Sonntag, 27. September 2020

Verbotspolitik bei Online-Casino und Poker scheitert vor Gerichten

 

Rote Karte für Gegner der Glücksspiel-Reform: Verbotspolitik bei Online-Casino und Poker scheitert vor Gerichten

Nachdem sich die Bundesländer auf eine Regulierung von Online-Casinos und Online-Poker ab dem 1. Juli 2021 geeinigt haben, ebnen nun die Verwaltungsgerichte und Aufsichtsbehörden den Weg für eine Übergangsregulierung.

In einem zwischen dem Regierungspräsidium Darmstadt und einem privaten Glücksspielanbieter geführtem Musterverfahren hat das Verwaltungsgericht Darmstadt kürzlich die Ruhestellung des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens (VG Darmstadt L2218/19.DA) und Hauptsacheverfahrens beschlossen. Gegenstand des Verfahrens war eine Untersagungsverfügung des Regierungspräsidium Darmstadts.

Mit ihren übereinstimmenden Anträgen auf Ruhestellung des Verfahrens trugen die Beteiligten dem Umstand Rechnung, dass der Markt für Online-Casino und Online-Poker ab dem 1. Juli 2021 geöffnet wird. Durch die Ruhestellung soll der beteiligten Aufsichtsbehörde und dem privaten Glücksspielanbietern Raum gegebenen werden eine einvernehmliche und konstruktive Lösung zur Gestaltung einer Übergangsregulierung zu finden. Zu diesem Zweck werden während der Ruhestellung des Verfahrens gegen den beteiligten Glücksspielanbieter keine Vollstreckungsmaßnahmen seitens der Aufsichtsbehörde ergriffen.

Die Prozessvertreterin des an dem Verfahren beteiligten Glücksspielanbieters, Rechtsanwältin Dr. Stefanie Fuchs von der Kanzlei Hambach & Hambach sagte dazu, dass das Verwaltungsgerichts Darmstadt zuvor bereits zuerkennen gegebenen hat, »dass an dem Online-Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV erhebliche unionsrechtliche Zweifel bestehen und dass angesichts der anstehenden Neuregulierung ab dem 1. Juli 2021 jedenfalls kein Vollzugsinteresse mehr bestehe und die Vollziehung der Untersagungsverfügung daher unverhältnismäßig sei.«

Bereits Ende März 2020 hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in einem vergleichbaren Verfahren zwischen dem Regierungspräsidium Karlsruhe und einem privaten Glücksspielanbieter die Ruhestellung beschlossen (VGH Baden-Württemberg 6 S 7/19). Auch in diesem Fall war die zukünftige Regulierung von Online-Casinos und Online-Poker maßgebliches Motiv für die Ruhestellung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

„Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass sich jetzt alle Stellen dem politischen Willen unterordnen und die Umsetzung des neuen Glücksspielstaatsvertrages konstruktiv mit vorbereiten. Aber so ist es nicht. Einige SPD-Bundesländer wie z.B. Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Brandenburg, und Mecklenburg-Vorpommern, die immer gegen eine Öffnung des Glücksspielmonopols waren, sich aber mit ihrer Position nicht durchsetzen konnten, blockieren jetzt das Verfahren mit teilweise rechtswidrigen Mitteln. Wir sehen einen völlig sinnlosen Klassenkampf alter Prägung – das gilt auch für zuständige Behörden und Gremien wie das Glücksspielkollegium. Den Unternehmen in der Branche fehlt dadurch die nötige Rechts- und Planungssicherheit. Wir brauchen deshalb unbedingt eine klare Ansage der Politik an all diejenigen, die den Kompromiss und dem dahinterstehenden politischen Willen ignorieren. Wir können uns diese permanente Blockadehaltung nicht mehr länger leisten, denn dies spielt nur den illegalen Anbietern aus Asien und der Karibik in die Karten, die sich weder für Jugend-, Verbraucherschutz noch Suchtprävention interessieren und zudem keine Steuern zahlen. Das kann nicht die Intention der Politik sein“, so Renatus Zilles, Vorstandsvorsitzender des DVTM.

Für DVTM-Vorstandsmitglied Dr. Wulf Hambach ist das Vorgehen des VGH Baden-Württemberg und des VG Darmstadts ein klarer „Appell an das Glücksspielkollegium den Prozess zur Findung einer Übergangslösung für zukünftig erlaubte Glücksspiele konstruktiv zu begleiten.“

Das Vorgehen der Behörden und Verwaltungsgerichte dürfte auch auf politischer Ebene Zustimmung finden. So hatte der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) bereits gefordert, dass die beabsichtigte Rechtsänderung auch bei heutigen Ermessensabwägungen berücksichtigt wird. Ansonsten seien die Untersagungsverfügen in einem gerichtlichen Verfahren als unverhältnismäßig zu bewerten. Der F.A.Z. sagte Beuth: „Denkbar wäre deshalb ein Überleitungsverfahren. Die Anbieter müssten dabei die zukünftigen Reglungen soweit wie möglich vorwegnehmen.“ Dabei müsse der Spieler- und Jugendschutz im Mittelpunkt stehen (F.A.Z., Die Blockade der „Glücksspiel-Taliban“, 17.06.2020, Seite 19).

Der Deutsche Verband für Telekommunikation und Medien e.V. (DVTM) ist die zentrale Schnittstelle und unverzichtbarer Experte der an der Wertschöpfungskette Telekommunikation, Medien, Energie und „Bettertainment“ beteiligten Unternehmen. Dazu gehören national und europaweit tätige Diensteanbieter, Netzwerk-, Service- und Internetprovider, Reseller, technische Dienstleister, Medien- und Verlagshäuser sowie Consulting- und Inkassounternehmen. Ziel des Verbandes ist es, im Einklang mit Verbrauchern, Politik und Wirtschaft einen zukunftsorientierten, innovativen und wettbewerbsfähigen Telekommunikations- und Medienmarkt zu schaffen.

Die circa 40 Mitglieder des Verbandes agieren freiwillig im Rahmen des Kodex Deutschland für Telekommunikation, Medien, Energie und „Bettertainment“. Die von einem prominent besetzten Beirat begleitete Kodexkommission formuliert anerkannte Branchenstandards und befähigt dazu, den Markt aktiv mitzugestalten und stärkt damit das Prinzip der Selbstregulierung. Der DVTM ging aus dem bereits 1997 gegründeten Fachverband Freiwillige Selbstkontrolle Telefonmehrwertdienste (FST) hervor. Im Februar 2011 erfolgte die Umbenennung in DVTM.

Quelle: DVTM Deutscher Verband für Telekommunikation und Medien

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OVG Hamburg fordert Behörde zur Stellungnahme auf, wie sie mit Online-Glücksspielen umgeht

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VG Darmstadt und die Folgen


VG Darmstadt und die Folgen


Was nun? VG Darmstadt und die Folgen – Ein nachösterliches Plädoyer für eine schnelle Sportwettregulierung

Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Sozietät Redeker Sellner Dahs
Willy-Brandt-Allee 11
D - 53113 Bonn

Warum der Beschluss des VG Darmstadt wenig überrascht

Der Schock des VG Darmstadt-Beschlusses sitzt vielen in den Knochen.

