Montag, 27. Februar 2017

Institut Glücksspiel & Abhängigkeit


Das Institut Glücksspiel & Abhängigkeit in Mannheim geht mit erweiterten Konzepten und unter neuer Führung ins Jahr 2017

Veröffentlicht am 27. Februar 2017

Die von Roman Neßhold in den vergangenen Jahren aufgebaute „Fachstelle Spielerschutz und Migration“ in Mannheim erweitert 2017 ihr Beratungs- und Schulungsangebot um einige wesentliche Komponenten.

„Wir tragen damit neuesten Erkenntnissen aus Forschung und Wissenschaft Rechnung und setzen diese interdisziplinär in der Praxis um“, sagt Neßhold.

Im Wesentlichen geht es dabei um intelligentes vernetztes Knowhow aus verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, das fächerübergreifend zum Einsatz kommt. Zudem geht es um eLearnig-Tools die qualitativ auf fachlich höchstem Niveau erstellt wurden und bei der Fortbildung von Mitarbeitern am Sportwettensektor großflächig eingesetzt werden sollen.

Freudig wird auch angekündigt, dass 2017 die Kooperation mit einer international renommierten Universität besiegelt und das Angebot im Bereich Spielerschutz bei Menschen mit Migrationserfahrungen erheblich ausgeweitet wird.

„Es ist im Interesse aller, die gute Ergebnisse erzielen wollen, dass wir ständig auf mehreren Feldern am Ball bleiben, was neue wissenschaftliche Ansätze betrifft und dass wir diese rasch und kompetent in der Praxis zur Anwendung bringen“, so Neßhold.

Die bewährte Fachkompetenz bei der Umsetzung neuer Konzepte in der täglichen Praxis erweiterte man mit der Neubesetzung der Mannheimer Führungsposition mit 23.01.2017. Der Präventionstrainer der die Mannheimer Fachstelle vorübergehend leitete musste seine Stellung kurzfristig aufgeben.

Das Team wird, zum 15-jährigen Jubiläum des Instituts im Sommer, zusätzlich um einen sehr erfahrenen Experten in Migrationsbelangen erweitert.

Quelle: Institut Glücksspiel & Abhängigkeit

Selbsttest

Ausgewählte Literatur für Hilfesuchende



Mittwoch, 22. Februar 2017

Deutsche Justiz - Wie gefährdet ist unser Recht?

Heute im TV
Mi, 22. Feb 17 · 22:00-22:45 · BR
DokThema
Deutsche Justiz - Wie gefährdet ist unser Recht?


Wie würde es der deutschen Justiz ergehen, wenn es hierzulande zu politischen Veränderungen käme wie derzeit in den USA? DokThema untersucht die Rolle der Richter, Staatsanwälte und der Polizei in einem Justizsystem, das immer noch nach dem Gerichtsverfassungsgesetz von 1877 organisiert ist.
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Medathek
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Deutsche Justiz
Wie gefährdet ist unser Recht? 
(Auszug)

„Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.“ Ein Sprichwort. Aus einer anderen Zeit? Irrtümer in der Justiz gibt es heute noch. Nur Pech - oder führen Systemschwächen und Geldmangel zu menschlichen Tragödien?

Unschuldig im Gefängnis sitzen, lebenslang. Diese Szenerie stammt nicht aus einem Film, sie ist für den einen oder anderen grausame Realität – auch in Deutschland. Doch wie kann so etwas in einem Rechtssystem wie dem unseren heute überhaupt noch passieren? Es gibt viele Fallstricke in der deutschen Justiz. Keine Frage: Auch in der Paragraphenwelt der Justiz spielt der menschliche Faktor eine Rolle. Doch wie groß ist er? Und wie sehr bemüht sich die Politik, diesen möglichst klein zu halten?

Unabhängige Richter?


Doch noch herrscht die Grundvoraussetzung „In dubio pro reo“ – also die Unschuldsvermutung – im Strafprozess. Für den Richter bedeutet das, beim Angeklagten von Null auszugehen, um die Wahrheit herauszufinden.
"In dubio pro reo, die Unschuldsvermutung, sind ja die Grundvoraussetzung in unserem Strafprozess. Mehr und mehr können wir aber heute davon ausgehen, dass in unserer Praxis das genaue Gegenteil davon existiert. Es ist nicht so, dass ein Richter, wenn er einen Angeklagten vor sich sieht, gedanklich davon ausgeht, ich beginne mal bei Null und versuche, die Wahrheit herauszufinden. Gehen Sie davon aus, dass in den allermeisten Fällen der Richter von ganz anderen Dingen ausgeht. Nach dem Motto: Da sitzt jemand, der wird schon der Richtige sein und der Prozess dann nur noch dazu dient, ihn endgültig mit den Mitteln der Justiz zu überführen. Dafür sprechen ganz viele Dinge. Die neuesten Forschungen der Psychologie genauso wie die Statistik."

