tag:blogger.com,1999:blog-38772627969019050222024-03-05T10:41:15.451-08:00winyourhomeInformationen zum Hauswettbewerb Baldham und über akuelle Veröffentlichungen rund um das Thema
Hausgewinnspiele in Deutschland
(umgangssprachlich auch " Hausverlosung ")Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comBlogger1806125tag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-86340365133798042752023-06-21T01:53:00.003-07:002023-06-21T01:53:52.780-07:00Lotto BW – virtuelle Automatenspiele sollen Angebot erweitern <p><br /></p><p><b>Lotto Baden-Württemberg passt sich Marktveränderungen an</b></p><p><b>– virtuelle Automatenspiele sollen Angebot erweitern –</b></p><p>(SR). ......So will Lotto Baden-Württemberg (Lotto BW), Geschäftsführer Georg Wacker (siehe Bild), sein Angebot um das virtuelle Automatenspiel erweitern und hat dafür eine Veranstalterlizenz von der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder (GGL) erhalten.</p><p>gluecksspielwesen.de: Weshalb hat sich Lotto BW für eine Erweiterung des Angebotes um das virtuelle Automatenspiel entschieden?</p><p>Lotto BW: Die Bundesländer haben den Glücksspielstaatsvertrag beschlossen, der seit 1. Juli 2021 gilt – und damit eine Zeitenwende eingeläutet: </p><blockquote style="border: none; margin: 0 0 0 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;">Bisher illegale und teils besonders suchtgefährdende Glücksspiele wie virtuelle Automatenspiele, Online-Casino-Spiele und Online-Poker sind unter strengen Auflagen erlaubt worden, viele Lizenzen wurden bereits erteilt. </p></blockquote><p>Die Legalisierung dieser Internet-Spiele ist an eine Stärkung der Aufsicht sowie schärfere Vorgaben für den Spieler- und Jugendschutz geknüpft........</p><p>weiter zum vollständigen Artikel</p><p><a href="https://www.gluecksspielwesen.de/2023/06/20/lotto-baden-wuerttemberg-passt-sich-marktveraenderungen-an/" target="_blank">https://www.gluecksspielwesen.de/2023/06/20/lotto-baden-wuerttemberg-passt-sich-marktveraenderungen-an/</a></p><p><br /></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-6583877525592624702023-06-13T15:41:00.000-07:002023-06-13T15:41:05.737-07:00EuGH zur Rechtsstaatlichkeit<p> </p><p>EuGH/Polen – Justizreform: Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass ein wichtiges polnisches Gesetz zur Absicherung der Justizreform gegen EU-Recht verstößt. Das Gesetz von 2019 (von der Opposition "Maulkorbgesetz" genannt) verbot es polnischen Gerichten, die Unabhängigkeit anderer polnischer Gerichte zu prüfen. Dies und die Vorlage entsprechender Fragen zum EuGH sollte als Dienstvergehen behandelt werden. Die Unabhängigkeit polnischer Gerichte sollte ausschließlich durch die Kammer "für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten" (sog. Kontroll-Kammer) beim Obersten Gericht erfolgen. Außerdem sollten Richter ihre (aktuellen und früheren) Mitgliedschaften in Verbänden und Parteien offenlegen, damit diese im Internet veröffentlicht werden. Dagegen erhob die EU-Kommission eine Vertragsverletzungsklage, der der EuGH nun in vollem Umfang stattgab. Die Regelungen seien geeignet, die Unabhängigkeit der polnischen Justiz zu beinträchtigen. Wie schon 2021 stellte der EuGH fest, dass die Kontroll-Kammer und die Disziplinarkammer am Obersten Gerichthof nicht ausreichend unabhängig sind.</p><p><a href="https://www.lto.de/recht/presseschau/p/presseschau-06-06-2023-eugh-polen-bgh-leitentscheidung-missbrauch-schlafwandeln/" target="_blank">https://www.lto.de/recht/presseschau/p/presseschau-06-06-2023-eugh-polen-bgh-leitentscheidung-missbrauch-schlafwandeln/</a></p><p><br /></p><p><b>EuGH zur Rechtsstaatlichkeit</b></p><p>Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat erneut über die polnische Justizreform geurteilt, die die dortige Regierung seit Jahren vorantreibt. Demnach verstoßen die polnischen Regelungen gegen EU-Recht (Urt. v. 05.06.2023, Az. C-204/21).</p><p>Seine Entscheidung leitet das Gericht mit deutlichen Worten ein: "Der Wert der Rechtsstaatlichkeit gibt der Union als Rechtsgemeinschaft schlechthin ihr Gepräge und schlägt sich in Grundsätzen nieder, die rechtlich bindende Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten enthalten". Von diesen Verpflichtungen könnten sich die Mitgliedstaaten nicht unter Berufung auf innerstaatliche Bestimmungen oder Rechtsprechung lossagen.</p><p>Weil Warschau sich bisher weigerte, EuGH-Urteile umzusetzen, verhängte der Gerichtshof schließlich eine Million Euro Zwangsgeld pro Tag. </p><p><a href="https://www.lto.de/recht/presseschau/p/presseschau-06-06-2023-eugh-polen-bgh-leitentscheidung-missbrauch-schlafwandeln/" target="_blank">https://www.lto.de/recht/presseschau/p/presseschau-06-06-2023-eugh-polen-bgh-leitentscheidung-missbrauch-schlafwandeln/</a></p><p><br /></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-20140396921538160832023-06-13T15:35:00.006-07:002023-06-13T15:35:36.327-07:00 BGH bestätigt Rechtsbeugungs-Urteil<p><br /></p><p><b>Richterin mit "totaler Blockade" versteckte Akten im Keller</b></p><p>Eine Amtsgerichtsrichterin hat zahlreiche ihrer Fälle nicht mehr bearbeitet und teilweise Dokumente verfälscht. Deshalb wurde sie wegen Rechtsbeugung verurteilt, der BGH hatte nun über die Revision zu entscheiden.</p><p>Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Verurteilung einer Richterin aus Lüdenscheid insbesondere wegen Rechtsbeugung gemäß § 339 Strafgesetzbuch (StGB) im Wesentlichen bestätigt. </p><p>Gleichwohl wurde das Urteil des Landgerichts (LG) Hagen (Az. 46 KLs - 32 Js 264/20 - 8/21) aufgehoben, da die Strafzumessung rechtsfehlerhaft erfolgte (Beschl. v. 29.11.2022, Az. 4 StR 149/22).</p><p><a href="https://www.lto.de/recht/justiz/j/4str14922-bgh-rechtsbeugung-richter-lg-hagen-justiz-akten-strafrecht/" target="_blank">https://www.lto.de/recht/justiz/j/4str14922-bgh-rechtsbeugung-richter-lg-hagen-justiz-akten-strafrecht/</a></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-42818841966715275882023-06-13T15:32:00.002-07:002023-06-13T15:32:57.085-07:00Bundesgerichtshof (BGH) hat Schwierigkeiten mit der eigenen Vergangenheit<p> </p><p>Eine von Präsidentin Bettina Limperg beauftragte Untersuchung zeigt: </p><blockquote style="border: none; margin: 0 0 0 40px; padding: 0px;"><p style="text-align: left;"><b>Die meisten geehrten Juristen waren am NS-Unrecht beteiligt.</b></p></blockquote><p>Im November 1995 räumte der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes (BGH) in einem Urteilsspruch gegen einen früheren DDR-Richter ein, dafür mitverantwortlich gewesen zu sein, dass die strafrechtliche Auseinandersetzung mit dem NS-Justizunrecht in der Bundesrepublik "insgesamt fehlgeschlagen" sei. Das höchstricherliche Schuldeingeständnis, das erste seiner Art, fand seinerzeit viel Anerkennung und Zustimmung. </p><p>Tatsächlich hatte das Gericht aber seine eigene Rolle damals noch stark untertrieben. Statt von einem passiven Versagen bei der Verfolgung von NS-Richtern zu sprechen, wäre es ehrlicher gewesen, zu bekennen, dass man jahrzehntelang höchst aktiv an der Relativierung und Umdeutung des nationalsozialistischen Justizterrors mitgewirkt hatte. </p><p>Der wohl markanteste Überrest dieser früheren Haltung ist eine Gedenktafel aus grauem Muschelkalk-Blaubank. Etwa ein Meter mal achtzig Zentimenter groß, hängt sie seit Oktober 1957 gut sichtbar im ersten Stock des Karlsruher Gerichtsgebäudes, gleich neben dem Eingang zum heutigen Baurechtssenat. <br /><br />weiterlesen:</p><p><a href="https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/buch-rezension-entsorgung-der-vergangenheit-limperg-kissener-roth-reichsrichter-ns-vergangenheit-justiz-aufarbeitung/" target="_blank">https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/buch-rezension-entsorgung-der-vergangenheit-limperg-kissener-roth-reichsrichter-ns-vergangenheit-justiz-aufarbeitung/</a></p><div><br /></div>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-854691827958498982022-09-12T14:28:00.002-07:002023-06-21T01:56:09.239-07:00Energiekrise - Energiewende mit Wind- und Solaranlagen ist gescheitert<p><b>Das ZDF zeigte eindrücklich, wo die Probleme der Energiewende liegen</b></p><p>
</p><p class="Normal"><a href="https://www.zdf.de/dokumentation/planet-e/planet-e-blackout---chaos-durch-die-energiewende-100.html" target="_blank"><strong>planet e.: Blackout - Chaos durch die Energiewende?</strong> </a></p><p class="Normal">Die wetterabhängigen Wind- und Solarkraftwerke sind ohne ausreichende Speicher keine Problemlöser - sie sind das Problem!<span class="tm6"></span></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Im Gegensatz zu Bio-, Wasser oder Geothermieanlagen können sie die technisch mögliche Energie nicht zuverlässig bereitstellen.</span></p>
<p class="Normal tm8"><span class="tm6"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><iframe allowfullscreen="" class="BLOG_video_class" height="266" src="https://www.youtube.com/embed/jm9h0MJ2swo" width="320" youtube-src-id="jm9h0MJ2swo"></iframe></div><br /><div style="text-align: center;"><a href="https://youtu.be/jm9h0MJ2swo" target="_blank"><b>Energiewende ins Nichts</b></a></div><p></p>
<p class="Normal tm8"><b>Das Jahr besteht aus 8760 Stunden, in denen zu jeder Zeit ein stabiles Stromnetz zur Verfügung stehen muss.</b></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Denken Sie an Krankenhäuser, Lebensmittelproduktion, Lagerung und Transport, Kühlhäuser, Ampeln, Bahnverkehr, Lifte in Hochhäusern und an die Trinkwasseraufbereitung,
Ver- und Entsorgung, Kläranlagen und die Entwässerung ganzer Landstriche - was da alles zuverlässig 24 Stunden/Tag/365 Tage im Jahr gepumpt werden muss?</span></p>
<p class="Normal">Dagegen liefern Solaranlagen nur rund 1100 Stunden pro Jahr, je nach Sonnenstand und Wetterlage mehr oder weniger Strom.</p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Windenergieanlagen an Land produzieren wetterabhängig zwischen 2000 bis 3000 Stunden pro Jahr Strom. Offshore sind 4500 Stunden pro Jahr erreichbar. </span></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Damit fehlen 4000 bis 7000 Stunden.</span></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Da dafür noch keine Stromspeicher zur Verfügung stehen, müssen diese Zeiten durch andere Stromerzeuger abgedeckt werden. </span></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Als Brückentechnologie wurden Gaskraftwerke gewählt, die zu der unsicheren Gasabhängigkeit führten.</span></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Das Problem wird aber durch den geforderten weiteren Ausbau von Wind- und Solaranlagen nicht gelöst, sondern weiter verstärkt. </span></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Daran ändern auch neue Stromtrassen nichts - diese können auch keinen Strom speichern.</span></p><p class="Normal"><span class="tm6"><br /></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><iframe allowfullscreen="" class="BLOG_video_class" height="266" src="https://www.youtube.com/embed/OaWM2Pd0sHY" width="320" youtube-src-id="OaWM2Pd0sHY"></iframe></div><br /><p></p><p class="Normal" style="text-align: center;"><span class="tm6"><b><a href="https://www.youtube.com/watch?v=OaWM2Pd0sHY" target="_blank">Die Klimadebatte – Lokale Ideologie und globale Realität</a></b></span></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">So lange die Wind- und Solarkraftwerke nicht den gesamten Jahresbedarf von 8760 Stunden zuverlässig abdecken können, produzieren diese nur sehr teuren Zappelstrom, der das Netz
unnötig belastet.</span></p><p class="Normal"><span class="tm6"><br /></span></p><p class="Normal"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><iframe allowfullscreen="" class="BLOG_video_class" height="266" src="https://www.youtube.com/embed/rV_0uHP3BDY" width="320" youtube-src-id="rV_0uHP3BDY"></iframe></div><br /><div style="text-align: center;"><a href="https://www.youtube.com/watch?v=rV_0uHP3BDY&t=763s" target="_blank"><b>Wie viel Zappelstrom verträgt das Netz? Bemerkungen zur deutschen Energiewende</b></a></div><p></p><p class="Normal" style="text-align: center;"><strong><a href="https://www.youtube.com/results?search_query=hans+werner+sinn+energiewende+ins+nichts" target="_blank">Hans-Werner Sinn <br />Energiewende ins nichts</a></strong></p>
<p class="Normal"> <span class="tm6"></span></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><iframe allowfullscreen="" class="BLOG_video_class" height="266" src="https://www.youtube.com/embed/98aJvIqEAys" width="320" youtube-src-id="98aJvIqEAys"></iframe></div><p class="Normal" style="text-align: center;"><strong><span class="tm7"><a href="https://www.youtube.com/watch?v=98aJvIqEAys&t=26s" target="_blank">Energiekrise: Wind und Sonne allein reichen nicht</a></span></strong></p>
<p></p><p class="Normal tm5" style="text-align: center;"><a href="https://www.youtube.com/ganteförklima"><span class="tm6"><b>Prof. Gerd Ganteför </b><br /></span>Physikprofessor an der Uni Konstanz, <br />erläutert in diesem Video und seiner <br />Reihe "Klimawissen" anschaulich die Grundlagen der Klimaforschung.</a></p><p>
</p><p class="Normal" style="text-align: center;"><span class="tm6"></span></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Der Betrieb der Stromnetze ist sehr komplex und der Strommarkt ein besonderer Markt. Zur Aufrechterhaltung der Netzfrequenz von 50 Hertz muss zu jedem Zeitpunkt genauso viel Strom erzeugt
werden, wie verbraucht wird. Jedes Ungleichgewicht führt zu einer Frequenzänderung. Bereits kleine Abweichungen können zum Beispiel bewirken, dass Computer nicht mehr funktionieren. Im schlimmsten Fall ist ein
Blackout – ein großflächiger Stromausfall – möglich. Um Erzeugung und Verbrauch volkswirtschaftlich optimal (zu den geringstmöglichen Kosten) im Gleichgewicht zu halten, braucht es ein System
für die Planung des Kraftwerkseinsatzes. Es muss festgestellt werden, wie viele Kraftwerke zur Deckung des jeweiligen Strombedarfs notwendig und welche davon am günstigsten sind.</span></p>
<p class="Normal"><strong><span class="tm7">So entstehen die Strompreise am Spotmarkt</span></strong></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Dies geschieht an der Strombörse für den kurzfristigen Spotmarkt. Hier werden die Preise für den jeweils nächsten Tag (Day Ahead-Markt) ermittelt. Dabei kommt die Merit
Order-Logik ins Spiel: Bei täglichen Auktionen werden die Kraftwerke zu ihren jeweiligen Grenzkosten angeboten. Das sind variable Kosten wie zum Beispiel Brennstoff- und CO2-Kosten. Auf der anderen Seite stellen die Energielieferanten
Order, um ihren Energiebedarf für den Folgetag zu decken. <br /><a href="https://www.verbund.com/de-at/privatkunden/themenwelten/strom-aus-wasserkraft/strompreis-entstehung" target="_blank">Quelle: </a></span><u><a href="https://www.verbund.com/de-at/privatkunden/themenwelten/strom-aus-wasserkraft/strompreis-entstehung" target="_blank">https://www.verbund.com/de-at/privatkunden/themenwelten/strom-aus-wasserkraft/strompreis-entstehung</a></u></p>
<p class="Normal"><span class="tm6"><b><a href="https://www.next-kraftwerke.de/wissen/merit-order" target="_blank">Der Strompreis folgt der Merit Order-Logik</a></b></span></p>
<p class="Normal">In der Sendung Maybrit Illner, vom 1.9.2022 wurde eindrücklich gezeigt, wie aus dem eigentlich billigen Wind- und Solarstrom dank der Merit Order-Logik der teuerste Strom mit einer
gigantischen Gewinnspanne wird, da sich der Strompreis nach dem letzten und damit nach dem teuersten Anbieter der Stromersatzproduktion richtet und nicht nach den tatsächlichen Gestehungskosten.</p>
<p class="Normal"><span class="tm6">All das geschieht, um das Klima vor dem Menschen zu schützen. <br />Unsere Vorfahren schützten noch die Menschen vor den Wetterextremen. </span></p>
<p class="Normal"><span class="tm6">Ohne deren Leistungen wären große Teile unseres Kulturlandes unbewohnbar. </span></p><p class="Normal"></p><div class="separator" style="clear: both; text-align: center;"><iframe allowfullscreen="" class="BLOG_video_class" height="266" src="https://www.youtube.com/embed/bI26HksgHrg" width="320" youtube-src-id="bI26HksgHrg"></iframe></div><br /><p></p>
<h1 class="tm9 tm10" style="text-align: center;"><span class="tm11"><span style="font-size: small;"><a href="https://www.youtube.com/watch?v=bI26HksgHrg" target="_blank">Die 5 großen Katastrophen der jüngsten Erdgeschichte <br />Ganteför Klimageschichte #5</a></span></span></h1>
<p class="Normal"><br /></p>
<p class="Normal"><span class="tm6"> </span></p>
<p class="Normal" style="text-align: center;"><a href="https://winyourhome.blogspot.com/2019/08/ein-pokerspiel-um-hockeystick-und.html" target="_blank"><strong>Fakten vs. Klimahysterie</strong></a></p>
<p class="Normal tm5" style="text-align: center;"><a href="https://winyourhome.blogspot.com/2019/08/ein-pokerspiel-um-hockeystick-und.html" target="_blank"><strong>„Klima – die große Transformation“</strong></a></p><p class="Normal tm5"><strong></strong></p><div style="text-align: center;"><strong><strong><a href="https://winyourhome.blogspot.com/2019/08/ein-pokerspiel-um-hockeystick-und.html" target="_blank">Die Energiewende und der Klimawandel</a></strong></strong></div><p></p>
<p class="Normal tm5" style="text-align: center;"> </p><br /><p></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-41050120339077241632022-06-15T04:37:00.001-07:002022-06-15T04:37:51.050-07:00Urteil zu Merkel-Äußerung bei Thüringen-Wahl" auf YouTube <br><br><br><br>
Bundesverfassungsgericht - Urteil zu Merkel-Äußerung bei Thüringen-Wahl
<br><br><br><br>
<iframe class="BLOG_video_class" allowfullscreen="" youtube-src-id="yUri_fGhMSQ" width="320" height="266" src="https://www.youtube.com/embed/yUri_fGhMSQ"></iframe>
<br><br><br><br>
BILD
"Hammer-Urteil: Angela Merkel hat Rechte der AfD verletzt | Thüringen-Wahl 2020"
<br><br><br><br>
<iframe class="BLOG_video_class" allowfullscreen="" youtube-src-id="1mTcRuc1OFk" width="320" height="266" src="https://www.youtube.com/embed/1mTcRuc1OFk"></iframe>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-45042601873679686512022-06-15T01:25:00.002-07:002022-06-15T04:32:12.798-07:00Äußerungen von Bundeskanzlerin Merkel zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen 2020 verletzen das Recht auf Chancengleichheit der Parteien<p> </p><h1 class="m_4745840183495323608line" style="background-color: white; border-bottom: 1px solid rgb(0, 0, 0); color: #222222; font-family: Verdana, Geneva, Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: 22.1px; font-weight: normal; width: 1504px;">Bundesverfassungsgericht -Pressestelle-</h1><h2 style="background-color: white; color: #222222; font-family: Verdana, Geneva, Arial, Helvetica, sans-serif;"><span style="font-weight: normal;"><span style="font-size: small;">Äußerungen von Bundeskanzlerin Merkel zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen 2020 verletzen das Recht auf Chancengleichheit der Parteien</span></span></h2><p style="background-color: white; color: #222222; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: small;">Pressemitteilung Nr. 53/2022 vom 15. Juni 2022</p><p style="background-color: white; color: #222222; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: small;">Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht.<br />Hierzu lautet der Kurztext:</p><p style="background-color: white; color: #222222; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: small;">Mit Urteil vom heutigen Tag hat der Zweite Senat entschieden, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel durch eine im Rahmen einer Pressekonferenz mit dem Präsidenten der Republik Südafrika am 6. Februar 2020 in Pretoria getätigte Äußerung zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen und deren anschließende Veröffentlichung auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung die Partei Alternative für Deutschland (AfD) in ihrem Recht auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzt hat.</p><p class="MsoNormal" style="background-color: white; color: #222222; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: small; margin: 0px;">Im Februar 2020 war Thomas Kemmerich (FDP) im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen gewählt worden. An der Wahl wurde wegen der angenommenen Mitwirkung von Abgeordneten sowohl der AfD- als auch der CDU-Landtagsfraktion heftige öffentliche Kritik geübt. Die Bundeskanzlerin äußerte sich dazu am Tag nach der Wahl im Rahmen eines Staatsempfangs mit dem Präsidenten der Republik Südafrika dahingehend, dass die Ministerpräsidentenwahl mit einer „Grundüberzeugung“ gebrochen habe, „für die CDU und auch für mich“, wonach mit „der AfD“ keine Mehrheiten gewonnen werden sollten. Der Vorgang sei „unverzeihlich“, weshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden müsse. Es sei „ein schlechter Tag für die Demokratie“ gewesen.</p><p class="MsoNormal" style="background-color: white; color: #222222; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: small; margin: 0px;">Bundeskanzlerin Merkel hat mit der getätigten Äußerung in amtlicher Funktion die Antragstellerin negativ qualifiziert und damit in einseitiger Weise auf den Wettbewerb der politischen Parteien eingewirkt. Der damit verbundene Eingriff in das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am Prozess der politischen Willensbildung aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG ist weder durch den Auftrag des Bundeskanzlers zur Wahrung der Stabilität der Bundesregierung sowie des Ansehens der Bundesrepublik Deutschland in der Staatengemeinschaft gerechtfertigt, noch handelt es sich um eine zulässige Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Durch die anschließende Veröffentlichung der Äußerung auf den Internetseiten der Bundeskanzlerin und der Bundesregierung haben die Antragsgegnerinnen außerdem auf Ressourcen zurückgegriffen, die allein ihnen zur Verfügung standen. Indem sie auf diese Weise das in der Äußerung enthaltene negative Werturteil über die Antragstellerin verbreitet haben, haben sie die Antragstellerin eigenständig in ihrem Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am politischen Wettbewerb verletzt.</p><p class="MsoNormal" style="background-color: white; color: #222222; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: small; margin: 0px;">Die Richterin Wallrabenstein hat ein Sondervotum abgegeben.</p><p style="background-color: white; color: #222222; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: small;">Sie können den Text im Internet über folgende URL erreichen:<br /><a data-saferedirecturl="https://www.google.com/url?q=https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-053.html&source=gmail&ust=1655367644713000&usg=AOvVaw2rIxfKOEOISwM1gDZCceAX" href="https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-053.html" style="color: #1155cc;" target="_blank">https://www.<wbr></wbr>bundesverfassungsgericht.de/<wbr></wbr>SharedDocs/Pressemitteilungen/<wbr></wbr>DE/2022/bvg22-053.html</a></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-60140633366760509052022-03-17T15:20:00.000-07:002022-03-17T15:20:28.604-07:00BFH: Finanzämter irren sich häufig - Viele Niederlagen am höchsten Gericht <p> </p><p><b>Jede zweite Klage vor dem Bundesfinanzhof hat Erfolg</b></p><p><b>Deutsche Finanzämter irren offenbar häufig. </b></p><p>Wer als Kläger das höchste Steuergericht erreicht, darf sich gute Chancen ausrechnen.</p><p><a href="https://www.comdirect.de/inf/news/detail.html?ID_NEWS=1026002170" target="_blank">weiter zum vollständigen Artikel</a></p><p>In strittigen Steuerverfahren unterlaufen den deutschen Finanzämtern viele Fehler: Im vergangenen Jahren haben klagende Bürger und Unternehmen fast die Hälfte der Revisionsverfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) in München gewonnen.</p><p>Die Kläger waren in 49 Prozent der Fälle erfolgreich. Das berichtete der Präsident des höchsten deutschen Steuergerichts, Hans-Josef Thesling.</p><p><a href="https://www.zeit.de/news/2022-03/15/strittige-steuerverfahren-finanzaemter-irren-sich-haeufig?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F" target="_blank">weiter zum vollständigen Artikel</a></p><p><br /></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-6718326039669501012022-02-23T12:06:00.003-08:002022-02-23T12:06:35.430-08:00Veröffentlichung des Jahresberichts 2021 des Bundesverfassungsgerichts<p><br />Das Bundesverfassungsgericht hat heute den Jahresbericht 2021 gedruckt und digital in deutscher und englischer Sprache herausgegeben.</p><p>Der neue Jahresbericht steht im Zeichen des 70-jährigen Bestehens des Gerichts. Neben der Darstellung der Jubiläumsveranstaltungen und einem Beitrag zum Festakt des Präsidentenwechsels bietet er Einblicke in die Historie des Gerichts durch Impressionen von damals und heute. </p><p>Weiter zum vollständigen Artikel ...<br /><a href="https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-014.html" target="_blank">https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-014.html</a></p><div><br /></div>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-80902024897231945772022-02-11T08:49:00.001-08:002022-02-11T08:49:06.894-08:00BVerfG rügt Missachtung seiner Rechtsprechung<p> </p><p>BVerfG ging von Umsetzung seiner Rechtsprechung aus</p><p>BVerfG rügt Missachtung seiner Rechtsprechung</p><p>Das BVerfG rügt das OLG in deutlichen Worten, seine Rechtsprechung zu beachten. Wörtlich heißt es: "Der wiederholte Verstoß des Pressesenats des Oberlandesgerichts gegen das Gesetz der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen gibt Anlass, auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen." Das BVerfG kündigt an, bei zukünftiger Missachtung der Rechtsprechung ein Feststellungsinteresse für eine Verfassungsbeschwerde oder einen Antrag auf einstweilige Anordnung "stets als gegeben" anzusehen.</p><p><a href="https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-1bvr270819-anhoerung-gehoer-antragsgegner-gericht-einstweilige-anordnung-unterlassungsverfuegung-abmahnung-waffengleichheit/" target="_blank">https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bverfg-1bvr270819-anhoerung-gehoer-antragsgegner-gericht-einstweilige-anordnung-unterlassungsverfuegung-abmahnung-waffengleichheit/</a></p><p><br /></p><p>Bundesverfassungsgericht -Pressestelle-</p><p><b>Verstoß gegen prozessuale Waffengleichheit bei Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne vorangegangene Anhörung</b></p><p>Pressemitteilung Nr. 11/2022 vom 11. Februar 2022</p><p><b>Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht.</b></p><p>Hierzu lautet der Kurztext:</p><p>Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Hanseatische Oberlandesgericht die Beschwerdeführerin in ihrem grundrechtsgleichem Recht auf prozessuale Waffengleichheit gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz verletzt hat, indem es ohne vorherige Anhörung eine einstweilige Anordnung erlassen hat.</p><p>Das zugrundeliegende Verfahren betrifft die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen. Das Oberlandesgericht hatte im Ausgangsverfahren ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin in einer äußerungsrechtlichen Sache eine einstweilige Anordnung erlassen. Vor deren Erlass waren mehrere gerichtliche Hinweise an die Antragstellerin des Ausgangsverfahren ergangen, infolge derer sie ihre Anträge umgestellt, ergänzt und teilweise zurückgenommen hatte, ohne dass die Beschwerdeführerin hiervon Kenntnis hatte oder ihr Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden wäre. Dies verletzt die Beschwerdeführerin offenkundig in ihrem grundrechtsgleichen Recht auf prozessuale Waffengleichheit. Den wiederholten Verstoß der Fachgerichte gegen das Gebot der Waffengleichheit bei einstweiligen Anordnungen nahm die Kammer schließlich zum Anlass, auf die rechtliche Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen.</p><p>Sie können den Text im Internet über folgende URL erreichen:</p><p><a href="https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-011.html" target="_blank">https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-011.html</a></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-44670941284585937732021-12-29T01:51:00.003-08:002021-12-29T01:51:44.903-08:00Aussetzung der Vollziehung von Umsatzsteuern<p> </p><p class="Normal tm5 tm6"><strong><span class="tm7">Rechtsanwalt Bernd Hansen erreicht gerichtliche Aussetzung der Vollziehung von Umsatzsteuern auf Geldspielgeräte</span></strong></p>
<p class="Normal tm5 tm6"> </p>
<p class="Normal tm5 tm6">Rechtsanwalt Bernd Hansen<br />Anwaltskanzlei Hansen<br />Lüllauer Str. 1<br />D - 21266 Jesteburg </p>
<p class="Normal tm5 tm6">Mit Beschluss vom 27.12.2021 hat das Finanzgericht Münster einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung von Umsatzsteuern auf den Betrieb von Geldspielgeräten für den Monat August 2021
stattgegeben.</p>
<p class="Normal tm5 tm6">In dem von Rechtsanwalt Bernd Hansen aus Jesteburg geführten Verfahren folgt das Finanzgericht im summarischen Verfahren der Auffassung der Antragstellerin, dass dadurch gegen den steuerlichen
Neutralitätsgrundsatz verstoßen wird, dass seit dem 01.07.2021 die legal im Internet angebotenen virtuellen Automatenspiele von der Umsatzsteuer befreit sind. Diese stehen, so das Finanzgericht, im Wettbewerb mit
den Anbietern terrestrischer Automatenspiele, sind aber anders als die terrestrischen Automatenspiele durch § 4 Nr. 9 Buchstabe b) UStG von der Umsatzsteuer befreit.</p>
<p class="Normal tm5 tm6">Wörtlich führt das Finanzgericht aus:</p>
<blockquote style="border: none; margin: 0 0 0 40px; padding: 0px;"><p class="Normal tm5 tm6" style="text-align: left;">„Bei summarischer Prüfung besteht ein Verstoß gegen den umsatzsteuerlichen Grundsatz der Neutralität, indem virtuelle Geldspielumsätze von der Umsatzsteuer befreit sind,
während die sogenannten terrestrischen Geldspielumsätze, also solche, bei denen die Spieler in den Spielhallen körperlich anwesend sind, umsatzsteuerpflichtig sind. Die Antragstellerin kann sich unmittelbar
auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL berufen.“</p></blockquote>
<p class="Normal tm5 tm6">und weiter:</p>
<blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px; text-align: left;"><p class="Normal tm5 tm6">„Bei summarischer Prüfung bestehen Zweifel daran, dass der Gesetzgeber virtuelle Geldspielumsätze umsatzsteuerlich anders behandeln durfte als die sogenannten terrestrischen Geldspielumsätze.
Die Antragstellerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass eine Wettbewerbssituation bestehe und dass bei den virtuellen Geldspielumsätzen dem Spieler durch Stimulierung des herkömmlichen Kasinoerlebnisses das Gefühl
vermittelt werde, er spiele in einer herkömmlichen Kasino-Stätte und nicht in virtueller Umgebung.</p><p class="Normal tm5 tm6">…</p></blockquote>
<blockquote style="border: none; margin: 0 0 0 40px; padding: 0px;"><p class="Normal tm5 tm6" style="text-align: left;">Die im Gesetzgebungsverfahren erörterten Unterschiede im Hinblick auf die ordnungsrechtlichen Rahmenbedingungen der verschiedenen Geldspielangebote sind unerheblich, denn nach der EuGH-Rechtsprechung
(EuGH, Urteil vom 10.11.2011, The Rank Group, C-259/10 und C-260/10, HFR 2012, 98, Rn. 37-51) können unterschiedliche rechtliche Regelungen hinsichtlich der Aufsicht und Regulierung der zu vergleichenden Umsätze
keine umsatzsteuerlichen Unterschiede rechtfertigen. Ob die weiteren in der BT-Drucksache 19/28400 dargestellten Unterschiede zwischen Online- Geldspielautomatenumsätzen und terrestrischen Geldspielautomatenumsätzen
unterschiedliche Behandlungen in umsatzsteuerlicher Hinsicht rechtfertigen, ist im Hauptsacheverfahren zu klären.“</p></blockquote>
<p class="Normal tm5 tm6">Das Finanzgericht Münster hat die Beschwerde gegen den Beschluss zugelassen. Sollte das unterlegene Finanzamt die Beschwerde einlegen, wird der BFH darüber zu entscheiden haben.</p>
<p class="Normal tm5 tm6">Die Umsatzbesteuerung von Geldspielautomaten wird damit jedenfalls für die Zeit ab 01.07.2021 erneut auf den juristischen Prüfstand gestellt.</p>
<p class="Normal"> </p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-57027039953803434772021-12-24T13:11:00.003-08:002021-12-24T13:11:53.375-08:00EuGH zum Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts - Urteile vom 21.12.2021 (C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19) <p> Vorläufige Fassung</p><p class="C19Centre" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: center;">URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)</p><p class="C19Centre" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: center;">21. Dezember 2021(<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?docid=251504&text=&dir=&doclang=DE&part=1&occ=first&mode=req&pageIndex=0&cid=643161#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p><p class="C71Indicateur" style="margin: 30pt 0cm 28pt 1cm; text-align: center;">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Entscheidung 2006/928/EG – Verfahren für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Bekämpfung der Korruption – Natur und Rechtswirkungen – Verbindlichkeit für Rumänien – Rechtsstaatlichkeit – Richterliche Unabhängigkeit – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Korruptionsbekämpfung – Schutz der finanziellen Interessen der Union – Art. 325 Abs. 1 AEUV – ‚PIF‘‑Übereinkommen – Strafverfahren – Urteile der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien) über die Rechtmäßigkeit der Erhebung bestimmter Beweise und die Besetzung von Spruchkörpern im Bereich der schweren Korruption – Verpflichtung der nationalen Richter, den Entscheidungen der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof) volle Wirksamkeit zu verschaffen – Disziplinarische Verantwortlichkeit der Richter im Fall der Nichtbeachtung dieser Entscheidungen – Befugnis, Entscheidungen der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof), die nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind, unangewendet zu lassen – Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts“</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">In den verbundenen Rechtssachen C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">betreffend fünf Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) mit Entscheidungen vom 6. Mai 2019 (C‑357/19), 13. Mai 2019 (C‑547/19), 31. Oktober 2019 (C‑811/19) und 19. November 2019 (C‑840/19), beim Gerichtshof eingegangen am 6. Mai, 15. Juli, 4. November bzw. 19. November 2019, sowie vom Tribunalul Bihor (Landgericht Bihor, Rumänien) mit Entscheidung vom 14. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Mai 2019 (C‑379/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">in den Strafverfahren gegen</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>PM </b>(C 357/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>RO </b>(C 357/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>SP </b>(C 357/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>TQ </b>(C‑357/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>KI </b>(C‑379/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>LJ </b>(C‑379/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>JH </b>(C‑379/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>IG </b>(C‑379/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>FQ</b> (C‑811/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>GP</b> (C‑811/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>HO</b> (C‑811/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>IN</b> (C‑811/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>NC</b> (C‑840/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Beteiligte:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Ministerul Public – Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casație și Justiție – Direcţia Naţională Anticorupţie</b> (C‑357/19, C‑811/19 und C‑840/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>QN</b> (C‑357/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>UR</b> (C‑357/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>VS</b> (C‑357/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>WT</b> (C‑357/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Autoritatea Naţională pentru Turism</b> (C‑357/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Agenţia Naţională de Administrare Fiscală</b> (C‑357/19)<b>,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>SC Euro Box Promotion SRL</b> (C‑357/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Direcţia Naţională Anticorupţie </b><b></b><b>– Serviciul Teritorial Oradea</b> (C‑379/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>JM </b>(C‑811/19),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">und im Verfahren</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>CY,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">gegen</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Inspecţia Judiciară,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Consiliul Superior al Magistraturii,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Înalta Curte de Casație și Justiție</b> (C‑547/19)</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">erlässt</p><p class="C19Centre" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: center;">DER GERICHTSHOF (Große Kammer)</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, des Kammerpräsidenten S. Rodin sowie der Richter M. Ilešič, T. von Danwitz (Berichterstatter), M. Safjan, F. Biltgen und N. Piçarra,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Generalanwalt: M. Bobek,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Kanzler: A. Calot Escobar,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– von PM, vertreten durch V. Rădulescu und V. Tobă, avocați,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– von RO, vertreten durch O. Ţopa und R. Chiriţă, avocați,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– von TQ, vertreten durch M. Mareş, avocat,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– von KI und LJ, vertreten durch R. Chiriță, F. Mircea und O. Chiriță, avocați,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– von CY, vertreten durch P. Rusu, avocat, und durch C. Bogdan,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der Asociația „Forumul Judecătorilor din România“, vertreten durch D. Călin und L. Zaharia,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– von FQ, vertreten durch A. Georgescu, avocat,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– von NC, vertreten durch D. Lupaşcu und G. Thuan Dit Dieudonné, avocats,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– des Ministerul Public – Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casație și Justiție – Direcţia Naţională Anticorupţie, vertreten durch C. Nistor und D. Ana als Bevollmächtigte,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der Direcția Națională Anticorupție – Serviciul Teritorial Oradea, vertreten durch D. Ana als Bevollmächtigte,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der Inspecția Judiciară, vertreten durch L. Netejoru als Bevollmächtigten,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– des Consiliul Superior al Magistraturii, vertreten durch L. Savonea als Bevollmächtigte,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der rumänischen Regierung, zunächst vertreten durch C.‑R. Canţăr, S.‑A. Purza, E. Gane, R. I. Haţieganu und L. Liţu, dann durch S.‑A. Purza, E. Gane, R. I. Haţieganu und L. Liţu als Bevollmächtigte,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch J. Baquero Cruz, I. Rogalski, P. Van Nuffel, M. Wasmeier und H. Krämer, dann durch J. Baquero Cruz, I. Rogalski, P. Van Nuffel und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März 2021</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">folgendes</p><p class="C75Debutdesmotifs" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 24pt 1cm; text-align: center;"><b>Urteil</b></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point1">1</a> Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen im Wesentlichen die Auslegung von Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, von Art. 325 Abs. 1 AEUV, von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 des am 26. Juli 1995 in Brüssel unterzeichneten Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Anhang zum Rechtsakt des Rates vom 26. Juli 1995 (ABl. 1995, C 316, S. 48, im Folgenden: PIF‑Übereinkommen), der Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung (ABl. 2006, L 354, S. 56) sowie des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point2">2</a> Diese Ersuchen ergehen im Rahmen</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– von Strafverfahren gegen PM, RO, TQ und SP (C‑357/19), KI, LJ, JH und IG (C‑379/19), FQ, GP, HO und IN (C‑811/19) sowie NC (C‑840/19) wegen Straftaten u. a. der Bestechung und des Mehrwertsteuerbetrugs;</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– eines Rechtsstreits zwischen CY und der Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ (im Folgenden: Forum der Richter Rumäniens) auf der einen und der Inspecţia Judiciară (Justizinspektion, Rumänien), dem Consiliul Superior al Magistraturii (Oberster Richterrat, Rumänien) und der Înalta Curte de Casație și Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien, im Folgenden: Oberster Kassations- und Gerichtshof) auf der anderen Seite wegen der Verhängung einer Disziplinarsanktion gegen CY (C‑547/19).</p><p class="C04Titre1" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <b>Rechtlicher Rahmen</b></p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Unionsrecht</b></i></p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>PIF</i>‑<i>Übereinkommen</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point3">3</a> In Art. 1 Abs. 1 des PIF‑Übereinkommens heißt es:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Für die Zwecke dieses Übereinkommens umfasst der Tatbestand des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">a) im Zusammenhang mit Ausgaben jede vorsätzliche Handlung oder Unterlassung betreffend</p><p class="C12Marge1avectiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 85.05pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen mit der Folge, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europäischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, unrechtmäßig erlangt oder zurückbehalten werden;</p><p class="C12Marge1avectiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 85.05pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– das Verschweigen einer Information unter Verletzung einer spezifischen Pflicht mit derselben Folge;</p><p class="C12Marge1avectiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 85.05pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– die missbräuchliche Verwendung solcher Mittel zu anderen Zwecken als denen, für die sie ursprünglich gewährt worden sind;</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">b) im Zusammenhang mit Einnahmen jede vorsätzliche Handlung oder Unterlassung betreffend</p><p class="C12Marge1avectiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 85.05pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– die Verwendung oder Vorlage falscher, unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen oder Unterlagen mit der Folge, dass Mittel aus dem Gesamthaushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften oder aus den Haushalten, die von den Europäischen Gemeinschaften oder in deren Auftrag verwaltet werden, rechtswidrig vermindert werden;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point4">4</a> Art. 2 Abs. 1 dieses Übereinkommens bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen um sicherzustellen, dass die in Artikel 1 genannten Handlungen sowie die Beteiligung an den Handlungen im Sinne von Artikel 1 Absatz 1, die Anstiftung dazu oder der Versuch solcher Handlungen durch wirksame, angemessene und abschreckende Strafen geahndet werden können, die zumindest in schweren Betrugsfällen auch Freiheitsstrafen umfassen, die zu einer Auslieferung führen können; als schwerer Betrug gilt jeder Betrug, der einen in jedem Mitgliedstaat festzusetzenden Mindestbetrag zum Gegenstand hat. Dieser Mindestbetrag darf 50 000 [Euro] nicht überschreiten.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point5">5</a> Mit Rechtsakt vom 27. September 1996 schloss der Rat die Ausarbeitung des Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. 1996, C 313, S. 1) ab. Dieses Protokoll erfasst nach seinen Art. 2 und 3 Bestechlichkeits- und Bestechungstaten.</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Beitrittsvertrag</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point6">6</a> Art. 2 Abs. 2 und 3 des am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Vertrags zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (ABl. 2005, L 157, S. 11, im Folgenden: Beitrittsvertrag) bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(2) Die Aufnahmebedingungen und die aufgrund der Aufnahme erforderlichen Anpassungen der Verträge, auf denen die Union beruht, sind in der diesem Vertag beigefügten Akte festgelegt; sie gelten ab dem Tag des Beitritts bis zum Tag des Inkrafttretens des Vertrags über eine Verfassung für Europa. Die Bestimmungen der Akte sind Bestandteil dieses Vertrags.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(3) …</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Rechtsakte, die vor dem Inkrafttreten des in Artikel 1 Absatz 3 genannten Protokolls auf der Grundlage dieses Vertrags oder der in Absatz 2 genannten Akte erlassen wurden, bleiben in Kraft; ihre Rechtswirkungen bleiben erhalten, bis diese Rechtsakte geändert oder aufgehoben werden.“</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Beitrittsakte</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point7">7</a> Art. 2 der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203, im Folgenden: Beitrittsakte), sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Ab dem Tag des Beitritts sind die ursprünglichen Verträge und die vor dem Beitritt erlassenen Rechtsakte der Organe und der Europäischen Zentralbank für Bulgarien und Rumänien verbindlich und gelten in diesen Staaten nach Maßgabe der genannten Verträge und dieser Akte.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point8">8</a> Art. 37 der Beitrittsakte lautet:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Hat Bulgarien oder Rumänien seine im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt und dadurch eine ernste Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts hervorgerufen, einschließlich der Verpflichtungen in allen sektorbezogenen Politiken, die wirtschaftliche Tätigkeiten mit grenzüberschreitender Wirkung betreffen, oder besteht die unmittelbare Gefahr einer solchen Beeinträchtigung, so kann die Kommission für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren nach dem Beitritt auf begründeten Antrag eines Mitgliedstaats oder auf eigene Initiative geeignete Maßnahmen erlassen.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Diese Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein, wobei vorrangig Maßnahmen, die das Funktionieren des Binnenmarkts am wenigsten stören, zu wählen und gegebenenfalls bestehende sektorale Schutzmechanismen anzuwenden sind. Solche Schutzmaßnahmen dürfen nicht als willkürliche Diskriminierung oder als versteckte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten angewandt werden. Die Schutzklausel kann schon vor dem Beitritt aufgrund der Ergebnisse der Überwachung geltend gemacht werden, und die Maßnahmen treten am ersten Tag der Mitgliedschaft in Kraft, sofern nicht ein späterer Zeitpunkt vorgesehen ist. Die Maßnahmen werden nicht länger als unbedingt nötig aufrechterhalten und werden auf jeden Fall aufgehoben, sobald die einschlägige Verpflichtung erfüllt ist. Sie können jedoch über den in Absatz 1 genannten Zeitraum hinaus angewandt werden, solange die einschlägigen Verpflichtungen nicht erfüllt sind. Aufgrund von Fortschritten der betreffenden neuen Mitgliedstaaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen kann die Kommission die Maßnahmen in geeigneter Weise anpassen. Die Kommission unterrichtet den Rat rechtzeitig, bevor sie die Schutzmaßnahmen aufhebt, und trägt allen Bemerkungen des Rates in dieser Hinsicht gebührend Rechnung.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point9">9</a> Art. 38 der Beitrittsakte bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Treten bei der Umsetzung, der Durchführung oder der Anwendung von Rahmenbeschlüssen oder anderen einschlägigen Verpflichtungen, Instrumenten der Zusammenarbeit oder Beschlüssen in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung im Bereich des Strafrechts im Rahmen des Titels VI des EU-Vertrags und von Richtlinien und Verordnungen in Bezug auf die gegenseitige Anerkennung im Bereich des Zivilrechts im Rahmen des Titels IV des EG-Vertrags in Bulgarien oder Rumänien ernste Mängel auf oder besteht die Gefahr ernster Mängel, so kann die Kommission für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren nach dem Beitritt auf begründeten Antrag eines Mitgliedstaats oder auf eigene Initiative und nach Konsultation der Mitgliedstaaten angemessene Maßnahmen treffen und die Bedingungen und Einzelheiten ihrer Anwendung festlegen.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Diese Maßnahmen können in Form einer vorübergehenden Aussetzung der Anwendung einschlägiger Bestimmungen und Beschlüsse in den Beziehungen zwischen Bulgarien oder Rumänien und einem oder mehreren anderen Mitgliedstaat(en) erfolgen; die Fortsetzung einer engen justiziellen Zusammenarbeit bleibt hiervon unberührt. Die Schutzklausel kann schon vor dem Beitritt aufgrund der Ergebnisse der Überwachung geltend gemacht werden und die Maßnahmen treten am ersten Tag der Mitgliedschaft in Kraft, sofern nicht ein späterer Zeitpunkt vorgesehen ist. Die Maßnahmen werden nicht länger als unbedingt nötig aufrechterhalten und werden auf jeden Fall aufgehoben, sobald die Mängel beseitigt sind. Sie können jedoch über den in Absatz 1 genannten Zeitraum hinaus angewandt werden, solange die Mängel weiter bestehen. Aufgrund von Fortschritten des betreffenden neuen Mitgliedstaats bei der Beseitigung der festgestellten Mängel kann die Kommission die Maßnahmen nach Konsultation der Mitgliedstaaten in geeigneter Weise anpassen. Die Kommission unterrichtet den Rat rechtzeitig, bevor sie die Schutzmaßnahmen aufhebt, und trägt allen Bemerkungen des Rates in dieser Hinsicht gebührend Rechnung.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point10">10</a> Art. 39 Abs. 1 bis 3 der Beitrittsakte sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(1) Falls auf der Grundlage der von der Kommission sichergestellten kontinuierlichen Überwachung der Verpflichtungen, die Bulgarien und Rumänien im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingegangen sind, und insbesondere auf der Grundlage der Überwachungsberichte der Kommission eindeutig nachgewiesen ist, dass sich die Vorbereitungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung des Besitzstands in Bulgarien oder Rumänien auf einem Stand befinden, der die ernste Gefahr mit sich bringt, dass einer dieser Staaten in einigen wichtigen Bereichen offenbar nicht in der Lage ist, die Anforderungen der Mitgliedschaft bis zum Beitrittstermin 1. Januar 2007 zu erfüllen, so kann der Rat auf Empfehlung der Kommission einstimmig beschließen, den Zeitpunkt des Beitritts des betreffenden Staates um ein Jahr auf den 1. Januar 2008 zu verschieben.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(2) Werden bei der Erfüllung einer oder mehrerer der in Anhang IX Nummer I aufgeführten Verpflichtungen und Anforderungen durch Rumänien ernste Mängel festgestellt, so kann der Rat ungeachtet des Absatzes 1 mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission in Bezug auf Rumänien einen Beschluss gemäß Absatz 1 fassen.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(3) Ungeachtet des Absatzes 1 und unbeschadet des Artikels 37 kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Empfehlung der Kommission nach einer im Herbst 2005 vorzunehmenden eingehenden Bewertung der Fortschritte Rumäniens auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik den in Absatz 1 genannten Beschluss in Bezug auf Rumänien fassen, wenn bei der Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen des Europa-Abkommens oder bei der Erfüllung einer oder mehrerer der in Anhang IX Nummer II aufgeführten Verpflichtungen und Anforderungen durch Rumänien ernste Mängel festgestellt werden.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point11">11</a> Anhang IX („Besondere Verpflichtungen und Anforderungen, die Rumänien beim Abschluss der Beitrittsverhandlungen am 14. Dezember 2004 übernommen bzw. akzeptiert hat [gemäß Artikel 39 der Beitrittsakte]“) der Beitrittsakte enthält in Abschnitt I folgende Passage:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„In Bezug auf Artikel 39 Absatz 2</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">4. Wesentlich verschärftes Vorgehen gegen Korruption und insbesondere gegen Korruption auf hoher Ebene, indem die Korruptionsbekämpfungsgesetze rigoros durchgesetzt werden und die effektive Unabhängigkeit der Landesstaatsanwaltschaft für die Bekämpfung der Korruption (Parchet[u]l Na[ț]ional Anticorup[ț]ie [PNA]) sichergestellt wird und indem ab November 2005 einmal jährlich ein überzeugender Bericht über die Tätigkeit der PNA im Bereich der Bekämpfung der Korruption auf hoher Ebene vorgelegt wird. Die PNA muss mit allen personellen und finanziellen Mitteln sowie allen Schulungsmöglichkeiten und technischen Mitteln ausgestattet werden, die für die Wahrnehmung ihrer unerlässlichen Aufgabe erforderlich sind.</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">5. … [I]n die [nationale] Strategie [zur Korruptionsbekämpfung] muss die Verpflichtung aufgenommen werden, die schwerfällige Strafprozessordnung bis Ende 2005 zu überarbeiten, um sicherzustellen, dass Korruptionsfälle rasch und auf transparente Weise bearbeitet und angemessene Sanktionen mit abschreckender Wirkung vorgesehen werden; …</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…“</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Entscheidung 2006/928</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point12">12</a> Die Entscheidung 2006/928 wurde im Zusammenhang mit dem für den 1. Januar 2007 vorgesehenen Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union u. a. auf der Grundlage der Art. 37 und 38 der Beitrittsakte erlassen. Die Erwägungsgründe 1 bis 6 und 9 dieser Entscheidung lauten:</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">„(1) Die Europäische Union gründet auf dem Rechtsstaatsprinzip, das allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist.</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">(2) Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und der Binnenmarkt, die mit dem Vertrag über die Europäische Union bzw. dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geschaffen wurden, beruhen auf dem gegenseitigen Vertrauen, dass die Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen und die Verwaltungs- und Gerichtspraxis aller Mitgliedstaaten in jeder Hinsicht mit dem Rechtsstaatsprinzip im Einklang stehen.</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">(3) Dies bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten über ein unparteiisches, unabhängiges und effizientes Justiz- und Verwaltungssystem verfügen müssen, das ausreichend dafür ausgestattet ist, unter anderem Korruption zu bekämpfen.</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">(4) Am 1. Januar 2007 tritt Rumänien der Europäischen Union bei. Die Kommission nimmt zur Kenntnis, dass Rumänien erhebliche Anstrengungen unternimmt, um die Vorbereitungen auf die Mitgliedschaft zum Abschluss zu bringen, hat jedoch in ihrem Bericht vom 26. September 2006 noch unerledigte Fragen insbesondere im Zusammenhang mit Rechenschaftspflicht und Effizienz der Justiz und der Vollzugsbehörden ermittelt, bei denen es weiterer Fortschritte bedarf, um zu gewährleisten, dass sie die Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarkts und des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts umsetzen und anwenden können.</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">(5) Nach Artikel 37 der Beitrittsakte kann die Kommission geeignete Maßnahmen erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass Rumänien die eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt und dadurch eine Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts hervorruft. Nach Artikel 38 der Beitrittsakte kann die Kommission geeignete Maßnahmen erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass in Rumänien ernste Mängel bei der Umsetzung, der Durchführung oder der Anwendung von Rechtsakten auftreten, die auf der Grundlage des Titels VI des EU-Vertrags oder des Titels IV des EG-Vertrags erlassen wurden.</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">(6) Die noch unerledigten Fragen im Zusammenhang mit Rechenschaftspflicht und Effizienz der Justiz und der Vollzugsbehörden erfordern die Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Bekämpfung der Korruption.</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">…</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">(9) Diese Entscheidung ist zu ändern, wenn die Bewertung durch die Kommission ergibt, dass die Vorgaben angepasst werden müssen. Diese Entscheidung ist aufzuheben, wenn alle Vorgaben zufriedenstellend erfüllt sind“.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point13">13</a> Art. 1 der Entscheidung 2006/928 sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Bis zum 31. März jedes Jahres und zum ersten Mal bis zum 31. März 2007 erstattet Rumänien der Kommission Bericht über die Fortschritte bei der Erfüllung der im Anhang aufgeführten Vorgaben.