Die verbreitete Überraschung ist dabei deutlich größer, als sie sein müsste. Inhaltlich war vieles, was das VG Darmstadt entschieden hat, vorhersehbar. Denn dass das Verfahren transparent und diskriminierungsfrei gestaltet sein muss, steht schon im Gesetz (§ 4 b Abs. 1 GlüStV). Europarechtlich ist es eine Binsenweisheit, welche die Länder nach dem EuGH-Urteil Carmen-Media und Markus Stoß vorsorglich zusätzlich in den Staatsvertrag integriert haben. Und dass diesem Erfordernis nicht entsprochen wird, wenn die Teilnehmer des früheren Konzessionsverfahrens bereits ein halbes Jahr früher als der Rest des Marktes über die Inhalte des Verfahrens unterrichtet werden, dürfte auf der Hand liegen. Dass die Länder diesen Weg überhaupt beschritten haben, war nicht glücklich und dürfte dem politischen Zeitdruck geschuldet sein, der seinerzeit auf dem Verfahren lastete.

Über eine Stichtagslösung hätte man dies heilen können. Das scheint nicht gewollt gewesen zu sein. Das rächt sich jetzt. Denn die Aussagen des Verwaltungsgerichts zur Rolle des Glücksspielkollegiums dürften den Beschluss für die Länder schwer verdaulich machen. Auch sie sind freilich wenig überraschend. Schließlich macht sich das VG Darmstadt mit den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rolle des Glückspielkollegiums im Verfahren nur zu eigen, was das VG Wiesbaden 2014 (B.v. 5.5.2015 – 5 L 1453/14.WI) und später der Hessische Verwaltungsgerichtshof 2015 (B.v. 16.10.2015 – 8 B 1028/15) schon entschieden haben. Und beide beschritten hier keinen hessischen Sonderweg, sondern folgten nur der Mehrheitsmeinung der Staatsrechtslehrer. Auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat diese verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Rolle des Glücksspielkollegiums für die Werberegulierung bestätigt, und nur im Übrigen nicht geteilt (Entscheidung v. 25.9.2015).

Warum der Beschluss des VG Darmstadt brisant ist

Die Brisanz der Wiederbelebung dieser Bedenken liegt in ihrer Aktualität und Tragweite. Sie rückt wieder ins Bewusstsein, was manchen vielleicht als behoben galt. Denn jedenfalls bis Ende 2022 bleibt die problematische Rolle des Glücksspielkollegiums auch in der künftigen Regulierung des GlüNeuRStV erhalten (§ 27p Abs.6). Erst danach tritt die künftige Anstalt öffentlichen Rechts endgültig an die Stelle des Glückspielkollegiums. Ob es mit ihrer Einrichtung den Länder tatsächlich gelingt, die verfassungsrechtlichen Bedenken der demokratischen Legitimation und zwischenstaatlichen Verwaltung auszuräumen, werden die Gerichte dann zu klären haben. Einstweilen besteht das Problem aber fort.

Dies zwingt die Länder bis auf weiteres in die Einstimmigkeit.

Brisant und überraschend ist der Beschluss dabei besonders deshalb, als er in diesem Zusammenhang – völlig zurecht – auch die Transparenz der Entscheidungsfindung im Glücksspielkollegium zum Thema macht. Denn die diesbezüglichen Bedenken sind nachvollziehbar und drängen sich auf. Das Verhältnis der Verantwortung zwischen verfahrensführender Behörde und Glückspielkollegium ist gesetzlich und gerichtlich ungeklärt. Die Aufsicht liegt nach dem Gesetz bei der von § 9a Abs. 1-3 GlüStV benannten Aufsichtsbehörde. „Zur Erfüllung“ ihrer Aufgaben besteht das Glückspielkollegium (Abs.5 Satz 1). Es „dient“ „zur Umsetzung“ dieser Aufsichtsaufgabe (Abs. 5 Satz 2). Das klingt nach einer bloß dienenden Funktion, bei der die Glückspielaufsichtsbehörde entscheidet, wann sie das Glücksspielkollegium einschaltet. Andererseits bindet das Glückspielkollegium mit seinen Entscheidungen aber die Behörde, soweit es Beschlüsse fasst (Abs. 8 Satz 1). Das wiederum klingt nach einem Subordinationsverhältnis. Für die Frage, mit welchen Entscheidungen der Behörde sich das Glückspielkollegium befassen will oder soll, trifft das Gesetz keine Regelung.

Damit ist für Rechtsanwender und die Adressaten völlig offen, welche Entscheidungen nun die Glückspielaufsichtsbehörde verantwortet und welche das Glücksspielkollegium.

Ungeachtet dieser Regelungslücke haben Beschlussfassung und Entscheidungsvorbereitung des Glückspielkollegiums aber bislang keinerlei Publizität. So kann es dann geschehen, dass eine Entscheidung des Glückspielkollegiums von einer Behörde als angeblich allgemein gültig bekannt gegeben wird, die gar keine Zuständigkeit hierfür hat, während die hierfür zuständige Behörde zuvor eine andere Entscheidung kommuniziert hatte und über die neue nichts berichtet, ja von dieser noch nicht einmal weiß. Oder es wird über eine vom Glückspielkollegium getroffene Entscheidung von Landesbehörden mitgeteilt, dass diese ihr unbekannt seien oder dass sie für sie nicht verbindlich sei. All dies ist keine Theorie. Es beschreibt Erfahrungen des Unterzeichners aus den letzten Jahren.

Ebenso problematisch und ungeklärt ist der Umgang mit dem Anhörungsrecht der Betroffenen. Denn die Anhörung findet vor der Glücksspielaufsichtsbehörde statt. Es ist aber nicht gesichert, was dort geäußert wird, zur Kenntnis des Gremiums gelangt und für dessen Beschlussfassung eine Rolle spielt. Hat dieses aber einmal entschieden, vermag eine spätere Anhörung des Betroffenen kein rechtliches Gehör derjenigen mehr zu gewährleisten, welche die Entscheidung treffen, weil diejenigen, die den Beschluss gefasst haben, die Stellungnahme des Betroffenen gar nicht zur Kenntnis nehmen konnten.

Die Transparenz der Entscheidungsfindung dürfte in dem Beschluss daher völlig zu recht angesprochen werden.

Warum der Beschluss misslich ist für die Regulierungswilligen

Das alles mag diejenigen aufatmen und frohlocken lassen, die insgeheim gehofft haben, die Regulierung werde auf den letzten Metern vielleicht doch noch scheitern. Für diejenigen hingegen, die es ernst meinen mit den Zielen des Staatsvertrages und dem Anliegen einer Regulierung des Glücksspielmarktes, wirkt die Entscheidung wie ein Schlag ins Gesicht oder wie der Stolperstein des Langstreckenläufers auf der Zielgeraden. Sie ist nicht nur für das Glückspielkollegium blamabel, das den Prozess verantwortet, und wirkt wie ein deja vu des Wechsels von Siegesgewissheit und Niederlage, das die letzten zwanzig Jahre im Bereich der Sportwette kennzeichnet. Sie ist geradezu ein Gau für die regulierungswilligen Teile des Marktes, die sich vor ihren Anteilseignern rechtfertigen müssen. Das Wechselbad der Gefühle ist hier ganz beiderseits.

Aber selbst für den fragilen Anlauf der Länder in die künftige Regulierung des GlüNeuRStV ist das Ganze nicht ungefährlich. Sollte sich im Beschwerdeverfahren herausstellen, dass Sportwettkonzessionen bis Ende 2022 vom Glückspielkollegium gar nicht mehr ausgegeben werden können, klafft eine riesige regulatorische Regelungslücke im künftigen Staatsvertrag. Diese wird man nicht einfach ignorieren können. Es müsste dann an den GlüNeuRStV erneut Hand angelegt werden.