Ulrich Sommer, Strafverteidiger und Referent zum Thema 'Psychogramm der Strafjustiz'

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Nur das Bundesverfassungsgericht ist als eigenständiges Verfassungsorgan das einzig wirklich unabhängige Gericht Deutschlands. weiterlesen

 

EU-Länder sind an Grundrechte-Charta gebunden
Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft” zum 1. Dezember 2009 wurde die neue Europäische Union geschaffen und die EU-Grundrechtecharta rechtsverbindlich.
(vgl. u.a. BFH Urteil vom 24.10.2013, V R 17/13 mit Verweis auf EuGH C-617/10, Fransson, d.a. EuGH-Pfleger)
Schlussanträge
des Generalanwalts in der Rechtssache C-638/16 PPU (Pressemitteilung)


Verhältnis BVerfG und EuGH

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Montag, 20. Februar 2017

MwSt: FG Münster widerspricht dem BFH


(s.u.) und befolgt, wie bereits mit den Entscheidungen vom 15.04.2016, 15 K 1553/15 U, 15 K 3669/15 U (s.u.), dem Neutralitätsgrundsatz der Mehrwertsteuerrichtlinie, der besagt, dass im Ergebnis grundsätzlich nur der Endverbraucher mit der Steuer belastet werden darf.

Die Qualifizierung einer Steuer muß sich an dem in der Verfassung vorgegebenen Begriff der Verbrauchsteuer orientieren, die im Kern eine Steuer auf die Einkunftsverwendung darstellt.
(vgl. auch BVerfG, Urt. .v. 27.7.1971  2 BvR 1768, 2 BvR 702/68 BVerfGE 31, 314 (330 ff.).

Zunächst darf klargestellt werden, dass in der Union bereits 1967 alle Umsatzsteuern abgeschafft und durch die mit der MwStSystRL definierte Mehrwertsteuer ersetzt wurden.

Die MwStSystRL besteht aus 414 Artikeln, die neben der Präambel (67 Erwägungssgründe), alle eingehalten werden müssen und lässt weitere Umsatzsteuern nicht zu.

Als allgemeine Verbrauchssteuer, ist die durch die MwStSystRL definierte Mehrwertsteuer die einzige in der Union zulässige Form einer Umsatzsteuer.
Das bedeutet, dass seit 1967 Umsatzsteuern gleich welcher Form, nicht mehr erhoben werden dürfen!
Mit der MwSt. soll der Konsum besteuert werden und nicht das Einkommen des Unternehmers!

EuGH: Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität gibt vor, dass der steuerpflichtige Unternehmer weder ganz noch teilweise mit der Mehrwertsteuer belastet werden darf, auch nicht vorübergehend.
(vgl. EuGH-Urteil vom 18. Oktober 2012, Rechtssache C-525/11 s. Rn. 24)

Zudem muss die Auslegung der in dieser Bestimmung verwendeten Begriffe mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht (EuGH-Urteil vom 6. November 2003 in der Rechtssache C-45/01, Dornier, Slg. 2003, I-12911, Randnr. 42).

Die geltende Mehrwertsteuer soll nach ihrem 5. Erwägungsgrund „so allgemein wie möglich“ erhoben werden.

Besteuert wird aufgrund des Erhebungssystems im Ergebnis grundsätzlich nur der Endverbrauch (11), und nach der Rechtsprechung soll auch nur der Endverbraucher mit der Steuer belastet werden (12). Quelle: Rn 26, Schlussanträge Rs. C‑520/14

11) vgl. Art. 1 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie
Urteile Lebara (C‑520/10, EU:C:2012:264, Rn. 25) sowie Tulică und Plavoşin (C‑249/12 und C‑250/12, EU:C:2013:722, Rn. 34); vgl. auch Urteil Netto Supermarkt (C‑271/06, EU:C:2008:105, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung) zur Rolle des Steuerpflichtigen als bloßer „Steuereinnehmer für Rechnung des Staates“ sowie Urteil Profaktor Kulesza, Frankowski, Jóźwiak, Orłowski (C‑188/09, EU:C:2010:454, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung) zu den wesentlichen Merkmalen der Mehrwertsteuer.

12)     EuGH Rs C-520/14: Schülertransport durch Gebietskörperschaft - keine wirtschaftliche Tätigkeit

s.a. Kommission fordert die Einhaltung der Mehrwertsteuerrichtlinie


FG Münster vom 31.01.2017 (15 K 3998/15 U)
Keine fortbestehende Steuerschuldnerschaft des Bauträgers


Das FG Münster hat abweichend von der Rechtsprechung des BFH entschieden, dass die Steuerschuldnerschaft eines Bauträgers unabhängig davon entfällt, ob der Bauträger als Leistungsempfänger die Umsatzsteuer an den Bauleistenden erstattet.

Die Klägerin war als Bauträgerin tätig und allein zu dem Zweck gegründet worden, auf einem Grundstück Eigentumswohnungen errichten zu lassen und diese anschließend zu veräußern. In ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für das III. Quartal 2013 meldete die Klägerin für die von ihr bezogenen Bauleistungen gemäß § 13b UStG geschuldete Umsatzsteuer an.

