Donnerstag, 7. Juni 2012

Verhältnis BVerfG und EuGH


Versöhnlich im Ton - durchaus hart in der Sache
Immer wieder kommt es zwischen Karlsruhe und Luxemburg zum Zwist bei der Frage: Wer hat wann das letzte Wort? Auf dem Anwaltstag diskutierten die Präsidenten beider Gerichte die Rolle von EuGH und BVerfG bei der Kontrolle über das europäische Recht – wobei klar wurde: Am eigenen Standpunkt will auch künftig keiner von beiden rütteln lassen. Von Martin W. Huff. weiterlesen
Im Januar 2011 tritt Professorin Dr. Angelika Nußberger ihr neues Amt als Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg an.

Im LTO-Interview sprach die Kölner Juristin über das Rollenverständnis höchster Richterämter, mögliche Spannungen zu nationalen Gerichten und die Internationalität der Juristenausbildung.

Der EGMR soll als Ganzes, als Institution wirken. Ich finde es sehr gut, wenn die Richterpersönlichkeiten als kollektives Entscheidungsorgan wahrgenommen werden und die Entscheidungspraxis – anders als in den USA bei den Verfahren vor dem Supreme Court – nicht personalisiert und politisiert wird. Bei einem aus Richtern aus 47 verschiedenen Staaten zusammengesetzten internationalen Gericht wäre dies auch ungleich problematischer als bei einem nationalen Gericht.

Meine Aufgabe in Straßburg ist es, Einzelfälle auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention zu beurteilen. Und das werde ich tun, ganz unabhängig davon, wie ich die Rechtsentwicklung und die politische Entwicklung in einem Land im Allgemeinen einschätze. Man wird immer nur auf den einzelnen Fall schauen, auf die rechtliche Regelung im jeweiligen Rechtssystem, und daran den Maßstab der EMRK anlegen.  weiterlesen

Grundrechtecharta ist österreichisches Verfassungsrecht
Stellt euch vor, das Bundesverfassungsgericht würde die EU-Grundrechtecharta für unmittelbar in Deutschland geltendes Verfassungsrecht erklären.......
Es gibt nicht einfach ein Verfassungsdokument, in dem man so ganz ohne Dekor und Zeremoniell nachschlagen könnte, was Sache ist. Und schon gar keinen sauberen Grundrechtekatalog.
Das wird jetzt anders. Aber das ist aber zumindest in der juristischen Argumentation gar nicht ausschlaggebend für den Verfassungsgerichtshof: Er begründet seinen Schritt rein europarechtlich.

Anknüpfungspunkt ist der Äquivalenzgrundsatz: Wie die Rechte, die das EU-Recht den Bürgern verleiht, genau geschützt werden, regeln die Mitgliedsstaaten selber, aber sie dürfen die Bürger dabei nicht ungünstiger stellen als in rein innerstaatlichen Konstellationen. Das heißt, wenn man österreichische Grundrechte vor dem Verfassungsgerichtshof einklagen kann, dann muss man auch europäische Grundrechte vor dem Verfassungsgerichtshof einklagen können.

Wenn das stimmt, dann stimmt das auch in Deutschland, oder nicht?

Wobei das Bundesverfassungsgericht natürlich immer Wege finden wird, es gar nicht so weit kommen zu lassen, dass sich diese Frage stellt… weiterlesen

Im Jahr 2010 hatten nur 1,71 Prozent aller Verfassungsbeschwerden Erfolg. Nur rund 250 Beschlüsse hat das Gericht inhaltlich begründet. Der Rest wird ohne Sachbegründung nicht zur Entscheidung angenommen.
Das höchste Gericht der Bundesrepublik, das Bundesverfassungsgericht mit Sitz in Karlsruhe, hat gut 80 Prozent der ihn erreichenden Beschwerden als "offensichtlich unbegründet" im sogenannten Allgemeinen Register abgelegt. In besonders abstrusen Beschwerdefällen droht den Beschwerdeführern sogar eine Missbrauchsgebühr.  Quelle: lto.de

Rolf Lamprecht: "Ich gehe bis nach Karlsruhe". Eine Geschichte des Bundesverfassungsgerichts, München (Deutsche Verlags-Anstalt) 2011, 350 Seiten, 19,99 Euro.