Irrwege und Auswege

Vor diesem Hintergrund lohnt die Frage nach einem leiseren Ausweg aus der Krise. Derzeit suchen die Länder die Lösung noch im Beschwerdewege beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Doch das birgt erhebliche Risiken, die bedacht werden sollten, – zeitlich wie inhaltlich.

Zeitlich besteht die Gefahr, dass eine Entscheidung im Beschwerdeverfahren so spät getroffen wird, dass sie im Ratifizierungsprozess des künftigen Rechts nicht berücksichtigt werden kann und / oder die Konzessionsausgabe in die künftige Regulierung hineinträgt.

Und inhaltlich können die Länder kaum darauf hoffen, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof von seinem Standpunkt zur Verfassungswidrigkeit der Bindungswirkung von Entscheidungen des Glücksspielkollegiums abrückt. Ebenso wenig ist zu erwarten, dass er es als diskriminierungsfrei beurteilt, wenn im Konzessionsverfahren all diejenigen, die nach 2012 den Zugang auf dem deutschen Sportwettmarkt gesucht haben, ein halbes Jahr früher über Verfahrensinhalte unterrichtet werden als der Rest. Zu erwarten ist auch nicht, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof den gleichzeitigen Marktzugang, den er in Beschlüssen der Vergangenheit hochgehalten hat, nun plötzlich für belanglos hält.

Die einzige wirkliche Hoffnung im Beschwerdeverfahrens dürfte deshalb darin bestehen, dass der VGH den Eilantrag als unzulässig ansieht, weil der Antragsteller sich am Verfahren nicht beteiligt hat.

Dieser prozessuale Ausgang wäre aber zweischneidig. Er kann sich als Bumerang erweisen. Denn wer will sicher sein ob nicht ein weiterer eher unbekannter Bewerber aus der Versenkung auftaucht, der einen Konzessionsantrag einreicht oder eingereicht hat und das Verfahren in einem erneuten Anlauf zu stoppen versucht. Die Auseinandersetzung um die Konzessionserteilung würde sich dann entweder nur noch mehr verlängern oder es drohen eben jene Aussagen des VGH, die eine Konzessionsausgabe dauerhaft verhindern und den ungeregelten Markt durch den Rest der Laufzeit des Glücksspielstaatsvertrages und weit hinein in die Zeit des GlüNeuRStV hineintragen, so wie das zuvor das Konzessionsverfahren des 1.GlüÄndStV über viele Jahre hinweg getan hat.

Das alles sind Überlegungen, die erwogen werden sollten. Der Begriff alternativlos ist allzu schnell bei der Hand und ein gern geübtes Mittel, um den Blick auf Alternativen zu verstellen. Jedenfalls dann, wenn die Glücksspielreferenten der Bundesländer an einem baldigen Eintritt eines regulierten Zustands auf dem deutschen Sportwettmarkt interessiert sind, sollte man daher ernsthaft der Frage nachgehen, ob es nicht klüger wäre, die Beschwerde zurückzunehmen und genau das zu tun, was das Verwaltungsgericht den Ländern aufgegeben hat, nämlich die Mängel der Transparenz und Diskriminierungsfreiheit kurzfristig zu reparieren. Das gilt jedenfalls dann, wenn auf diese Weise ein nachhaltig regulierter Sportwettmarkt in greifbarer Zukunft möglich würde. Wenn sich auf diese Weise Recht und Ordnung schaffen ließe, könnte du dürfte dies für die Ziele des Staatsvertrages bedeutsamer sein, als noch einmal klären zu können, wer Recht hatte.

Heilung des Verfahrens als Option

Was also wäre zu tun, wenn man dem Verwaltungsgericht Darmstadt anstelle der Beschwerde einfach folgen würde und welche Konsequenzen hätte dies für den weiteren Prozess im Konzessionsverfahren? Sollte eine Konzessionsausgabe dann vielleicht noch eher möglich und ein endgültiger Stopp der Konzessionausgabe sich vermeiden lassen ? Die Frage, ob dieser Weg eine realistische regulatorische Alternative eröffnet, soll nachstehend untersucht werden.

Auffällig ist zunächst, dass das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht schlechthin gestoppt hat. Es hat dem Regierungspräsidium Darmstadt nur aufgegeben, Konzessionen erst dann auszugeben, wenn ein transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren „nachgeholt“ wurde.

Das Verwaltungsgericht unterstellt damit, dass eine Heilung möglich ist. Es verlangt nicht, dass die Bewerbungen, die schon eingereicht wurden, neu eingereicht werden müssen. Das scheint für die Kammer vielmehr nur eine Frage der Gestaltung dieses Prozesses.

Tatsächlich wäre dem Mangel der Diskriminierung, den das Verwaltungsgericht festgestellt hat, abgeholfen, wenn eine gleichzeitige Ausgabe von Konzessionen gewährleistet wäre. Hierfür genügt es die Ausgabe an die vorhandenen Bewerber zurückzustellen und nachkommenden Konzessionsbewerbern Gelegenheit zu geben, ihre Bewerbung nachzuholen.

Mittels Bekanntmachung könnte zu diesem Zweck im Amtsblatt der EU eine Frist zur Einreichung ihres Konzessionsantrages mit der Aufforderung zur Bewerbung gesetzt werden, die es erlaubt, alle Unterlagen bescheidungsfähig zusammenzustellen.

Ob es hierfür einer Frist von fünf Monaten bedarf, wie die Antragstellerin in dem Verfahren des VG Darmstadt geltend gemacht hat, darf bezweifelt werden. Vieles spricht dafür, dass eine Frist genügt, die es erlaubt, die Antragsunterlagen zu erstellen. Drei Monate sollten dafür ausreichend. Zwar hatten die Teilnehmer der Informationsveranstaltung vom Juli vergangenen Jahres einen längeren Vorlauf . Sie waren aber nicht zur sofortigen Bewerbung aufgefordert, mussten jederzeit mit Änderungen rechnen und es wurde ihnen eine Bearbeitung erst ab Januar in Aussicht gestellt. Sie hatten überdies erst Veranlassung, die Vorbereitung der Einreichung des Konzessionsantrags mit Nachdruck zu betreiben, als sich abzeichnete, dass der Dritte Glücksspielstaatsvertrag auch zustande kommen würde. Er hätte wie der Zweite auf den letzten Metern scheitern können. Davon konnte man frühestens im Oktober ausgehen, wenn nicht sogar erst im Dezember nach der letzten Ratifizierung. Von daher wundert es auch nicht, dass viele Bewerber erst im Februar eingereicht haben, obwohl sie an der Informationsveranstaltung teilnahmen.

Aber selbst wenn man jegliches Risiko ausschließen wollte und auf fünf Monate einließe, hielte sich die Verzögerung in Grenzen. Von einer Neubekanntmachung am 1. Mai ausgehend, wäre der Fristablauf auf den 1. Oktober vorzusehen. Die Ausgabe von Sportwettkonzessionen wäre dann jedenfalls im November gewährleistet. Dass überhaupt noch viele Bewerbungen überhaupt eingereicht werden, ist unwahrscheinlich. Und sollte von dem Angebot keiner Gebrauch machen, was sich nicht ausschließen lässt, könnte die Konzessionsausgabe schon sehr viel früher erfolgen.

Die Verzögerung für den Eintritt eines regulierten Marktes beliefe sich damit auf deutlich weniger als drei Monate. Und der verbliebene Konzessionszeitraum läge im Falle des Inkrafttretens des künftigen Staatsvertrags dann immer noch auf volle zwei Jahre.