In der Umsatzsteuerjahreserklärung 2013 gab die Klägerin die Umsatzsteuer hingegen unter Berufung auf die zwischenzeitlich ergangene BFH-Rechtsprechung (BFH, Urt. v. 22.08.2013 - V R 37/10 - BStBl II 2014, 128) mit 0 Euro an. Das Finanzamt folgte dem nicht und begründete dies damit, dass der begehrten Änderung § 17 UStG entgegenstehe und die Erstattung des Umsatzsteuerbetrags an den Vertragspartner der Klägerin erforderlich sei. Gegen die Entscheidung erhob die Bauträgerin Klage.

Das FG Münster hat der Klage stattgegeben.

Nach der Rechtsprechung des BFH komme das Reverse-Charge-Verfahren nicht zur Anwendung und es schulde nicht der Bauträger, sondern der Bauleistende die Umsatzsteuer, wenn der Bauträger – wie im Streitfall die Klägerin – die bezogenen Leistungen nicht seinerseits zur Erbringung von Bauleistungen verwende, so das Finanzgericht. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Bauträger die Umsatzsteuer an den leistenden Bauunternehmer bezahlt habe. § 17 UStG könne keine Umsatzsteuerschulden begründen, sondern nur begründete Umsatzsteuerschulden berichtigen. Die Vorschrift greife also dann nicht ein, wenn ein Unternehmer – wie die Klägerin – von vornherein keine Umsatzsteuer schulde.

Auch eine analoge Anwendung zu Lasten der Klägerin komme nicht in Betracht.

Damit hat das FG Münster entgegen dem BFH entschieden, der es für möglich gehalten hatte, dass die angenommene Steuerschuld beim Bauträger entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erst aufgrund einer Zahlung des Steuerbetrages an den Bauunternehmer entfällt (BFH, Beschl. v. 27.01.2016 - V B 87/15 - BFHE 252, 187).

Das FG Münster hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitfrage die Revision zum BFH zugelassen.

Quelle: Pressemitteilung des FG Münster Nr. 2/2017 v. 15.02.2017


s.a.:  ......sei aber nur dann verfassungsgemäß, wenn im Ergebnis eine finanzielle Belastung des Bauleistenden nicht eintrete.
FG Münster, 15.03.2016 - 15 K 1553/15 U / BFH - V R 16/16 (Urteil vom 23.02.2017)
FG Münster, 15.03.2016 - 15 K 3669/15 U / BFH - V R 24/16 (
Urteil vom 23.02.2017)

Harmonisierung der Besteuerung innerhalb der EU

Rechtsgrundlage:
Mehrwertsteuerrichtlinie (MwStSystRL)

(Richtlinie 2006/112/EG des Rates)



Mittwoch, 15. Februar 2017

Ordnungsamt überprüft Spielhallen: Kaum Verstöße

Dienstag, 14. Februar 2017

Schlussanträge Rs C-213/15 P zum Zugang zu Dokumenten des Gerichtshofs


Gerichtshof der Europäischen Union
PRESSEMITTEILUNG Nr. 141/16
Luxemburg, den 21. Dezember 2016
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-213/15 P
Kommission / Patrick Breyer


________________________________________


Generalanwalt Bobek schlägt einen umfassenderen Zugang zu Dokumenten des Gerichtshofs vor


Die Kommission ist nach der Verordnung Nr. 1049/2001 verpflichtet, Dritten Zugang zu Schriftsätzen zu gewähren, die ein Mitgliedstaat in einer bereits abgeschlossenen Rechtssache eingereicht hatte und von denen sie eine Abschrift besitzt. Allerdings sollte in erster Linie der Gerichtshof als Herr über die Gerichtsakten über den Zugang zu den darin enthaltenen Dokumenten entscheiden

Herr Patrick Breyer  beantragte bei der  Kommission  Zugang zu Schriftsätzen,  die Österreich in einem von der Kommission gegen diesen Mitgliedstaat eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung der Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Daten (1) beim Gerichtshof eingereicht hatte. Dieses Verfahren war zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits abgeschlossen (2). Die Kommission verweigerte den Zugang zu den Schriftsätzen, von denen sie Abschriften besaß, mit der Begründung, dass es sich um Dokumente des Gerichtshofs handele, die damit nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung  Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission fielen (3).

Herr  Breyer  erhob  hiergegen Klage beim Gericht, das den  ablehnenden  Beschluss der Kommission über den Zugang für nichtig erklärte (4). Nach Ansicht des Gerichts fallen Schriftsätze eines Mitgliedstaats, von denen die Kommission eine Abschrift  besitzt, wie die eigenen Schriftsätze der Kommission (5) in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1049/2001.

Die Kommission legte gegen dieses Urteil des Gerichts ein Rechtsmittel beim Gerichtshof ein.

In seinen heute veröffentlichten Schlussanträgen schlägt Generalanwalt  Michal Bobek  dem Gerichtshof vor, das Urteil des Gerichts zu bestätigen und das Rechtsmittel der Kommission zurückzuweisen. Nach Ansicht von Herrn Bobek verpflichtet die Verordnung die Kommission, einem Dritten Zugang zu den von einem Mitgliedstaat vorgelegten Schriftsätzen, von denen sie eine Abschrift hat, zu gewähren, wenn die  betreffende  Rechtssache  bereits abgeschlossen ist.

