Sonntag, 30. Juli 2017

Schlussanträge in d Rs. Global Starnet Ltd - C‑322/16 -


s. insbesondere:

„Die Tatsache, dass ein Verfassungsgericht eines Mitgliedstaats eine nationale Maßnahme für verfassungsmäßig erklärt hat, hat auch dann keine Auswirkungen auf die den letztinstanzlichen Gerichten nach Art. 267 AEUV obliegende Pflicht, dem Gerichtshof eine Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, wenn die nationalen Vorschriften, die die Grundlage für die verfassungsgerichtliche Beurteilung bilden, den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften entsprechen.“  (vgl. Rn 15, 16, 23)

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SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
NILS WAHL

vom 8. Juni 2017(1)

Rechtssache C‑322/16
Global Starnet Ltd
gegen
Ministero dell’Economia e delle Finanze,
Amministrazione Autonoma Monopoli di Stato

(Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato [Staatsrat, Italien])

„Vorabentscheidungsersuchen – Pflicht eines letztinstanzlichen nationalen Gerichts, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen – Urteil des Verfassungsgerichts – Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit – Beschränkung der Niederlassungsfreiheit – Erteilung neuer Konzessionen für Online-Glücksspiel – Neue Anforderungen für Konzessionäre – Rechtfertigung – Verhältnismäßigkeit“


1.        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen wird der Gerichtshof erneut ersucht, zu prüfen, ob bestimmte Aspekte der italienischen Rechtsvorschriften im Glücksspielsektor mit den Binnenmarktsvorschriften des AEU-Vertrags sowie einigen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts vereinbar sind(2).

2.        Das vorliegende Verfahren wirft insbesondere die Frage auf, ob die Vertragsbestimmungen über den Binnenmarkt, Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) oder der allgemeine Grundsatz des Vertrauensschutzes einer nationalen Regelung entgegenstehen, die neue finanzielle, technische und berufliche Anforderungen für bestehende und neue Inhaber von Konzessionen im Bereich der Glücksspiele festlegen.

I.      Rechtsrahmen

A.      Anwendbares nationales Recht

3.        Art. 1 Abs. 77 des Legge del 13 dicembre 2010 n. 220, Disposizioni per la formazione del bilancio annuale e pluriennale dello Stato (legge di stabilità 2011) (Gesetz Nr. 220/2010 vom 13. Dezember 2010 mit Maßnahmen für den Jahres- und Mehrjahreshaushalt)(3) lautet:

„Zur Gewährleistung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen öffentlichen und privaten Interessen bei der Veranstaltung und Verwaltung öffentlicher Glücksspiele, unter Berücksichtigung des staatlichen Glücksspielmonopols … und der in diesem Sektor für die Auswahl von Wettbewerbern geltenden – auch unionsrechtlichen – Grundsätze sowie zur Steigerung der Effizienz und Effektivität der Bekämpfung der Verbreitung des unlauteren oder illegalen Glücksspiels in Italien, des Schutzes der Verbraucher, insbesondere Minderjähriger, der öffentlichen Ordnung, der Bekämpfung der Spielsucht Minderjähriger und des Eindringens der organisierten Kriminalität in den Glücksspielsektor … wird die Amministrazione autonoma dei monopoli di Stato [Autonome Staatsmonopolverwaltung, im Folgenden: AAMS] unverzüglich eine Neufassung des Mustervertrags für Konzessionen für die Veranstaltung und die Annahme öffentlicher Glücksspiele, die nicht online erfolgen, ausarbeiten.“

4.        Art. 1 Abs. 78 des Gesetzes Nr. 220/2010 führt neue Pflichten für Inhaber von Konzessionen für die Veranstaltung und die Annahme öffentlicher Glücksspiele, die nicht online erfolgen, ein und sieht insbesondere vor, dass

–        die Verschuldungsquote unterhalb eines bestimmten Werts bleiben muss (Art. 1 Abs. 78 Buchst. b Nr. 4);

–        eine vorherige Zustimmung einzuholen ist für: Geschäfte, die zu einem Personenwechsel beim Konzessionär führen, Übertragungen von Beteiligungen des Konzessionärs, die zu einer Verringerung des Indexes der Vermögenssolidität führen können, und die Verwendung von zusätzlichen Gewinnen zu anderen Zwecken als Investitionen im Zusammenhang mit dem Konzessionsgegenstand (Art. 1 Abs. 78 Buchst. b Nrn. 8, 9 und 17);

–        der Konzessionär die reguläre Verwaltung der Tätigkeit weiterführen muss, bis diese auf den neuen Konzessionär übertragen wird (Art. 1 Abs. 78 Buchst. b Nr. 25).

5.        Art. 1 Abs. 78 Buchst. b Nr. 23 führt Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung der in der Konzessionsvereinbarung festgelegten Pflichten ein.

6.        Die in Art. 1 Abs. 78 des Gesetzes Nr. 220/2010 festgelegten Vorgaben für Konzessionäre wurden mit dem Decreto interdirigenziale (interdirektionelles Dekret) des Direktors der AAMS vom 28. Juni 2011 (im Folgenden: AAMS-Dekret) durchgeführt(4). Diese neuen Anforderungen, mit denen die wirtschaftliche und finanzielle Solidität der Konzessionäre sowie ihre Zuverlässigkeit und ihre Redlichkeit gestärkt werden sollen, wurden sowohl bestehenden als auch neuen Konzessionären auferlegt.

II.    Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

7.        Die Gesellschaft B Plus Giocolegale Ltd, jetzt Global Starnet Ltd (im Folgenden: Global Starnet), ist Inhaberin einer Konzession der AAMS für die Einrichtung und den Betrieb des Netzes für erlaubtes Online-Glücksspiel. Sie nahm an dem im Gesetzesdekret Nr. 39/2009 vorgesehenen Programm teil, das es Konzessionären ermöglichte, Tests durchzuführen und dann bestimmte Spielsysteme einzuführen. Mit der Teilnahme an diesem Testprogramm war ein Anspruch der Konzessionäre auf eine Verlängerung ihrer Konzessionen verbunden.

8.        Nach Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 220/2010 und des AAMS-Dekrets erhob Global Starnet beim Tribunale amministrativo regionale Lazio (Verwaltungsgericht für die Region Latium, im Folgenden: TAR Lazio) eine Klage auf Nichtigerklärung des Dekrets, da sie ihre Rechte als Konzessionärin verletzt sah. Sie forderte außerdem Schadensersatz und beantragte, die Ausschreibung der AAMS zur Vergabe der Konzessionen für Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Einrichtung und dem Betrieb des Netzes für erlaubtes Online-Spiel für ungültig zu erklären. Global Starnet stützte sich dabei auf nationales Recht und Unionsrecht.

9.        Das TAR Lazio gab der Klage teilweise, soweit sie das nationale Recht betraf, statt, entschied jedoch, dass kein Verstoß gegen die italienische Verfassung oder gegen Unionsrecht gegeben sei. Global Starnet legte gegen dieses Urteil beim Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) Berufung ein.

10.      Der Consiglio di Stato (Staatsrat) gab der Berufung von Global Starnet mit Urteil Nr. 4371 vom 2. September 2013 teilweise statt. Da er Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Art. 1 Abs. 79 des Gesetzes Nr. 220/2010 hatte, legte er die Sache der Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof, Italien) vor.