Zur künftigen Rolle des Glücksspielkollegiums

Mit der Neubekanntmachung wären zugleich Transparenzbedenken des Verwaltungsgerichts ausgeräumt, wenngleich nicht insgesamt erschöpft. Eine Antwort müssten die Länder nämlich auch auf die Bedenken hinsichtlich der Rolle des Glücksspielkollegiums finden. Das betrifft vor allem die Bindungswirkung. Sie haben sich hier in der Vergangenheit schon nicht ungeschickt damit beholfen, Entscheidungen einstimmig oder mit Enthaltungen anstatt mit Gegenstimmen zu treffen und vor allem nicht gegen die Stimmung des Landes, das die verfahrensführende Behörde innehat.

Diese Handhabung ließe sich auch für das Sportwettkonzessionsverfahren anwenden. Im Falle streitiger Entscheidungen würde die unterlegene Minderheit durch Stimmenthaltung einlenken. Beispiele hierfür gibt es aus dem Bereich der gewerblichen Spielvermittlung und der Lotterieveranstaltungsgenehmigungen. Sowohl das Entscheidungsquorum im Glücksspielkollegium als auch die Bindungswirkung der Entscheidung für die verfahrensführende Behörde würden dann keine verfassungsrechtlichen Probleme mehr aufwerfen, die bei der konkreten Entscheidung durchschlagen.

Den Beanstandungen des transparenten Entscheidungsprozesses innerhalb des Glücksspielkollegiums trägt die Geschäftsordnung bereits großenteils Rechnung, die das Glücksspielkollegium sich vor langer Zeit gegeben hat. Zum Teil kann ihnen noch Rechnung getragen werden, wenn man dies will. Beanstandungen durch einzelne Bundesländer müssten vorab mitgeteilt und mit einer Vorlage für die übrigen Bundesländer überprüfbar gestaltet werden. Soweit Gegenstand der Erörterung ein Erlaubnisantrag oder ein Vorgehen gegenüber Glückspielanbietern ist, müsste diesen Gelegenheit zur Stellungnahme gegenüber dem Glückspielkollegium in einer Weise gegeben werden, die das Recht auf rechtliches Gehör gewährleistet (s.o.).

Hier werden sich die Geister scheiden. Viele werden dies als rechtsstaatliche Selbstverständlichkeiten des Verfahrens ansehen. Manchem wird solche Transparenz hingegen nicht schmecken Da es dahin aber ohnehin kommen wird – spätestens wenn die Anstalt eingerichtet ist, bedarf es hier klarer Vorgaben, soweit sie im GlüNeuRStV nicht schon enthalten sind – sollte dies aber insgesamt hinnehmbar sein.

Fortführung des Verfahrens im Vergleich

Die Ausgabe von Sportwettkonzessionen wäre im Falle eines Einlenkens der Länder durch Rücknahme der Beschwerde wie aufgezeigt binnen weniger Monate möglich, – ohne dass alle diejenigen, die Konzessionsunterlagen eingereicht haben, diese wieder neu einreichen müssten. Die Zwischenzeit könnte genutzt werden, um alle eingereichten Bewerbungen beschlussreif vorzubereiten und Beschlüsse über die jeweiligen Konzessionsanträge bereits zu treffen. Nur die Ausgabe würde einheitlich erfolgen.

Auf dem bislang eingeschlagenen Weg der Beschwerde droht dagegen viel schlimmeres. Im Beschwerdeverfahren ist eine Entscheidung bestenfalls im Juli möglich, ohne rechtliches Gehör ungebührlich einzuschränken (Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist 3.Mai; Erwiderungsfrist Anfang Juni; Replik Mitte / Ende Juni). Der VGH kann aber je nach Verlauf des Verfahrens ebenso gut erst nächstes Jahr entscheiden. Wenn man die Belastung des Senates mit ausländerrechtlichen Verfahren berücksichtigt und die Laufzeiten früherer Beschwerdeverfahren zur Sportwette betrachtet, ist dies auch keineswegs ausgeschlossen.

Und der Ausgang ist ungewiss. Lehnt der VGH den Antrag als unzulässig ab, weil die Antragstellerin keine Konzessionsbewerbung abgegeben hat, droht die Gefahr einer Neuauflage. Dazu kann schon ein Nachahmereffekt auf Nachzügler im Konzessionsverfahren führen oder ein Antrag der Antragstellerin, die eine Konzessionsbewerbung aus dem Hut zaubert, wenn sie diese nicht schon vorbereitet. Und schon könnte die Konzessionsausgabe erneut gestoppt werden. Konzessionen würden dann vielleicht erst in der künftigen Regulierung nach Juli 2021 ausgegeben werden.

Und befasst der VGH sich mit der Sache und entscheidet materiellrechtlich, droht noch schlimmeres. Denn es ist alles andere als fernliegend, dass er die Konzessionsausgabe schlechthin verwirft, wie er das früher getan hat. Er hat keine Veranlassung, von seinen damaligen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Bindungswirkung von Entscheidungen des Glückspielkollegiums abzurücken. Die Aufhebung der Deckelung macht diese nicht einfach unbeachtlich. Darauf zu vertrauen, wäre russisches Roulette: Ein entsprechender Beschluss könnte der Schuss sein, der dem ganzen Verfahren den Garaus macht, und dann auf Jahre.

Die Folgen dessen könnten auch für den künftigen Staatsvertrag fatal sein. Der regulierte Sportwettmarkt wäre bis mindestens 2023 torpediert, – vorausgesetzt die Anstalt öffentlichen Rechts ist bis dahin errichtet.

Aber selbst wenn der VGH sich damit begnügt, die vom VG Darmstadt festgestellte Diskriminierung zu bestätigen, wäre nichts gewonnen, sondern mindestens ein weiteres halbes Jahr verloren. Und die Wahrscheinlichkeit, dass der VGH zumindest diese Diskriminierung für einen Marktteilnehmer bestätigt, die erst durch die Neubekanntmachung vom 31.12.2019 vom Verfahren erfahren haben, wird man ebenfalls als hoch einstufen können.

Lenken die Länder dagegen jetzt ein, ließe sich dies alles noch vermeiden. Denn wenn gewährleistet ist, dass alle zugleich Konzessionen erhalten, wie der VG Darmstadt-Beschluss dies verlangt, dürfte niemand noch ein Recht geltend machen können, diese nicht auszugeben.

Der Beschluss des VG Darmstadt könnte deshalb doch eines bewirken: ein heilsames Aufwachen. Er kann recht verstanden immer noch in einen regulierten Sportwettmarkt und ein transparentes Verfahren bei denen führen, die entscheiden. Er führt falsch verstanden in ein Desaster, das den Grundkonsens des Glückspielneuregulierungsstaatsvertrages berührt. Denn man wird den Ministerpräsidenten kaum unterstellen wollen, dass sie einen Staatsvertrag unterschreiben wollten, der den unregulierten Sportwett- und Onlineglückspielmarkt noch auf weitere Jahre perpetuiert, bis eine Anstalt öffentlichen Rechts endlich eingerichtet ist. Schließlich kann das – schaut man auf frühere Erfahrungen der Länder mit einer solchen Anstalt – auch noch deutlich länger als drei Jahre dauern.

Vor diesem Hintergrund gäbe es durchaus gute Gründe, sich zu fragen, ob es nicht viel wichtiger ist sicherzustellen, dass mit der Ausgabe von Konzessionen im Bereich der Sportwette endlich Recht vollzogen wird, anstatt mit der Beschwerde zu versuchen, recht zu haben.


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Samstag, 26. September 2020

A: Erfüllen die Gerichte des öff. Rechts die Voraussetzungen des Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 EGRC?

