 9. 2010 allerdings Behörden gestützt auf die Vorschriften des GlüStV gegen private Wettanbieter vorgehen, so liegt aufgrund des Urteils Carmen Media ein hinreichend qualifizierter Verstoß vor, der zum Schadensersatz berechtigt, so weit die übrigen Voraussetzungen vorliegen (Schaden und Kausalität) (Vgl. EuGH, Slg. 1996, I-1029 = NJW 1996, 1267, Rdnr. 57 Brasserie du pêcheur)."

Zusammenfassende und abschließende Antwort:

Ein schlichtes aber bedeutsames "Ja".

Quelle:
Hambach & Hambach Rechtsanwälte
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Aufgrund der Rechtswidrigkeit des Monopols seien auch die Erlaubnisregelungen nicht im Strafrecht anwendbar. So stellte das

VG Stuttgart auf Seite 13 des Urteils fest:
"Andernfalls würde über den Weg des Strafrechts ermöglicht, eine unionsrechtswidrig in Grundrechte (Art. 12 GG) und Grundfreiheiten (Art. 49 bzw. 56 AEUV) eingreifende Monopolstruktur vorläufig aufrechtzerhalten"

s.u.a. Prof. Bernd Hecker - Europäisches Strafrecht S. 330 ff







Das Verwaltungsgericht Stuttgart entscheidet, dass Untersagungen nicht auf den Erlaubnisvorbehalt gestützt werden können

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat in den dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorgelegten Hauptsacheverfahren (Az. 4 K 3645/10 u.a.) nunmehr die Urteile mit den Entscheidungsgründen zugestellt. Das Gericht begründet ausführlich, dass die Untersagungsverfügungen gegen private Sportwettenanbieter weder auf die Regelungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV, noch auf die Regelungen zum Erlaubnisvorbehalt und schließlich auch nicht auf § 284 StGB in Verbindung mit den polizeilichen Ordnungsvorschriften gestützt werden können.

Da § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV auf dem Glücksspielmonopol basiert, liegt ein Verstoß gegen Art. 49 bzw. 56 AEUV vor. Diese folge aus dem Vorrang des Unionsrechts. Denn ein Monopol im Bereich der Sportwetten sei nur zulässig, wenn eine hinreichend kohärente Ausgestaltung möglich ist. "Fehlt es hieran, so sind sowohl die inhaltlichen Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags, soweit sie Monopolisierungen betreffen bzw. voraussetzen (insbesondere § 4 GlüStV; "Regelung zum Erlaubnisvorbehalt" - Anmerkung des Autors), als auch die begleitenden im Vertrag enthaltenen behördlichen Handlungsermächtigungen (wie § 9 GlüStV) mit Unionsrecht unvereinbar. An einer solchen kohärenten Ausgestaltung fehlt es auch zum heutigen Zeitpunkt" (S. 6 des Urteils).

Eine Untersagungsverfügung kann demnach auch nicht auf eine nach dem deutschen Recht erforderliche aber fehlende Genehmigung gestützt werden.

Die anderslautende Ansicht des beklagten Landes Baden-Württemberg, der Europäische Gerichtshof sei auch für den Fall einer Unionsrechtswidrigkeit des Monopols von einem geltenden Erlaubnisvorbehalt ausgegangen, treffe nicht zu.

"Vielmehr hat der Europäische Gerichtshof im dortigen Urteil (Rechtssache C 46(08, Carmen Media, GewArch 2010, 448 = ZfWG 2010, 344), Ausführungen zur Erlaubnispflicht auf der Basis einer vom Ausgangsgericht hilfsweise für den Fall der Europarechtswidrigkeit des Monopols gestellten Vorlagefrage gemacht." (S. 11 des Urteils).

Lassen somit die nationalen Regelungen eine Lizenzierung für Private im Bereich der Sportwetten nicht zu, kann der Erlaubnisvorbehalt nicht zum Tragen kommen. Auch können diese Erlaubnisanforderungen nicht aus dem um die unionsrechtswidrigen Teile "bereinigten" Glücksspielstaatsvertrages gewonnen werden. Denn dann sei eine (normative) Ergänzung des verbliebenen Regelungstorsos erforderlich (vgl. S. 12 des Urteil).

