Freitag, 29. März 2013

Finale Phase um Vergabe der 20 bundesweiten Sportwettenlizenzen

Seit dem 18. März finden im hessischen Innenministerium die Anhörungen der Bewerber um die 20 bundesweiten Sportwettenlizenzen statt.
Nur 14 von 147 Unternehmen befinden sich in finaler Phase um die 20 bundesweiten Sportwettenlizenzen.
Die Unternehmen, die keine Einladung erhalten haben, müssen sich wohl auf einen negativen Bescheid einstellen. Das könnte im Folgeschluss dann eine große Klagewelle bedeuten.
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Sportwetten und der Glücksspieländerungsvertrag
Obwohl immer wieder von Skandalen umwittert und von manchen Menschen am Rande der Legalität vermutet, erfreuen sich Sportwetten großer Beliebtheit. Mit dem „Glücksspieländerungsvertrag“ vom 1. Juli 2012, der den deutschen Markt nun auch für Sportwetten geöffnet hat, verschwindet auch der „Hauch des Verruchten“ und immer mehr Sport- und Wettbegeisterte versuchen ihr Glück bei Sportwetten.
Der Glücksspieländerungsvertrag hat im Übrigen auch nicht unbedeutende wirtschaftliche Auswirkungen, denn mit seinem Inkrafttreten, wurde auch eine Wettsteuer in Höhe von 5% eingeführt, die in vielen Fällen natürlich von den Anbietern auf die Spieler umgelegt wurde.
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Zusammengestellt von Volker Stiny





BGH zweifelt an der Kohärenz des staatlichen Glückspielmonopols

VGH Baden-Württemberg äußert Bedenken am neuen GlüÄndStV

Rechtsanwalt Dr. Robert Kazemi
Zwei aktuelle Entscheidungen in Sachen staatlicher Glücksspielpolitik bringen die von den deutschen Bundesländern verabschiedeten Regelungen des GlüÄndStV früher als erwartet ins Wanken. Der unter dem 24.01.2013 beendete Sonderweg Schleswig-Holsteins hin zu einer liberaleren Glücksspielpolitik könnte das nunmehr wieder bundeseinheitliche Glücksspielmonopol endgültig zu Fall bringen. Die Kehrtwende käme zu spät. Mit Beschluss vom 10.12.2012 in der Rechtssache 6 S 3335/11 hat der VGH Baden-Württemberg bereits „hinreichend gewichtige Zweifel an der Vereinbarkeit des strikten Internetverbots für Casino- und Pokerspiele in § 4 Abs. 4 GlüStV n.F. und des strikten Verbots der Werbung dafür in § 5 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 GlüStV n.F. mit dem unionsrechtlichen Kohärenzgebot im Hinblick darauf, dass in Schleswig-Holstein seit dem 01.01.2012 auf Grund des dortigen Glücksspielgesetzes unter bestimmten Voraussetzungen solche Internetglücksspiele sowie die Werbung dafür erlaubt werden können“, festgestellt. Unter dem 24.01.2013 verkündete der BGH seinen Vorlagebeschluss in Sachen I ZR 171/10, mit dem u.a. die Frage aufgeworfen wird, ob die europäischen Grundfreiheiten in einem föderalistischen Staat (wie der Bundesrepublik) – ohne Auswirkungen auf die Kohärenz staatlicher Monopolpolitik – von einzelnen Bundesländern unterschiedlich gewährleistet bzw. beschränkt werden können.

I. Rechtslage in Schleswig-Holstein

Der Landtag in Schleswig-Holstein hat mit den Stimmen der SPD-Fraktion, der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN-Fraktion sowie der Abgeordneten des SSW unter dem 24.01.2013 den Entwurf eines Gesetzes zum Ersten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland (Erster Glücksspieländerungsstaatsvertrag) verabschiedet. Die Landtagsdrucksache mit der Nummer 18/79 sieht den Beitritt Schleswig-Holsteins zum neuen Glücksspielstaatsvertrag (GlüÄndStV) unter Aufhebung des Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels 
(Glücksspielgesetz) vom 20. Oktober 2011 sowie der hierzu ergangenen Glücksspielgenehmigungsverordnung vom 11. Januar 2012 (GVOBl. Schl.-H. S. 143) vor. Das Gesetzespaket der Landesregierung tritt am Tage nach seiner Verkündung im Schleswig-Holsteinischen Gesetzes- und Verordnungsblatt in Kraft. Die Verkündung hat bislang (Stand: 07.02.2013) noch nicht stattgefunden, so dass die Neureglung aktuell noch nicht greift. Gleichwohl, das Zurückrudern des kleinen Bundeslandes ist enttäuschend, neigt man doch zu dem Schluss, dass es vorliegend nicht um die Durchsetzung anerkennenswerter Zielsetzungen, sondern allein um parteipolitisches Kräftemessen geht: So war das liberale Glücksspielgesetz von CDU und FDP auf den Weg gebracht und verabschiedet worden; die neu gewählte und aus der damaligen Opposition hervorgegangene Regierung scheint mit Ihrer Neuregelung nun eher diesen „Makel“ beseitigen zu wollen, als einen wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch sinnvollen Weg objektiv zu bewerten und weiter zu gehen. Die Janusköpfigkeit dieses Vorgehens wird besonders offensichtlich, wenn man betrachtet, dass noch am Tage der Neuregelung Genehmigungen auf Grundlage des Glücksspielgesetzes erteilt und bestehende Verwaltungsverfahren in Ansehung der geplanten Gesetzesänderung nicht „on hold“ gesetzt wurden. Die neue Landesregierung Schleswig-Holsteins hat sich und dem erklärten Ziel der Schaffung einer (rechtswirksamen) bundeseinheitlichen Regelung des Glücksspiels damit einen Bärendienst erwiesen. Denn, obgleich des Beitritts Schleswig-Holsteins zum GlüÄndStV bleiben die 25 erteilten Sportwettenlizenzen ebenso aufrecht erhalten, wie die 21 Lizenzen für die Veranstaltung sog. Online-Casino-Spiele (also alle herkömmlich in Präsenz-Spielbanken angebotenen Glücksspiele, insbesondere Poker, Black Jack, Baccara und Roulette) und zwar mindestens für einen Übergangszeitraum von sechs (!) Jahren (so ausdrücklich der Innenminister Schleswig-Holsteins, Andreas Breitner, in einer Pressemitteilung vom 24.01.2013). Entsprechend formuliert Art. 4 des Gesetzes zur Änderung glücksspielrechtlicher Gesetze, dass „das Glücksspielgesetz mit Ausnahme der § 20 Abs. 7 und § 23 Abs. 7 Satz 4 und 5 weiter Anwendung“ findet. Schleswig-Holstein gönnt sich damit weiterhin eine Sonderstellung unter den Ländern: Die Veranstaltergenehmigungen im Sportwettenbereich übersteigen die in der Experimentierklausel für Sportwetten (§ 10a GlüÄndStV) vorgesehene Begrenzung auf maximal 20 Lizenzen bereits um 25 ; die 21 Genehmigungen für die Veranstaltung von Online-Casino-Spielen setzen sich gar in krassen Widerspruch zum in § 4 Abs. 4 GlüÄndStV formulierten Verbot der Veranstaltung öffentlicher Glücksspiele in Internet. Andreas Breitner sucht dies damit herunterzuspielen, dass „die in Schleswig-Holstein erteilten Genehmigungen nur für einen Übergangszeitraum von sechs Jahren gelten, während die Experimentierphase des Glücksspielstaatsvertrages sieben Jahre währen“ solle (ebenda). Oder anders formuliert: Eine über 85 der Gesamtlaufzeit der Experimentierklausel für Sportwetten bestehende konträre Regelung, soll durch über eine 25%ige Restlaufzeit „geheilt“ werden können. Eine mehr als wagemutige These. Mit der in nächster Zeit zu erwartenden Verkündung der mit Gesetz zur Änderung glücksspielrechtlicher Gesetze verbundenen Neuregelung des Glücksspielwesens in Schleswig-Holstein bleib die Glücksspiellandschaft im Land Schleswig-Holstein also weiterhin bunt und zwar auf dem Boden des (fortgeltenden) Rechts.

Bereits ohne den Beitritt Schleswig-Holsteins zum GlüÄndStV wäre diese Vielfalt mit erheblichen praktischen Problemen verbunden gewesen. Die mit dem Beitritt einhergehende Zwitterstellung des Landes beseitigt diese Probleme wahrlich nicht. Ein Beispiel hierfür: Kurz nachdem das Innenministerium unter dem 19.12.2012 die ersten zwölf Lizenzen für Anbieter von Online Casino-Spielen vergeben hatte, hatte die Kieler mybet Holding SE über Ihren CEO, Mathias Dahms, verlautbaren lassen, das Unternehmen gehe davon aus, dass es die Lizenz sofort für ganz Deutschland verwenden könne. Obgleich Innenminister Andreas Breitner sich aus rechtlichen Gründen dazu gezwungen sah, mybet deswegen zu ermahnen, weil die Lizenz Online-Casinos nur für Spieler zulasse, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort in Schleswig-Holstein haben, ist damit bereits eine zentrale Frage aufgeworfen: Wie weit reicht die schleswig-holsteinische Lizenz? Hans-Jörn Arp parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, beantwortet die Frage in einem Interview mit den Worten: „Meiner Erkenntnis nach kann jemand, der eine Lizenz in Schleswig-Holstein erhält, im gesamten Bundesgebiet sein Angebot bewerben. Egal wer in Deutschland nach dem Föderalismus eine Lizenz erhält, kann natürlich den ganzen Markt bedienen.“ (Hans-Jörn Arp im Hochgepokert-Interview). So einfach wird die Frage indes kaum zu beantworten sein; vielmehr stellt sich die Anerkennung der Hoheitsakte eines anderen Landes im Bundesstaat als eine tiefgreifende Rechtsfrage dar.