Paukenschlag in Österreich: Antrag auf Vorabentscheidung durch das LVwG OÖ. Kein Gericht im Bereich des öffentlichen Rechts erfüllt die Voraussetzungen des Art 6 EMRK bzw. Art 47 EGRC!

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Dr. Fabian Maschke und Rechtsanwaltsanwärter Mag. Simon Wallner

Mit Antrag vom 29.06.2020 stelle das LVwG OÖ zu den Zahlen LVwG-413731 sowie LVwG-413732 folgende Fragen zur Beantwortung an den EuGH:

  1. Ist Art 267 AEUV unter Berücksichtigung des Art 6 EMRK und des Art 47 EGRC sowie der dazu jeweils ergangenen Judikatur des EuGH und des EGMR dahin auszulegen, dass auch Institutionen, deren Gerichtsqualität im Lichte dieser Rechtsprechung a priori zwar zweifelhaft erscheinen mag, jedoch zumindest bis zum Nachweis des Gegenteils vermutet werden kann, vorlageberechtigt?

  2. Sind Verträge bzw. die dazu ergangene Rechtsprechung des EuGH dahin auszulegen, dass die Annahme eines sogenannten integrationsfesten Verfassungskerns (im Besonderen des national – verfassungsrechtlichen Grundprinzips der Rechtsstaatlichkeit), der zu einer partiellen Zurückdrängung des Vorranges des Unionsrechts (und im Besonderen auch der Judikatur des EuGH zur Nichtbindung an die Auslegung des Unionsrechts durch andere nationale, allenfalls auch instanzenmäßig übergeordnete Gerichte) führt bzw. führen kann, mit der diesbezüglichen bisherigen Rechtsprechung des EuGH vereinbar ist oder ist diese vielmehr dahin zu verstehen, dass der Vorrang des Unionsrechts (von expliziten spezialgesetzlichen Ausnahmeregelungen abgesehen) absolut gilt?

Zur Entstehung dieser Fragen:

Dass das österreichische Glückspielgesetz seit Jahren immer wieder beim EuGH landet ist an sich nichts Ungewöhnliches. Im Moment sind – dieses Verfahren mit einbezogen – nicht weniger als 3 Vorabentscheidungsverfahren anhängig.

In dem hier diskutierten Verfahren verhält es sich jedoch ein wenig anders. Zum ersten Mal in Österreich ortet ein Gericht das Fehlen der Unabhängigkeit und das Fehlen des Rechtes auf ein faires Verfahren bei sich selbst und bei allen anderen Gerichten im öffentlich rechtlichen Bereich. Es muss hier angeführt werden, dass es ähnliche Tendenzen bereits in Deutschland gibt, wie ein Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden vom 28.03.2019, GZ: 6 K 1016/15 zeigt: Hier wurde ebenso die Frage an den EuGH gestellt, ob es sich bei dem vorlegenden Gericht um ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 267 AEUV i.V.m. Art. 47 Abs. 2 EGRC handelt. Es wird hierzu ausgeführt, dass in Deutschland die Richter zwar selbst unabhängig seien, dies jedoch ein Gericht nicht von jeder äußeren Einflussnahme bewahrt. Durch Ausstattung, Personalzuweisung usw. durch das Justizministerium kann bereits die Gefahr einer politischen Einflussnahme bestehen, die in weiterer Folge das Gericht in seiner für dessen Aufgaben erforderlichen unabhängigen Wahrnehmung beeinträchtigen kann. Die Vorlage kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass das vorlegende Gericht wohl kein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne des Art 47 Abs. 2 EGRC darstellt.

Somit ist klar erkennbar, dass das LVwG OÖ keineswegs das einzige Verwaltungsgericht ist, das derartige Bedenken äußert sondern es sich hierbei um ein grenzenüberschreitendes Problem handelt.

Das LVwG OÖ wörtlich:

„…Alle diese spezifischen Grundsätze führen insbesondere bei summarischer Betrachtung zu v.a. im Grundrechtsbereich von Normadressaten vielfach beklagten strukturellen (Rechtsschutz-) Defiziten bzw. lassen diese in der Regel kaum ein faires Verfahren im Bereich der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts erwarten….“

„… Ungeachtet der zuvor aufgezeigten strukturellen Defizite des von ihm heranzuziehenden Verfahrensregimes (VwGVG iVm AVG bzw VStG) geht das LVwG vorläufig davon aus, dass ihm – wenngleich wegen strukturell fehelnder Unparteilichkeit keine apriorische Gerichtsqualität nach Art 6 EMRK bzw Art 47 EGRC, so doch – zumindest die Eigenschaft eines Gerichtes iSd Art 267 AEUV zukommt…“

Damit zeigt das LVwG OÖ erstmals auf, was Experten bereits seit Jahren sagen. Das Problem in der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts liegt an folgenden Punkten:

  • Der Verfassungsgerichtshof ist gemäß ständiger Rechtsprechung des EGMR kein Gericht im Sinne des Art 6 EMRK („lack of full decision“- vgl. EGMR vom 26.4.1996, 16922/90 RN 28ff)

  • Der Verwaltungsgerichtshof ist seit der Novellierung des Art 133 Abs 4 B-VG im Sinne der eben zitierten Entscheidung des EGMR ebenfalls kein Gericht im Sinne des Art 6 EMRK

Auf Grund der oben genannten Punkte und der Tatsache, dass die VWG an oberinstanzliche Rechtsmeinungen gebunden sind (vgl. § 63 Abs. 1 VwGG und § 87 Abs. 2 VfGG), würde noch dazu bei unterschiedlichen Rechtsauffassungen bezüglich der Vereinbarkeit einer Regelung mit Unionsrecht des VWG einerseits und eines Höchstgerichtes andererseits dem nationalen Recht Vorrang gegenüber Unionsrecht einräumen. Genau diese Situation trat in über 150 Verfahren, die das LVwG OÖ zu entscheiden hatte, auf. Das LVwG OÖ, das die Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols in diesen Entscheidungen feststellte, sah sich nach Erhebung von Amtsrevisionen durch den BM für Finanzen und deren Stattgabe durch den VwGH einerseits mit der Verpflichtung die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung mit Unionsrecht laut ständiger Rsp des EuGH selbständig ohne Bindung an eine höchstgerichtliche Rechtsmeinung zu beurteilen und zu entscheiden und andererseits mit der oben erwähnten Bindungswirkung an die Rechtsmeinung des VwGH, der das österreichische Glücksspielmonopol für unionsrechtskonform hält, konfrontiert. Würde das LVwG OÖ bei seiner Rechtsmeinung hinsichtlich der Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen Glücksspielmonopols bleiben, würde sich der bisherige Verfahrensablauf ständig wiederholen, nämlich wiederholter Erlass eines Erkenntnisses des LVwG OÖ, in dem dieses die Unionsrechtswidrigkeit des österr. Glücksspielmonopols feststellt -> Amtsrevision des BM für Finanzen -> Stattgabe der Revision durch den VwGH, da er das Glücksspielmonopol für unionsrechtskonform hält, gleichzeitig jedoch nicht in der Sache selbst entscheiden darf -> daher wieder zurück an das LVwG OÖ, das das Glücksspielmonopol jedoch weiterhin für unionsrechtswidrig hält und daher wieder auf Basis dieser Rechtsauffassung und der Pflicht, die Vereinbarkeit einer Regelung mit Unionsrecht selbständig zu beurteilen und zu entscheiden, ein Erkenntnis fällt -> Amtsrevision des BM Für Finanzen usw.