Abschließend unterstreicht das Gericht noch mal die fehlende Strafbarkeit nach § 284 StGB.

Denn aufgrund der Rechtswidrigkeit des Monopols seien auch die Erlaubnisregelungen nicht im Strafrecht anwendbar. "Andernfalls würde über den Weg des Strafrechts ermöglicht, eine unionsrechtswidrig in Grundrechte (Art. 12 GG) und Grundfreiheiten (Art. 49 bzw. 56 AEUV) eingreifende Monopolstruktur vorläufig aufrechtzuerhalten" (S. 13 des Urteils).
Quelle:
KARTAL Rechtsanwälte
Rechtsanwalt Jusuf Kartal
Friedenstr. 36 (Ecke Jöllenbecker Str.)
D - 33602 Bielefeld

VG Stuttgart: Klagen wegen Untersagung der Vermittlung von Sportwetten erfolgreich - staatliches Sportwettenmonopol ist europarechtswidrig

Datum: 17.12.2010
Kurzbeschreibung: PRESSEMITTEILUNG vom 17.12.2010
Die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart hat aufgrund mündlicher Verhandlungen vom 16. Dezember 2010 in drei Fällen Klagen Privater gegen das vom Regierungspräsidium Karlsruhe vertretene Land Baden-Württemberg wegen Untersagung der Vermittlung von Sportwetten stattgegeben und die Untersagungsverfügungen aufgehoben (Az.: Az.: 4 K 3576/10, 4 K 3645/10 und 4 K 3646/10, s. auch Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts vom 10.12.2010).

Die Untersagungsverfügungen waren im Wesentlichen darauf gestützt, dass nach dem Lotteriestaatsvertrag, aber auch nach dem nunmehr seit 01.01.2008 geltenden Glücksspielstaatsvertrag es allein den staatlichen bzw. staatlich beherrschten Lotterieverwaltungen der Bundesländer gestattet sei, Sportwetten zu veranstalten; zur Vermittlung seien ausschließlich die zugelassenen Annahmestellen befugt, nicht aber Private.

Die 4. Kammer ist dieser Auffassung - nach Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs - nicht gefolgt, sondern hat die Untersagungsverfügungen für unvereinbar mit dem Vorrang des Europäischen Unionsrechts angesehen (Verstoß gegen die Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit).
Nach dessen Vorgaben seien zwar staatliche Monopole im Bereich der Sportwetten zum Schutz vor Suchtgefahren grundsätzlich möglich, allerdings nur bei hinreichend kohärentem staatlichen Verhalten im Bereich der Glücksspiele insgesamt.
An einer solchen Kohärenz fehle es schon deshalb, weil der unter dem Aspekt der Suchtgefahren besonders bedeutsame Bereich der Automatenspiele nicht von dem Monopol erfasst werde und zudem durch Änderungen in der Spielverordnung mit der Folge eines erheblichen Anwachsens dieses Sektors ausgeweitet worden sei.

Im Hinblick auf die Abweichung von einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, das allerdings noch vor der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs datiert, wurde jeweils die Berufung zugelassen.
Die Berufung an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils eingelegt werden.

Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 17.12.2010

Samstag, 18. Dezember 2010

Das Verwaltungsgericht Stuttgart

hat in den Hauptsachen über die dem EuGH vorgelegten Vorabentscheidungsverfahren zugunsten der privaten Sportwettenvermittler entschieden

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat in einem von der Bielefelder Kanzlei KARTAL Rechtsanwälte geführten Sportwettenverfahren, Az. 4 K 3645/10, welches das Verwaltungsgericht dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte, zugunsten des privaten Sportwettenvermittlers entschieden. Nachdem am 16. Dezember 2010 in allen Vorabentscheidungsverfahren des Verwaltungsgerichts die mündliche Verhandlung in den Hauptsachen stattgefunden hatte, wurden heute die Urteil verkündet. In allen Verfahren hat das Verwaltungsgericht die Untersagungsverfügungen des Regierungspräsidiums Karlsruhe aufgehoben.