11.      Mit Urteil Nr. 56 vom 31. März 2015 entschied dieses Gericht, dass diese nationale Bestimmung nicht gegen die italienische Verfassung verstoße, und verwies die Sache zurück an den Consiglio di Stato (Staatsrat).

12.      Da dieser Zweifel an der Vereinbarkeit der streitigen nationalen Regelung mit dem Unionsrecht hegt, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann Art. 267 Abs. 3 AEUV dahin ausgelegt werden, dass die unbedingte Pflicht eines letztinstanzlichen Gerichts, eine Frage zur Auslegung des Unionsrechts zur Vorabentscheidung vorzulegen, dann nicht besteht, wenn im Lauf desselben Verfahrens die Corte costituzionale (Verfassungsgerichtshof) die Verfassungsmäßigkeit der nationalen Regelung beurteilt hat, indem sie im Wesentlichen dieselben rechtlichen Maßstäbe angewandt hat wie die, um deren Auslegung der Gerichtshof ersucht wird, wenngleich Erstere formal verschieden sind, da sie in Vorschriften der Verfassung und nicht in solchen der europäischen Verträge festgelegt sind?

2.      Hilfsweise für den Fall, dass der Gerichtshof die Frage zur Auslegung von Art. 267 Abs. 3 AEUV dahin entscheidet, dass die Vorlage zur Vorabentscheidung obligatorisch ist: Stehen die Bestimmungen und Grundsätze der Art. 26 (Binnenmarkt), 49 (Niederlassungsrecht), 56 (Dienstleistungsfreiheit) und 63 (Kapitalverkehrsfreiheit) AEUV und des Art. 16 (Unternehmerische Freiheit) der Charta sowie der allgemeine Grundsatz des Vertrauensschutzes (der „zu den tragenden Grundsätzen der Union gehört“, wie der Gerichtshof mit Urteil vom 14. März 2013, Agrargenossenschaft Neuzelle, C‑545/11, EU:C:2013:169, festgestellt hat) dem Erlass und der Anwendung einer nationalen Regelung (Art. 1 Abs. 78 Buchst. b Nrn. 4, 8, 9, 17, 23 und 25 des Gesetzes Nr. 220/2010) entgegen, die neue Anforderungen und Pflichten mittels eines Nachtrags zur bereits bestehenden Vereinbarung (ohne eine Frist für eine schrittweise Anpassung) festlegt?

III. Würdigung

A.      Zur ersten Frage

13.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Tatsache, dass ein Verfassungsgericht eines Mitgliedstaats eine nationale Maßnahme für verfassungsmäßig erklärt hat, Auswirkungen auf die den letztinstanzlichen Gerichten nach Art. 267 AEUV obliegende Pflicht, dem Gerichtshof eine Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, hat, wenn die nationalen Vorschriften, die die Grundlage für die verfassungsgerichtliche Beurteilung bilden, den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften entsprechen.

14.      Die Antwort auf diese Frage ist meines Erachtens recht einfach.

15.      In Übereinstimmung mit den von der tschechischen und der italienischen Regierung sowie der Kommission eingereichten Erklärungen bin ich der Ansicht, dass die Tatsache, dass ein Verfassungsgericht eine nationale Maßnahme für verfassungsmäßig erklärt hat, keine Auswirkungen auf die Rechte oder Pflichten der nationalen Gerichte nach Art. 267 AEUV haben kann. Dies gilt unabhängig davon, ob die vom Verfassungsgericht ausgelegten Vorschriften oder Grundsätze der nationalen Verfassung Ähnlichkeiten mit bestimmten Unionsvorschriften oder -grundsätzen aufweisen.

16.      Zunächst ist zu beachten, dass nach ständiger Rechtsprechung das Recht oder gegebenenfalls die Pflicht eines nationalen Gerichts, um Vorabentscheidung nach Art. 267 zu ersuchen, nicht dadurch berührt wird, dass es eine Frage zur Verfassungsmäßigkeit einer nationalen Maßnahme an das Verfassungsgericht richten kann oder gerichtet hat. Die nationalen Gerichte haben nämlich ein unbeschränktes Recht zur Vorlage an den Gerichtshof, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen der Auslegung oder der Gültigkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen aufwirft, über die sie im konkreten Fall entscheiden müssen(5).

17.      Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass ein innerstaatliches Gericht, bei dem ein das Unionsrecht betreffender Rechtsstreit anhängig ist und das die Auffassung vertritt, dass eine innerstaatliche Vorschrift nicht nur gegen das Unionsrecht verstößt, sondern darüber hinaus verfassungswidrig ist, auch dann, wenn gegen die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer innerstaatlichen Vorschrift ein Rechtsbehelf zum Verfassungsgericht zwingend vorgeschrieben ist, gemäß Art. 267 AEUV befugt bzw. verpflichtet ist, dem Gerichtshof Fragen vorzulegen(6). Nationale Rechtsvorschriften, die nationale Gerichte vor bzw. nach der Übermittlung einer Frage der Verfassungsmäßigkeit an der Wahrnehmung ihrer Befugnis oder Erfüllung ihrer Verpflichtung aus Art. 267 AEUV hindern, sind somit unionsrechtswidrig(7). Dem nationalen Gericht muss es daher freistehen, dem Gerichtshof die relevanten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, wenn es der Ansicht ist, dass es aufgrund der rechtlichen Beurteilung des übergeordneten Gerichts zu einem unionsrechtswidrigen Urteil gelangen könnte(8).

18.      Diese Grundsätze gelten erst recht, wenn das Verfassungsgericht gar kein Unionsrecht ausgelegt, sondern sich in seinem Urteil auf Fragen der Auslegung des nationalen Rechts beschränkt hat. Nach der auf das Urteil Cilfit(9) zurückgehenden Rechtsprechung kann ein letztinstanzliches nationales Gericht nur dann davon absehen, eine Frage vorzulegen, wenn die Voraussetzungen eines „acte clair“ oder „acte éclairé“ erfüllt sind. Denn unter solchen Umständen darf das nationale Gericht davon ausgehen, dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt(10).

19.      Es ist jedoch schwer nachvollziehbar, wie die Auslegung des nationalen Rechts eines Mitgliedstaats durch das nationale Verfassungsgericht dazu beitragen soll, Zweifel im Hinblick auf die richtige Auslegung des Unionsrechts auszuräumen. Zwar sind die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten mit dem Unionsrecht auf mehreren Ebenen eng miteinander verflochten, sie unterscheiden sich jedoch grundlegend. Wie der Gerichtshof im Urteil Cilfit ausgeführt hat(11), kann es, selbst wenn die gleichen (oder ähnliche) Begriffe verwendet werden, insbesondere vorkommen, dass diese Begriffe nicht dieselbe Bedeutung haben.

20.      Die in den vorliegenden Schlussanträgen vertretene Auslegung von Art. 267 AEUV wird auch nicht durch den – in der Vorlageentscheidung angeführten – Umstand in Frage gestellt, dass Privatpersonen gemäß der auf die Urteile Francovich(12) und Köbler(13)zurückgehenden Rechtsprechung Schadensersatz für Verstöße gegen das Unionsrechtdurch nationale Gerichte verlangen können. Wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, ist die Möglichkeit, sich unter bestimmten Umständen bei Fehlurteilen mit Erfolg auf die Staatshaftung der Mitgliedstaaten zu berufen, nur das letzte Mittel. Eine Staatshaftungsklage zielt lediglich darauf ab, dass der durch einen Unionsrechtsverstoß entstandene Schaden ersetzt wird, dient jedoch nicht dem mit Art. 267 AEUV verfolgten Ziel, die einheitliche Anwendung des Unionsrechts sicherzustellen.