Schließlich „lenkte“ das LVwG OÖ ein und räumte unter Berufung auf einen sog. „integrationsfesten“ bzw. „souveränitätsstiftenden Verfassungskern“ dem nationalen Recht Vorrang gegenüber Unionsrecht ein, um einen wie oben beschriebenen gleichsam unendlichen Zirkel zu vermeiden, jedoch im Wissen darüber, dass daraus die weitgehende Ineffektivität des Art. 56 AEUV im Anwendungsbereich des § 52 Abs. 1 Z. 1 GSpG im gesamten österreichischen Bundesgebiet resultiert bzw. der Vorrang des Unionsrechts faktisch nicht zum Tragen kommt.

Aus diesem Grund sah sich das LVwG OÖ auch in der Pflicht die oben zitierte Frage 2. an den EuGH zu stellen.

Es bleibt nunmehr die nächsten Schritte des EuGH abzuwarten. Realistisch betrachtet sind derartige Missstände jedoch nur durch eine tiefgreifende Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu beseitigen. Die seit Jahren zunehmende Ignoranz der Mitgliedstaaten betreffend Umsetzung von EuGH Urteilen muss in Zukunft durch eine strenge Kontrolle der EU Kommission sowie mit Klagen gegen die Mitgliedstaaten hintangehalten werden.

Kontakt:

maschke Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Dr. Fabian Maschke
Rechtsanwaltsanwärter Mag. Simon Wallner
Dominikanerbastei 17/11, 1010 Wien


s.a.: Ist die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit unabhängig und demokratisch legitimiert?
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s.a. Petition „Rettet die Justiz“ von Ex-Justiz-Ministerin und EuGH Richterin Dr. Maria Berger
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Die EU-Kommission kritisiert das Weisungsrecht der Landesjustizminister gegenüber Staatsanwaltschaften.

Doch Union und SPD lehnen Änderungen ab.

Dazu sagte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, am Samstag: „Die ungewöhnlich deutliche Kritik der EU-Kommission muss den Verantwortlichen in den Bundesländern in den Ohren klingen. Sie sollten den Kopf aus dem Sand nehmen und die von Brüssel kritisierten, lange bekannten Mängel der Justizstrukturen beheben.“

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Landesjustizminister haben in Deutschland ein Weisungsrecht gegenüber Staatsanwälten.
EU-Kommissionsvize Vera Jourova bemängelt das: Da sei die Versuchung groß, politischen Einfluss auszuüben.
Auch kritisiert sie die Dauer von Gerichtsverfahren in Deutschland.

Das Weisungsrecht von Landesjustizministern gegenüber Staatsanwälten ist nach Ansicht der EU-Kommission ein Schwachpunkt des deutschen Justizwesens.

“Justizminister sind nun mal Politiker, deshalb ist die Versuchung für sie groß, politischen Einfluss auszuüben”, sagte EU-Kommissionsvize Vera Jourova dem “Spiegel”. “Generell gilt für Deutschland wie für alle EU-Länder: Je unabhängiger und effizienter die Justiz, desto besser.”

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Donnerstag, 17. September 2020

Die Landesregierung will die WestSpiel-Gruppe verkaufen


Anhörung: Sachverständige äußern sich zu geplantem Spielbankgesetz

07.05.2020 / Die Landesregierung will die WestSpiel-Gruppe verkaufen. WestSpiel betreibt die vier Spielbanken in Nordrhein-Westfalen an den Standorten Aachen, Bad Oeynhausen, Dortmund und Duisburg. Zum entsprechenden Gesetzentwurf äußerten sich Sachverständige in einer gemeinsamen Anhörung des Haushalts- und Finanzausschusses, des Hauptausschusses sowie des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

Derzeit sehe das Spielbankgesetz noch ein Monopol des Landes vor, heißt es im Entwurf zum „Gesetz über die Zulassung öffentlicher Spielbanken im Land Nordrhein-Westfalen“ (17/8796), kurz „Spielbankgesetz NRW“. Die Genehmigung zum Betrieb einer Spielbank solle künftig im Rahmen eines Konzessionsverfahrens erfolgen. Es solle nur eine Konzession erteilt werden, „die die Erlaubnis zum Betrieb von bis zu sechs Spielbanken beinhaltet“. Aktuell gibt es in NRW vier Spielbanken. Durch den wettbewerbsfreien Betrieb werde „das Risiko vermindert, dass exzessiv um Gäste geworben wird und dadurch Personen zum Glücksspiel verleitet werden, die zuvor hierzu keinen Entschluss gefasst hatten“, so die Landesregierung.

„Grundsätzlich richtige Richtung“

Der Gesetzentwurf gehe „grundsätzlich in die richtige Richtung“, so Rechtsanwalt Rolf Karpenstein (Rechtsanwälte Blume, Ritscher, Nguyen, Rega; Hamburg) in seiner Stellungnahme für die Ausschüsse. An einigen Punkten müsse jedoch noch „geschliffen werden“. So könne die Vergabe nur einer Konzession, an der dann die Betriebserlaubnis für die jeweiligen Spielbanken angehängt werde, „möglicherweise nicht ganz unproblematisch sein“.

Das bisherige Staatsmonopol für Spielbanken sei verfassungs- und unionsrechtlich gut abgesichert, schreibt Prof. Dr. Jörg Ennuschat (Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Öffentliches Recht) in seiner Stellungnahme. Dennoch stehe es dem Gesetzgeber frei, sich für ein anderes Regulierungsmodell zu entscheiden.

Es sei begrüßenswert, dass die Landesregierung beabsichtige, sich auf die Rolle des „Regulierers“ und Aufsehers zu beschränken und auf eine aktive Marktteilnahme zu verzichten, befindet Prof. Dr. Justus Haucap (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät). Es seien „keine Gründe erkennbar, warum der Staat das unternehmerische Risiko bei Spielbanken vollständig übernehmen sollte“. Eine private Betriebsführung und Übernahme der unternehmerischen Risiken erscheine „eindeutig vorzugswürdig“.

Die NRW.Bank begrüßt die geplanten Änderungen. Der Gesetzentwurf enthalte wichtige Neuregelungen zur Sicherstellung eines wirtschaftlichen tragfähigen Spielbankangebots.

Eine Privatisierung der Spielbanken würde eine „Verwerfung im Bereich der Kontrolle beseitigen“, so die Kölner Fachstelle Glücksspielsucht. Derzeit sei der Staat Anbieter und zugleich Kontrolleur. Die Privatisierung führe zu einer „klaren Trennung“ und damit zu einem verbesserten Verbraucherschutz.

Mit den bisherigen Fassungen des Spielbankgesetzes habe das Land die Existenz und die Arbeit der „Stiftung Wohlfahrtspflege NRW“ gesichert, betont die Stiftung. Man habe Projekte für soziale Zwecke mit rund einer Milliarde Euro aus der Spielbankabgabe gefördert. „Für die wichtige Arbeit der Stiftung ist es elementar, dass ihr auch in Zukunft verlässlich ein jährlicher Betrag in der bisherigen Höhe aus dem Landeshaushalt oder unmittelbar aus der Spielbankabgabe zur Verfügung steht.“ 

Kritik an weiteren Spielbanken

Die „Landeskoordinierungsstelle Glücksspielsucht NRW“ kritisiert, dass „mindestens vier Spielbanken verpflichtend und zwei weitere Spielbanken unverlangt betrieben werden können“. Bei Spielhallen seien in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen worden, „um die Verfügbarkeit aus suchtpräventiven Gründen zu reduzieren“. Die Forschung zeige, „dass Verfügbarkeitsbeschränkungen eine wirksame Maßnahme sind“. Umso erstaunlicher sei, dass bei den Spielbanken der entgegengesetzte Weg beschritten werden solle.