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Die Kommission kann jederzeit mit verschiedenen Maßnahmen technische Hilfe leisten oder Informationen zu den Vorgaben sammeln und austauschen. Ferner kann die Kommission zu diesem Zweck jederzeit Fachleute nach Rumänien entsenden. Die rumänischen Behörden leisten in diesem Zusammenhang die erforderliche Unterstützung.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point14">14</a> Art. 2 dieser Entscheidung bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Die Kommission übermittelt dem Europäischen Parlament und dem Rat ihre Stellungnahme und ihre Feststellungen zum Bericht Rumäniens zum ersten Mal im Juni 2007.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Danach erstattet die Kommission nach Bedarf, mindestens jedoch alle sechs Monate erneut Bericht.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point15">15</a> Art. 4 der Entscheidung lautet:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Diese Entscheidung ist an alle Mitgliedstaaten gerichtet.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point16">16</a> Der Anhang dieser Entscheidung hat folgenden Wortlaut:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Vorgaben für Rumänien nach Artikel 1:</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. Gewährleistung transparenterer und leistungsfähigerer Gerichtsverfahren durch Stärkung der Kapazitäten und Rechenschaftspflicht des Obersten Richterrats, Berichterstattung und Kontrolle der Auswirkungen neuer Zivil- und Strafprozessordnungen,</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">2. Einrichtung einer Behörde für Integrität mit folgenden Zuständigkeiten: Überprüfung von Vermögensverhältnissen, Unvereinbarkeiten und möglichen Interessenskonflikten und Verabschiedung verbindlicher Beschlüsse als Grundlage für abschreckende Sanktionen,</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">3. Konsolidierung bereits erreichter Fortschritte bei der Durchführung fachmännischer und unparteiischer Untersuchungen bei Korruptionsverdacht auf höchster Ebene,</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">4. Ergreifung weiterer Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption, insbesondere in den Kommunalverwaltungen.“</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Rumänisches Recht</b></i></p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Verfassung Rumäniens</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point17">17</a> Titel III („Träger staatlicher Gewalt“) der Constituția României (Verfassung Rumäniens) umfasst u. a. ein Kapitel VI („Rechtsprechende Gewalt“), das Art. 126 enthält. Dieser Artikel bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(1) Die Rechtsprechung erfolgt durch den Obersten Kassations- und Gerichtshof sowie durch die übrigen durch Gesetz errichteten Gerichte.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(3) Der Oberste Kassations- und Gerichtshof gewährleistet entsprechend seiner Zuständigkeit die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gesetzes durch die übrigen Gerichte.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(4) Die Besetzung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs und die Regeln für seine Arbeitsweise werden durch ein Organgesetz festgelegt.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(6) Die gerichtliche Kontrolle von Verwaltungshandlungen der Träger staatlicher Gewalt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren wird gewährleistet; ausgenommen hiervon sind Handlungen, die die Beziehungen zum Parlament betreffen, und militärische Befehle. Die Verwaltungsgerichte sind für die Entscheidung über Rechtsbehelfe zuständig, die von Personen eingelegt werden, die durch für verfassungswidrig erklärte Verordnungen oder gegebenenfalls durch Bestimmungen solcher Verordnungen geschädigt worden sind.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point18">18</a> Der die Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien) (im Folgenden: Verfassungsgerichtshof) betreffende Titel V der Verfassung Rumäniens umfasst die Art. 142 bis 147. Art. 142 („Struktur“) Abs. 1 bis 3 der Verfassung bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(1) Der Verfassungsgerichtshof ist der Garant für den Vorrang der Verfassung.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(2) Der Verfassungsgerichtshof ist mit neun Richtern besetzt, die für eine Amtszeit von neun Jahren ernannt werden, die nicht verlängert oder erneuert werden kann.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(3) Drei Richter werden von der Camera Deputaților [(Abgeordnetenkammer)], drei vom Senatul [(Senat)] und drei vom Preşedintele României [(Präsident Rumäniens)] ernannt.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point19">19</a> Art. 143 der Verfassung Rumäniens lautet:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Die Richter des Verfassungsgerichtshofs müssen über hervorragende juristische Qualifikationen, ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz und mindestens 18 Jahre Erfahrung im juristischen Beruf oder in der juristischen Hochschulausbildung verfügen.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point20">20</a> Art. 144 der Verfassung Rumäniens bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Das Amt eines Richters am Verfassungsgerichtshof ist mit allen anderen öffentlichen oder privaten Aufgaben, ausgenommen eine Lehrtätigkeit in der juristischen Hochschulausbildung, unvereinbar.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point21">21</a> Art. 145 der Verfassung Rumäniens lautet:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Die Richter des Verfassungsgerichtshofs sind in der Ausübung ihres Amtes unabhängig und während der gesamten Amtszeit unabsetzbar.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point22">22</a> Art. 146 der Verfassung Rumäniens sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Der Verfassungsgerichtshof hat die folgenden Aufgaben:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">d) er entscheidet über die bei den Gerichten oder bei der Handelsschiedsgerichtsbarkeit erhobenen Einreden der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen und Verordnungen; die Einrede der Verfassungswidrigkeit kann unmittelbar vom Avocatul Poporului [(Volksanwalt)] erhoben werden;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">e) er entscheidet über verfassungsrechtliche Konflikte zwischen Trägern staatlicher Gewalt auf Antrag des Präsidenten Rumäniens, eines der Präsidenten der beiden Kammern, des Prim-ministrul [(Ministerpräsident)] oder des Präsidenten des Obersten Richterrats;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point23">23</a> Art. 147 Abs. 4 der Verfassung Rumäniens bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs werden im <i>Monitorul Oficial al României</i> [(Amtsblatt Rumäniens)] veröffentlicht. Sie sind ab dem Tag der Veröffentlichung allgemein verbindlich und entfalten Rechtswirkung nur für die Zukunft.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point24">24</a> Art. 148 Abs. 2 und 4 der Verfassung Rumäniens bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(2) Die Vorschriften der Gründungsverträge der Europäischen Union sowie die anderen zwingenden Vorschriften des Gemeinschaftsrechts gehen entgegenstehenden Bestimmungen des nationalen Rechts nach Maßgabe der Beitrittsakte vor.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(3) Die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 gelten entsprechend für den Beitritt zu den Änderungsakten der Gründungsverträge der Europäischen Union.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(4) Das Parlament, der Präsident Rumäniens, die Regierung und die rechtsprechende Gewalt gewährleisten die Erfüllung der sich aus der Beitrittsakte und den Bestimmungen in Abs. 2 ergebenden Pflichten.“</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Strafgesetzbuch</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point25">25</a> Art. 154 Abs. 1 des Codul penal (Strafgesetzbuch) sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Die Fristen für die Verjährung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit betragen:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">a) 15 Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe von mehr als 20 Jahren bedroht ist;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">b) zehn Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren und höchstens 20 Jahren bedroht ist;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">c) acht Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren und höchstens zehn Jahren bedroht ist;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">d) fünf Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr und höchstens fünf Jahren bedroht ist;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">e) drei Jahre, wenn die begangene Straftat nach dem Gesetz mit Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr oder mit Geldstrafe bedroht ist.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point26">26</a> Art. 155 Abs. 4 des Strafgesetzbuchs sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Werden die in Art. 154 vorgesehenen Verjährungsfristen einmal überschritten, so gelten sie unabhängig von der Anzahl der Unterbrechungen als vollendet.“</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Strafprozessordnung</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point27">27</a> Art. 40 Abs. 1 des Codul de procedură penală (Strafprozessordnung) bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Der Oberste Kassations- und Gerichtshof entscheidet in erster Instanz über Straftaten des Hochverrats sowie über Straftaten, die begangen werden von Senatoren, Abgeordneten und rumänischen Mitgliedern des Europäischen Parlaments, Regierungsmitgliedern, Richtern des Verfassungsgerichtshofs, Mitgliedern des Obersten Richterrats, Richtern des Obersten Kassations- und Gerichtshofs sowie Staatsanwälten des Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casație și Justiție [(Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof)].“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point28">28</a> Art. 142 Abs. 1 der Strafprozessordnung in der vor dem 14. März 2016 geltenden Fassung lautete:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Der Staatsanwalt führt die technische Überwachung durch oder kann anordnen, dass sie von der Strafverfolgungsbehörde oder von spezialisierten Polizeibeamten oder von anderen spezialisierten Organen des Staates durchgeführt wird.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point29">29</a> In Art. 281 Abs. 1 der Strafprozessordnung heißt es:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Verstöße gegen Rechtsvorschriften haben stets die Nichtigkeit zur Folge, wenn sie betreffen:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">b) die sachliche und persönliche Zuständigkeit von Gerichten, wenn das Urteil von einem dem gesetzlich zuständigen Gericht nachgeordneten Gericht erlassen wurde;</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">…“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point30">30</a> Art. 342 der Strafprozessordnung lautet:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Gegenstand des Verfahrens vor der Vorverfahrenskammer ist die Prüfung – nach Vorlage an ein Gericht – der Zuständigkeit und Rechtmäßigkeit der Anrufung des Gerichts sowie die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung und der Vornahme der Handlungen durch die Strafverfolgungsorgane.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point31">31</a> Art. 426 Abs. 1 der Strafprozessordnung bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Gegen rechtskräftige Entscheidungen in Strafverfahren kann in folgenden Fällen eine Nichtigkeitsklage erhoben werden:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">d) wenn das Berufungsgericht nicht dem Gesetz entsprechend besetzt war oder ein Fall von Unvereinbarkeit vorlag;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point32">32</a> Art. 428 Abs. 1 der Strafprozessordnung sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Eine Nichtigkeitsklage aus den in Art. 426 Buchst. a und c bis h genannten Gründen kann innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts erhoben werden.“</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Gesetz Nr. 47/1992</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point33">33</a> Art. 3 der Legea nr. 47/1992 privind organizarea și funcționarea Curții Constituționale (Gesetz Nr. 47/1992 über die Organisation und die Arbeitsweise des Verfassungsgerichtshofs) vom 18. Mai 1992 (neu veröffentlicht im <i>Monitorul Oficial al României</i>, Teil I, Nr. 807 vom 3. Dezember 2010) sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(1) Die Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtshofs sind die in der Verfassung und in diesem Gesetz festgelegten.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(2) Bei der Ausübung der ihm übertragenen Befugnisse ist allein der Verfassungsgerichtshof berechtigt, über seine Zuständigkeit zu entscheiden.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(3) Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs nach Abs. 2 kann von keinem Träger staatlicher Gewalt angefochten werden.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point34">34</a> In Art. 34 Abs. 1 dieses Gesetzes heißt es:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Der Verfassungsgerichtshof entscheidet über verfassungsrechtliche Konflikte zwischen Trägern staatlicher Gewalt auf Antrag des Präsidenten Rumäniens, eines der Präsidenten der beiden Kammern, des Ministerpräsidenten oder des Präsidenten des Obersten Richterrats.“</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Gesetz Nr. 78/2000</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point35">35</a> Art. 5 Abs. 1 der Legea nr. 78/2000 pentru prevenirea, descoperirea și sancționarea faptelor de corupție (Gesetz Nr. 78/2000 über die Prävention, Ermittlung und Sanktionierung von Korruptionsdelikten) vom 18. Mai 2000 (<i>Monitorul Oficial al României</i>, Teil I, Nr. 219 vom 18. Mai 2000) bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Im Sinne dieses Gesetzes sind die in den Art. 289 bis 292 des Strafgesetzbuchs aufgeführten Straftaten Korruptionsdelikte, und zwar auch dann, wenn sie von den in Art. 308 des Strafgesetzbuchs genannten Personen begangen werden.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point36">36</a> Die in Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 78/2000 genannten Artikel des Strafgesetzbuchs betreffen die Straftatbestände der Bestechlichkeit (Art. 289), der Bestechung (Art. 290), der Einflussnahme (Art. 291) bzw. des Erkaufens von Einflussnahme (Art. 292).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point37">37</a> Art. 29 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 78/2000 sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Für die Entscheidung in erster Instanz über die in diesem Gesetz vorgesehenen Straftaten werden spezialisierte Spruchkörper eingerichtet.“</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Gesetz Nr. 303/2004</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point38">38</a> Art. 99 der Legea nr. 303/2004 privind statutul judecătorilor şi procurorilor (Gesetz Nr. 303/2004 über den Status von Richtern und Staatsanwälten) vom 28. Juni 2004 (neu veröffentlicht im <i>Monitorul Oficial al României</i>, Teil I, Nr. 826 vom 13. September 2005) in der durch die Legea nr. 24/2012 (Gesetz Nr. 24/2012) vom 17. Januar 2012 (<i>Monitorul Oficial al României</i>, Teil I, Nr. 51 vom 23. Januar 2012) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 303/2004) sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Disziplinarvergehen sind:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">o) die Nichtbeachtung der Vorschriften über die Zuteilung der Rechtssachen nach dem Zufallsprinzip;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">ș) die Nichtbeachtung der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs …;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point39">39</a> Art. 100 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Disziplinarsanktionen, die je nach Schwere des Verstoßes gegen Richter und Staatsanwälte verhängt werden können, sind:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">e) der Ausschluss aus der Richter- und Staatsanwälteschaft.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point40">40</a> Art. 101 des Gesetzes bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Die in Art. 100 vorgesehenen Disziplinarsanktionen werden von den Abteilungen des Obersten Richterrats nach Maßgabe seines Organgesetzes verhängt.“</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Gesetz Nr. 304/2004</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point41">41</a> Die Legea nr. 304/2004 privind organizarea judiciară (Gesetz Nr. 304/2004 über die Organisation des Justizwesens) vom 28. Juni 2004 (neu veröffentlicht im <i>Monitorul Oficial al României</i>, Teil I, Nr. 827 vom 13. September 2005) wurde u. a. geändert durch</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– die Legea nr. 202/2010 privind unele măsuri pentru accelerarea soluționării proceselor (Gesetz Nr. 202/2010 über Maßnahmen zur Beschleunigung der Entscheidung von Gerichtsverfahren) vom 25. Oktober 2010 (<i>Monitorul Oficial al României</i>, Teil I, Nr. 714 vom 26. Oktober 2010);</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– die Legea nr. 255/2013 pentru punerea în aplicare a Legii nr. 135/2010 privind Codul de procedură penală și pentru modificarea și completarea unor acte normative care cuprind dispoziții procesual penale (Gesetz Nr. 255/2013 zur Durchführung des Gesetzes Nr. 135/2010 über die Strafprozessordnung und zur Änderung und Vervollständigung bestimmter Rechtsakte mit strafverfahrensrechtlichen Regelungen) vom 19. Juli 2013 (<i>Monitorul Oficial al României</i>, Teil I, Nr. 515 vom 14. August 2013);</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– die Legea nr. 207/2018 pentru modificarea și completarea Legii nr. 304/2004 privind organizarea judiciară (Gesetz Nr. 207/2018 zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes Nr. 304/2004 über die Organisation des Justizwesens) vom 20. Juli 2018 (<i>Monitorul Oficial al României</i>, Teil I, Nr. 636 vom 20. Juli 2018).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point42">42</a> Art. 19 Abs. 3 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der zuletzt durch das Gesetz Nr. 207/2018 geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz Nr. 304/2004 in geänderter Fassung) bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Zu Beginn jedes Jahres kann das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs auf Vorschlag von dessen Präsidenten oder Vizepräsidenten nach Maßgabe der Anzahl und Art der Rechtssachen, des Umfangs der Tätigkeit jeder Abteilung sowie der Spezialisierung der Richter und der Notwendigkeit, deren Berufserfahrung zu nutzen, die Bildung spezialisierter Spruchkörper im Rahmen der Abteilungen des Obersten Kassations- und Gerichtshofs genehmigen.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point43">43</a> Art. 24 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Die Spruchkörper mit fünf Richtern entscheiden über Berufungen gegen erstinstanzliche Entscheidungen der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, über Kassationsbeschwerden gegen Berufungsentscheidungen der Spruchkörper mit fünf Richtern nach vorheriger Zulassung, über Beschwerden gegen Beschlüsse, die die Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs im erstinstanzlichen Verfahren erlassen hat, über Disziplinarangelegenheiten gemäß dem Gesetz und in anderen Angelegenheiten im Rahmen der ihnen durch Gesetz übertragenen Zuständigkeiten.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point44">44</a> Art. 29 Abs. 1 des Gesetzes lautet:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs hat folgende Zuständigkeiten:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">a) Genehmigung der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise sowie der Funktions- und Stellenpläne des Obersten Kassations- und Gerichtshofs;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">f) Wahrnehmung weiterer, in der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs vorgesehener Zuständigkeiten.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point45">45</a> In Art. 31 Abs. 1 des Gesetzes heißt es:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„In Strafsachen sind die Spruchkörper wie folgt besetzt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">a) In Rechtssachen, für die nach dem Gesetz in erster Instanz der Oberste Kassations- und Gerichtshof zuständig ist, besteht der Spruchkörper aus drei Richtern;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point46">46</a> Art. 32 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(1) Zu Beginn jedes Jahres genehmigt das Leitungsgremium auf Vorschlag des Präsidenten oder der Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs die Zahl und die Besetzung der Spruchkörper mit fünf Richtern.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(4) Die Richter, die diesen Spruchkörpern angehören, werden in öffentlicher Sitzung vom Präsidenten oder, bei dessen Abwesenheit, von einem der beiden Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs durch Losentscheid bestimmt. Die Mitglieder der Spruchkörper können nur in Ausnahmefällen, unter Berücksichtigung objektiver Kriterien, die in der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs festgelegt sind, ausgewechselt werden.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(5) Den Vorsitz im Spruchkörper mit fünf Richtern führen der Präsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, einer der beiden Vizepräsidenten oder einer der Abteilungspräsidenten, wenn sie gemäß Abs. 4 als Mitglied des betreffenden Spruchkörpers bestimmt worden sind.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(6) Wenn für einen Spruchkörper mit fünf Richtern keine der vorgenannten Personen als Mitglied bestimmt wurde, wird der Vorsitz im Spruchkörper von einem Richter im Rotationsverfahren in der Reihenfolge des Dienstalters der Richter geführt.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(7) Rechtssachen, die in die Zuständigkeit der Spruchkörper mit fünf Richtern fallen, werden nach dem Zufallsprinzip mit Hilfe eines computergestützten Systems zugewiesen.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point47">47</a> Art. 32 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der Fassung des Gesetzes Nr. 202/2010 bestimmte:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(1) In Strafsachen werden zu Beginn jedes Jahres zwei Spruchkörper mit fünf Richtern gebildet, die ausschließlich mit Mitgliedern der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs besetzt werden.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(4) Das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs genehmigt die Besetzung der Spruchkörper mit fünf Richtern. Die Richter, die diesen Spruchkörpern angehören, werden vom Präsidenten oder, bei dessen Abwesenheit, vom Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs bestimmt. Die Mitglieder der Spruchkörper können nur in Ausnahmefällen unter Berücksichtigung objektiver Kriterien, die in der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs festgelegt sind, ausgewechselt werden.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(5) Den Vorsitz im Spruchkörper mit fünf Richtern führt der Präsident oder der Vizepräsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofs. Bei deren Abwesenheit kann der Vorsitz in dem Spruchkörper von einem vom Präsidenten oder, bei dessen Abwesenheit, vom Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs zu diesem Zweck bestimmten Abteilungspräsidenten geführt werden.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(6) Rechtssachen, die in die Zuständigkeit der Spruchkörper gemäß den Abs. 1 und 2 fallen, werden nach dem Zufallsprinzip mit Hilfe eines computergestützten Systems zugewiesen.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point48">48</a> In der Fassung des Gesetzes Nr. 255/2013 war der Wortlaut der Abs. 1 und 6 von Art. 32 des Gesetzes Nr. 304/2004 nahezu identisch mit dem der Abs. 1 und 6 der in der vorstehenden Randnummer genannten Fassung dieses Artikels, während die Abs. 4 und 5 dieses Artikels vorsahen:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(4) Das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs genehmigt auf Vorschlag des Präsidenten der Strafabteilung die Zahl und die Besetzung der Spruchkörper mit fünf Richtern. Die Richter, die diesen Spruchkörpern angehören, werden in öffentlicher Sitzung vom Präsidenten oder, bei dessen Abwesenheit, vom Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs durch Losentscheid bestimmt. Die Mitglieder der Spruchkörper können nur in Ausnahmefällen unter Berücksichtigung objektiver Kriterien, die in der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs festgelegt sind, ausgewechselt werden.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(5) Den Vorsitz im Spruchkörper mit fünf Richtern führt der Präsident oder der Vizepräsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, wenn er dem Spruchkörper gemäß Abs. 4 angehört, der Präsident der Strafabteilung oder gegebenenfalls das dienstälteste Mitglied.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point49">49</a> In Art. 33 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung heißt es:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(1) Der Präsident oder, bei seiner Abwesenheit, einer der Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs führt den Vorsitz in den Vereinigten Abteilungen, im Spruchkörper, der für die Revision aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit zuständig ist, sowie im Spruchkörper für die Entscheidung von Rechtsfragen, im Spruchkörper mit fünf Richtern und in jedem Spruchkörper im Rahmen der Abteilungen, wenn er an der Verhandlung teilnimmt.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(3) Die Abteilungspräsidenten können den Vorsitz in jedem Spruchkörper der Abteilung führen, während die anderen Richter den Vorsitz im Rotationsverfahren führen.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point50">50</a> Art. 33 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der Fassung des Gesetzes Nr. 202/2010 sah vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Der Präsident oder, bei seiner Abwesenheit, der Vizepräsident des Obersten Kassations- und Gerichtshofs führt den Vorsitz in den Vereinigten Abteilungen, im Spruchkörper mit fünf Richtern sowie in jedem Spruchkörper im Rahmen der Abteilungen, wenn er an der Verhandlung teilnimmt.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point51">51</a> Art. 33 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 304/2004 in der Fassung des Gesetzes Nr. 255/2013 lautet:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Der Präsident oder, bei seiner Abwesenheit, einer der Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs führt den Vorsitz in den Vereinigten Abteilungen, im Spruchkörper, der für die Revision aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit zuständig ist, sowie im Spruchkörper für die Entscheidung von Rechtsfragen, im Spruchkörper mit fünf Richtern und in jedem Spruchkörper im Rahmen der Abteilungen, wenn er an der Verhandlung teilnimmt.“</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point52">52</a> Art. 28 des Regulamentul privind organizarea şi funcţionarea administrativă a Înaltei Curţi de Casaţie şi Justiţie (Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs) vom 21. September 2004 (im Folgenden: Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise) in der durch die Hotărârea nr. 3/2014 pentru modificarea şi completarea Regulamentului privind organizarea şi funcţionarea administrativă a Înaltei Curţi de Casaţie şi Justiţie (Beschluss Nr. 3/2014 zur Änderung und Ergänzung der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise des Obersten Kassations- und Gerichtshofs) vom 28. Januar 2014 (<i>Monitorul Oficial al României</i>, Teil I, Nr. 75 vom 30. Juli 2014) bestimmte:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(1) Der Oberste Kassations- und Gerichtshof umfasst Spruchkörper mit fünf Richtern, deren gerichtliche Zuständigkeit gesetzlich festgelegt ist.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(4) Den Vorsitz in den Spruchkörpern mit fünf Richtern führt je nach Fall der Präsident, der Vizepräsident, der Präsident der Strafabteilung oder das dienstälteste Mitglied.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point53">53</a> Art. 29 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmte:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Zur Bildung der Spruchkörper mit fünf Richtern in Strafsachen benennt der Präsident oder, bei seiner Abwesenheit, einer der Vizepräsidenten des Obersten Kassations- und Gerichtshofs jedes Jahr durch Losentscheid in öffentlicher Sitzung je nach Fall vier oder fünf Richter der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs für jeden Spruchkörper.“</p><p class="C04Titre1" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <b>Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen</b></p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Den Ausgangsrechtsstreitigkeiten gemeinsame Gesichtspunkte</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point54">54</a> Die Ausgangsrechtsstreitigkeiten haben sich aus einer umfangreichen Reform im Bereich Justiz und Korruptionsbekämpfung in Rumänien ergeben. Diese Reform wird seit 2007 auf Unionsebene gemäß dem Verfahren für Zusammenarbeit und Überprüfung (im Folgenden: VZÜ), das durch die Entscheidung 2006/928 anlässlich des Beitritts Rumäniens zur Europäischen Union eingeführt worden ist, überwacht.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point55">55</a> Die Rechtsstreitigkeiten betreffen Strafverfahren, in deren Rahmen sich die vorlegenden Gerichte die Frage stellen, ob sie nach dem Unionsrecht bestimmte Urteile des Verfassungsgerichtshofs, die in den Jahren 2016 bis 2019 ergangen sind, unangewendet lassen dürfen, nämlich die Urteile Nr. 51/2016 vom 16. Februar 2016 (Rechtssache C‑379/19), Nr. 302/2017 vom 4. Mai 2017 (Rechtssache C‑379/19), Nr. 685/2018 vom 7. November 2018 (Rechtssachen C‑357/19, C‑547/19 und C‑840/19), Nr. 26/2019 vom 16. Januar 2019 (Rechtssache C‑379/19) sowie Nr. 417/2019 vom 3. Juli 2019 (Rechtssachen C‑811/19 und C‑840/19).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point56">56</a> Die vorlegenden Gerichte weisen darauf hin, dass die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs nach nationalem Recht allgemein verbindlich seien und dass ihre Nichtbeachtung durch Richter und Staatsanwälte gemäß Art. 99 Buchst. ș des Gesetzes Nr. 303/2004 ein Disziplinarvergehen darstelle. Wie sich aus der Verfassung Rumäniens ergebe, sei der Verfassungsgerichtshof aber nicht Teil des rumänischen Justizsystems und habe den Charakter einer politisch-rechtsprechenden Einrichtung. Außerdem habe der Verfassungsgerichtshof mit dem Erlass der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile die ihm von der Verfassung Rumäniens zugewiesenen Zuständigkeiten überschritten und in die Zuständigkeiten der ordentlichen Gerichte eingegriffen sowie deren Unabhängigkeit beeinträchtigt. Im Übrigen würden die Urteile Nrn. 685/2018 und 417/2019 eine systemische Gefahr der Straflosigkeit im Bereich der Korruptionsbekämpfung in sich bergen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point57">57</a> In diesem Zusammenhang verweisen die vorlegenden Gerichte u. a. auf die Berichte der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über Rumäniens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens vom 27. Januar 2016 (COM[2016] 41 final), vom 13. November 2018 (COM[2018] 851 final, im Folgenden: VZÜ-Bericht vom November 2018) und vom 22. Oktober 2019 (COM[2019] 499 final).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point58">58</a> Schließlich verweisen die vorlegenden Gerichte auch auf das Urteil Nr. 104/2018 des Verfassungsgerichtshofs, aus dem hervorgehe, dass das Unionsrecht keinen Vorrang vor der rumänischen Verfassungsordnung habe und die Entscheidung 2006/928 keine Bezugsnorm im Rahmen einer Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit nach Art. 148 der Verfassung Rumäniens darstellen könne.</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Rechtssache </b><b>C</b></i>‑<i><b>357</b><b>/</b><b>19</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point59">59</a> Mit Urteil vom 28. März 2017, das von einem mit drei Richtern besetzten Spruchkörper der Strafabteilung erlassen wurde, verurteilte der Oberste Kassations- und Gerichtshof u. a. PM, die zur Zeit der ihr zur Last gelegten Taten Ministerin war, RO, TQ und SP wegen in den Jahren 2010 bis 2012 begangener Straftaten der Korruption, des Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit der Verwaltung von Unionsmitteln und des Mehrwertsteuerbetrugs. Die gegen dieses Urteil von den Betroffenen und vom Ministerul Public – Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casație și Justiție – Direcția Națională Anticorupție (Staatsanwaltschaft – Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof – Nationale Antikorruptionsdirektion, Rumänien) (im Folgenden: DNA) eingelegten Berufungen wurden mit Urteil vom 5. Juni 2018 des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, das von einem Spruchkörper mit fünf Richtern erlassen wurde, zurückgewiesen. Dieser Spruchkörper mit fünf Richtern war gemäß der Praxis des Obersten Kassations- und Gerichtshofs für den betreffenden Zeitraum nach Maßgabe der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise dieses Gerichts mit dem Präsidenten der Strafabteilung und vier weiteren, durch Losentscheid bestimmten Richtern besetzt. Das Urteil vom 5. Juni 2018 ist rechtskräftig geworden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point60">60</a> Mit dem am 7. November 2018 verkündeten Urteil Nr. 685/2018 stellte der Verfassungsgerichtshof, der vom Ministerpräsidenten gemäß Art. 146 Buchst. e der Verfassung Rumäniens angerufen worden war, zunächst einen verfassungsrechtlichen Konflikt zwischen dem Parlament und dem Obersten Kassations- und Gerichtshof fest, hervorgerufen durch die Entscheidungen des Leitungsgremiums der Letztgenannten, die darin bestanden, gemäß der genannten Praxis unter Außerachtlassung von Art. 32 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung nur vier der fünf Mitglieder der über Berufungen entscheidenden Spruchkörper mit fünf Richtern und nicht alle diese Richter durch Losentscheid zu bestimmen, stellte weiter fest, dass die Entscheidung einer Rechtssache in der Berufungsinstanz durch einen solchermaßen rechtswidrig besetzten Spruchkörper mit der absoluten Nichtigkeit der erlassenen Entscheidung sanktioniert werde, und wies schließlich darauf hin, dass dieses Urteil gemäß Art. 147 Abs. 4, der Verfassung Rumäniens ab dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung auf anhängige Rechtssachen, auf Rechtssachen, über die bereits entschieden worden sei, sofern für die Rechtsunterworfenen die Frist für die Einlegung der geeigneten außerordentlichen Rechtsbehelfe noch nicht abgelaufen sei, sowie auf künftige Fälle anwendbar sei.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point61">61</a> Nach der Veröffentlichung des Urteils Nr. 685/2018 des Verfassungsgerichtshofs legten PM, RO, TQ und SP sowie die DNA gemäß Art. 426 Abs. 1 der Strafprozessordnung außerordentliche Rechtsbehelfe beim Obersten Kassations- und Gerichtshof ein und beantragten, das Urteil vom 5. Juni 2018 für nichtig zu erklären und ein neues Verfahren zur Entscheidung über die Berufungen zu eröffnen. Zur Stützung ihrer Rechtsbehelfe machten sie geltend, das Urteil Nr. 685/2018 sei verbindlich und entfalte Rechtswirkungen für das Urteil des Obersten Kassations- und Gerichtshofs vom 5. Juni 2018, da der Spruchkörper mit fünf Richtern, der über diese Berufungen entschieden habe, nicht gemäß dem Gesetz in seiner Auslegung durch den Verfassungsgerichtshof besetzt gewesen sei. Das vorlegende Gericht erachtete diese außerordentlichen Rechtsbehelfe u. a. mit der Begründung für zulässig, dass sie innerhalb der gesetzlichen Frist von 30 Tagen ab Zustellung dieses Urteils eingelegt worden seien, und entschied, die Vollstreckung der Freiheitsstrafen bis zur Entscheidung über diese Rechtsbehelfe auszusetzen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point62">62</a> Das vorlegende Gericht wirft u. a. die Frage auf, ob Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV sowie Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b und Art. 2 Abs. 1 des PIF‑Übereinkommens einer Anwendung des Urteils Nr. 685/2018 im Ausgangsverfahren entgegenstehen, das die Nichtigerklärung der Gerichtsentscheidungen, die vor der Verkündung dieses Urteils rechtskräftig geworden sind, und die Eröffnung eines neuen Berufungsverfahrens in Rechtssachen, die Betrug und schwere Korruption betreffen, zur Folge hätte.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point63">63</a> Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei es Sache der nationalen Gerichte, den sich aus Art. 325 Abs. 1 AEUV ergebenden Verpflichtungen unter der gebotenen Achtung der in der Charta garantierten Grundrechte und der allgemeinen Rechtsgrundsätze volle Wirkung zu verleihen und Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts unangewendet zu lassen, die der Anwendung wirksamer und abschreckender Sanktionen bei Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union entgegenstünden. In Anbetracht dieser Rechtsprechung stelle sich die Frage, ob die sich aus Art. 325 Abs. 1 AEUV sowie aus Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b und Art. 2 Abs. 1 des PIF‑Übereinkommens ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten auch die Vollstreckung bereits verhängter strafrechtlicher Sanktionen betreffe. Es stelle sich außerdem die Frage, ob die Wendung „und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen“ in Art. 325 Abs. 1 AEUV nicht nur Fälle der Korruption im eigentlichen Sinne umfasse, sondern auch den Betrugsversuch, der im Zusammenhang mit einem betrügerisch vergebenen öffentlichen Auftrag begangen worden sei, der aus Mitteln der Union hätte finanziert werden sollen, aber infolge der Verweigerung der Finanzierung durch die diese Mittel verwaltende Behörde vollständig zulasten des Staatshaushalts finanziert worden sei. In diesem Zusammenhang habe im vorliegenden Fall die Gefahr einer Beeinträchtigung der finanziellen Interessen der Union bestanden, auch wenn sich diese Gefahr nicht verwirklicht habe.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point64">64</a> Des Weiteren weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich nach den Art. 2 und 19 EUV jeder Mitgliedstaat vergewissern müsse, dass die zu seinem Rechtsbehelfssystem gehörenden Gerichte in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen den Erfordernissen der Unabhängigkeit genügten, um den Rechtsunterworfenen einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Die Gewährleistung der Unabhängigkeit setze nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs voraus, dass die Richter ihre richterlichen Funktionen in völliger Autonomie ausüben könnten, ohne hierarchisch untergeordnet zu sein, um gegen Interventionen und Druck von außen geschützt zu sein, die ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen und ihre Entscheidungen beeinflussen könnten.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point65">65</a> Außerdem fragt sich das vorlegende Gericht, insbesondere angesichts der Bedeutung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit, der verlange, dass das Gesetz vorhersehbar und bestimmt sein müsse und nicht rückwirkend sein dürfe, ob der Begriff des „zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts“ in Art. 47 Abs. 2 der Charta der vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Auslegung hinsichtlich der Rechtswidrigkeit der Besetzung der Spruchkörper mit fünf Richtern entgegenstehe. Nach der aus den Urteilen vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson (C‑617/10, EU:C:2013:105), und vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B. (C‑42/17, EU:C:2017:936), hervorgegangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs seien die nationalen Gerichte bei der Entscheidung, Bestimmungen des materiellen Strafrechts unangewendet zu lassen, verpflichtet, darauf zu achten, dass die Grundrechte der Personen, die einer Straftat beschuldigt würden, gewahrt würden, wobei sie jedoch nationale Schutzstandards für die Grundrechte anwenden könnten, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt werde, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt würden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point66">66</a> Im vorliegenden Fall steht nach Ansicht des vorlegenden Gerichts das Unionsrecht u. a. der Anwendung des Urteils Nr. 685/2018 entgegen, da dieses Urteil zur Nichtigerklärung der rechtskräftigen, von einem Spruchkörper mit fünf Richtern erlassenen Entscheidungen des Obersten Kassations- und Gerichtshofs führen und den in einer erheblichen Anzahl von Fällen schweren Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union verhängten Strafen ihre Wirksamkeit und ihre abschreckende Wirkung nehmen würde. Es würde den Anschein von Straflosigkeit erwecken und sogar eine systemische Gefahr der Straflosigkeit durch den Eintritt der Verjährung bergen, da die Verfahren vor dem Erlass eines endgültigen Urteils infolge der erneuten Prüfung der betreffenden Fälle komplex und langwierig wären. Außerdem stünden die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und der Rechtssicherheit dem entgegen, dass das Urteil Nr. 685/2018 verbindliche Rechtswirkungen für zum Zeitpunkt seiner Verkündung bereits rechtskräftig gewordene strafrechtliche Entscheidungen haben könne, wenn keine ernsthaften Gründe vorlägen, die die Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren in diesen Rechtssachen in Frage stellen könnten, was durch den VZÜ-Bericht vom November 2018 bestätigt werde.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point67">67</a> Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die ernste Gefahr bestehe, dass den Antworten des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen in Anbetracht der in Rn. 58 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs im innerstaatlichen Recht die Wirkung genommen werde.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point68">68</a> Unter diesen Umständen hat der Oberste Kassations- und Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. Sind Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b sowie Art. 2 Abs. 1 des PIF‑Übereinkommens und der Grundsatz der Rechtssicherheit dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Entscheidung durch eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung, den Verfassungsgerichtshof, entgegenstehen, mit der über die Rechtmäßigkeit der Besetzung von Spruchkörpern entschieden wird und damit die Voraussetzungen für die Zulässigkeit außerordentlicher Rechtsbehelfe gegen rechtskräftige, innerhalb eines bestimmten Zeitraums ergangene gerichtliche Entscheidungen geschaffen werden?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">2. Ist Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung die fehlende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Spruchkörpers, dem ein Richter mit Leitungsfunktion angehört, der nicht nach dem Zufallsprinzip ernannt worden ist, sondern auf der Grundlage einer transparenten, bekannten und zwischen den Parteien unstreitigen Regel, die in allen von diesem Spruchkörper behandelten Rechtssachen gilt, in nach nationalem Recht verbindlicher Weise feststellt?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">3. Ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht erlaubt, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung, die aufgrund einer Befassung mit einem Verfassungskonflikt ergangen ist und nach nationalem Recht verbindlich ist, unangewendet zu lassen?</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Rechtssache </b><b>C</b></i>‑<i><b>379</b><b>/</b><b>19</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point69">69</a> Am 22. August 2016 leitete die Direcţia Naţională Anticorupţie – Serviciul Teritorial Oradea (Regionale Dienststelle Oradea der DANN, Rumänien) vor dem Tribunalul Bihor (Landgericht Bihor, Rumänien) die Strafverfolgung gegen KI, LJ, JH und IG ein, denen vorgeworfen wird, Straftaten des Erkaufens von Einflussnahme, der Bestechung, der Bestechlichkeit sowie der Beihilfe zum Erkaufen von Einflussnahme und der Beihilfe zur Bestechung begangen zu haben.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point70">70</a> Im Rahmen dieses Verfahrens beantragten KI und LJ gemäß Art. 342 der Strafprozessordnung, von diesem Verfahren Beweismittel auszunehmen, die in Protokollen über die Niederschrift von Abhörmaßnahmen des Serviciul Român de Informații (Rumänischer Nachrichtendienst) (im Folgenden: SRI) bestehen. Zur Stützung dieses Antrags beriefen sich die Betroffenen auf das Urteil Nr. 51/2016, mit dem der Verfassungsgerichtshof Art. 142 Abs. 1 der Strafprozessordnung für verfassungswidrig erklärte, soweit dieser die Durchführung von Überwachungsmaßnahmen im Rahmen eines Strafverfahrens durch „andere spezialisierte Organe des Staates“, insbesondere durch den SRI, zulässt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point71">71</a> Mit Beschluss vom 27. Januar 2017 wies die Vorverfahrenskammer des Tribunalul Bihor (Landgericht Bihor) die Anträge von KI und LJ u. a. mit der Begründung zurück, dass die Beweiserhebung rechtmäßig gewesen sei, da das Urteil Nr. 51/2016 nur für die Zukunft wirke, und eröffnete das Hauptverfahren gegen KI, LJ, JH und IG. Das gegen diesen Beschluss eingelegte Rechtsmittel wurde von der Curtea de Apel Oradea (Berufungsgericht Oradea, Rumänien) zurückgewiesen, wobei das Berufungsgericht ebenfalls der Ansicht war, dass das Urteil Nr. 51/2016 auf die in diesem Fall angeordneten technischen Überwachungsmaßnahmen nicht anwendbar sei, da dieses Urteil, das im <i>Monitorul Oficial al României</i> vom 14. März 2016 veröffentlicht worden sei, gemäß Art. 147 Abs. 4 der Verfassung Rumäniens nur für die Zukunft Wirkungen entfalte.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point72">72</a> Im Strafverfahren vor dem vorlegenden Gericht beantragten IG, KI, LJ und JH im Wesentlichen, die Protokolle über die Niederschrift von Abhörmaßnahmen, falls der SRI an der Durchführung der Überwachungsbeschlüsse beteiligt gewesen sein sollte, für absolut nichtig zu erklären. Neben dem Urteil Nr. 51/2016 beriefen sich die Betroffenen insoweit auf die Urteile Nrn. 302/2017 und 26/2019, mit denen der Verfassungsgerichtshof Art. 281 Abs. 1 Buchst. b der Strafprozessordnung für verfassungswidrig erklärte, da dieser die Verletzung der Bestimmungen über die sachliche und persönliche Zuständigkeit des für die Strafverfolgung zuständigen Organs nicht mit absoluter Nichtigkeit sanktionierte (Urteil Nr. 302/2017), und das Bestehen eines verfassungsrechtlichen Konflikts zwischen dem Parlament und dem Parchetul de pe lângă Înalta Curte de Casație și Justiție (Staatsanwaltschaft beim Obersten Kassations- und Gerichtshof) feststellte, der sich daraus ergab, dass zwei Kooperationsvereinbarungen, die in den Jahren 2009 und 2016 zwischen der DNA und dem SRI unter Verstoß gegen die verfassungsmäßige Zuständigkeit der DNA geschlossen wurden, dazu führten, dass das Verfahrensrecht, das die Ausübung der Strafverfolgung regle, beeinträchtigt wurde (Urteil Nr. 26/2019).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point73">73</a> Nach einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht bei der DNA wurde festgestellt, dass neun Überwachungsbeschlüsse mit technischer Unterstützung des SRI und zwei, nach der Veröffentlichung des Urteils Nr. 51/2016, ohne Mitwirkung dieses Dienstes durchgeführt worden waren.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point74">74</a> Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es vorrangig über den Antrag auf Ausschluss von Beweismitteln zu entscheiden habe, und hat insbesondere Zweifel, ob es die Urteile Nrn. 51/2016, 302/2017 und 26/2019 anwenden muss. Aufgrund der kombinierten Wirkung dieser drei Urteile würde es nämlich genügen, dass der Richter die Beteiligung des SRI an der Durchführung eines Überwachungsbeschlusses feststelle, damit die Maßnahmen der Beweiserhebung absolut nichtig seien und die entsprechenden Beweismittel ausgeschlossen seien.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point75">75</a> Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass nach den noch geltenden nationalen Vorschriften die Zulässigkeit eines Antrags auf Ausschluss von Beweismitteln davon abhänge, dass dieser Antrag vor dem Abschluss der Phase vor der Vorverfahrenskammer gestellt worden sei. Außerdem würden die verfassungsrechtlichen Vorschriften den Urteilen des Verfassungsgerichtshofs nur <i>Ex-nunc</i>-Wirkung verleihen. Letzterer habe folglich im Wege der Rechtsprechung die Anwendung seiner Urteile in anhängigen Rechtssachen festgeschrieben und damit den Gerichten die Verpflichtung auferlegt, sämtliche in Rede stehenden Verfahrenshandlungen oder Beweismittel als rechtswidrig zu behandeln, ohne dass die Möglichkeit bestünde, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, selbst wenn diese Handlungen, wie im vorliegenden Fall, auf der Grundlage von Vorschriften vorgenommen worden seien, für die zum Zeitpunkt ihrer Anwendung die Vermutung der Verfassungsmäßigkeit gegolten habe.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point76">76</a> Zum einen sei aber Rumänien verpflichtet, Korruption zu bekämpfen, und habe die Kommission im VZÜ-Bericht vom November 2018 festgestellt, dass Rumänien die nationale Korruptionsbekämpfungsstrategie unter Einhaltung der im August 2016 von der Regierung festgelegten Fristen weiter umsetzen müsse. Zum anderen müsse sich der Verfassungsgerichtshof nach Art. 146 der Verfassung Rumäniens auf die Kontrolle der Vereinbarkeit des Gesetzes mit der Verfassung Rumäniens beschränken und dürfe nicht so weit gehen, das Gesetz auszulegen, es anzuwenden und rückwirkende Rechtsvorschriften einzuführen. Außerdem erscheine das Bestreben des Verfassungsgerichtshofs, durch die Wirkung seiner Urteile die Wahrung der Verfahrensrechte der Parteien im Rahmen eines Strafverfahrens unmittelbar zu gewährleisten, angesichts der Mechanismen, über die der rumänische Staat zu diesem Zweck verfüge – wie das am 1. August 2018 in Kraft getretene Protokoll Nr. 16 zu der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) – übermäßig. Zudem lehne es der Gerichtshof in seiner auf das Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni (C‑399/11, EU:C:2013:107), zurückgehenden Rechtsprechung ab, eine Grenze für den Vorrang des Unionsrechts vor günstigeren nationalen Grundrechten anzuerkennen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point77">77</a> Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts weist das Ausgangsverfahren einen hinreichend engen Bezug zum Unionsrecht auf, da es die Ausübung seiner gerichtlichen Zuständigkeit gemäß den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit und der richterlichen Unabhängigkeit betrifft, und wirft Fragen zur Natur und zu den Wirkungen des VZÜ sowie zum Vorrang des Unionsrechts vor der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs auf. Letzterer habe die sich aus der Verfassung Rumäniens und dem Unionsrecht ergebende Zuständigkeit der rumänischen Gerichte, Recht zu sprechen, beschränkt, indem er in dem in Rn. 58 des vorliegenden Urteils angeführten Urteil Nr. 104/2018 entschieden habe, dass die Entscheidung 2006/928 im Rahmen einer Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit nach Art. 148 der Verfassung Rumäniens keine Bezugsnorm darstellen könne.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point78">78</a> Daher sei es erforderlich, dass der Gerichtshof kläre, ob das VZÜ verbindlich sei, und, bejahendenfalls, ob diese Verbindlichkeit nicht nur den Maßnahmen zuzuerkennen sei, die in den im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichten ausdrücklich empfohlen worden seien, sondern auch sämtlichen Feststellungen in diesen Berichten, insbesondere denjenigen, die nationale Maßnahmen beträfen, die gegen die Empfehlungen der Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) und der Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) verstießen. Außerdem stelle sich in Anbetracht der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der richterlichen Unabhängigkeit die Frage, ob ein nationaler Richter, ohne Gefahr zu laufen, dass gegen ihn gesetzlich ausdrücklich vorgesehene Disziplinarmaßnahmen verhängt würden, bei der Ausübung seiner richterlichen Zuständigkeit die Wirkungen der Urteile des Verfassungsgerichtshofs in dem Fall ausschließen könne, in dem dieser die Grenzen seiner Zuständigkeiten überschreite.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point79">79</a> Unter diesen Umständen hat das Tribunalul Bihor (Landgericht Bihor) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. Sind das mit der Entscheidung 2006/928 eingeführte VZÜ und die in den im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichten aufgestellten Anforderungen für den rumänischen Staat verbindlich?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">2. Ist Art. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 EUV dahin auszulegen, dass die Verpflichtung des Mitgliedstaats, die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu wahren, auch das Erfordernis umfasst, dass Rumänien die mit den Berichten im Rahmen des mit der Entscheidung 2006/928 eingeführten VZÜ aufgestellten Anforderungen erfüllt, und zwar auch hinsichtlich der Enthaltung eines Verfassungsgerichts – einer politisch-rechtsprechenden Institution – bezüglich der Auslegung des Gesetzes sowie der Festlegung der konkreten und verbindlichen Art und Weise seiner Anwendung durch die Gerichte, die in die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte fallen, und bezüglich der Einführung neuer Rechtsvorschriften, die in die ausschließliche Zuständigkeit des Gesetzgebers fällt? Verlangt das Unionsrecht, dass die Wirkungen einer solchen, von einem Verfassungsgericht erlassenen Entscheidung beseitigt werden? Steht das Unionsrecht einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit von Richtern regelt, die die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs im Zusammenhang mit der formulierten Frage nicht anwenden?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">3. Verbietet der in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta verankerte Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117) die Ersetzung der Befugnisse des Richters durch die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs (Urteile Nrn. 51/2016, 302/2017 und 26/2019), die zur Folge haben, dass das Strafverfahren nicht vorhersehbar ist (Rückwirkung) und es unmöglich ist, das Gesetz in der konkreten Rechtssache auszulegen und anzuwenden? Steht das Unionsrecht einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit von Richtern regelt, die die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs im Zusammenhang mit der formulierten Frage nicht anwenden?</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point80">80</a> Mit Schreiben vom 27. Juni 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juli 2019, hat das Tribunalul Bihor (Landgericht Bihor) dem Gerichtshof mitgeteilt, dass die Curtea de Appel de Oradea (Berufungsgericht Oradea, Rumänien) mit Beschluss vom 18. Juni 2019 auf Antrag der DNA die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens aufgehoben und die Fortsetzung des Verfahrens in Bezug auf andere als die im Vorabentscheidungsersuchen genannten Problematiken angeordnet habe. Auf Nachfrage des Gerichtshofs hat das Tribunal Bihor (Landgericht Bihor) mit Schreiben vom 26. Juli 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 7. August 2019, klargestellt, dass die Beantwortung der vorgelegten Fragen durch den Gerichtshof noch immer erforderlich sei. Das bei ihm anhängige Verfahren werde nämlich fortgesetzt, ohne dass die mittels der Überwachungsbeschlüsse, auf die sich die Vorlagefragen bezögen, erlangten Beweise verwertet werden könnten. Außerdem hat das Tribunalul Bihor (Landgericht Bihor) darauf hingewiesen, dass die Justizinspektion gegen den vorlegenden Richter eine Disziplinaruntersuchung wegen Nichtbeachtung der in den Vorlagefragen genannten Urteile des Verfassungsgerichtshofs eingeleitet habe.</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Rechtssache </b><b>C</b></i>‑<i><b>547</b><b>/</b><b>19</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point81">81</a> Die Justizinspektion leitete gegen CY, Richter an der Curtea de Apel București (Berufungsgericht Bukarest, Rumänien), ein Disziplinarverfahren bei der Richterdisziplinarabteilung des Obersten Richterrats mit der Begründung ein, CY habe das in Art. 99 Buchst. o des Gesetzes Nr. 303/2004 vorgesehene Disziplinarvergehen begangen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point82">82</a> Mit Beschluss vom 28. März 2018 wies die Richterdisziplinarabteilung des Obersten Richterrats einen vom Forum der Richter Rumäniens gestellten Antrag auf Beitritt zum Verfahren zur Unterstützung von CY als unzulässig ab. Gegen diesen Beschluss legten das Forum der Richter Rumäniens und CY beim Obersten Kassations- und Gerichtshof ein Rechtsmittel ein.