21.      Wie der Gerichtshof im Gutachten 2/13 betont hat, besteht das Schlüsselelement des von den Verträgen gestalteten Gerichtssystems in dem in Art. 267 AEUV vorgesehenen Vorabentscheidungsverfahren, das durch die Einführung eines Dialogs von Gericht zu Gericht – gerade zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten – die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll(14). Daher würde eine von der hier vertretenen abweichende Auslegung die Wirksamkeit von Art. 267 AEUV schwächen.

22.      Auch sehe ich kein erhöhtes Risiko eines Missbrauchs durch die Parteien, wie vom vorlegenden Gericht befürchtet. Das Vorabentscheidungsverfahren ist ein Verfahren, das der Parteiherrschaft entzogen ist(15). Zwar können die Parteien dem nationalen Gericht vorschlagen, dem Gerichtshof eine oder mehrere Fragen vorzulegen, und auch Vorschläge zum Inhalt dieser Fragen machen, doch ist es ausschließlich Sache des nationalen Gerichts zu entscheiden, ob und gegebenenfalls welche Fragen dem Gerichtshof vorgelegt werden sollen. Nach dem mit Art. 267 AEUV eingeführten System kommt dem nationalen Gericht die Schlüsselfunktion zu, die Vorschläge der Parteien hinsichtlich einer Vorlage sowie gegebenenfalls die dem Gerichtshof zu unterbreitenden Fragen zur Auslegung und Gültigkeit des Unionsrechts zu filtern.

23.      Dementsprechend ist die erste Frage dahin zu beantworten, dass die Tatsache, dass ein Verfassungsgericht eines Mitgliedstaats eine nationale Maßnahme für verfassungsmäßig erklärt hat, auch dann keine Auswirkungen auf die den letztinstanzlichen Gerichten nach Art. 267 AEUV obliegende Pflicht, dem Gerichtshof eine Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, hat, wenn die nationalen Vorschriften, die die Grundlage für die verfassungsgerichtliche Beurteilung bilden, den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften entsprechen.

B.      Zur zweiten Frage

24.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Vertragsbestimmungen über den Binnenmarkt, Art. 16 der Charta oder der allgemeine Grundsatz des Vertrauensschutzes nationalen Rechtsvorschriften wie den fraglichen entgegenstehen, in denen neue finanzielle, technische und berufliche Anforderungen festgelegt werden, die sowohl für bestehende als auch für neue Inhaber von Konzessionen für Glücksspieldienstleistungen gelten.

25.      Diese Frage ist zu verneinen.

1.      Art. 26, 49, 56 und 63 AEUV

a)      Vorliegen eines rein innerstaatlichen Sachverhalts

26.      Die Hauptkritik von Global Starnet bezieht sich darauf, dass das Gesetz Nr. 220/2010 neue Anforderungen an Konzessionäre eingeführt hat, die auch für bestehende Konzessionen gelten. Global Starnet bestreitet nicht, dass die italienischen Behörden solche Anforderungen an Konzessionäre generell einführen können, sondern nur, dass sie diese auch auf Konzessionäre anwenden können, die bereits auf dem Markt tätig sind.

27.      Diesbezüglich rügt Global Starnet im Wesentlichen, dass damit ein mögliches Hindernis (insbesondere in Form höherer Kosten) für die Tätigkeiten derjenigen Dienstleistungsanbieter geschaffen werde, die bereits in Italien niedergelassen seien und Dienstleistungen für italienische Kunden erbrächten. Sie trägt nicht vor, dass diese Anforderungen im Ausland niedergelassene Unternehmen davon abhalten könnten, sich in Italien niederzulassen oder Glücksspieldienstleistungen grenzüberschreitend anzubieten.

28.      Vor diesem Hintergrund lässt sich mit Recht die Frage stellen, ob die kritisierten Umstände nicht einen rein auf Italien bezogenen innerstaatlichen Sachverhalt darstellen und deshalb nicht in den Anwendungsbereich der Binnenmarktvorschriften fallen. Nach ständiger Rechtsprechung finden nämlich die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, keine Anwendung(16). Im Einzelnen hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 56 AEUV in der Regel nationale Maßnahmen nicht erfasst, deren einzige Wirkung es ist, zusätzliche Kosten für die betreffende Leistung zu verursachen, und die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten in gleicher Weise wie deren Erbringung innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats berühren(17). Nach meiner Ansicht gilt dieser Grundsatz entsprechend für die Art. 49 und 63 AEUV.

29.      Etwaige positive Wirkungen der fraglichen Maßnahmen auf den Dienstleistungsverkehr innerhalb der Union erscheinen daher zu ungewiss und zu mittelbar, als dass sie als geeignet angesehen werden könnten, die Grundfreiheiten zu behindern(18). Vor diesem Hintergrund scheinen die Art. 26, 49, 56 und 63 AEUV im Ausgangsverfahren nicht einschlägig zu sein.

30.      In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission jedoch eine sehr weite Auslegung von Art. 49 AEUV vertreten und argumentiert, dass der bloße Umstand, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens eine nicht italienische Gesellschaft sei, ausreiche, um die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auszulösen. Im Wesentlichen macht die Kommission geltend, dass die fraglichen nationalen Bestimmungen, da sie die betreffende Geschäftstätigkeit in Italien beschränken könnten, ein Hindernis für die Niederlassungsfreiheit darstellten. Dafür verweist sie auf das Urteil CaixaBank France(19).

31.      Dieses Urteil stützt das Vorbringen der Kommission jedoch keineswegs, sondern spricht vielmehr für die gegenteilige Auffassung.

32.      In der Rechtssache CaixaBank France hat Generalanwalt Tizzano ausführlich dargelegt, warum die von der Kommission vertretene Auslegung nicht zutrifft. Insbesondere hat er nach einer eingehenden Analyse der Rechtsprechung festgestellt, dass „nationale Bestimmungen, die die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit regeln, ohne den Zugang zu dieser unmittelbar zu beeinflussen und ohne rechtlich oder tatsächlich zwischen den inländischen und den ausländischen Wirtschaftsteilnehmern zu diskriminieren, … kaum allein deshalb als dem EG‑Vertrag widersprechende Beschränkungen qualifiziert werden können, weil sie die Ausübung dieser Tätigkeit wirtschaftlich weniger vorteilhaft machen“. Er war der Ansicht, dass „eine nationale Maßnahme, wenn der Grundsatz der Nichtdiskriminierung beachtet wird …, nicht als Beschränkung der Freizügigkeit qualifiziert werden kann, sofern sie unter Berücksichtigung ihres Gegenstands und ihrer Wirkungen den Zugang zum Markt nicht unmittelbar beeinflusst“(20).

33.      Vor diesem Hintergrund ist er nach Prüfung des Sachverhalts zu dem Schluss gelangt, dass die in jener Rechtssache streitigen nationalen Maßnahmen geeignet waren, die Tochterunternehmen ausländischer Banken gegenüber den französischen Banken tatsächlich zu benachteiligen, und daher eine vom EG-Vertrag verbotene Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellten(21). Das Urteil des Gerichtshofs schließt sich dieser Analyse vollständig an. Der Gerichtshof hat auf die tatsächlichen diskriminierenden Aspekte dieser Maßnahmen hingewiesen und erläutert, wie diese den Zugang von Tochtergesellschaften einer ausländischen Bank zum französischen Markt negativ beeinträchtigen können(22).