Mit Beschluss vom 15.03.1960 (2 BvG 1/57) hat das BVerfG festgestellt, dass ein (Bundes-)Land „in seiner Verwaltungshoheit grundsätzlich auf sein eigenes Gebiet beschränkt“ ist. Eine Verpflichtung zur Gegenseitigen Anerkennung von Hoheitsakten sieht das BVerfG daher nicht (so auch Bleckmann, NVwZ 1986, 1 ff.). Diese frühe Feststellung des BVerfG berücksichtigt die im GG verankerte föderalistische Struktur der Bundesrepublik Deutschland, wonach Bund und Länder innerhalb der Bundesrepublik je eigene Staaten mit eigenem Hoheitsgebiet und eigener Hoheitsgewalt bilden. Diese von Isensee (in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. IV, 2. Aufl. (1999), § 98 Rn. 31ff.) als „bundesstaatliches Gebietskonzept” bezeichnete Grundaussage führt zu einer Beschränkung der Hoheitsgewalt eines Landes auf sein eigenes Staatsgebiet. Die durch das Land Schleswig-Holstein erlassenen Genehmigungen gelten (ordnungsrechtlich) damit grundsätzlich nur im Hoheitsgebiet Schleswig-Holsteins, eine (ordnungsrechtliche) Ausweitung im Sinne einer „Anerkennungspflicht“ in anderen Bundesländern ist mit der schleswig-holsteinischen Genehmigungsentscheidung mithin zunächst nicht verbunden (vgl. Isensee, a.a.O., Rn. 36; Horn, NJW 2004, 2047, 2049; Fischer/Horn, GewArch 2005, 217, 219f. jeweils m.w.N.). Unter Berücksichtigung der in der Vergangenheit mit Blick auf die DDR-Veranstaltergenehmigungen ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen (vgl. nur OVG Magdeburg, Beschluss vom 28.01.2002, 1 M/02; OVG Münster, Beschluss vom 13.12.2002, 4 B 1844/02, NVwZ-RR 2003, 352; OVG Lüneburg, Beschluss vom 4.3.2003 – 11 ME 420/02, GewArch 2003, 247) ist auch nicht davon auszugehen, dass an diese Rechtsaufassung in Zukunft ernstlich ins Wanken geraten könnte, auch wenn die Gedanken der „wohlerworbenen Rechte“, der „Einheit des Wirtschaftsgebiets“ und das „Grundrecht der Freizügigkeit“ (Art. 11 GG), wie sie von Bleckmann (a.a.O.) formuliert wurden, durchaus für eine Anerkennungspflicht der durch Verwaltungsakt des Landes Schleswig-Holstein erworbenen Rechtspositionen (Art. 12, 14 GG) in den anderen Bundesländern sprechen könnten.

Die ordnungsrechtliche Beschränkung einer schleswig-holsteinischen Genehmigung besagt indes freilich nichts über ihre Auswirkung auf die Strafandrohung der §§ 284 ff StGB. Die bundegesetzliche Strafnorm stellt das Veranstalten und Bewerben von Glücksspielen und Lotterien „ohne behördliche Erlaubnis“ unter Strafandrohung. Die Strafbarkeit nach §§ 284 ff. StGB ist mithin ausgeschlossen, soweit die mit dem Glücksspiel einhergehende Sozialschädlichkeit durch eine landesrechtliche Erlaubnis beseitigt wurde. In diesem Zusammenhang wird zwar ebenso vertreten, auch der Ausschluss der Strafbarkeit käme nur soweit in Betracht, wie die territoriale Geltung der erteilten Erlaubnis reiche (so OVG Münster, Beschluss vom 13.12.2002, 4 B 1844/02, NVwZ-RR 2003, 352), gleichwohl greift diese Ansicht zu kurz und verkennt die „grundgesetzlichen Regeln der föderalen Ordnung“ (so zu Recht Horn, NJW 2004, 2047, 2052 m.w.N.). Insoweit bewirkt der bundesweite Geltungsanspruch des Strafrechts, eine bundesweite Legalisierungswirkung einer landesrechtlichen Erlaubnis auch dann, wenn diese „ordnungsrechtlich“ keine bundeweite Geltung beansprucht.

Bereits der Streit um die Reichweite der jedenfalls innerhalb der kommenden sechs Jahre in Kraft stehenden schleswig-holsteinischen Veranstalter-Genehmigungen, verdeutlicht damit, dass allein der Beitritt Schleswig-Holsteins zum GlüÄndStV nicht zu einer Entspannung der glücksspielrechtlichen Problemlage geführt hat. Auch wirtschaftlich wird die Zwitterstellung Schleswig-Holsteins nicht ohne Auswirkungen bleiben: Ein Blick auf den beim schleswig-holsteinischen Innenministerium veröffentlichten Überblick über die erteilten Genehmigungen (abrufbar hier) zeigt nämlich, dass die staatliche Spielbank SH GmbH (jedenfalls bislang) keine (!) Genehmigung zum Internetvertrieb ihrer Casino-Spiele erhalten hat, obwohl eine solche durchaus vorgesehen war. Damit aber bewirkt das fortgeltende Glücksspielgesetz eine elementare Schlechterstellung des staatlichen „Kanalisierungsbetriebes“ und relativiert gleichsam die behauptete Notwendigkeit der Kanalisierung des natürlichen Spieltriebs durch staatlich beherrschte Unternehmen, wie sie auch im GlüÄndStV vorgesehen ist. Fraglich also, ob die erzögerte Veröffentlichung der Gesetzesnovelle nicht dazu genutzt werden soll, dem staatlichen Casino-Betreiber noch eine entsprechend Erlaubnis zu erteilen. Wenn dem so wäre, wäre dieses Vorgehen sicherlich auch unter dem Blickwinkel der „staatlichen Genehmigungspraxis“ beachtlich.

II. Die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg

Die Fortgeltung des schleswig-holsteinischen Glücksspielgesetzes führt auch unter dem Aspekt der Kohärenz staatlicher Glücksspielpolitik zu erheblichen Problemen.

So hatte das Regierungspräsidium Karlsruhe einem in Malta ansässigen Internetanbieter mit Verfügung vom 31.08.2011 untersagt, im Internet Glücksspiel in Form von Casino- und Pokerspielen anzubieten und hierfür zu werben und die Verfügung für sofort vollziehbar erklärt. Damit wäre das in ihr enthaltene Gebot durch den Anbieter sofort zu befolgen gewesen. So sah es auch das erstinstanzlich angerufene VG Karlsruhe (Beschluss vom 28.11.2011, 3 K 2619/11); der VGH Baden-Württemberg teilt diese Ansicht nicht und stellte die aufschiebende Wirkung der Klage des Glückspielunternehmens gegen die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe wieder her. Der VGH führt aus, dass das Anbieten von Casino- und Pokerspielen sowie die hierauf gerichtete Werbung zwar gegen die Bestimmungen der §§ 4 Abs. 4, 5 Abs. 3 S. 1 und Abs. 5 GlüStV n.F. verstoße, jedoch seien die hier normierten Verbote nicht unionsrechtskonform. Die Eignung der streitgegenständlichen Internetverbote setze in diesem Zusammenhang nämlich gerade voraus, dass sie zur Erreichung der mit ihnen verfolgten Gemeinwohlzwecke in systematischer und kohärenter Weise beitragen. Vor diesem Hintergrund bestünden aber „hinreichend gewichtige Zweifel an der kohärenten Ausgestaltung des normativen Rahmens des Internetverbotes für Casino- und Pokerspiele [...] im Hinblick darauf, dass in Schleswig-Holstein seit dem 01.01.2012 auf Grund des dortigen Landesgesetzes zur Neuordnung des Glücksspiels (Glücksspielgesetz) vom 20.10.2011 (GVOBl. 2011, 280) unter bestimmten Voraussetzungen auch Internetglücksspiel sowie die Werbung dafür erlaubt werden könne.“

Der VGH lässt eben diese Zweifel im einstweiligen Anordnungsverfahren genügen, um wesentliche Bestimmungen des GlüÄndStV (vorläufig) außer Kraft zu setzen.

III. Der Vorlagebeschluss des BGH

Auch der BGH hat mit Vorlagebeschluss vom 24.01.2013 die Frage aufgeworfen, ob es für die Beurteilung einer kohärenten Ausgestaltung des Glückspielwesens in einem als Bundesstaat verfassten Mitgliedstaat darauf ankommt, ob eine abweichende Rechtslage in einem Bundesland tatsächlich dazu geeignet ist, die in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufzuheben oder zumindest erheblich zu beeinträchtigen.

In der Pressemitteilung des I. Zivilsenats heißt es hierzu, es

    „sprechen insbesondere die Grundsätze der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten sowie der Verhältnismäßigkeit dafür, in der bundesstaatlichen Ordnung begründete unterschiedliche Regelungen innerhalb eines Mitgliedstaats nicht als inkohärente Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit anzusehen, soweit sie in der EU nicht harmonisierte Sektoren wie das Glücksspiel betreffen. Jedenfalls sollte es aber nicht zu einer Inkohärenz der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkungen führen, wenn ihre Eignung durch eine liberalere Regelung in einem einzelnen kleineren Bundesland nur unerheblich beeinträchtigt wird.“

Der BGH neigt mithin dazu, die Prüfung der normativen Ausgestaltung von Regelungen, die in die Dienstleistungsfreiheit eingreifen am Maßstab des unionsrechtlichen Kohärenzerfordernisses wegen der vom Grundgesetz gewährleisteten Eigenständigkeit der Länder länderspezifisch zu beantworten und – in Anlehnung an die von Hecker (DVBl. 2011, 1130 ff) vertretene These – die Vereinbarkeit glücksspielrechtlicher Verbotsregelungen mit dem unionsrechtlichen Kohärenzerforderdernis von einer „Folgenabschätzung“ abhängig machen zu können.

Anders als der VGH Baden-Württemberg, der es derzeit als offen ansieht, ob der Umstand, dass von den Neuregelungen des Glücksspielgesetzes in Schleswig-Holstein nur ein relativ kleiner Anteil an der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland erfasst wird, dazu führen kann, dass die Verbote des § 4 Abs. 4 und des § 5 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 GlüStV n.F. zur Verwirklichung der mit ihnen verfolgten Ziele tatsächlich nicht (mehr) hinreichend beitragen können, scheint der BGH diese Frage bereits im Sinne einer mangelnden Relevanz beantwortet zu haben.