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point83">83</a> Mit Entscheidung vom 2. April 2018 verhängte die Richterdisziplinarabteilung des Oberster Richterrats gegen CY die in Art. 100 Buchst. e des Gesetzes Nr. 303/2004 vorgesehene Disziplinarsanktion des Ausschlusses aus der Richterschaft. Gegen diese Entscheidung legten das Forum der Richter Rumäniens und CY beim Obersten Kassations- und Gerichtshof ein Rechtsmittel ein.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point84">84</a> Diese beiden Rechtssachen wurden nach dem Zufallsprinzip einem Spruchkörper mit fünf Richtern dieses Gerichts zugewiesen und anschließend wegen ihres Zusammenhangs verbunden. Die Besetzung dieses Spruchkörpers war durch Losentscheid vom 30. Oktober 2017 festgelegt worden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point85">85</a> Am 8. November 2018 erließ das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs im Anschluss an die Verkündung des in Rn. 60 des vorliegenden Urteils angeführten Urteils Nr. 685/2018 eine Entscheidung betreffend die Auslosung der Mitglieder der Spruchkörper mit fünf Richtern. Im Dezember 2018 erließ der Oberste Richterrat zwei Entscheidungen, mit denen Regeln eingeführt wurden, um die Übereinstimmung mit den Anforderungen aus diesem Urteil zu gewährleisten. Um diesen Entscheidungen nachzukommen, schritt der Oberste Kassations- und Gerichtshof erneut zur Auslosung neuer Spruchkörper für das Jahr 2018, was bereits zugewiesene Rechtssachen, in denen bis zum Ende jenes Jahres keine Maßnahme angeordnet worden war, einschloss, darunter die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verbundenen Rechtssachen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point86">86</a> Vor dem neuen Spruchkörper erhob CY u. a. eine Einrede der Rechtswidrigkeit der Besetzung dieses Spruchkörpers und stellte u. a. die Vereinbarkeit des Urteils Nr. 685/2018 und der nachfolgenden Entscheidungen des Obersten Richterrats mit Art. 2 EUV in Abrede. Insoweit wies CY darauf hin, dass der Verfassungsgerichtshof und der Oberste Richterrat ihre Befugnisse überschritten hätten und dass, wenn diese beiden Behörden nicht in die Tätigkeit des Obersten Kassations- und Gerichtshofs eingegriffen hätten, der Grundsatz der Kontinuität des Spruchkörpers nicht verletzt worden wäre und die Rechtssache ordnungsgemäß einem der Spruchkörper mit fünf Richtern zugewiesen worden wäre.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point87">87</a> Um über die von CY erhobene Einrede der Rechtswidrigkeit entscheiden zu können, möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob ein Eingreifen des Verfassungsgerichtshofs in den Ablauf der Rechtspflege, wie es sich aus dem Urteil Nr. 685/2018 ergibt, mit der in Art. 2 EUV festgelegten Rechtsstaatlichkeit sowie mit der nach Art. 19 EUV und Art. 47 der Charta garantierten Unabhängigkeit der Justiz vereinbar ist.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point88">88</a> Insoweit hebt das vorlegende Gericht erstens die politische Dimension der Ernennung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs sowie deren besondere Position in der Architektur der Staatsgewalten hervor.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point89">89</a> Zweitens sei das in Art. 146 Buchst. e der Verfassung Rumäniens vorgesehene Verfahren zur Feststellung eines verfassungsrechtlichen Konflikts zwischen Trägern staatlicher Gewalt als solches problematisch, da nach dieser Bestimmung politische Organe zur Einleitung dieses Verfahrens befugt seien. Außerdem sei die Grenze zwischen der Rechtswidrigkeit eines Rechtsakts und dem Vorliegen eines verfassungsrechtlichen Konflikts besonders schmal und ermögliche es einem beschränkten Kreis von Rechtssubjekten, parallel zu den vor den ordentlichen Gerichten eröffneten Rechtsbehelfen Rechtsbehelfe einzulegen. Dieser Umstand in Verbindung mit der politischen Dimension der Ernennung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs ermögliche es diesem, zu politischen Zwecken oder im Interesse politisch einflussreicher Personen in den Ablauf der Rechtspflege einzugreifen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point90">90</a> Drittens hält das vorlegende Gericht die vom Verfassungsgerichtshof im Urteil Nr. 685/2018 getroffene Feststellung, dass zwischen der Judikative und der Legislative ein verfassungsrechtlicher Konflikt bestehe, für problematisch. In diesem Urteil habe der Verfassungsgerichtshof seine eigene Auslegung von im Rang unter der Verfassung stehenden unklaren Bestimmungen, nämlich der Art. 32 und 33 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung, der vom Obersten Kassations- und Gerichtshof in Ausübung seiner Zuständigkeit vorgenommenen Auslegung entgegengesetzt und diesem Gericht eine systematische Verkennung des Willens des Gesetzgebers vorgeworfen, um das Bestehen eines solchen verfassungsrechtlichen Konflikts feststellen zu können.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point91">91</a> Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich somit die Frage, ob die Art. 2 und 19 EUV sowie Art. 47 der Charta dem entgegenstehen, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die Rechtsprechung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs durch ein Eingreifen des Verfassungsgerichtshofs überprüft und sanktioniert werden kann. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass ein willkürliches Eingreifen des Verfassungsgerichtshofs in Form einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Tätigkeit des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, die an die Stelle gesetzlicher Gerichtsverfahren wie der verwaltungsgerichtlichen Klage oder der im Rahmen von Gerichtsverfahren erhobenen prozessualen Einreden trete, eine negative Auswirkung auf die Unabhängigkeit der Justiz und die Fundamente der Rechtsstaatlichkeit im Sinne von Art. 2 EUV haben könne, da der Verfassungsgerichtshof nicht Teil des Justizsystems sei und nicht mit Zuständigkeiten der Rechtsprechung ausgestattet sei.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point92">92</a> Unter diesen Umständen hat der Oberste Kassations- und Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Sind Art. 2 EUV, Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass sie einem Eingreifen eines Verfassungsgerichts (eines Organs, das nach nationalem Recht kein Gericht ist) bezüglich der Art und Weise, in der das oberste Gericht die im Rang unter der Verfassung stehenden Rechtsvorschriften bei der Bildung der Spruchkörper ausgelegt und angewandt hat, entgegenstehen?</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Rechtssache </b><b>C</b></i>‑<i><b>811</b><b>/</b><b>19</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point93">93</a> Mit Urteil eines Spruchkörpers mit drei Richtern vom 8. Februar 2018 verurteilte die Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs FQ, GP, HO, IN und JM wegen Korruptions- und Geldwäschedelikten sowie Korruptionsdelikten gleichgestellten Straftaten, begangen in den Jahren 2009 bis 2013 im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge im Rahmen eines Projekts, das hauptsächlich aus nicht rückzahlbaren Mitteln der Union finanziert wurde. Vier der Angeklagten – darunter eine Person, die nacheinander Bürgermeister, Senator und Minister war – sowie die DNA legten gegen dieses Urteil Berufung ein.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point94">94</a> Im Berufungsverfahren beantragten die Berufungsführer beim Obersten Kassations- und Gerichtshof, das Urteil vom 8. Februar 2018 für nichtig zu erklären, weil es von einem Spruchkörper erlassen worden sei, der unter Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften nicht auf dem Gebiet der Korruption spezialisiert gewesen sei.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point95">95</a> Die Berufungsführer beriefen sich insoweit auf das Urteil Nr. 417/2019, das am 3. Juli 2019 auf Befassung durch den Präsidenten der Abgeordnetenkammer ergangen ist, gegen den zu diesem Zeitpunkt bei einem Spruchkörper mit fünf Richtern des Obersten Kassations- und Gerichtshofs als Berufungsgericht selbst ein Strafverfahren wegen eines Sachverhalts anhängig war, der in den Anwendungsbereich des Gesetzes Nr. 78/2000 fiel. Mit diesem Urteil stellte der Verfassungsgerichtshof zunächst das Bestehen eines verfassungsrechtlichen Konflikts zwischen dem Parlament und dem Obersten Kassations- und Gerichtshof fest, der dadurch entstanden sei, dass Letzterer nicht die auf die erstinstanzliche Aburteilung von Straftaten spezialisierten Spruchkörper nach Art. 29 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 78/2000 gebildet habe, vertrat des Weiteren die Auffassung, dass die Entscheidung einer Rechtssache durch einen nicht spezialisierten Spruchkörper die absolute Nichtigkeit der verkündeten Entscheidung zur Folge habe, und ordnete schließlich an, dass alle Rechtssachen, über die der Oberste Kassations- und Gerichtshof vor dem 23. Januar 2019 in erster Instanz entschieden hatte und die noch nicht rechtskräftig geworden waren, von den gemäß dieser Bestimmung gebildeten spezialisierten Spruchkörpern erneut geprüft würden. In diesem Urteil befand der Verfassungsgerichtshof nämlich, dass zu diesem Zeitpunkt, dem 23. Januar 2019, das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs zwar eine Entscheidung erlassen habe, die dahin lautete, dass alle Spruchkörper mit drei Richtern als für die Entscheidung von Korruptionsfällen spezialisiert anzusehen seien, mit dieser Entscheidung eine Verfassungswidrigkeit aber erst ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses und nicht für die Vergangenheit vermieden werden konnte.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point96">96</a> Zur Stützung seines Vorabentscheidungsersuchens führt das vorlegende Gericht aus, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Straftaten – wie die Korruptionsdelikte, die im Zusammenhang mit Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge begangen worden seien, die hauptsächlich mit Mitteln der Union finanziert würden, sowie Geldwäschedelikte – die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigten oder beeinträchtigen könnten.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point97">97</a> Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich erstens die Frage, ob Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 4 der Richtlinie (EU) 2017/1371 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2017 über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug (ABl. 2017, L 198, S. 29) und Art. 58 der Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission (ABl. 2015, L 141, S. 73) dahin auszulegen sind, dass sie dem entgegenstehen, dass ein nationales Gericht eine Entscheidung einer Behörde anwendet, die nicht Teil des Justizsystems ist, wie das Urteil Nr. 417/2019 des Verfassungsgerichtshofs, mit dem über die Begründetheit eines ordentlichen Rechtsbehelfs entschieden und die Rückverweisung der Rechtssachen mit der Folge angeordnet worden sei, dass die Strafverfolgung durch die Eröffnung eines neuen erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens in Frage gestellt worden sei. Die Mitgliedstaaten seien nämlich verpflichtet, wirksame und abschreckende Maßnahmen zu ergreifen, um rechtswidrige Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu bekämpfen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point98">98</a> In diesem Zusammenhang sei auch zu klären, ob die Wendung „und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen“ in Art. 325 Abs. 1 AEUV Korruptionsdelikte im eigentlichen Sinne erfasse, insbesondere, da Art. 4 der Richtlinie 2017/1371 die Straftaten der „Bestechlichkeit“ und der „Bestechung“ definiere. Diese Klarstellung sei erforderlich, da einer der Angeklagten des Ausgangsverfahrens in seiner Eigenschaft als Senator und Minister Einfluss auf Beamte ausgeübt habe, sie dazu verleitet habe, unter Verstoß gegen ihre Aufgaben zu handeln, und einen beträchtlichen Prozentsatz des Wertes der öffentlichen Aufträge erhalten habe, die hauptsächlich aus Mitteln der Union finanziert worden seien.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point99">99</a> Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt sich ebenso wie in der Rechtssache C‑357/19, Euro Box Promotion u. a., die Frage, ob der in Art. 2 EUV verankerte Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta, einer Beeinflussung des Ablaufs der Rechtspflege durch ein Eingreifen wie des sich aus dem Urteil Nr. 417/2019 ergebenden entgegenstehen. Mit dem genannten Urteil habe der Verfassungsgerichtshof, ohne über gerichtliche Zuständigkeiten zu verfügen, verbindliche Maßnahmen erlassen, die die Eröffnung neuer Gerichtsverfahren wegen der angeblich fehlenden Spezialisierung der Spruchkörper der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs auf dem Gebiet der Korruptionsdelikte zur Folge hätten, obwohl alle Richter dieser Strafabteilung bereits aufgrund ihrer Eigenschaft als Richter dieses Gerichts diese Spezialisierungsvoraussetzung erfüllten.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point100">100</a> Zweitens sei in Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofs und der Bedeutung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit die Bedeutung des Begriffs des „zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts“ in Art. 47 Abs. 2 der Charta zu klären, um festzustellen, ob diese Bestimmung der vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Auslegung betreffend die Rechtswidrigkeit der Besetzung des Gerichts entgegenstehe.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point101">101</a> Drittens hat das vorlegende Gericht Zweifel, ob der nationale Richter verpflichtet ist, das Urteil Nr. 417/2019 unangewendet zu lassen, um die volle Wirksamkeit der Unionsvorschriften zu gewährleisten. Allgemein sei außerdem zu prüfen, ob die Wirkungen von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, die gegen den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit in Rechtssachen verstießen, die ausschließlich dem nationalen Recht unterlägen, auszuschließen seien. Diese Fragen würden sich insbesondere deshalb stellen, weil die rumänische Disziplinarregelung die Verhängung einer Disziplinarsanktion gegen einen Richter vorsehe, wenn dieser die Wirkungen der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs ausschließe.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point102">102</a> Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass das Urteil Nr. 417/2019, das die Nichtigerklärung der vor dem 23. Januar 2019 in erster Instanz ergangenen Urteile der Spruchkörper mit drei Richtern der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs zur Folge habe, gegen den Grundsatz der Wirksamkeit strafrechtlicher Sanktionen im Fall schwerwiegender rechtswidriger Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union verstoße. Dieses Urteil erwecke nämlich zum einen den Anschein der Straflosigkeit und berge zum anderen angesichts der Komplexität und der Dauer des Verfahrens, das der Verkündung eines endgültigen Urteils im Anschluss an eine erneute Prüfung der betreffenden Rechtssachen vorausgehe, aufgrund der nationalen Vorschriften über die Verfolgungsverjährung eine systemische Gefahr der Straflosigkeit bei schweren Straftaten. So habe das Gerichtsverfahren im Ausgangsverfahren aufgrund seiner Komplexität allein in der ersten Instanz etwa vier Jahre gedauert. Ferner ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass der im Unionsrecht verankerte Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit dem entgegenstehe, dass durch eine Entscheidung einer außerhalb der Justiz stehenden rechtsprechenden Einrichtung verfahrensrechtliche Maßnahmen festgelegt würden, die eine erneute Prüfung bestimmter Rechtssachen in erster Instanz mit der Folge verlangten, dass die Strafverfolgung ohne ernsthafte Gründe für Zweifel an der Wahrung des Rechts der Angeklagten auf ein faires Verfahren in Frage gestellt werde. Im vorliegenden Fall könne der Umstand, dass die Spruchkörper der Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs aus Richtern bestünden, die bei ihrer Ernennung an dieses Gericht in Strafsachen spezialisiert gewesen seien, aber nicht als Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Zugang zu den Gerichten angesehen werden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point103">103</a> Unter diesen Umständen hat der Oberste Kassations- und Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. Sind Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 58 der Richtlinie 2015/849 und Art. 4 der Richtlinie 2017/1371 dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Entscheidung durch eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung, den Verfassungsgerichtshof, entgegenstehen, mit der über eine prozessuale Einrede entschieden wird, die sich auf eine möglicherweise rechtswidrige Besetzung der Spruchkörper bezieht – im Hinblick auf den (in der Verfassung Rumäniens nicht vorgesehenen) Grundsatz der Spezialisierung der Richter am Obersten Kassations- und Gerichtshof – und durch die ein Gericht verpflichtet wird, die (devolutiv) in der Berufung befindliche Sache zur erneuten Verhandlung im ersten Rechtszug vor demselben Gericht zurückzuverweisen?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">2. Sind Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union und Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung die Rechtswidrigkeit der Besetzung der Spruchkörper innerhalb einer Abteilung eines obersten Gerichts (Spruchkörper, die mit amtierenden Richtern besetzt sind, die zum Zeitpunkt der Beförderung u. a. die Voraussetzung der Spezialisierung erfüllt haben, die für die Beförderung zur Strafabteilung des obersten Gerichts verlangt wird) feststellt?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">3. Ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht gestattet, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung, mit der eine im Rang unterhalb der Verfassung stehende, die Organisation des Obersten Kassations- und Gerichtshofs betreffende Rechtsnorm, die Teil des Gesetzes über die Prävention, Ermittlung und Sanktionierung von Korruptionsdelikten ist und von einem Gericht seit 16 Jahren konstant im selben Sinne ausgelegt worden ist, unangewendet zu lassen?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">4. Ist nach Art. 47 der Charta die Spezialisierung der Richter und die Errichtung spezialisierter Spruchkörper bei einem obersten Gericht vom Grundsatz des freien Zugangs zur Justiz erfasst?</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Rechtssache </b><b>C</b></i>‑<i><b>840</b><b>/</b><b>19</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point104">104</a> Mit Urteil eines Spruchkörpers mit drei Richtern vom 26. Mai 2017 verurteilte die Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs NC zu u. a. einer Freiheitsstrafe von vier Jahren, weil er in seinen parlamentarischen und ministeriellen Funktionen den Straftatbestand der Einflussnahme gemäß Art. 291 Abs. 1 Strafgesetzbuch in Verbindung mit Art. 6 und Art. 7 Buchst. a des Gesetzes Nr. 78/2000 im Zusammenhang mit der Vergabe eines öffentlichen Auftrags, der größtenteils aus Mitteln der Union finanziert wurde, begangen hatte. Nachdem die DNA und NC gegen dieses Urteil Berufung eingelegt hatten, bestätigte die Strafabteilung des Obersten Kassations- und Gerichtshofs mit Urteil eines Spruchkörpers mit fünf Richtern vom 28. Juni 2018 die Verurteilung und wies die Berufung zurück. Dieses Urteil wurde rechtskräftig.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point105">105</a> Nach der Veröffentlichung des in Rn. 60 des vorliegenden Urteils angeführten Urteils Nr. 685/2018 erhoben NC und die DNA außerordentliche Rechtsbehelfe auf Nichtigerklärung, wobei sie im Wesentlichen geltend machten, der Oberste Kassations- und Gerichtshof, der über die gegen das Urteil vom 26. Mai 2017 eingelegten Berufungen entschieden habe, sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, da nur vier der fünf Mitglieder dieses Spruchkörpers durch Losentscheid bestimmt worden seien.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point106">106</a> Mit Urteilen eines Spruchkörpers mit fünf Richtern vom 25. Februar und 20. Mai 2019 gab der Oberste Kassations- und Gerichtshof den außerordentlichen Rechtsbehelfen im Licht des Urteils Nr. 685/2018 statt, erklärte die Verurteilung von NC für ungültig und verwies die von diesem und der DNA eingelegten Berufungen zur erneuten Prüfung zurück.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point107">107</a> Während das Berufungsverfahren noch bei einem Spruchkörper mit fünf Richtern des Obersten Kassations- und Gerichtshofs zur erneuten Prüfung anhängig war, erließ der Verfassungsgerichtshof sein in Rn. 95 des vorliegenden Urteils angeführtes Urteil Nr. 417/2019.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point108">108</a> Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob dieses Urteil mit Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 47 der Charta und Art. 4 der Richtlinie 2017/1371 vereinbar ist. Was insbesondere Art. 325 AEUV betrifft, bringt das vorlegende Gericht im Wesentlichen die gleichen Gründe vor wie die in der Rechtssache C‑811/19 angeführten. Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass die Gerichtsverfahren im Ausgangsrechtsstreit etwa vier Jahre gedauert hätten und dass sich die Rechtssache infolge der Anwendung des Urteils Nr. 685/2018 im Stadium eines Verfahrens zur erneuten Prüfung der Berufung befinde. Die Anwendung des Urteils Nr. 417/2019 führe außerdem zur Wiedereröffnung eines Verfahrens zur Entscheidung in der Sache, was zur Folge habe, dass ein und dasselbe Verfahren zweimal in erster Instanz und dreimal in der Berufungsinstanz durchgeführt werde.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point109">109</a> Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass mit dem Urteil Nr. 417/2019 verbindliche Verfahrensmaßnahmen festgelegt worden seien, die die Eröffnung neuer Gerichtsverfahren erforderlich machten, weil es an einer Spezialisierung der erstinstanzlichen Spruchkörper in Bezug auf die im Gesetz Nr. 78/2000 vorgesehenen Straftaten gefehlt habe. Aufgrund dieses Urteils bestehe somit die Gefahr der Straflosigkeit in einer beträchtlichen Zahl von Fällen, die schwere Straftaten beträfen. Unter diesen Umständen würde das Erfordernis der Effektivität nach Art. 325 AEUV und das Grundrecht des Angeklagten auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist beeinträchtigt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point110">110</a> Ebenso ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass dem Gerichtshof wie in den Rechtssachen C‑357/19, C‑547/19 und C‑811/19 die Frage zu stellen sei, ob das Eingreifen des Verfassungsgerichtshofs mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar sei. Das vorlegende Gericht betont die Bedeutung der Beachtung der Urteile des Verfassungsgerichtshofs und weist darauf hin, dass sich seine Frage nicht auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs im Allgemeinen, sondern nur auf das Urteil Nr. 417/2019 beziehe. In diesem Urteil habe der Verfassungsgerichtshof seine eigene Auslegung derjenigen des Obersten Kassations- und Gerichtshofs betreffend die jeweiligen abweichenden Bestimmungen des Gesetzes Nr. 78/2000 und des geänderten Gesetzes Nr. 304/2004 über die Bildung spezialisierter Spruchkörper entgegengesetzt und in die Zuständigkeiten des letztgenannten Gerichts eingegriffen, indem es die erneute Prüfung bestimmter Rechtssachen angeordnet habe.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point111">111</a> Unter diesen Umständen hat der Oberste Kassations- und Gerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. Sind Art. 19 Abs. 1 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV und Art. 4 der Richtlinie 2017/1371, erlassen auf der Grundlage von Art. 83 Abs. 2 AEUV, dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Entscheidung durch eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung, den Verfassungsgerichtshof, entgegenstehen, die vorschreibt, dass in einem bestimmten Zeitraum entschiedene Korruptionssachen, die in der Berufung anhängig sind, zur erneuten Verhandlung zurückzuverweisen sind, weil auf der Ebene des obersten Gerichts keine auf diesem Gebiet spezialisierten Spruchkörper errichtet worden waren, obgleich sie die Spezialisierung der Richter anerkennt, mit denen die Spruchkörper besetzt waren?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">2. Sind Art. 2 EUV und Art. 47 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass eine außerhalb der Justiz stehende Einrichtung die Rechtswidrigkeit der Besetzung der Spruchkörper innerhalb einer Abteilung eines obersten Gerichts (Spruchkörper, die mit amtierenden Richtern besetzt sind, die zum Zeitpunkt der Beförderung u. a. die Voraussetzung der Spezialisierung erfüllt haben, die für die Beförderung zum obersten Gericht verlangt wird) feststellt?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">3. Ist der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen, dass er es dem nationalen Gericht erlaubt, eine verfassungsgerichtliche Entscheidung, die aufgrund einer Befassung mit einem Verfassungskonflikt ergangen ist und nach nationalem Recht verbindlich ist, unangewendet zu lassen?</p><p class="C04Titre1" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <b>Verfahren vor dem Gerichtshof</b></p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Zur Verbindung</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point112">112</a> Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofs vom 26. Februar 2020 sind die Rechtssachen C‑357/19 und C‑547/19 auf der einen und die Rechtssachen C‑811/19 und C‑840/19 auf der anderen Seite zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden. Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 21. Mai 2021 sind diese Rechtssachen sowie die Rechtssache C‑379/19 in Anbetracht ihres Zusammenhangs zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Zu den Anträgen auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens und zur vorrangigen Behandlung</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point113">113</a> Die vorlegenden Gerichte in den Rechtssachen C‑357/19, C‑379/19, C‑811/19 und C‑840/19 haben beantragt, die Vorabentscheidungsersuchen in diesen Rechtssachen gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point114">114</a> Zur Stützung ihrer Anträge haben die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Situation der im Rahmen der Ausgangsverfahren beschuldigten Personen eine rasche Beantwortung erfordere. Was konkret die Rechtssachen C‑357/19, C‑811/19 und C‑840/19 anbelangt, haben sie außerdem vorgetragen, dass der Zeitablauf die etwaige Strafvollstreckung gefährden würde.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point115">115</a> Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung vorsieht, dass der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden kann, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren unter Abweichung von den Bestimmungen dieser Verfahrensordnung zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point116">116</a> Insoweit ist daran zu erinnern, dass ein solches beschleunigtes Verfahren ein Verfahrensinstrument ist, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll. Außerdem geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass das beschleunigte Verfahren keine Anwendung finden kann, wenn die Sensibilität und die Komplexität der durch einen Fall aufgeworfenen rechtlichen Fragen kaum mit der Anwendung des beschleunigten Verfahrens zu vereinbaren sind, insbesondere, wenn es nicht angebracht erscheint, das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof zu verkürzen (Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point117">117</a> Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs in den Rechtssachen C‑357/19 und C‑379/19 mit Beschlüssen vom 23. Mai bzw. 17. Juni 2019 nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, die Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren zurückzuweisen. Zum einen konnte nämlich der Grund, der darauf gestützt war, dass diese Anträge Strafverfahren beträfen und deshalb eine zügige Beantwortung erforderten, um die rechtliche Situation der im Rahmen der Ausgangsverfahren beschuldigten Personen zu klären, für sich genommen nicht genügen, um zu rechtfertigen, dass diese Rechtssachen dem in Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung vorgesehenen beschleunigten Verfahren unterworfen werden, da solche Umstände nicht geeignet sind, eine außerordentliche Dringlichkeitssituation im Sinne von Rn. 116 des vorliegenden Urteils zu erzeugen (vgl. entsprechend Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 20. September 2018, Minister for Justice and Equality, C‑508/18 und C‑509/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:766, Rn. 11 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point118">118</a> Zum anderen ist festzustellen, dass, auch wenn zunächst davon auszugehen ist, dass Vorlagefragen, die sich auf grundlegende Bestimmungen des Unionsrechts beziehen, von überragender Bedeutung für das ordnungsgemäße Funktionieren des Gerichtssystems der Union sind, für das die Unabhängigkeit der nationalen Gerichte wesentlich ist, sich der sensible und komplexe Charakter dieser Fragen schwerlich für die Anwendung des beschleunigten Verfahrens eignen würde (vgl. entsprechend Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 105, sowie vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 34).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point119">119</a> In Anbetracht der Art der vorgelegten Fragen hat der Präsident des Gerichtshofs jedoch mit Entscheidung vom 18. September 2019 den Rechtssachen C‑357/19 und C‑379/19 gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung eine vorrangige Behandlung gewährt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point120">120</a> Was die Rechtssachen C‑811/19 und C‑840/19 betrifft, zeigen diese Rechtssachen in der Zusammenschau mit den Rechtssachen C‑357/19 und C‑379/19, dass bei den rumänischen Gerichten in zahlreichen Strafsachen, in denen es um den Ablauf der Verjährungsfrist und damit die Gefahr einer Straflosigkeit geht, Unsicherheit hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des Unionsrechts besteht. Unter diesen Umständen und angesichts des Stands der Bearbeitung der Rechtssachen C‑357/19, C‑379/19 und C‑547/19, die ähnliche Fragen zur Auslegung des Unionsrechts aufwerfen, hat der Präsident des Gerichtshofs mit Beschluss vom 28. November 2019 entschieden, die Rechtssachen C‑811/19 und C‑840/19 einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point121">121</a> Die gemeinsame mündliche Verhandlung, die für die vorliegenden Rechtssachen vorgesehen war, wurde aufgrund der Gesundheitskrise im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie dreimal verschoben und schließlich mit Entscheidung vom 3. September 2020 endgültig abgesagt. Die Große Kammer des Gerichtshofs hat gemäß Art. 61 Abs. 1 der Verfahrensordnung beschlossen, die Fragen, die den Parteien und den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, im Hinblick auf die mündliche Verhandlung mitgeteilt worden waren, in Fragen zur schriftlichen Beantwortung umzuwandeln. CY, PM, RO, KI, LJ, NC, FQ, das Forum der Richter Rumäniens, die DNA, die regionale Dienststelle Oradea der DNA, die rumänische Regierung und die Kommission haben dem Gerichtshof fristgerecht ihre Antworten auf diese Fragen übermittelt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point122">122</a> Mit Schriftsatz, der am 16. April 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, hat PM die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt. Zur Stützung ihres Antrags hat PM unter Bezugnahme auf die Art. 19, 20, 31 und 32 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie auf die Art. 64, 65, 80 und 81 der Verfahrensordnung im Wesentlichen geltend gemacht, dass das Fehlen einer mündlichen Verhandlung ihr Recht auf ein faires Verfahren und den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens beeinträchtige.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point123">123</a> Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der in Art. 47 der Charta verankerte Anspruch auf rechtliches Gehör keine absolute Verpflichtung zur Durchführung einer öffentlichen Verhandlung in allen Verfahren vorsieht. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Rechtssache keine Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft, die sich nicht unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Parteien angemessen lösen ließen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Juli 2017, Sacko, C‑348/16, EU:C:2017:591, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point124">124</a> So sieht Art. 76 Abs. 2 der Verfahrensordnung für das mündliche Verfahren vor dem Gerichtshof vor, dass der Gerichtshof auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts entscheiden kann, keine mündliche Verhandlung abzuhalten, wenn er sich durch die im schriftlichen Verfahren eingereichten Schriftsätze oder Erklärungen für ausreichend unterrichtet hält, um eine Entscheidung zu erlassen. Nach Art. 76 Abs. 3 der Verfahrensordnung findet diese Bestimmung jedoch keine Anwendung, wenn ein mit Gründen versehener Antrag auf mündliche Verhandlung von einem in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten, der nicht am schriftlichen Verfahren teilgenommen hat, gestellt worden ist. Im vorliegenden Fall hat jedoch keiner dieser Beteiligten einen entsprechenden Antrag gestellt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point125">125</a> Nach alledem konnte der Gerichtshof gemäß Art. 76 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung ohne Verstoß gegen die sich aus Art. 47 der Charta ergebenden Erfordernisse beschließen, in den vorliegenden Rechtssachen keine mündliche Verhandlung abzuhalten. Im Übrigen hat der Gerichtshof, wie in Rn. 121 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, den Parteien und den Beteiligten, die schriftliche Erklärungen eingereicht haben, Fragen zur schriftlichen Beantwortung gestellt und es ihnen damit ermöglicht, dem Gerichtshof zusätzliche Aspekte vorzutragen; von dieser Möglichkeit hat u. a. PM Gebrauch gemacht.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point126">126</a> Nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof zwar jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen, insbesondere, wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point127">127</a> Der Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens, den PM gestellt hat, nachdem die Schlussanträge des Generalanwalts verlesen worden waren, lässt jedoch keine neue Tatsache erkennen, die geeignet wäre, die vom Gerichtshof zu erlassende Entscheidung zu beeinflussen. Außerdem ist der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts der Auffassung, dass er am Ende des vor ihm durchgeführten Verfahrens über alle für die Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑357/19 erforderlichen Informationen verfügt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point128">128</a> Nach alledem ist dem Antrag von PM auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens nach Anhörung des Generalanwalts nicht stattzugeben.</p><p class="C04Titre1" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <b>Zu den Vorlagefragen</b></p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Zur </b><b>Zuständigkeit des Gerichtshofs</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point129">129</a> Die Parteien PM, RO, TQ, KI, LJ und NC der Ausgangsverfahren sowie die polnische Regierung haben Zweifel hinsichtlich der Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung bestimmter Fragen der vorlegenden Gerichte geäußert.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point130">130</a> Die insoweit von PM, RO und TQ aufgeworfenen Fragen betreffen die Vorlagefragen in der Rechtssache C‑357/19, die von KI und LJ aufgeworfenen Fragen die Vorlagefragen in der Rechtssache C‑379/19 und die von NC aufgeworfenen Fragen die Vorlagefragen in der Rechtssache C‑840/19. Die polnische Regierung stellt die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung der Vorlagefragen in den Rechtssachen C‑357/19, C‑811/19 und C‑840/19 sowie der dritten Vorlagefrage in der Rechtssache C‑379/19 in Frage.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point131">131</a> Diese Parteien der Ausgangsverfahren und die polnische Regierung bringen drei Reihen von Argumenten vor. Zunächst beträfen die von den vorlegenden Gerichten aufgeworfenen Fragen zur Vereinbarkeit der Rechtsprechung aus den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen des Verfassungsgerichtshofs mit dem Unionsrecht die Organisation des Justizsystems, einen Bereich also, in dem die Union über keine Zuständigkeit verfüge. Sodann enthalte das Unionsrecht keine Normen über die Tragweite und die Wirkungen der Urteile eines nationalen Verfassungsgerichts, so dass diese Fragen nicht das Unionsrecht, sondern das nationale Recht beträfen. Schließlich würden die vorlegenden Gerichte den Gerichtshof in Wirklichkeit auffordern, sich zur Rechtmäßigkeit dieser Urteile des Verfassungsgerichtshofs sowie zu bestimmten Tatsachenfeststellungen des Verfassungsgerichtshofs zu äußern, was nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs falle.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point132">132</a> Hierzu ist festzustellen, dass die Vorabentscheidungsersuchen die Auslegung des Unionsrechts betreffen, sei es von Bestimmungen des Primärrechts, u. a. Art. 2, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 AEUV und Art. 47 der Charta, sei es von Bestimmungen des abgeleiteten Rechts, u. a. der Entscheidung 2006/928. Außerdem betreffen diese Ersuchen ein Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union, für dessen Auslegung der Gerichtshof zuständig ist, nämlich das PIF‑Übereinkommen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point133">133</a> Zudem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass zwar die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten in deren Zuständigkeit fällt, diese bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch die Verpflichtungen einzuhalten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 111 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Gleiche gilt im Bereich der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit der Richter wegen Nichtbeachtung der Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point134">134</a> Was das Vorbringen betrifft, wonach der Gerichtshof mit den Vorabentscheidungsersuchen im Wesentlichen dazu aufgefordert werde, die Tragweite, die Wirkungen und die Rechtmäßigkeit der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile des Verfassungsgerichtshofs zu beurteilen und sich zu bestimmten von diesem zugrunde gelegten Tatsachen zu äußern, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, zwar allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist, es jedoch Sache des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht, das ihn um Vorabentscheidung ersucht hat, unter Berücksichtigung der Angaben in der Vorlageentscheidung zu dem auf den Rechtsstreit anwendbaren nationalen Recht und zu dem ihn kennzeichnenden Sachverhalt die Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die sich als erforderlich für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erweisen können (Urteil vom 6. Oktober 2021, W.Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point135">135</a> Zum anderen ist der Gerichtshof, auch wenn es nicht seine Sache ist, im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens die Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften oder einer nationalen Rechtspraxis mit dem Unionsrecht zu beurteilen, gleichwohl befugt, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über die Frage der Vereinbarkeit zu befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, W.Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point136">136</a> Nach alledem ist der Gerichtshof für die Beantwortung der in den vorliegenden Rechtssachen gestellten Fragen, einschließlich der in Rn. 130 des vorliegenden Urteils genannten, zuständig.</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Zur </b><b>Zulässigkeit</b></i></p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Rechtssache C</i>‑<i>379/19</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point137">137</a> KI wendet die Unzulässigkeit aller drei Vorlagefragen in der Rechtssache C‑379/19 ein. In Bezug auf die erste Frage macht er geltend, dass die Antwort darauf offensichtlich sei, wobei er darauf hinweist, dass weder die Entscheidung 2006/928 noch die Empfehlungen in den auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichten der Kommission im Rahmen des Ausgangsverfahrens geltend gemacht worden seien. Was die zweite und die dritte Frage anbelangt, ist KI der Ansicht, dass die damit aufgeworfenen Fragen keinerlei Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens aufwiesen, da das vorlegende Gericht in Wirklichkeit nur versuche, sich seiner Verpflichtung zu entziehen, die Rechtsprechung aus den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen des Verfassungsgerichtshofs anzuwenden, was die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit seiner Mitglieder auslöse.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point138">138</a> Bezüglich des Umstands, dass die richtige Auslegung des Unionsrechts im vorliegenden Fall so offenkundig sei, dass sie keinen Raum für vernünftige Zweifel lasse, genügt insoweit der Hinweis, dass ein solcher Umstand, wenn er erwiesen ist, den Gerichtshof dazu veranlassen kann, durch Beschluss nach Art. 99 der Verfahrensordnung zu entscheiden, aber weder das nationale Gericht daran hindern kann, eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, noch zur Unzulässigkeit dieser Frage führen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. November 2021, IS [Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses], C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 96).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point139">139</a> Außerdem spricht nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts ist dem Gerichtshof nur möglich, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 116, und vom 2. September 2021, INPS [Geburts- und Mutterschaftsbeihilfen für Inhaber einer kombinierten Erlaubnis], C‑350/20, EU:C:2021:659, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point140">140</a> Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass das vorlegende Gericht im Rahmen eines Strafverfahrens, das u. a. Korruptionsdelikte betrifft, mit einem Antrag der beschuldigten Personen befasst worden ist, in Anwendung mehrerer Urteile des Verfassungsgerichtshofs Beweismittel, die in Protokollen über die Niederschrift von Abhörmaßnahmen bestehen, vom Verfahren auszuschließen. Gerade aber wegen seiner Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Urteile – deren Nichtbeachtung durch ein nationales Gericht außerdem die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit der Richter, die an der Entscheidung bei diesem Gericht mitgewirkt haben, auslösen kann – mit dem Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ergibt, hat das vorlegende Gericht beschlossen, den Gerichtshof im Rahmen der zweiten und der dritten Vorlagefrage u. a. zur Auslegung dieser Bestimmung zu befragen. Was die Entscheidung 2006/928 anbelangt, auf die sich die erste Vorlagefrage bezieht, ist festzustellen, dass dieses Unabhängigkeitserfordernis in Anbetracht des dritten Erwägungsgrundes dieser Entscheidung, auf den im Vorabentscheidungsersuchen Bezug genommen wird, durch die im Anhang dieser Entscheidung angeführten Vorgaben und die Empfehlungen in den auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichten der Kommission konkretisiert wird. Der Zusammenhang zwischen dem Ausgangsverfahren und den drei Vorlagefragen geht somit klar aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point141">141</a> Nach alledem sind die Vorlagefragen in der Rechtssache C‑379/19 zulässig.</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Rechtssache C</i>‑<i>547/19</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point142">142</a> Die Justizinspektion stellt die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens mit der Begründung in Abrede, dass die Art. 2 und 19 EUV sowie Art. 47 der Charta, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersuche, auf das Ausgangsverfahren nicht anwendbar seien.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point143">143</a> Hierzu ist festzustellen, dass sich der Ausgangsrechtsstreit in der Rechtssache C‑547/19 auf einen Rechtsbehelf bezieht, den ein Richter beim vorlegenden Gericht gegen die gegen ihn verhängte Disziplinarsanktion des Ausschlusses aus der Richterschaft eingelegt hat und mit dem der Betroffene die Rechtmäßigkeit der Besetzung dieses Gerichts in Abrede stellt, die gemäß den im Urteil Nr. 685/2018 des Verfassungsgerichtshofs aufgestellten Anforderungen vorgenommen wurde. Das vorlegende Gericht muss daher über diese prozessuale Einrede entscheiden und sich in diesem Rahmen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung aus diesem Urteil, die seiner Ansicht nach geeignet ist, seine Unabhängigkeit in Frage zu stellen, zur Rechtmäßigkeit seiner eigenen Besetzung äußern.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point144">144</a> Das vorlegende Gericht ist aber eine Einrichtung der Justiz, die als Gericht über Fragen der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts und somit über Fragen aus den vom Unionsrecht erfassten Bereichen zu entscheiden hat. Im vorliegenden Fall findet Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV somit auf das vorlegende Gericht Anwendung, das nach dieser Bestimmung sicherstellen muss, dass die Disziplinarregelung für Richter der nationalen Gerichte, die Bestandteil der nationalen Rechtsbehelfssysteme in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, dem Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit gerecht wird, indem sie insbesondere gewährleistet, dass die im Rahmen von Disziplinarverfahren gegen Richter dieser Gerichte erlassenen Entscheidungen von einer Einrichtung überprüft werden, die ihrerseits die Garantien eines wirksamen Rechtsschutzes erfüllt, zu denen die Unabhängigkeit zählt (Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Rahmen der Auslegung dieser Bestimmung sind sowohl Art. 2 EUV als auch Art. 47 der Charta zu berücksichtigen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point145">145</a> Daraus folgt, dass das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑547/19 zulässig ist.</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Rechtssachen C</i>‑<i>357/19, C</i>‑<i>811/19 und C</i>‑<i>840/19</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point146">146</a> In der Rechtssache C‑357/19 wenden PM, RO und TQ sowie die polnische Regierung die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens ein. Zunächst weisen PM und RO darauf hin, dass ihre persönliche rechtliche Situation in keinerlei Zusammenhang mit Straftaten stehe, die die finanziellen Interessen der Union und damit Art. 325 Abs. 1 AEUV beeinträchtigten. RO und TQ weisen sodann darauf hin, dass sich das vorlegende Gericht, indem es die außerordentlichen Rechtsbehelfe für zulässig erklärt habe, bereits zur Frage der Anwendbarkeit des Urteils Nr. 685/2018 des Verfassungsgerichtshofs geäußert habe, so dass es für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht mehr erforderlich sei, diese Frage zu klären. Die polnische Regierung schließlich vertritt die Auffassung, dass die Rechtssache C‑357/19 nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts und damit nicht in den Anwendungsbereich der Charta falle.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point147">147</a> In der Rechtssache C‑811/19 stellt die polnische Regierung ebenfalls die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in Abrede und macht geltend, dass auch diese Rechtssache nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle und die Charta daher nicht anzuwenden sei.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point148">148</a> In der Rechtssache C‑840/19 macht NC geltend, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig. In Bezug auf die erste Frage ist er der Ansicht, dass Art. 325 AEUV auf diese Rechtssache nicht anwendbar sei, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zuwiderhandlung die finanziellen Interessen der Union nicht beeinträchtige. Bezüglich der dritten Frage macht NC geltend, dass die Antwort auf diese Frage unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts keinen Raum für vernünftige Zweifel lasse. Allgemein ist NC der Ansicht, dass die Entscheidung des Ausgangsverfahrens nicht von der Beantwortung der Vorlagefragen abhänge, und macht darüber hinaus geltend, dass die Informationen und Einschätzungen des vorlegenden Gerichts bezüglich des Verfassungsgerichtshofs, insbesondere zu dessen Urteil Nr. 417/2019, unvollständig und teilweise fehlerhaft seien. Die polnische Regierung hält das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑840/19 aus denselben Gründen wie in der Rechtssache C‑811/19 für unzulässig.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point149">149</a> Zu diesen verschiedenen Aspekten ist bereits in Rn. 139 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point150">150</a> Was die Rechtssache C‑357/19 anbelangt, geht aus den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass diesem ein Strafverfahren zugrunde liegt, das gegen mehrere Personen eingeleitet wurde, die wegen Korruptionsdelikten im Zusammenhang mit der Verwaltung von Mitteln der Union und wegen Straftaten des Mehrwertsteuerbetrugs verfolgt werden. In den Rechtssachen C‑811/19 und C‑840/19 hat das vorlegende Gericht darauf hingewiesen, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Strafverfahren Korruptionsdelikte im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge betroffen hätten, die im Rahmen von mit Mitteln der Union finanzierten Projekten vergeben worden seien. In Anbetracht dieser Gesichtspunkte, deren Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat, scheint es, dass die Ausgangsverfahren zum Teil Mehrwertsteuerbetrugsdelikte betreffen, die die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigen können und somit unter Art. 325 Abs. 1 AEUV fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B., C‑42/17, EU:C:2017:936, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Hinsichtlich der Korruptionsdelikte im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge, die im Rahmen von mit Mitteln der Union finanzierten Projekten vergeben wurden, werfen die vorlegenden Gerichte u. a. die Frage auf, ob Art. 325 Abs. 1 AEUV auf solche Straftaten anwendbar ist, so dass das Argument der etwaigen Unanwendbarkeit dieser Bestimmung die Zulässigkeit der insoweit gestellten Fragen nicht in Frage stellen kann.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point151">151</a> Da das vorlegende Gericht in den Rechtssachen C‑357/19, C‑811/19 und C‑840/19 der Ansicht ist, dass die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen und die Korruptionsbekämpfung behindern könne, fragt es den Gerichtshof außerdem nach der Auslegung u. a. von Art. 325 Abs. 1 AEUV und von Art. 19 Abs. 1 EUV sowie des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts, um entscheiden zu können, ob es diese Urteile anwenden oder im Gegenteil unangewendet lassen muss. Die Anwendbarkeit dieser Urteile hätte nach den Angaben des vorlegenden Gerichts zur Folge, dass dem Rechtsbehelf stattgegeben oder ein Verfahren zur Entscheidung in der Sache wiedereröffnet werden müsste. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die erbetene Auslegung von Art. 325 AEUV, Art. 19 Abs. 1 EUV und Art. 47 der Charta, auf die in den Vorabentscheidungsersuchen Bezug genommen wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtsbehelfe in den Ausgangsverfahren steht.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point152">152</a> Was den Umstand betrifft, dass die Antwort auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑840/19 keinen Raum für Zweifel lasse, ist festzustellen, dass ein Umstand dieser Art, wie sich aus Rn. 138 des vorliegenden Urteils ergibt, weder ein nationales Gericht daran hindern kann, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, noch zur Unzulässigkeit dieser Frage führen kann.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point153">153</a> Folglich sind die Vorabentscheidungsersuchen in den Rechtssachen C‑357/19, C‑811/19 und C‑840/19 zulässig.</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Zur Beantwortung der Frage</b><b>n</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point154">154</a> Mit ihren Vorabentscheidungsersuchen fragen die vorlegenden Gerichte den Gerichtshof nach der Auslegung mehrerer Grundsätze und Bestimmungen des Unionsrechts wie Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, Art. 2 des PIF‑Übereinkommens und die Entscheidung 2006/928. Die Fragen, die sie insoweit aufwerfen, betreffen</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– die Frage, ob die Entscheidung 2006/928 und die auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte für Rumänien verbindlich sind (erste Frage in der Rechtssache C‑379/19);</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung oder Praxis – wonach Urteile im Bereich der Korruption und des Mehrwertsteuerbetrugs, die in erster Instanz nicht von in diesem Bereich spezialisierten Spruchkörpern bzw. in der Berufungsinstanz nicht von Spruchkörpern erlassen wurden, deren Mitglieder sämtlich durch Losentscheid bestimmt wurden, absolut nichtig sind, so dass die betreffenden Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsfälle, gegebenenfalls infolge eines außerordentlichen Rechtsbehelfs gegen rechtskräftige Berufungsurteile, in erster und/oder zweiter Instanz erneut geprüft werden müssen – mit dem Unionsrecht, namentlich mit Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des PIF‑Übereinkommens (erste Frage in den Rechtssachen C‑357/19 und C‑840/19 sowie erste und vierte Frage in der Rechtssache C‑811/19);</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– die Frage, ob eine nationale Regelung oder Praxis, wonach die nationalen ordentlichen Gerichte an Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts über die Zulässigkeit bestimmter Beweise und die Rechtmäßigkeit der Besetzung der Spruchkörper, die auf dem Gebiet der Korruption, des Mehrwertsteuerbetrugs und der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit von Richtern entscheiden, gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Entscheidungen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen Bestimmungen des Unionsrechts verstößt, mit dem Unionsrecht vereinbar ist, namentlich zum einen mit Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie mit der Entscheidung 2006/928 und zum anderen mit dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts (zweite und dritte Frage in den Rechtssachen C‑357/19, C‑379/19, C‑811/19 und C‑840/19 sowie einzige Frage in der Rechtssache C‑547/19).</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Zur ersten Frage in der Rechtssache C</i>‑<i>379/19</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point155">155</a> Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C‑379/19 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Entscheidung 2006/928 sowie die Empfehlungen in den auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichten der Kommission für Rumänien verbindlich sind.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point156">156</a> Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung 2006/928 eine Handlung eines Organs der Union, nämlich der Kommission, ist, die auf der Grundlage der Beitrittsakte, die zum Primärrecht der Union gehört, ergangen ist, und insbesondere einen Beschluss im Sinne von Art. 288 Abs. 4 AEUV darstellt. Die Berichte der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, die im Rahmen des mit der genannten Entscheidung geschaffenen VZÜ erstellt werden, sind ebenfalls als Handlungen eines Organs der Union anzusehen, deren Rechtsgrundlage das Unionsrecht ist, nämlich Art. 2 dieser Entscheidung (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 149).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point157">157</a> Wie aus den Erwägungsgründen 4 und 5 der Entscheidung 2006/928 hervorgeht, wurde diese im Zusammenhang mit dem Beitritt Rumäniens zur Union erlassen, der am 1. Januar 2007 auf der Grundlage der Art. 37 und 38 der Beitrittsakte erfolgte, die die Kommission ermächtigten, geeignete Maßnahmen zu erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr, dass Rumänien die im Rahmen der Beitrittsverhandlungen eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt und dadurch eine schwere Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts hervorruft, bzw. die unmittelbare Gefahr ernster Mängel in Rumänien hinsichtlich der Beachtung des Unionsrechts betreffend den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts besteht.