34.      Dagegen lässt sich den Akten nichts dafür entnehmen, dass die fraglichen nationalen Bestimmungen irgendwelche Auswirkungen auf den Handel in der Union haben können. Doch selbst wenn der Gerichtshof der Auffassung sein sollte, dass sich, obwohl keines der Elemente des Falles über die Grenzen eines einzelnen Mitgliedstaats hinausweist, bestimmte grenzübergreifende Auswirkungen dieser Bestimmungen nicht ausschließen lassen(23), stünden die Bestimmungen jedenfalls aus den im Folgenden dargelegten Gründen dennoch im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorschriften über den Binnenmarkt.

b)      Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit

35.      Zunächst ist zu ermitteln, welche der vom Consiglio di Stato (Staatsrat) angeführten Bestimmungen des AEU-Vertrags über den Binnenmarkt im Ausgangsverfahren einschlägig sind. Dieses Gericht verweist pauschal auf mehrere Bestimmungen des Vertrags, nämlich auf die Art. 26, 49, 56 und 63 AEUV.

36.      Meiner Ansicht nach wäre der Sachverhalt anhand von Art. 49 AEUV zu prüfen, wenn festgestellt werden sollte, dass es sich nicht um einen rein auf das italienische Hoheitsgebiet beschränkten Sachverhalt handelt. Die fraglichen nationalen Bestimmungen schränken nämlich faktisch die Möglichkeit für Unternehmen ein, in Italien Dienstleistungen im Bereich des Glücksspiels anzubieten.

37.      Hingegen erscheinen die Art. 26, 56 und 63 AEUV im vorliegenden Verfahren nicht einschlägig. Tatsächlich hat Art. 26 AEUV – zumindest was den vorliegenden Sachverhalt betrifft – keinen Regelungsgehalt, der über den der Art. 49, 56 und 63 AEUV hinausginge. Art. 56 AEUV wiederum ist nicht anwendbar, weil die regulierten Tätigkeiten eine Niederlassung in Italien voraussetzen. Schließlich ist eine getrennte Analyse der fraglichen nationalen Bestimmungen anhand von Art. 63 AEUV nicht angezeigt. Wenn überhaupt, gehen die möglichen Auswirkungen auf den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr mit den beschränkenden Wirkungen, die die fraglichen Maßnahmen auf die Erbringung von Dienstleistungen haben, für die dieses Kapital verwendet wird, einher und sind davon nicht zu trennen(24).

38.      Zum Vorliegen einer Beschränkung nach Art. 49 AEUV ist festzustellen, dass als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen zu verstehen sind, die die Ausübung der von dieser Bestimmung garantierten Freiheiten untersagen, behindern oder weniger attraktiv machen(25).

39.      Daher müsste der Gerichtshof, sofern er nicht befindet, dass die Wirkungen der fraglichen nationalen Bestimmungen nicht über die Grenzen Italiens hinausweisen, zu dem Schluss gelangen, dass diese Bestimmungen eine Beschränkung im Sinne von Art. 49 AEUV darstellen. Tatsächlich kann die Einführung strengerer Auflagen für Konzessionen für Glücksspieldienstleistungen ausländische Unternehmen davon abhalten, sich in Italien niederzulassen, um solche Dienstleistungen anzubieten.

c)      Vorliegen einer angemessenen und verhältnismäßigen Rechtfertigung

40.      Sodann ist zu prüfen, ob die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt sein kann. Nach ständiger Rechtsprechung gehört die Regelung der Glücksspiele zu den Bereichen, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer Harmonisierung dieses Bereichs durch die Union verfügen die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung des ihnen am geeignetsten erscheinenden Niveaus des Schutzes der Verbraucher und der Sozialordnung über ein weites Ermessen(26).

41.      Somit steht es den Mitgliedstaaten frei, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und gegebenenfalls das angestrebte Schutzniveau genau zu bestimmen(27). Insbesondere dürfen die Mitgliedstaaten ein besonders hohes Schutzniveau in diesem Bereich anstreben(28). Die von ihnen vorgesehenen Beschränkungen müssen jedoch den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen – insbesondere an ihre Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses und ihre Verhältnismäßigkeit – genügen(29).

42.      Um zu bestimmen, welche Beschränkungen gerechtfertigt sein können, ist es somit zum einen erforderlich, die mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziele zu ermitteln, und zum anderen ist zu prüfen, ob diese Bestimmungen im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen.

43.      Zum ersten Punkt lässt sich den fraglichen nationalen Bestimmungen und der Vorlageentscheidung entnehmen, dass das Ziel dieser Bestimmungen insbesondere darin bestand, die wirtschaftliche und finanzielle Solidität der Konzessionäre sowie ihre Zuverlässigkeit und Redlichkeit zu stärken und Straftaten zu bekämpfen.

44.      Angesichts des besonderen Umfelds, in dem Konzessionäre tätig sind, sind dies – zweifellos – legitime Ziele, die eine Beschränkung im Sinne von Art. 49 AEUV erlauben könnten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann das Ziel, sicherzustellen, dass Anbieter von Glücksspielen über eine wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit verfügen, die ihnen ermöglicht, die Verpflichtungen zu erfüllen, die sie gegenüber Gewinnern haben könnten, einen Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses darstellen, der geeignet ist, Beschränkungen der Grundfreiheiten zu rechtfertigen(30). Einen ähnlichen Schluss hat der Gerichtshof im Hinblick auf das Ziel der Bekämpfung von Straftaten im Zusammenhang mit Glücksspielen gezogen(31).

45.      Was den zweiten Punkt betrifft, ist zunächst zu prüfen, ob die fraglichen nationalen Bestimmungen geeignet sind, zur Erreichung dieser Ziele beizutragen, und sodann, ob sie über das hierfür erforderliche Maß hinausgehen.

46.      Im Hinblick auf den ersten Aspekt bin ich der Ansicht, dass Anforderungen wie die Pflicht, die Verschuldungsquote unterhalb eines bestimmten Werts zu halten und die vorherige Zustimmung für die Verwendung von Gewinnen zu anderen Zwecken als Investitionen im Zusammenhang mit dem Konzessionsgegenstand einzuholen, klar und unmittelbar mit dem Ziel verbunden ist, die wirtschaftliche und finanzielle Solidität der Konzessionäre zu stärken. Die Anforderung bezüglich der Verwendung von Gewinnen steht meines Erachtens zumindest teilweise im Zusammenhang mit dem Ziel der Bekämpfung glücksspielbezogener Straftaten. Die Maßnahme erscheint in der Tat geeignet, sicherzustellen, dass die Einnahmen aus dem Glücksspielgeschäft nicht in Tätigkeiten anderer Art fließen.

47.      Das Erfordernis der vorherigen Zustimmung bei Geschäften, die zu einem Personenwechsel beim Konzessionär führen, und bei Übertragungen von vom Konzessionär gehaltenen Beteiligungen, die zu einer Verringerung des Indexes der Vermögenssolidität führen können, dient auch dem oben genannten Zweck, zu gewährleisten, dass die Konzessionäre nicht in ihrer Existenz gefährdet sind. Diese Maßnahmen sollen nämlich offenkundig sicherstellen, dass die erforderliche technische, wirtschaftliche und finanzielle Situation der Konzessionäre nicht nur besteht, wenn die Konzessionen erteilt werden, sondern auch während der Laufzeit der Konzession bestehen bleibt. Wie bereits ausgeführt, sind Ziele im Zusammenhang mit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Rahmen dieser Anforderungen ebenso wenig sachfremd. Es soll nämlich auch verhindert werden, dass Unternehmen, die die ethischen und beruflichen Anforderungen möglicherweise nicht erfüllen, die Konzessionen mittelbar oder unmittelbar erlangen können, indem sie einen Konzessionär erwerben.