Die Richter stellen bereits in der Anlage 2 zum Verkündungsprotokoll vom 17. Dezember 2010 klar, dass die Untersagungsverfügungen als Dauerverwaltungsakte weder auf den Lotteriestaatsvertrag, noch auf den Glücksspielsstaatsvertrags gestützt werden können.
Das in diesem konstituierte staatliche Sportwettenmonopol sei unvereinbar mit dem Vorrang des Europäischen Unionsrechts. Denn es mangele an einem hinreichend kohärenten staatlichen Verhalten im Bereich der Glücksspiele insgesamt.
Wörtlich heißt es weiter: "An einer solchen Kohärenz fehle es schon deshalb, weil der unter dem Aspekt der Suchtgefahren besonders bedeutsame Bereich der Automatenspiele nicht von dem Monopol erfasst werde und zudem durch Änderungen in der Spielverordnung mit der Folge eines erheblichen Anwachsens dieses Sektors ausgeweitet worden sei."

Die ausführliche schriftliche Begründung des Urteils wird in den nächsten Wochen erfolgen.
Kontakt:
KARTAL Rechtsanwälte
Rechtsanwalt Jusuf Kartal
Friedenstr. 36 (Ecke Jöllenbecker Str.)
D - 33602 Bielefeld



Klagen wegen Untersagung der Vermittlung von Sportwetten - mündliche Verhandlungen-
Datum: 10.12.2010

Kurzbeschreibung: PRESSEMITTEILUNG vom 10.12.2010

Am Donnerstag, den 16. Dezember 2010, ab 10.00 Uhr
verhandelt die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Gerichtsgebäude in Stuttgart, Augustenstraße 5, Sitzungssaal 2, über drei Klagen gegen das vom Regierungspräsidium Karlsruhe vertretene Land Baden-Württemberg wegen Untersagung der Vermittlung von Sportwetten. Diese Klageverfahren können als Pilotverfahren bezeichnet werden. Über 440 weitere Klagen in Sachen Sportwetten sind bei der 4. Kammer des Verwaltungsgerichts derzeit anhängig.

Einer der Kläger hat Räumlichkeiten an eine Firma untervermietet, in denen Sportwetten an eine weitere Firma nach Gibraltar vermittelt werden. Die beiden anderen Kläger vermitteln Sportwetten an Firmen in Österreich bzw. auf Malta. In den Jahren 2006 bzw. 2007 untersagte das Regierungspräsidium Karlsruhe den Klägern für den Bereich des Landes Baden-Württemberg jegliche Art des Veranstaltens und die Vermittlung von Sportwetten sowie die Werbung hierfür und die Unterstützung solcher Tätigkeiten. Als Ermächtigungsgrundlage wurde der damals gültige Lotteriestaatsvertrag und das hierzu ergangene Ausführungsgesetz des Landes Baden-Württemberg angeführt. Hiergegen erhoben die Kläger Klagen zum Verwaltungsgericht.

Nach dem Lotteriestaatsvertrag, aber auch nach dem nunmehr seit 01.01.2008 geltenden Glücksspielstaatsvertrag ist es allein den staatlichen bzw. staatlich beherrschten Lotterieverwaltungen der Bundesländer gestattet, Sportwetten zu veranstalten; zur Vermittlung sind ausschließlich die zugelassenen Annahmestellen befugt. Darüber hinaus dürfen Sportwetten weder veranstaltet noch an in- oder ausländische Anbieter vermittelt werden, auch nicht über das Internet.

Die 4. Kammer hatte die drei Klageverfahren ausgesetzt und dem Gericht der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) mehrere Fragen betreffend die gemeinschaftsrechtlich garantierte Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit zur Vorabentscheidung vorgelegt. Nach dem daraufhin ergangenen Urteil vom 08.09.2010 hat der EuGH im Grundsatz ein staatliches Sportwettenmonopol für gemeinschaftsrechtlich zulässig erachtet, allerdings die Anforderungen an seine Rechtfertigung durch Kohärenzanforderungen im Verhältnis zu anderen Glücksspielen präzisiert.

Nach Ansicht der Kläger verstoßen die Untersagungsverfügungen gegen den Anwendungsvorrang des Europarechts. Sie sehen sich durch das Urteil des EuGH in ihrer Rechtsposition gestärkt.