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point158">158</a> Die Entscheidung 2006/928 wurde aber wegen des Bestehens unmittelbarer Gefahren der in den Art. 37 und 38 der Beitrittsakte genannten Art erlassen. Wie nämlich aus dem Monitoring-Bericht der Kommission vom 26. September 2006 über den Stand der Beitrittsvorbereitungen Bulgariens und Rumäniens (KOM[2006] 549 endgültig) hervorgeht, auf den im vierten Erwägungsgrund der Entscheidung 2006/928 Bezug genommen wird, stellte die Kommission fest, dass in Rumänien Mängel u. a. in den Bereichen Justiz und Korruption fortbestanden, und schlug dem Rat vor, den Beitritt dieses Staates zur Union von der Einführung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung zur Behebung dieser Mängel abhängig zu machen. Zu diesem Zweck wurden mit dieser Entscheidung, wie u. a. aus deren Erwägungsgründen 4 und 6 hervorgeht, das VZÜ eingeführt und in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung die in Art. 1 der Entscheidung genannten und in deren Anhang ausgeführten Vorgaben festgelegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 157 und 158).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point159">159</a> Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und der Binnenmarkt beruhen insoweit – wie es in den Erwägungsgründen 2 und 3 der Entscheidung 2006/928 heißt – auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, dass ihre Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen und ihre Verwaltungs- und Gerichtspraxis in jeder Hinsicht mit dem Rechtsstaatsprinzip im Einklang stehen, was bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten über ein unparteiisches, unabhängiges und effizientes Justiz- und Verwaltungssystem verfügen müssen, das ausreichend dafür ausgestattet ist, u. a. Korruption zu bekämpfen (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 159).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point160">160</a> Nach Art. 49 EUV, wonach jeder europäische Staat beantragen kann, Mitglied der Union zu werden, besteht die Union aber aus Staaten, die die in Art. 2 EUV genannten Werte von sich aus und freiwillig übernommen haben, diese achten und sich für deren Förderung einsetzen. Aus Art. 2 EUV geht insbesondere hervor, dass sich die Union auf Werte wie die Rechtsstaatlichkeit gründet, die allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft, die sich u. a. durch Gerechtigkeit auszeichnet, gemeinsam sind. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und insbesondere zwischen deren Gerichten auf der Prämisse beruht, dass die Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilen, auf die sich, wie es im genannten Artikel heißt, die Union gründet (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 160 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point161">161</a> Somit stellt die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte eine Vorbedingung für den Beitritt jedes europäischen Staates, der Mitglied der Union werden möchte, zur Union dar. In diesem Kontext wurde das VZÜ mit der Entscheidung 2006/928 eingeführt, um die Wahrung des Wertes der Rechtsstaatlichkeit in Rumänien zu gewährleisten (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 161).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point162">162</a> Außerdem ist die Achtung der in Art. 2 EUV verankerten Werte durch einen Mitgliedstaat eine Voraussetzung für den Genuss aller Rechte, die sich aus der Anwendung der Verträge auf diesen Mitgliedstaat ergeben. Ein Mitgliedstaat darf daher seine Rechtsvorschriften nicht dergestalt ändern, dass der Schutz des Wertes der Rechtsstaatlichkeit vermindert wird, eines Wertes, der namentlich durch Art. 19 EUV konkretisiert wird. Die Mitgliedstaaten müssen somit dafür Sorge tragen, dass sie jeden nach Maßgabe dieses Wertes eintretenden Rückschritt in ihren Rechtsvorschriften über die Organisation der Justiz vermeiden, indem sie davon absehen, Regeln zu erlassen, die die richterliche Unabhängigkeit untergraben würden (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 162 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 51).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point163">163</a> In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die vor dem Beitritt von den Organen der Union erlassenen Rechtsakte, zu denen die Entscheidung 2006/928 zählt, für Rumänien nach Art. 2 der Beitrittsakte seit seinem Beitritt zur Union bindend sind und gemäß Art. 2 Abs. 3 des Beitrittsvertrags bis zu ihrer Aufhebung in Kraft bleiben (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 163).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point164">164</a> Was insbesondere die auf der Grundlage der Art. 37 und 38 der Beitrittsakte erlassenen Maßnahmen anbelangt, ermächtigte zwar der jeweilige Abs. 1 dieser Artikel die Kommission, die in diesen Artikeln genannten Maßnahmen „für einen Zeitraum von bis zu drei Jahren nach dem Beitritt“ zu erlassen, jedoch ist im jeweiligen Abs. 2 dieser Artikel ausdrücklich vorgesehen worden, dass die so erlassenen Maßnahmen über diesen Zeitraum hinaus angewandt werden könnten, solange die einschlägigen Verpflichtungen nicht erfüllt wären oder die festgestellten Mängel fortbestünden, und dass die genannten Maßnahmen erst aufgehoben würden, wenn die einschlägige Verpflichtung erfüllt oder der betreffende Mangel beseitigt wäre. Außerdem wird im neunten Erwägungsgrund der Entscheidung 2006/928 selbst klargestellt, dass diese „aufzuheben [ist], wenn alle Vorgaben zufriedenstellend erfüllt sind“.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point165">165</a> Folglich entfaltet die Entscheidung 2006/928 ihre Wirkungen über den Zeitpunkt des Beitritts Rumäniens zur Union hinaus, solange sie nicht aufgehoben worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 165).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point166">166</a> Bezüglich der Frage, ob und inwieweit die Entscheidung 2006/928 für Rumänien verbindlich ist, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 288 Abs. 4 AEUV wie Art. 249 Abs. 4 EG vorsieht, dass Beschlüsse „in allen ihren Teilen“ für diejenigen „verbindlich“ sind, die sie bezeichnen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point167">167</a> Gemäß ihrem Art. 4 ist die Entscheidung 2006/928 an alle Mitgliedstaaten gerichtet, was Rumänien seit seinem Beitritt einschließt. Diese Entscheidung ist daher für diesen Mitgliedstaat seit seinem Beitritt zur Union in allen ihren Teilen verbindlich. Mit dieser Entscheidung wird Rumänien somit verpflichtet, die in ihrem Anhang aufgeführten Vorgaben zu erfüllen und der Kommission gemäß Art. 1 Abs. 1 jährlich über die insoweit erzielten Fortschritte zu berichten (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 167 und 168).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point168">168</a> Insbesondere bezüglich dieser Vorgaben ist hinzuzufügen, dass diese, wie sich aus den Rn. 157 bis 162 des vorliegenden Urteils ergibt, aufgrund der von der Kommission vor dem Beitritt Rumäniens zur Union u. a. in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung festgestellten Mängel festgelegt wurden und bezwecken, die Achtung des in Art. 2 EUV verankerten Wertes der Rechtsstaatlichkeit durch diesen Mitgliedstaat zu gewährleisten, was Voraussetzung für die Wahrnehmung aller Rechte ist, die sich aus der Anwendung der Verträge auf diesen Mitgliedstaat ergeben. Außerdem konkretisieren diese Vorgaben die von Rumänien beim Abschluss der Beitrittsverhandlungen am 14. Dezember 2004 übernommenen bzw. akzeptierten besonderen Verpflichtungen und Anforderungen, die in Anhang IX der Beitrittsakte aufgeführt sind, betreffend u. a. die Bereiche Justiz und Korruptionsbekämpfung. Daher bestand, wie sich aus den Erwägungsgründen 4 und 6 der Entscheidung 2006/928 ergibt, der Zweck der Einführung des VZÜ und der Festlegung der Vorgaben darin, den Beitritt Rumäniens zur Union zu vollenden, um die von der Kommission vor dem Beitritt in diesen Bereichen festgestellten Mängel zu beheben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 169 bis 171).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point169">169</a> Daraus folgt, dass die Vorgaben für Rumänien verbindlich sind, so dass dieser Mitgliedstaat der besonderen Verpflichtung unterliegt, diese Vorgaben zu erreichen und alsbald die zu deren Erreichung geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Ebenso ist dieser Mitgliedstaat verpflichtet, von der Durchführung aller Maßnahmen abzusehen, die die Erreichung dieser Vorgaben gefährden könnten (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 172).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point170">170</a> Zu den von der Kommission auf der Grundlage der Entscheidung 2006/928 erstellten Berichten ist darauf hinzuweisen, dass für die Feststellung, ob eine Handlung der Union verbindliche Wirkungen erzeugt, auf das Wesen dieser Handlung abzustellen ist und ihre Wirkungen anhand objektiver Kriterien wie z. B. des Inhalts der Handlung zu beurteilen sind, wobei gegebenenfalls der Zusammenhang ihres Erlasses und die Befugnisse des die Handlung vornehmenden Organs zu berücksichtigen sind (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 173 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point171">171</a> Im vorliegenden Fall sind die auf der Grundlage der Entscheidung 2006/928 erstellten Berichte gemäß deren Art. 2 Abs. 1 zwar nicht an Rumänien, sondern an das Parlament und den Rat gerichtet. Außerdem enthalten diese Berichte zwar eine Analyse der Situation in Rumänien und werden darin Anforderungen in Bezug auf diesen Mitgliedstaat formuliert, doch werden mit den darin enthaltenen Schlussfolgerungen unter Bezugnahme auf diese Anforderungen „Empfehlungen“ an diesen Mitgliedstaat gerichtet.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point172">172</a> Allerdings sind diese Berichte, wie sich aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 2 der genannten Entscheidung ergibt, dazu bestimmt, die Fortschritte, die Rumänien im Hinblick auf die von diesem Mitgliedstaat zu erreichenden Vorgaben erzielt hat, zu analysieren und zu bewerten. Was insbesondere die Empfehlungen in diesen Berichten anbelangt, so werden diese im Hinblick auf die Verwirklichung dieser Ziele formuliert, um die Reformen dieses Mitgliedstaats in dieser Hinsicht zu leiten (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 175).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point173">173</a> Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet sind, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, sowie die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beheben; diese Verpflichtung obliegt im Rahmen seiner Zuständigkeiten jedem Organ des betreffenden Mitgliedstaats (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 176 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point174">174</a> Unter diesen Umständen muss Rumänien, um den im Anhang der Entscheidung 2006/928 aufgeführten Vorgaben zu entsprechen, den in den von der Kommission aufgrund dieser Entscheidung erstellten Berichten formulierten Anforderungen und Empfehlungen gebührend Rechnung tragen. Insbesondere darf dieser Mitgliedstaat keine Maßnahmen in den von den Vorgaben erfassten Bereichen erlassen oder beibehalten, die das von diesen Vorgaben vorgeschriebene Ergebnis gefährden könnten. In dem Fall, dass die Kommission in einem solchen Bericht Zweifel an der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit einer der Vorgaben äußert, obliegt es Rumänien, redlich mit diesem Organ zusammenzuarbeiten, um unter vollständiger Beachtung dieser Vorgaben und der Bestimmungen der Verträge die bei der Erfüllung dieser Vorgaben aufgetretenen Schwierigkeiten zu überwinden (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 177).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point175">175</a> Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑379/19 zu antworten, dass die Entscheidung 2006/928 für Rumänien in allen ihren Teilen verbindlich ist, solange sie nicht aufgehoben worden ist. Die in ihrem Anhang aufgeführten Vorgaben sollen sicherstellen, dass dieser Mitgliedstaat den in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit beachtet, und sind für diesen Mitgliedstaat in dem Sinne verbindlich, dass er verpflichtet ist, die zur Erreichung dieser Vorgaben geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, wobei er gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV genannten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die von der Kommission auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte, insbesondere die in diesen Berichten formulierten Empfehlungen, gebührend zu berücksichtigen hat.</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Zur ersten Frage in den Rechtssachen C</i>‑<i>357/19 und C</i>‑<i>840/19 sowie zur ersten und zur vierten Frage in der Rechtssache C</i>‑<i>811/19</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point176">176</a> Mit der ersten Frage in den Rechtssachen C‑357/19 und C‑840/19 sowie der ersten und der vierten Frage in der Rechtssache C‑811/19, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des PIF‑Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach Urteile im Bereich der Korruption und des Mehrwertsteuerbetrugs, die in erster Instanz nicht von in diesem Bereich spezialisierten Spruchkörpern bzw. in der Berufungsinstanz nicht von Spruchkörpern erlassen wurden, deren Mitglieder sämtlich durch Losentscheid bestimmt wurden, absolut nichtig sind, so dass die betreffenden Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsfälle, gegebenenfalls infolge eines außerordentlichen Rechtsbehelfs gegen rechtskräftige Urteile, in erster und/oder zweiter Instanz erneut geprüft werden müssen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point177">177</a> Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht in diesen Rechtssachen die erheblichen Auswirkungen hervorhebt, die die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 betreffend die Besetzung der Spruchkörper des Obersten Kassations- und Gerichtshofs auf die Wirksamkeit der Strafverfolgung, der Sanktionen sowie der Vollstreckung der Sanktionen im Bereich der Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsdelikte, wie sie gegen die Angeklagten verhängt wurden, haben könnte; zu den Angeklagten zählen Personen, die zur Zeit der ihnen zur Last gelegten Taten die höchsten Ämter des rumänischen Staates bekleideten. Es möchte daher vom Gerichtshof wissen, ob eine solche Rechtsprechung mit dem Unionsrecht vereinbar ist.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point178">178</a> Die Fragen, die es insoweit stellt, beziehen sich zwar formal auf Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des PIF‑Übereinkommens, ohne auf die Entscheidung 2006/928 Bezug zu nehmen, doch sind diese Entscheidung sowie die in ihrem Anhang aufgeführten Vorgaben für die Beantwortung dieser Fragen relevant. Obgleich das vorlegende Gericht in seinen Fragen auch auf Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und die Richtlinien 2015/849 und 2017/1371 Bezug nimmt, erscheint hingegen eine Prüfung, die sich darüber hinaus auf die letztgenannten Bestimmungen erstrecken würde, nicht erforderlich, um auf die mit diesen Fragen aufgeworfenen Fragestellungen zu antworten. Zu diesen Richtlinien ist im Übrigen festzustellen, dass der in den Ausgangsverfahren maßgebliche Zeitraum vor ihrem Inkrafttreten liegt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point179">179</a> Unter diesen Umständen sind die genannten Fragen sowohl anhand von Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des PIF‑Übereinkommens als auch anhand der Entscheidung 2006/928 zu beantworten.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point180">180</a> Insoweit sieht das Unionsrecht, wie in Rn. 133 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, bei seinem gegenwärtigen Stand, keine Vorschriften über die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten und insbesondere nicht über die Besetzung der Spruchkörper im Bereich der Korruption und des Betrugs vor. Daher fallen diese Vorschriften grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Allerdings haben diese Staaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die Verpflichtungen einzuhalten, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point181">181</a> Was Art. 325 Abs. 1 AEUV anbelangt, so verpflichtet diese Bestimmung die Mitgliedstaaten, Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit abschreckenden Maßnahmen zu bekämpfen (Urteile vom 5. Juni 2018, Kolev u. a., C‑612/15, EU:C:2018:392, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Januar 2019, Dzivev u. a., C‑310/16, EU:C:2019:30, Rn. 25).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point182">182</a> Um den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten, obliegt es in diesem Zusammenhang namentlich den Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die tatsächliche und vollständige Erhebung der Eigenmittel sicherzustellen, die in den Einnahmen bestehen, die sich aus der Anwendung eines einheitlichen Satzes auf die einheitliche Mehrwertsteuer-Eigenmittelbemessungsgrundlage ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B., C‑42/17, EU:C:2017:936, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 5. Juni 2018, Kolev u. a., C‑612/15, EU:C:2018:392, Rn. 51 und 52). Ebenso sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um die Beträge wiedereinzuziehen, die dem Empfänger einer teilweise aus dem Unionshaushalt finanzierten Subvention zu Unrecht gezahlt worden sind (Urteil vom 1. Oktober 2020, Úrad špeciálnej prokuratúry, C‑603/19, EU:C:2020:774, Rn. 55).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point183">183</a> Wie der Generalanwalt in den Nrn. 94 und 95 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑357/19 und C‑547/19 im Kern ausgeführt hat, umfasst der Begriff der „finanziellen Interessen“ der Union im Sinne von Art. 325 Abs. 1 AEUV daher nicht nur die dem Unionshaushalt zur Verfügung gestellten Einnahmen, sondern auch die von diesem Haushalt gedeckten Ausgaben. Diese Auslegung wird durch die Definition des Begriffs „Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der [Union]“ in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und b des PIF‑Übereinkommens bestätigt, der sich auf verschiedene vorsätzliche Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang sowohl mit Ausgaben als auch mit Einnahmen bezieht.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point184">184</a> Was ferner den Ausdruck „sonstige rechtswidrige Handlungen“ in Art. 325 Abs. 1 AEUV betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „rechtswidrige Handlungen“ üblicherweise gesetzwidrige Verhaltensweisen bezeichnet. Dabei weist das Attribut „sonstige“ darauf hin, dass alle diese Verhaltensweisen unterschiedslos erfasst werden. Im Übrigen kann im Hinblick auf die Bedeutung, die dem Schutz der finanziellen Interessen der Union, einem ihrer Ziele, beizumessen ist, der Begriff „rechtswidrige Handlung“ nicht eng ausgelegt werden (Urteil vom 2. Mai 2018, Scialdone, C‑574/15, EU:C:2018:295, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point185">185</a> Wie der Generalanwalt in Nr. 100 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑357/19 und C‑547/19 im Kern ausgeführt hat, umfasst der Begriff „rechtswidrige Handlung“ u. a. jede Bestechlichkeit von Beamten oder jeden Missbrauch eines öffentlichen Amtes durch Beamte, die bzw. der geeignet ist, die finanziellen Interessen der Union zu beeinträchtigen, z. B. in Form einer unrechtmäßigen Erlangung von Mitteln der Union. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob das Korruptionsdelikt in einer Handlung oder in einer Unterlassung des betroffenen Beamten zum Ausdruck kommt, da eine Unterlassung die finanziellen Interessen der Union ebenso schädigen kann wie eine Handlung und mit einem solchen Delikt untrennbar verbunden sein kann, wie z. B. das Versäumnis eines Beamten, die erforderlichen Kontrollen und Überprüfungen für vom Unionshaushalt gedeckte Ausgaben durchzuführen, oder die Genehmigung unangemessener oder unzutreffender Ausgaben aus Mitteln der Union.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point186">186</a> Der Umstand, dass sich Art. 2 Abs. 1 des PIF‑Übereinkommens in Verbindung mit dessen Art. 1 Abs. 1 nur auf Betrug bezieht, der sich gegen die finanziellen Interessen der Union richtet, kann diese Auslegung von Art. 325 Abs. 1 AEUV nicht entkräften, der ausdrücklich auf „Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen“ abstellt. Wie sich zudem aus Art. 1 Buchst. a des PIF‑Übereinkommens ergibt, erfüllt eine missbräuchliche Verwendung von Mitteln aus dem Unionshaushalt zu anderen Zwecken als denen, für die sie ursprünglich gewährt worden sind, den Tatbestand des Betrugs; eine solche missbräuchliche Verwendung kann zudem auch Ursache oder Ergebnis einer Korruptionshandlung sein. Damit zeigt sich, dass Korruptionshandlungen mit Betrugsfällen zusammenhängen können und umgekehrt die Begehung eines Betrugs durch Korruptionshandlungen erleichtert werden kann, so dass sich eine etwaige Beeinträchtigung der finanziellen Interessen in bestimmten Fällen aus dem Zusammentreffen eines Mehrwertsteuerbetrugs mit Korruptionshandlungen ergeben kann. Wie der Generalanwalt in Nr. 98 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑357/19 und C‑547/19 im Kern ausgeführt hat, wird das mögliche Vorliegen eines solchen Zusammenhangs durch das Protokoll zum PIF‑Übereinkommen bestätigt, das nach seinen Art. 2 und 3 Bestechlichkeits- und Bestechungstaten erfasst.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point187">187</a> Außerdem hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass auch Unregelmäßigkeiten, die keine konkreten finanziellen Auswirkungen haben, die finanziellen Belange der Union ernsthaft beeinträchtigen können (Urteil vom 21. Dezember 2011, Chambre de commerce et d’industrie de l’Indre, C‑465/10, EU:C:2011:867, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie der Generalanwalt in Nr. 103 seiner Schlussanträge in den Rechtssachen C‑357/19 und C‑547/19 ausgeführt hat, können unter Art. 325 Abs. 1 AEUV daher nicht nur Taten fallen, die tatsächlich einen Verlust an Eigenmitteln verursachen, sondern auch der Versuch solcher Taten.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point188">188</a> In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass, was Rumänien anbelangt, die Pflicht zur Bekämpfung von Korruption zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, wie sie sich aus Art. 325 Abs. 1 AEUV ergibt, durch die besonderen Verpflichtungen ergänzt wird, die dieser Mitgliedstaat beim Abschluss der Beitrittsverhandlungen am 14. Dezember 2004 übernommen hat. Gemäß Ziff. I Nr. 4 des Anhangs IX der Beitrittsakte hat sich dieser Mitgliedstaat nämlich u. a. zu einem „[w]esentlich verschärfte[n] Vorgehen gegen Korruption und insbesondere gegen Korruption auf hoher Ebene, indem die Korruptionsbekämpfungsgesetze rigoros durchgesetzt werden“, verpflichtet. Diese besondere Verpflichtung wurde in der Folge durch den Erlass der Entscheidung 2006/928 konkretisiert, mit der Vorgaben festgelegt wurden, um die von der Kommission vor dem Beitritt Rumäniens zur Union u. a. im Bereich der Korruptionsbekämpfung festgestellten Mängel zu beheben. So ist in Nr. 3 des Anhangs dieser Entscheidung, in dem diese Vorgaben aufgeführt sind, die Vorgabe der „Konsolidierung bereits erreichter Fortschritte bei der Durchführung fachmännischer und unparteiischer Untersuchungen bei Korruptionsverdacht auf höchster Ebene“ genannt und in Nr. 4 dieses Anhangs die Vorgabe der „Ergreifung weiterer Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption, insbesondere in den Kommunalverwaltungen“.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point189">189</a> Wie in Rn. 169 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, sind die Vorgaben, zu deren Erfüllung sich Rumänien somit verpflichtet hat, für diesen Mitgliedstaat in dem Sinne verbindlich, dass er der besonderen Verpflichtung unterliegt, diese Vorgaben zu erreichen und alsbald die zu deren Erreichung geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Ebenso ist dieser Mitgliedstaat verpflichtet, von der Durchführung aller Maßnahmen abzusehen, die die Erreichung dieser Vorgaben gefährden könnten. Die Verpflichtung zur wirksamen Bekämpfung der Korruption, insbesondere der Korruption auf höchster Ebene, die sich aus den im Anhang der Entscheidung 2006/928 aufgeführten Vorgaben in Verbindung mit den besonderen Verpflichtungen Rumäniens ergibt, ist jedoch nicht auf Fälle der Korruption zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union beschränkt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point190">190</a> Im Übrigen ergibt sich zum einen aus den Vorgaben in Art. 325 Abs. 1 AEUV – die dazu verpflichten, Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen zu bekämpfen – und zum anderen aus den Vorgaben in der Entscheidung 2006/928 – die verlangen, Korruption im Allgemeinen zu verhüten und zu bekämpfen –, dass Rumänien für solche Straftaten die Anwendung wirksamer und abschreckender Sanktionen vorsehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2018, Kolev u. a., C‑612/15, EU:C:2018:392, Rn. 53).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point191">191</a> Insoweit kann dieser Mitgliedstaat zwar die anwendbaren Sanktionen frei wählen, wobei es sich um verwaltungsrechtliche oder strafrechtliche Sanktionen oder um eine Kombination aus beiden handeln kann, doch ist er nach Art. 325 Abs. 1 AEUV verpflichtet, dafür zu sorgen, dass gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete schwere Betrugs- und Korruptionsdelikte durch wirksame und abschreckende Strafen geahndet werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 2018, Kolev u. a., C‑612/15, EU:C:2018:392, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Januar 2019, Dzivev u. a., C‑310/16, EU:C:2019:30, Rn. 27). Des Weiteren ergibt sich, was Korruptionsdelikte im Allgemeinen anbelangt, die Verpflichtung, wirksame und abschreckende Strafen vorzusehen, für Rumänien aus der Entscheidung 2006/928, da diese Entscheidung, wie in Rn. 189 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, diesen Mitgliedstaat verpflichtet, Korruption, insbesondere Korruption auf höchster Ebene, wirksam und unabhängig von einer etwaigen Beeinträchtigung der finanziellen Interessen der Union zu bekämpfen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point192">192</a> Außerdem ist es Sache Rumäniens, sicherzustellen, dass seine strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Vorschriften eine wirksame Ahndung von Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union und von Korruptionsdelikten im Allgemeinen ermöglichen. Somit fallen zwar die zur Bekämpfung dieser Straftaten vorgesehenen Sanktionen und eingerichteten Strafverfahren in die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats, doch wird diese Zuständigkeit nicht nur durch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Äquivalenz beschränkt, sondern auch durch den Grundsatz der Effektivität, der besagt, dass diese Sanktionen wirksam und abschreckend sein müssen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 2. Mai 2018, Scialdone, C‑574/15, EU:C:2018:295, Rn. 29, und vom 17. Januar 2019, Dzivev u. a., C‑310/16, EU:C:2019:30, Rn. 29 und 30). Dieses Effektivitätserfordernis erstreckt sich notwendigerweise sowohl auf die Verfolgung und die Sanktionierung von Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union und von Korruptionsdelikten im Allgemeinen als auch auf die Vollstreckung der verhängten Strafen, da die Sanktionen nicht wirksam und abschreckend sein können, wenn sie nicht vollstreckt werden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point193">193</a> In diesem Zusammenhang obliegt es in erster Linie dem nationalen Gesetzgeber, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Er hat gegebenenfalls die Rechtslage zu ändern und sicherzustellen, dass die Verfahrensvorschriften, die für die Verfolgung und Sanktionierung von Betrugsstraftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union und von Korruptionsdelikten im Allgemeinen gelten, nicht so gestaltet sind, dass aus ihnen selbst innewohnenden Gründen die systemische Gefahr besteht, dass solche Straftaten ungeahndet bleiben, und dabei auch den Schutz der Grundrechte der Beschuldigten zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 2018, Kolev u. a., C‑612/15, EU:C:2018:392, Rn. 65, und vom 17. Januar 2019, Dzivev u. a., C‑310/16, EU:C:2019:30, Rn. 31).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point194">194</a> Die nationalen Gerichte müssen den Verpflichtungen, die sich aus Art. 325 Abs. 1 AEUV und der Entscheidung 2006/928 ergeben, volle Wirkung verleihen und innerstaatliche Rechtsvorschriften unangewendet lassen, wenn diese im Rahmen eines Verfahrens über schwere Betrugsdelikte zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder über Korruptionsdelikte im Allgemeinen der Verhängung effektiver und abschreckender Strafen zur Bekämpfung solcher Straftaten entgegenstehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B., C‑42/17, EU:C:2017:936, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 17. Januar 2019, Dzivev u. a., C‑310/16, EU:C:2019:30, Rn. 32, und vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 249 und 251).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point195">195</a> Im vorliegenden Fall geht aus den Angaben in den Vorabentscheidungsersuchen in den Rechtssachen C‑357/19, C‑811/19 und C‑840/19, die in den Rn. 60, 95 und 107 des vorliegenden Urteils zusammengefasst worden sind, hervor, dass der Verfassungsgerichtshof nach Anrufung durch den Präsidenten der Abgeordnetenkammer mit Urteil Nr. 417/2019 vom 3. Juli 2019 anordnete, dass alle Rechtssachen, über die der Oberste Kassations- und Gerichtshof vor dem 23. Januar 2019 in erster Instanz entschieden hatte und in denen die von diesem Gericht erlassenen Entscheidungen zum Zeitpunkt dieses Urteils noch nicht rechtskräftig geworden waren, von den im Einklang mit Art. 29 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 78/2000 in der Auslegung durch den Verfassungsgerichtshof gebildeten spezialisierten Spruchkörpern erneut zu prüfen seien. Nach diesen Angaben implizieren die Erkenntnisse aus dem Urteil Nr. 417/2019 eine erneute Prüfung in erster Instanz u. a. aller Rechtssachen, die am 23. Januar 2019 in der Berufungsinstanz anhängig waren oder in denen das Berufungsurteil zu diesem Zeitpunkt noch Gegenstand eines außerordentlichen Rechtsmittels sein konnte. Aus den genannten Angaben geht außerdem hervor, dass der Verfassungsgerichtshof nach Anrufung durch den Ministerpräsidenten in seinem Urteil Nr. 685/2018 vom 7. November 2018 entschied, dass die Bestimmung von nur vier der fünf Mitglieder der über Berufungen entscheidenden Spruchkörper mit fünf Richtern des Obersten Kassations- und Gerichtshofs durch Losentscheid gegen Art. 32 des Gesetzes Nr. 304/2004 in geänderter Fassung verstoßen habe. Dabei stellte er klar, dass dieses Urteil ab dem Zeitpunkt seiner Veröffentlichung u. a. für anhängige Rechtssachen und für Rechtssachen, über die bereits entschieden worden sei, gelte, sofern für die Rechtsunterworfenen die Frist für die Einlegung der geeigneten außerordentlichen Rechtsbehelfe noch nicht abgelaufen sei, und dass die Rechtsprechung aus diesem Urteil eine erneute Prüfung all dieser Rechtssachen in der Berufungsinstanz verlangt, und zwar durch Spruchkörper, deren Mitglieder sämtlich durch Losentscheid bestimmt werden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point196">196</a> Wie sich im Übrigen aus Rn. 108 des vorliegenden Urteils ergibt, kann die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den in der vorstehenden Randnummer angeführten Urteilen mehrmals nacheinander Anwendung finden. Dies kann bei einem Angeklagten in einer Situation wie der von KN die Notwendigkeit einer doppelten Prüfung der Rechtssache in erster Instanz und gegebenenfalls einer dreifachen Prüfung in der Berufungsinstanz nach sich ziehen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point197">197</a> Somit hat die sich aus dieser Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ergebende Notwendigkeit einer erneuten Prüfung der betreffenden Korruptionsfälle zwangsläufig zur Folge, dass die Dauer der entsprechenden Strafverfahren verlängert wird. Indes hatte Rumänien sich, wie sich aus Ziff. I Nr. 5 des Anhangs IX der Beitrittsakte ergibt, verpflichtet, „die schwerfällige Strafprozessordnung bis Ende 2005 zu überarbeiten, um sicherzustellen, dass Korruptionsfälle rasch und auf transparente Weise bearbeitet und angemessene Sanktionen mit abschreckender Wirkung vorgesehen werden“. Überdies hat der Gerichtshof entschieden, dass in Anbetracht der spezifischen Verpflichtungen, die diesem Mitgliedstaat nach der Entscheidung 2006/928 im Bereich der Korruptionsbekämpfung obliegen, die nationalen Vorschriften und die nationale Praxis in diesem Bereich nicht dazu führen dürfen, dass sich die Dauer der Ermittlungen bei Korruptionsdelikten verlängert oder in irgendeiner anderen Weise die Bekämpfung der Korruption geschwächt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 214).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point198">198</a> Zudem hat das vorlegende Gericht in den Rechtssachen C‑357/19, C‑811/19 und C‑840/19 nicht nur auf die Komplexität und die Dauer einer solchen erneuten Prüfung vor dem Obersten Kassations- und Gerichtshof verwiesen, sondern auch auf die nationalen Verjährungsregeln, insbesondere auf Art. 155 Abs. 4 des Strafgesetzbuchs, wonach die Verjährung unabhängig von der Anzahl der Unterbrechungen spätestens an dem Tag eintritt, an dem eine Frist verstrichen ist, die dem Doppelten der jeweiligen gesetzlichen Verjährungsfrist entspricht. Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Anwendung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 in einer beträchtlichen Zahl von Fällen zur Verjährung von Straftaten führen könne, so dass sie eine systemische Gefahr der Straflosigkeit bei schweren Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder bei Korruptionsdelikten im Allgemeinen berge.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point199">199</a> Schließlich verfügt der Oberste Kassations- und Gerichtshof nach den Angaben in den Vorabentscheidungsersuchen über die ausschließliche Zuständigkeit für die Entscheidung über sämtliche Betrugsdelikte, die die finanziellen Interessen der Union beeinträchtigen können, und über Korruptionsdelikte im Allgemeinen, die von Personen begangen werden, die die höchsten Ämter des rumänischen Staates im Rahmen der Exekutive, der Legislative oder der Judikative bekleiden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point200">200</a> Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass eine systemische Gefahr der Straflosigkeit nicht ausgeschlossen werden kann, wenn die Anwendung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 in Verbindung mit der Anwendung der nationalen Verjährungsvorschriften bewirkt, dass eine ganz konkrete Gruppe von Personen nicht wirksam und abschreckend sanktioniert wird, nämlich im vorliegenden Fall diejenigen, die die höchsten Ämter des rumänischen Staates bekleiden und wegen der Begehung schwerer Betrugs- und/oder Korruptionstaten in Ausübung ihres Amtes durch ein Urteil des Obersten Kassations- und Gerichtshofs in erster Instanz und/oder in der Berufungsinstanz verurteilt wurden, wobei dieses Urteil Gegenstand einer Berufung und/oder eines außerordentlichen Rechtsmittels vor eben diesem Gericht gewesen ist.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point201">201</a> Denn obwohl zeitlich begrenzt, können diese Urteile des Verfassungsgerichtshofs u. a. unmittelbare und allgemeine Auswirkungen auf diese Personengruppe haben, da sie die absolute Nichtigkeit eines solchen Urteils des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, mit dem eine Verurteilung ausgesprochen wurde, bewirken und eine erneute Prüfung der betreffenden Betrugs- und/oder Korruptionsfälle verlangen und dadurch dazu führen können, dass die Dauer der entsprechenden Strafverfahren über die geltenden Verjährungsfristen hinaus verlängert wird, wodurch die Gefahr der Straflosigkeit in Bezug auf die genannte Personengruppe systemisch wird.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point202">202</a> Eine solche Gefahr würde aber das sowohl mit Art. 325 Abs. 1 AEUV als auch mit der Entscheidung 2006/928 verfolgte Ziel in Frage stellen, das darin besteht, Korruption auf höchster Ebene durch wirksame und abschreckende Sanktionen zu bekämpfen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point203">203</a> Daraus folgt, dass – sollte das vorlegende Gericht in den Rechtssachen C‑357/19, C‑811/19 und C‑840/19 zu dem Schluss gelangen, dass die Anwendung der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 in Verbindung mit der Anwendung der nationalen Verjährungsvorschriften, insbesondere der in Art. 155 Abs. 4 des Strafgesetzbuchs vorgesehenen absoluten Verjährungsfrist, ein systemisches Risiko der Straflosigkeit bei schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder bei Korruptionsdelikten im Allgemeinen birgt – die im nationalen Recht vorgesehenen Sanktionen zur Bekämpfung solcher Straftaten nicht als wirksam und abschreckend angesehen werden könnten, was mit Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des PIF‑Übereinkommens sowie mit der Entscheidung 2006/928 unvereinbar wäre.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point204">204</a> Da die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Strafverfahren eine Durchführung von Art. 325 Abs. 1 AEUV und/oder der Entscheidung 2006/928 und damit des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellen, muss sich dieses vorlegende Gericht allerdings auch vergewissern, dass die Grundrechte, die den in den Ausgangsverfahren betroffenen Personen durch die Charta garantiert werden, insbesondere die in Art. 47 der Charta garantierten, beachtet werden. Im Bereich des Strafrechts ist die Beachtung dieser Rechte nicht nur im Ermittlungsverfahren zu gewährleisten, sobald gegen den Betroffenen eine Beschuldigung erhoben wird, sondern auch im strafrechtlichen Erkenntnisverfahren (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 2018, Kolev u. a., C‑612/15, EU:C:2018:392, Rn. 68 und 71 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 17. Januar 2019, Dzivev u. a., C‑310/16, EU:C:2019:30, Rn. 33) sowie im Rahmen der Strafvollstreckung.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point205">205</a> Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta das Recht einer jeden Person verankert ist, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Mit dem Erfordernis, dass das Gericht „zuvor durch Gesetz errichtet“ sein muss, soll diese Bestimmung sicherstellen, dass die Organisation des Justizsystems durch ein von der Legislative im Einklang mit den Vorschriften über die Ausübung seiner Zuständigkeit erlassenes Gesetz geregelt wird, um zu verhindern, dass diese Organisation in das Ermessen der Exekutive gestellt wird. Dieses Erfordernis gilt für die Rechtsgrundlage für die Existenz des Gerichts sowie für alle weiteren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, deren Nichtbeachtung die Teilnahme eines oder mehrerer Richter an der Verhandlung über die betreffende Rechtssache vorschriftswidrig macht, wie etwa die Vorschriften über die Besetzung des Spruchkörpers (vgl. entsprechend, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 EMRK, Urteile vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 73, sowie vom 6. Oktober 2021, W.Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 129).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point206">206</a> Eine vorschriftswidrige Besetzung der Spruchkörper stellt aber insbesondere dann einen Verstoß gegen Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta dar, wenn die Art und Schwere der Vorschriftswidrigkeit dergestalt ist, dass sie die tatsächliche Gefahr begründet, dass andere Teile der Staatsgewalt – insbesondere die Exekutive – ein ihnen nicht zustehendes Ermessen ausüben können, wodurch die Integrität des Ergebnisses des Verfahrens zur Besetzung der Spruchkörper beeinträchtigt und so beim Einzelnen berechtigte Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des oder der betreffenden Richter geweckt werden, was der Fall ist, wenn es um Grundregeln geht, die Bestandteil der Errichtung und der Funktionsfähigkeit dieses Justizsystems sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. März 2020, Überprüfung Simpson/Rat und HG/Kommission, C‑542/18 RX‑II und C‑543/18 RX‑II, EU:C:2020:232, Rn. 75, sowie vom 6. Oktober 2021, W.Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 130).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point207">207</a> Im vorliegenden Fall hat der Verfassungsgerichtshof in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen zwar entschieden, dass die frühere Praxis des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, die namentlich auf der Verordnung über die Organisation und die administrative Arbeitsweise beruhte, in Bezug auf die Spezialisierung und die Besetzung der Spruchkörper in Korruptionssachen nicht mit den geltenden nationalen Bestimmungen vereinbar gewesen sei, jedoch ist nicht ersichtlich, dass diese Praxis einen offenkundigen Verstoß gegen eine Grundregel des rumänischen Justizsystems darstellen würde, der geeignet wäre, den Charakter der Spruchkörper für Korruptionssachen des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, wie sie gemäß der genannten Praxis vor diesen Urteilen des Verfassungsgerichtshofs gebildet wurden, als „zuvor durch Gesetz errichtetes“ Gericht in Frage stellen könnte.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point208">208</a> Außerdem hat, wie sich aus Rn. 95 des vorliegenden Urteils ergibt, das Leitungsgremium des Obersten Kassations- und Gerichtshofs am 23. Januar 2019 eine Entscheidung erlassen, die dahin lautete, dass alle Spruchkörper mit drei Richtern für die Entscheidung von Korruptionsfällen spezialisiert waren, wobei nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs mit dieser Entscheidung eine Verfassungswidrigkeit erst ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses vermieden werden konnte, nicht aber für die Vergangenheit. Diese Entscheidung deutet in der Auslegung durch den Verfassungsgerichtshof darauf hin, dass die frühere Praxis des Obersten Kassations- und Gerichtshofs in Bezug auf die Spezialisierung keinen offenkundigen Verstoß gegen eine Grundregel des rumänischen Justizsystems darstellt. Das Erfordernis der Spezialisierung, das sich aus dem Urteil Nr. 417/2019 des Verfassungsgerichtshofs ergibt, wurde nämlich als durch den bloßen Erlass eines formalen Rechtsakts wie der Entscheidung vom 23. Januar 2019 erfüllt angesehen, die lediglich bestätigt, dass die Richter des Obersten Kassations- und Gerichtshofs, die vor dem Erlass dieser Entscheidung den Spruchkörpern für Korruptionssachen angehörten, in diesem Bereich spezialisiert waren.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point209">209</a> Im Übrigen sind die Rechtssachen C‑357/19, C‑840/19 und C‑811/19 von der Rechtssache zu unterscheiden, in der das Urteil vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B. (C‑42/17, EU:C:2017:936), ergangen ist. In jener Rechtssache hat der Gerichtshof entschieden, dass das nationale Gericht – wenn es zu der Auffassung gelangt, dass der Verpflichtung, die einschlägigen nationalen Vorschriften unangewendet zu lassen, der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen, wie er in Art. 49 der Charta niedergelegt ist, entgegensteht – nicht verpflichtet ist, dieser Verpflichtung nachzukommen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B., C‑42/17, EU:C:2017:936, Rn. 61). Dagegen stehen die sich aus Art. 47 Abs. 2 Satz 1 der Charta ergebenden Erfordernisse der Nichtanwendung der Rechtsprechung aus den Urteilen Nrn. 685/2018 und 417/2019 in den Rechtssachen C‑357/19, C‑840/19 und C‑811/19 nicht entgegen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point210">210</a> In seiner Antwort auf eine Frage des Gerichtshofs in der Rechtssache C‑357/19 hat PM geltend gemacht, dass das Erfordernis, dass Berufungsurteile in Korruptionssachen von Spruchkörpern erlassen werden müssten, deren sämtliche Mitglieder durch Losentscheid bestimmt seien, einen nationalen Schutzstandard für die Grundrechte darstelle. Die rumänische Regierung und die Kommission sind jedoch der Ansicht, dass eine solche Einstufung sowohl in Bezug auf dieses Erfordernis als auch in Bezug auf die Einführung von Ausbildungen mit einer Spezialisierung im Bereich der Korruptionsdelikte unzutreffend sei.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point211">211</a> Selbst wenn diese Erfordernisse einen solchen nationalen Schutzstandard darstellen sollten, so genügt insoweit der Hinweis, dass – wenn das Gericht eines Mitgliedstaats die Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift oder Maßnahme mit den Grundrechten zu prüfen hat, die in einer Situation, in der das Handeln eines Mitgliedstaats nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird, das Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführt– Art. 53 der Charta bestätigt, dass es den nationalen Behörden und Gerichten freisteht, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden (Urteile vom 26. Februar 2013, Åkerberg Fransson, C‑617/10, EU:C:2013:105, Rn. 29, vom 26. Februar 2013, Melloni, C‑399/11, EU:C:2013:107, Rn. 60, und vom 29. Juli 2019, Pelham u. a., C‑476/17, EU:C:2019:624, Rn. 80).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point212">212</a> In dem Fall, dass das vorlegende Gericht in den Rechtssachen C‑357/19, C‑811/19 und C‑840/19 zu der in Rn. 203 des vorliegenden Urteils angeführten Schlussfolgerung gelangen sollte, würde die Anwendung des von PM geltend gemachten nationalen Schutzstandards, unterstellte man ihn als erwiesen, aber den Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen, namentlich von Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des PIF‑Übereinkommens sowie der Entscheidung 2006/928. In diesem Fall würde die Anwendung dieses nationalen Schutzstandards nämlich eine systemische Gefahr der Straflosigkeit von schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder von Korruptionsdelikten im Allgemeinen unter Verkennung des sich aus diesen Bestimmungen ergebenden Erfordernisses, wirksame und abschreckende Sanktionen vorzusehen, um Straftaten dieser Art zu bekämpfen, bergen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point213">213</a> Nach alledem ist auf die erste Frage in den Rechtssachen C‑357/19 und C‑840/19 sowie auf die erste und die vierte Frage in der Rechtssache C‑811/19 zu antworten, dass Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des PIF‑Übereinkommens sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach Urteile im Bereich der Korruption und des Mehrwertsteuerbetrugs, die in erster Instanz nicht von in diesem Bereich spezialisierten Spruchkörpern bzw. in der Berufungsinstanz nicht von Spruchkörpern erlassen wurden, deren Mitglieder sämtlich durch Losentscheid bestimmt wurden, absolut nichtig sind, so dass die betreffenden Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsfälle, gegebenenfalls infolge eines außerordentlichen Rechtsbehelfs gegen rechtskräftige Urteile, in erster und/oder zweiter Instanz erneut geprüft werden müssen, entgegenstehen, wenn die Anwendung dieser nationalen Regelung oder Praxis geeignet ist, eine systemische Gefahr der Straflosigkeit von schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder von Korruptionsdelikten im Allgemeinen zu begründen. Die Verpflichtung, sicherzustellen, dass solche Straftaten Gegenstand wirksamer und abschreckender Strafen sind, entbindet das vorlegende Gericht nicht von der Prüfung der notwendigen Beachtung der in Art. 47 der Charta garantierten Grundrechte, ohne dass dieses Gericht einen nationalen Schutzstandard für die Grundrechte anwenden dürfte, der eine solche systemische Gefahr der Straflosigkeit mit sich bringen würde.</p><p class="C06Titre3" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i>Zur zweiten und zur dritten Frage in den Rechtssachen C</i>‑<i>357/19, C</i>‑<i>379/19, C</i>‑<i>811/19 und C</i>‑<i>840/19 sowie zur einzigen Frage in der Rechtssache C</i>‑<i>547/19</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point214">214</a> Mit der zweiten und der dritten Frage in den Rechtssachen C‑357/19, C‑379/19, C‑811/19 und C‑840/19 sowie der einzigen Frage in der Rechtssache C‑547/19, die zusammen zu prüfen sind, möchten die vorlegenden Gerichte wissen, ob Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 47 der Charta sowie die Entscheidung 2006/928 auf der einen und der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts in Verbindung mit diesen Bestimmungen und Art. 325 Abs. 1 AEUV auf der anderen Seite dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis entgegenstehen, wonach die ordentlichen Gerichte an die Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Entscheidungen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen die genannten Bestimmungen des Unionsrechts verstößt.</p><p class="C07Titre4" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify;">– <i>Zur Garantie der richterlichen Unabhängigkeit</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point215">215</a> Die vorlegenden Gerichte sind der Ansicht, dass die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen ihre Unabhängigkeit in Frage stellen könne und daher mit dem Unionsrecht, namentlich mit den in Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie in Art. 47 der Charta und der Entscheidung 2006/928 vorgesehenen Garantien, unvereinbar sei. Sie vertreten insoweit die Auffassung, dass der Verfassungsgerichtshof, der nicht Teil des rumänischen Justizsystems sei, seine Zuständigkeiten überschritten habe, indem er die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile erlassen habe, und in die Zuständigkeiten der ordentlichen Gerichte eingegriffen habe, die darin bestünden, im Rang unter der Verfassung stehende Rechtsvorschriften auszulegen und anzuwenden. Die vorlegenden Gerichte weisen ferner darauf hin, dass die Nichtbeachtung der Urteile des Verfassungsgerichtshofs nach rumänischem Recht ein Disziplinarvergehen darstelle, so dass sie sich im Wesentlichen die Frage stellten, ob sie diese im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile nach dem Unionsrecht unangewendet lassen könnten, ohne befürchten zu müssen, dass gegen sie ein Disziplinarverfahren eingeleitet werde.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point216">216</a> Insoweit fällt, wie in Rn. 133 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten, einschließlich der Errichtung, der Besetzung und der Arbeitsweise eines Verfassungsgerichts, in deren Zuständigkeit, jedoch haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die Verpflichtungen einzuhalten, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point217">217</a> Art. 19 EUV, mit dem der in Art. 2 EUV proklamierte Wert der Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, überträgt den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof die Aufgabe, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den gerichtlichen Schutz, der den Einzelnen aus diesem Recht erwächst, zu gewährleisten (Urteile vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 108).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point218">218</a> Wie im dritten Erwägungsgrund der Entscheidung 2006/928 bestätigt wird, bedeutet der Wert der Rechtsstaatlichkeit insbesondere, „dass alle Mitgliedstaaten über ein unparteiisches, unabhängiges und effizientes Justiz- und Verwaltungssystem verfügen müssen, das ausreichend dafür ausgestattet ist, unter anderem Korruption zu bekämpfen“.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point219">219</a> Schon das Vorhandensein einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle, die der Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dient, ist einem Rechtsstaat inhärent. Insoweit ist es gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV Sache der Mitgliedstaaten, ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorzusehen, das den Einzelnen die Wahrung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet. Der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Schutzes der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte, von dem in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Rede ist, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt; er ist in den Art. 6 und 13 EMRK und nun auch in Art. 47 der Charta verankert (Urteil vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 189 und 190 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point220">220</a> Daraus folgt, dass nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV jeder Mitgliedstaat dafür zu sorgen hat, dass Einrichtungen, die als „Gerichte“ im Sinne des Unionsrechts dazu berufen sind, über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung dieses Rechts zu entscheiden, und damit Bestandteil seines Rechtsbehelfssystems in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen sind, den Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden, wobei klarzustellen ist, dass diese Bestimmung in „den vom Unionsrecht erfassten Bereichen“ Anwendung findet, ohne dass es insoweit darauf ankäme, in welchem Kontext die Mitgliedstaaten Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta durchführen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 101 und 103 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 36 und 37, sowie von 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 191 und 192).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point221">221</a> Um sicherzustellen, dass Einrichtungen, die zur Entscheidung über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder der Auslegung des Unionsrechts angerufen werden können, in der Lage sind, den nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erforderlichen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz sicherzustellen, ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Unabhängigkeit der betreffenden Einrichtungen gewahrt ist, wie Art. 47 Abs. 2 der Charta bestätigt, wonach zu den Anforderungen im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. der Zugang zu einem „unabhängigen“ Gericht gehört (Urteile vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 115 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 194).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point222">222</a> Dieses Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das dem Auftrag des Richters inhärent ist, gehört zum Wesensgehalt des Rechts auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und des Grundrechts auf ein faires Verfahren, dem als Garant für den Schutz sämtlicher dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte und für die Wahrung der in Art. 2 EUV genannten Werte, die den Mitgliedstaaten gemeinsam sind, u. a. des Wertes der Rechtsstaatlichkeit, grundlegende Bedeutung zukommt (Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 116 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point223">223</a> Ebenso kommt, wie sich u. a. aus dem dritten Erwägungsgrund der Entscheidung 2006/928 und den in den Nrn. 1 bis 3 des Anhangs dieser Entscheidung aufgeführten Vorgaben ergibt, der Existenz eines unparteiischen, unabhängigen und effizienten Justizsystems eine besondere Bedeutung für die Bekämpfung der Korruption, namentlich der Korruption auf höchster Ebene, zu.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point224">224</a> Das Erfordernis der Unabhängigkeit der Gerichte, das sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ergibt, umfasst aber zwei Aspekte. Der erste, das Außenverhältnis betreffende Aspekt verlangt, dass die betreffende Einrichtung ihre Funktionen in völliger Autonomie ausübt, ohne mit irgendeiner Stelle hierarchisch verbunden oder ihr untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, so dass sie auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils ihrer Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten. Der zweite, das Innenverhältnis betreffende Aspekt steht mit dem Begriff der Unparteilichkeit in Zusammenhang und bezieht sich darauf, dass den Parteien des Rechtsstreits und ihren jeweiligen Interessen am Streitgegenstand mit dem gleichen Abstand begegnet wird. Der letztgenannte Aspekt verlangt, dass Sachlichkeit obwaltet und neben der strikten Anwendung der Rechtsnormen keinerlei Interesse am Ausgang des Rechtsstreits besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 121 und 122 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point225">225</a> Diese nach dem Unionsrecht erforderlichen Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betreffenden Einrichtung für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteile vom 19. September 2006, Wilson, C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 196, sowie vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point226">226</a> Insoweit sind die betreffenden Richter vor Interventionen oder Druck von außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, zu schützen. Die für den Status der Richter und die Ausübung ihres Amts geltenden Vorschriften müssen es insbesondere ermöglichen, nicht nur jede Form der unmittelbaren Einflussnahme in Form von Weisungen, sondern auch die Formen der mittelbaren Einflussnahme, die zur Steuerung der Entscheidungen der betreffenden Richter geeignet sein könnten, auszuschließen und damit auszuschließen, dass diese Richter den Eindruck vermitteln, nicht unabhängig und unparteiisch zu sein, wodurch das Vertrauen beeinträchtigt werden könnte, das die Justiz in einer demokratischen Gesellschaft und in einem Rechtsstaat bei den Rechtsunterworfenen schaffen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 119 und 139 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point227">227</a> Was insbesondere die Vorschriften über die Disziplinarregelung betrifft, so verlangt das Erfordernis der Unabhängigkeit nach ständiger Rechtsprechung, dass diese Regelung die erforderlichen Garantien aufweist, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass eine solche Regelung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt wird. Zu diesem Zweck scheint es von grundlegender Bedeutung zu sein, dass ein etwaiger Fehler in einer Gerichtsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts oder bei der Würdigung des Sachverhalts und der Beweise für sich allein nicht zur Auslösung der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit des betreffenden Richters führen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 198 und 234 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 134 und 138). Ferner stellt es eine wesentliche Garantie für die Unabhängigkeit der nationalen Richter dar, dass sie keinen Disziplinarverfahren oder ‑strafen für die Ausübung der – in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallenden – Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV ausgesetzt sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juli 2016, Ognyanov, C‑614/14, EU:C:2016:514, Rn. 17 und 25, vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 59, sowie vom 23. November 2021, IS [Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses], C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 91).