IV. Konsequenzen

Bei einer konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit zwischen einem Mitgliedstaat und seinen Föderalstaaten hat sich die Rechtsordnung an den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts auszurichten; etwaige aus der nationalen Kompetenzrechtsordnung resultierende Unterschiede sind in der unionsrechtlichen Betrachtung daher grundsätzlich unbeachtlich. Eine zergliedernde Betrachtung des Glücksspielmarkes unter Berücksichtigung des Föderalstaatsprinzips muss daher – trotz der vom Grundgesetz gewährleisteten Eigenständigkeit der Länder – im Rahmen der Kohärenzprüfung ausscheiden. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH, die dieser auch bezogen auf den Glücksspielsektor getroffen hat, können sich die Mitgliedstaaten nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände ihrer internen Rechtsordnung berufen, um Verstöße gegen das Unionsrecht zu rechtfertigen. Der Mitgliedstaat ist vielmehr als „Einheit“ verantwortlich. Die territoriale Kompetenzverteilung innerhalb eines Mitgliedstaates kann daher keinen Einfluss auf die Beurteilung der Vereinbarkeit nationaler Regelung mit dem Unionsrecht haben. Die schleswig-holsteinischen Sonderregelungen für die Veranstaltung von Online-Casinospielen und Sportwetten können im Rahmen der Kohärenzprüfung daher nicht per se unbeachtet bleiben. Auch die Europäische Kommission hat in ihrer Stellungnahme vom 07.12.2012 ausgeführt, nicht erkennen zu können, wie „das gleichzeitige Bestehen zweier unterschiedlicher Regelungssysteme für dieselbe Dienstleistungstätigkeit“ die Anforderung an eine kohärente und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten ausgerichtete Glücksspielpolitik erfüllen könnte.

Fraglich ist auch, ob die europäische Kohärenzbetrachtung – wie es der BGH favorisiert – eine „Folgenabschätzung“ erfordert und damit tatsächlich nur erhebliche Beeinträchtigungen einer ansonsten „konsequent“ an dem Ziel der Begrenzung der Wetttätigkeiten ausgerichteten Glückspielpolitik zur Begründung von Inkohärenz geeignet sind. In diesem Sinne argumentiert auch Hecker und sieht sich durch die jüngste EuGH Rechtsprechung in Sachen C-186/11 und C-209/11 bestätigt. Vor allem die Schlussanträge des Generalanwaltes Mazák in vorgenannter Rechtssache mögen für eine derartige Sichtweise sprechen; so spricht auch der Generalanwalt von einzelnen Merkmalen, die für sich allein genommen „nicht automatisch die Annahme ausschließen, dass die in Rede stehende nationale Regelung durch Schaffung eines Monopols die Verminderung der Gelegenheiten zum Spiel und die Begrenzung der Tätigkeiten in diesem Bereich bezweckt“. Diese Merkmale dürfen jedoch – auch nach Ansicht Mazáks – nicht einzeln, sondern müssen in ihrer Gesamtheit betrachtet und beurteilt werden. In diesem Zusammenhang allein die Größe des ausscherenden Bundeslandes Schleswig-Holstein in den Blick zu nehmen und hieraus auf eine mangelnde Bedeutung zu schließen erscheint aus hiesiger Sicht gleichwohl zu kurz gegriffen. So sind bereits jetzt, beispielsweise in Pokerkreisen, erhebliche spielerseitige „Verlagerungseffekte“ nach Schleswig-Holstein zu verzeichnen, die die Bedeutung der schleswig-holsteinischen Sonderregelung für den Gesamtglücksspielmarkt verdeutlichen. Der Kohärenzbegriff erfordert zudem eine Betrachtung im Systemzusammenhang: Lassen sich hier innerhalb eines Rechtskreises – wie durch das schleswig-holsteinische Glückspielgesetz angelegt – Widersprüche in der Regulierung ein und desselben Glücksspiel-Sektors feststellen, spricht – auch bei geringeren tatsächlichen Effekten – viel für eine inkohärente Gesamtrechtslage. Es kommt hinzu, dass nach § 5 Abs. 3 Satz 2 GlüStV n.F. die Länder unter bestimmten Voraussetzungen Werbung für Lotterien, Sport- und Pferdewetten im Internet zulassen können und damit bestimmte Glücksspielarten vom Internetwerbeverbot ausgenommen werden. In diesem Zusammenhang erscheint es beispielsweise zweifelhaft, ob das Internetwerbeverbot des § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüÄndStV zur Erreichung der Ziele des § 1 GlüÄndStV geeignet ist. Der Beitritt Schleswig-Holsteins zum GlüÄndStV vermag daher für sich allein dem Erfordernis der Gesamtkohärenz nicht Rechnung zu tragen. Auch eine Duldung inkohärenter Gestaltung über einen Zeitraum von bis zu sechs Jahren erscheint – entgegen der Ansicht der BGH - kaum hinnehmbar.

Im Rahmen der Notifizierung des Glücksspielgesetzes hatte das Land Schleswig Holstein zudem eine eigene Folgenabschätzung vorgelegt, die, beispielsweise im Hinblick auf die Regelung von Online-Casinos nicht etwa die Eindämmung des Suchtpotentials, sondern vielmehr die Verdrängung des Schwarzmarktes im Blick hatte. Dieser sollte durch die kontrollierte Öffnung effektiv zurückgedrängt werden. Mit dem Beitritt des Landes Schleswig-Holstein zum GlüÄndStV muss – die Eignung der Marktöffnung zur Zielerreichung unterstellt – daher davon ausgegangen werden, dass die Verbraucher zukünftig wieder einer größeren Gefahr des Schwarzmarktangebots für Glücksspiele ausgesetzt sein werden; die Eignung und Angemessenheit einer staatlichen Verbotspolitik – wie sie im GlüÄndStV vorgesehen ist – muss damit auch aus Sicht des (schleswig-holsteinischen) Gesetzgebers fraglich erscheinen. Auch der EuGH (C-42/07) hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass „eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen“.

Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH die Vorlagefragen des BGH im Sinne einer kontrollierten Marktöffnung beantwortet und das ursprüngliche Regelungskonzept des schleswig-holsteinischen Glückspielgesetzes damit (mittelbar) bestätigt.

Kazemi & Lennartz Rechtsanwälte PartG
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Zusammengestellt von Volker Stiny

Donnerstag, 21. März 2013

BVerwG: Streit um Verbote von Sportwetten

Werbung für staatliche Lotterien in der Kritik
Im juristischen Streit um Verbote von Sportwetten hat sich das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am Donnerstag mit der Werbung für staatlich organisierte Lotterien befasst."Wir müssen schauen, ob der Staat das Ziel der Bekämpfung der Spielsucht nur vorgibt, aber eigentlich seine Einnahmen maximieren will", sagte der Vorsitzende Richter des achten Senats, Klaus Rennert. "Liefert die Werbung für Sportwetten uns genügend Anhaltspunkte dafür, dass der Staat seinem Zweck, die Spielsucht zu bekämpfen, zuwider handelt und eigentlich finanzielle Ziele verfolgt", fragte der Richter. 
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BVerwG 8 C 10.12; (OVG Münster 4 A 17/08; VG Düsseldorf 3 K 162/07)  
BVerwG 8 C 14.12; (VGH München 10 BV 10.2271; VG München M 16 K 08.2972)  
BVerwG 8 C 15.12; (VGH München 10 BV 10.2505; VG München M 22 K 07.1080) 
BVerwG 8 C 16.12; (VGH München 10 BV 10.2665; VG München M 22 K 07.3782) 
BVerwG 8 C 35.12; (VGH München 10 BV 11.2152; VG Regensburg RN 5 K 10.2326)  
BVerwG 8 C 41.12 (VGH München 10 BV 11.483; VG Ansbach AN 4 K 06.01769)
  
B. AG - RA Bongers, Köln - ./. Stadt Mönchengladbach - RA Cornelius, Bartenbach, Haesemann & Partner, Köln -
R. GmbH - RA Arendts, Grünwald - ./. Landeshauptstadt München
A. - RA Bongers, Köln - ./. Landeshauptstadt München
O. GmbH - 1. RA Kuentzle, Karlsruhe, 2. RA Redeker, Sellner und Dahs, Bonn - ./. Landeshauptstadt München
C. GmbH - RA Arendts, Grünwald - ./. Freistaat Bayern
O. GmbH - 1. RA Kuentzle, Karlsruhe, 2. RA Redeker, Sellner und Dahs, Bonn - ./. Stadt Nürnberg
In mehr als 20 Revisionsverfahren aus Nordrhein-Westfalen, dem Freistaat Bayern und dem Land Rheinland-Pfalz wenden die Kläger sich gegen das Verbot, Sportwetten an EU-ausländische Wettanbieter zu vermitteln. Die Untersagungsverfügungen stützen sich auf Vorschriften des allgemeinen Ordnungsrechts oder - seit 2008 - des Glücksspielstaatsvertrags der Länder. Danach kann das unerlaubte Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten untersagt werden. Die Verbote wurden regelmäßig damit begründet, dass die erforderliche inländische Erlaubnis fehle und wegen des staatlichen Sportwettenmonopols auch nicht erteilt werden könne.
Im September 2010 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, das Sportwettenmonopol sei mit der Dienstleistungsfreiheit nur vereinbar, wenn es kohärent und systematisch zur Verwirklichung des mit ihm verfolgten Ziels der Suchtbekämpfung beitrage. Daran fehle es, wenn gegenläufige Regelungen - auch in anderen Glücksspielbereichen - die Eignung des Monopols zur Suchtbekämpfung entfallen ließen. Die Beklagten führten zur Begründung der Verbote daraufhin zusätzlich an, das Vermitteln von Sportwetten bedürfe selbst bei Rechtswidrigkeit des Monopols einer Erlaubnis und dürfe jedenfalls verboten werden, wenn die übrigen Erlaubnisvoraussetzungen nicht behördlich festgestellt oder offensichtlich seien. Die Vermittlung von Internet- und Live-Wetten sei jedenfalls unzulässig und müsse schon deshalb untersagt werden.
Die Klagen gegen die Untersagungsverfügungen hatten jeweils - spätestens - im Berufungsverfahren Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat das Sportwettenmonopol für unionsrechtswidrig gehalten und dazu auf die Werbepraxis des Monopolträgers verwiesen, die der Suchtbekämpfung zuwiderlaufe und zum Wetten anreize. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, die Glücksspielpolitik im Bereich der Geldspielautomaten sei auf Expansion angelegt und widerspreche dem Ziel der Suchtbekämpfung. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat auf beide Gesichtspunkte abgestellt. Alle genannten Berufungsgerichte sind davon ausgegangen, dass die nachgeschobenen Begründungen die Verbote nicht rechtfertigen könnten, da die Gründe für eine Ermessensausübung nachträglich nur ergänzt, aber nicht ausgetauscht werden dürften. Soweit die Untersagungen sich für die Vergangenheit bereits erledigt hätten, könnten die Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit verlangen.
In einigen Revisionsverfahren stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit erledigter Verbote besteht. Darüber hinaus wird u. a. zu klären sein, ob eine der Suchtbekämpfung widersprechende Politik in einem anderen, bundesrechtlich geregelten Glücksspielbereich stets zur Rechtswidrigkeit des landesrechtlichen Sportwettenmonopols führt oder nur dann, wenn die gegenläufige Politik sich auf den Monopolbereich auswirkt. Dabei stellt sich das Problem, inwieweit das Bundesstaatsprinzip eine Berücksichtigung von Regelungen anderer Kompetenzträger bei der Kohärenzprüfung zulässt. Schließlich sind die rechtlichen Bindungen des Untersagungsermessens näher zu bestimmen, insbesondere die Grenzen zulässigen Nachschiebens von Ermessenserwägungen bei Dauerverwaltungsakten wie den Verbotsverfügungen.