48.      Was sodann den Aspekt der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne betrifft, ist daran zu erinnern, dass es generell dem vorlegenden Gericht obliegt, festzustellen, ob diese Maßnahme unter Berücksichtigung aller ihm zur Kenntnis gebrachten Umstände nicht über das für die Erreichung des verfolgten Ziels erforderliche Maß hinausgeht(32).

49.      Um dem vorlegenden Gericht eine möglichst sachdienliche Antwort zu geben, könnte der Gerichtshof jedoch Klarstellungen zu den Umständen, an denen sich die Beurteilung des Gerichts orientieren sollte, vornehmen. Unter Berücksichtigung des den italienischen Behörden auf diesem Gebiet eingeräumten Ermessens sind die folgenden Faktoren potenziell relevant.

50.      Erstens stellt die Verpflichtung, die Verschuldungsquote unterhalb eines bestimmten Werts – vorausgesetzt, dieser Wert ist angemessen und steht nicht außer Verhältnis zu den voraussichtlichen Verbindlichkeiten des Unternehmens gegenüber seinen Kunden – zu halten, für einen zuverlässigen Wirtschaftsteilnehmer, der im Geschäft der Annahme von Wetten tätig sein möchte, keine unerfüllbare Anforderung dar. Aus den Akten ergibt sich nichts dafür, dass sich die angestrebten Ziele mit weniger einschränkenden Maßnahmen genauso wirksam hätten erreichen lassen.

51.      Zweitens muss das vorlegende Gericht berücksichtigen, dass die fraglichen nationalen Bestimmungen kein vollständiges Verbot der in Art. 1 Abs. 78 Buchst. b Nrn. 8, 9 und 17 des Gesetzes Nr. 220/2010 aufgeführten Tätigkeiten enthalten, sondern diese lediglich einem System der vorherigen Genehmigung unterwerfen. Die beschränkende Wirkung dieser Bestimmungen, nach denen lediglich bestimmte Geschäfte der öffentlichen Aufsicht unterliegen, ist daher begrenzt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruhen muss, die im Voraus bekannt sind, damit dem Ermessen der nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden, die seine missbräuchliche Ausübung verhindern(33).

52.      Die Kommission macht jedoch geltend, dass ein System einer einfachen Benachrichtigung insoweit möglicherweise weniger restriktiv gewesen wäre. Ich vermag allerdings nicht zu erkennen, wie ein solches System die vom italienischen Gesetzgeber verfolgten Ziele mit der den fraglichen Bestimmungen entsprechenden Wirksamkeit erreichen würde. Es ist klar, dass ein System der vorherigen Genehmigung der Behörde die Befugnis einräumt, bei Transaktionen, die sie für problematisch erachtet, unverzüglich zu reagieren, indem sie sie untersagt oder zusätzliche Informationen verlangt, bevor sie eine Entscheidung trifft. Dagegen dient ein System der Benachrichtigung lediglich dem Zweck, die Behörden darüber zu informieren, dass bestimmte Transaktionen durchgeführt wurden oder werden, verleiht den Behörden jedoch keine spezifischen Eingriffsbefugnisse.

53.      Schließlich bin ich im Hinblick auf die Einführung von Sanktionen für Verstöße der Konzessionäre gegen die neuen Auflagen der Auffassung, dass diese Sanktionen zwingend mit den neuen Anforderungen einhergehen, die durch die fraglichen Bestimmungen eingeführt wurden. Sie sollen nämlich sicherstellen, dass die Wirtschaftsteilnehmer diese Anforderungen einhalten. Ob die in den fraglichen nationalen Bestimmungen vorgesehenen Sanktionen mit den unionsrechtlichen Vorschriften über den freien Verkehr im Einklang stehen, hängt daher im Wesentlichen von zwei Faktoren ab. Erstens wären die Sanktionen, wenn die Anforderungen, auf die sie sich beziehen, gegen Art. 49 AEUV verstießen, ebenfalls unionsrechtswidrig(34). Zweitens könnten die Sanktionen, selbst wenn die Anforderungen unionsrechtskonform wären, dennoch wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unionsrechtswidrig sein. Dies wäre dann der Fall, wenn die Sanktion, gemessen an der Schwere der Zuwiderhandlung, derart unverhältnismäßig ist, dass sie den in den Verträgen garantierten Freiheiten zuwiderläuft(35).

54.      Zum ersten dieser Faktoren habe ich bereits ausgeführt, dass die neuen Anforderungen meiner Ansicht nach nicht gegen Art. 49 AEUV verstoßen. Der zweite Faktor ist vom nationalen Gericht zu prüfen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die Vorlageentscheidung keine detaillierten Angaben zu Art und Umfang dieser Sanktionen enthält.

d)      Vorliegen einer ausreichenden Übergangsfrist

55.      Das vorlegende Gericht betont zudem, dass die fraglichen nationalen Bestimmungen keine Frist für eine „schrittweise Anpassung“ an die neuen Anforderungen zugunsten bestehender Konzessionäre vorsähen.

56.      Ich muss gestehen, dass mich diese Aussage etwas verblüfft. Denn aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 79 des Gesetzes Nr. 220/2010 ergibt sich, dass bestehende Konzessionäre 180 Tage Zeit haben, den Nachtrag zur Vereinbarung, der die neuen Anforderungen enthält, zu unterzeichnen. Global Starnet hat dies in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

57.      Meines Erachtens kann eine Frist von sechs Monaten kaum als kurz oder unbedeutend angesehen werden.

58.      In jedem Fall ist es jedoch Sache des nationalen Gerichts, die Angemessenheit dieser Frist zu beurteilen und dabei zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Frage, ob eine Übergangsfrist – in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren – vor Inkrafttreten neuer Beschränkungen erforderlich ist, von einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände abhängt. Mit anderen Worten, der Gerichtshof hat nicht entschieden, dass das Unionsrecht verlangt, dass nationale Rechtsvorschriften immer eine Übergangsfrist vorsehen, um es den Wirtschaftsteilnehmern zu ermöglichen, sich auf die neue Regelung in einem bestimmten Rechtsbereich einzustellen(36). Dies gilt auch für den Bereich des Glücksspiels(37).

2.      Art. 16 der Charta

59.      Eine getrennte Prüfung der fraglichen nationalen Maßnahmen anhand von Art. 16 der Charta ist meiner Ansicht nach nicht erforderlich.

60.      Erstens enthält die Vorlageentscheidung kein spezifisches Element oder Argument, das sich konkret mit einem möglichen Verstoß gegen Art. 16 der Charta befassen würde. Tatsächlich konzentriert sich die Vorlageentscheidung im Wesentlichen auf einen möglichen Verstoß gegen die unionsrechtlichen Binnenmarktvorschriften.