Der Generalanwalt sieht allerdings das Bedürfnis nach einer größeren Offenheit des Gerichtshofs und regt an, dass der Gerichtshof seine institutionellen Regelungen  für  den Zugang zu bestimmten, in den Bereich seiner Rechtsprechungstätigkeit fallenden  Dokumenten überdenkt.

____________________________

1 Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher  elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG (ABl. 2006,  L 105, S. 54).
2 Urteil des Gerichtshofs vom 29. Juli 2010, Kommission/Österreich (C-189/09).
3 Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43).
4 Urteil des Gerichts vom 27. Februar 2015 Breyer/Kommission (T-188/12), vgl. auch Pressemitteilung Nr. 26/15.
5 Urteil des Gerichtshofs vom 21. September 2010, Schweden  u. a./API und Kommission  (verbundene Rechtssachen C-514/07 P, C-528/07 P und C-532/07 P).



Auch wenn gegenüber dem Gerichtshof kein Recht auf Zugang zu Dokumenten besteht, soweit sie seine  Rechtsprechungsaufgaben betreffen, unterliegt der Gerichtshof dem Grundsatz der Offenheit. Ein Mehr an Offenheit würde nicht nur das öffentliche Vertrauen in die Unionsgerichtsbarkeit stärken, sondern auch die Qualität der Rechtsprechung insgesamt verbessern.

Für den Zugang zu Dokumenten des Gerichtshofs nimmt Generalanwalt Bobek eine Unterscheidung zwischen internen mit der Rechtsprechungstätigkeit im Zusammenhang stehenden Dokumenten und externen mit der Rechtsprechungstätigkeit im Zusammenhang stehenden Dokumenten des Gerichtshofs vor.

Interne mit der Rechtsprechungstätigkeit im Zusammenhang stehende Dokumente, wie der Vorbericht (6) des Berichterstatters und Vermerke für die anstehende Beratung (7), müssen  aus der Sicht von Herrn Bobek vom Konzept der Offenheit unberührt bleiben und können daher nicht offengelegt werden.

Externe mit der Rechtsprechung im  Zusammenhang stehende Dokumente, etwa von den Parteien vorgelegte Schriftsätze, können grundsätzlich zugänglich sein. Generalanwalt Bobek schlägt vor,  dass diese  Dokumente auf Antrag sowohl  in  abgeschlossenen  als auch, in beschränkterem Umfang,  in  anhängigen  Rechtssachen  zugänglich gemacht werden.  Über individuelle Anträge auf Zugang hinaus regt Generalanwalt Bobek indes an, Parteischriftsätze und Vorabentscheidungsersuchen routinemäßig auf der Website des Gerichtshofs zu veröffentlichen.


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HINWEIS:  Die Schlussanträge des Generalanwalts sind  für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein.
Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

HINWEIS:  Beim Gerichtshof kann ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel gegen ein Urteil oder einen Beschluss des Gerichts eingelegt werden. Das Rechtsmittel hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden.
Andernfalls verweist er die Rechtssache an das Gericht zurück, das an die Rechtsmittelentscheidung des Gerichtshofs gebunden ist. 

____________________


6  Dieser Bericht ist an alle Richter und Generalanwälte des Gerichtshofs gerichtet und enthält Vorschläge,  welche Kammer in diesem Verfahren entscheiden soll, ob eine mündliche Verhandlung anberaumt werden soll  und ob der verantwortliche Generalanwalt Schlussanträge verfassen soll.
7 Hierbei handelt es sich um schriftliche Vermerke, mit denen die anderen Richter der Kammer den vom Berichterstatter erstellten Urteilsentwurf kommentieren.


Quelle    






Schlussanträge Rs C-591/15 GBGA Vereinigtes Königreich und Gibraltar


Gerichtshof der Europäischen Union
PRESSEMITTEILUNG Nr. 4/17
Luxemburg, den 19. Januar 2017
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-591/15
The Queen, auf Antrag von:
The Gibraltar Betting and Gaming Association Limited /
Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs
Her Majesty's Treasury

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Nach Ansicht von Generalanwalt Szpunar sind das Vereinigte Königreich und Gibraltar für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs ein einziger Mitgliedstaat

Die  Gibraltar Betting and Gaming Association („GBGA“)  ist ein Wirtschaftsverband, dessen Mitglieder vor allem Glücksspielanbieter mit Sitz in  Gibraltar  sind, die Fernglücksspieldienstleistungen an Kunden innerhalb und außerhalb des Vereinigten Königreichs erbringen.

Im Jahr 2014 erließ das Vereinigte Königreich eine neue Steuerregelung für bestimmte Glücksspielabgaben. Danach haben Glücksspielanbieter für alle Fernglücksspieleinsätze, die Verbraucher des Vereinigten Königreichs bei ihnen  tätigen, eine Glücksspielabgabe  ungeachtet der Steuer zu entrichten, die sie  in  dem Hoheitsgebiet zahlen, unter dessen Zuständigkeit sie fallen. Diese neue Steuerregelung ersetzte die bis dahin geltende Steuerregelung, wonach nur im Vereinigten Königreich ansässige Glücksspielanbieter Glücksspielabgaben auf ihre Bruttogewinne aus an Kunden weltweit erbrachten Glücksspieldienstleistungen zu entrichten hatten.