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point228">228</a> Außerdem ist nach dem für einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung die Unabhängigkeit der Gerichte gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten (Urteile vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 124 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 118).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point229">229</a> Zwar gibt weder Art. 2 noch Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV noch irgendeine andere Bestimmung des Unionsrechts den Mitgliedstaaten ein konkretes verfassungsrechtliches Modell vor, das die Beziehungen und das Zusammenwirken zwischen den verschiedenen Staatsgewalten, namentlich in Bezug auf die Festlegung und Abgrenzung ihrer Zuständigkeiten, regeln würde, doch müssen die Mitgliedstaaten gleichwohl insbesondere die sich aus diesen unionsrechtlichen Bestimmungen ergebenden Anforderungen an die Unabhängigkeit der Gerichte beachten (vgl. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 EMRK Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 130).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point230">230</a> Unter diesen Umständen stehen Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Entscheidungen des Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegen, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit dieses Verfassungsgerichts gegenüber insbesondere der Legislative und der Exekutive, wie sie diese Bestimmungen verlangen, gewährleistet. Wenn dagegen das nationale Recht diese Unabhängigkeit nicht gewährleistet, stehen diese Bestimmungen des Unionsrechts einer solchen nationalen Regelung oder Praxis entgegen, da ein solches Verfassungsgericht nicht in der Lage ist, den nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV erforderlichen wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point231">231</a> Im vorliegenden Fall betreffen die Fragen, die die vorlegenden Gerichte im Hinblick auf das sich aus diesen unionsrechtlichen Bestimmungen ergebende Erfordernis der richterlichen Unabhängigkeit aufwerfen, zum einen eine Reihe von Aspekten, die den Status, die Besetzung und die Arbeitsweise des Verfassungsgerichtshofs betreffen, der die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile erlassen hat. Die vorlegenden Gerichte weisen insbesondere darauf hin, dass der Verfassungsgerichtshof nach der Verfassung Rumäniens nicht Teil des Justizsystems sei, dass seine Mitglieder von Organen der Legislative und der Exekutive ernannt würden, die auch befugt seien, ihn anzurufen, und dass er seine Befugnisse überschritten und eine willkürliche Auslegung der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften vorgenommen habe.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point232">232</a> Was den Umstand anbelangt, dass der Verfassungsgerichtshof nach der Verfassung Rumäniens nicht Teil des Justizsystems ist, ist in Rn. 229 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass das Unionsrecht den Mitgliedstaaten kein konkretes verfassungsrechtliches Modell vorgibt, das die Beziehungen und das Zusammenwirken zwischen den verschiedenen Staatsgewalten, namentlich in Bezug auf die Festlegung und Abgrenzung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten, regeln würde. Insoweit ist klarzustellen, dass das Unionsrecht der Errichtung eines Verfassungsgerichts, dessen Entscheidungen für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegensteht, sofern es die in den Rn. 224 bis 230 des vorliegenden Urteils genannten Erfordernisse der Unabhängigkeit erfüllt. Die Vorabentscheidungsersuchen enthalten jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Verfassungsgerichtshof, dem u. a. gemäß Art. 146 Buchst. d und e der Verfassung Rumäniens die Zuständigkeit übertragen ist, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Verordnungen zu prüfen und über verfassungsrechtliche Konflikte zwischen Trägern staatlicher Gewalt zu entscheiden, diesen Erfordernissen nicht genügen würde.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point233">233</a> Was die Voraussetzungen für die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichtshofs betrifft, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der bloße Umstand, dass die betreffenden Richter, wie es bei den Richtern des Verfassungsgerichtshofs nach Art. 142 Abs. 3 der Verfassung Rumäniens der Fall ist, von der Legislative und der Exekutive ernannt werden, keine Abhängigkeit dieser Richter von diesen Staatsgewalten schaffen oder Zweifel an der Unparteilichkeit der Mitglieder aufkommen lassen kann, wenn diese nach ihrer Ernennung keinem Druck ausgesetzt sind und bei der Ausübung ihres Amtes keinen Weisungen unterliegen (vgl. entsprechend Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 133 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point234">234</a> Zwar kann es sich als notwendig erweisen, sicherzustellen, dass die materiellen Voraussetzungen und die Verfahrensmodalitäten für den Erlass der Ernennungsentscheidungen so beschaffen sind, dass sie bei den Rechtsunterworfenen, sind die betreffenden Richter erst einmal ernannt, keine berechtigten Zweifel an deren Unempfänglichkeit für äußere Faktoren und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen aufkommen lassen, und dass dafür die genannten Voraussetzungen und Modalitäten u. a. so ausgestaltet sein müssen, dass sie den in Rn. 226 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen genügen (Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 123 und die dort angeführte Rechtsprechung), jedoch lassen die Angaben in den Vorabentscheidungsersuchen nicht erkennen, dass die Bedingungen, unter denen die Ernennungen der Richter des Verfassungsgerichthofs, die die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile erlassen haben, erfolgt sind, gegen die genannten Erfordernisse verstoßen würden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point235">235</a> Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Verfassung Rumäniens diesen Angaben zufolge in Art. 142 Abs. 2 vorsieht, dass die Richter des Verfassungsgerichtshofs „für eine Amtszeit von neun Jahren ernannt werden, die nicht verlängert oder erneuert werden kann“, und in Art. 145 klarstellt, dass diese Richter „in der Ausübung ihres Amtes unabhängig und während der gesamten Amtszeit unabsetzbar [sind]“. Darüber hinaus legt Art. 143 dieser Verfassung die Voraussetzungen für die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichtshofs fest und verlangt zu diesem Zweck, dass diese „über hervorragende juristische Qualifikationen, ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz und mindestens 18 Jahre Erfahrung im juristischen Beruf oder in der juristischen Hochschulausbildung“ verfügen, während Art. 144 der Verfassung den Grundsatz der Unvereinbarkeit des Amtes eines Richters des Verfassungsgerichts „mit allen anderen öffentlichen oder privaten Aufgaben, ausgenommen eine Lehrtätigkeit in der juristischen Hochschulausbildung“, festlegt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point236">236</a> Im vorliegenden Fall ist hinzuzufügen, dass der Umstand, dass der Verfassungsgerichtshof von Organen der Exekutive und der Legislative angerufen werden kann, mit der Natur und der Funktion eines für die Entscheidung über Verfassungsstreitigkeiten errichteten Gerichts zusammenhängt und für sich allein keinen Umstand darstellen kann, der seine Unabhängigkeit gegenüber diesen Staatsgewalten in Frage stellen könnte.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point237">237</a> Was die Frage anbelangt, ob der Verfassungsgerichtshof in den Rechtssachen, in denen die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteile ergangen sind, nicht unabhängig und unparteiisch vorgegangen ist, so kann allein der von den vorlegenden Gerichten geltend gemachte Umstand, dass der Verfassungsgerichtshof seine Zuständigkeiten zulasten der rumänischen rechtsprechenden Gewalt überschritten und die einschlägige nationale Regelung willkürlich ausgelegt habe, unterstellte man ihn als erwiesen, nicht belegen, dass der Verfassungsgerichtshof die in den Rn. 224 bis 230 des vorliegenden Urteils angeführten Erfordernisse der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht erfüllt. Die Vorabentscheidungsersuchen enthalten nämlich keinen weiteren substantiierten Anhaltspunkt dafür, dass diese Urteile in einem Kontext ergangen wären, der einen berechtigten Zweifel daran begründen würde, dass der Verfassungsgerichtshof diese Erfordernisse in vollem Umfang beachtet hat.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point238">238</a> Was zum anderen die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit betrifft, die nach der in Rede stehenden nationalen Regelung für Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Fall der Nichtbeachtung der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs eintreten kann, so trifft es zwar zu, dass die Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte insbesondere nicht dazu führen darf, dass völlig ausgeschlossen ist, dass die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit eines Richters in bestimmten, ganz außergewöhnlichen Fällen durch von ihm erlassene Gerichtsentscheidungen ausgelöst werden kann. Die Anforderung der Unabhängigkeit ist nämlich ganz sicher nicht dazu gedacht, etwaige schwerwiegende und völlig unentschuldbare Verhaltensweisen von Richtern zu billigen wie z. B. die vorsätzliche und böswillige oder besonders grob fahrlässige Missachtung von Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts, deren Einhaltung sie gewährleisten sollen, Willkür oder Rechtsverweigerung, wenn sie als diejenigen, die mit der Aufgabe des Richtens betraut sind, über Streitigkeiten zu entscheiden haben, die ihnen von Rechtsuchenden vorgelegt werden (Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 137).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point239">239</a> Jedoch ist es für die Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte und um auf diese Weise zu verhindern, dass die Disziplinarregelung entgegen ihrem legitimen Zweck zur politischen Kontrolle von Gerichtsentscheidungen oder zur Ausübung von Druck auf Richter eingesetzt werden kann, von grundlegender Bedeutung, dass ein etwaiger Fehler in einer Gerichtsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts oder bei der Würdigung des Sachverhalts und der Beweise für sich allein nicht zur Auslösung der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit des betreffenden Richters führen kann (Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 138 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point240">240</a> Folglich muss die Auslösung der disziplinarrechtlichen Verantwortlichkeit eines Richters wegen einer Gerichtsentscheidung auf ganz außergewöhnliche Fälle wie die in Rn. 238 des vorliegenden Urteils genannten beschränkt bleiben und dabei durch objektive und überprüfbare Kriterien, die sich aus Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege ergeben, sowie durch Garantien beschränkt sein, die darauf abzielen, jegliche Gefahr eines Drucks von außen bezüglich des Inhalts von Gerichtsentscheidungen zu vermeiden und damit bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit der betreffenden Richter und an ihrer Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen (Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 139 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point241">241</a> Im vorliegenden Fall lassen die Angaben in den Vorabentscheidungsersuchen – entgegen der in den Rn. 239 und 240 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung – nicht erkennen, dass die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit der nationalen Richter ordentlicher Gerichte wegen Nichtbeachtung der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs, die in Art. 99 Buchst. ș des Gesetzes Nr. 303/2004 vorgesehen ist, dessen Wortlaut keine weitere Voraussetzung vorsieht, auf die ganz außergewöhnlichen, in Rn. 238 des vorliegenden Urteils angeführten Fälle beschränkt wäre.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point242">242</a> Folglich sind Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Entscheidungen des Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegenstehen, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit dieses Verfassungsgerichts gegenüber insbesondere der Legislative und der Exekutive, wie sie diese Bestimmungen verlangen, gewährleistet. Auf der anderen Seite sind diese Bestimmungen des EU-Vertrags und die genannte Entscheidung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach jegliche Nichtbeachtung der Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts durch die nationalen Richter ordentlicher Gerichte deren disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point243">243</a> Unter diesen Umständen – und da es um Rechtssachen geht, in denen die in den Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung oder Praxis eine Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellt – erscheint eine gesonderte Prüfung von Art. 47 der Charta, die die bereits in der vorstehenden Randnummer getroffene Feststellung nur bestätigen könnte, für die Beantwortung der Fragen der vorlegenden Gerichte und die Entscheidung der dort anhängigen Rechtsstreitigkeiten nicht erforderlich.</p><p class="C07Titre4" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify;">– <i>Zum Vorrang des Unionsrechts</i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point244">244</a> Die vorlegenden Gerichte weisen darauf hin, dass die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen, deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht sie anzweifeln, nach Art. 147 Abs. 4 der Verfassung Rumäniens verbindlich sei und von den nationalen Gerichten beachtet werden müsse, wobei widrigenfalls gegen deren Mitglieder eine Disziplinarsanktion nach Art. 99 Buchst. ș des Gesetzes Nr. 303/2004 verhängt werde. Unter diesen Umständen möchten sie wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts einer solchen nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht und es einem nationalen Gericht erlaubt, eine Rechtsprechung dieser Art unangewendet zu lassen, ohne dass seine Mitglieder Gefahr laufen, disziplinarrechtlich sanktioniert zu werden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point245">245</a> Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung zum EWG-Vertrag bereits entschieden hat, dass mit den Gemeinschaftsverträgen im Unterschied zu gewöhnlichen völkerrechtlichen Verträgen eine neue eigene Rechtsordnung geschaffen wurde, die bei Inkrafttreten der Verträge in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten aufgenommen wurde und von ihren Gerichten anzuwenden ist. Diese neue Rechtsordnung, zu deren Gunsten die Mitgliedstaaten in den durch die Verträge festgelegten Bereichen ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben und deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch deren Bürger sind, ist mit eigenen Organen ausgestattet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Februar 1963, van Gend & Loos, 26/62, EU:C:1963:1, S. 25, und vom 15. Juli 1964, Costa, 6/64, EU:C:1964:66, S. 1269).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point246">246</a> Somit hat der Gerichtshof im Urteil vom 15. Juli 1964, Costa (6/64, EU:C:1964:66, S. 1269 bis 1271), den Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts entwickelt, der den Vorrang dieses Rechts vor dem Recht der Mitgliedstaaten begründet. Hierzu hat er festgestellt, dass die Schaffung einer eigenen Rechtsordnung durch den EWG-Vertrag, die von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Gegenseitigkeit angenommen wurde, zur Folge hat, dass die Mitgliedstaaten weder gegen diese Rechtsordnung nachträgliche einseitige Maßnahmen geltend machen können noch dem aus dem EWG-Vertrag hervorgegangenen Recht Vorschriften des nationalen Rechts gleich welcher Art entgegensetzen können. Andernfalls würde diesem Recht sein Gemeinschaftscharakter aberkannt und die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt. Außerdem würde es eine Gefahr für die Verwirklichung der Ziele des EWG-Vertrags bedeuten und hätte es eine nach diesem Vertrag verbotene Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zur Folge, wenn das Gemeinschaftsrecht je nach der nachträglichen innerstaatlichen Gesetzgebung von einem Staat zum anderen verschiedene Geltung haben könnte.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point247">247</a> In Rn. 21 seines Gutachtens 1/91 (EWR-Abkommen – I) vom 14. Dezember 1991 (EU:C:1991:490) hat der Gerichtshof daher festgestellt, dass der EWG-Vertrag, obwohl er in der Form einer völkerrechtlichen Übereinkunft geschlossen wurde, die Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft darstellt und dass die wesentlichen Merkmale der so verfassten Rechtsordnung der Gemeinschaft insbesondere ihr Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten und die unmittelbare Wirkung zahlreicher für ihre Staatsangehörigen und für sie selbst geltender Bestimmungen sind.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point248">248</a> Diese wesentlichen Merkmale der Rechtsordnung der Union und die Bedeutung der ihr geschuldeten Achtung wurden im Übrigen durch die vorbehaltlose Ratifizierung der Verträge zur Änderung des EWG-Vertrags und insbesondere des Vertrags von Lissabon bestätigt. Bei der Annahme dieses Vertrags hat die Konferenz der Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten nämlich in ihrer Erklärung Nr. 17 zum Vorrang, die der Schlussakte der Regierungskonferenz, die den Vertrag von Lissabon angenommen hat, beigefügt ist (ABl. 2012, C 326, S. 346), ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs unter den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten haben.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point249">249</a> Hinzuzufügen ist, dass die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen achtet. Die Union kann diese Gleichheit aber nur achten, wenn es den Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unmöglich ist, eine einseitige Maßnahme welcher Art auch immer gegen die Unionsrechtsordnung durchzusetzen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point250">250</a> Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die frühere Rechtsprechung zum Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts bestätigt, der alle mitgliedstaatlichen Stellen verpflichtet, den verschiedenen unionsrechtlichen Vorschriften volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen verschiedenen Vorschriften zuerkannte Wirkung in ihrem Hoheitsgebiet nicht beeinträchtigen darf (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 244 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 6. Oktober 2021, W.Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 156, sowie vom 23. November 2021, IS [Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses], C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point251">251</a> Somit kann nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass sich ein Mitgliedstaat auf Bestimmungen des nationalen Rechts beruft, auch wenn sie Verfassungsrang haben. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Wirkungen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts nämlich für alle Einrichtungen eines Mitgliedstaats verbindlich, ohne dass dem insbesondere die innerstaatlichen Bestimmungen, auch wenn sie Verfassungsrang haben, entgegenstehen könnten (Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 245 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 6. Oktober 2021, W.Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 157, sowie vom 23. November 2021, IS [Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses], C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point252">252</a> Hierzu ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat und eine nationale Regelung nicht im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts auslegen kann, nach dem Grundsatz des Vorrangs verpflichtet ist, für die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – nationale Regelung oder Praxis, die einer Bestimmung des Unionsrechts mit unmittelbarer Wirkung entgegensteht, unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung oder Praxis auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 247 und 248 sowie vom 23. November 2021, IS [Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses], C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 80).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point253">253</a> Was die Bestimmungen des Unionsrechts anbelangt, auf die in den vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen Bezug genommen wird, ist aber darauf hinzuweisen, dass sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV sowie die im Anhang der Entscheidung 2006/928 aufgeführten Vorgaben klar und präzise formuliert und an keine Bedingung geknüpft sind, so dass sie unmittelbare Wirkung haben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Dezember 2017, M.A.S. und M.B., C‑42/17, EU:C:2017:936, Rn. 38 und 39, sowie vom 18. Mai 2021, Asociaţia „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 249 und 250).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point254">254</a> In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass es nach Art. 19 EUV Sache der nationalen Gerichte und des Gerichtshofs ist, die volle Anwendung des Unionsrechts in allen Mitgliedstaaten und den wirksamen Schutz der Rechte zu gewährleisten, die den Einzelnen aus ihm erwachsen, wobei der Gerichtshof die ausschließliche Zuständigkeit für die verbindliche Auslegung des Unionsrechts hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. September 2021, Republik Moldau, C‑741/19, EU:C:2021:655, Rn. 45). Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit ist es letztlich Sache des Gerichtshofs, die Tragweite des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts zu präzisieren, da diese Tragweite weder von einer Auslegung von Bestimmungen des nationalen Rechts noch von einer Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts durch ein nationales Gericht, die nicht der Auslegung durch den Gerichtshof entspricht, abhängen darf. Zu diesem Zweck führt das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren, das das Schlüsselelement des durch die Verträge geschaffenen Gerichtssystems darstellt, einen Dialog von Gericht zu Gericht zwischen dem Gerichtshof und den Gerichten der Mitgliedstaaten ein, der die einheitliche Auslegung des Unionsrechts gewährleisten soll und damit die Sicherstellung seiner Kohärenz, seiner vollen Geltung und seiner Autonomie sowie letztlich des eigenen Charakters des durch die Verträge geschaffenen Rechts ermöglicht (Urteile vom 6. März 2018, Achmea, C‑284/16, EU:C:2018:158, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 27).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point255">255</a> Im vorliegenden Fall weisen die vorlegenden Gerichte darauf hin, dass sie nach der Verfassung Rumäniens an die Rechtsprechung aus den in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen des Verfassungsgerichtshofs gebunden seien und dass sie diese Rechtsprechung, nicht ohne dass sich ihre Mitglieder einem Disziplinarverfahren oder einer Disziplinarsanktion aussetzen würden, unangewendet lassen könnten, selbst wenn sie im Licht eines vom Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren erlassenen Urteils der Ansicht wären, dass diese Rechtsprechung gegen das Unionsrecht verstoße.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point256">256</a> Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine Entscheidung des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren das nationale Gericht hinsichtlich der Auslegung der betreffenden unionsrechtlichen Vorschriften bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens bindet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. April 2016, PFE, C‑689/13, EU:C:2016:199, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point257">257</a> Somit kann es einem nationalen Gericht, das von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat bzw. seiner Pflicht nachgekommen ist, dem Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV vorzulegen, nicht verwehrt sein, das Unionsrecht nach Maßgabe der Entscheidung oder der Rechtsprechung des Gerichtshofs unmittelbar anzuwenden, da andernfalls die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung geschmälert würde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, EU:C:1978:49, Rn. 20, und vom 5. April 2016, PFE, C‑689/13, EU:C:2016:199, Rn. 39). Hinzuzufügen ist, dass die Befugnis, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um eine nationale Regelung oder Praxis beiseite zu lassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Normen des Unionsrechts bilden, Bestandteil des Amts des Unionsrichters ist, das dem nationalen Gericht obliegt, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Normen des Unionsrechts anzuwenden hat, so dass die Ausübung dieser Befugnis eine wesentliche Garantie der sich aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ergebenden richterlichen Unabhängigkeit darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 59, sowie vom 23. November 2021, IS [Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses], C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 91).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point258">258</a> Daher wäre jede nationale Regelung oder Praxis, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um eine nationale Vorschrift oder Praxis beiseite zu lassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Normen des Unionsrechts bilden, mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Juni 2010, Melki und Abdeli, C‑188/10 und C‑189/10, EU:C:2010:363, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 5. April 2016, PFE, C‑689/13, EU:C:2016:199, Rn. 41, sowie vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána, C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 36).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point259">259</a> Eine nationale Regelung oder Praxis, wonach die Urteile des nationalen Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, obwohl diese im Licht eines vom Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren erlassenen Urteils der Ansicht sind, dass die Rechtsprechung aus diesen verfassungsgerichtlichen Urteilen gegen das Unionsrecht verstößt, ist aber geeignet, diese Gerichte daran zu hindern, die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts zu gewährleisten, wobei diese Hinderungswirkung dadurch verstärkt werden kann, dass das nationale Recht die etwaige Nichtbeachtung dieser verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung als Disziplinarvergehen einstuft.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point260">260</a> In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 267 AEUV jeder nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, die geeignet ist, die nationalen Gerichte daran zu hindern, von der in Art. 267 AEUV vorgesehenen Befugnis Gebrauch zu machen, den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen, bzw. gegebenenfalls der Verpflichtung dazu nachzukommen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. April 2016, PFE, C‑689/13, EU:C:2016:199, Rn. 32 bis 34 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 103, und vom 23. November 2021, IS [Rechtswidrigkeit des Vorlagebeschlusses], C‑564/19, EU:C:2021:949, Rn. 93). Im Übrigen stellt nach der in Rn. 227 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung der Umstand, dass die nationalen Richter keinen Disziplinarverfahren oder ‑sanktionen für die Ausübung der – in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallenden – Befugnis zur Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV ausgesetzt sind, eine wesentliche Garantie für ihre Unabhängigkeit dar. Auch in dem Fall, dass ein Richter eines nationalen ordentlichen Gerichts infolge der Antwort des Gerichtshofs zu der Auffassung gelangen sollte, dass die Rechtsprechung des nationalen Verfassungsgerichts nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, kann der Umstand, dass dieser nationale Richter diese Rechtsprechung gemäß dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet lässt, keinesfalls geeignet sein, seine disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auszulösen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point261">261</a> Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass Disziplinarverfahren nach Art. 99 Buchst. ș des Gesetzes Nr. 303/2004 gegen bestimmte Richter der vorlegenden Gerichte eingeleitet wurden, nachdem diese ihr Vorabentscheidungsersuchen eingereicht hatten. Außerdem erscheint es, falls die Antwort des Gerichtshofs diese Gerichte dazu veranlassen sollte, die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs aus den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Urteilen unangewendet zu lassen, in Anbetracht der in Rn. 58 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht ausgeschlossen, dass die Richter dieser Gerichte der Gefahr ausgesetzt wären, disziplinarrechtlich sanktioniert zu werden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point262">262</a> Daraus folgt, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach die ordentlichen Gerichte an die Urteile des nationalen Verfassungsgerichts gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Urteilen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV oder der Entscheidung 2006/928 verstößt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point263">263</a> Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage in den Rechtssachen C‑357/19, C‑379/19, C‑811/19 und C‑840/19 sowie auf die einzige Frage in der Rechtssache C‑547/19 zu antworten, dass</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegenstehen, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit dieses Verfassungsgerichts gegenüber insbesondere der Legislative und der Exekutive, wie sie diese Bestimmungen verlangen, gewährleistet. Auf der anderen Seite sind diese Bestimmungen des EU-Vertrags und die genannte Entscheidung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach jegliche Nichtbeachtung der Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts durch die nationalen Richter ordentlicher Gerichte deren disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann;</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach die ordentlichen Gerichte an Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Entscheidungen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV oder der Entscheidung 2006/928 verstößt.</p><p class="C04Titre1" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <b>Kosten</b></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point264">264</a> Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p><p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:</p><p class="C08Dispositif" style="font-weight: bold; margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. <b>Die Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung ist für Rumänien in allen ihren Teilen verbindlich, solange sie nicht aufgehoben worden ist. Die in ihrem Anhang aufgeführten Vorgaben sollen sicherstellen, dass dieser Mitgliedstaat den in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit beachtet, und sind für diesen Mitgliedstaat in dem Sinne verbindlich, dass er verpflichtet ist, die zur Erreichung dieser Vorgaben geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, wobei er gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV genannten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die von der Europäischen Kommission auf der Grundlage dieser Entscheidung erstellten Berichte, insbesondere die in diesen Berichten formulierten Empfehlungen, gebührend zu berücksichtigen hat.</b></p><p class="C08Dispositif" style="font-weight: bold; margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">2. <b>Art. 325 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Art. 2 des am 26. Juli 1995 in Luxemburg unterzeichneten Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften sowie die Entscheidung 2006/928 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach Urteile im Bereich der Korruption und des Mehrwertsteuerbetrugs, die in erster Instanz nicht von in diesem Bereich spezialisierten Spruchkörpern bzw. in der Berufungsinstanz nicht von Spruchkörpern erlassen wurden, deren Mitglieder sämtlich durch Losentscheid bestimmt wurden, absolut nichtig sind, so dass die betreffenden Korruptions- und Mehrwertsteuerbetrugsfälle, gegebenenfalls infolge eines außerordentlichen Rechtsbehelfs gegen rechtskräftige Urteile, in erster und/oder zweiter Instanz erneut geprüft werden müssen, entgegenstehen, wenn die Anwendung dieser nationalen Regelung oder Praxis geeignet ist, eine systemische Gefahr der Straflosigkeit von schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder von Korruptionsdelikten im Allgemeinen zu begründen. Die Verpflichtung, sicherzustellen, dass solche Straftaten Gegenstand wirksamer und abschreckender Strafen sind, entbindet das vorlegende Gericht nicht von der Prüfung der notwendigen Beachtung der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechte, ohne dass dieses Gericht einen nationalen Schutzstandard für die Grundrechte anwenden dürfte, der eine solche systemische Gefahr der Straflosigkeit mit sich bringen würde.</b></p><p class="C08Dispositif" style="font-weight: bold; margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">3. <b>Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Entscheidung 2006/928 sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung oder Praxis, wonach die Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts für die ordentlichen Gerichte bindend sind, nicht entgegenstehen, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit dieses Verfassungsgerichts gegenüber insbesondere der Legislative und der Exekutive, wie sie diese Bestimmungen verlangen, gewährleistet. Auf der anderen Seite sind diese Bestimmungen des EU-Vertrags und die genannte Entscheidung dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach jegliche Nichtbeachtung der Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts durch die nationalen Richter ordentlicher Gerichte deren disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann.</b></p><p class="C08Dispositif" style="font-weight: bold; margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">4. <b>Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Praxis entgegensteht, wonach die ordentlichen Gerichte an Entscheidungen des nationalen Verfassungsgerichts gebunden sind und – aus diesem Grund und da sie widrigenfalls ein Disziplinarvergehen begehen würden – die Rechtsprechung aus diesen Entscheidungen nicht aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen dürfen, obwohl sie im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sind, dass diese Rechtsprechung gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV oder der Entscheidung 2006/928 verstößt.</b></p><p class="C77Signatures" style="margin: 0cm 0cm 60pt 1cm; text-align: justify;">Unterschriften</p><hr /><p class="C42FootnoteLangue"><a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?docid=251504&text=&dir=&doclang=DE&part=1&occ=first&mode=req&pageIndex=0&cid=643161#Footref*" name="Footnote*">*</a> Verfahrenssprache: Rumänisch.</p><p class="C42FootnoteLangue">Quelle:<br /><span style="font-size: x-small;"><a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=251504&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=643161" target="_blank">https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=251504&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=643161</a></span><br /> </p><p class="C42FootnoteLangue"><br /></p><p class="C42FootnoteLangue"><br /></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-24072658379458973122021-12-24T12:54:00.004-08:002023-01-20T15:19:44.140-08:00Vorrang des EU-Rechts: EU-Kommission stellt Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein<p><span style="color: #404040; font-family: arial, sans-serif;"><span style="font-size: xx-small;">update vom 21.1.2023 (Auszug)<br /><br /></span></span><span class="ecl-page-header__meta-item" style="background-color: white; border-inline-end: 1px solid rgb(112, 112, 112); color: #707070; display: inline; font-family: arial, sans-serif; font-size: 16px; margin-inline-end: 1rem; padding-inline-end: 1rem; text-transform: uppercase; unicode-bidi: isolate;">PRESSEARTIKEL</span><span class="ecl-page-header__meta-item" style="background-color: white; border-inline-end: 1px solid rgb(112, 112, 112); color: #707070; display: inline; font-family: arial, sans-serif; font-size: 16px; margin-inline-end: 1rem; padding-inline-end: 1rem; unicode-bidi: isolate;">2 Dezember 2021</span><span class="ecl-page-header__meta-item" style="background-color: white; border-inline-end: 0px solid rgb(112, 112, 112); color: #707070; display: inline; font-family: arial, sans-serif; font-size: 16px; margin-inline-end: 0px; padding-inline-end: 0px; unicode-bidi: isolate;">Vertretung in Deutschland</span><span style="color: #404040; font-family: arial, sans-serif;"><span style="font-size: xx-small;"><br /></span><br /><span style="font-size: 1.25rem; font-weight: bolder;">EU-Kommission stellt Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ein: EU-Recht hat Vorrang</span></span></p><p style="color: #404040; font-family: arial, sans-serif; font-stretch: normal; font-variant-east-asian: normal; font-variant-numeric: normal; line-height: 1.5rem; max-width: 80ch !important;"><b>Die Kommission hat heute beschlossen, das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 im Zusammenhang mit dem Programm der Europäischen Zentralbank zum Ankauf von Vermögenswerten des öffentlichen Sektors ("PSPP") einzustellen.</b></p><p style="color: #404040; font-family: arial, sans-serif; font-stretch: normal; font-variant-east-asian: normal; font-variant-numeric: normal; line-height: 1.5rem; max-width: 80ch !important;"><b>Die Kommission hält es aus drei Gründen für angebracht, das Vertragsverletzungsverfahren einzustellen:</b></p><ul style="color: #404040; font-family: arial, sans-serif; font-stretch: normal; font-variant-east-asian: normal; font-variant-numeric: normal; line-height: 1.5rem; margin: 0px; padding-inline-start: 0.75rem;"><li style="margin-inline-start: 1rem; margin-top: 0px; max-width: calc(80ch - 2.5rem); padding-inline-start: 0.25rem;"><b>Erstens hat Deutschland in seiner Antwort auf das Aufforderungsschreiben sehr klare Zusagen gemacht. Insbesondere hat Deutschland förmlich erklärt, dass es die Grundsätze der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts sowie die in Artikel 2 EUV verankerten Werte, insbesondere die Rechtsstaatlichkeit, bekräftigt und anerkennt.<br /> </b></li><li style="margin-inline-start: 1rem; margin-top: 0.5rem; max-width: calc(80ch - 2.5rem); padding-inline-start: 0.25rem;"><b>Zweitens erkennt Deutschland ausdrücklich die Autorität des Gerichtshofs der Europäischen Union an, dessen Entscheidungen rechtskräftig und bindend sind. Das Land ist ferner der Ansicht, dass die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Unionsorgane nicht von der Prüfung von Verfassungsbeschwerden vor deutschen Gerichten abhängig gemacht, sondern nur vom Gerichtshof der Europäischen Union überprüft werden kann.<br /> </b></li><li style="margin-inline-start: 1rem; margin-top: 0.5rem; max-width: calc(80ch - 2.5rem); padding-inline-start: 0.25rem;"><b>Drittens verpflichtet sich die deutsche Regierung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ihre in den Verträgen verankerte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um in Zukunft eine Wiederholung einer Ultra-vires<em>-</em>Feststellung aktiv zu vermeiden.</b></li></ul><p><span style="font-size: x-small;">Quelle: <a href="https://germany.representation.ec.europa.eu/news/vertragsverletzungsverfahren-im-dezember-eu-kommission-stellt-verfahren-gegen-deutschland-wegen-ezb-2021-12-02_de" target="_blank">https://germany.representation.ec.europa.eu/news/vertragsverletzungsverfahren-im-dezember-eu-kommission-stellt-verfahren-gegen-deutschland-wegen-ezb-2021-12-02_de</a> </span></p><p><br /></p><p>Justizstreit:</p><p><b>EU-Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein</b></p><p>Im Streit um den Vorrang von EU- vor nationalem Recht hat die Kommission ein weiteres Verfahren gegen Polen eingeleitet. Ursula von der Leyen hatte das angekündigt.<br /><span style="font-size: x-small;">Quelle: <a href="https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-12/eu-kommission-polen-justizstreit" target="_blank">https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-12/eu-kommission-polen-justizstreit</a></span></p><p><br /></p><p><b>Europäische Kommission (Abschrift)</b></p><div id="block-ewcms-theme-page-header"><div class="ecl-page-header-standardised"><div class="ecl-container"><div class="ecl-page-header-standardised__meta"><span class="ecl-page-header-standardised__meta-item">Presseartikel </span><span class="ecl-page-header-standardised__meta-item">22 Dezember 2021</span></div><h1 class="ecl-page-header-standardised__title"><span style="font-size: large;">Vorrang des EU-Rechts: EU-Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein</span></h1></div></div></div><main class="ecl-u-pb-xl" data-inpage-navigation-source-area="h2.ecl-u-type-heading-2" id="main-content"><div class="ecl-container"><div class="ecl-row"><div class="ecl-col-s-12"><div class="ecl-u-mb-l" data-inpage-navigation-source-area="h2" id="block-ewcms-theme-main-page-content"><article role="article"><div>
<div class="ecl"><p>Die Europäische Kommission hat heute (Mittwoch) ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet, da sie ernste
Bedenken in Bezug auf das polnische Verfassungsgericht und seine jüngste
Rechtsprechung hat. Das Verfassungsgericht hat in seinen Urteilen vom
14. Juli 2021 und 7. Oktober 2021 die Bestimmungen der EU-Verträge als
unvereinbar mit der polnischen Verfassung angesehen und den Vorrang des
EU-Rechts ausdrücklich in Frage gestellt. Nach Ansicht der Kommission
verstoßen diese Entscheidungen des Verfassungsgerichts gegen die
allgemeinen Grundsätze der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit und
der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts sowie gegen die
Bindungswirkung der Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union.
Polen hat zwei Monate Zeit, um auf das Aufforderungsschreiben zu
antworten.</p><p>Das polnische Verfassungsgericht verneinte in seinem
Urteil vom Juli die Bindungswirkung etwaiger einstweiliger Anordnungen
des Gerichtshofs nach Artikel 279 AEUV zur Gewährleistung einer
wirksamen gerichtlichen Kontrolle durch ein unabhängiges und
unparteiisches, auf Gesetz beruhendes Gericht.</p><p>In seinem Urteil
vom Oktober hat das Verfassungsgericht seine Verpflichtungen aus dem
EU-Recht missachtet, indem es die Auslegung von Artikel 19 Absatz 1 EUV
durch den Gerichtshof als verfassungswidrig - und damit als in der
polnischen Rechtsordnung nicht wirksam - angesehen hat, wonach ein
nationales Gericht aufgefordert werden kann, die Rechtmäßigkeit des
Verfahrens zur Ernennung eines Richters zu überprüfen und sich zu
etwaigen Unregelmäßigkeiten im Ernennungsverfahren zu äußern, um zu
prüfen, ob dieser Richter oder das Gericht, an dem der Richter urteilt,
die Anforderungen von Artikel 19 Absatz 1 EUV erfüllt.</p><h4>Hintergrund</h4><p>Die
Rechtsstaatlichkeit ist einer der Grundwerte der Europäischen Union.
Sie ist in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union verankert.
Sie ist auch für das Funktionieren der EU als Ganzes von wesentlicher
Bedeutung, z. B. im Hinblick auf den Binnenmarkt, die Zusammenarbeit im
Bereich Justiz und Inneres und um sicherzustellen, dass nationale
Richter, die auch "EU-Richter" sind, ihre Rolle bei der Anwendung des
EU-Rechts erfüllen und ordnungsgemäß mit dem Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) zusammenarbeiten können. Die Europäische
Kommission ist gemeinsam mit anderen Organen und den Mitgliedstaaten
gemäß den Verträgen dafür zuständig, die Rechtsstaatlichkeit als
Grundwert der Union zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass
Rechtsvorschriften, Werte und Grundsätze der EU eingehalten werden.</p><h4>Weitere Informationen:</h4><p><a href="https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_21_7070">Vollständige Pressemitteilung</a></p><p><a href="https://ec.europa.eu/info/law/law-making-process/applying-eu-law/infringement-procedure_de">Hintergrundinformationen zu Vertragsverletzungsverfahren</a></p><p><a href="https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_21_4587">Pressemitteilung:
Unabhängigkeit der polnischen Richter: Kommission beantragt beim
Europäischen Gerichtshof finanzielle Sanktionen gegen Polen im
Zusammenhang mit der Tätigkeit der Disziplinarkammer</a><a href="https://ec.europa.eu/info/policies/justice-and-fundamental-rights/upholding-rule-law/rule-law/rule-law-framework_de">Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips</a></p><p>Pressekontakt: <a href="mailto:katrin.ABELE@ec.europa.eu">Katrin Abele</a>, Tel.: +49 (30) 2280-2140. Mehr Informationen zu allen Pressekontakten <a href="https://germany.representation.ec.europa.eu/nachrichten-und-veranstaltungen/presseservice_de">hier</a>.</p><p>Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern beantwortet das Team des Besucherzentrums ERLEBNIS EUROPA per <a href="mailto:frage@erlebnis-europa.eu">E-Mail</a> oder telefonisch unter (030) 2280 2900.</p></div> <div class="ecl-u-mt-3xl" id="news-details">
<h2 class="ecl-u-type-heading-2"><span style="font-size: medium;">Einzelheiten</span></h2>
<div class="ecl-u-mb-s">
<dl class="ecl-description-list ecl-description-list--horizontal"><dt class="ecl-description-list__term">Datum der Veröffentlichung 22 Dezember 2021</dt></dl>
</div>
</div>
</div>
</article>
</div>
</div>
</div>
<div class="ecl-row">
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<div>
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<div class="ecl-social-media-share">
<p class="ecl-social-media-share__description">
Seite weiterempfehlen <br /><br /><span style="font-size: x-small;">Quelle: <a href="https://germany.representation.ec.europa.eu/news/vorrang-des-eu-rechts-eu-kommission-leitet-vertragsverletzungsverfahren-gegen-polen-ein-2021-12-22_de" target="_blank">https://germany.representation.ec.europa.eu/news/vorrang-des-eu-rechts-eu-kommission-leitet-vertragsverletzungsverfahren-gegen-polen-ein-2021-12-22_de</a></span></p><p class="ecl-social-media-share__description"><br /></p><p class="ecl-social-media-share__description"><br /></p><p class="ecl-social-media-share__description"><br /></p><p class="ecl-social-media-share__description"><br /></p></div></div></div></div></div></div></main>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-61331167405758584212021-12-24T12:19:00.020-08:002022-02-24T15:00:21.115-08:00EU-Recht geht vor, sagt der Europäische Gerichtshof<p><b>Europäischer Gerichtshof</b></p><p><b>EU-Recht steht über nationaler Verfassung</b></p><p>Es ist ein wegweisendes Urteil: EU-Recht geht vor, sagt der Europäische Gerichtshof, selbst wenn sich die Mitgliedstaaten auf ihre Verfassung berufen. <br />Die Botschaft geht auch an das deutsche Bundesverfassungsgericht.</p><p>Die europäischen Richterinnen und Richter gehen bei dem Urteil weit in der Zeit zurück: Schon beim Vertrag zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG von 1957 hätte niemand widersprochen oder einen offiziellen Vorbehalt erklärt und deswegen sei seither klar: Das EU-Recht geht immer vor. Der Europäische Gerichtshof sei die Instanz, die bestimme, wie weit das reicht. Und weil in allen Mitgliedsstaaten dasselbe Recht zu gelten habe, könnten einzelne Länder nicht einfach ausscheren.<br /><span style="font-size: x-small;">Quelle: <a href="https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eugh-rumaenien-verfassungsgericht-101.html" target="_blank">https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eugh-rumaenien-verfassungsgericht-101.html</a></span></p><p class="Normal tm5 tm6"><strong><span class="tm7"></span><span class="tm8"><br />Entscheidungen in Vertragsverletzungsverfahren</span></strong><span class="tm9"> - 2. Dezember 2021 - Brüssel<br /></span></p><p><b>Vorrang des EU-Rechts: Kommission stellt Vertragsverletzungsverfahren gegen DEUTSCHLAND aufgrund dessen förmlicher Zusage ein, den Vorrang des EU-Rechts und die Autorität des Gerichtshofs der Union eindeutig anzuerkennen</b></p><p>Die Kommission hat heute beschlossen, das Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschlandwegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 im Zusammenhang mit dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors („PSPP“) der Europäischen Zentralbank einzustellen. Die Kommission hält es aus drei Gründen für angebracht, das Vertragsverletzungsverfahren einzustellen.<br /><br />Erstens hat Deutschland in seiner Antwort auf das Aufforderungsschreiben sehr klare Zusagen gemacht. Insbesondere hat Deutschland förmlich erklärt, dass es die Grundsätze der Autonomie, des Vorrangs, der Wirksamkeit und der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts sowie die in Artikel 2 EUV verankerten Werte, insbesondere die Rechtsstaatlichkeit, bekräftigt und anerkennt. </p><p>Zweitens erkennt Deutschland ausdrücklich die Autorität des Gerichtshofs der Europäischen Union an, dessen Entscheidungen rechtskräftig und bindend sind. <br /><br />Das Land ist ferner der Ansicht, dass die Rechtmäßigkeit von Handlungen der Unionsorgane nicht von der Prüfung von Verfassungsbeschwerden vor deutschen Gerichten abhängig gemacht, sondern nur vom Gerichtshof der Europäischen Union überprüft werden kann. Drittens verpflichtet sich die deutsche Regierung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf ihre in den Verträgen verankerte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um in Zukunft eine Wiederholung einer Ultra-vires-Feststellung aktiv zu vermeiden.</p><p><span style="font-size: x-small;">Quelle: <a href="https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/inf_21_6201?fbclid=IwAR1w6wbHhdcA5vxlqXTohUjxcgF7mJbpSBxTXjxaNWXpMJ0MIzb9Zyuwv7I" target="_blank">https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/inf_21_6201?fbclid=IwAR1w6wbHhdcA5vxlqXTohUjxcgF7mJbpSBxTXjxaNWXpMJ0MIzb9Zyuwv7I</a><br /><u><a href="https://ec.europa.eu/commission/presscorner/api/files/document/print/de/inf_21_6201/INF_21_6201_DE.pdf">https://ec.europa.eu/commission/presscorner/api/files/document/print/de/inf_21_6201/INF_21_6201_DE.pdf</a></u></span></p><p><b>Nach dem EZB-Urteil des BVerfG<br /></b><b>EU-Kommission stellt Verfahren gegen Deutschland ein<br /></b>Das BVerfG hat in den Anleihenkäufen der EZB erstmals eine Kompetenzüberschreitung eines EU-Organs gesehen. Das deswegen gegen Deutschland eingeleitete Vertragsverletzungverfahren hat die EU-Kommission nun eingestellt. Es hätte <b>ohne die Zusicherungen der Bundesregierung</b> in einer Klage vor dem EuGH enden können.<br /><span style="font-size: x-small;"><a href="https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/eu-kommission-stellt-vertragsverletzungsverfahren-gegen-deutschland-wegen-bverfg-ezb-urteil-ein/" target="_blank">https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/eu-kommission-stellt-vertragsverletzungsverfahren-gegen-deutschland-wegen-bverfg-ezb-urteil-ein/</a></span></p><p><b>EuGH: Was haben nationale Verfassungsgerichte noch zu sagen?<br /></b><span style="font-size: x-small;"><span>weiter zum Video: <br /></span><a href="https://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio-123105.html" target="_blank">https://www.tagesschau.de/multimedia/audio/audio-123105.html</a></span></p><p><b><br />EuGH zum Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts</b> <br /><b>Urteile vom 21.12.2021</b> (C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19) <a href="https://winyourhome.blogspot.com/2021/12/eugh-zum-grundsatz-des-vorrangs-des.html " target="_blank"><span style="font-size: x-small;">weiterlesen</span></a></p><p><a href="https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_7052/de/" style="font-size: small;" target="_blank">Presse und Medien: Pressemitteilungen</a><span style="font-size: small;"> </span></p><p>Presse und Information <span style="font-size: x-small;">(Abschrift)</span><br />Gerichtshof der Europäischen Union <br /><b>PRESSEMITTEILUNG Nr. 230/21 <br /></b>Luxemburg, den 21. Dezember 2021 </p><div>Urteil in den verbundenen Rechtssachen<br />C-357/19 Euro Box Promotion u.a.,<br />C-379/19 DNA- Serviciul Teritorial Oradea,<br />C-547/19 Asociaţia « Forumul Judecătorilor din România »,<br />C-811/19 FQ u.a. und C-840/19 NC <br /><span style="font-size: x-small;"><span><br /></span></span></div><div><div style="text-align: center;"><b>Das Unionsrecht steht der Anwendung einer Rechtsprechung des
Verfassungsgerichtshofs entgegen, wenn diese in Verbindung mit den nationalen
Verjährungsvorschriften eine systemische Gefahr der Straflosigkeit begründet</b></div><div style="text-align: center;"> </div></div><div><div style="text-align: center;"><i>Der Vorrang des Unionsrechts verlangt, dass die nationalen Gerichte befugt sind, eine
Entscheidung eines Verfassungsgerichts, die gegen das Unionsrecht verstößt, unangewendet zu
lassen, ohne insbesondere Gefahr zu laufen, disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen zu
werden</i></div><br />Die vorliegenden Rechtssachen haben sich aus der Justizreform im Bereich der
Korruptionsbekämpfung in Rumänien ergeben, die bereits Gegenstand eines früheren Urteils des
Gerichtshofs war1
. Diese Reform wird seit 2007 auf der Ebene der Europäischen Union gemäß
dem Verfahren für Zusammenarbeit und Überprüfung (im Folgenden: VZÜ), das durch die
Entscheidung 2006/9282 anlässlich des Beitritts Rumäniens zur Union eingeführt worden ist,
überwacht.
<br /><br />Im Rahmen dieser Rechtssachen stellt sich die Frage, ob die Anwendung der Rechtsprechung aus
verschiedenen Entscheidungen der Curtea Constituțională a României (Verfassungsgerichtshof,
Rumänien) betreffend die im Bereich Betrug und Korruption geltenden Strafverfahrensvorschriften
möglicherweise gegen das Unionsrecht verstößt, insbesondere gegen die Bestimmungen des
Unionsrechts zum Schutz der finanziellen Interessen der Union, die Garantie der richterlichen
Unabhängigkeit und den Wert der Rechtsstaatlichkeit sowie den Grundsatz des Vorrangs des
Unionsrechts.
<br /><br />Was die Rechtssachen C-357/19, C-547/19, C-811/19 und C-840/19 anbelangt, so hatte die Înalta
Curte de Casaţie şi Justiţie (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien, im Folgenden
OKGH) mehrere Personen, darunter ehemalige Parlamentarier und Minister, wegen Straftaten des
Mehrwertsteuerbetrugs sowie der Korruption und der Einflussnahme, insbesondere im
Zusammenhang mit der Verwaltung von Unionsmitteln, verurteilt. Der Verfassungsgerichtshof
erklärte diese Entscheidungen wegen rechtswidriger Besetzung der Spruchkörper für nichtig, was
er zum einen damit begründete, dass die Fälle, in denen der OKGH in erster Instanz entschieden
habe, von einem in Korruptionssachen spezialisierten Spruchkörper hätten verhandelt werden
müssen3
, und zum anderen damit, dass in den Fällen, in denen der OKGH in der Berufung
entschieden habe, sämtliche Richter des Spruchkörpers durch Losentscheid hätten bestimmt
werden müssen4
.<br /><br />Was die Rechtssache C-379/19 anbelangt, so wurde vor dem Tribunalul Bihor (Landgericht Bihor,
Rumänien) die Strafverfolgung gegen mehrere Personen eingeleitet, denen Straftaten der
Korruption und der Einflussnahme vorgeworfen werden. Im Rahmen eines Antrags auf Ausschluss</div><div>_____________________________________</div><div><span style="font-size: x-small;">1 Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C-83/19, C-127/19, C-195/19, C-291/19,
C-355/19 und C-397/19.
<br />2 Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die
Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den
Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung (ABl. 2006, L 354, S. 56).
<br />3 Urteil Nr. 417/2019 vom 3. Juli 2019.
<br />4 Urteil Nr. 685/2018 vom 7. November 2018.