Die Verhandlungen (Az.: 4 K 3576/10, 4 K 3645/10 und 4 K 3646/10) sind öffentlich.
Quelle: Pressemitteilung des VG Stuttgart vom 10.12.2010

Lotto weiter auf Talfahrt
Zahlreiche Verwaltungsgerichte haben daher zentrale Regelungen des GlüStV außer Kraft gesetzt. Für die Länder besteht nun dringender Handlungsbedarf. Für eine Neuregelung hat der EuGH unmissverständlich klargestellt: Wenn ein Monopol mit der Suchtprävention begründet wird, dann müssen alle Glücksspiele im Verhältnis zu ihren Suchtgefahren reguliert werden. Zwingende Folge wäre die Verstaatlichung der Spielhallen, Pferdewetten und privaten Spielbanken, die deutlich gefährlicher, jedoch erheblich liberaler reguliert sind als Lotterien, bei denen faktisch keine Spielsuchtgefahren bestehen - das ist unrealistisch und politisch nicht durchsetzbar. Quelle: Deutscher Lottoverband vom 14.12.2010

Egelsbach - Hauptstadt der Glücksritter
Auf 83,1 Egelsbacher kommt ein Daddel-Automat. weiterlesen

Angriff auf das Lächeln des Sonnenkönigs
Länder überdenken Glücksspielpolitik
Bei einem Umsatz von eineinhalb Milliarden Euro, die er vor allem mit Glücksspielautomaten macht, hat er Grund zum Lachen. weiterlesen

Weil die Politik nicht stimmig ist

Stuttgart - Die Berufs- und die ehrenamtlichen Richter der Vierten Kammer am Verwaltungsgericht Stuttgart haben in den nächsten Wochen ein klar umrissenes, aber auch monotones Arbeitsprogramm: Mehr als 440 Klagen von privaten Sportwettenvermittlern haben sich aufgestaut.
Nach der Wegweisung des Gerichtes der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) in Luxemburg können diese offenen Rechtsfälle jetzt abgearbeitet werden.
Drei Fälle hat die Kammer am Donnerstag mündlich verhandelt. Die Urteile ergehen am Freitag.

In diesem Konflikt holten sich die Stuttgarter Richter Rat beim Europäischen Gerichtshof: Kann es ein staatliches Monopol in einem ansonsten liberalisierten Umfeld geben?

Die Antwort des EuGH vom 8. September erregte tatsächlich Aufsehen. Die Luxemburger Richter stellten das deutsche Wettmonopol dabei nicht grundsätzlich infrage.

Es könne durchaus sein, dass so hehre Ziele wie die Vermeidung von Spielsucht sich nur auf einem derart ordnungspolitisch rigiden Weg erreichen ließen.
In der Praxis aber handle Deutschland gar nicht nach diesen Vorsätzen, mit denen es das staatliche Monopol rechtfertigt.
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Donnerstag, 16. Dezember 2010

BGH konkretisiert Werbebeschränkungen für Lotterien

Lottogesellschaften ist es nicht generell verboten, hohe Gewinne bei Jackpotausspielungen anzukündigen. Das hat der u. a. für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschieden.

Der beklagte Freistaat veranstaltet in Bayern u. a. die Lotterie LOTTO - 6 aus 49. Die Klägerin, die Glücksspielangebote vermittelt, hält es für eine nach dem Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) unzulässige Werbung, dass der Beklagte Jackpotausspielungen mit einem Wert von mehr als 10 Mio. € ankündigt. Außerdem wendet sich die Klägerin dagegen, dass der Beklagte ein Kundenmagazin mit dem Titel "Spiel mit" verbreitet.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat diese Entscheidung bestätigt, soweit sich die Klägerin allgemein gegen die Ankündigung von Jackpotausspielungen über 10 Mio. € und den Titel des Kundenmagazins "Spiel mit" wendet. Es hat dem Beklagten aber verboten, für Jackpotausspielungen in der Weise zu werben, dass Höchstgewinne von 26 oder 29 Mio. € hervorgehoben unter Abbildung jubelnder Menschen angekündigt werden.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass nicht jede Ankündigung einer Jackpotausspielung mit einem möglichen Höchstgewinn über 10 Mio. € unzulässig ist. Nach § 5 Abs. 1 GlüStV hat sich Werbung für öffentliches Glücksspiel "zur Vermeidung eines Aufforderungscharakters bei Wahrung des Ziels, legale Glücksspielmöglichkeiten anzubieten, auf eine Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel zu beschränken". Da es sich bei der Jackpotlotterie um ein legales Glücksspiel handelt, ist danach die sachliche Information über Art und Höhe der ausgelobten Preise erlaubt. Zudem muss die Information über den Höchstgewinn nach den Richtlinien im Anhang des Glücksspielstaatsvertrags mit einer Aufklärung über die Wahrscheinlichkeit von Gewinn und Verlust verbunden werden. Dadurch wird die Anlockwirkung des Höchstgewinns begrenzt.