GBGA focht diese neue Steuerregelung vor dem High Court von England und Wales an, weil sie in der Abgabe einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sieht. Die (im Ausgangsverfahren  beklagte) Königliche Finanz- und Zollbehörde macht geltend, dass sich GBGA nicht auf unionsrechtliche Rechtspositionen berufen könne, da die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Gibraltar und dem Vereinigten Königreich nicht vom Unionsrecht erfasst werde. Jedenfalls könne in der neuen Regelung, da es sich um eine unterschiedslos anwendbare steuerliche Maßnahme handle, keine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs gesehen werden.  

Der High Court möchte vom Gerichtshof wissen, ob  für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs Gibraltar und das Vereinigte Königreich so zu behandeln sind, als wären sie Teile eines einzigen Mitgliedstaats, oder ob Gibraltar im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit den Verfassungsstatus eines gegenüber dem Vereinigten Königreich gesonderten Gebiets hat, so dass die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Gibraltar und dem Vereinigten Königreich als Handel innerhalb der Union zu behandeln ist.

In seinen Schlussanträgen von heute vertritt Generalanwalt Maciej Szpunar die Auffassung, dass Gibraltar und das Vereinigte Königreich für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs als eins zu behandeln sind.

Zunächst äußert der Generalanwalt die Ansicht, dass die Verträge, während aus ihnen klar hervorgeht, dass das Unionsrecht auf Gibraltar Anwendung findet,  nichts zu dem Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und  Gibraltar  sagen, wenn es um die Anwendung der Grundfreiheiten geht.

In Ansehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt der Generalanwalt fest, dass es das Vereinigte Königreich und nicht Gibraltar ist, das mit der Ratifizierung der Verträge Verpflichtungen gegenüber den Mitgliedstaaten eingegangen ist. Deshalb werden Vertragsverletzungsverfahren in Bezug auf Gibraltar denkrichtig gegen das Vereinigte Königreich angestrengt, und Gibraltar kann Vertragsverletzungsverfahren nicht selbst einleiten. Käme die Dienstleistungsfreiheit zwischen dem Vereinigten Königreich und Gibraltar zur Anwendung, würde dies nach Ansicht des Generalanwalts befremdlicherweise bedeuten, dass das Vereinigte Königreich eine Verpflichtung gegenüber sich selbst einginge.  Der Generalanwalt  gelangt zu dem Ergebnis, dass die Anwendung des Unionsrechts auf Gibraltar  keine neuen oder zusätzlichen Rechte im Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und Gibraltar schafft, die zu denjenigen hinzukämen,  die sich aus dem Verfassungsrecht beider ergeben.  Dementsprechend können  Gibraltar  und das Vereinigte Königreich für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs  nichts anderes als  ein einziger Mitgliedstaat sein.

Sodann äußert der Generalanwalt für den Fall, dass der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass  die Dienstleistungsfreiheit auf den Handel zwischen Gibraltar  und dem Vereinigten Königreich Anwendung findet, die Auffassung, dass diese Freiheit durch die neue Steuerregelung nicht beschränkt wird.  Mit der neuen Steuerregelung werden inländische Glücksspielabgaben auferlegt, die für alle Dienstleistungserbringer unterschiedslos gelten.

Schließlich geht der Generalanwalt für den Fall, dass der Gerichtshof anders als er einen rein innerstaatlichen Sachverhalt verneinen und eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im vorliegenden Fall bejahen sollte, knapp darauf ein, ob eine solche Beschränkung gerechtfertigt wäre. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass es Sache des vorlegenden Gerichts wäre, festzustellen, ob die Fernglücksspielabgabe zur Erreichung der vom Vereinigten Königreich geltend gemachten Ziele, nämlich  der  Herstellung gleicher Bedingungen für inländische und für ausländische Unternehmen  und  der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen steuerlichen Kontrolle über den Glücksspielmarkt durch das Vereinigte Königreich, geeignet und erforderlich ist.

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HINWEIS:  Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein.
Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Quelle






Sonntag, 12. Februar 2017

EU-Länder sind an Grundrechte-Charta gebunden


Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-638/16 PPU (Pressemitteilung) s.u.

Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft” zum 1. Dezember 2009 wurde die neue Europäische Union geschaffen und die EU-Grundrechtecharta rechtsverbindlich.
(vgl. u.a. BFH Urteil vom 24.10.2013, V R 17/13 mit Verweis auf EuGH C-617/10, Fransson)


Generalanwalt am EU-Gericht, Paolo Mengozzi:

Jedes EU-Land sei bei der Erteilung von Visa an die Grundrechte-Charta gebunden - egal wo die Person herkommt. Das erklärte Mengozzi nun in seinem Schlussantrag vor Gericht.

Und er ergänzte:

Die syrische Familie habe zudem genug Beweise dafür geliefert, dass sie in Aleppo in großer Gefahr schwebe. Belgien sei also verpflichtet, der Familie die Einreise zu erlauben.
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EU-Generalanwalt stärkt Recht auf EU-Visa für Folteropfer
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In seinem Antrag stützt sich der Generalanwalt auf die Grundrechtecharta der Union.