20.03.2013  14:00 Uhr:

In mehr als 20 Revisionsverfahren aus Nordrhein-Westfalen, dem Freistaat Bayern und dem Land Rheinland-Pfalz wenden die Kläger sich gegen das Verbot, Sportwetten an EU-ausländische Wettanbieter zu vermitteln. Die Untersagungsverfügungen stützen sich auf Vorschriften des allgemeinen Ordnungsrechts oder - seit 2008 - des Glücksspielstaatsvertrags der Länder. Danach kann das unerlaubte Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten untersagt werden. Die Verbote wurden regelmäßig damit begründet, dass die erforderliche inländische Erlaubnis fehle und wegen des staatlichen Sportwettenmonopols auch nicht erteilt werden könne.

Im September 2010 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, das Sportwettenmonopol sei mit der Dienstleistungsfreiheit nur vereinbar, wenn es kohärent und systematisch zur Verwirklichung des mit ihm verfolgten Ziels der Suchtbekämpfung beitrage. Daran fehle es, wenn gegenläufige Regelungen - auch in anderen Glücksspielbereichen - die Eignung des Monopols zur Suchtbekämpfung entfallen ließen. Die Beklagten führten zur Begründung der Verbote daraufhin zusätzlich an, das Vermitteln von Sportwetten bedürfe selbst bei Rechtswidrigkeit des Monopols einer Erlaubnis und dürfe jedenfalls verboten werden, wenn die übrigen Erlaubnisvoraussetzungen nicht behördlich festgestellt oder offensichtlich seien. Die Vermittlung von Internet- und Live-Wetten sei jedenfalls unzulässig und müsse schon deshalb untersagt werden.

Die Klagen gegen die Untersagungsverfügungen hatten jeweils - spätestens - im Berufungsverfahren Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat das Sportwettenmonopol für unionsrechtswidrig gehalten und dazu auf die Werbepraxis des Monopolträgers verwiesen, die der Suchtbekämpfung zuwiderlaufe und zum Wetten anreize. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, die Glücksspielpolitik im Bereich der Geldspielautomaten sei auf Expansion angelegt und widerspreche dem Ziel der Suchtbekämpfung. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat auf beide Gesichtspunkte abgestellt. Alle genannten Berufungsgerichte sind davon ausgegangen, dass die nachgeschobenen Begründungen die Verbote nicht rechtfertigen könnten, da die Gründe für eine Ermessensausübung nachträglich nur ergänzt, aber nicht ausgetauscht werden dürften. Soweit die Untersagungen sich für die Vergangenheit bereits erledigt hätten, könnten die Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit verlangen.

In einigen Revisionsverfahren stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit erledigter Verbote besteht. Darüber hinaus wird u. a. zu klären sein, ob eine der Suchtbekämpfung widersprechende Politik in einem anderen, bundesrechtlich geregelten Glücksspielbereich stets zur Rechtswidrigkeit des landesrechtlichen Sportwettenmonopols führt oder nur dann, wenn die gegenläufige Politik sich auf den Monopolbereich auswirkt. Dabei stellt sich das Problem, inwieweit das Bundesstaatsprinzip eine Berücksichtigung von Regelungen anderer Kompetenzträger bei der Kohärenzprüfung zulässt. Schließlich sind die rechtlichen Bindungen des Untersagungsermessens näher zu bestimmen, insbesondere die Grenzen zulässigen Nachschiebens von Ermessenserwägungen bei Dauerverwaltungsakten wie den Verbotsverfügungen.

Die mündliche Verhandlung wird am 21. März 2013, 10.00 Uhr, fortgesetzt.

In weiteren Verfahren wird am 16./17. April 2013 und am 14./15. Mai 2013 verhandelt.

In den Verwaltungsstreitsachen BVerwG 8 C 10.12, BVerwG 8 C 14.12, BVerwG 8 C 15.12, BVerwG 8 C 16.12, BVerwG 8 C 35.12 und BVerwG 8 C 41.12 (Sportwetten) ist
Termin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt worden auf
Donnerstag, den 16. Mai 2013, 14.00 Uhr.

Zusammengestellt von Volker Stiny

Brandenburgisches Spielhallengesetz


Die rot-rote Mehrheit im Landtag Brandenburg hat heute ein neues Spielhallengesetz verabschiedet.
Dierk Homeyer, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag Brandenburg, sagt dazu:
„Rot-Rot gefährdet mit dem Spielhallengesetz Arbeitsplätze und Existenzen in unserer Heimat.

Statt mit Augenmaß und Sachverstand wurde wieder einmal die große Keule gegen die kleinen Unternehmer herausgeholt. Es gilt der alte Spruch: Gut gemeint, heißt nicht gut gemacht!

Staatliche Regulierungswut wird wieder einmal in Brandenburg über den Sachverstand vor Ort gestellt. Heraus kommt ein weiteres Bürokratiemonster, das nicht nur von den Fachverbänden abgelehnt wird.

Statt bei der notwendigen Bekämpfung der Spielsucht auf die lokale Expertise zu bauen, wird ein Gesetz erlassen, welches an unseren Realitäten meilenweit vorbei geht. Mit einem freien Land, mit freien Bürgern hat das wenig zu tun – wohl aber mit staatlicher Bevormundung.”

Die vollständige Rede von Dierk Homeyer ist abrufbar unter: www.youtube.com/watch?v=-XyM7uftZS8

Dienstag, 19. März 2013

Verfassungsgericht: informelle "Deals" im Strafprozess sind rechtswidrig

Informell ist illegal - Kein "Handel mit der Gerechtigkeit"
Außerdem verstoße so ein Deal prinzipiell gegen das Recht auf ein faires Verfahren.
Grüne und Linke nannten es einen "Skandal", dass sich viele Richter bislang nicht an geltendes Recht halten.

Der frühere Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Neskovic, die Schaffung eines neuen Straftatbestandes, der informelle Deals sanktioniert: "Nur dann, wenn den an illegalen Absprachen beteiligten Richtern und Staatsanwälten klar ist, dass sie mit einer illegalen Absprache ihren Job riskieren, kann sichergestellt werden, dass sie sich auf derartige Absprachen gar nicht erst einlassen."

Im Verfahren (Az.: 2 BvR 2628/10) hat der Beschuldigte kein faires Verfahren bekommen, betonte der Zweite Senat unter Vorsitz von Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. s.u.


Studie entlarvte die illegale Praxis
Mehr als die Hälfte der befragten Richter, Staatsanwälte und Verteidiger gaben offen zu, sich in den meisten Fällen "informell" abgesprochen zu haben.
Solche informellen Absprachen, das stellte nun das Verfassungsgericht ein für alle Mal fest, sind unzulässig und verstoßen gegen das Grundgesetz.  
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Der Deutsche Anwaltverein (DAV) begrüßte das Urteil. Die Aufklärung eines Tatvorwurfs und der Anspruch des Angeklagten auf Freispruch, wenn seine Schuld nicht zweifelsfrei bewiesen ist, dürften "nicht zum Gegenstand von abweichenden Vereinbarungen gemacht werden", erklärte der DAV in Berlin.
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Das Gericht stärkte die Rechte von Angeschuldigten auf ein faires Verfahren, damit sie »Übergriffe staatlicher Stellen angemessen abwehren können«. Informelle Absprachen noch vor Prozessbeginn und außerhalb des Gesetzes sind unzulässig.
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Zentrale Aufgabe des Strafprozesses, so sagt es das Bundesverfassungsgericht seit Jahrzehnten, ist die Ermittlung des wahren Sachverhaltes. Das Gericht darf sich dabei nicht allein auf den Inhalt der von der Sicht der Staatsanwaltschaft geprägten Ermittlungsakte stützen, sondern muss sich seine Überzeugung in der mündlichen Verhandlung bilden.
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Kein Beschuldigter dürfe gedrängt werden, sich selbst zu belasten. Die Gerichte seien auch bei einem Deal verpflichtet, "den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären". Sie müssten zwingend prüfen, ob ein Geständnis den Tatsachen entspreche.
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Druck auf die Angeklagten oder ein Verzicht auf Rechtsmittel ist unzulässig.
Die Wahrheitserforschung und Strafbemessung stehe nicht zur freien Position. Über die Hälfte der Anwälte geht davon aus, dass ihre Mandanten zur Strafmilderung auch falsche Geständnisse ablegen.
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Vor allem ist offensichtlich, dass der Deal zu einem Zwei-Klassen-Strafrecht führt: In Betracht kommt er nur in schwierigen Verfahren, der Prozess über einen Ladendieb lässt sich auch ohne Absprache schnell beenden.
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Solche Urteilsabsprachen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung nach dem Motto "Mildere Strafe gegen ein Geständnis" müssen aber transparent sein und ausführlich im Protokoll der Hauptverhandlung protokolliert werden. Unzulässig und verfassungswidrig seien hingegen "informelle" Deals, entschied das Verfassungsgericht.
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BVerfG:

Gesetzliche Regelung zur Verständigung im Strafprozess ist verfassungsgemäß – informelle Absprachen sind unzulässig
Pressemitteilung Nr. 17/2013 vom 19. März 2013

Urteil vom 19. März 2013
2 BvR 2628/10, 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10

Die gesetzlichen Regelungen zur Verständigung im Strafprozess sind trotz eines erheblichen Vollzugsdefizits derzeit noch nicht verfassungswidrig. Der Gesetzgeber muss jedoch die Schutzmechanismen, die der Einhaltung der verfassungsrechtlichen Anforderungen dienen, fortwährend auf ihre Wirksamkeit überprüfen und gegebenenfalls nachbessern. Unzulässig sind sogenannte informelle Absprachen, die außerhalb der gesetzlichen Regelungen erfolgen. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem heute verkündeten Urteil entschieden. Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht die von den Beschwerdeführern angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen wegen Verfassungsverstößen im jeweiligen Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:

1. Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ihre strafgerichtliche Verurteilung im Anschluss an eine Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten. In den Verfahren 2 BvR 2628/10 und 2 BvR 2883/10 richten sich die Verfassungsbeschwerden zudem gegen die Vorschrift des § 257c Strafprozessordnung (StPO), die durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (im Folgenden: Verständigungsgesetz) eingefügt worden ist.

2. Die Verfassungsbeschwerden sind begründet, soweit sie sich gegen die angegriffenen Entscheidungen richten; im Übrigen haben sie keinen Erfolg.

a) Das Strafrecht beruht auf dem Schuldgrundsatz, der Verfassungsrang hat. Dieser ist in der Garantie der Würde und Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 GG) sowie im Rechtsstaatsprinzip verankert (Art. 20 Abs. 3 GG). Der Staat ist von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt.

Das Recht auf ein faires Verfahren gewährleistet dem Beschuldigten, prozessuale Rechte wahrzunehmen und Übergriffe - insbesondere staatlicher Stellen - angemessen abwehren zu können. Die Ausgestaltung dieser Verfahrensrechte ist in erster Linie dem Gesetzgeber aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde. Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege einschließlich des Beschleunigungsgrundsatzes in den Blick zu nehmen.

Der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit und die Unschuldsvermutung sind im Rechtsstaatsprinzip verankert und haben Verfassungsrang. Insbesondere muss der Beschuldigte frei von Zwang eigenverantwortlich entscheiden können, ob und gegebenenfalls inwieweit er im Strafverfahren mitwirkt.

b) Ausgehend davon tragen Verständigungen zwar das Risiko in sich, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht in vollem Umfang beachtet werden. Gleichwohl ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht schlechthin verwehrt, sie zur Verfahrensvereinfachung zuzulassen. Um den verfassungsrechtlichen Vorgaben gerecht zu werden, hat es der Gesetzgeber für notwendig erachtet, klare gesetzliche Vorgaben für das in der Praxis bedeutsame, aber stets umstritten gebliebene Institut der Verständigung zu schaffen. Mit dem Verständigungsgesetz hat er kein neues, "konsensuales" Verfahrensmodell eingeführt, sondern die Verständigung in das geltende Strafprozessrechtssystem integriert.

aa) Das Verständigungsgesetz verweist ausdrücklich darauf, dass die Pflicht des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, unberührt bleibt. Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass eine Verständigung als solche niemals alleinige Urteilsgrundlage sein kann, sondern weiterhin ausschließlich die Überzeugung des Gerichts. Zudem ist das verständigungsbasierte Geständnis zwingend auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Soweit der praktische Anwendungsbereich von Verständigungen dadurch beschränkt wird, ist dies die zwangsläufige Konsequenz der Einfügung in das System des geltenden Strafprozessrechts. Auch die rechtliche Würdigung ist der Disposition im Rahmen einer Verständigung entzogen; dies gilt auch für eine Strafrahmenverschiebung bei besonders schweren oder minder schweren Fällen.

bb) Das Verständigungsgesetz regelt die Zulässigkeit einer Verständigung im Strafverfahren abschließend. Es untersagt damit die beschönigend als "informell" bezeichneten Vorgehensweisen bei einer Verständigung. Zudem beschränkt es die Verständigung auf den Gegenstand der Hauptverhandlung. Sogenannte "Gesamtlösungen", bei denen die Staatsanwaltschaft auch die Einstellung anderer Ermittlungsverfahren zusagt, sind daher unzulässig.

cc) Transparenz und Dokumentation von Verständigungen stellen einen Schwerpunkt des Regelungskonzepts dar. Dies soll eine effektive Kontrolle durch Öffentlichkeit, Staatsanwaltschaft und Rechtsmittelgericht gewährleisten. Insbesondere müssen die mit einer Verständigung verbundenen Vorgänge umfassend in die - regelmäßig öffentliche - Hauptverhandlung einbezogen werden. Dies bekräftigt zugleich, dass die richterliche Überzeugung sich auch nach einer Verständigung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ergeben muss.

Ein Verstoß gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten führt grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit einer gleichwohl getroffenen Verständigung. Hält sich das Gericht an eine solche gesetzeswidrige Verständigung, wird ein Beruhen des Urteils auf diesem Gesetzesverstoß regelmäßig nicht auszuschließen sein.

Eine herausgehobene Bedeutung kommt der Kontrolle durch die Staatsanwaltschaft zu. Sie ist nicht nur gehalten, ihre Zustimmung zu einer gesetzeswidrigen Verständigung zu versagen, sondern hat auch Rechtsmittel gegen Urteile einzulegen, die auf einer solchen Verständigung beruhen. Weisungsgebundenheit und Berichtspflichten ermöglichen es zudem, diese Kontrollfunktion der Staatsanwaltschaft nach einheitlichen Standards auszuüben.

dd) Schließlich sieht das Verständigungsgesetz vor, dass der Angeklagte darüber zu belehren ist, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Gericht von dem in Aussicht gestellten Ergebnis abweichen kann. Diese Belehrung soll den Angeklagten in die Lage versetzen, eine autonome Entscheidung über seine Mitwirkung an der Verständigung zu treffen. Bei einem Verstoß gegen die Belehrungspflicht wird im Rahmen der revisionsgerichtlichen Prüfung regelmäßig davon auszugehen sein, dass das Geständnis und damit auch das Urteil hierauf beruhen.

c) Das Verständigungsgesetz sichert die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben in ausreichender Weise. Der in erheblichem Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führt derzeit nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung.

aa) Verfassungswidrig wäre das gesetzliche Regelungskonzept nur, wenn die vorgesehenen Schutzmechanismen in einer Weise lückenhaft oder sonst unzureichend wären, die eine gegen das Grundgesetz verstoßende "informelle" Absprachepraxis fördert, das Vollzugsdefizit also durch die Struktur der Norm determiniert wäre.

bb) Weder das Ergebnis der empirischen Erhebung noch die in den Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen zwingen zu der Annahme, dass es strukturelle Mängel des gesetzlichen Regelungskonzepts sind, die zu dem bisherigen Vollzugsdefizit geführt haben. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Als Hauptgrund wird in der empirischen Untersuchung eine "fehlende Praxistauglichkeit" der Vorschriften genannt. Dies spricht für ein bisher nur unzureichend ausgeprägtes Bewusstsein, dass es Verständigungen ohne die Einhaltung der Anforderungen des Verständigungsgesetzes nicht geben darf.

d) Der Gesetzgeber muss die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten. Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in erheblichem Umfang über die gesetzlichen Regelungen hinwegsetzen und das Verständigungsgesetz nicht ausreichen, um das festgestellte Vollzugsdefizit zu beseitigen, muss der Gesetzgeber der Fehlentwicklung durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken. Unterbliebe dies, träte ein verfassungswidriger Zustand ein.

3. Die mit den Verfassungsbeschwerden angefochtenen fachgerichtlichen Entscheidungen sind mit den Vorgaben des Grundgesetzes für eine Verständigung im Strafprozess nicht zu vereinbaren.

a) Die von den Beschwerdeführern der Verfahren 2 BvR 2628/10 und 2 BvR 2883/10 angegriffenen Entscheidungen verletzen sie in ihrem Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und verstoßen gegen die Selbstbelastungsfreiheit. Eine Verständigung ist regelmäßig nur dann mit dem Grundsatz des fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Angeklagte vor ihrem Zustandekommen über deren nur eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. Fließt das unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht abgegebene Geständnis in das Urteil ein, beruht dieses Urteil auf der Grundrechtsverletzung, es sei denn eine Ursächlichkeit des Belehrungsfehlers für das Geständnis kann ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte dieses auch bei ordnungsgemäßer Belehrung abgegeben hätte. Hierzu müssen vom Revisionsgericht konkrete Feststellungen getroffen werden.

b) Die im Verfahren 2 BvR 2155/11 angegriffene landgerichtliche Entscheidung verstößt schon deshalb gegen den verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz, weil das Landgericht den Beschwerdeführer im Wesentlichen auf Grundlage eines ungeprüften Formalgeständnisses verurteilt hat. Darüber hinaus beruht das Urteil auf einer Verständigung, die unzulässig über den Schuldspruch disponiert hat. In diesem Fall ist auch die Grenze zu einer verfassungswidrigen Beeinträchtigung der Selbstbelastungsfreiheit deutlich überschritten. Das Landgericht hat eine - schon für sich gesehen übermäßige - Differenz zwischen den beiden Strafgrenzen noch zusätzlich mit der Zusage einer Strafaussetzung zur Bewährung verbunden, die überhaupt nur aufgrund der Strafrahmenverschiebung zu einem minder schweren Fall möglich war.