Zwanzigster Jahrestag Verfassungsentwurf für Deutschland
Ein vergessenes Stück staatsrechtlicher Phantasie

Zwanzig Jahre danach lohnt ein Blick auf das juristisch-archäologische Relikt.  weiterlesen



„(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
Mit diesem Absatz des Ewigkeitsartikels wird die Demokratie begründet: das Volk ist der konstitutive Begründer der Staatsgewalt. Damit wird festgehalten, dass es keine Gewalt mehr geben darf, die nicht vom Volk ausgeht. Der Grundgesetz-Satz heißt deshalb nicht „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus“, sondern „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“. Die Begründer des Grundgesetzes haben damit festgelegt, dass das Volk der Souverän ist, der durch Wahlen und Abstimmungen seine Gesamtgewalt auftrennt in „besondere Organe der Gesetzgebung“ (Legislative), also Bundestag und Länderparlamente, „der vollziehenden Gewalt“, (Exekutive), also Regierung und Verwaltung, und „der Rechtsprechung“ (Judikative), also alle Gerichte.
Dazu bemerkt Richter Udo Hochschild vom Verwaltungsgericht Dresden:[8]
„In Deutschland ist die Justiz fremdbestimmt. Sie wird von einer anderen Staatsgewalt – der Exekutive – gesteuert, an deren Spitze die Regierung steht. Deren Interesse ist primär auf Machterhalt gerichtet. Dieses sachfremde Interesse stellt eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Rechtsprechung dar. Richter sind keine Diener der Macht, sondern Diener des Rechts. Deshalb müssen Richter von Machtinteressen frei organisiert sein. In Deutschland sind sie es nicht. In den stenografischen Protokollen des Parlamentarischen Rats [des deutschen Verfassungsgebers] ist wörtlich nachzulesen, dass die Verfasser des Grundgesetzes eine nicht nur rechtliche, sondern auch tatsächliche Gewaltenteilung, einen neuen Staatsaufbau im Sinne des oben dargestellten italienischen Staatsmodells wollten: ‚Die Teilung der Staatsgewalt in Gesetzgebung, ausführende Gewalt und Rechtsprechung und ihre Übertragung auf verschiedene, einander gleichgeordnete Träger‘ [Zitat aus der Sitzung des Parlamentarischen Rats vom 8. September 1948]. Der Wunsch des Verfassungsgebers fand seinen Niederschlag im Wortlaut des Grundgesetzes [z. B. in Art. 20 Abs. 2 und 3, Art. 92, Art. 97 GG]. Der Staatsaufbau blieb der alte. […] Das Grundgesetz ist bis heute unerfüllt. Schon damals stieß die ungewohnte Neuerung auf heftigen Widerstand. Bereits in den Kindestagen der Bundesrepublik Deutschland wurde die Gewaltenteilung mit dem Ziele der Beibehaltung des überkommenen, einseitig von der Exekutive dominierten Staatsaufbaus erfolgreich zerredet. Die allenthalben verbreitete Worthülse ‚Gewaltenverschränkung‘ wurde zum Sargdeckel auf der Reformdiskussion.“
Die Bundesvertreterversammlung des Deutschen Richterbundes (DRB) forderte am 27. April 2007, der Justiz die Stellung zu verschaffen, die ihr nach dem Gewaltteilungsprinzip und nach der im Grundgesetz vorgesehenen Gerichtsorganisation zugewiesen sei. Die Unabhängigkeit der Justiz werde zunehmend durch den Einfluss der Exekutive eingeschränkt.[9]
Auch die Neue Richtervereinigung (NRV) setzt sich für eine Verwirklichung der Unabhängigkeit der Justiz von der Exekutive ein.[10]

Die Verfassungsbeschwerden betreffen die aus der verfassungsrechtlichen Bindung des Richters an das Gesetz folgenden Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung von Vorschriften des nationalen Rechts.

(Auszug)

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 - vom 26.9.2011
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