Eine Frage des Einzelfalls ist es, ob sich die konkrete Gestaltung der Ankündigung einer Jackpotausspielung in den zulässigen Grenzen hält. Insoweit hatte das Oberlandesgericht zu Recht die konkrete Werbung des Beklagten verboten, in der Höchstgewinne von 26 oder 29 Mio. € im Schriftbild hervorgehoben, verbunden mit der Abbildung jubelnder Menschen angekündigt werden.

Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist der von dem Beklagten für sein Kundenmagazin verwendete Titel unzulässig. Der Imperativ "Spiel mit" enthält eine Aufforderung zur Spielteilnahme.

Urteil vom 16. Dezember 2010 - I ZR 149/08 - "Spiel mit"
OLG München -Urteil vom 31. Juli 2008 - 29 U 3580/07
OLGR München 2009, 19
LG München I - Urteil vom 29. März 2007 - 4 HK O 18116/06

Karlsruhe, den 16. Dezember 2010
Quelle:
Pressemitteilung Nr. 240/10 des Bundesgerichtshofs vom 16.12.2010


BGH: Kundenmagazin der deutschen Lottogesellschaft darf nicht mit dem Slogan "Spiel Mit" werben

BGH - Urteil vom 16.12.2010
UWG § 4 Nr. 11; GlüStV § 5

Leitsätze des BGH
a) Nach § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV ist es staatlichen Lottogesellschaften nicht allgemein verboten, mögliche Höchstgewinne von über 10 Millionen € (hier: Jackpotausspielung) anzukündigen, sofern die Ankündigung in ihrer konkreten Gestaltung eine sachliche Information darstellt.
b) Ein Kundenmagazin einer Lottogesellschaft, dessen Titel imperativ zur Spielteilnahme auffordert (hier: Spiel mit), stellt eine nach § 5 Abs. 1 GlüStV unzulässige Werbung dar.
BGH, Urteil vom 16. Dezember 2010 - I ZR 149/08
OLG München
LG München I

Zum Volltext der Entscheidung I ZR 149/08




BGH prüft Zulässigkeit von Lotto-Werbung zu Jackpot-Höhe

Der Bundesgerichtshof (BGH) prüft im Fall des Lotto-Blocks in Bayern, ob die Werbung zu Jackpot-Gewinnen womöglich die Spielsucht fördert und Gewinne ab zehn Millionen Euro deshalb womöglich nur sehr zurückhaltend beworben werden dürfen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) prüft im Fall des Lotto-Blocks in Bayern, ob die Werbung zu Jackpot-Gewinnen womöglich die Spielsucht fördert und Gewinne ab zehn Millionen Euro deshalb womöglich nur sehr zurückhaltend beworben werden dürfen. Bei der mündlichen Verhandlung am Donnerstag verwies die klagende private Lotto Team GmbH auf den Zusammenhang zwischen der jeweiligen Höhe des Jackpots und rasant steigenden Spielerzahlen. Die Lotto-Gesellschaft in Bayern habe 2008 zudem Jackpots mit den Slogans "Spiel mit" und "Täglich spielen, täglich gewinnen" beworben. Dies sei eine unzulässige Aufforderung zum Glückspiel.
Das Urteil ist für alle staatlichen Lottogesellschaften von Bedeutung, da deren Monopol nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts womöglich kippen könnte. Beide Gerichte hatten unter anderem die massive Werbung der staatlichen Lottobetreiber kritisiert. Sie sei nicht vereinbar mit deren Behauptung, nur ein staatliches Monopol gewährleiste die Bekämpfung der Spielsucht. weiterlesen