Ihn lässt es kalt, dass diese ausschließlich für EU-Bürger und solche Ausländer gilt, die in der EU leben, nicht aber für alle anderen Menschen auf der Welt.
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Gerichtshof der Europäischen Union
PRESSEMITTEILUNG Nr. 11/17
Luxemburg, den 7. Februar 2017
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-638/16 PPU


Nach Auffassung von Generalanwalt Mengozzi sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein humanitäres Visum zu erteilen, wenn ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass bei einer Verweigerung Personen, die internationalen Schutz suchen, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden

Es ist unerheblich, ob zwischen der betroffenen Person und dem ersuchten Mitgliedstaat Verbindungen bestehen

Am 12. Oktober 2016 stellte ein syrisches Ehepaar und dessen drei kleine Kinder, die in Aleppo (Syrien) leben, bei der belgischen Botschaft in Beirut (Libanon) Visumanträge.  Am 13. Oktober 2016 kehrten sie nach Syrien zurück. Mit  ihren Anträgen begehrten sie die Erteilung von Visa mit räumlich beschränkter Gültigkeit nach dem EU-Visakodex (1), die es der Familie ermöglichen sollten, die belagerte Stadt Aleppo zu verlassen, um in Belgien einen Asylantrag zu stellen.  Einer der Antragsteller  bringt  u. a.  vor,  er sei von einer bewaffneten Gruppe entführt, geschlagen und gefoltert worden, bevor er schließlich gegen Lösegeld freigelassen worden sei. Die Antragsteller betonen  insbesondere die Verschlechterung der Sicherheitslage in Syrien  im Allgemeinen und in Aleppo  im Besonderen  sowie den Umstand, dass sie  aufgrund  ihres christlich-orthodoxen Glaubens der Gefahr  einer Verfolgung wegen  ihrer  religiösen Überzeugung  ausgesetzt seien.
Außerdem hätten sie u. a. angesichts dessen, dass die Grenze zwischen dem Libanon und Syrien zwischenzeitlich geschlossen worden sei, keine Möglichkeit, sich in einem der angrenzenden Länder als Flüchtling registrieren zu lassen.

Am 18. Oktober 2016  lehnte das Ausländeramt (Belgien) die Anträge ab. Es ist der Ansicht, die betroffene syrische Familie habe aufgrund dessen, dass sie ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit beantragt habe, um in Belgien einen Asylantrag zu stellen, offensichtlich beabsichtigt, sich länger als 90 Tage in Belgien aufzuhalten.(2) Ferner seien die Mitgliedstaaten insbesondere nicht verpflichtet, alle Personen, die eine katastrophale Situation erlebten, in ihr Hoheitsgebiet aufzunehmen.

Die syrische Familie rief daher den Rat für Ausländerstreitsachen (Belgien) an und beantragte die Aussetzung der Vollziehung der Entscheidungen über die Ablehnung der Visumanträge. Dieses Gericht hat im Eilverfahren beschlossen, dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung des Visakodex sowie der  Art. 4  („Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung“)  und  18 („Asylrecht“)  der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vorzulegen.

In seinen heute verlesenen Schlussanträgen stellt Generalanwalt Paolo Mengozzi als Erstes fest, dass die Situation der betroffenen syrischen Familie in den Regelungsbereich des Visakodex und damit des Unionsrechts fällt.
____________________________
                                                
1)  Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft, insbesondere Art. 25 Abs. 1 Buchst. a.

2)  Gemäß Art.1 Abs. 1 und 2 des Visakodex werden mit dieser Verordnung „die Verfahren und Voraussetzungen für die Erteilung von Visa für die Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten oder für geplante Aufenthalte in diesem Gebiet von höchstens drei Monaten je Sechsmonatszeitraum festgelegt“.  Nach  Art. 32  Abs. 1  Buchst. b des Visakodex wird das Visum verweigert, wenn begründete Zweifel an der vom Antragsteller bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen.



Er ist außerdem der Ansicht, dass die Behörden der Mitgliedstaaten beim Erlass von Entscheidungen nach dem Visakodex Unionsrecht durchführen und damit verpflichtet sind, die in der Charta garantierten Rechte zu wahren.

Generalanwalt Mengozzi betont insoweit, dass die in der Charta verankerten Grundrechte – die zu achten  alle  im Rahmen des Unionsrechts handelnden Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet sind  –  den Adressaten der von einer solchen Behörde erlassenen Rechtsakte unabhängig von jeglichem territorialen Kriterium garantiert sind.

Die Frage, ob ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, bei Vorliegen einer Situation, in der die durch Tatsachen bestätigte Gefahr eines Verstoßes  u. a.  gegen  Art. 4  der Charta besteht, ein humanitäres Visum auszustellen, bejaht der Generalanwalt, und zwar unabhängig davon, ob zwischen der Person und dem ersuchten Mitgliedstaat Verbindungen bestehen.

Der Generalanwalt widerspricht  einer Auslegung des Visakodex, nach der dieser den Mitgliedstaaten eine bloße Ermächtigung erteilt, solche Visa auszustellen. Seine Auffassung stützt sich sowohl auf den Wortlaut und die Systematik der Bestimmungen des Visakodex als auch auf die Notwendigkeit, dass die Mitgliedstaaten, wenn sie diese Bestimmungen anwenden, bei der Wahrnehmung ihres Beurteilungsspielraums die in der Charta garantierten Rechte wahren.