<br />www.curia.europa.eu
</span><br /><br />von Beweismitteln steht dieses Gericht vor der Frage der Anwendung einer Rechtsprechung des
Verfassungsgerichtshofs, mit der die unter Beteiligung des rumänischen Nachrichtendienstes
erfolgte Erhebung von Beweisen in Strafsachen für verfassungswidrig erklärt wurde, was den
rückwirkenden Ausschluss der betreffenden Beweise aus dem Strafverfahren zur Folge hat5
.
<br /><br />Vor diesem Hintergrund möchten der OKGH und das Landgericht Bihor vom Gerichtshof wissen,
ob diese Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs mit dem Unionsrecht vereinbar sind6
. Das
Landgericht Bihor hat zunächst die Frage aufgeworfen, ob das VZÜ und die von der Kommission
im Rahmen dieses Verfahrens erstellten Berichte verbindlich sind7
. Des Weiteren hat der OKGH
die Frage nach einer möglichen systemischen Gefahr der Straflosigkeit im Bereich der
Bekämpfung von Betrug und Korruption aufgeworfen. Schließlich haben diese Gerichte auch die
Frage aufgeworfen, ob die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts und der richterlichen
Unabhängigkeit es ihnen erlauben, eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs
unangewendet zu lassen, obwohl nach rumänischem Recht die Nichtbeachtung einer
Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs durch Richter ein Disziplinarvergehen darstellt.
<br /><br /><b>Würdigung durch den Gerichtshof
<br />Verbindlichkeit des VZÜ
<br /></b><br />Der Gerichtshof (Große Kammer) hat seine Rechtsprechung aus einem früheren Urteil, wonach
<b>das VZÜ in allen seinen Teilen für Rumänien verbindlich ist</b>8
, bestätigt. Folglich sind für
Rumänien die vor seinem Beitritt zur Union erlassenen Rechtsakte seit seinem Beitritt bindend.
Dies ist bei der Entscheidung 2006/928 der Fall, die für Rumänien in allen ihren Teilen verbindlich
ist, solange sie nicht aufgehoben worden ist. Die Vorgaben, die die Beachtung der
Rechtsstaatlichkeit sicherstellen sollen, sind ebenfalls verbindlich. Rumänien ist daher verpflichtet,
die zur Erreichung dieser Vorgaben geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, und hat dabei die in den
von der Kommission erstellten Berichten formulierten Empfehlungen zu berücksichtigen9.
<br /><br /><b>Verpflichtung, wirksame und abschreckende Sanktionen für Betrugsdelikte zum Nachteil
der finanziellen Interessen der Union oder Korruptionsdelikte vorzusehen
<br /></b><br /><b>Das Unionsrecht steht der Anwendung einer Rechtsprechung des
Verfassungsgerichtshofs, die die Nichtigerklärung von Urteilen zur Folge hat, die von nicht
ordnungsgemäß besetzten Spruchkörpern erlassen wurden, entgegen, wenn diese
Rechtsprechung in Verbindung mit den nationalen Verjährungsvorschriften eine
systemische Gefahr der Straflosigkeit von schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der
finanziellen Interessen der Union oder von Korruptionsdelikten begründet.
</b><br /><br />Der Gerichtshof hat zunächst festgestellt, dass die Vorschriften über die Organisation der Justiz in
den Mitgliedstaaten, insbesondere die Vorschriften über die Besetzung der Spruchkörper in
Betrugs- und Korruptionssachen, zwar grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen,
aber darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die
Verpflichtungen einzuhalten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht ergeben.
<br /><br />Zu diesen Verpflichtungen gehört die Bekämpfung aller die finanziellen Interessen der Union
beeinträchtigenden rechtswidrigen Handlungen, was Korruptionsdelikte mitumfasst, durch<br />_____________________________<br /><br /><span style="font-size: x-small;">5 Urteile Nr. 51/2016 vom 16. Februar 2016, Nr. 302/2017 vom 4. Mai 2017 und Nr. 26/2019 vom 16. Januar 2019. </span></div><div><span style="font-size: x-small;">6
Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, Art. 325 Abs. 1 AEUV, Art. 2 des am 26. Juli 1995 in Brüssel
unterzeichneten Übereinkommens aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz
der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, Anhang zum Rechtsakt des Rates vom 26. Juli 1995
(ABl. 1995, C 316, S. 48) und Entscheidung 2006/928.
<br />7 Gemäß dem Urteil Nr. 104/2018 des Verfassungsgerichtshofs vom 6. März 2018 kann die Entscheidung 2006/928
keine Bezugsnorm im Rahmen einer Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit nach Art. 148 der Verfassung Rumäniens
darstellen.
<br />8 Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C-83/19, C-127/19, C-195/19, C-291/19,
C-355/19 und C-397/19.
<br />9 Gemäß dem in Art. 4 Abs. 3 EUV genannten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit.</span></div><div><br /></div><div>abschreckende und wirksame Maßnahmen10
. Was Rumänien anbelangt, so wird diese Verpflichtung durch die aus der Entscheidung 2006/928 resultierende Verpflichtung dieses
Mitgliedstaats zur wirksamen Bekämpfung der Korruption, insbesondere der Korruption auf
höchster Ebene, ergänzt.
<br /><br />Das sich daraus ergebende Erfordernis der Effektivität erstreckt sich zwangsläufig sowohl auf die
Verfolgung und Ahndung dieser Straftaten als auch auf die Vollstreckung der verhängten Strafen,
da die Sanktionen für die Straftaten des Betrugs zum Nachteil dieser Interessen sowie der
Korruption im Allgemeinen nicht wirksam und abschreckend sein können, wenn sie nicht wirksam
vollstreckt werden. Sodann hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass es in erster Linie dem
nationalen Gesetzgeber obliegt, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen,
dass die für diese Straftaten geltenden Verfahrensvorschriften keine systemische Gefahr der
Straflosigkeit darstellen. Die nationalen Gerichte müssen innerstaatliche Rechtsvorschriften, die
der Verhängung wirksamer und abschreckender Strafen entgegenstehen, unangewendet lassen.
<br /><br />Im vorliegenden Fall hat die Anwendung der in Rede stehenden Rechtsprechung des
Verfassungsgerichtshofs zur Folge, dass die betreffenden Betrugs- und Korruptionsfälle erneut,
gegebenenfalls mehrmals, in erster Instanz und/oder in der Berufungsinstanz geprüft werden
müssen. Angesichts ihrer Komplexität und Dauer hat eine solche erneute Prüfung zwangsläufig
zur Folge, dass die Dauer der entsprechenden Strafverfahren verlängert wird. Indes hatte sich
Rumänien verpflichtet, die Verfahrensdauer für Korruptionsfälle zu verkürzen. Überdies dürfen in
Anbetracht der spezifischen Verpflichtungen, die Rumänien nach der Entscheidung 2006/928
obliegen, die nationalen Vorschriften und die nationale Praxis in diesem Bereich nicht dazu führen,
dass sich die Dauer der Ermittlungen bei Korruptionsdelikten verlängert oder in irgendeiner
anderen Weise die Bekämpfung der Korruption geschwächt wird11
. Zudem könnte eine erneute
Prüfung der betreffenden Fälle in Anbetracht der nationalen Verjährungsvorschriften zur
Verjährung der Straftaten führen und eine wirksame und abschreckende Sanktionierung von
Personen verhindern, die die höchsten Ämter des rumänischen Staates bekleiden und wegen der
Begehung schwerer Betrugs- und/oder Korruptionstaten in Ausübung ihres Amtes verurteilt
wurden. Dadurch würde die Gefahr der Straflosigkeit für diese Gruppe von Personen systemisch
werden und das Ziel der Bekämpfung der Korruption auf höchster Ebene in Frage stellen.
<br /><br />Schließlich hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung, sicherzustellen, dass
solche Straftaten Gegenstand wirksamer und abschreckender Strafen sind, das vorlegende
Gericht nicht von der Prüfung der notwendigen Beachtung der in Art. 47 der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechte entbindet, ohne dass dieses
Gericht einen nationalen Schutzstandard für die Grundrechte anwenden dürfte, der eine solche
systemische Gefahr der Straflosigkeit mit sich bringen würde. Die sich aus dieser Vorschrift
ergebenden Erfordernisse stehen einer etwaigen Nichtanwendung der Rechtsprechung des
Verfassungsgerichtshofs zur Spezialisierung und Besetzung der Spruchkörper in
Korruptionssachen aber nicht entgegen.
<br /><br /><b>Garantie der richterlichen Unabhängigkeit
<br /><br />Das Unionsrecht steht dem nicht entgegen, dass die Entscheidungen des
Verfassungsgerichtshofs für die ordentlichen Gerichte bindend sind, sofern die
Unabhängigkeit des Verfassungsgerichtshofs gegenüber insbesondere der Legislative und
der Exekutive gewährleistet ist. Hingegen steht das Unionsrecht dem entgegen, dass die
disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit der nationalen Richter durch jegliche
Nichtbeachtung solcher Entscheidungen ausgelöst wird.
</b><br /><br />Erstens muss, da schon das Vorhandensein einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle, die der
Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dient, einem Rechtsstaat inhärent ist, jedes
Gericht, das Unionsrecht anzuwenden oder auszulegen hat, den Anforderungen an einen
<br />____________________________________ </div><div><br /></div><div><span style="font-size: x-small;">10 Nach Art. 325 Abs. 1 AEUV.
<br />11 Ziff. I Nr. 5 des Anhangs IX der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und
die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203).
<br /><br />www.curia.europa.eu
</span><br /><br />wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gerecht werden. Dazu ist die Unabhängigkeit der Gerichte
von grundlegender Bedeutung. Insoweit müssen die Richter vor Interventionen oder Druck von
außen, die ihre Unabhängigkeit gefährden könnten, geschützt sein. Außerdem ist nach dem für
einen Rechtsstaat kennzeichnenden Grundsatz der Gewaltenteilung die Unabhängigkeit der
Gerichte gegenüber der Legislative und der Exekutive zu gewährleisten.
<br /><br />Zweitens weist der Gerichtshof darauf hin, dass, auch wenn das Unionsrecht den Mitgliedstaaten
kein konkretes verfassungsrechtliches Modell vorgibt, das die Beziehungen zwischen den
verschiedenen Staatsgewalten regeln würde, die Mitgliedstaaten gleichwohl insbesondere die sich
aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen an die Unabhängigkeit der Gerichte beachten
müssen. Unter diesen Umständen können die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs für
die ordentlichen Gerichte bindend sein, sofern das nationale Recht die Unabhängigkeit des
Verfassungsgerichtshofs gegenüber insbesondere der Legislative und der Exekutive gewährleistet.
Wenn dagegen das nationale Recht diese Unabhängigkeit nicht gewährleistet, steht das
Unionsrecht einer solchen nationalen Regelung oder Praxis entgegen, da ein solches
Verfassungsgericht nicht in der Lage ist, den nach dem Unionsrecht erforderlichen wirksamen
Rechtsschutz zu gewährleisten.<br /><br />Drittens muss die Disziplinarregelung zum Zweck der Wahrung der Unabhängigkeit der Gerichte
die erforderlichen Garantien aufweisen, damit jegliche Gefahr verhindert wird, dass eine solche
Regelung als System zur politischen Kontrolle des Inhalts justizieller Entscheidungen eingesetzt
wird. Insoweit kann ein etwaiger Fehler in einer Gerichtsentscheidung bei der Auslegung und
Anwendung der Vorschriften des nationalen Rechts und des Unionsrechts oder bei der Würdigung
des Sachverhalts und der Beweise für sich allein nicht zur Auslösung der disziplinarrechtlichen
Verantwortlichkeit des betreffenden Richters führen. Die Auslösung der disziplinarrechtlichen
Verantwortlichkeit eines Richters wegen einer Gerichtsentscheidung muss auf ganz
außergewöhnliche Fälle beschränkt bleiben und durch Garantien beschränkt sein, die darauf
abzielen, jegliche Gefahr eines Drucks von außen bezüglich des Inhalts von
Gerichtsentscheidungen zu vermeiden. Eine nationale Regelung, wonach jegliche Nichtbeachtung
der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs durch die nationalen Richter ordentlicher
Gerichte deren disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann, erfüllt diese
Voraussetzungen nicht.
<br /><br /><b>Vorrang des Unionsrechts
<br /><br />Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts steht dem entgegen, dass es nationalen
Gerichten unter Androhung von Disziplinarsanktionen untersagt ist, Entscheidungen des
Verfassungsgerichtshofs, die gegen das Unionsrecht verstoßen, unangewendet zu lassen.
</b><br /><br />Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass er in seiner Rechtsprechung zum EWG-Vertrag den
Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts entwickelt hat, der den Vorrang dieses Rechts
vor dem Recht der Mitgliedstaaten begründet. Hierzu hat er festgestellt, dass die Schaffung einer
eigenen Rechtsordnung durch den EWG-Vertrag, die von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage
der Gegenseitigkeit angenommen wurde, zur Folge hat, dass die Mitgliedstaaten weder gegen
diese Rechtsordnung nachträgliche einseitige Maßnahmen geltend machen können noch dem aus
dem EWG-Vertrag hervorgegangenen Recht Vorschriften des nationalen Rechts gleich welcher Art
entgegensetzen können. Andernfalls würde diesem Recht sein Gemeinschaftscharakter aberkannt
und die Rechtsgrundlage der Gemeinschaft selbst in Frage gestellt. Außerdem würde es eine
Gefahr für die Verwirklichung der Ziele des EWG-Vertrags bedeuten und hätte es eine nach
diesem Vertrag verbotene Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zur Folge, wenn
das Gemeinschaftsrecht je nach der nachträglichen innerstaatlichen Gesetzgebung von einem
Staat zum anderen verschiedene Geltung haben könnte. Daher hat der Gerichtshof festgestellt,
dass der EWG-Vertrag, obwohl er in der Form einer völkerrechtlichen Übereinkunft geschlossen
wurde, die Verfassungsurkunde einer Rechtsgemeinschaft darstellt und dass die wesentlichen
Merkmale der so verfassten Rechtsordnung der Gemeinschaft insbesondere ihr Vorrang vor dem
Recht der Mitgliedstaaten und die unmittelbare Wirkung zahlreicher für ihre Staatsangehörigen und
für sie selbst geltender Bestimmungen sind.
<br /><br />Der Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass diese wesentlichen Merkmale der Rechtsordnung
der Union und die Bedeutung der ihr geschuldeten Achtung durch die vorbehaltlose Ratifizierung
der Verträge zur Änderung des EWG-Vertrags und insbesondere des Vertrags von Lissabon
bestätigt wurden. Bei der Annahme dieses Vertrags hat die Konferenz der Vertreter der
Regierungen der Mitgliedstaaten nämlich in ihrer Erklärung Nr. 17 zum Vorrang, die der
Schlussakte der Regierungskonferenz, die den Vertrag von Lissabon angenommen hat, beigefügt
ist, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage
der Verträge gesetzte Recht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs unter
den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der
Mitgliedstaaten haben.
<br /><br />Außerdem hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV die Gleichheit
der Mitgliedstaaten achtet, was ihr aber nur möglich ist, wenn es den Mitgliedstaaten nach dem
Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unmöglich ist, eine einseitige Maßnahme welcher Art
auch immer gegen die Unionsrechtsordnung durchzusetzen. In diesem Zusammenhang hat der
Gerichtshof weiter festgestellt, dass es bei der Ausübung seiner ausschließlichen Zuständigkeit für
die verbindliche Auslegung des Unionsrechts ihm obliegt, die Tragweite des Grundsatzes des
Vorrangs des Unionsrechts im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts zu
präzisieren, da diese Tragweite weder von einer Auslegung von Bestimmungen des nationalen
Rechts noch von einer Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts durch ein nationales
Gericht, die nicht der Auslegung durch den Gerichtshof entspricht, abhängen darf.
<br /><br />Die Wirkungen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts sind nämlich für alle
Einrichtungen eines Mitgliedstaats verbindlich, ohne dass dem die innerstaatlichen Bestimmungen,
auch wenn sie Verfassungsrang haben, entgegenstehen könnten. Die nationalen Gerichte sind
verpflichtet, jede nationale Regelung oder Praxis, die einer Bestimmung des Unionsrechts mit
unmittelbarer Wirkung entgegensteht, unangewendet zu lassen, ohne dass sie die vorherige
Beseitigung dieser nationalen Regelung oder Praxis auf gesetzgeberischem Weg oder durch
irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müssten.
<br /><br />Ferner stellt für die nationalen Richter der Umstand, dass sie keinen Disziplinarverfahren oder
-sanktionen für die Ausübung der – in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallenden – Befugnis zur
Anrufung des Gerichtshofs nach Art. 267 AEUV ausgesetzt sind, eine wesentliche Garantie für ihre
Unabhängigkeit dar. Somit kann in dem Fall, dass ein Richter eines nationalen ordentlichen
Gerichts im Licht eines Urteils des Gerichtshofs der Auffassung sein sollte, dass die
Rechtsprechung des nationalen Verfassungsgerichts nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, der
Umstand, dass dieser nationale Richter diese Rechtsprechung unangewendet lässt, nicht seine
disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen.
<br />_____________________________________<br />HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten
in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des
Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof
entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die
Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese
Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem
ähnlichen Problem befasst werden.
<br />______________________________________<br /><div style="text-align: center;">Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Der <b>Volltext </b>des Urteils wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht.
<br />Pressekontakt: Hartmut Ost (+352) 4303 3255
<br />Filmaufnahmen von der Verkündung des Urteils sind verfügbar über
<br />„Europe by Satellite“ (+32) 2 2964106</div></div><div><br /></div><div><span style="font-size: x-small;"><span>pdf-download: <br /></span><a href="https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2021-12/cp210230de.pdf" target="_blank">https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2021-12/cp210230de.pdf</a><br /><a href="https://curia.europa.eu/jcms/jcms/Jo2_7052/de/" target="_blank">Presse und Medien: Pressemitteilungen</a></span><span><span style="font-size: x-small;"> </span><br /></span></div><div><p>s.a.:</p><p><b>Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht</b><br /><span style="font-size: x-small;">weiterlesen:<b> </b><a href="http://winyourhome.blogspot.com/2014/04/rechtsprechung-des-gerichtshofs-zur.html" target="_blank">http://winyourhome.blogspot.com/2014/04/rechtsprechung-des-gerichtshofs-zur.html</a></span></p><p><b>BFH zur Berufung auf Unionsrecht <br /></b><b>EuGH zur Gewissheit des Bürgers über seine Rechte<br /></b><b>Pflicht zur Befolgung der Vorgaben eines übergeordneten Gerichts<br /></b><b>(Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit)<br />EuGH zur Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung<br /></b><span style="font-size: x-small;">weiterlesen <a href="http://winyourhome.blogspot.com/2014/04/bfh-zur-berufung-auf-unionsrecht-eugh.html" target="_blank">http://winyourhome.blogspot.com/2014/04/bfh-zur-berufung-auf-unionsrecht-eugh.html</a></span></p><div><br /></div></div><div><br /></div>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-67771355149526932082021-12-06T15:27:00.007-08:002021-12-06T15:32:18.601-08:00BVerfG hält Schulschließungen für zulässig<p> </p><h2 style="text-align: left;">Bundesverfassungsgericht -Pressestelle-<br /><br /></h2>
<h3 style="text-align: left;"><strong><span class="tm9">Schulschließungen waren nach der im April 2021 bestehenden Erkenntnis- und Sachlage zulässig</span></strong></h3>
<p class="Normal tm8"><span class="tm10">Pressemitteilung Nr. 100/2021 vom 30. November 2021</span></p>
<p class="Normal tm8"><span class="tm10">Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht.<br />Hierzu lautet der </span><strong><span class="tm11">Kurztext:</span></strong></p>
<p class="Normal tm8"><span class="tm10">Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen das vollständige
oder teilweise Verbot von Präsenzunterricht an allgemeinbildenden Schulen zum Infektionsschutz („Schulschließungen“) nach der vom 22. April bis zum 30. Juni 2021 geltenden „Bundesnotbremse“
richten.</span></p>
<p class="Normal tm8"><span class="tm10">Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Entscheidung erstmals ein Recht der Kinder und Jugendlichen gegenüber dem Staat auf schulische Bildung anerkannt. In dieses Recht griffen
die seit Beginn der Pandemie in Deutschland erfolgten Schulschließungen in schwerwiegender Weise ein, wie die in den sachkundigen Stellungnahmen dargelegten tatsächlichen Folgen dieser Maßnahmen deutlich zeigen.
Diesem Eingriff standen infolge des dynamischen Infektionsgeschehens zum Zeitpunkt der Verabschiedung der „Bundesnotbremse“ Ende April 2021, zu dem die Impfkampagne erst begonnen hatte, überragende Gemeinwohlbelange
in Gestalt der Abwehr von Gefahren für Leben und Gesundheit und für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems gegenüber, denen nach der seinerzeit vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers auch
durch Schulschließungen begegnet werden konnte.</span></p>
<p class="Normal tm8"><span class="tm10">Dafür, dass der Gesetzgeber in dieser Situation den Schülerinnen und Schülern den Wegfall von Unterricht in der Schule trotz der damit verbundenen schwerwiegenden Belastungen
zumuten konnte, waren unter anderem folgende Faktoren von Bedeutung: Zu vollständigen Schulschließungen kam es - anders als bei den sonstigen Beschränkungen zwischenmenschlicher Kontakte - nicht bereits bei
einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 im jeweiligen Landkreis oder der jeweiligen kreisfreien Stadt, sondern erst bei einem weit höheren Wert von 165. Die Länder waren verfassungsrechtlich verpflichtet, wegfallenden
Präsenzunterricht auch während der Geltung der „Bundesnotbremse“ nach Möglichkeit durch Distanzunterricht zu ersetzen. Die Schulschließungen waren auf einen kurzen Zeitraum von gut zwei Monaten
befristet; damit war gewährleistet, dass die schwerwiegenden Belastungen nicht über einen Zeitpunkt hinaus gelten, zu dem der Schutz von Leben und Gesundheit etwa infolge des Impffortschritts seine Dringlichkeit
verlieren könnte. Schließlich hatte der Bund bereits vor Verabschiedung der Bundesnotbremse Vorkehrungen mit dem Ziel getroffen, dass etwaige künftige, auch die Schulen betreffende Maßnahmen
zur Bekämpfung der Pandemie die Schülerinnen und Schüler möglichst nicht mehr derart schwerwiegend belasten. Dazu zählen unter anderem eine vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte
Studie zur Erforschung der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen („StopptCOVID-Studie“) sowie Finanzhilfen des Bundes an die Länder im Rahmen des „DigitalPaktSchule“ von insgesamt 1,5
Milliarden Euro zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Durchführung digitalen Distanzunterrichts.</span></p>
<p class="Normal tm8"><u><span class="tm12"></span></u><span class="tm10">Sie können den Text im Internet über folgende URL erreichen:</span><span class="tm13"><br /></span><u><a href="https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-100.html"><span class="tm14">https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-100.html</span></a></u></p><br /><p></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-59296422026684517302021-12-06T15:26:00.004-08:002021-12-06T15:30:51.421-08:00BVerfG hält Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen für zulässig<p> <br /></p><h1 class="tm6"></h1><h3 style="text-align: left;"><span class="tm7">Bundesverfassungsgericht -Pressestelle-</span></h3><h3 style="text-align: left;"><strong><span class="tm9">Verfassungsbeschwerden betreffend Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite („Bundesnotbremse“)
erfolglos</span></strong></h3>
<p class="Normal tm8 tm10"><span class="tm11">Pressemitteilung Nr. 101/2021 vom 30. November 2021</span></p>
<p class="Normal tm8 tm10"><span class="tm11">Das Bundesverfassungsgericht hat eine neue Pressemitteilung veröffentlicht.<br />Hierzu lautet der </span><strong><span class="tm12">Kurztext:</span></strong></p>
<p class="Normal tm8 tm10"><span class="tm11">Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in mehreren Hauptsacheverfahren Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich
unter anderem gegen die durch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22. April 2021 in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG für
einen Zeitraum von gut zwei Monaten eingefügten bußgeldbewehrten Ausgangsbeschränkungen sowie bußgeldbewehrten Kontaktbeschränkungen nach § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG zur
Eindämmung der Corona-Pandemie richteten. Die beanstandeten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen waren Bestandteile eines Schutzkonzepts des Gesetzgebers. Dieses diente in seiner Gesamtheit dem Lebens- und Gesundheitsschutz
sowie der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems als überragend wichtigen Gemeinwohlbelangen. Die Maßnahmen griffen allerdings in erheblicher Weise in verschiedene Grundrechte ein. Das
Bundesverfassungsgericht hat die Maßnahmen anhand der allgemein für sämtliche mit Grundrechtseingriffen verbundenen Gesetze geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen geprüft. Danach waren die hier
zu beurteilenden Kontakt- und selbst die Ausgangsbeschränkungen in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie mit dem Grundgesetz vereinbar; insbesondere waren sie trotz des Eingriffsgewichts verhältnismäßig.
Soweit in diesem Verfahren weitere Maßnahmen des Gesetzes zur Eindämmung der Pandemie angegriffen wurden, wie etwa die Beschränkungen von Freizeit- und Kultureinrichtungen, Ladengeschäften, Sport und Gaststätten,
war die entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zulässig erhoben.</span></p>
<p class="Normal tm8 tm10"><span class="tm11">Sie können den Text im Internet über folgende URL erreichen:</span><span class="tm13"><br /></span><u><a href="https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-101.html"><span class="tm14">https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-101.html</span></a></u><span class="tm11"> </span></p>
<p class="Normal"> </p> <p></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-25430911993345229192021-10-14T14:13:00.005-07:002021-10-14T14:13:48.219-07:00 VGH München erklärt Corona-Ausgangsbeschränkungen für unwirksam - Bayern geht in Revision<p> <b>VGH München erklärt Corona-Ausgangsbeschränkungen für unwirksam - Bayern geht in Revision</b></p><p>Der Streit um die Rechtmäßigkeit der Ausgangsbeschränkungen in Bayern geht weiter. Nachdem der Verwaltungsgerichtshof diese Anfang der Woche für rechtswidrig erklärte hatte, kündigte Bayerns Staatsregierung nun die Revision zum Bundesverwaltungsgericht an. Man sei davon überzeugt, dass die Ausgangsbeschränkungen Ende März bis Anfang April 2020 ein wirksames und richtiges Mittel waren, sagte Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU).</p><p><b>Auf sozialen Netzwerken wird Söders Rücktritt gefordert</b></p><p><a href="https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/vgh-muenchen-bayern-geht-gegen-urteil-zu-corona-ausgangsbeschraenkungen-in-revision" target="_blank"><span style="font-size: x-small;">Weiter zum vollständigen Artikel ...</span></a></p><p><br /></p><p><b>BayVGH hat in der Hauptsache entschieden</b></p><p><b>Corona-Ausgangssperre war unverhältnismäßig</b></p><p>Steht der Herbst der Corona-Gerichtsentscheidungen an? Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in einem ersten Hauptsacheverfahren eine Ausgangssperre nachträglich für unwirksam erklärt.</p><p><b>Besonders strenge Regelung in Bayern</b></p><p><b>Einschätzungsspielraum, aber auch strenge gerichtliche Überprüfbarkeit</b></p><p><b>Zur Ausgangssperre hätte es mildere, gleich geeignete Alternativen gegeben</b></p><p><a href="https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bayvgh-20-n-20-767-vorlaeufige-ausgangsbeschraenkungen-rechtswidrig-uebermassverbot/" target="_blank"><span style="font-size: x-small;">Weiter zum vollständigen Artikel ...</span></a><br /><br /></p><div><br /></div>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-30970041866767848012021-10-14T14:01:00.001-07:002021-10-14T14:01:13.959-07:00BayVGH hat in der Hauptsache entschieden: Corona-Ausgangssperre war unverhältnismäßig<p> <span style="background-color: whitesmoke; color: inherit; font-family: "Helvetica Neue", Helvetica, Arial, sans-serif; font-size: 13.3056px; font-weight: 700;">VGH München, Beschluss v. 04.10.2021 – 20 N 20.767</span></p><div class="cont" style="background-color: white; box-sizing: border-box; color: #333333; font-family: "Helvetica Neue", Helvetica, Arial, sans-serif; font-size: 12.8px; margin-bottom: 20px;"><div class="rsprbox" style="background-color: #fbfbfb; border: 1px solid black; box-sizing: border-box; margin-top: 10px; padding: 12px;"><div class="rsprboxueber" style="box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Titel:</div><h1 class="titelzeile" style="box-sizing: border-box; color: inherit; font-family: inherit; font-size: 14.72px; line-height: 1.5em; margin: 0px 0px 5px;">Corona-Pandemie, Vorläufige Ausgangsbeschränkung, Einschätzungsspielraum, Verordnungsermessen, Verhältnismäßigkeit, Übermaßverbot</h1><div class="rsprboxueber" style="box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Normenketten:</div><div class="rsprboxzeile" style="box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">VwGO § 47</div><div class="rsprboxzeile" style="box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">IfSG § 32 S. 1, § 28 Abs. 1</div><div class="rsprboxzeile" style="box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">GG Art. 80 Abs. 1 S. 2</div><div class="rsprboxzeile" style="box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">§ 4 Abs. 2 und 3 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung vom 27. März 2020 in der Fassung vom 31. März 2020</div><div class="rsprboxueber" style="box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Leitsätze:</div><div class="leitsatz" style="box-sizing: border-box; font-weight: bold; line-height: 1.5em; margin-left: 0px;">1. Bei der Beurteilung, ob die Ausbreitung einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit (§ 2 Nr. 3a IfSG) droht, steht den Infektionsschutzbehörden ein gerichtlich nicht vollständig überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.</div><div class="leitsatz" style="box-sizing: border-box; font-weight: bold; line-height: 1.5em; margin-left: 0px;">2. Der Verordnungsgeber hat bei der Auswahl der nach §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 IfSG a.F. zu treffenden Infektionsschutzmaßnahmen im Rahmen seines Verordnungsermessens den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die Einhaltung des Übermaßverbotes unterliegt der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.</div><div class="rsprboxueber" style="box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Schlagworte:</div><div class="rsprboxzeile" style="box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">Corona-Pandemie, Vorläufige Ausgangsbeschränkung, Einschätzungsspielraum, Verordnungsermessen, Verhältnismäßigkeit, Übermaßverbot</div><div class="rsprboxueber" style="box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Weiterführende Hinweise:</div><div class="rsprboxzeile" style="box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">Revision zugelassen</div><div class="rsprboxueber" style="box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Fundstelle:</div><div class="rsprboxzeile" style="box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">BeckRS 2021, 29086</div></div><div class="leerzeile" style="box-sizing: border-box;"> </div><h2 class="entsueber" style="box-sizing: border-box; color: inherit; font-family: inherit; font-size: 14.08px; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-top: 4px;">Tenor</h2><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tenor" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">I. Es wird festgestellt, dass § 4 Abs. 2 und 3 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmeverordnung vom 27. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 158), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) unwirksam war.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tenor" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tenor" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">III. Die Revision wird zugelassen.</div></div><h2 class="entsueber" style="box-sizing: border-box; color: inherit; font-family: inherit; font-size: 14.08px; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-top: 4px;">Gründe</h2><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">I.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">1</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">1. Mit ihrem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO begehren die Antragsteller die Feststellung, dass § 4 Abs. 2 und 3 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie (Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV; 2126-1-4-G, 2126-1-5-G, BayMBl. 2020 Nr. 158; im Folgenden: 1. BayIfSMV) vom 27. März 2020 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) unwirksam war.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">2</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">2. Der Antragsgegner hat am 31. März 2020 durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege mit § 1 Nr. 2 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung folgende Norm erlassen:</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">3</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">„§ 4 Vorläufige Ausgangsbeschränkung</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(1) …</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">4</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(2) Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">5</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(3) Triftige Gründe im Sinn des Abs. 2 sind insbesondere:</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">6</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">1. die Ausübung beruflicher Tätigkeiten,</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">7</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">2. die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen, der Besuch bei Angehörigen therapeutischer Berufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist, sowie Blutspenden,</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">8</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">3. Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs (insbesondere Einrichtungen im Sinne von § 2 Abs. 4 Satz 2); nicht zur Deckung des täglichen Bedarfs gehört die Inanspruchnahme sonstiger Dienstleistungen wie etwa der Besuch von Friseurbetrieben,</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">9</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">4. der Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts im jeweiligen privaten Bereich,</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">10</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">5. die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen,</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">11</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">6. die Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis,</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">12</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">7. Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung und</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">13</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">8. Handlungen zur Versorgung von Tieren.“</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">14</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die Änderungsverordnung wurde am 31. März 2020 im Wege einer Notbekanntmachung im Bayerischen Ministerialblatt (2020 Nr. 162) bekanntgemacht. Die Veröffentlichung der Änderungsverordnung vom 31. März 2020 im Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt erfolgte am 7. April 2020 (GVBl. Nr. 9/2020 S. 194).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">15</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die Verordnung ist mit Ablauf des 19. April 2020 außer Kraft getreten (§ 7 Abs. 1 1. BayIfSMV).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">16</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">3. Die Antragsteller haben mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 10. April 2020 einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gestellt und zuletzt mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 30. Juni 2021 beantragt,</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">17</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Es wird festgestellt, dass § 4 Abs. 2 der Bayerischen Infektionsmaßnahmeschutzverordnung (BayMBl. 2020 Nr. 158), zuletzt geändert durch § 1 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsmaßnahmeschutzverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) unwirksam war.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">18</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Sie tragen zur Begründung ihres Antrages im Wesentlichen vor, die Antragsteller hätten für den nach Außerkrafttreten der Norm nunmehr gestellten Feststellungsantrag ein hinreichendes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit. Zum einen wegen der erheblichen Grundrechtsrelevanz einer allgemeinen Ausgangssperre, zum anderen wegen der konkreten Wiederholungsgefahr. Insoweit werde auch auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in den zur Ausgangsbeschränkung durchgeführten einstweiligen Rechtsschutzverfahren verwiesen.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">19</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">§ 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sei schon keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für eine an die gesamte bayerische Bevölkerung gerichtete, für mehrere Wochen gültige Ausgangsbeschränkung. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Demokratieprinzip abgeleitete Parlamentsvorbehalt verlange, dass staatliches Handeln in bestimmten grundlegenden Bereichen durch förmliches Gesetz legitimiert werde. Zwar seien im Sicherheitsrecht polizeiliche Generalklauseln anerkannt. Die seuchenpolizeilichen Generalklauseln seien freilich auf punktuelle, örtlich und oder zeitlich begrenzte Sachverhalte begrenzt. Dies bedeute, dass nach einer ersten Akutphase der Pandemiebekämpfung der Deutsche Bundestag gezwungen gewesen wäre, derart weitreichende Maßnahmen wie eine Ausgangsbeschränkung selbst zu regeln. Es sei auch nicht so, dass sich effektive Gefahrenabwehr und parlamentarische Vorgaben für Spezialmaßnahmen ausschließen würden. Der Bundestag habe schon mehrfach bewiesen, dass er binnen Stunden bzw. Tagen wichtige Gesetze verabschieden könne. Nach Ansicht der Antragsteller hätte spätestens die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung vom parlamentarischen Gesetzgeber beschlossen werden müssen. Der Antragsgegner habe sich mit dem System der Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen von den punktuell wirkenden Gefahrenabwehrmaßnahmen aus dem März 2020 verabschiedet und begonnen, eine Art Gesetzbuch über den Umgang mit der Pandemie zu verfassen, das die Freiheit bzw. Beschränkungen in fast allen Lebensbereichen geregelt habe.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">20</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die streitgegenständlichen Ausgangssperren verstießen zudem gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil sie nicht erforderlich gewesen seien. Mit allgemeinen Kontaktbeschränkungen hätten mildere, gleich geeignete Mittel zur Verfügung gestanden. Welche Erwägungen der Antragsgegner in seiner Ermessensentscheidung getroffen habe, sei nicht ersichtlich. Sein Vortrag bleibe hier auffallend pauschal, nicht einlassungsfähig und ohne jeden Beweisantritt. Es müsse beim Antragsgegner wissenschaftliche Erkenntnisse gegeben haben, weshalb man strengere Maßnahmen als in anderen Bundesländern für notwendig gehalten habe. Zumindest ex-post sei gerade nicht ersichtlich, dass die strengeren Maßnahmen in Bayern erfolgreicher gewesen seien als die milderen Maßnahmen in anderen Bundesländern.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">21</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">4. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">22</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">den Antrag abzulehnen.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">23</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Normenkontrollantrag sei wegen Fehlens eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Zunächst habe kein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorgelegen. Die Ausgangsbeschränkung sei insbesondere keine Freiheitsentziehung gewesen, weil sie die körperliche Bewegungsfreiheit nicht nach jeder Richtung hin aufgehoben habe. Auch im Übrigen habe sie nicht in ähnlicher Weise wie eine Inhaftierung den Kernbereich der Persönlichkeit betroffen. Ein erneuter Erlass vergleichbarer Verordnungen sei derzeit unwahrscheinlich. Jedenfalls liege eine konkrete Wiederholungsgefahr nicht vor.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">24</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die streitgegenständliche Verordnung sei durch Notbekanntmachung nach Art. 51 Abs. 4 Satz 1 LStVG a.F. Im Bayerischen Ministerialblatt bekannt gemacht worden. Es sei bei der Ende März 2020 anrollenden ersten Welle der Coronapandemie erforderlich gewesen, die (geänderte) BayIfSMV zur Verhütung erheblicher Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen sofort bekanntzumachen. Eine Bekanntmachung nach Art. 51 Abs. 2 LStVG a.F., d.h. im Gesetzund Verordnungsblatt, sei nicht rechtzeitig möglich gewesen. Selbst eine Sonderveröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt habe eine Vorlaufzeit von einer Woche, was angesichts der dramatischen Pandemiesituation zu lange gewesen sei. Bei der Regelung des Art. 51 Abs. 4 Satz 2 LStVG a.F. sei es dem historischen Gesetzgeber um die Sicherung eines genauen Wortlautes der Verordnung im Nachhinein (Bestimmtheitsgebot) gegangen, die bei einer alleinigen Bekanntmachung im Rundfunk oder durch Lautsprecher wegen des dort bloß gesprochenen Wortes nicht für jedermann nachvollziehbar gewährleistet gewesen wäre. Die Nachbekanntmachungspflicht habe demnach eine rein deklaratorische Dokumentationsfunktion. Ein Wirksamkeitserfordernis habe der Gesetzgeber mit dieser Regelung nicht verbinden wollen. Durch die elektronische Bekanntmachung im Bayerischen Ministerialblatt sei diese Dokumentationsfunktion bereits erfüllt. Eine andere Sicht der Dinge würde dem Sinn und Zweck der Regelung zuwiderlaufen und zur Rechtsunsicherheit führen, ob denn die Bekanntmachung im Gesetz- und Verordnungsblatt auch tatsächlich unverzüglich erfolgt sei. Abgesehen davon sei auch die Veröffentlichung unverzüglich erfolgt. Aber selbst wenn ein Mangel bezüglich der konstitutiven Bekanntgabe angenommen würde, könne dies jedenfalls lediglich zur Unwirksamkeit der nicht angegriffenen Bußgeldbewehrung und keinesfalls auch zur Unwirksamkeit des Grundtatbestandes führen. Dies ergebe sich schon aus der Wertung des Art. 51 Abs. 2 StVG a.F., der eine Bußgeldbewehrung jedenfalls erst dann zur Folge habe, wenn die bußgeldbewehrte Verhaltenspflicht auch für die Betroffenen mit hinreichender Bestimmtheit publiziert werde.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">25</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Gesetzgeber habe mit § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 IfSG bewusst eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen, welche der Exekutive weitreichende Handlungsmöglichkeiten an die Hand gebe, ohne dabei - von bei nahezu jeder infektiologischen Lage benötigten Maßnahmen wie Absonderung oder Quarantäne abgesehen - im Einzelnen vorzugeben, welche Maßnahmen die Exekutive ergreifen könnte. Dieses Bild ergebe sich insbesondere aus der Gesetzgebungsgeschichte. Es sei dabei erklärter Wille des Gesetzgebers gewesen, eine möglichst weit formulierte Generalklausel zu schaffen, um den besonderen Erfordernissen des Seuchengeschehens und Seuchenrechts angemessen Rechnung zu tragen und einen effektiven Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Spezialbefugnisse könnten eine Generalklausel für die übrigen denkbaren und auch nicht denkbaren Szenarien nicht ersetzen. Ansonsten würde man das IfSG überfrachten, was den Normenvollzug in der Praxis erheblich erschweren würde. Auch aus der Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012 (BT-Drs. 17/12051) gehe hervor, dass ein schnelles und bestimmtes Eingreifen der Infektionsschutzbehörden notwendig und rechtlich möglich sei. Dass die §§ 28, 32 IfSG nach dem Vorliegen der Risikoanalyse nicht geändert worden seien, zeige, dass der Gesetzgeber die bestehende Ermächtigungsgrundlage als ausreichend erachtet habe. Anderenfalls hätte Handlungsbedarf bestanden. Ein gesetzgeberisches Unterlassen könne aufgrund der qualifizierten Auseinandersetzung mit dieser Thematik durch den Gesetzgeber nicht angenommen werden. Mit der Änderung des § 28 IfSG durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite und dem Verzicht auf den Halbsatz „bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind“ werde bezeugt, dass der Gesetzgeber nicht nur ganz kurzfristige Maßnahmen im Blick gehabt habe. Dass § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG ausschließlich vorübergehende Fälle von besonders kurzer Dauer erfasse, ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Telos der Norm. Schließlich solle den zuständigen Stellen ein effektives Eingreifen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ermöglicht werden. Zudem sei die hier kritisierte Regelung befristet und durchaus kurzfristig, sodass sie sich auch als verhältnismäßig darstelle. Die Ausgangsbeschränkung stelle keine Freiheitsbeschränkung oder gar Freiheitsentziehung dar, weil niemand durch unmittelbaren Zwang daran gehindert worden sei, seine Wohnung zu verlassen. Auch das Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG) sei nicht beeinträchtigt worden. Bei der Beurteilung der Lage habe sich der Antragsgegner vor allem auf die täglichen Lageberichte des Robert Koch-Instituts und des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit gestützt. Danach sei die Ausgangsbeschränkung geboten gewesen, um das Infektionsgeschehen durch die Reduzierung von sozialen Kontakten zu beeinflussen. Hinsichtlich der Eignung von Maßnahmen verfüge der Verordnungsgeber zudem über einen prognostischen Einschätzungsspielraum. Die Ausgangsbeschränkungen seien erforderlich gewesen, da sich gezeigt habe, dass Veranstaltungsverbote und Betriebsuntersagungen allein das Ansteckungsgeschehen in Bayern spürbar nicht zu verlangsamen vermochten. Es habe auch kein milderes Mittel in Form der Regelung zur Verfügung gestanden, dass ein Treffen von maximal zwei Personen in der Öffentlichkeit erlaubt sein sollte, die der Bund zunächst empfohlen hätte. Der Vortrag, es stehe ein milderes Mittel zur Verfügung, sei nur dann weiterführend, wenn dieses mildere Mittel auch gleich geeignet sei, das angestrebte Ziel zu erreichen. Dabei sei einerseits zu beachten, dass hier eine Einschätzungsprärogative der Exekutive bestehe, was die Beurteilung der Geeignetheit anbelange. Darüber hinaus sei die Bundesempfehlung auch offensichtlich weniger geeignet gewesen als die bayerische Regelung. Durch die Beschränkung auf Angehörige des eigenen Hausstandes sei gewährleistet worden, dass Kontakt in der Öffentlichkeit nur mit den Personen bestand, mit denen sich auch ein Kontakt zu Hause nicht habe vermeiden lassen. Damit sei die Gefahr, dass das Coronavirus in den Hausstand hineingetragen werde, bereits reduziert. Die Bundesempfehlung habe dagegen dazu geführt, dass man sich mit einer Vielzahl von Personen über den Tag verteilt habe treffen können. Damit sei eine Verbreitung weit weniger wirksam erschwert worden. Die Beschränkung auf Maßnahmen gegenüber Hochrisikogruppen sei ebenfalls nicht geboten gewesen, zumal in keiner Weise in einer für staatliches Handeln erforderlichen Gewissheit feststellbar gewesen sei, wer wirklich zur Risikogruppe zähle. Schließlich sei die Anordnung allgemeiner Ausgangsbeschränkungen auch angemessen gewesen. Angesichts des dramatischen Infektionsgeschehens und der Gefahr für die Gesundheit einer Vielzahl von Menschen sowie die Gefahr des Zusammenbruchs des Gesundheitssystems, habe der Schutz des Lebens einer großen Anzahl von Personen deutlich schwerer gewogen als die Ausgangsbeschränkung bei Nichtvorliegen triftiger Gründe.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">26</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Nach Abtrennung eines Verfahrensteiles mit Beschluss vom 19. Juli 2021 hat der Senat die Beteiligten mit Schreiben vom 20. Juli 2021 auf die Möglichkeit verwiesen, auch ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege zu entscheiden. Die Beteiligten haben hierzu nicht Stellung genommen.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">27</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">II.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">28</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Antrag, über den der Senat nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheidet, ist zulässig und begründet, weil § 4 Abs. 2 und 3 der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020 (1. BayIfSMV) i.d.F. der Änderungsverordnung vom 31. März 2020 unwirksam war.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">29</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">A. Der Normenkontrollantrag ist zulässig.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">30</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entzieht zwar das Außerkrafttreten der zur Prüfung gestellten Norm dem Normenkontrollantrag grundsätzlich seinen Gegenstand. § 47 Abs. 1 VwGO geht von dem Regelfall einer noch gültigen Norm als Gegenstand des Normenkontrollantrags aus. Ein Normenkontrollantrag kann allerdings auch trotz Außerkrafttretens der angegriffenen Rechtsnorm zulässig bleiben, wenn in der Vergangenheit liegende Sachverhalte noch nach ihr zu entscheiden sind oder wenn während des Normenkontrollverfahrens eine auf kurzfristige Geltung angelegte Norm etwa wegen Zeitablaufs außer Kraft getreten ist. Das Außerkrafttreten der Norm allein lässt den zulässig gestellten Normenkontrollantrag nicht ohne weiteres zu einem unzulässigen Antrag werden, wenn die Voraussetzung der Zulässigkeit nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO fortbesteht, nämlich, dass der Antragsteller durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung einen Nachteil erlitten hat (BVerwG, U.v. 29.6.2001 - 6 CN 1.01 - juris Rn. 10; B.v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 - juris Rn. 9). Der Antragsteller muss nach Außerkrafttreten der angegriffenen Norm allerdings ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung ihrer Ungültigkeit haben (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2018 - 3 BN 1.17 - juris Rn. 19; B.v. 2.9.1983 - 4 N 1.83 - juris Rn. 11). Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die begehrte Feststellung präjudizielle Wirkung für die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines auf die Norm gestützten behördlichen Verhaltens und damit für in Aussicht genommene Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche haben kann oder ein schwerwiegender Grundrechtseingriff das Rechtsschutzinteresse fortbestehen lässt (BVerwG, B.v. 26.5.2005 - 4 BN 22.05 - juris Rn. 5; B.v. 2.8.2018 - 3 BN 1.18 - juris Rn. 5). Ein solcher schwerwiegender Eingriff in die Freiheitsrechte der Antragsteller durch die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung ist vorliegend aber zu bejahen (vgl. nur BVerfG, B.v. 9.4.2020 - 1 BvR 802/20 - juris Rn. 13). Wie das Bundesverfassungsgericht wiederholt festgestellt hat, sind die in den Corona-Verordnungen enthaltenen Verbote und Gebote gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie typischerweise auf kurze Geltung angelegt sind, mit der Folge, dass sie regelmäßig außer Kraft treten, bevor ihre Rechtmäßigkeit in Verfahren der Hauptsache abschließend gerichtlich geklärt werden kann. Es kommt hinzu, dass die Ge- und Verbote die grundrechtliche Freiheit häufig schwerwiegend beeinträchtigen. Da sie - wie hier die Ausgangsbeschränkung - zudem in der Regel keines Verwaltungsvollzugs bedürfen, liegt eine nachträgliche Klärung ihrer Vereinbarkeit mit Grundrechten im Verfahren der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nahe (vgl. BVerfG, B.v. 3.6.2020 - 1 BvR 990/20 - juris Rn. 8; B.v. 15.7.2020 - 1 BvR 1630/20 - juris Rn. 9; vgl. auch SächsOVG, U.v. 21.4.2021 - 3 C 8/20 - BeckRS 2021, 8023).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">31</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">B. Der Normenkontrollantrag ist begründet, weil die Ausgangsbeschränkung nach § 4 Abs. 2 und 3 1. BayIfSMV erst mit Wirkung vom 7. April 2020 ordnungsgemäß bekannt gemacht wurde und daher bis zu diesem Zeitpunkt schon aus formellen Gründen unwirksam war (1.). Unabhängig davon hat sie in materieller Hinsicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen (2.).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">32</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">1. § 4 Abs. 2 und 3 1. BayIfSMV ist erst durch die Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt am 7. April 2020 (GVBl. Nr. 9/2020 S. 194) ordnungsgemäß verkündet und damit wirksam geworden. Zwar erfolgte zunächst eine Notbekanntmachung der Verordnung am 31. März 2020 im Bayerischen Ministerialblatt gemäß Art. 51 Abs. 4 Satz 1 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes in der Fassung vom 18. Mai 2018 (LStVG a.F.). Die Voraussetzungen einer Notbekanntmachung waren jedoch nicht gegeben.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">33</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Grundsätzlich waren nach der - vom Antragsgegner mit Wirkung zum 1. Mai 2020 aufgehobenen und neugefassten (vgl. § 2 des „Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Land- und Amtsarztgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften“ vom 27. April 2020, GVBl. 2020/13 S. 236) - Vorschrift des Art. 51 Abs. 2 LStVG a.F. bewehrte Verordnungen der Staatsministerien - wie die hier angegriffene Norm - zwingend im Gesetz- und Verordnungsblatt amtlich bekanntzumachen.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">34</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Dabei galt nach Art. 51 Abs. 4 Satz 1 LStVG a.F.:</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">35</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">„(4) Ist es zur Verhütung erheblicher Gefahren für Leben, Gesundheit oder zum Schutz von Sachgütern erforderlich, eine Verordnung sofort bekanntzumachen und ist eine Bekanntmachung nach Absatz 1 oder Absatz 2 nicht rechtzeitig möglich, so kann die Verordnung im Rundfunk oder Fernsehen, im Internet, durch geeignete elektronische Kommunikationsmittel, Lautsprecher oder in ortsüblicher Art amtlich bekanntgemacht werden (Notbekanntmachung). Die Verordnung ist sodann unverzüglich nach Absatz 1 oder Absatz 2 zu veröffentlichen; hierbei ist auf Zeit und Art der Notbekanntmachung hinzuweisen.“</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">36</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Es ist bereits nicht feststellbar, dass es erforderlich war, die streitgegenständliche Verordnung sofort bekannt zu machen. Im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Bayerischen Ministerialblatt am 31. März 2020 hatte der Antragsgegner bereits eine vorläufige Ausgangsbeschränkung erlassen (zunächst durch Allgemeinverfügung vom 20. März 2020, BayMBl. 2020 Nr. 152, sodann durch § 1 Abs. 4 und Abs. 5 der „Bayerischen Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie“ vom 24. März 2020 <BayMBl. 2020 Nr. 130>). Der Antragsgegner ging von der Wirksamkeit dieser Regelungen aus, so dass nicht ersichtlich ist, dass es hätte erforderlich sein können, § 4 Abs. 2 und 3 1. BayIfSMV sofort, d.h. unmittelbar nach Eintritt einer Gefahrenlage, bekannt zu machen. Erst durch § 1 Nr. 2 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. 2020 Nr. 162) mit Wirkung zum 1. April 2020 wurde die zu diesem Zeitpunkt bereits als (unbewehrte) Verordnung erlassene und ursprünglich bis einschließlich 3. April 2020 befristete (§ 2 der Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung vom 24. März 2020) vorläufige Ausgangsbeschränkung - inhaltlich im Wesentlichen unverändert - in die zugleich mit einer Bußgeldbestimmung (§ 5 1. BayIfSMV) bewehrte 1. BayIfSMV integriert. Es mag zwar sein, dass es in diesem Zeitpunkt angesichts der andauernden Pandemielage erforderlich war, auch durch die kurze Dauer der Maßnahmen bedingt, unverzüglich Infektionsschutzmaßnahmen zu treffen bzw. zu verlängern. Eine sofortige Bekanntgabe einer Ausgangsbeschränkung, wie es der unmissverständliche Wortlaut des Art. 51 Abs. 4 Satz 2 LStVG fordert, war am 31. März 2020 im Hinblick auf die bereits geltende Ausgangsbeschränkung jedoch nicht erforderlich. Weil die Ausgangsbeschränkung materiell schon vor dem Erlass der angegriffenen Norm existierte und allein die Bewehrung der Verordnung die Veröffentlichungspflicht nach Art. 51 Abs. 2 LStVG a.F. ausgelöst hat, ist kein Grund ersichtlich, dass gerade die sofortige Integration der Ausgangsbeschränkung in die 1. BayIfSMV oder die Bewehrung der Verordnung „zur Verhütung erheblicher Gefahren“ für die in Art. 51 Abs. 4 Satz 1 LStVG a.F. genannten Schutzgüter erforderlich war.