61.      Zweitens erfasst, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, eine Prüfung der beschränkenden Wirkungen nationaler Rechtsvorschriften auf die Erbringung von Glücksspieldienstleistungen unter dem Gesichtspunkt von beispielsweise Art. 56 AEUV auch mögliche Beschränkungen der Ausübung der in den Art. 15 bis 17 der Charta vorgesehenen Rechte und Freiheiten. Einer getrennten Prüfung in dieser Hinsicht bedarf es daher nicht(38).

3.      Zum Grundsatz des Vertrauensschutzes

62.      Schließlich ist mir nicht ersichtlich, wie ein Anspruch, der auf einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes gestützt wird, unionsrechtlich begründet sein könnte.

63.      Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass ein solches Vertrauen nur entstehen kann, wenn einer Person klare, unbedingte und übereinstimmende, aus befugten und zuverlässigen Quellen stammende Zusicherungen erteilt wurden(39). Dies setzt zum einen voraus, dass das nach Unionsrecht schutzwürdige Vertrauen in eine bestimmte Situation durch ein Organ der Union(40) oder eine sonstige Stelle, die als „Beauftragte“ der Union handelt (z. B. nationale Behörden, die mit der Umsetzung oder Durchführung des Unionsrechts betraut sind)(41), geweckt wird, und zum anderen, dass dieses Vertrauen auch durch ein Organ der Union oder eine sonstige Stelle, die als „Beauftragte“ der Union handelt, verletzt wird(42).

64.      Im vorliegenden Fall ist jedoch keine dieser Voraussetzungen gegeben. Es wurde keine Zusicherung durch ein Organ oder eine sonstige Stelle der Union oder durch eine nationale Behörde, die als Beauftragte der Union handelt, gegeben. Auch liegt keine unionsrechtliche Maßnahme vor, die die Klägerin des Ausgangsverfahrens beeinträchtigt. Bei der Befragung in der mündlichen Verhandlung hat Global Starnet tatsächlich bestätigt, dass, erstens, die geltend gemachten Zusicherungen lediglich aus bestimmten nationalen Rechtsvorschriften abgeleitet werden (nämlich denjenigen, die vor dem Erlass der fraglichen nationalen Bestimmungen bestanden) und, zweitens, der behauptete Verstoß im Erlass der fraglichen nationalen Bestimmungen als solches besteht.

65.      Daher weist der Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens auch in diesem Punkt keinen unionsrechtlich relevanten Bezug auf. Unter diesen Umständen könnte ein auf einen Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes gestützter Anspruch – falls ein solcher geltend gemacht werden könnte – höchstens auf das nationale Recht gestützt werden. Jedenfalls sind die unionsrechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch offensichtlich nicht gegeben.

66.      Der Gerichtshof hat nämlich in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass in Ermangelung einer klaren und ausdrücklichen Verpflichtung durch die zuständige Behörde ein umsichtiger und besonnener Investor nicht berechtigt ist, auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation zu vertrauen, die die nationalen Behörden im Rahmen ihres Ermessens ändern können(43). Wie oben dargelegt, liegt eine solche ausdrückliche Verpflichtung hier jedoch nicht vor.

67.      Dies ist im vorliegenden Fall besonders deutlich, da Global Starnet sich bereit erklärt hat, an einer Testphase teilzunehmen, um im Gegenzug das Recht auf eine automatische Verlängerung ihrer Konzessionen zu erhalten. Meines Erachtens besteht der Grund für eine Testphase gerade darin, während eines festgelegten Zeitraums zu prüfen, ob neue Dienstleistungen funktionieren und ob die für sie geltenden Regeln wirksam und angemessen sind. Daher ist zu erwarten – und ein umsichtiger Wirtschaftsteilnehmer sollte damit rechnen –, dass diese Regeln nach der Testphase geändert werden.

68.      Zum Schluss weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass die italienischen Behörden zumindest unter bestimmten Umständen sicherstellen mussten, dass bestehende und neue Konzessionäre den gleichen Bedingungen unterliegen, um zu gewährleisten, dass Chancengleichheit im Markt herrscht(44). Vor diesem Hintergrund und wegen der sensiblen Natur der Dienstleistungen im Bereich des Glücksspiels kann ein Wirtschaftsteilnehmer nicht davon ausgehen, dass die diese Tätigkeiten regelnden Vertragsbestimmungen während der gesamten Laufzeit seiner Konzessionen (und erst recht nicht bei einer Verlängerung seiner Konzessionen) unverändert bleiben. Anders ausgedrückt kann nicht automatisch ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes vorliegen, nur weil bestimmte Vorschriften (insbesondere technischer Natur, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden) – auch für bestehende Konzessionäre – geändert werden.

4.      Ergebnis zur zweiten Frage

69.      In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist die zweite Frage dahin zu beantworten, dass die Art. 49, 56 und 63 AEUV, Art. 16 der Charta und der allgemeine Grundsatz des Vertrauensschutzes dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den in Rede stehenden, die neue finanzielle, technische und berufliche Anforderungen festlegen, die sowohl für bestehende als auch für neue Konzessionäre im Bereich des Glücksspiels gelten, nicht entgegenstehen.

70.      Abschließend sollte nochmals hervorgehoben werden, dass der Erlass der fraglichen Maßnahmen, wenn überhaupt, lediglich Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem italienischen Verwaltungs- oder Vertragsrecht aufwirft, die von den italienischen Gerichten zu entscheiden sind. Auf der Grundlage des Akteninhalts und im Licht des Vorbringens von Global Starnet ist kein Verstoß dieser Maßnahmen gegen Unionsrecht ersichtlich.

IV.    Ergebnis

71.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

–        Die Tatsache, dass ein Verfassungsgericht eines Mitgliedstaats eine nationale Maßnahme für verfassungsmäßig erklärt hat, hat auch dann keine Auswirkungen auf die den letztinstanzlichen Gerichten nach Art. 267 AEUV obliegende Pflicht, dem Gerichtshof eine Frage zur Auslegung des Unionsrechts vorzulegen, wenn die nationalen Vorschriften, die die Grundlage für die verfassungsgerichtliche Beurteilung bilden, den einschlägigen unionsrechtlichen Vorschriften entsprechen.

–        Die Art. 49, 56 und 63 AEUV, Art. 16 der Charta und der allgemeine Grundsatz des Vertrauensschutzes sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschiften wie den in Rede stehenden, die neue finanzielle, technische und berufliche Anforderungen festlegen, die sowohl für bestehende als auch für neue Konzessionäre im Bereich des Glücksspiels gelten, nicht entgegenstehen.

1      Originalsprache: Englisch.

2      Vgl. für eine Übersicht der Rechtsprechung des Gerichtshofs in diesem Bereich meine Schlussanträge in der Rechtssache Laezza (C‑375/14, EU:C:2015:788, Nr. 2) und in der Rechtssache Politanò (C‑225/15, EU:C:2016:456, Nrn. 1 bis 3).

3      GURI Nr. 297 vom 21. Dezember 2010.

4      Art. 1 Abs. 78 Buchst. b Nrn. 4, 8, 9, 17, 23 und 25 des Gesetzes 220/2010 und das AAMS-Dekret werden im Folgenden als „fragliche nationale Bestimmungen“ bezeichnet.

5      Vgl. Urteile vom 16. Dezember 2008, Cartesio (C‑210/06, EU:C:2008:723, Rn. 88), und vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli (C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 41).

6      Vgl. Urteile vom 27. Juni 1991, Mecanarte (C‑348/89, EU:C:1991:278, Rn. 39, 45 und 46), und vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli (C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 45).