Vor diesem Hintergrund ist der den Mitgliedstaaten zustehende Beurteilungsspielraum notwendigerweise durch das Unionsrecht begrenzt.

Für den Generalanwalt steht fest, dass die Antragsteller  in Syrien zumindest der tatsächlichen Gefahr einer unmenschlichen Behandlung von extremer Schwere ausgesetzt waren, die eindeutig unter das Verbot nach Art. 4 der Charta fällt.  Insbesondere in Anbetracht der Informationen, die über die Lage in Syrien verfügbar sind, durfte der belgische Staat nicht den Schluss ziehen, dass er davon befreit sei, seiner positiven Verpflichtung nach Art. 4 der Charta nachzukommen.

Generalanwalt  Mengozzi  schlägt dem Gerichtshof vor, dem Rat für Ausländerstreitsachen zu antworten, dass ein Mitgliedstaat, von dem ein Drittstaatsangehöriger die Erteilung eines Visums mit räumlich beschränkter Gültigkeit aus humanitären Gründen begehrt, verpflichtet ist, ein solches Visum zu erteilen, wenn ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Verweigerung der  Ausstellung  dieses Dokuments zur unmittelbaren Folge haben wird, dass der Drittstaatsangehörige einer unter das Verbot des Art. 4 der Charta fallenden Behandlung ausgesetzt wird, und  ihm dadurch eine rechtliche Möglichkeit vorenthalten wird, sein Recht, in diesem Mitgliedstaat um internationalen Schutz zu ersuchen, auszuüben.

____________________________

HINWEIS:  Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein.
Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.


Quelle


Donnerstag, 9. Februar 2017

Die Bundesländer wollen die Konzessionsbeschränkung für Sportwettenanbieter aufheben


Obwohl sich die Teilnehmer des 4. Symposiums zum Glücksspielrecht vom 6. Oktober 2016 im Ausgangspunkt einig waren, dass der GlüStV in der aktuellen Fassung gescheitert ist, weil er mit zentralen Vorgaben des Verfassungs- und Unionsrechts unvereinbar ist, soll dieser mit dem Zweiten Staatsvertrag zur Änderung des Glücksspielstaatsvertrages weitergeführt werden. 
"Das Glücksspielrecht dient allein fiskalischen Interessen der Länder, verfolgt keine konsistente Glücksspielpolitik und verstößt in allen Punkten gegen deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht und die Verfassung."
Prof. Dr. Georg Hermes, Universität Frankfurt am Main
(An dieser Bewertung des GlüStV 2008 hat sich bis heute nichts geändert.)

Es ist zu berücksichtigen, dass die Sportwettenentscheidungen des EuGH auch für das Spielhallenrecht gelten, das wie das Internetglücksspiel ebenfalls unter die Dienstleistungsfreiheit fällt. (vgl. u.a. Admiral (C-464/15) Rn 22 ff, EuGH Berlington (C-98/14) Rn 90, Pfleger (C-390/12)
Wie aus der Landtagsdrucksache Baden-Württemberg 16 / 1534 vom 31. 01. 2017 hervorgeht, sieht der Glücksspielstaatsvertrag seit 1. Juli 2012 die beschränkte Zulassung privater Anbieter von Sportwetten vor; das staatliche Wettmonopol ist während einer
Experimentierphase von sieben Jahren suspendiert (A, I).
Ausweislich der Drucksache haben sich die Bundesländer dazu entschieden, die bisher geltende Anzahl von maximal 20 Konzessionen für Sportwettenanbieter vorläufig zu kippen, weil sich diese derzeit rechtlich nicht umsetzen lassen. 
Auch an dem verfassungswidrigen Glücksspielkollegium soll weiter festgehalten werden (§ 9a, Abs 5 Satz 2).
Aus meiner Sicht, wird auch dieser Entwurf, der das Unionsrecht nicht beachtet, den zentralen Vorgaben des Verfassungs- und Unionsrechts nicht gerecht. Die vorgesehenen staatlichen Regelungen zum Glücksspiel in Deutschland verstoßen somit auch weiterhin gegen EU-Recht und sind verfassungswidrig.

Nach wie vor, wird gegen den Vertrag von Lissabon (grundrechtsgleiche Rechte) und gegen Art. 56 AEUV (s.u.) verstoßen und werden die maßgeblichen Urteile des EuGH mißachtet.
(vgl.  u.a.  Admiral (C-464/15) Rn 22 ff, EuGH Berlington (C-98/14) Rn 90, Pfleger (C-390/12); s.a. Hakenberg, Europarecht, 6 Aufl. 2012)

Der EuGH (C-336/14) hat am 4.2.2016 in d. Rs. Sebat Ince entschieden, dass das staatliche deutsche Glücksspielmonopol trotz vergangener Regulierungsbemühungen, wie auch das behauptete vorläufige Aussetzen des Monopols (A, I), faktisch weiter bestehe.

Widerspricht eine innerstaatliche Regelung dem Unionsrecht, so hat diese nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) effektiv unangewendet zu bleiben. Dieser Grundsatz ist von jedem staatlichen Organ auf jeder Ebene des Verfahrens zu beachten.