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">37</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Zudem war im Hinblick auf die zum damaligen Zeitpunkt bereits stetig steigenden Infektionszahlen in den Tagen und Wochen vor dem 31. März 2020 und der Bund-Länder-Treffen (vom 12. März 2020) und Beschlüsse vom 22. März 2020 absehbar, dass die Infektionsschutzmaßnahmen zeitlich in den April hinein verlängert werden mussten. Es ist damit nicht ersichtlich, warum die rechtzeitige Vorbereitung einer Bekanntmachung der streitgegenständlichen Verordnung in Anbetracht dieses zeitlichen Vorlaufes im Gesetz- und Verordnungsblatt nicht möglich gewesen sein sollte. Damit lagen die Voraussetzungen einer Notbekanntmachung nach Art. 51 Abs. 4 LStVG nicht vor. Dass § 51 Abs. 2 LStVG a.F. als Relikt aus einer „rein analog denkenden Welt“ angesichts der andauernden Pandemielage schwer zu handhaben und eine digitale Modernisierung erforderlich war, hat der Antragsgegner erkannt (vgl. LT-Drs. 18/7347). § 2 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Land- und Amtsarztgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften vom 27. April 2020, welcher die Veröffentlichungspflicht für bewehrte Verordnungen der Staatsministerien und der Staatsregierung im Gesetz- und Verordnungsblatt ersatzlos gestrichen hat, ist jedoch erst am 1. Mai 2020 in Kraft getreten (§ 4 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Land- und Amtsarztgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">38</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Dieser Verstoß gegen eine Bekanntmachungsvorschrift führt zur Unwirksamkeit der angegriffenen Norm bis zum Zeitpunkt ihrer ordnungsgemäßen Bekanntmachung am 7. April 2020 im Gesetz- und Verordnungsblatt. Der Einwand des Antragsgegners, diese Rechtsfolge betreffe lediglich den Bußgeldtatbestand und nicht den Grundtatbestand des § 4 Abs. 2 1.BayIfSMV, greift angesichts des klaren Wortlauts des Art. 51 Abs. 2 LStVG a.F. und aus Publizitätsgründen nicht durch. Von der Bekanntmachungspflicht des Art. 51 Abs. 2 LStVG a.F. ist sowohl der Grundtatbestand als auch der Bußgeldtatbestand erfasst, wenn und soweit sich - wie hier - Inhalt und Reichweite des Bußgeldtatbestands erst aus einer Zusammenschau mit der bewehrten Verbotsnorm ergeben.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">39</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">2. § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV ist zudem insgesamt - einschließlich des Zeitraums ab dem 7. April 2020 - aus materiellen Gründen unwirksam, weil er gegen das Übermaßverbot als besondere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verstieß.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">40</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">a) Allerdings findet der von den Antragstellern angegriffene § 4 Abs. 2 und 3 1. BayIfSMV in § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der maßgeblichen Fassung, die sie durch das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vom 27. März 2020 (BGBl. 2020 I S. 587 ff.; BT-Drucks 19/18111) erhielt, eine hinreichende gesetzliche Grundlage.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">41</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Durch § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sind, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Insbesondere können Personen verpflichtet werden, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">42</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG verstieß im hier maßgeblichen Zeitraum der Geltungsdauer der angegriffenen Verordnung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Danach soll sich das Parlament seiner Verantwortung als gesetzgebende Körperschaft nicht dadurch entäußern können, dass es einen Teil der Gesetzgebungsmacht der Exekutive überträgt, ohne die Grenzen dieser Kompetenzen bedacht und diese nach Tendenz und Programm so genau umrissen zu haben, dass der Bürger schon aus der gesetzlichen Ermächtigung erkennen und vorhersehen kann, was ihm gegenüber zulässig sein soll und welchen möglichen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können (vgl. dazu nur BVerfG, B.v. 21.9.2016 - 2 BvL 1/15 - juris Rn. 54 ff. m.w.N.).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">43</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die Ermächtigungsnorm muss in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein; sie hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mit Hilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm (stRspr; vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 55).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">44</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Welche Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich daher nicht allgemein festlegen. Zum einen kommt es auf die Intensität der Auswirkungen der Regelung für die Betroffenen an. Je schwerwiegender die grundrechtsrelevanten Auswirkungen für die von einer Rechtsverordnung potentiell Betroffenen sind, desto strengere Anforderungen gelten für das Maß der Bestimmtheit sowie für Inhalt und Zweck der erteilten Ermächtigung.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">45</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Zum anderen hängen die Anforderungen an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Determinierung von der Eigenart des zu regelnden Sachverhalts ab, insbesondere davon, in welchem Umfang der zu regelnde Sachbereich einer genaueren begrifflichen Umschreibung überhaupt zugänglich ist. Dies kann es auch rechtfertigen, die nähere Ausgestaltung des zu regelnden Sachbereichs dem Verordnungsgeber zu überlassen, der die Regelungen rascher und einfacher auf dem neuesten Stand zu halten vermag als der Gesetzgeber (vgl. BVerfG, a.a.O. Rn. 57).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">46</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Nach diesen Maßstäben ist hier ein Verstoß des § 32 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG nicht festzustellen. Auch wenn die Befugnisnorm des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, auf die die Verordnungsermächtigung nach § 32 Satz 1 IfSG (u.a.) Bezug nimmt, zumindest in ihrem ersten Halbsatz als offene Generalklausel ausgestaltet ist und dies nach den Gesetzgebungsmaterialien zur insoweit wortgleichen Vorgängerregelung des § 34 Bundes-Seuchengesetz auch explizit sein sollte (vgl. BT-Drucks 8/2468 S. 27 f.), hat der parlamentarische Gesetzgeber mit der Neufassung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zum 28. März 2020 durch Einfügung des zweiten Halbsatzes „sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten“ die Ermächtigungsgrenzen jedenfalls nunmehr insoweit hinreichend bestimmt gefasst, dass § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zwar keine - mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbare - Globalermächtigung für die Verordnungsgeber enthält, dass aber allgemeine Ausgangs- und Betretungsverbote - die in besonders erheblichem Maß in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen - von der Befugnis umfasst sein können. Inhalt, Zweck und Ausmaß der vom Gesetzgeber erteilten Verordnungsermächtigung sind daher als hinreichend bestimmt anzusehen.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">47</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Hinzu kommt, dass während des Gesetzgebungsverfahrens des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, den Mitgliedern des Bundestages durchaus bewusst war, dass die Länder Verordnungen nach § 32 Satz 1 IfSG über Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19 bereits getroffen hatten. Die Bayerische Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie vom 24. März 2020 war rückwirkend zum 21. März 2020 in Kraft getreten (§ 2). Die Verordnung über erforderliche Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Berlin war am 23. März 2020 (§ 18 Abs. 1) mit ihren Kontaktbeschränkungen nach § 14 in Kraft getreten. Ebenso hatten andere Bundesländer Ausgangsbeschränkungen oder Kontaktbeschränkungen durch Verordnung erlassen. Zuvor hatten die Bundeskanzlerin und die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 22. März 2020 umfangreiche Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und im privaten Raum beschlossen (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/besprechung-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-1733248).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">48</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Angesichts der durch Infektionskrankheiten wie Covid-19 ausgehenden potentiellen Gefahren für Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 GG) wird man die recht offene Ermächtigungsgrundlage als Rechtsgrundlage der hier angegriffenen 1. BayIfSMV auch nicht als unverhältnismäßig ansehen können (vgl. Papier, Freiheitsrechte in Zeiten der Pandemie, DRiZ 2020, 180). Gerade im Hinblick auf „bedrohliche übertragbare Krankheiten“, also übertragbare Krankheiten, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen können (§ 2 Nr. 3a IfSG), bedarf es - zumal vor dem Hintergrund neu auftretender, noch nicht hinreichend erforschter Krankheiten - einer relativ offenen Rechtsgrundlage, die allerdings ihr Korrektiv durch die Beschränkung auf „notwendige Schutzmaßnahmen“ erhält. Das behördliche (Auswahl-)Ermessen wird dadurch beschränkt, dass nur „notwendige Schutzmaßnahmen“ in Betracht kommen, also Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 - juris Rn. 24). Diesen besonderen Schranken der Befugnisnorm ist im Rahmen der Rechtsanwendung, also dem Verordnungserlass, besondere Beachtung zu schenken.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">49</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Damit bestehen keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage der hier angegriffenen Norm.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">50</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">b) Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 IfSG waren im Zeitpunkt des Erlasses und im Geltungszeitraum der Norm erfüllt.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">51</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">aa) § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG verpflichtet die Behörde zum Handeln, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen (sog. gebundene Entscheidung). Sie setzt tatbestandlich lediglich voraus, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Diese Voraussetzungen lagen dem Grunde nach angesichts der anhaltenden SARS-CoV-2-Pandemielage vor. Weitere tatbestandliche Anforderungen an ein Tätigwerden stellt § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG nicht (ständige Rspr. des Senats, vgl. nur B.v. 1.9.2020 - 20 CS 20.1962 - juris Rn. 24).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">52</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Nachdem § 28 eine Befugnisnorm zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ist, setzt die Norm die Feststellung einer solchen Krankheit voraus, was zugleich die Notwendigkeit einer Gefährdungseinschätzung dieser Krankheit für die Bevölkerung beinhaltet. So kennt das Gesetz selbst die „übertragbare Krankheit“, also eine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden, verursachte Krankheit (§ 2 Nr. 3 IfSG) und die „bedrohliche übertragbare Krankheit“, also eine übertragbare Krankheit, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann (§ 2 Nr. 3a IfSG). Letztere stellt auf mögliche schwere klinische Verlaufsformen der Krankheit und auf die Weiterverbreitungsweise der Krankheit ab. Dies schließt Krankheiten, die durch neu aufgetretene Erreger oder Erreger mit besonderen Resistenzen verursacht werden, ein. Die genannten Eigenschaften einer übertragbaren Krankheit können jeweils für sich allein oder durch ihr Zusammenwirken eine besondere Gefährlichkeit der übertragbaren Krankheit für die Bevölkerung ausmachen (BR-Drs. 784/16 S. 49).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">53</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit einschließlich der Übertragungsgefahr einer solchen Krankheit kann bei bekannten Krankheiten auf die Erfahrungen und das Wissen auf den Gebieten der Medizin und der Epidemiologie der Vergangenheit zurückgegriffen werden. Anders verhält es sich in dem hier maßgeblichen Zeitraum während der Geltungsdauer der Norm dagegen bei Covid-19. Hierbei handelt es sich um eine neuartige Bedrohung, die auch nicht mit den Grippepandemien 1957 bis 1959, 1968 und 1977 vergleichbar ist, da zu diesen Zeiten sowohl klinische und epidemiologische Erkenntnisse über Grippe-Erkrankungen als auch entsprechende Impfstoffe vorhanden waren. Im Situationsbericht des RKI vom 30. März 2020 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-30-de.pdf? blob=publicationFile) heißt es:</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">54</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">„Es handelt sich weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Bei einem Teil der Fälle sind die Krankheitsverläufe schwer, auch tödliche Krankheitsverläufe kommen vor. Die Zahl der Fälle in Deutschland steigt weiter an. Die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland wird derzeit insgesamt als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen als sehr hoch. Die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Diese Gefährdung variiert von Region zu Region. Die Belastung des Gesundheitswesens hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen (Isolierung, Quarantäne, soziale Distanzierung) ab und kann örtlich sehr hoch sein.“</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">55</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Dabei kam im maßgeblichen Zeitraum der Geltungsdauer der Norm der Einschätzung des RKI besondere Bedeutung zu, denn nach § 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG ist das Robert Koch-Institut die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen. Es erstellt im Benehmen mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden für Fachkreise als Maßnahme des vorbeugenden Gesundheitsschutzes Richtlinien, Empfehlungen, Merkblätter und sonstige Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 IfSG).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">56</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">bb) Hinzu kommt, dass den Infektionsschutzbehörden bei der Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen einer „bedrohlichen übertragbaren Krankheit“ (§ 2 Nr. 3a IfSG) ein gerichtlich nicht voll überprüfbarer Beurteilungsspielraum zusteht. Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber die Grenzen seines Beurteilungsspielraums vorliegend überschritten hätte, sind nicht ersichtlich.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">57</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung ging bei Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wohl auch bei der Einschätzung der Gefährlichkeit der SARS-CoV-2-Pandemie von einem weitem Einschätzungsspielraum der Exekutive aus (BVerfG, B.v. 11.11.2020 - 1 BvR 2530/20 - juris, BayVerfGH, E.v. 23.11.2020 - Vf. 59-VII-20 - juris., VerfGH NW, B.v. 30.11.2020 - 185/20.VB-1 - juris, SaarlVerfGH, B.v. 28.4.2020 - Lv 7/20 -NVwZ-RR 2020, 514; zur Verordnung über vorläufige Ausgangsbeschränkungen: BayVerfGH, E.v 9.2.2021 - Vf. 6-VII-20 - juris). Eine dogmatische Herleitung dieses Einschätzungsspielraum fand dort jedoch aufgrund der Natur des einstweiligen Rechtsschutzes überwiegend nicht statt. In der Regel wurde pauschal auf die staatliche Pflicht verwiesen, Leben und Gesundheit zu schützen (Art. 2 Abs. 2 GG).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">58</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Voraussetzung für die Annahme eines Einschätzungs- oder Beurteilungsspielraums ist nach den vom Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen zunächst, dass ein entsprechender Spielraum der Ermächtigung ihrer Art und ihrem Umfang nach den jeweiligen Rechtsvorschriften zumindest konkludent entnommen werden kann und dass es für ihn einen hinreichend gewichtigen Sachgrund gibt (BVerfG, B.v. 31.5.2011 - 1 BvR 857/07 - Rn. 99; BVerwG, U.v. 29.6.2016 - 7 C 32.15 - juris Rn. 29). Im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes ist es Aufgabe des Gesetzgebers, unter Beachtung der Grundrechte die Rechtsposition zuzuweisen und auszugestalten, deren gerichtlichen Schutz Art. 19 Abs. 4 GG voraussetzt und gewährleistet (BVerwG, B.v. 21.12.1995 - 3 C 24.94 - juris Rn. 30).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">59</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Ob das Gesetz eine solche Beurteilungsermächtigung enthält, ist durch Auslegung des jeweiligen Gesetzes zu ermitteln (BVerwG, U.v. 16.5.2007 - 3 C 8.06 - juris Rn. 26 m.w.N.; BVerwG, U.v. 23.1.2008 - 6 A 1.07 - juris Rn. 43; BVerwG, U.v. 23.11.2011 - 6 C 11.10 - juris Rn. 37).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">60</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Dem Wortlaut der Bestimmungen des §§ 32, 28 IfSG lassen sich auf den ersten Blick keine Tatbestandsmerkmale entnehmen, welche auf einen entsprechenden Einschätzungsspielraum schließen lassen. Allerdings sollen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">61</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Bei neu auftretenden Erregern kann die Einschätzung schwierig sein, ob es sich um eine „bedrohliche übertragbare Krankheit“ handelt, also um eine übertragbare Krankheit, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann (§ 2 Nr. 3a IfSG). Gerade die Frage, ob der neuartige Erreger eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, erfordert eine prognostische Einschätzung des Gefährdungspotenzials. Um die Gefahren, die von Infektionskrankheiten ausgehen, und damit die Erforderlichkeit von Schutzmaßnahmen erkennen und abschätzen zu können, ist die Exekutive in erheblichem Umfang auf wissenschaftliche Expertise angewiesen. Im Falle neuartiger Krankheitserreger und Erkrankungen kann jedoch denknotwendig die Frage der Gefährdung der Bevölkerung nicht aufgrund einer sicheren und umfassend abgeklärten Tatsachenbasis bewertet und beantwortet werden. Sie kann lediglich aufgrund von Prognosen erfolgen, die zwar ihrerseits tatsachenbasiert und nachvollziehbar sein müssen, jedoch bestehende Unsicherheiten enthalten dürfen. Aus diesem Grund kommt dem Gesetzgeber oder der von ihm zum Verordnungserlass ermächtigten Exekutive im Falle von Ungewissheiten im fachwissenschaftlichen Diskurs und damit einhergehender unsicherer Entscheidungsgrundlage auch in tatsächlicher Hinsicht Einschätzungsspielräume zu (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 - 1 BvR 1021/20 -, juris Rn. 10; Thüringer Verfassungsgerichtshof, U.v. 1.3.2021 - 18/20 - juris). Das gilt jedenfalls für die Frage des Vorliegens einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3a IfSG.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">62</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner bei der Einordnung von Covid-19 als bedrohliche übertragbare Krankheit (§ 2 Nr. 3a IfSG) seinen Einschätzungsspielraum überschritten hat, sind aufgrund der bereits geschilderten Einschätzung der epidemiologischen Situation durch insbesondere das RKI nicht feststellbar</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">63</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">c) In ihrer konkreten Ausgestaltung war die Ausgangsbeschränkung jedoch keine notwendige Maßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Denn der Verordnungsgeber hat den Ausnahmetatbestand der triftigen Gründe (§ 4 Abs. 3 1. BayIfSMV), die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigen, so eng gefasst, dass die Norm im Ergebnis gegen das Übermaßverbot verstößt. Dem Verordnungsgeber steht zwar grundsätzlich auch im Rahmen des § 32 IfSG ein Rechtsetzungsermessen zu. Er unterliegt aber im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, insbesondere das Übermaßverbot, der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">64</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(a) Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen - das „Wie“ des Eingreifens - ist der Behörde durch § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG ein Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass nur „notwendige Schutzmaßnahmen“ in Betracht kommen, also Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (BVerwG, U.v. 22.3.2012 - 3 C 16.11 - BVerwGE 142, 205 - juris Rn. 24). Allerdings wird man zwischen dem Ermessen der Verwaltungsbehörde im Rahmen des § 28 Abs. 1 IfSG und dem Ermessen des Verordnungsgebers nach § 32 Satz 1 IfSG unterscheiden müssen. Verwaltungsermessen und Verordnungsermessen unterscheiden sich strukturell (BVerfG, B.v. 1.4.2014 - 2 BvF 1/12, 2 BvF 3/12 - NVwZ 2014, 1219 Rn. 92).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">65</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts kommt es bei der richterlichen Kontrolle von (untergesetzlichen) Normen, soweit keine anderweitigen Rechtsvorschriften bestehen, auf das Ergebnis des Rechtssetzungsverfahrens, also auf die erlassene Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung, nicht aber auf die die Rechtsnorm tragenden Motive dessen an, der an ihrem Erlass mitwirkt. Soweit der Normgeber zur Regelung einer Frage befugt ist, ist seine Entscheidungsfreiheit eine Ausprägung des auch mit Rechtssetzungsakten der Exekutive typischerweise verbundenen normativen Ermessens. Es wird erst dann rechtswidrig ausgeübt, wenn die getroffene Entscheidung in Anbetracht des Zweckes der Ermächtigung schlechterdings unvertretbar oder unverhältnismäßig ist. Demgemäß beschränkt sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle darauf, ob diese äußersten rechtlichen Grenzen der Rechtssetzungsbefugnis überschritten sind. Eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung der Motive und des Abwägungsvorgangs des Normgebers setzt daher bei untergesetzlichen Normen eine besonders ausgestaltete Bindung des Normgebers an gesetzlich formulierte Abwägungsdirektiven voraus, wie sie etwa im Bauplanungsrecht vorgegeben sind. Sind solche nicht vorhanden, wird die Norm nicht wegen Mängeln im Abwägungsvorgang rechtswidrig. Entscheidend ist allein, ob das Ergebnis des Normsetzungsverfahrens den anzulegenden rechtlichen Maßstäben entspricht (vgl. BVerfG, B. v. 8.6.1977 - 2 BvR 499/74, 2 BvR 1042/75 - BVerfGE 45, 142; BVerwG, U.v. 26.4.2006 - 6 C 19.05 - BVerwGE 125, 384, juris Rn. 16; zum Ganzen s.a. B.v. 3.5.1995 - 1 B 222.93 - GewArch 1995, 425, juris Rn. 5 und B.v. 30.4.2003 - 6 C 6.02 - BVerwGE 118, 128, juris Rn. 66; VGH BW, U.v. 6.3.2018 - 6 S 1168/17 - juris). Darüberhinausgehende Zweckmäßigkeitserwägungen sind den Gerichten verwehrt (Voßkuhle, JuS 2008, 117). Dementsprechend kann nicht die subjektive Willkür des Gesetzgebers, sondern nur die objektive, d.h. die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit einer Norm im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, die sie regeln soll, zur Feststellung der Rechtswidrigkeit führen (BVerfG, B.v. 20.3.1979 - 1 BvR 111/74 - BVerfGE 51, 1 <26 f. m.w.H.>; BVerwG, U.v. 13.12.1984 - 7 C 3.83 - NVwZ 1985, 566).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">66</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Bei der Kontrolldichte der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung von Verordnungen wird man allerdings differenzieren müssen. Der Beurteilung von Prognoseentscheidungen des Gesetzgebers legt das Bundesverfassungsgericht je nach Zusammenhang differenzierte Maßstäbe zu Grunde, die von einer Evidenzüber eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen. Im Einzelnen maßgebend sind Faktoren wie die Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, die Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und die Bedeutung der betroffenen Rechtsgüter (vgl. BVerfGE 50, 290 <332 f.>; 83, 130 <141>). Entsprechendes gilt für die verfassungsgerichtliche Überprüfung von Prognoseentscheidungen des Verordnungsgebers, wenn die Prognoseentscheidung durch den ermächtigenden parlamentarischen Gesetzgeber auf den Verordnungsgeber übertragen wurde (BVerfG, B.v. 27.6.2002 - 2 BvF 4/98 - BVerfGE 106, 1 Rn. 69 f.). Zwar mag im Rahmen der Rechtsetzung nach § 32 IfSG in tatsächlicher Hinsicht bei der Einordnung der Covid-19-Pandemie ein Einschätzungsspielraum (vgl.2.b.) gerade auch zu Beginn des Infektionsgeschehens bestanden haben. Es entspricht auch der Struktur der §§ 28 Abs. 1, 32 Satz 1 IfSG, dass sich dieser auf der Tatbestandseite bestehende Einschätzungsspielraum auf der Rechtsfolgenseite in dem Ausmaß und der Intensität der Bekämpfungsmaßnahmen niederschlägt. Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen - „Wie“ des Eingreifens - ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt, d.h. die verordneten Maßnahmen müssen auch im Verhältnis zu den mit ihnen verbunden Rechtseingriffen angemessen erscheinen.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">67</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Allerdings hängt die Bestimmung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte des Rechtsetzungsermessens bei dem Erlass von Rechtsverordnungen durch die Verwaltung im Wesentlichen vom Verordnungstyp ab und orientiert sich an den Maßstäben der Evidenz und Vertretbarkeit (Ossenbühl in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl. 2007, § 103 Rechtsverordnung Rn. 85).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">68</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Als Normkonkretisierung und/oder Gesetzesergänzung ist Verordnungsgebung Rechtsetzung, nicht bloße Rechtsanwendung. Dem Verordnungsgeber steht nach dem Maße der ihm delegierten Rechtsetzungsbefugnis ein Raum eigener Gestaltungsfreiheit zu, den er nicht etwa im Wege deduktiver Ableitung aus gesetzlichen Vorgaben, sondern vielmehr durch politische Sach- und Willensentscheidungen im Rahmen eines gesetzlichen Programms ausfüllt. Das Verordnungsermessen als eigengeartetes Phänomen ist von der legislativen Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers einerseits und von dem administrativen Ermessen (Verwaltungsermessen) andererseits zu unterscheiden. Mit der legislativen Gestaltungsfreiheit mag das Verordnungsermessen strukturell vergleichbar sein; jedoch unterscheidet sich die legislative Gestaltungsfreiheit vom Verordnungsermessen durch das Fehlen inhaltlicher Vorgaben und Direktiven und durch das Maß an demokratischer Legitimation. Wenn sich die Verordnungsgebung gerade darauf bezieht, dass der Verordnungsgeber an Stelle des parlamentarischen Gesetzgebers die formalgesetzlich noch nicht vollständig ausgeformte Entscheidung des Parlamentes zu Ende denken und damit „konkretisieren“ soll, ist sie der richterlichen Kontrolle nur beschränkt zugänglich. Der Richter kann nur nachprüfen, ob der Verordnungsgeber sich mit seiner Gesetzeskonkretisierung innerhalb des vorgegebenen Bedeutungsrahmens und des Ziels der gesetzlichen Regelung bewegt (Ossenbühl, a.a.O. Rn. 41 f.).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">69</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Werden Rechtsverordnungen dagegen auch als Instrumente zur Regelung von Einzelfällen eingesetzt, handelt es sich qualitativ nicht mehr um einen Akt der Normsetzung. Wenn eine Rechtsverordnung Funktion und Regelungsgehalt eines Verwaltungsaktes übernimmt, so liegt es nahe, sie derselben Kontrollintensität auszusetzen wie Verwaltungsakte, unbeschadet der Frage, in welchem Verfahren die Rechtsverordnung zur richterlichen Überprüfung gelangen kann (Ossenbühl, a.a.O. Rn. 47f; ebenso Weitzel, Justitiabilität des Rechtsetzungsermessens, Diss. 1998, S. 218).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">70</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(b) Unter Beachtung dieser Prämissen ist die Verordnungsgebung nach den §§ 32 Satz 1, 28 IfSG unter der zuletzt genannten Kategorie einzuordnen, mit der Folge, dass sie einer weitgehenden richterlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegt. Es bestehen bereits Zweifel, ob der historische Gesetzgeber des BSeuchG und daran im Anschluss des IfSG tatsächlich die Generalklausel des § 28 IfSG auch im Hinblick auf sog. Lockdowns oder Shutdowns entwickelt hat, in dem Sinne, dass den Landesregierungen oder den subdelegierten Stellen der Erlass solch umfassender, das gesamte öffentliche Leben eines Landes tiefgreifend umgestaltender Einschränkungen erlaubt werden sollte. Die Möglichkeit, zur Infektionsbekämpfung Rechtsverordnungen zu erlassen, wurde durch § 38a BSeuchG i.d.F. vom 18. Dezember 1979 (BGBl. I S. 2262) in das BSeuchG eingefügt. In der Gesetzesbegründung zu § 38a BSeuchG (BT-Drs. 8/2468 S. 29) wurde auf die Begründung der im wesentlichen inhaltsgleichen Regelung des § 12a BSeuchG verwiesen. Danach wollte der historische Gesetzgeber die Regelungslücke einer fehlenden Normsetzungsbefugnis schließen, da „bestimmte Maßnahmen des Infektionsschutzes sinnvoll nur in Form einer allgemeinverbindlichen Regelung, also in einer Rechtsnorm, erlassen werden“ könnten; hierzu gehörten „z.B. die Verhängung eines Badeverbots für bestimmte Flußstrecken, das Verbot des Betretens eines Waldes oder die Anordnung von Verhaltensmaßregeln beim Betreten des Waldes zur Verhütung der Tollwut beim Menschen“ (BT-Drs. 8/2468 S. 21). Weiter heißt es in der Begründung:</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">71</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">„Um eine einwandfreie Rechtsgrundlage für den Erlass allgemeinverbindlicher Gebote oder Verbote zur Verhütung übertragbarer Krankheiten zu schaffen, soll der neue § 12 a in das BSeuchG eingefügt werden. Er ergänzt die §§ 10, 10 a, 10 b und 12 und bezieht sich wie diese nur auf die Abwehr konkreter Gefahren. Der Erlass von Rechtsverordnungen ist an die gleichen inhaltlichen Voraussetzungen geknüpft, die auch für Maßnahmen nach den genannten Vorschriften gelten. Die vorgeschlagene Fassung lehnt sich im Übrigen an die in verschiedenen Ländern bestehenden Ermächtigungsvorschriften zum Erlass von ordnungsbehördlichen Verordnungen (Polizeiverordnungen) an.“</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">72</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Anhaltspunkte, welche dem Verordnungsgeber bei der Auswahl der Mittel einen Spielraum eröffnen könnten, lassen sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Auch die nationale Pandemieplanung kannte bis zu dem pandemischen Auftretens des Coronavirus die Begriffe des „Lockdown“ oder „Shutdown“ bzw. die dazugehörigen Maßnahmenbündel nicht (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Ergaenzung_Pandemieplan_Covid.pdf? blob=publicationFile; https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/187/28Zz7BQWW2582iZMQ.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">pdf?sequence=1& isAllowed=y; https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Preparedness_ Response/Rahmenkonzept_Epidemische_bedeutsame_Lagen.html).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">73</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Erst durch das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) und der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag am 25. März 2020 (Plenarprotokoll 19/154 S. 19169) wurden die erlassenen Maßnahmen der Länder in der Pandemie legitimiert. Den betreffenden Plenarsitzungen des Bundestages lässt sich entnehmen, dass die bereits durch die Bund-Länder-Treffen (vom 12. März 2020) und Beschlüsse vom 22. März 2020 getroffenen und die durch die Länder umgesetzten Maßnahmen gebilligt werden sollten.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">74</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Es entsprach jedoch nach wie vor den Vorgaben des Bundesgesetzgebers, dass Maßnahmen, die auf die §§ 32 Satz 1, 28 Abs. 1 IfSG gestützt werden, notwendig sein müssen und damit auch einer gerichtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen. Ob dem Verordnungsgeber bei der Auswahl der Maßnahmen wegen der unbekannten Wirkung der Maßnahmen ein gewisser Spielraum einzuräumen ist, kann dabei nicht generell beantwortet werden, sondern ist eine Frage der konkreten Maßnahme und der Umstände.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">75</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(c) Bei Anwendung dieser Maßstäbe stellt sich die von Antragsgegner erlassene vorläufige Ausgangsbeschränkung als unverhältnismäßig dar, weil sie gegen das Übermaßverbot verstoßen hat.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">76</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(aa) Die Ausgangsbeschränkung war grundsätzlich geeignet, den gesetzlichen Zweck der Maßnahme zu erfüllen und die Übertragung des Coronavirus jedenfalls zu hemmen (§ 1 Abs. 1 Var. 3 IfSG). Durch die Ausgangsbeschränkung kommt es zur Kontaktreduzierung im öffentlichen und privaten Raum.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">77</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(bb) Der Verordnungsgeber hat bei der Auswahl seiner Maßnahmen von mehreren gleich geeigneten Mitteln das die Grundrechte der Normadressaten weniger belastende zu wählen. Im vorliegenden Fall kämen als mildere Maßnahme Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Raum in Betracht, da diese den Aufenthalt von Einzelpersonen im öffentlichen Raum unberührt lassen. Nach § 4 Abs. 3 Nr. 7 1. BayIfSMV stellte u.a. „Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung“, einen triftigen Grund für das Verlassen der Wohnung dar. Vom Wortlaut her ist daher nur das Verlassen der Wohnung zur Sportausübung und Bewegung und kein Verlassen, um an einem Ort außerhalb der eigenen Wohnung zu verweilen, zulässig (BayObLG, B.v. 24.6.2021 - 202 ObOWi 660/21 - COVuR 2021, 561). Zwar handelte es sich bei den triftigen Gründen des § 4 Abs. 3 1. BayIfSMV um Regelbeispiele, so dass auch ungeschriebene triftige Gründe in Betracht gekommen sind. Als Ausnahmetatbestand ist jedoch § 4 Abs. 3 1. BayIfSMV eng auszulegen. Eine über den Wortlaut des § 4 Abs. 3 1. BayIfSMV hinausgehende Auslegung, der die Vorschrift auf eine Kontaktbeschränkung im öffentlichen und privaten Raum reduziert, verstieße gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3, 103 Abs. 2 GG, so dass das kontaktlose Verweilen im Freien außerhalb der Wohnung keinen triftigen Grund zum Verlassen der Wohnung darstellte.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">78</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Beklagte trägt zwar hierzu vor, es habe kein milderes Mittel in Form der Regelung zur Verfügung gestanden, dass ein Treffen von maximal zwei Personen in der Öffentlichkeit erlaubt sein sollte, wie dies der Bund zunächst empfohlen hätte. Hierbei sei einerseits zu beachten, dass eine Einschätzungsprärogative der Exekutive bestehe, was die Beurteilung der Geeignetheit der Mittel angehe. Darüber hinaus sei die Bundesempfehlung auch offensichtlich weniger geeignet als die bayerische Regelung gewesen. Durch die Beschränkung in Bayern auf Angehörige des eigenen Hausstandes sei gewährleistet worden, dass Kontakt in der Öffentlichkeit nur mit den Personen bestand, mit denen sich auch ein Kontakt zu Hause „nicht vermeiden ließ“. Damit sei die Gefahr, dass das Coronavirus in den Hausstand hineingezogen werde, bereits reduziert worden. Die Bundesempfehlung habe dagegen dazu geführt, dass man sich über den Tag verteilt mit einer Vielzahl von Personen habe treffen können.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">79</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Damit ist zwar erklärt, aus welchem Grund sich der Antragsgegner für eine im Vergleich zum Bund-Länder-Beschluss strengere Regelung entschieden hat. Offen bleibt im Vortrag des Antragsgegners dagegen, warum ein Verhalten, welches für sich gesehen infektiologisch unbedeutend ist, nämlich das Verweilen alleine oder mit den Personen seines Haushalts im Freien außerhalb der eigenen Wohnung, ebenso der Ausgangsbeschränkung unterworfen wurde. Sollte in dem Verweilen in der Öffentlichkeit eine Gefahr für die Bildung von Ansammlungen gesehen worden sein, weil sich um den Verweilenden sozusagen als Kristallisationspunkt Ansammlungen von Menschen bilden könnten, so unterstellt diese Sichtweise ein rechtswidriges Verhalten der Bürger und setzt dieses sogar voraus. Dass ein solches zu diesem Zeitpunkt in relevanter Anzahl anzunehmen gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Der Antragsgegner hat hierzu auch nichts vorgetragen. Schließlich bestehen Zweifel in Bezug auf die Praktikabilität und damit auch hinsichtlich der Effektivität der streitgegenständlichen Regelung, weil der Tatbestand der vorläufigen Ausgangsbeschränkung an den Zeitpunkt des Verlassens der Wohnung anknüpft und damit auf eine Situation, die in der Regel schwer von außen zu beurteilen ist und im Hinblick auf den subjektiven Tatbestand der Bußgeldbewehrung enorme Schwierigkeiten bei der tatrichterlichen Würdigung aufwerfen dürfte (vgl. hierzu: BayObLG, B. v. 24.6.2021 - 202 ObOWi 660/21 - COVuR 2021, 561). Der vom Antragsgegner vertretene gedankliche Schluss, dass die restriktivere Maßnahme im Vergleich immer die „besser geeignete“ Maßnahme ist, ist dabei in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Deswegen vermag der Senat bereits die Erforderlichkeit der Ausgangsbeschränkung in Bezug auf das Verlassen der Wohnung mit dem Ziel des Verweilens alleine oder in Begleitung von Mitgliedern des Hausstands in der Öffentlichkeit nicht zu erkennen.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">80</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(cc) Letztlich stellt sich die vorläufige Ausgangsbeschränkung in der konkreten Ausgestaltung auch als unangemessen dar. Es ist nicht ersichtlich, warum die Gefahr der Bildung von Ansammlungen eine landesweite Ausgangsbeschränkung rechtfertigen sollte, zumal diese Gefahr lediglich an stark frequentierten Lokalitäten bestanden haben dürfte. Hier wären auch regionale und örtliche Maßnahmen das mildere Mittel gewesen. Damit war jedenfalls die Angemessenheit der Maßnahme nicht mehr gegeben.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">81</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Antragsgegner kann sich nicht darauf berufen, dass ihm bei der Auswahl der Maßnahmen hinsichtlich der Frage der Verhältnismäßigkeit ein Einschätzungsspielraum zuzubilligen sei. Bei der Beantwortung dieser Frage ist weniger die Terminologie entscheidend. Vielmehr ist von Bedeutung, inwieweit § 32 IfSG bei der Wahl der Mittel dem Verordnungsgeber auch einen politischen Spielraum einräumt oder - anders ausgedrückt - die gerichtliche Kontrolldichte zurückgenommen ist auf eine Vertretbarkeits- bzw. Evidenzkontrolle. Die Einschränkung der Justiziabilität ist keine Frage eines Beurteilungsspielraums, sondern beruht auf der Besonderheit des Prüfungsgegenstands (Weitzel, Justitiabilität des Rechtsetzungsermessens, Diss. 1998, S. 157).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">82</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Vollzug des IfSG ist zwar grundsätzlich Ländersache (Art. 83 GG). Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit zugleich ein vom Gesetzgeber eröffneter Spielraum in der Wahl der Mittel verbunden ist. Ein solcher könnte, wie aufgezeigt, lediglich aus dem Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (BGBl. I 2020 S. 587) hergeleitet werden. Der Deutsche Bundestag stellte eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest. Um einer Destabilisierung des gesamten Gesundheitssystems vorzubeugen, wurde die Bundesregierung in die Lage versetzt, schnell mit schützenden Maßnahmen einzugreifen. In der Folge der Feststellung wurde das Bundesministerium für Gesundheit durch § 5 Abs. 2 IfSG u.a. ermächtigt, durch Anordnung oder Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Maßnahmen zur Grundversorgung mit Arzneimitteln, einschließlich Betäubungsmitteln, Medizinprodukten, Labordiagnostik, Hilfsmitteln, Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion sowie zur Stärkung der personellen Ressourcen im Gesundheitswesen zu treffen (BT-Drucksache 19/18111 S. 1). Eine Stärkung der Länder im Rahmen ihrer Kompetenz nach § 32 IfSG war an diese Feststellung jedoch nicht geknüpft, so dass lediglich die Änderung des § 28 IfSG verbleibt, welche keine Anhaltspunkte für einen politischen Spielraum des Verordnungsgebers hergibt. Fehlt es daran, dann unterliegen Verordnungen nach § 32 IfSG der weitgehenden verwaltungsgerichtlichen Verhältnismäßigkeitskontrolle.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">83</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Jedenfalls findet sich das Übermaßverbot, das schon wegen des Gewichts der mit der Ausgangsbeschränkung verbundenen Grundrechtseingriffe zu beachten ist, über das Merkmal der Notwendigkeit in §§ 32, 28 Abs. 1 IfSG als gesetzlicher Kontrollmaßstab. Dies gilt umso mehr, als der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Korrektiv des offenen Tatbestandes des § 28 Abs. 1 IfSG gestaltet wurde. Auch in der Gesetzesbegründung bei der erstmaligen Einfügung der Verordnungsermächtigungen in das BSeuchG war klargestellt, dass der Erlass von Rechtsverordnungen an die gleichen inhaltlichen Voraussetzungen geknüpft ist, die auch für Maßnahmen - gemeint waren Verwaltungsakte - nach den genannten Vorschriften gelten (vgl. BT-Drs. 8/2468 S. 21). Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auch angedeutet (vgl. nur BVerfG, B.v. 17.4.2020 - 1 BvQ 37/20 - juris Rn. 23; B.v. 3.6.2020 - 1 BvR 990/20 - NJW 2020, 2326).</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">84</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass sich der Bund und die Länder bei ihrem Treffen am 22. März 2020 darauf verständigten, dass der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur alleine, mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person oder im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands gestattet sei. Bund und Länder würden bei der Umsetzung dieser Einschränkungen sowie der Beurteilung ihrer Wirksamkeit eng zusammenarbeiten. Weitergehende Regelungen aufgrund von regionalen Besonderheiten oder epidemiologischen Lagen in den Ländern oder Landkreisen blieben möglich (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/besprechung-der-bundeskanzlerin-mit-den-regierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-vom-22-03-2020-1733248). Bayern wies zwar zum Zeitpunkt des Erlasses der Ausgangsbeschränkung und auch während der Dauer der Regelung eine im Bundesvergleich schlechtere epidemiologische Lage auf, was sich vor allem durch die 7-Tages-Inzidenz auf 100.000 Einwohner abzeichnete (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-31-de.pdf? blob=publicationFile S.3). Diese bedrohlichere Lage spiegelte sich allerdings im ganzen süddeutschen Raum wider. Außerdem ist nicht ersichtlich, warum eine Verschärfung gegenüber dem Bund-Länder-Beschluss - etwa durch den Verzicht auf eine weitere Kontaktperson - nicht ausreichend gewesen wäre, sondern es auch einer möglicherweise nur mittelbar wirkenden Ausgangsbeschränkung für Einzelpersonen bedurft hätte.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">85</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Dass zwischen Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum und einer Ausgangsbeschränkung im Hinblick auf die Eingriffsintensität und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ein gradueller Unterschied besteht, bestätigt auch die nunmehrige Einschätzung des Bundesgesetzgebers in § 28a Abs. 2 IfSG, wonach u.a. Ausgangsbeschränkungen nur angeordnet werden können, wenn Kontaktbeschränkungen im öffentlichen und privaten Raum (§ 28a Abs. 1 Nr. 3 IfSG) eine wirksame Eindämmung nicht mehr möglich erscheinen lassen.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">86</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Damit verstieß die Regelung des § 4 Abs. 2 und 3 1. BayIfSMV gegen das Übermaßverbot als höherrangiges Recht und war unwirksam.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">87</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.</div></div><div class="rdblock" style="box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">88</div><div class="absatz gruende" style="box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">4. Die Revision wird zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).</div></div></div>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-88158216665919058012021-10-14T12:11:00.005-07:002021-10-14T14:29:51.467-07:00LG München I und LG Duisburg: Kein Anspruch auf Rückerstattung von Spielverlusten<p> </p><h3 class="tm7 tm8"><strong><span class="tm9">LG München I und LG Duisburg: Kein Anspruch eines Spielers auf Rückerstattung von Verlusten bei Online-Casinospielen</span></strong></h3>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11"></span><strong><em><span class="tm12">Ein Artikel von Prof. Dr. Marc Liesching</span></em></strong></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Mehrere deutsche </span><u><a href="https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/online-casinos-klagewelle-101.html">Medien berichteten jüngst über ein Urteil des
Landgerichts Gießen</a></u><span class="tm11">, in dem das Gericht einem Teilnehmer an Online-Casinospielen einen Anspruch auf Rückerstattung seiner Spielverluste mit der Begründung zugesprochen hat, der Spielvertrag
sei aufgrund eines Verstoßes gegen das Internetverbot in § 4 Abs. 4 GlüStV nichtig gewesen (Urt. v. 21.1.2021 – 4 O 84/20). Das Urteil sendete gerade mit Blick auf die Spielsuchtprävention ein fatales
Signal. Denn es nährte den Spielertraum, die eigenen Verluste bei Online-Casinospielen nachträglich wieder rückgängig machen zu können, während Gewinne natürlich willkommen blieben. Dieser
Traum dürfte nun geplatzt sein: In einem aktuellen Urteil vom 13. April 2021 (Az. 8 O 16058/20) wies das Landgericht München I die Klage eines Spielers gegen einen Online-Casinoanbieter mit sorgfältiger Begründung
ab. Schon Jahre zuvor hatte das Landgericht Duisburg – freilich von der aktuellen Medienberichterstattung überwiegend unerwähnt – ebenfalls einen Rückerstattungsanspruch eines Spielers klar verneint
(Az. 3 O 373/14).<br /></span></p><blockquote style="border: none; margin: 0px 0px 0px 40px; padding: 0px;"><p class="Normal tm7 tm10" style="text-align: left;"><span class="tm11">Die suchtfördernde Fata Morgana eines „Spiels ohne Risiko“ löst sich in der Klarheit der Urteilsbegründungen auf.</span></p></blockquote>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Anders als die eher knapp begründete Entscheidung des LG Gießen enthalten die nachfolgend zusammengefassten Entscheidungen der Landgerichte München I und Duisburg
fundierte Ausführungen zum Kondiktionsausschluss gemäß §§ 817 S. 2 BGB und 242 BGB sowie zum Fehlen der Voraussetzungen eines Schutzgesetzes i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB und
eines Vermögensschadens aufseiten der Spieler.</span></p>
<h4 class="tm7 tm13"><strong><span class="tm9">1. Kein bereicherungsrechtlicher Anspruch des Spielers aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB</span></strong></h4>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Nach Auffassung der Landgerichte München I und Duisburg ist ein bereicherungsrechtlicher Anspruch des Spielers auf Rückerstattung seiner Spielverluste gemäß
§ 817 S. 2 BGB ausgeschlossen. Eine teleologische Reduktion dieser Norm komme nicht in Betracht. Unabhängig davon verstoße die Forderung nach einer Rückerstattung der Spielverluste nach Ansicht
des LG München I gegen den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB.</span></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11"></span><strong><span class="tm14">a) Kondiktionsausschluss gemäß § 817 S. 2 BGB</span></strong></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Das Landgericht München I nahm zwar einen Verstoß des Spielvertrags gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 an. Allerdings lagen nach Überzeugung des Gerichts die
Voraussetzungen des Ausschlusstatbestands des § 817 S. 2 BGB vor, da die bereicherungsrechtliche Rückforderung nach dem Willen des Gesetzesgebers ausgeschlossen sein soll, wenn dem Leistenden gleichermaßen
ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten zur Last fällt zur Last fällt. Hierzu führt das Gericht aus:</span></p>
<p class="Normal tm7 tm15"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">„Durch die Teilnahme am Online-Glücksspiel liegt dem Kläger als Leistendem ebenfalls ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz zur
Last, denn der Kläger hat durch seinen Vortrag nicht ausräumen können, in objektiver und subjektiver Hinsicht durch die Teilnahme an einem unerlaubten Glückspiel den Tatbestand des § 285 StGB erfüllt
zu haben. (…) Unstreitig nahm der Kläger auf eigene Rechnung am Glücksspiel der Beklagten teil und unterwarf sich damit den vom Zufall abhängigen Gewinn- und Verlustaussichten (…). Zur Überzeugung
des Gerichts war sich der Kläger dieses Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz auch bewusst bzw. hat sich der Einsicht in die Gesetzeswidrigkeit seines Handelns leichtfertig verschlossen (BGH, Urteil vom 22.04.1997,-
XI ZR 191/96; BGH Urteil vom 23.03.2005 – VIII ZR 129/04). Denn zum einen ist aus Funk- und Fernsehen allgemein bekannt, dass Online-Glücksspiel in Deutschland mit Ausnahme von Schleswig-Holstein
verboten ist. Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des Gerichts lebensfremd anzunehmen, dass der gewinnspielerfahrene Kläger dies nicht gewusst haben will. Zum anderen ist der Kläger, soweit er ohne Beweisangebot
vorträgt, in der Annahme gehandelt zu haben, das von der Beklagten angebotene Glücksspiel sei legal, beweisfällig geblieben.“ <br /></span></em></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Ebenso entschied bereits das LG Duisburg. In seinem Urteil vom 19. Oktober 2016 hob das Gericht zunächst unionsrechtliche Bedenken gegen das Internetverbot gemäß
§ 4 Abs. 4 GlüStV 2012 hervor. Darauf kam es aus Sicht des Gerichts jedoch im Ergebnis nicht an, da die Klage bereits aufgrund des Kondiktionsausschlusses gemäß § 817 S.2 BGB abzuweisen
sei. Dabei stellte das Gericht maßgeblich auf den Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Anbieters ab:</span></p>
<p class="Normal tm7 tm17"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">„Würde es sich – entgegen den beklagtenseits aufgeführten, aufgrund Gemeinschaftsrechts bestehenden nicht unerheblichen Bedenken
– um ein erlaubnispflichtiges Glücksspiel handeln, wobei es auf die nach maltesischem Recht für den dortigen Zuständigkeitsbereich erteilten Konzessionen nicht ankäme, stünde dem Rückzahlungsanspruch
der Klägerin § 817 Satz 2 BGB entgegen. (…) Der Klägerin als Leistender i.S.v. § 817 Satz 2 BGB wäre für den Fall des verbotenen Glücksspiels gleichfalls ein solcher
Verstoß (gegen ein gesetzliches Verbot zur Last) zur Last gefallen, denn sie hätte sich am unerlaubten Glücksspiel beteiligt (§ 285 StGB). Der objektive Tatbestand des § 285 StGB wäre jedenfalls
erfüllt. Für den im Ergebnis vergleichbaren Fall der Hingabe eines Darlehens zur Förderung eines verbotenen Glücksspiels ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass der Rückforderungsanspruch des Darlehensgebers
an § 817 Satz 2 BGB scheitert, (OLG Nürnberg, Urteil vom 19. Januar 1978- 8 U 110/77 – Rn. 8, juris m.w.N.). Was den Vorsatz der Klägerin betrifft, hätte dieser – für den Fall
des hier unterstellten verbotenen Glücksspiels- zumindest in Form des dafür ausreichenden bedingten Vorsatzes vorgelegen, denn die Klägerin hätte die Möglichkeit ihrer Beteiligung am verbotenen Glücksspiel
zumindest billigend in Kauf genommen. Aufgrund der von ihr selbst als Anlage 3 vorgelegten Allgemeinen Geschäftsbedingungen wusste sie, dass das von der Beklagten angebotenen Glücksspiel „in manchen Rechtsprechungen
teilweise oder ganz verboten sein kann und dass es „in der Verantwortung des Kunden liegt, zu wissen, ob Wette oder Glücksspiel in seinem jeweiligen Heimatland legal ist.“ Damit war der Klägerin klar,
dass in Nordrhein-Westfalen ihre Teilnahme an dem Glücksspiel verboten sein kann und dass sie diese Frage vor der Teilnahme selbst klären muss. </span></em></p>
<p class="Normal tm7 tm17"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">Dies hätte sie durch Erkundigungen bei zuständigen Stellen oder Internetrecherchen unschwer bewerkstelligen können. Da es immerhin
um die mögliche Begehung einer Straftat ging („kann verboten sein“), die Klägerin aber offensichtlich nichts unternommen hat, diese Frage vor ihrer Beteiligung an dem Glücksspiel verbindlich zu klären,
hat sie zumindest billigend in Kauf genommen, dass ihr durch die Beteiligung an dem von der Beklagten veranstalteten Glücksspiel gleichfalls ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zur Last fällt i.S.v. §
817 Satz 2 BGB.“</span></em></p>
<p class="Normal tm7"><em><span class="tm16"></span></em><strong><span class="tm14">b) Keine teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB</span></strong></p>
<p class="Normal tm7"><em><span class="tm16"></span></em><span class="tm11">Eine teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB lehnten das LG München I und das LG Duisburg ab. Insbesondere sei die Rechtsprechung
des BGH zu sittenwidrigen Schneeballsystemen nicht auf Online-Glücksspiele übertragbar.</span><em><span class="tm16"><br /></span></em></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Das LG München I führte hierzu aus:</span></p>
<p class="Normal tm7 tm15"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">„Ein Rückforderungsausschluss gemäß § 817 S. 2 BGB verbietet sich nicht deshalb, weil der hier in Rede stehende
Sanktion dem Schutz des Leistenden dient und der Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion gegen ein Kondiktionssperre spricht. (…) Die hier in Rede stehende Teilnahme an einem Online-Glücksspiel ist letztlich auch nicht
vergleichbar mit der Einzahlung von Beiträgen in ein Schneeballsystem, bei der der BGH eine schutzzweckorientierte Einschränkung des § 817 S.2 BGB deshalb bejaht hat, weil er sich –
im Unterschied zum vorliegenden Fall – nicht davon überzeugen konnte, dass dem Spieler der Sittenverstoß bewusst war bzw. der Spieler sich dem verstoß leichtfertig verschlossen hätte (BGH, Urteil
vom 22.04.1997 – XI ZR 191/96).“<br /></span></em></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">So sah es auch das LG Duisburg:</span></p>
<p class="Normal tm7 tm15"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">„Soweit die Klägerin die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den sog. Schenkkreisen bemüht, betrifft diese einen anders gelagerten
Sachverhalt, denn das dort zugrundeliegende Schneeballsystem kann naturgemäß nicht aufgehen.“</span></em></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11"></span><strong><span class="tm14">c) Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB</span></strong></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Schließlich wies das LG München darauf hin, dass ein Rückforderungsanspruch an den Grundsätzen von Treu und Glauben scheitert:</span></p>
<p class="Normal tm7 tm15"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">„Selbst wenn man den Ausschlusstatbestand des § 817 S. 2 BGB nicht für gegeben ansehen wollte, so verstößt die
Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs eines Spielers, der sehenden Auges und aus eigenem Handlungsantrieb heraus am illegalen Online-Glücksspiel teilgenommen und sodann Verluste eingespielt hat, gegen Treu
und Glauben (§ 242 BGB) und muss jedenfalls vor diesem Hintergrund ausgeschlossen sein.“</span></em></p>
<h4 class="tm7 tm13"><strong><span class="tm9">2. Kein deliktischer Schadensersatzanspruch</span></strong></h4>
<h4 class="tm7 tm13"><strong><span class="tm9"></span></strong><span class="tm18">Das Landgericht München I stellte darüber hinaus fest, dass dem Spieler auch keine deliktischen Ansprüche zustehen, da bereits
der Schutzgesetzcharakter der vom Spieler ins Feld geführten §§ 4 Abs. 4, 284 StGB zu bezweifeln sei:</span></h4>
<p class="Normal tm7 tm15"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">„Voraussetzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist, dass die Norm den Schutz eines anderen bezweckt (Palandt,
a.a.O., § 823 BGB, Rn. 58). Die Vorschrift soll zumindest auch dazu dienen, den Einzelnen oder einen einzelnen Personenkreis gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen. Dass die Norm
daneben oder sogar in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge hat, schadet nicht (BGH, Urteil vom 18.11.2003 – VI ZR 385/02). Der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen soll allerdings nicht ausgeufert werden.