Die Argumente der Landesregierung für eine Privatisierung seien stichhaltig und evident, so der Konzernbetriebsrat WestSpiel. Der Gesetzentwurf enthalte „grundsätzlich viele Anlagen für ein funktionierendes Casino-Spiel in Nordrhein-Westfalen. Einige bergen jedoch das Risiko, dass der Schutz der Bevölkerung und die Sicherung von Arbeitsplätzen hinter wirtschaftlichen Interessen zurückbleiben“.

Kritik am Gesetzentwurf kommt auch von Gewerkschaftsseite. Der Schutz von Spielerinnen und Spielern werde nicht verbessert, so die Deutsche Steuer Gewerkschaft. Sie fürchtet zudem ein Mehr an Bürokratie. Unklar bleibe, „warum zwei weitere Spielbanken zugelassen werden sollen“. Vier Spielbanken in NRW seien ausreichend. 

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter empfiehlt ebenfalls, die mögliche Eröffnung zweier weiterer Spielbanken aus dem Gesetzentwurf zu streichen. Entscheidend für die Option seien offenbar „unternehmerische Entscheidungen der Gewinnmaximierung“.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vermisst eine „schlüssige Begründung, warum die NRW-Spielbanken privatisiert werden müssen“. Die Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Beschäftigten finde sich „an keiner Stelle im vorliegenden Entwurf wieder“. Es gebe weder eine Standort- noch eine Beschäftigungsgarantie.

Die Städte Aachen, Bad Oeynhausen, Dortmund und Duisburg forderten in ihren Stellungnahmen u. a. eine gesetzliche Absicherung als Spielbankstandorte.  

Alle eingegangenen Stellungnahmen finden Sie hier.

Quelle




 




Sonntag, 13. September 2020

Staatshaftungsklage wegen der qualifizierten Verletzung des Unionsrechts durch den Bundesfinanzhof

Ein Beitrag von Rolf Karpenstein

Der Spielhallenbetreiber, der den Streit um die Mehrwertsteuerpflicht der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielgeräten beim Bundesfinanzhof im Verfahren XI R 13/18 zu Unrecht verloren hatte, verklagt den Bund wegen der qualifizierten Verletzung des Unionsrechts durch den Bundesfinanzhof auf Schadensersatz. Rechtsgrundlage ist der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch (dazu EuGH Haim oder Stockholm Lindöpark). Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch greift gegenüber derjenigen Körperschaft, dem das Gericht angehört, dass unter Missachtung seiner letztinstanzlichen Vorlagepflicht an den EuGH (Art. 267 AEUV) das Unionsrecht hinreichend qualifiziert missachtet hat.

Alle Voraussetzungen der unionsrechtlichen Staatshaftung des Bundes sind zwanglos gegeben. In den Einnahmen der Betreiber von Geldspielgeräten, die aus den verlorenen Spieleinsätzen der Spieler bestehen ist keine Mehrwertsteuer des Kunden enthalten. Der Gesetzgeber sieht eine Mehrwertsteuer in den vorgegebenen Spieleinsätzen nicht vor. Daher muss der Kläger diese entgegen dem Neutralitätsgrundsatz aus seinem Einkommen als Kostenfaktor abführen.

Diese Glücksspiele mit Geldspielgeräten unterliegen auch deshalb nicht der Mehrwertsteuer, weil zwischen Kunde und Automatenaufsteller kein Leistungsaustausch im Sinne von Artikel 2 Nr. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie stattfindet. Weder die vom Automatenaufsteller eingenommenen Spieleinsätze, die Spieler verloren haben, noch die vom Spieler eingestrichenen Gewinne entsprechen dem tatsächlichen Gegenwert der Leistung. So hat z.B. ein Spieler, der mit einem Spieleinsatz von 10 € einen Gewinn von 100 € einstreicht und damit nach Hause geht, gegenüber dem Automatenaufsteller gar keine Gegenleistung erbracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs indes ist eine Dienstleistung nur im Leistungsaustausch steuerbar. Der EuGH führt aus:

43 Die steuerbaren Umsätze im Rahmen des Mehrwertsteuersystems setzen eine Vereinbarung zwischen den Parteien über einen Preis oder einen Gegenwert voraus. Beschränkt sich die Tätigkeit eines Dienstleistenden ausschließlich darauf, Leistungen ohne unmittelbare Gegenleistung zu erbringen, fehlt es daher an einer Besteuerungsgrundlage und diese Leistungen unterliegen nicht der Mehrwertsteuer (vgl. Urteile vom 1. April 1982, Hong-Kong Trade Development Council, 89/81, Slg. 1982, 1277, Randnrn. 9 und 10, sowie vom 3. März 1994, Tolsma, C‑16/93, Slg. 1994, I‑743, Randnr. 12).

44 Daraus folgt nach der Rechtsprechung, dass eine Dienstleistung nur dann im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie „gegen Entgelt“ erbracht wird, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet (vgl. u. a. Urteile Tolsma, Randnr. 14, vom 5. Juni 1997, SDC, C‑2/95, Slg. 1997, I‑3017, Randnr. 45, und MKG-Kraftfahrzeuge-Factoring, Randnr. 47).

45 Eine Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie liegt daher nach der Rechtsprechung nur dann vor, wenn zwischen der erbrachten Dienstleistung und dem empfangenen Gegenwert ein unmittelbarer Zusammenhang besteht (vgl. u. a. Urteile vom 8. März 1988, Apple and Pear Development Council, 102/86, Slg. 1988, 1443, Randnrn. 11 und 12, vom 16. Oktober 1997, Fillibeck, C‑258/95, Slg. 1997, I‑5577, Randnr. 12, und Kommission/Griechenland, Randnr. 29).

Diese Auslegung von Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie und diese ständige Rechtsprechung des EuGH (zitiert aus EuGH C-246/08, Kommission./. Italien) gilt für jeden innerstaatlichen Sachverhalt. Befremdlicherweise soll die Rechtsprechung des EuGH aus Sicht des elften Senats beim BFH nur nicht für Glücksspielautomatenumsätze gelten. Unter Vorsitz von Peter Brandis (früher hauptamtlich Ausbilder in der Bundesfinanzakademie, jetzt nur noch nebenamtlich) meint der elfte Senat im Urteil vom 11.12.2019, der EuGH halte (Zitat) „die Veranstaltung von Glücksspielen in ständiger Rechtsprechung für umsatzsteuerbar; die Veranstaltung eines Glücksspiels ist nach Auffassung des EuGH eine steuerbare Dienstleistung.

Mit dieser nicht belegbaren These verlässt der Bundesfinanzhof die Grenzen einer vertretbaren Auslegung des Unionsrechts. Der BFH unterstellt, ohne seiner letztinstanzlichen Vorlagepflicht nachzukommen, der EuGH würde – hätte man ihn pflichtgemäß gefragt – von seiner ständigen Rechtsprechung zur Auslegung von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie abweichen, wenn es um Glücksspiel geht. Diese Unterstellung ist abwegig und findet keinen Anhaltspunkt in den vom BFH genannten EuGH-Entscheidungen.