Quelle



Zusammengestellt von Volker Stiny

EuGH Rs. 8/81 Becker vom 19.01.1982

Im Zusammenhang mit dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg möchte ich die Becker-Entscheidung des EuGH in Erinnerung rufen und habe diese hier in Auszügen veröffentlicht. 

Bereits in der Rechtssache 8/81 (Becker, Slg. 1982, 53) wurde vom Gerichtshof der europäischen Gemeinschaft der Gestaltungsspielraum dahingehend eingeschränkt, dass sich die "Bedingungen" in keiner Weise auf den Inhalt der vorgegebenen Steuerbefreiung erstrecken dürfen.
(vgl. Leitsatz Nr 3, Rn 20 ff, 25, 33, 43, 44, 45, 46)


19. Januar 1982

(Auszug)

Rechtssache 8/81





Ursula Becker

gegen
 Finanzamt Münster-Innenstadt

Ersuchen um Vorabentscheidung:
Finanzgericht Münster - Deutschland. Wirkung der Richtlinien.

( RICHTLINIE 77/388 DES RATES , ARTIKEL 13 TEIL B BUCHSTABE D NR . 1 )

8 DAS FINANZAMT BERIEF SICH VOR DEM FINANZGERICHT DARAUF, DASS ZU DER BETREFFENDEN ZEIT DIE SECHSTE RICHTLINIE IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND NOCH NICHT DURCHGEFÜHRT WORDEN WAR. ES FÜHRTE AUSSERDEM AUS, NACH ÜBEREINSTIMMENDER AUFFASSUNG SÄMTLICHER MITGLIEDSTAATEN KÖNNE ARTIKEL 13 TEIL B NICHT ALS EINE BESTIMMUNG ANGESEHEN WERDEN, DIE UNMITTELBAR GELTENDES RECHT BEGRÜNDE, WEIL SIE DEN MITGLIEDSTAATEN EINEN ERMESSUNGSSPIELRAUM EINRÄUME.

9 ZUR ENTSCHEIDUNG DIESES RECHTSSTREITS HAT DAS FINANZGERICHT DEM GERICHTSHOF DIE FOLGENDE FRAGE VORGELEGT:

„IST DIE BESTIMMUNG ÜBER DIE UMSATZSTEUERFREIHEIT DER UMSÄTZE AUS DER KREDITVERMITTLUNG IN ABSCHNITT X ARTIKEL 13 TEIL B BUCHSTABE D NUMMER 1 DER SECHSTEN RICHTLINIE DES RATES VOM 17. MAI 1977 ZUR HARMONISIERUNG DER RECHTSVORSCHRIFTEN DER MITGLIEDSTAATEN ÜBER DIE UMSATZSTEUER - GEMEINSAMES MEHRWERTSTEUERSYSTEM: EINHEITLICHE STEUERPFLICHTIGE BEMESSUNGSGRUNDLAGE (77/388/EWG) AB 1. JANUAR 1979 UNMITTELBAR GELTENDES RECHT IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND?“

25 DEMNACH KÖNNEN SICH DIE EINZELNEN IN ERMANGELUNG VON FRISTGMÄSS ERLASSENEN DURCHFÜHRUNGSMASSNAHMEN AUF BESTIMMUNGEN EINER RICHTLINIE, DIE INHALTLICH ALS UNBEDINGT UND HINREICHEND GENAU ERSCHEINEN, GEGENÜBER ALLEN INNERSTAATLICHEN, NICHT RICHTLINIENKONFORMEN VORSCHRIFTEN BERUFEN; EINZELNE KÖNNEN SICH AUF DIESE BESTIMMUNGEN AUCH BERUFEN, SOWEIT DIESE RECHTE FESTLEGEN, DIE DEM STAAT GEGENÜBER GELTEND GEMACHT WERDEN KÖNNEN.

32 DAZU IST VORAB ZU BEMERKEN, DASS DIESE „BEDINGUNGEN“ SICH IN KEINER WEISE AUF DEN INHALT DER VORGESEHENEN STEUERBEFREIUNG ERSTRECKEN.

33 ZUM EINEN SOLLEN DIE GENANNTEN „BEDINGUNGEN“ EINE KORREKTE UND EINFACHE ANWENDUNG DER STEUERBEFREIUNGEN GEWÄHRLEISTEN. EINEM STEUERPFLICHTIGEN, DER IN DER LAGE IST ZU BEWEISEN, DASS ER STEUERRECHTLICH UNTER EINEN BEFREIUNGSTATBESTAND DER RICHTLINIE FÄLLT, KANN EIN MITGLIEDSTAAT NICHT ENTGEGENHALTEN, DASS ER DIE VORSCHRIFTEN, DIE DIE ANWENDUNG EBEN DIESER STEUERBEFREIUNG ERLEICHTERN SOLLEN, NICHT ERLASSEN HAT.

34 ZUM ANDEREN BEZIEHEN SICH DIE „BEDINGUNGEN“ AUF MASSNAHMEN ZUR VERHÜTUNG VON STEUERHINTERZIEHUNGEN, STEUERUMGEHUNGEN UND ETWAIGEN MISSBRÄUCHEN. EIN MITGLIEDSTAAT, DER ES VERSÄUMT HAT, DIE DAFÜR ERFORDERLICHEN VORKEHRUNGEN ZU TREFFEN, DARF SICH NICHT AUF SEINE EIGENE UNTÄTIGKEIT BERUFEN, UM EINEM STEUERPFLICHTIGEN DIE VERGÜNSTIGUNG EINER STEUERBEFREIUNG ZU VERWEIGERN, DIE DIESER AUFGRUND DER RICHTLINIE ZU RECHT BEANSPRUCHEN KANN, ZUMAL NICHTS DEN STAAT DARAN HINDERT, MANGELS BESONDERER VORSCHRIFTEN IN DIESEM BEREICH AUF DIE EINSCHLAEGIGEN VORSCHRIFTEN SEINER ALLGEMEINEN GESETZE GEGEN STEUERHINTERZIEHUNG ZURÜCKZUGREIFEN.

38 DIESE ARGUMENTATION VERKENNT DIE BEDEUTUNG VON ARTIKEL 13 TEIL C. KRAFT DER BEFUGNIS, DIE DIESE BESTIMMUNG EINRÄUMT, KÖNNEN DIE MITGLIEDSTAATEN DEN STEUERPFLICHTIGEN, DIE UNTER DIE STEUERBEFREIUNGEN DER RICHTLINIE FALLEN, GESTATTEN, SEI ES IN ALLEN FÄLLEN, SEI ES IN BESTIMMTEN GRENZEN ODER AUCH NACH BESTIMMTEN MODALITÄTEN, AUF DIE BEFREIUNG ZU VERZICHTEN. HERVORZUHEBEN IST JEDOCH, DASS NACH DER GENANNTEN BESTIMMUNG DANN, WENN DER MITGLIEDSTAAT VON DER BEFUGNIS GEBRAUCH MACHT, DIE AUSÜBUNG DER UNTER DIESEN VORAUSSETZUNGEN EINGERÄUMTEN OPTION ALLEIN DEM STEUERPFLICHTIGEN UND NICHT DEM STAAT ZUSTEHT.

39 DARAUS FOLGT, DASS ARTIKEL 13 TEIL C DIE MITGLIEDSTAATEN KEINESWEGS DAZU BERECHTIGT, DIE IN TEIL B VORGESEHENEN STEUERBEFREIUNGEN IN IRGENDEINER WEISE EINZUSCHRÄNKEN ODER AN VORAUSSETZUNGEN ZU KNÜPFEN; ER GIBT DEN STAATEN LEDIGLICH DIE BEFUGNIS, DEN UNTER DIESE STEUERBEFREIUNGEN FALLENDEN STEUERPFLICHTIGEN MEHR ODER WENIGER WEITGEHEND DIE MÖGLICHKEIT ZU ERÖFFNEN , SELBST FÜR EINE BESTEUERUNG ZU OPTIEREN , WENN SIE DAS FÜR VORTEILHAFT HALTEN.


Direktlinks:
Urteil: ECLI:EU:C:1982:7  (pdf-download)
Schlussanträge: ECLI:EU:C:1981:271  (pdf-download)

Der Generalanwalt führte bereits in der RS Becker 8/81 aus, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage war die Richtlinie innerhalb der dafür festgesetzten Zeit durchzuführen, auch nicht innerhalb der festgesetzen Verlängerung, weshalb die Kommission am 13.8.79 vor dem Gerichtshof Klage nach Art. 169 EWG-Vertrag (Rs. 132/79) erhob.

Am 26.11.1979 wurde schließlich ein Gesetz zur Durchführung der Richtlinie mit Wirkung zum 1.1.1980 erlassen. woraufhin die Kommission ihre Klage zurücknahm.

“In den Urteilen in den Rechtssachen 51/76 (Nederlandse Ondernemingen/Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen, Sig. 1977, 113) 148/78 (Ratti, Sig. 1979, 1629) und 102/79 (Kommission/Belgien, Slg. 1980, 1473) hat der Gerichtshof entschieden, daß ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, einer an ihn gerichteten Richtlinie Wirkung zu verleihen, auch wenn ihm die Wahl der Form und der Mittel zur Erreichung der Richtlinienziele überlassen bleibt. Führt der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht durch, so kann sich ein einzelner auf ihre Bestimmungen gegenüber dem Mitgliedstaat berufen, wenn diese unbedingt und hinreichend genau sind. Der Staat kann keinen Vorteil aus der Tatsache ziehen, daß er nicht rechtzeitig tätig geworden ist-und nicht geltend machen, die Richtlinie sei noch nicht in Kraft.“
“Die Frage ist also nicht die, ob die Richtlinie „unmittelbar gilt“, sondern ob ihre Bestimmungen dergestalt sind, daß sich der einzelne darauf gegenüber dem Mitgliedstaat berufen kann, der es pflichtwidrig unterlassen hat, sie durchzuführen.“

.....Kernfrage lautet: War die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, Artikel 13 B Buchstabe d Nr. 1 durchzuführen, und ist diese Bestimmung unbedingt und hinreichend genau, so daß sich ein einzelner auch dann darauf berufen kann, wenn der Mitgliedstaat sie nicht durchgeführt hat?
Zunächst ist behauptet worden, wegen des Einleitungssatzes zu Artikel 13 B bestehe keine unbedingte und hinreichend genaue Verpflichtung, die genannten Tätigkeiten und Umsätze von der Steuer zu befreien. Den Mitgliedstaaten sei nämlich die Befugnis eingeräumt, Bedingungen „zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Mißbräuchen" festzusetzen.