BGH prüft Zulässigkeit von Lotto-Werbung zu Jackpot-Höhe
Der Bundesgerichtshof (BGH) prüft im Fall des Lotto-Blocks in Bayern, ob die Werbung zu Jackpot-Gewinnen womöglich die Spielsucht fördert und Gewinne ab zehn Millionen Euro deshalb womöglich nur sehr zurückhaltend beworben werden dürfen. weiterlesen

BGH beschränkt Lotto-Werbung zu Jackpot-Höhe
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat Werbebeschränkungen für Jackpot-Gewinne staatlicher Lotterien konkretisiert.
Demnach dürfen Lottogesellschaften hohe Gewinne ankündigen und darüber sachlich informieren, entschied das Gericht in einem Urteil am Donnerstag. Allerdings muss die Information über den Höchstgewinn mit einer Aufklärung über die Gewinnchancen verbunden werden. Abbildungen jubelnder Menschen in der Werbung oder Slogans mit der Aufforderung "Spiel mit", wie sie von der bayerischen Lottogesellschaft verwendet wurden, erklärte das Gericht auf die Klage eines privaten Spieleanbieters für unzulässig. (AZ: I ZR 149/08) Quelle

BGH: Werbung für Lotto beschränkt - Einfach mal ausgejubelt
Sachlich ja, aber mehr auch nicht: Der Bundesgerichtshof hat die Möglichkeiten der Werbung für Jackpot-Gewinne staatlicher Lotterien eingegrenzt.
Damit unterlag die bayerische Lottogesellschaft einem privaten Spieleanbieter, der die Werbung der staatlichen Lotterie mit Blick auf die Regelungen des Glückspiel-Staatsvertrag angegriffen hatte. Dem Vertrag zufolge dürfen die Lotto-Gesellschaften in ihrer Werbung nicht zum Glückspiel "auffordern, anreizen oder ermuntern". Die Werbung muss sich vielmehr auf "Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel zu beschränken."
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BGH - Lottogesellschaften dürfen auch hohe Gewinne bei Jackpotausspielungen ankündigen
Der I. Zivilsenat des BGH hat entschieden, dass nicht jede Ankündigung einer Jackpotausspielung mit einem möglichen Höchstgewinn von über 10 Mio. Euro gegen den Glücksspielstaatsvertrag verstößt. Damit gab er dem beklagten bayerischen Freistaat dem Grunde nach Recht. Die konkrete Werbung für die veranstaltete Lotterie LOTTO hielt der Senat aber für ebenso unzulässig wie den Zeitschriften-Titel "Spiel mit!"

In der angegriffenen Werbung hob der beklagte Freistaat Höchstgewinne von 26 oder 29 Millionen Euro im Schriftbild hervor, verbunden war dies mit einer Abbildung jubelnder Menschen.


Das hielten die Bundesrichter in dieser konkreten Form für einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 des Glücksspielstaatsvertrags, stellten aber klar, dass es keineswegs per se unzulässig ist, sachlich über Art und Höhe der ausgelobten Preise einer Jackpotlotterie als legalem Glücksspiel zu informieren, auch wenn diese bei über 10 Millionen liegen (Urt. v. 16.12.2010, Az. I ZR 149/08 - "Spiel mit").

Für nicht zulässig hielt der I. Senat auch den Titel "Spielmit" des Kundenmagazins, das der Beklagte ebenfalls verbreitete. Denn der Imperativ "Spiel mit" enthalte eine Aufforderung zur Spielteilnahme. Quelle

Mit den Urteilen des BGH wurde erneut die Inkohärenz der Glücksspielpolitik insgesamt, also die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Regelung und die Inkonsistenz, also die fehlende Rechtstreue der Monopolbetriebe und damit die Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit des GlüStV festgestellt.


Urteil vom 16. Dezember 2010 - I ZR 149/08 - "Spiel mit"