Der BFH selbst ist z.B. in den Entscheidungen XI R 37/14 (vom 30.8.2017) und V R 21/16 (vom 2.8.2018) bei Gewinnen aus Pokerspielen oder der Zahlung eines platzierungsabhängigen Preisgeldes vom fehlenden Leistungsaustausch entsprechend den Vorgaben des EuGH ausgegangen. Zudem leuchtet unmittelbar ein, dass der Aufsteller beim Automatenglücksspiel aufgrund der gesetzlich vorgegebenen Zufallsabhängigkeit niemals wissen kann, welche Gegenleistung ihm am Ende des Spiels des Kunden verbleibt. In vielen Fällen zahlt der Automatenaufsteller für seine Dienstleistung drauf, nämlich dann, wenn der Kunde mit einem Gewinn nach Hause geht. Von einem „Entgelt“ im Sinne eines gegenseitigen Leistungsaustauschs kann daher unmöglich die Rede sein.

Dass dem Bundesfinanzhof Dolus directus bezüglich der Missachtung des EU-Rechts vorzuwerfen ist, folgt auch daraus, dass er im fünften Leitsatz die falsche These aufstellt, die in Rede stehenden Geldspielautomaten seien (Zitat) „aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt wird.“ Deshalb bestehe, so der BFH, die vom Betreiber für die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhaltene Gegenleistung nur in dem Teil der Einsätze, über den er selbst effektiv verfügen kann (Bestätigung des EuGH-Urteils Glawe).

Der BFH unterstellt mithin eine (deutsche) Rechtslage nach der Spielverordnung, die es nicht gibt. Sein Urteil beruht auf einem frei erfundenen Sachverhalt, ersichtlich mit dem unlauteren Ziel zu suggerieren, die Bereithaltung von Geldspielautomaten im Sinne der Spielverordnung sei kein Glücksspiel. Ist es aber doch!

Wäre der Bundesfinanzhof zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei den Einnahmen von Automatenaufstellern um Einnahmen aus Glücksspiel handelt, hätte er entsprechend der Systematik der Mehrwertsteuerrichtlinie und nach der eigenen Rechtsprechung des BFH die Steuerbefreiung feststellen müssen. Der Bundesfinanzhof hatte z.B. im Urteil vom 16.9.2015 (X R 43/12) selbst zwischen Glücksspiel und Geschicklichkeitsspiel unterschieden und in Rn. 19 zu der Frage ob ein Leistungsaustausch stattfindet, richtig ausgeführt:

19. In Bezug auf die steuerrechtliche Beurteilung von Spielgewinnen bzw. Preisgeldern ist in der noch vom Reichsfinanzhof begründeten höchstrichterlichen Finanzrechtsprechung anerkannt, dass bei einem reinen Glücksspiel (zum Beispiel Lotterie) keine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr vorliegt, weil es an der Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung fehlt.

Im Rahmen der Staatshaftungsklage werden weitere qualifizierte Rechtsfehler des BFH aufgezeigt, die die Schlussfolgerung zulassen, dass es den fünf Richtern beim Bundesfinanzhof nicht um die Rechtsfindung, sondern um das Ergebnis zum Nachteil des Klägers ging.

In dieses betrübliche Bild fügt sich ein, dass die Richter beim Bundesfinanzhof in der mündlichen Verhandlung zwar die Notwendigkeit erkannt hatten, als letzte Instanz den Gerichtshof der Europäischen Union anzurufen, dies aber mit der nicht vertretbaren These abgelehnt haben, der EuGH hätte einen Fall mit den vorliegenden Besonderheiten, in welchem es um Glücksspiel und nicht um Geschicklichkeitsspiel geht, schon einmal im Sinne des BFH entschieden. Das hat der EuGH nicht getan!

 

Kontakt:
Rechtanwalt Rolf Karpenstein
Gerhofstraße 38
20354 Hamburg


meine Anmerkungen:

Unbestritten unterliegt das Mehrwertsteuerrecht dem Gemeinschaftsrecht.
Durch den Kloppenburg-Beschluss (2 BvR 687/85) hat das Bundesverfassungsgericht bereits am 8. April 1987 über den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts entschieden und am 15.12.2015 (2 BvR 2735/14) festgelegt, dass die Mitgliedstaaten, soweit diese Unionsrecht durchführen (vgl. Rn. 73), auch an die Gewährleistungen der Charta der Grundrechte gebunden sind (vgl. Art. 51 Abs. 1 GRCh) und die Unionsgrundrechte (vgl. Rn. 92) zu beachten haben. (vgl. Vertrag von Lissabon, s.u. EU-Recht)
Der BFH, die Finanzgerichte und die Finanzverwaltung sind verpflichtet, das harmonisierte Mehrwertsteuerrecht umzusetzen. (vgl. BFH-Urteile vom 24.10.2013, V R 17/13; 11. Oktober 2012, V R 9/10; 30.08.2017, XI R 37/14) 

Mit der Pressemitteilung Nr. 58/20 vom 8. Mai 2020 hat der Gerichtshof der Europäischen Union erneut auf die Einhaltung des Anwendungsvorrangs und auf die Folgen hingewiesen.

Mit dem aktuellen Urteil "Cabinet de avocat UR" (C-424/19) entschied der EuGH:
Das Unionsrecht verwehrt es einem nationalen Gericht, im Rahmen eines die Mehrwertsteuer betreffenden Rechtsstreits den Grundsatz der Rechtskraft anzuwenden, wenn sich dieser Rechtsstreit weder auf einen Besteuerungszeitraum bezieht, der mit dem identisch ist, um den es in dem Rechtsstreit ging, der der rechtskräftigen Entscheidung zugrunde lag, noch den gleichen Gegenstand wie dieser hat, und wenn die Anwendung dieses Grundsatzes die Berücksichtigung der unionsrechtlichen Mehrwertsteuerregelung durch dieses Gericht behindern würde." (vgl. Rn. 34, Tenor 2, EuGH-Urteil (C-424/19) "Cabinet de avocat UR" vom 16. Juli 2020) 
Einschränkung und Befristung des Anwendungsvorrangs
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 11.12.2019 (Aktenzeichen XI R 13/18, XI 23/18 und XI 26/18) zur Umsatzbesteuerung entschieden, dass die Glücksspielumsätze aus der Aufstellung von Geldspielautomaten nur bis zum 05.05.2006 nach dem gemeinschaftsrechtlichen Mehrwertsteuerrecht befreit sind. Im Wesentlichen stützte der BFH seine Urteile auf das überholte Urteil Glawe zum Streitjahr 1991 und setzte unter Missachtung des Anwendungsvorranges und des Vertrages von Lissabon das Gemeinschaftsrecht in diesem Fall ab 6.5.2020 außer Kraft ..... (s. Leitsätze 2, 3 und 5)
EU-Recht
Das EU-Recht gliedert sich in Primärrecht und Sekundärrecht. Die Verträge (Primärrecht) sind die Grundlage für das Tätigwerden der EU"
Die sekundären Rechtsvorschriften, also Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Beschlüsse, leiten sich von den in den Verträgen festgelegten Grundsätzen und Zielen ab.
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Siehe auch
  • Tätigkeitsbereiche der EU
  • Zusammenfassungen der EU-Gesetzgebung
  • Vertrag von Lissabon
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Umsatzsteuer erneut vor dem EuGH
Nachdem Deutschland noch immer das Grundprinzip des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems, den Neutralitätsgrundsatz nicht vollständig umsetzt und die entsprechende Rechtsprechung des EuGH missachtet, hat die Europäische Kommission am 10. Mai 2019 erneut Klage eingereicht. 
1. Erster Klagegrund - Verstoß gegen den Grundsatz der Mehrwertsteuerneutralität
zusammengestellt von Volker Stiny