Die Kommission hat vorgetragen, bei den Bedingungen, denen die Steuerbefreiung nach Artikel 13 B unterliege, handele es sich um flankierende Maßnahmen, die an dem unbedingten und zwingenden Charakter der den Mitgliedstaaten auferlegten Verpflichtung nichts änderten. Die Mitgliedstaaten hätten nur einen Gestaltungsspielraum, um die korrekte Anwendung der vorgesehenen Steuerbefreiung sowie die Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und Mißbräuchen zu gewährleisten.

Ich halte das Vorbringen der Kommission in diesem Punkt für eindeutig richtig. Die Bedingungen, die festgesetzt werden können, beschränken sich auf Maßnahmen, durch die a) die Steuerbefreiungen korrekt und einfach angewandt werden können, um gerechtfertigte Befreiungen zu gewähren und ungerechtfertigte Ansprüche zurückzuweisen, sowie b) Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und Mißbräuche der Befreiungsvorschriften verhindert werden können. Wo spezifische steuerfreie Umsätze definiert sind, steht es dem Mitgliedstaat nicht frei, diese Umsatzdefinition zu ändern. Der Umstand, daß der Mitgliedstaat durch Ausnahmeregelung den Umfang der Steuerbefreiung gemäß Artikel 13 B Buchstabe b beschränken kann, macht die Bestimmung der steuerfreien Umsätze nach Teil B Buchstabe d nicht hinfällig und deren Anwendung auch nicht von Bedingungen abhängig.
Die Befugnis, die in dem Eingangssatz zu Artikel 13 B genannten Bedingungen festzusetzen, entbindet meines Erachtens nicht von der eindeutigen Verpflichtung, „die Vermittlung von Krediten" von der Steuer zu befreien. Die Verpflichtung, dieses Ziel zu erreichen, ist genau und unbedingt.

Darüberhinaus ist vorgebracht worden....
Eine Entscheidung des Gerichtshofes zugunsten von Frau Becker würde zu Rechtsunsicherheit und Schwierigkeiten bei der erneuten Veranlagung bereits erledigter Umsätze führen. Ob die von dem Vertreter des Finanzamtes und der Bundesregierung angeführten verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten tatsächlich auftreten würden, ist reine Spekulation.....
Selbst wenn Anträge auf Nachveranlagung zu verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten führen, so scheinen mir diese im wesentlichen davon herzurühren, daß die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie nicht durchgeführt hat. Sie können nicht geltend gemacht werden, um einen einzelnen daran zu hindern, sich auf die Richtlinienbestimmungen zu berufen, wenn er dazu ansonsten berechtigt ist.



Zusammengestellt von Volker Stiny



Montag, 18. März 2013

EuGH Linneweber/ Akritidis ( C-453/02, C-462/02) v. 17.02.05

Wegen dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg und den Feststellungen des Landesrechnungshofs Rheinland-Pfalz möchte ich erneut auf die Linneweber Entscheidung des EuGH und des BFH hinweisen, die unten in Auszügen angefügt wurden.

Während die Betreiber von Geldspielautomaten oftmals Vergnügungssteuer zahlen, auf die die Umsatzsteuer nicht angerechnet wird, wird die für die Spielbanken anfallende Umsatzsteuer auf die Spielbankenabgabe angerechnet.

Bereits den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 8.7.2004 zu Linneweber kann unter der Rn. 24 entnommen werden:

Die deutsche Regierung ist schließlich auch der Ansicht, dass sie zur Mehrwertbesteuerung von Glücksspielen außerhalb öffentlicher Spielbanken berechtigt sei, weil diese Steuer für Glücksspiele in öffentlichen Spielbanken im Wege der Spielbankenabgabe erhoben werde.

Der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz, stellte eine Steuerbefreiung durch die rückwirkende Festsetzung der Spielbankabgabe auf "Null" fest. Da dadurch die darin enthaltene MwSt nicht vom Verbraucher sondern vom Steuerzahler bezahlt wird, wird gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen. (vgl. Keine Abwälzung der Spielbank-Besteuerung auf die Steuerzahler)
Durch die festgestellte Nichteinhaltung der steuerlichen Neutralität verstößt die Bundesrepublik Deutschland noch immer gegen die unmittelbar gültige DurchführungsVO zur Richtlinie 2006/112/EG und begeht damit einen Verstoß gegen den Vertrag im Sinne von Art. 258 AEUV.
Nach EuGH-Rechtsprechung ist der Grundsatz der steuerlichen Neutralität bereits dann verletzt, wenn zwei aus der Sicht des Verbrauchers gleiche oder gleichartige Dienstleistungen, die selben Bedürfnisse des Verbrauchers befriedigen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt werden. (vgl. u.a. EuGH-Rank, Rn. 41, 75/1ff; FG Baden-Württemberg, 28.11.2012 - 14 K 2883/10). 

Bereits mit der Linneweber/Akritidis-Entscheidung hat der Europäischer Gerichtshof (EuGH) am 17. Februar 2005 festgelegt, dass die Sechste Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern einer Umsatzbesteuerung des Betriebs von Glücksspielen außerhalb öffentlicher Spielbanken entgegensteht, wenn gleichzeitig der Betrieb solcher Glücksspiele durch öffentliche Spielbanken steuerfrei ist.

Mit Urteil (Linneweber/Akritidis) vom 17.02.2005 (Rs. C-453/02 und 462/02) hat der EuGH zu beiden vorgelegten Fällen entschieden,
dass die Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nummer 9 lit. b) UStG auch auf den Betrieb von Glücksspielen außerhalb öffentlicher Spielbanken auszudehnen ist. Die Umsatzsteuerbefreiung nach der Richtlinie 77/388/EWG sei daher unmittelbar anzuwenden, ohne dass dabei die EU-rechtswidrigen Beschränkungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes zu beachten seien.
Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glückspielen oder Glückspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.  (vgl. Rn 2)


Auszug aus der Entscheidung des EuGH:


In der Rs. Linneweber/ Akritidis ( C-453/02, C-462/02) hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt.

2. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388 hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.

Der Gerichtshof führt wie folgt aus:

20 Außerdem unterliegen, wie der Bundesfinanzhof in seiner Vorlageentscheidung ausgeführt hat, die zugelassenen öffentlichen Spielbanken hinsichtlich der Glücksspiele und Glücksspielgeräte, die sie veranstalten oder betreiben dürfen, keiner Beschränkung.

23 Im Hinblick auf die Beantwortung der so umformulierten Frage ist daran zu erinnern, dass sich aus Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie ergibt, dass die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten grundsätzlich von der Mehrwertsteuer zu befreien ist, wobei die Mitgliedstaaten aber dafür zuständig bleiben, die Bedingungen und Grenzen dieser Befreiung festzulegen (Urteil Fischer, Randnr. 25).

33 Hierzu ist daran zu erinnern, dass sich der Einzelne in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen kann; er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie so geartet sind, dass sie Rechte festlegen, die der Einzelne dem Staat gegenüber geltend machen kann (vgl. u. a. Urteile vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81, Becker, Slg. 1982, 53, Randnr. 25, vom 10. September 2002 in der Rechtssache C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833, Randnr. 51, und vom 20. Mai 2003 in den Rechtssachen C-465/00, C-138/01 und C-139/01, Österreichischer Rundfunk u. a., Slg. 2003, I-4989, Randnr. 98).

34 Was im Einzelnen Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie betrifft, so geht aus der Rechtsprechung hervor, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten zwar unbestreitbar ein Ermessen bei der Festlegung der Bedingungen für die Anwendung bestimmter darin orgesehener Steuerbefreiungen einräumt, dass aber gleichwohl ein Mitgliedstaat einem Steuerpflichtigen, der in der Lage ist, zu beweisen, dass er steuerrechtlich unter einen Befreiungstatbestand der Sechsten Richtlinie fallt, nicht die Tatsache entgegenhalten kann, dass er die Vorschriften, die die Anwendung eben dieser Steuerbefreiung erleichtern sollen, nicht erlassen hat (Urteil Becker, Randnr. 33).

35 Der Umstand, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie dieses Ermessen der Mitgliedstaaten durch die Klarstellung bestätigt, dass sie für die Feststellung der Bedingungen und Beschränkungen der Steuerbefreiungen für Glücksspiele mit Geldeinsatz zuständig sind, ist nicht geeignet, diese Auslegung in Frage zu stellen. Da diese Glücksspiele nämlich grundsätzlich von der Mehrwertsteuer befreit sind, kann sich jeder, der sie veranstaltet, unmittelbar auf diese Steuerbefreiung berufen, wenn der betreffende Mitgliedstaat auf die Ausübung der ihm durch Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie ausdrücklich zuerkannten Befugnisse verzichtet oder es unterlassen hat, von diesen Befugnissen Gebrauch zu machen.

36 Ferner ist festzustellen, dass das, was für den Fall gilt, dass ein Mitgliedstaat die ihm durch Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie zuerkannten Befugnisse nicht ausgeübt hat, erst recht für den Fall gelten muss, dass ein Mitgliedstaat in Ausübung dieser Befugnisse innerstaatliche Rechtsvorschriften erlassen hat, die mit dieser Richtlinie nicht vereinbar sind.

Zur zeitlichen Wirkung des vorliegenden Urteils

41 Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Artikel 234 EG vornimmt, erläutert und verdeutlicht wird, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen (vgl. u. a. Urteile vom 11. August 1995 in den Rechtssachen C-367/93 bis C-377/93, Roders u. a., Slg. 1995, I-2229, Randnr. 42, und vom 3. Oktober 2002 in der Rechtssache C-347/00, Barreira Pérez, Slg. 2002, I-8191, Randnr. 44).