7      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli (C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 47).

8      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 2010, Elchinov (C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 27), und vom 15. Januar 2013, Križan u. a.(C‑416/10, EU:C:2013:8, Rn. 68).

9      Vgl. Urteil vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a. (283/81, EU:C:1982:335).

10      Ebd., Rn. 16.

11      Ebd., Rn. 19.

12      Urteil vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428). Vgl. auch Urteil vom 5. März 1996, Brasserie du pêcheur und Factortame (C‑46/93 und C‑48/93, EU:C:1996:79).

13      Urteil vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513). Vgl. auch Urteile vom 28. Juli 2016, Tomášová (C‑168/15, EU:C:2016:602), und vom 9. September 2015, Ferreira da Silva e Brito u. a. (C‑160/14, EU:C:2015:565).

14      Gutachten 2/13 (Beitritt der Europäischen Union zur EMRK) vom 18. Dezember 2014 (EU:C:2014:2454, Rn. 176).

15      Vgl. Urteil vom 18. Juli 2013, Consiglio Nazionale dei Geologi und Autorità garante della concorrenza e del mercato (C‑136/12, EU:C:2013:489, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

16      Vgl. Urteile vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Venturini (C‑159/12 bis C‑161/12, EU:C:2013:529, Nrn. 26 ff.) und in der Rechtssache Gullotta und Farmacia di Gullotta Davide & C. (C‑497/12, EU:C:2015:168, Nrn. 30 ff.).

17      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. September 2005, Mobistar und Belgacom Mobile (C‑544/03 und C‑545/03, EU:C:2005:518, Rn. 31), und vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a. (C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 36).

18      Vgl. Urteil vom 8. Mai 2014, Pelckmans Turnhout (C‑483/12, EU:C:2014:304, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Urteil vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France (C‑442/02, EU:C:2004:586).

20      Schlussanträge des Generalanwalts Tizzano in der Rechtssache CaixaBank France (C‑442/02, EU:C:2004:187, Nrn. 23 bis 76) (Kursivschrift im Original).

21      Ebd., Nrn. 77 bis 89.

22      Urteil vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France (C‑442/02, EU:C:2004:586, Rn. 8 bis 16).

23      Vgl. Urteile vom 7. Mai 1997, Pistre u. a. (C‑321/94 bis C‑324/94, EU:C:1997:229, Rn. 45), und vom 14. Juli 1988, Smanor (298/87, EU:C:1988:415, Rn. 8 bis 10).

24      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 1999, X und Y (C‑200/98, EU:C:1999:566, Rn. 30).

25      Vgl. Urteil vom 22. Januar 2015, Stanley International Betting und Stanleybet Malta (C‑463/13, EU:C:2015:25, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Vgl. Urteil vom 8. September 2016, Politanò (C‑225/15, EU:C:2016:645, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Vgl. unter vielen anderen Urteil vom 8. September 2009, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Baw International (C‑42/07, EU:C:2009:519, Rn. 59).

28      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer (C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 48).

29      Vgl. Urteil vom 8. September 2016, Politanò (C‑225/15, EU:C:2016:645, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Ebd., Rn. 46.

31      Urteil vom 28. Januar 2016, Laezza (C‑375/14, EU:C:2016:60, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Ebd., Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung.

33      Vgl. Urteil vom 4. Februar 2016, Ince (C‑336/14, EU:C:2016:72, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Vgl. unter vielen anderen Urteil vom 6. März 2007, Placanica u. a. (C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, EU:C:2007:133, Rn. 68 bis 71).

35      Vgl. Urteil vom 5. Juli 2007, Ntionik und Pikoulas (C‑430/05, EU:C:2007:410, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 1997, Affish (C‑183/95, EU:C:1997:373, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Kotnik u. a. (C‑526/14, EU:C:2016:102, Nrn. 69 und 70).

37      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a. (C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 76 ff.).

38      Vgl. Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a.(C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 57 bis 60).

39      Vgl. unter vielen anderen Urteil vom 13. Juni 2013, HGA u. a./Kommission (C‑630/11 P bis C‑633/11 P, EU:C:2013:387, Rn. 132 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Vgl. Urteil vom 17. März 2011, AJD Tuna (C‑221/09, EU:C:2011:153, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Vgl. u. a. Urteile vom 20. Juni 2002, Mulligan u. a. (C‑313/99, EU:C:2002:386, Rn. 48), und vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer (C‑62/00, EU:C:2002:435, Rn. 43 bis 47).

42      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 1996, Anglo Irish Beef Processors International u. a. (C‑299/94, EU:C:1996:148, Rn. 34 und 35).

43      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2009, Plantanol (C‑201/08, EU:C:2009:539, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44 Vgl. Urteil vom 16. Februar 2012, Costa und Cifone (C‑72/10 und C‑77/10, EU:C:2012:80, Rn. 50 ff.).


Quelle

Freitag, 14. Juli 2017

Spielhallen-Betreiber drohen Kommunen mit Klagewelle


Branche läuft Sturm gegen geplante Schließungen von Spielhallen / Marktführer Löwen rechnet mit bis zu 30.000 Verfahren

Eine der Kernfragen des Streits ist dabei, auf welcher Basis die Ämter entscheiden, welche Spielothek es trifft, wenn die Mindestabstände zwischen mehreren Hallen unterschritten werden. Hierzu gelten in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Regelungen. Sie reichen von einem Punktesystem bis hin zu einem Losverfahren, bei dem das Glück über den Weiterbetrieb der Spielstätte entscheidet.

Scharfe Kritik äußerte die Branche vor allem an dem Losverfahren, wie es das Land Niedersachsen praktiziert. „Wenn die Landesregierung bei ihrer Linie bleibt, haben die Verwaltungsgerichte in den nächsten zwei, drei Jahren jede Menge zu tun“, sagte der Gauselmann-Sprecher.

Als Reaktion auf die ungeklärte Rechtslage hat das niedersächsische Wirtschaftsministerium ent-schieden, die Schließung der im Losverfahren unterlegenen Spielhallen vorerst nicht durchzusetzen.
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Es gibt nichts Neues unter der Sonne!

Bereits am 13. März 2003 führte der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen, unter der Rn 59, wie folgt aus:
"Obwohl die am Verfahren beteiligten mitgliedstaatlichen Regierungen und die Kommission den Standpunkt vertreten, die Lösung des Falles sei durch die Urteile Schindler, Läärä und Zenatti vorgezeichnet, haben das vorlegende Gericht und die Beschuldigten des Ausgangsverfahrens tief greifende Zweifel an der Vereinbarkeit der mitgliedstaatlichen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht. Auch bei der italienischen Gerichtsbarkeit scheint eine große Unsicherheit im Hinblick auf die zu treffende Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf diesem Gebiet zu herrschen mit den daran anknüpfenden fatalen Folgen für die Rechtssicherheit. Dadurch wird die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der Rechtsunterworfenen schwer beeinträchtigt. Mancher Orts wird ein bestimmtes geschäftliches Gebaren als rechtmäßig eingestuft, während das gleiche Verhalten anderen Orts Anlass für eine strafrechtliche Verfolgung und Sanktionierung bis hin zu einer Freiheitsstrafe ist." (Rs. C-243/01, Gambelli)
Rückblick:
Deutsche Glücksspielpolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit


Neue Glückspielregelung:
Alle Heidenheimer Spielhallen wollen eine Ausnahme


Die Stadt ändert die Art, wie Spielgeräte besteuert werden. Gleichzeitig sorgt die Änderung des Landesglücksspielgesetzes für eine Flut an Härtefallanträgen der Casino-Betreiber.