Begründend wurde dazu – zusammengefasst – ausgeführt, dass nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die unionsrechtliche Zulässigkeit des im GlüStV normierten Monopolsystems nicht allein von Zielsetzungen des Gesetzgebers, sondern auch von der tatsächlichen Wirkung der gesetzlichen Regelungen abhängig sei. Hinsichtlich der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Spielausgaben, die prinzipiell einen Rechtfertigungsgrund für einen nationalrechtlichen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit bildet, und damit im Zusammenhang stehenden zulässigen Werbemaßnahmen der Konzessionsinhaber komme der Kohärenz der im GlüStV getroffenen Regelung große Bedeutung zu: Für den Fall, dass die Eignung dieser Norm bejaht wird, beurteile der EuGH in einem zweiten Schritt deren Erforderlichkeit (Notwendigkeit) und gegebenenfalls in einem dritten Schritt die Angemessenheit der Beschränkung; eine nationale Regelung sei nach Ansicht des EuGH dann unionsrechtswidrig, wenn diese Regelung nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung verfolgt und nicht tatsächlich dem Anliegen entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen.

Glücksspielrecht seit 1999 rechtswidrig? 
 Wie mit den gescheiterten Regelungen (GlüStV 2008 und 2012) soll auch mit dem „Zweiten GlüÄndStV“ den Glücksspielanbietern weiterhin die unmittelbar aus dem Unionsrecht erwachsenen Rechte vorenthalten werden. 

Die Kommission hält die deutschen Glücksspielregelungen für Europarechtswidrig und verweist auf die Einhaltung der Vorgaben aus dem Urteil Pfleger vom 30. April 2014 (C-390/12, Randnr. 43), dass das Spielhallenrecht zum Inhalt hatte.

In der Rs. Berlington entschied der EuGH zum Automatenrecht unter der  Rn 90:
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale Regelung, die eine Beschränkung im Sinne von Art. 56 AEUV darstellt, auch das in Art. 17 der Charta verankerte Eigentumsrecht einschränken kann. Der Gerichtshof hat außerdem bereits entschieden, dass eine nicht gerechtfertigte oder unverhältnismäßige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 56 AEUV auch nicht nach Art. 52 Abs. 1 der Charta in Bezug auf deren Art. 17 zulässig ist (Urteil Pfleger u. a., C-390/12, EU:C:2014:281, Rn. 57 und 59).
Viele vergleichbare Spiele, wie z.B. der Quotenbringer “Book of Ra” können in Spielhallen, im Spielcasinos und im Internet zu den gleichen Spielregeln gespielt werden. Während das Spiel im Internet ist völlig unreguliert stattfindet, gibt es auch für die in den Spielbanken aufgestellten Glücksspielautomaten keinerlei Begrenzungen bei Einsätzen, Höchstgewinnen, der Spielzeit oder der Geräteaufstellung.

Dies ist ein eklatanter Unterschied zu den Spielangeboten der Spielhallen die sehr streng reglementiert werden.

Die Erlaubnispflicht für Spielhallen, die Genehmigungsbeschränkung pro Gemeinde sowie die Abstandsregelungen und die sog. "Guillotine-Regelung" stellen einen schweren Eingriff in die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit dar.

Da unverhältnismäßig und nicht kohärent in Unionsrechte eingegriffen wird liegt auch eine unionsrechtswidrige Inländerdiskriminierung (bzw. „umgekehrte Diskriminierung“) vor!

Mit dem Zweiten GlüÄndStV wird die Rechtssprechung des EuGH weiterhin mißachtet und das staatliche Glücksspielangebot ganz im Sinne eines Monopolisten gefördert und weiter ausgeweitet.
Von Mäßigung i. S. einer Suchtprävention keine Spur - überall wird man von der staatlichen Glücksspielwerbung beglückt!

Laut EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston sollen die Gerichte prüfen, ob das Glücksspielgesetz verhältnismäßig ist. Was die Glücksspielwerbung betrifft, so wies die Generalanwältin darauf hin, dass Werbung, die zum Spiel anrege, mit dem Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus - womit das staatliche Glücksspielmonopol begründet ist - offenkundig unvereinbar sei. Derartige Werbung würde nicht auf einen bestimmten Anbieter, sondern auf das Wachstum des gesamten Marktes abzielen und sei somit als expansionistische Geschäftspolitik zu verstehen.  (EuGH; C-390/12)

Hervorhebungen durch VS

Das Ausloten unionsrechtlicher Grenzen durch den Gesetzgeber, insbesondere der seit 1970 geltenden Verbotsnorm des Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit), ist im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Normenklarkeit unzulässig und verstößt durch unverhältnismäßige Eingriffe seit 1999 gegen Unionsrecht. Staatliche Einschränkungen sind rechtfertigungsbedürftig! (vgl. u.a. Winner Wetten, Rn 58; Pfleger; Fransson - ganz unten)
Landtagsdrucksache Baden-Württemberg 16 / 1534 vom 31. 01. 2017  
Zweiter Staatsvertrag zur Änderung des Glücksspielstaatsvertrages (pdf-download)