42 Der Gerichtshof kann sich nur ausnahmsweise nach dem der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit veranlasst sehen, mit Wirkung für die Betroffenen die Möglichkeit zu beschränken, sich auf die Auslegung einer Bestimmung durch den Gerichtshof zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen (vgl. u. a. Urteile vom 23. Mai 2000 in der Rechtssache C-104/98, Buchner u. a., Slg. 2000, I-3625, Randnr. 39, und Barreira Pérez, Randnr. 45).

44 Zweitens rechtfertigen die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einer Vorabentscheidung für einen Mitgliedstaat ergeben können, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen des betreffenden Urteils (vgl. u. a. Urteile Roders u. a. , Randnr. 48, und Buchner u. a., Randnr. 41).

45 Daher ist die zeitliche Wirkung des vorliegenden Urteils nicht zu beschränken.


Urteil
Schlussanträge der Generalanwältin CHRISTINE STIX-HACKL

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EU-Rechtsprechung nach Datum / nach Nummer


vgl.  United Utilities, C 89/05, Rn. 23:
„Was insbesondere Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele betrifft, so ist festzustellen, dass die Steuerbefreiung, die ihnen zugute kommt, durch praktische Erwägungen veranlasst ist, da sich Glücksspielumsätze schlecht für die Anwendung der Mehrwertsteuer eignen (Urteil vom 29. Mai 2001 in der Rechtssache C-86/99, I – 6823 URTEIL VOM 13. 7. 2006 — RECHTSSACHE C-89/05 Freemans, Slg. 2001, I-4167, Randnr. 30), und nicht, wie es bei bestimmten im sozialen Bereich erbrachten Dienstleistungen von allgemeinem Interesse der Fall ist, durch den Willen, diesen Tätigkeiten eine günstigere mehrwertsteuerliche Behandlung zu gewährleisten.“
Aus der englischen und französischen Sprachfassung des Urteils United Utilities ergibt sich nichts anderes. Urteil

Finanzamt Gladbeck ./. Linneweber Edith       (Abschrift)


Bundesfinanzhof
AZ: V R 7/02


IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

Finanzamt Gladbeck,
Beklagter und Revisionskläger

gegen

Edith Linneweber, Schermbecker Str. 36, 46284 Dorsten,
Klägerin und Revisionsbeklagte, Prozessbevollmächtigte: Steuerberaterin Elke Schnürer c/o
Schnürer & Partner Steuerberatungsgesellschaft, Lippstr. 3, 45721 Haltern

Wegen Umsatzsteuer 1997 und 1998

Hat der V-Senat mit Wirkung des Vorsitzenden Richters

Am Bundesfinanzhof
des Richters                        Dr. Wagner
der Richterin                        Dr. Klenk
des Richters                        Dr. Martin
des Richters                        Dr. Lange und
des Richters                        Dr. Heidner

in der Sitzung vom 12. Mai 2005 durch Gerichtsbescheid

für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 26. Oktober 2001     5 K 4280/00  U   wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Dieser Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.
Auch für den Antrag auf mündliche Verhandlung besteht Vertretungszwang. Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer; ferner Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschafts-prüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie zur geschäfts-mäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugte Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Halbsatz aufgeführten Berufungsangehörigen tätig werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

G r ü n d e :

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres im Jahre 1999 verstorbenen Ehemannes (des Steuerpflichtigen). Dieser stellte Geldspielautomaten und Unterhaltungsgeräte in Gaststätten und in ihm gehörenden Spielhallen zur entgeltlichen Nutzung bereit. Der Steuerpflichtige und die Klägerin erklärten für 1997 und 1998 steuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug in Höhe von 225.000 DM  (1997) und 270.175 DM (1998). Demgegenüber vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA-) in den Umsatzsteuerbescheiden für 1997 und 1998 vom 3. März bzw. 13. März 2000 die Auffassung, die Einnahmen aus dem Betrieb der Geldspielgeräte seien nicht nach § 4 Nr. 9 Buchsta. B des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfrei,, da sie weder der Rennwett- oder Lotteriesteuer unterlägen noch von einer zugelassenen öffentlichen Spielbank ausgeführt wurden.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam in Fortführung der Grundsätze des Urteils des Gerichtshofes der europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 11. Juni 1998 Rs. C-283/95 – Karlheinz Fischer -  Slg. 1998, I-3369, Internat. Steuerrecht – IstR – 1998, 399 Rand-NBr. 29) zum Ergebnis, Umsätze mit Geldspielgeräten seien nach Art. 13 Teil B Buchst. F der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) von der Umsatzsteuer befreit; der Unternehmer könne sich insoweit unmittelbar auf diese Vorschrift berufen.

Gegen das Urteil des FG, das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 501 veröffentlicht ist, wendet sich das FA mit der vorliegenden Revision. Es meint, bei den in den Spielbanken aufgestellten Geldspielautomaten seien die Einsätze und Gewinnmöglichkeiten wesentlich höher als bei den ausserhalb der Spielbanken erlaubten Geldspielautomaten. Die vom FG angenommene Wettbewerbssituation bestehe deshalb nicht. Mit Beschluss vom 6. November 2002 (BFHE 200, 149) hatte der Senat das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt und dem EuGH gem. Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vorgelegt:

„1. Ist Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Veranstaltung eines Glückspiels mit Geldeinsatz nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glückspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist?

2. Verbietet Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG einem Mitgliedsstaat, den Betrieb eines Geldspielautomaten bereits dann der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn der Betrieb eines Geldspielautomaten durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist, oder muss zusätzlich feststehen, dass die ausserhalb der Spielbanken betriebenen Glückspiel-automaten in wesentlichen Punkten, wie z.B. beim Höchsteinsatz und beim Höchstgewinn, mit den Geldspielautomaten in den Spielbanken vergleichbar sind ?

3. Kann sich der Automatenaufsteller auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen ?“

Der EuGH hat die Sache mit der Rs. C-462/02 verbunden und mit Urteil vom 17. Februar 2005 Rs. C-453/02 – Edith Linneweber – und C-462/02 – Savvas Akritidis – (Umsatzsteuer-Rundschau—UR—2005, 194 mit Anm. Birk/Jahn-dorf, Deutsches Steuerrecht – DStR—2005, 371 mit Anm. Zugmaier, IStR 2005, 200 mit Anm. Dziadkowski, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft – EuZW—2005, 210 mit Anm. Tym/Heckeler) geantwortet:

„1. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG … ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glückspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt.

2. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glückspielen oder Glückspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer inner-staatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.“

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
                       
II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass sich die Klägerin auf die Steuerbefreiung ihrer Spielautomatenumsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann.

1.Der Ehemann der Klägerin hat als Automatenaufsteller Umsätze i.S. des § Abs. 1 Nr. 1 UStG gegenüber den Spielern ausgeführt.

2. Diese Umsätze waren nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG steuerfrei. Nach dieser Vorschrift sind die Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz (RennwLottG) fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind, steuerfrei.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt, da die streitigen Umsätze nicht unter das RennwLottG fallen und der Ehemann der Klägerin keine öffentliche Spielbank betrieb.

3. Die Klägerin kann sich jedoch auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen.

Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedsstaaten Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz „unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden“ und die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zu Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer.

a)     Wie der EuGH in der vorliegenden Sache entschieden hat, ist Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG“ dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glückspielen und Glückspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt“.

Eine derartige nationale Rechtsvorschrift ist § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG. Nach ihr sind die Umsätze der öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spiel-bank bedingt sind, und damit auch die Umsätze aus dem Betrieb von Glückspielgeräten in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirt-schaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt. Die Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG macht die Steuerbefreiung der von ihr erfassten Spielumsätze von der Identität des Veranstalters oder Betreibers der Glückspiele oder Glückspielgeräte abhängig und ist deshalb nach Auffassung des EuGH unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen  Neutralität mit Art. 13 Teil B Buchst. F der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar (vgl. RandNr. 24 ff., 29 und 30 des EuGH-Urteils).

Der Frage, ob die außerhalb der Spielbanken betriebenen Glücksspielautomaten in einzelnen Punkten, wie z.B. beim Höchsteinsatz und Höchstgewinn oder beim Verhältnis der Spieleinsätze zu den Ausschüttungsbeträgen, mit den Geldspielautomaten in den Spielbanken vergleichbar sind, hat der EuGH daher keine Bedeutung beigemessen.

Ebenso wenig hindert der Umstand, dass die Spielbanken einer auf der Grundlage ihrer Spielerträge berechneten Spielbankabgabe unterliegen, dass der Betrieb von Glücksspielgeräten in zugelassenen öffentlichen Spielbanken und außerhalb dieser Spielbanken, „die Ausübung der gleichen Tätigkeit“ darstellt (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1998, I-3369, IStR 1998, 399 RandNr. 29).

b) Da § 4 Nr. 9 Buchst. B UStG mit der Bestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. F der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar ist, kann sich die Klägerin in dem Sinne auf diese  -inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue -  Bestimmung berufen, dass die Vorschrift des § 4 Nr. 9 buchst. B UStG keine Anwendung findet.

4.Der Senat entscheidet gemäß § 121 Satz 1, § 90 a Abs. 1 FGO durch Gerichtsbescheid. Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

Dr. Wagner            Dr. Klenk                Dr. Martin
        Dr. Lange            Dr. Heidner

Ausgefertigt
München, den 16.06.05

s.a.:
jurion  (bearbeitet mit Querverweisen)
BFH-Entscheidungen (Simons & Moll-Simons GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft)


IP/10/1251
Brüssel, den 30. September 2010
Direkte Steuern: Kommission verlangt vom Vereinigten Königreich, die Erstattung von unter
Verstoß gegen EU-Recht gezahlten Steuern zu gewährleisten
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Im Hinblick auf das Vorabentscheidungsverfahren Rs. C-440/12, möchte ich auf das BFH-Urteil vom 16.09.2010, (V R 57/09) hinweisen.

Aus der Besprechung des Urteils:
 "Fehlerhafte Umsetzung von EU-Richtlinien und die Bestandskraft von Steuerbescheiden"weiterlesen