Mindestabstände zu anderen Spielhallen und zu Einrichtungen für Kinder und Jugendliche müssen künftig eingehalten werden. Alle 13 Spielhallen in Heidenheim haben einen Härtefall für ihren Betrieb angemeldet.

Dabei geht es darum, dass Spielhallen künftig untereinander einen Abstand von mindestens 500 Meter (von Haustür zu Haustür) haben müssen.

Darüber hinaus müssen die Spielhallen auch mindestens 500 Meter Abstand zu Einrichtungen haben, in denen sich Kinder und Jugendliche aufhalten, also beispielsweise Schulen, Jugendhäuser oder Musikschulen.
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Glücksspielbarometer 2/2017: Glücksspiel im Zerrspiegel
Wirtschaftskraft unterschätzt - Probleme überschätzt

Die aktuellen Ergebnisse des Glücksspielbarometers bestätigen die Rürup-Studie des Handelsblatt Research Instituts "Der Glücksspielmarkt in Deutschland". Die wirtschaftliche Bedeutung der Glücksspielbranche wird deutlich unterschätzt: 72 % der Bevölkerung unterschätzen die Anzahl der Beschäftigten (ca. 198.000) im Vergleich zur Pharma- und Möbelindustrie, ca. 50 % schätzen die Beschäftigtenzahl nur auf die Hälfte oder weniger. Auf der anderen Seite wird der Anteil der Personen in der Gesamtbevölkerung, die ihr Spielverhalten am Spielautomaten nicht mehr unter Kontrolle haben, auf durchschnittlich 36 % geschätzt. Diese Schätzung liegt um ungefähr das Hundertfache über dem tatsächlichen Wert von ca. 0,37 % (pathologisches Glücksspiel) der Bevölkerung, die laut einer Studie der BZgA* unter Spielsucht leiden.
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Donnerstag, 6. Juli 2017

BVerwG Leipzig: Dortmunder Vergnügungssteuersatzung verletzt die Steuergerechtigkeit


Bundesverwaltungsgericht kassiert Dortmunder Wettbürosteuer
  • Stadt darf Höhe der Steuer nicht an der Fläche bemessen
  • Auch andere Städte müssen ihre Steuern jetzt überprüfen
  • Steuerzahlerbund fordert Abschaffung der Steuer
Seit drei Jahren kassiert Dortmund von den Wettbüros in der Stadt die Wettbürosteuer. 250 Euro zahlen diese je 20 Quadratmeter und Monat ins Stadtsäckel. Das hat der Stadt bisher knapp 1,4 Millionen Euro eingebracht. Zu Unrecht, wie das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden hat.
  • Das Bundesverwaltungsgericht hält eine Wettbürosteuer für grundsätzlich zulässig, aber deren Höhe an die Fläche der Wettbüros zu koppeln, sei ungerecht.
  • Ein viel besserer Maßstab für eine solche kommunale Vergnügungssteuer sei der Wetteinsatz.
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Pressemitteilung Nr. 51/2017:

Dortmunder Wettbürosteuer derzeit unzulässig

BVerwG 9 C 7.16; BVerwG 9 C 8.16; BVerwG 9 C 9.16 29.06.2017

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat heute entschieden, dass die Wettbürosteuer der Stadt Dortmund in der derzeitigen Ausgestaltung unzulässig ist.

Mit der 2014 neu eingeführten Vergnügungssteuersatzung besteuert die Stadt das Vermitteln oder Veranstalten von Pferde- und Sportwetten in Wettbüros. Das sind Einrichtungen, die neben der Annahme von Wettscheinen das Mitverfolgen der Wettereignisse, u.a. durch Liveübertragung, ermöglichen. Steuerschuldner ist nach der Satzung der Betreiber des Wettbüros. Bemessungsgrundlage ist die näher definierte Veranstaltungsfläche. Der Steuersatz beträgt für jeden Kalendermonat 250 € je 20 m² Veranstaltungsfläche.

Drei Kläger, die in Dortmund Wettbüros betreiben, wandten sich gegen ihre Heranziehung zu der Steuer. Sie sollen – abhängig von der Größe der Veranstaltungsfläche ihrer Wettbüros – 1 000 und 1 250 € monatlich zahlen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und das Oberverwaltungsgericht Münster haben die Klagen abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ihnen nunmehr stattgegeben.

Zwar handelt es sich bei der Wettbürosteuer um eine örtliche Aufwandsteuer, zu deren Erhebung die Kommunen im Prinzip berechtigt sind. Denn mit der neuen Steuer soll der über die Befriedigung der allgemeinen Lebensführung hinausgehende Aufwand – das Wetten in einem ortsansässigen Wettbüro – besteuert werden. Die Steuer ist darauf angelegt, dass sie auf den Wettkunden als den eigentlichen Steuerträger abgewälzt wird.

Die Wettbürosteuer setzt sich auch nicht in einen unzulässigen Widerspruch zur 2012 eingeführten Sportwettensteuer des Bundes. Der Bundesgesetzgeber hält einen relativ geringen Steuersatz von 5 % auf den Wetteinsatz für gerechtfertigt. Er will damit im Zusammenhang mit dem von den Bundesländern im Glücksspielstaatsvertrag vereinbarten Konzessionssystem einen Anreiz dafür bieten, den derzeit illegalen Markt für Sportwetten in die Legalität zu überführen. Mit dieser Zielsetzung steht die (zusätzliche) kommunale Wettbürosteuer jedenfalls dann nicht in Widerspruch, wenn sie – wie vorliegend – einen hinreichenden Abstand zu der bereits durch die Bundessteuer verursachten Steuerlast wahrt.

Der von der Stadt gewählte Flächenmaßstab verletzt aber die Steuergerechtigkeit. Den sachgerechtesten Maßstab für eine Vergnügungssteuer bildet der individuelle, wirkliche Vergnügungsaufwand, hier also der Wetteinsatz. Der Rechtfertigungsbedarf für einen Ersatzmaßstab ist umso höher, je weiter er sich von dem eigentlichen Belastungsgrund entfernt. Mit dem Flächenmaßstab sind gravierende Abweichungen von dem wirklichen Vergnügungsaufwand verbunden, den die Wettkunden tatsächlich betreiben. Stattdessen steht mit dem Wetteinsatz ein praktikabler Wirklichkeitsmaßstab zur Verfügung.

BVerwG 9 C 7.16 – Urteil vom 29. Juni 2017

Vorinstanzen:
OVG Münster 14 A 1599/15 – Urteil vom 13. April 2016
VG Gelsenkirchen 2 K 5800/14 – Urteil vom 12. Juni 2015

BVerwG 9 C 8.16 – Urteil vom 29. Juni 2017

Vorinstanzen:
OVG Münster 14 A 1648/15 – Urteil vom 13. April 2016
VG Gelsenkirchen 2 K 280/15 – Urteil vom 12. Juni 2015

BVerwG 9 C 9.16 – Urteil vom 29. Juni 2017

Vorinstanzen:
OVG Münster 14 A 1728/15 – Urteil vom 13. April 2016
VG Gelsenkirchen 2 K 626/15 – Urteil vom 12. Juni 2015

Quelle: bverwg.de/