Deshalb reicht es nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen.<br /><br />Der Wortlaut beider Normen lässt
nicht auf einen Individualrechtsschutz schließen, ebenso wenig die Stellung des § 284 StGB innerhalb des StGB, der dem Abschnitt des „strafbaren Eigennutzes“ zugeordnet ist.<br /><br />Weiterhin ist
aus Sicht des Gerichts in die Bewertung einzustellen, dass sich der Spieler der an einem Online-Glücksspiel teilnimmt, selbst nach § 285 StGB strafbar macht, woraus sich der gesetzgeberische Wille einer geringeren
Schutzwürdigkeit des Spielers, der gleichermaßen gegen eine Verbotsnorm verstößt, ergeben könnte. (…) Es bleibt daher anzuzweifeln, ob § 4 Abs. 4 GlüStV bzw. § 284 StGB den Schutz
des Vermögens des Spielers bezwecken oder vielmehr ausschließlich dessen Spielsucht vorzubeugen bzw. zu bekämpfen beabsichtigen.“</span></em></p>
<p class="Normal tm7"><span class="tm11">Im Ergebnis kam es aus Sicht des Gerichts darauf jedoch nicht entscheidend an. Denn es sei bereits kein Schaden aufseiten des Klägers ersichtlich:</span></p>
<p class="Normal tm7 tm15"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">„Letztlich kann der Schutzgesetzcharakter hier jedoch dahinstehen, da es jedenfalls am Nachweis eines auf einem haftungsbegründenden Ereignis
beruhenden, kausalen Schaden fehlt. Die Darlegungs- und Beweislast oblag dem Kläger als einem für diesen günstigen, anspruchsbegründenden Umstand. Die Beklagte hat den Eintritt eines Schadens beim Kläger
bestritten.</span></em></p>
<p class="Normal tm7 tm15"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">Grundsätzlich ist im Rahmen einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB der Differenzschaden in Form des negativen Interesses zu ersetzen
(Palandt, a.a.O. § 823, Rn. 24; § 249, Rn. 17). Der Gläubiger ist mithin so zu stellen, wie er stünde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hätte. Das Gericht hat oben
bereits dargelegt, dass der Kläger nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hat.<br /><br />Vielmehr steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger jeweils unabhängig vom Vorliegen
einer behördlichen Erlaubnis zur Befriedigung seiner Spielsucht am Glücksspiel der Beklagten teilnahm. Der Kläger gab den Einsatz auch freiwillig hin, ohne durch die Beklagte getäuscht worden zu sein.</span></em></p><p class="Normal tm7 tm15"><em><span class="tm16">c) Sollte es sich bei § 4 Abs. 4 GlüStV bzw. § 284 StGB um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handeln,
wie oben unter a) offengelassen, hätte sich in dem Schadensereignis schließlich auch nicht gerade diejenige Gefahr verwirklicht, der entgegenzuwirken das Schutzgesetz bestimmt ist (Wagner in MüKo zum BGB, 8.
Auflage, 2020, § 823, Rn. 620). </span></em></p>
<p class="Normal tm7 tm15"><span class="tm11"></span><em><span class="tm16">Denn die beiden Vorschriften bezwecken nicht allein, den Spieler vor Verlusten beim Glücksspiel zu bewahren, sondern der Spielsucht insgesamt
zu begegnen. Deshalb unterliegt dem Verbot auch ein Glücksspiel, bei dem der Spieler (vorübergehend) Gewinne erzielt und auf diese Weise Anreiz für neue Einsätze bietet.</span></em></p><p class="Normal tm7 tm15"><em><span class="tm16">Auch insoweit ist es dem Kläger nicht gelungen, die Kausalität zwischen der Verletzung eines Schutzgesetzes durch die Beklagte und
einer von ihm erlittenen Vermögenseinbuße darzulegen und unter Beweis zu stellen.“</span></em></p>
<h4 class="tm7 tm13"><strong><span class="tm9">3. Kurzbewertung</span></strong></h4>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Das aktuelle Urteil des Landgerichts München I und das bereits zuvor ergangene Urteil des Landgerichts Duisburg überzeugen. Die Berichterstattung in den deutschen Medien
über das Verbot von Online-Casinospielen gemäß dem GlüStV 2012 war in den vergangenen vier Jahren derart umfangreich, dass Spieler wohl nicht mit Erfolg behaupten können, die Rechtslage in Deutschland
sei für sie nicht erkennbar gewesen. Überdies hat der BGH in seiner Rechtsprechung mehrfach klargestellt, dass seine Entscheidungen über die Unanwendbarkeit des § 817 S. 2 BGB nicht
ohne Weiteres verallgemeinerbar sind, weil sie auf den Einzelfall abstellen (BGHZ 118, 142 (150) = NJW 1992, 2021 (2022f.); </span><em><span class="tm16">Armgardt,</span></em><span class="tm11"> NJW 2006, 2070). Im Rahmen der notwendigen wertenden Betrachtung sind daher die Besonderheiten von Online-Glücksspielen zu berücksichtigen. Anders
als im Fall der BGH-Rechtsprechung zu sittenwidrigen Schneeballsystemen scheint eine teleologische Reduktion des § 817 S. 2 BGB bei Online-Glücksspielen schon deshalb nicht angezeigt, weil den Teilnehmern
an Online-Glücksspielen das Verlustrisiko bewusst sein dürfte und die Anbieter den Spielern zugleich tatsächliche Gewinnchancen einräumen, die bei Schneeballsystemen schon naturgemäß nicht gegeben
sind. Des Weiteren erscheint es nicht nachvollziehbar, weshalb ein Spieler, der die Augen vor der Rechtslage verschließt und das Risiko von Spielverlusten bewusst in Kauf nimmt, im Nachhinein den Schutz der Rechtsordnung
genießen soll.</span></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Zu Recht zweifeln die Landgerichte München I und Duisburg auch den Schutzgesetzcharakter des § 4 Abs. 4 GlüStV an. Es kann zwar davon ausgegangen werden, dass der
GlüStV 2012 u.a. den Schutz der Spieler bezweckt. Dabei handelt es sich jedoch nicht um einen Individual-, sondern um einen Gemeinwohlzweck, der für die Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB gerade nicht
ausreicht (so auch </span><em><span class="tm16">Haertlein,</span></em><span class="tm11"> Beck-Online Grosskommentar zum BGB, Stand 15. August 2020, § 762 BGB Rn. 146). Ein Verstoß
der Anbieter gegen § 284 StGB dürfte zweifelhaft sein, da deutsches Strafrecht auf die überwiegend vom Ausland aus agierenden Online-Glücksspielunternehmen eher nicht anwendbar ist (siehe hierzu </span><em><span class="tm16">Kudlich/Berberich,</span></em><span class="tm11"> Abstrakte Gefährdungsdelikte im Internet und die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts, NStZ 2019, S. 633). Unabhängig davon fehlt es an einem kausalen
Schaden, da die Spieler ihre Spieleinsätze nicht ohne Gegenleistung hingeben, sondern im Gegenzug von den Anbietern eine Gewinnchance erhalten. Die Tatsache allein, dass der Spieler am Ende nicht gewinnt, stellt keinen
Schaden im Sinne der Differenzhypothese dar.</span></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11">Nicht nur angesichts der hier vorgestellten Rechtsprechung der Landgerichte München I und Duisburg steht zu erwarten, dass das Urteil des Landgerichts Gießen eher eine
Einzelfallentscheidung bleiben wird. Denn das Kredo „Spielen, Verlieren, Geld zurück – Spielen, Gewinnen, Geld behalten“ unterminiert die gesamte glücksspielregulative Intention der Spielsuchtprävention.
Vor diesem Hintergrund sollten z.B. der Fachverband Glücksspielsucht und pädagogische Beratungsstellen künftig noch transparenter auf die Spielverlustrisken im Lichte der hier vorgestellten Landgerichtsentscheidungen
hinweisen, um präventiv spielsuchtgefährdete Personen vor Schadensvertiefungen durch irrige Rechtsvorstellungen und am Ende zu tragende, zusätzliche Zivilprozesskosten zu schützen.</span></p>
<p class="Normal tm7 tm10"><span class="tm11"></span><strong><span class="tm14">Kontakt:<br /></span></strong><span class="tm11">Prof. Dr. Marc Liesching<br />Professor für Medienrecht und Medientheorie<br />Karl-Liebknecht-Str.
132<br />04277 Leipzig</span></p>
<p class="Normal"> </p>
<div class="panel panel-default" style="background-color: white; border-radius: 4px; border: 1px solid rgb(221, 221, 221); box-shadow: rgba(0, 0, 0, 0.05) 0px 1px 1px; box-sizing: border-box; color: #333333; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: 12.8px; margin-bottom: 10px;"><div class="panel-heading" style="background-color: whitesmoke; border-bottom-left-radius: 0px !important; border-bottom-right-radius: 0px !important; border-bottom: none; border-left-color: rgb(221, 221, 221); border-right-color: rgb(221, 221, 221); border-top-color: rgb(221, 221, 221); border-top-left-radius: 3px; border-top-right-radius: 3px; box-sizing: border-box; padding: 9px 15px 8px;"><div class="panel-title row" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; color: inherit; font-size: 10.24px; margin: 0px -15px;"><div class="col-xs-7 col-sm-6 col-md-7 col-lg-8" id="doc-metadata" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-size: 10.752px; min-height: 1px; padding-left: 15px; padding-right: 15px; position: relative; width: 563.656px;"><div class="row" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; margin-left: -15px; margin-right: -15px;"><div class="col-sm-9" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-size: 11.8272px; min-height: 1px; padding-left: 15px; padding-right: 15px; position: relative; width: 422.734px;"><span style="box-sizing: border-box; font-weight: 700;">LG München I, Endurteil v. 13.04.2021 – 8 O 16058/20</span></div></div></div><div class="col-xs-5 col-sm-6 col-md-5 col-lg-4" id="doc-toolbar" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-size: 11.776px; min-height: 1px; padding-left: 15px; padding-right: 15px; position: relative; width: 281.828px;"><div class="row" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; margin-left: -15px; margin-right: -15px;"><div class="col-xs-12 col-sm-5 toolbar-cmd text-right" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; min-height: 1px; padding-left: 10px; padding-right: 10px; position: relative; text-align: right; width: 117.422px;"></div><div class="col-xs-12 col-sm-7" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; min-height: 1px; padding-left: 15px; padding-right: 15px; position: relative; width: 164.391px;"><div class="row pull-right" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: right !important; margin-left: -15px; margin-right: -15px;"><div class="col-xs-4 toolbar-cmd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; min-height: 1px; padding-left: 5px; padding-right: 10px; position: relative; width: 33.3281px;"><br /></div><div class="col-xs-4 toolbar-cmd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; min-height: 1px; padding-left: 10px; padding-right: 10px; position: relative; width: 33.3281px;"><a data-original-title="" id="downloadDocument" style="background-color: transparent; box-sizing: border-box; color: black; cursor: pointer;" title=""><span class="glyphicon glyphicon-arrow-down" style="-webkit-font-smoothing: antialiased; box-sizing: border-box; display: inline-block; font-family: "Glyphicons Halflings"; line-height: 1; position: relative; top: 3px;" title="Download"></span><span class="sr-only" style="border: 0px; box-sizing: border-box; clip: rect(0px, 0px, 0px, 0px); height: 1px; margin: -1px; overflow: hidden; padding: 0px; position: absolute; width: 1px;">Download</span></a></div><div class="col-xs-4 toolbar-cmd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; min-height: 1px; padding-left: 10px; padding-right: 10px; position: relative; width: 33.3281px;"><a href="https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2021-N-11488?view=Print" style="background-color: transparent; box-sizing: border-box; color: black; text-decoration-line: none;" target="_blank" title="Drucken"><span class="glyphicon glyphicon-print" style="-webkit-font-smoothing: antialiased; box-sizing: border-box; display: inline-block; font-family: "Glyphicons Halflings"; line-height: 1; position: relative; top: 3px;"></span><span class="sr-only" style="border: 0px; box-sizing: border-box; clip: rect(0px, 0px, 0px, 0px); height: 1px; margin: -1px; overflow: hidden; padding: 0px; position: absolute; width: 1px;">Drucken</span></a></div></div></div></div></div></div></div></div><div class="cont" style="background-color: white; border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; color: #333333; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: 12.8px; margin-bottom: 20px;"><div class="rsprbox" style="background-color: #fbfbfb; border-radius: 0px !important; border: 1px solid black; box-sizing: border-box; margin-top: 10px; padding: 12px;"><div class="rsprboxueber" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Titel:</div><h1 class="titelzeile" style="box-sizing: border-box; color: inherit; font-family: inherit; font-size: 14.72px; line-height: 1.5em; margin: 0px 0px 5px;">Online-Glückspiel: Kein Anspruch eines Spielers auf Rückerstattung seines Einsatzes gegen den auf Malta ansässigen Betreiber bei Teilnahme an einem Online-Casino.</h1><div class="rsprboxueber" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Normenketten:</div><div class="rsprboxzeile" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">AEUV Art. 56</div><div class="rsprboxzeile" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">EuGVVO § 17</div><div class="rsprboxzeile" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">GlückStV § 4 Abs. 1</div><div class="rsprboxzeile" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">BGB § 134, § 762, Abs. 1 S. 2, § 812 Abs. 1 S. 1, § 817 S. 2, § 823 Abs. 2</div><div class="rsprboxueber" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Leitsätze:</div><div class="leitsatz" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; font-weight: bold; line-height: 1.5em; margin-left: 0px;">1. Wenn ein Verbraucher deliktische Ansprüche gegen ein in Malta ansässiges Unternehmen, das von dort über eine Homepage Online-Glücksspiele in deutscher Sprache anbietet, geltend macht, können gem. Art. 17 EuGVVO auch konkurrierende deliktische Ansprüche am Wohnsitz des Verbrauchers geltend gemacht werden. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)</div><div class="leitsatz" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; font-weight: bold; line-height: 1.5em; margin-left: 0px;">2. § 762 Abs. 1 S. 2 BGB steht einem Herausgabeanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB nicht entgegen, weil die Vorschrift einen wirksamen Spielvertrag voraussetzt. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)</div><div class="leitsatz" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; font-weight: bold; line-height: 1.5em; margin-left: 0px;">3. Nimmt ein Spieler an einem Online-Glücksspiel teil, für das der Anbieter keine Erlaubnis hat, mit der Folge, dass dieses nach § 4 Abs. 4 GlüStV verboten ist und der Vertrag nichtig ist, fällt dem Spieler als Leistendem gleichermaßen ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten zur Last, so dass eine bereicherungsrechtliche Rückforderung ausgeschlossen ist. (Rn. 23 – 35) (redaktioneller Leitsatz)</div><div class="leitsatz" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; font-weight: bold; line-height: 1.5em; margin-left: 0px;">4. Selbst wenn man den Ausschlusstatbestand des § 817 S. 2 BGB nicht für gegeben ansehen wollte, so verstößt die Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs eines Spielers, der sehenden Auges und aus eigenem Handlungsantrieb heraus am illegalen Online-Glücksspiel teilgenommen und sodann Verluste eingespielt hat, gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und muss jedenfalls vor diesem Hintergrund ausgeschlossen sein. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)</div><div class="rsprboxueber" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Schlagworte:</div><div class="rsprboxzeile" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">Online-Glückspiel, Casino, Dienstleistungsfreiheit, Spielvertrag, Glücksspielstaatsvertrag, Nichtigkeit, Rückforderungsausschluss, Bereicherungsrecht</div><div class="rsprboxueber" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; font-weight: bold; margin-top: 10px;">Fundstelle:</div><div class="rsprboxzeile" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; margin-top: 2px;">BeckRS 2021, 11488</div></div><div class="leerzeile" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"> </div><h2 class="entsueber" style="box-sizing: border-box; color: inherit; font-family: inherit; font-size: 14.08px; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-top: 4px;">Tenor</h2><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tenor" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">1. Die Klage wird abgewiesen.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tenor" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tenor" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tenor" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Beschluss</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tenor" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Streitwert wird auf 5.128,35 € festgesetzt.</div></div><h2 class="entsueber" style="box-sizing: border-box; color: inherit; font-family: inherit; font-size: 14.08px; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-top: 4px;">Tatbestand</h2><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">1</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die Parteien streiten über einen Rückgewähranspruch im Zusammenhang mit einem Online-Glücksspiel. Bei der Beklagten handelt es sich um ein in Malta ansässiges Unternehmen, welches von dort über die Homepage … Online-Glücksspiele in deutscher Sprache anbietet.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">2</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Im November 2020 spielte der Kläger über mehrere Tage über … online Glücksspiele und verlor dabei insgesamt 5.128,35 €.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">3</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die Beklagte verfügt über keine Erlaubnis im Sinne des § 4 des Glücksspielstaatsvertrags (GIüStV), im Inland Glücksspiel zu betreiben.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">4</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Mit Anwaltsschriftsatz vom 17.11.2020 forderte der Kläger die Beklagte zur Rückzahlung der Verluste aus dem Glücksspiel bis 27.11.2020 auf. Die Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">5</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Kläger begehrt die Rückgewähr seiner Verluste aus dem Online-Glücksspiel nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, hilfsweise § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 4 GlüStV mit der Begründung, das zugrundeliegende Rechtsgeschäft mit der Beklagten sei gemäß § 134 BGB nichtig, weil diese in Deutschland keine Erlaubnis zum Veranstalten von Glücksspielen besitze. Damit verstoße die Beklagte gegen das Intemetvertriebsverbot nach § 4 Abs. 4 GlüStV.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">6</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Kläger trägt vor, das Glücksspiel jeweils in M. getätigt zu haben. Er sei davon ausgegangen, dass das Glücksspiel legal angeboten werde.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">7</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Kläger beantragt,</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 5.128,35 € nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit Rechtshängigkeit zu zahlen.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">8</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die Beklagte beantragt</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Klageabweisung.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">9</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Aus Sicht der Beklagten seien die streitgegenständlichen Spielverträge wirksam zustande gekommen. Der Kläger habe den Reiz des zufallsabhängigen Verlustes von Einsätzen auch genossen und damit die Beklagte die geschuldete Leistung erbracht. Vor diesem Hintergrund sei dem Kläger schon kein Schaden entstanden.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">10</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die Beklagte biete im Übrigen ihre Dienstleistungen auf Grundlage einer Lizenz aus M. und im Schütze des freien Dienstleistungsverkehrs legal an. Deutsche Verbotsgesetze im Glücksspielstaatsvertrag würden von Art. 56 AEUV überlagert und seien unanwendbar.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">11</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Selbst bei unterstellter Unionsrechtskonformität des Verbots von Online-Glücksspielen, habe der Kläger keinen Verstoß gegen ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB dargelegt.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">12</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Eine Rückerstattung von Spieleinsätzen widerspräche zudem dem in §§ 726, 763 BGB enthaltenen Rechtsgedanken, dass Spielvereinbarungen nicht rückabgewickelt werden können. § 817 Satz 2 BGB schließe im Übrigen die Rückforderung aus, wenn - wie vorliegend - auf beiden Seiten ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz stehe.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">13</div><div class="absatz tatbestand" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Zur Ergänzung des Tatbestands wird vollumfänglich auf die Schriftsätze der Parteivertreter sowie das Protokoll der Hauptverhandlung vom 30.03.2021 Bezug genommen.</div></div><h2 class="entsueber" style="box-sizing: border-box; color: inherit; font-family: inherit; font-size: 14.08px; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-top: 4px;">Entscheidungsgründe</h2><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">14</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">I.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">15</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich für bereicherungsrechtliche als vertragsähnliche Ansprüche aus Art. 17 Abs. 1c EuGVVO. Danach kann der Verbraucher an seinem Wohnsitz seinen Vertragspartner wegen Streitigkeiten aus einem Vertrag verklagen, wenn der Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt. Nach herrschender Meinung, der sich das Gericht anschließt, können auf Art. 17 EuGVVO, der nur Ansprüche aus gegenseitigen Verträgen regelt, auch konkurrierende deliktische Ansprüche gestützt werden, wenn die deliktische Schadenshaftung eine so enge Beziehung zu dem Vertrag aufweist, dass sie von ihm nicht getrennt werden kann (Thomas/Putzo, ZPO, 41. Auflage, 2020, Art. 17 EuGVVO, Rn. 4). Das ist der Fall.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">II.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">16</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Gemäß Art. 6 Abs. 1 b) Rom-I-VO kommt deutsches Recht zur Anwendung.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">17</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückzahlung seiner Verluste im Rahmen der Leistungskondition, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">18</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">a) Ein Rückforderungsanspruch des Klägers besteht nicht, wenn § 4 Abs. 4 GlüStV, demgemäß das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet verboten ist, entsprechend dem klägerischen Vortrag wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV, unwirksam ist. Denn in diesem Fall erfolgte die Zahlung des Klägers nicht rechtsgrundlos.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">19</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Europarecht findet hier Anwendung, da nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine Regelung eines Mitgliedsstaates, die es in anderen Mitgliedstaaten, im vorliegenden Fall M., niedergelassenen Anbietern untersagt, in seinem Hoheitsgebiet Glücksspielangebote über das Internet anzubieten, grundsätzlich eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt (EuGH, Urteil vom 8.9.2009 - C-42/07).</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">20</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Gegen einen Unionsrechtsverstoß spricht indes die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 28.09.2011 (I ZR 92/09) für den Bereich der Sportwetten. Die durch den GlüStV und seine Ausführungsbestimmungen bewirkte Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 56 AEUV) diene gemäß den dortigen Feststellungen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses im Sinne des Unionsrechts. Denn die Ziele des GlüStV seien die Suchtbekämpfung, die Begrenzung des Glücksspielangebots und die Lenkung der Wettleidenschaft, der Jugend- und Spielerschutz sowie die Betrugsvorbeugung (§ 1 GlüStV). Das Intemetverbot gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV sei, so der BGH, geeignet, diese Gemeinwohlziele zu fördern und stelle eine kohärente und systematische Beschränkung der Gelegenheit zum Glücksspiel dar.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">21</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">b) Sollte der Glücksspielstaatsvertrag hingegen, wie im vorliegenden Fall dahinstehen kann, europarechtskonform sein und damit das zugrundliegende Rechtsgeschäft zwischen den Parteien gemäß § 134 BGB unwirksam, steht einer Rückforderung § 817 S. 2 BGB entgegen, weil dann den Kläger bei der Leistung seines Einsatzes gleichermaßen ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz trifft.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">22</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">aa) Unstreitig ist der Beklagten der verspielte Einsatz des Klägers in Höhe von 5.128,35 € als geldwerter Vorteil zugeflossen, der ihr wirtschaftliches Vermögen vermehrt hat.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">23</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">bb) Diesen geldwerten Vorteil erlangte die Beklagte auch rechtsgrundlos. Gemäß § 4 Abs. 4 S. 1 (GlüStV) dürfen öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV ist das Veranstalten und Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet grundsätzlich verboten. § 4 Abs. 5 GlüStV sieht unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit für die Länder vor bestimmte Arten von Glücksspiel im Internet zu erlauben. Unstreitig verfügt die Beklagte nicht über eine entsprechende Erlaubnis.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">24</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der hier vorliegende Verstoß gegen § 4 Abs. 4 GlüStV führt zur Nichtigkeit des zwischen den Parteien geschlossene Rechtsgeschäfts nach § 134 BGB (Looschelders in Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB Allgemeiner Teil, 4. Auflage, 2021, § 134, Rn. 183; übereinstimmend Vossler in beck-online.Großkommentar, Stand: 01.03.2021, § 134 BGB, Rn. 219). § 4 Abs. 4 GlüStV stellt nach seinem eindeutigen Wortlaut ein Verbotsgesetz im Sinne der Norm dar.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">25</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Für die Nichtigkeit nach § 134 BGB genügt es im Übrigen, dass der Tatbestand des Verbotsgesetzes objektiv erfüllt ist (Palandt, BGB, 2019, 78. Auflage, § 134, Rn. 12a).</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">26</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">cc) § 762 Abs. 1 S. 2 BGB steht einem Herausgabeanspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB nicht entgegen, weil die Vorschrift einen wirksamen Spielvertrag voraussetzt (Looschelders, a.a.O., Rn. 184; im Ergebnis ebenso Palandt, a.a.O., § 762, Rn. 9).</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">27</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">dd) Jedoch liegen zur Überzeugung des Gerichts die Voraussetzungen des Ausschlusstatbestandes des § 817 S. 2 BGB vor, weil die bereicherungsrechtliche Rückforderung nach dem Willen des Gesetzgebers ausgeschlossen sein soll, wenn dem Leistenden gleichermaßen ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten zur Last fällt. Ersteres ist hier zu bejahen.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">28</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(1.) Die durch den Kläger verspielte Einlage ist durch die Gutschrift als Vermögensvorteil endgültig in das Vermögen der Beklagten übergegangen.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">29</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(2.) Durch die Teilnahme am Online-Glücksspiel liegt dem Kläger als Leistendem ebenfalls ein Verstoß gegen ein Verbotsgesetz zur Last, denn der Kläger hat durch seinen Vortrag nicht ausräumen können, in objektiver und subjektiver Hinsicht durch die Teilnahme an einem unerlaubten Glückspiel den Tatbestand des § 285 StGB erfüllt zu haben.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">30</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Bei … handelt es sich um ein öffentliches Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB, welches - unstreitig - entgegen § 4 Abs. 4 GlüStV ohne behördliche Erlaubnis öffentlich über das Internet Glücksspiel veranstaltet. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts München in seinem Beschluss vom 28.02.2020 (8 U 5467/19), denen hier gefolgt wird, ist § 284 StGB auf Veranstalter öffentlicher Glücksspiele im Ausland anwendbar, wenn sich das via Internet unterbreitete Angebot gezielt an den deutschen Markt richtet und die Beteiligung am Glücksspiel im Inland ermöglicht, da der Gefährdungserfolg des § 284 StGB im Inland eintritt (§§ 3, 9 StGB). Demzufolge stellt … ein unerlaubtes Glücksspiel im Sinne der Vorschrift dar.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">31</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Unstreitig nahm der Kläger auf eigene Rechnung am Glücksspiel der Beklagten teil und unterwarf sich damit den vom Zufall abhängigen Gewinn- und Verlustaussichten (Heine/Hecker in Schönke/Schröder, StGB, 30. Auflage, 2019, § 285, Rn. 2).</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">32</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(3.) Zur Überzeugung des Gerichts war sich der Kläger dieses Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz auch bewusst bzw. hat sich der Einsicht in die Gesetzeswidrigkeit seines Handelns leichtfertig verschlossen (BGH, Urteil vom 22.04.1997 - XI ZR 191/96; BGH, Urteil vom 23.02.2005 - VIII ZR 129/04). Denn zum einen ist aus Funk- und Fernsehen allgemein bekannt, dass Online-Glücksspiel in Deutschland mit Ausnahme von Schleswig-Holstein verboten ist. Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht des Gerichts lebensfremd anzunehmen, dass der gewinnspielerfahrene Kläger dies nicht gewusst haben will. Zum anderen ist der Kläger, soweit er ohne Beweisangebot vorträgt, in der Annahme gehandelt zu haben, das von der Beklagten angebotene Glücksspiel sei legal, beweisfällig geblieben. Denn die Beklagte hat den Vortrag des Klägers bestritten.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">33</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">(4.) Ein Rückforderungsausschlusses gemäß § 817 S. 2 BGB verbietet sich nicht deshalb, weil die hier in Rede stehende Sanktion dem Schutz des Leistenden dient und der Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion gegen eine Kondiktionssperre spricht.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">34</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Nach § 817 S. 2 BGB darf dem Leistenden grundsätzlich nicht genommen werden, was er dem anderen auch nach den Modalitäten des gesetzeswidrigen Geschäfts nie zuwenden wollte und worauf sich die rechtliche Missbilligung gar nicht beziehen kann (Wendehorst, BeckOK, BGB, Hau/Poseck, 57. Edition, Stand: 01.02.2021, Rn. 21). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, denn der Kläger hat bewusst Geld zum Glücksspiel eingesetzt, um dieses zufallsabhängig zu vermehren oder zu reduzieren. Auch wenn es sich um ein erlaubtes Glücksspiel gehandelt hätte, hätte gleichermaßen die Möglichkeit bestanden, dass der Kläger einen entsprechenden endgültigen Verlust erleidet.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">35</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die hier in Rede stehende Teilnahme an einem Online-Glücksspiel ist letztlich auch nicht vergleichbar mit der Einzahlung von Beiträgen in ein Schneeballsystem, bei der der BGH eine schutzzweckorientierte Einschränkung des § 817 S. 2 BGB deshalb bejaht hat, weil er sich - im Unterschied zum vorliegenden Fall - nicht davon überzeugen konnte, dass dem Spieler der Sittenverstoß bewusst war bzw. der Spieler sich dem Verstoß leichtfertig verschlossen hätte (BGH, Urteil vom 22.04.1997 - XI ZR 191/96).</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">36</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">dd) Selbst wenn man den Ausschlusstatbestand des § 817 S. 2 BGB nicht für gegeben ansehen wollte, so verstößt die Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs eines Spielers, der sehenden Auges und aus eigenem Handlungsantrieb heraus am illegalen Online-Glücksspiel teilgenommen und sodann Verluste eingespielt hat, gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) und muss jedenfalls vor diesem Hintergrund ausgeschlossen sein.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">37</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">ee) Ein bereicherungsrechtlicher Rückerstattungsanspruch muss daher ausscheiden.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">38</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">2. Dem Kläger kommt gegen die Beklagte auch kein deliktischer Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 4 Abs. 4 GlüStV bzw. § 284 StGB zu.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">39</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">a) Das Gericht hat bereits Zweifel an der Eigenschaft der Normen als Schutzgesetze zu Gunsten des Klägers.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">40</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Voraussetzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist, dass die Norm den Schutz eines anderen bezweckt (Palandt, a.a.O., § 823 BGB, Rn. 58). Die Vorschrift soll zumindest auch dazu dienen, den Einzelnen oder einen einzelnen Personenkreis gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes zu schützen. Dass die Norm daneben oder sogar in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge hat, schadet nicht (BGH, Urteil vom 18.11.2003 - VI ZR 385/02). Der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen soll allerdings nicht ausgeufert werden. Deshalb reicht es nicht aus, dass der Individualschutz durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">41</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Der Wortlaut beider Normen lässt nicht auf einen Individualrechtsschutz schließen, ebenso wenig die Stellung des § 284 StGB innerhalb des StGB, der dem Abschnitt des „strafbaren Eigennutzes“ zugeordnet ist.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">42</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Weiterhin ist aus Sicht des Gerichts in die Bewertung einzustellen, dass sich der Spieler der an einem Online-Glücksspiel teilnimmt, selbst nach § 285 StGB strafbar macht, woraus sich der gesetzgeberische Wille einer geringeren Schutzwürdigkeit des Spielers, der gleichermaßen gegen eine Verbotsnorm verstößt, ergeben könnte.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">43</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Demgegenüber ist mit der Pönalisierung des unerlaubten Glücksspiels in § 284 StGB nach der herrschenden Meinung die angebotsbegrenzende staatliche Kanalisierung der Spielsucht der Bevölkerung bezweckt worden, wobei der Schutz des Einzelnen vor manipulativer Ausbeutung ebenfalls nicht außer Acht zulassen ist (Heine/Hecker, a.a.O., § 284, Rn. 5).</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">44</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Es bleibt daher anzuzweifeln, ob § 4 Abs. 4 GlüStV bzw. § 284 StGB den Schutz des Vermögens des Spielers bezwecken oder vielmehr ausschließlich dessen Spielsucht vorzubeugen bzw. zu bekämpfen beabsichtigen.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">45</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">b) Letztlich kann der Schutzgesetzcharakter hier jedoch dahinstehen, da es jedenfalls am Nachweis eines auf einem haftungsbegründenden Ereignis beruhenden, kausalen Schaden fehlt. Die Darlegungs- und Beweislast oblag dem Kläger als einem für diesen günstigen, anspruchsbegründenden Umstand. Die Beklagte hat den Eintritt eines Schadens beim Kläger bestritten.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">46</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Grundsätzlich ist im Rahmen einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB der Differenzschaden in Form des negativen Interesses zu ersetzen (Palandt, a.a.O. § 823, Rn. 24; § 249, Rn. 17). Der Gläubiger ist mithin so zu stellen, wie er stünde, wenn er nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hätte. Das Gericht hat oben bereits dargelegt, dass der Kläger nicht auf die Gültigkeit des Geschäfts vertraut hat.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">47</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Vielmehr steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger jeweils unabhängig vom Vorliegen einer behördlichen Erlaubnis zur Befriedigung seiner Spielsucht am Glücksspiel der Beklagten teilnahm. Der Kläger gab den Einsatz auch freiwillig hin, ohne durch die Beklagte getäuscht worden zu sein.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">48</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">c) Sollte es sich bei § 4 Abs. 4 GlüStV bzw. § 284 StGB um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handeln, wie oben unter a) offengelassen, hätte sich in dem Schadensereignis schließlich auch nicht gerade diejenige Gefahr verwirklicht, der entgegenzuwirken das Schutzgesetz bestimmt ist (Wagner in MüKo zum BGB, 8. Auflage, 2020, § 823, Rn. 620). Denn die beiden Vorschriften bezwecken nicht allein, den Spieler vor Verlusten beim Glücksspiel zu bewahren, sondern der Spielsucht insgesamt zu begegnen. Deshalb unterliegt dem Verbot auch ein Glücksspiel, bei dem der Spieler (vorübergehend) Gewinne erzielt und auf diese Weise Anreiz für neue Einsätze bietet.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">49</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Auch insoweit ist es dem Kläger nicht gelungen, die Kausalität zwischen der Verletzung eines Schutzgesetzes durch die Beklagte und einer von ihm erlittenen Vermögenseinbuße darzulegen und unter Beweis zu stellen.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">50</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">3. Nach alledem war die Klage insgesamt abzuweisen.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">III.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">51</div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 ZPO.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;"></div><div class="absatz gruende" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; line-height: 1.5em; margin-bottom: 10px; margin-left: 50px;">IV.</div></div><div class="rdblock" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box;"><div class="rd" style="border-radius: 0px !important; box-sizing: border-box; float: left; font-weight: bold; width: 30px;">52</div></div></div><p class="Normal"><span style="background-color: white; color: #333333; font-family: Arial, Helvetica, sans-serif; font-size: 12.8px;">Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach Maßgabe der §§ 3, 4 ZPO.</span> </p>
<p class="Normal"> </p>
<p class="Normal"> </p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-3856534627223540162021-08-16T10:48:00.000-07:002021-08-16T10:48:02.475-07:00LG München I: "LOTTOBayern" hat gegen den Glücksspielstaatsvertrag verstoßen <div><br /></div><div><div><b>Lotto wegen "unzulässiger Glücksspielwerbung" verurteilt</b></div><div><br /></div><div>München (dpa) - Der Freistaat Bayern betreibt nach einem Urteil des Landgerichts München «unzulässige Glücksspielwerbung» und verstößt damit gegen den Glücksspielstaatsvertrag. <br /><br />Das Gericht gab am Freitag der Klage einer Lotteriewettenfirma aus Malta statt und verurteilte den Freistaat zur Unterlassung. <br /><br />Eine zweite Klage einer Lotteriegesellschaft aus Gibraltar wies das Gericht ab, weil sie nicht mehr auf dem deutschen Markt tätig und daher nicht mehr anspruchsberechtigt ist.</div><div><br /></div><div>Landgericht München I, Urteil vom 13.08.2021 - 33 O 16380/18 -</div><div><br /></div><div><a href="https://www.zeit.de/amp/news/2021-08/13/lotto-wegen-unzulaessiger-gluecksspielwerbung-verurteilt" target="_blank">Weiter zum vollständigen Artikel ...</a> </div><div><br /></div><div>s.a.:</div><div><a href="https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=LG%20M%FCnchen%20I&Datum=13.08.2021&Aktenzeichen=33%20O%2016380%2F18" target="_blank">dejure org</a></div><div><a href="https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/lg-muenchen-i-urteil-gegen-lotto-bayern-wegen-unzulaessiger-gluecksspielwerbung" target="_blank">beck-aktuell</a></div><div><a href="https://www.kostenlose-urteile.de/LG-Muenchen-I_33-O-1638018_Gluecksspiel-Werbevideos-unzulaessig.news30687.htm" target="_blank">Kostenlose-Urteile</a></div><div><br /></div></div><div><br /></div>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-88374572256556680262021-07-24T14:54:00.009-07:002021-07-28T08:31:28.987-07:00Haftung eines Mitgliedstaats bei Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht - EuGH Haim (C-424/97) vom 4. Juli 2000<p><br /><b>EuGH-Urteil Hein (C-385/17) vom 13. Dezember 2018</b></p><p>51) Auch wenn die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts das Unionsrecht heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen findet und nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen darf, umfasst das<i> Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung die Verpflichtung der nationalen Gerichte,</i> eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den<i> Zielen einer Richtlinie</i> nicht vereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2016, DI, C-441/14, EU:C:2016:278, Rn. 32 und 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung)</p><p><b>s.a.. Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht <a href="https://winyourhome.blogspot.com/2014/04/rechtsprechung-des-gerichtshofs-zur.html" target="_blank">(Zusammenfassung)</a></b></p><p>Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, über verschiedene Rechtsbehelfe die<i> Schäden zu ersetzen</i>, die dem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 1991, Francovich u. a., C-6/90 und C-9/90, EU:C:1991:428, Rn. 37, sowie vom 24. Juni 2019, Poplawski, C-573/17, EU:C:2019:530, Rn. 56).</p><p>Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz von Schäden verpflichtet sind, die dem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, gilt auch dann, wenn der fragliche Verstoß in einer Entscheidung eines <i>letztinstanzlichen Gerichts</i> besteht (Urteil vom 30. September 2003, Köbler, C-224/01, EU:C:2003:513, Rn. 59).</p><p><b>EuGH-Urteil Haim (C-424/97) vom 4. Juli 2000 s.u.:</b></p><p>Nach der Rn 27 des Urteils Haim muss jeder Mitgliedstaat sicherstellen, dass dem Einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht entstanden ist, gleichgültig, welche staatliche Stelle diesen Verstoß begangen hat und welche Stelle nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats diesen Schadensersatz grundsätzlich zu leisten hat (Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62).</p><p>Ein hinreichend <i>qualifizierter Verstoß</i> gegen das Gemeinschaftsrecht kann bereits dann vorliegen, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnis nur über einen <i>erheblich verringerten</i> oder <i>gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum</i> verfügte. (Rn 38) </p><p>Ob und in welchem Umfang ein Gestaltungsspielraum vorliegt, bestimmt sich nach <i>Gemeinschaftsrecht </i>und nicht nach nationalem Recht. <i>Insoweit ist ein dem Beamten oder der Stelle, die den Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen haben, gegebenenfalls nach nationalem Recht eingeräumtes Ermessen unbeachtlich. (Rn 40)</i></p><p></p><div style="text-align: center;"><b>URTEIL DES GERICHTSHOFES</b></div><div style="text-align: center;"><span style="font-weight: 700;"><br /></span></div><span style="font-weight: bold;"><div style="text-align: center;">4. Juli 2000 (1)</div></span><p></p><p>„Haftung eines Mitgliedstaats bei Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht - Verstöße, die einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft eines Mitgliedstaats zuzurechnen sind - Voraussetzungen für die Haftung des Mitgliedstaats und einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft dieses Mitgliedstaats - Vereinbarkeit einer sprachlichen Anforderung mit der Niederlassungsfreiheit“</p><p>In der Rechtssache C-424/97</p><p>betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Landgericht Düsseldorf (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit</p><p><b>Salomone Haim</b></p><p>gegen</p><p><b>Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein</b></p><p>vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Haftung eines Mitgliedstaats und gegebenenfalls einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft dieses Staates für die durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstandenen Schäden sowie über die Frage, ob es rechtmäßig ist, wenn die Kassenzulassung eines Zahnarztes,</p><p>der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, davon abhängig gemacht wird, daß er eine ausreichende Kenntnis der Sprache des Aufnahmestaats hat,</p><p>erläßt</p><p style="text-align: center;"><b>DER GERICHTSHOF</b></p><p>unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten D. A. O. Edward (Berichterstatter), L. Sevón und R. Schintgen sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann, H. Ragnemalm und M. Wathelet,</p><p>Generalanwalt: J. Mischo</p><p>Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler</p><p>unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen</p><p>- von Herrn Haim, vertreten durch Rechtsanwältin H. Ungewitter, Düsseldorf,</p><p>- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder, Bundesministerium für Wirtschaft, Ministerialrat A. Dittrich, Bundesministerium der Justiz, und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,</p><p>- der griechischen Regierung, vertreten durch Rechtsberaterin A. Samoni-Rantou, Abteilung für Rechtsfragen der Europäischen Gemeinschaften im Außenministerium, sowie S. Vodina und G. Karipsiadis, wissenschaftliche Mitarbeiter in derselben Abteilung, als Bevollmächtigte,</p><p>- der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,</p><p>- der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico im Außenministerium, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato P. G. Ferri,</p><p>- der schwedischen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Brattgård, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,</p><p>- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Assistant Treasury Solicitor J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand von Barrister E. Sharpston,</p><p>- Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Mongin und P. van Nuffel, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, Hamburg,</p><p>aufgrund des Sitzungsberichts,</p><p>nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Haim, vertreten durch Rechtsanwalt U. Faust, Aachen, der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Nordrhein, vertreten durch Rechtsanwalt B. Bellwinkel, Düsseldorf, der deutschen Regierung, vertreten durch A. Dittrich, der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde, Abteilungsleiter im Außenministerium, als Bevollmächtigten, der griechischen Regierung, vertreten durch A. Samoni-Rantou und G. Karipsiadis, der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad, der französischen Regierung, vertreten durch A. de Bourgoing, Chargé de mission in der Rechtsabteilung des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, der italienischen Regierung, vertreten durch Avvocato dello Stato G. Aiello, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse, Departementsråd im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch E. Sharpston, und der Kommission, vertreten durch B. Mongin im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, in der Sitzung vom 9. März 1999,</p><p>nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Mai 1999,</p><p>folgendes</p><p style="text-align: center;"><b>Urteil</b></p><p>1. Das Landgericht Düsseldorf hat mit Beschluß vom 8. Dezember 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 1997, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach den Voraussetzungen und den Modalitäten für die Begründung der Haftung eines Mitgliedstaats und gegebenenfalls einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft dieses Staates für Schäden, die dem einzelnen durch diesem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, sowie danach, ob es rechtmäßig ist, wenn die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, davon abhängig gemacht wird, daß er eine ausreichende Kenntnis der Sprache des Aufnahmemitgliedstaats hat, zur Vorabentscheidung vorgelegt.</p><p>2. Diese Fragen stellen sich im Rahmen einer von Herrn Haim (im folgenden: Kläger) gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein (im folgenden: KVN), eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, erhobenen Klage auf Ersatz des Verdienstausfalls, der ihm nach seiner Behauptung dadurch entstanden ist, daß die KVN gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen hat.</p><p><b>Das Gemeinschaftsrecht</b></p><p>3. Nach Artikel 2 der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (ABl. L 233, S. 1) erkennt jeder Mitgliedstaat die in Artikel 3 dieser Richtlinie abschließend aufgeführten Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes, die die anderen Mitgliedstaaten ausstellen, an und verleiht ihnen in seinem Gebiet die gleiche Wirkung in bezug auf die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Zahnarztes wie den von ihm ausgestellten Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen.</p><p>4. Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 bestimmt:</p><p>„Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, daß die Begünstigten gegebenenfalls in ihrem Interesse und im Interesse ihrer Patienten die Sprachkenntnisse erwerben, die sie für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit im Aufnahmestaat brauchen.“</p><p>5. Artikel 20 der Richtlinie 78/686 bestimmt:</p><p>„Mitgliedstaaten, die von ihren eigenen Staatsangehörigen für die Zulassung zur Tätigkeit als Kassenzahnarzt die Ableistung einer Vorbereitungszeit verlangen, können diese während eines Zeitraums von acht Jahren von der Bekanntgabe der Richtlinie an auch von den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten verlangen. Die Dauer der Vorbereitungszeit darf jedoch sechs Monate nicht überschreiten.“</p><p><b>Das nationale Recht</b></p><p>6. § 21 der Zulassungsordnung für Kassenzahnärzte (Verordnung vom 28. Mai 1957, BGBl. 1957 I S. 582) in ihrer geänderten Fassung (im folgenden: ZOK) lautet:</p><p>„Ungeeignet für die Ausübung der Kassenpraxis ist ein Zahnarzt mit geistigen oder sonstigen in seiner Person liegenden schwerwiegenden Mängeln, insbesondere ein Zahnarzt, der innerhalb der letzten fünf Jahre vor seiner Antragstellung rauschgiftsüchtig oder trunksüchtig war.“</p><p><b>Das Ausgangsverfahren</b></p><p>7. Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und besitzt ein Zahnarztdiplom, das ihm 1946 von der Universität Istanbul (Türkei) erteilt wurde; bis 1980 praktizierte er als niedergelassener Zahnarzt in Istanbul.</p><p>8. 1981 erhielt er die Approbation als Zahnarzt in der Bundesrepublik Deutschland, d. h. die Zulassung zur Ausübung seines Berufes im Rahmen einer Privatpraxis.</p><p>9. 1982 wurde sein türkisches Diplom von den belgischen Behörden als dem belgischen Zahnarztdiplom gleichwertig anerkannt. Der Kläger arbeitete danach als Zahnarzt mit Kassenzulassung in Brüssel. Er unterbrach diese Tätigkeit dann zwischen November 1991 und August 1992, um in der Zahnarztpraxis seines Sohnes in Deutschland zu arbeiten.</p><p>10. 1988 beantragte der Kläger als Voraussetzung für die spätere Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung bei der KVN seine Eintragung in das Zahnarztregister.</p><p>11. Nach § 3 Absatz 2 ZOK ist für eine solche Eintragung die Ableistung einer mindestens zweijährigen Vorbereitungszeit Voraussetzung. Nach § 3 Absatz 4 ZOK gilt dies jedoch nicht für Zahnärzte, die in einem anderen Mitgliedstaat ein nach dem gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften anerkanntes Diplom erworben haben und zur Berufsausübung zugelassen sind.</p><p>12. Mit Bescheid vom 10. August 1988 lehnte die KVN die Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister ab, weil dieser nicht die zweijährige Vorbereitungszeit nach § 3 ZOK abgeleistet habe. Hiervon könne nicht abgesehen werden, weil der Kläger kein Diplom eines Mitgliedstaats, sondern nur ein Diplom eines Drittstaats besitze, das von einem Mitgliedstaat als dem in diesem Staat erteilten Diplom gleichwertig anerkannt worden sei.</p><p>13. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte u. a. einen Verstoß gegen den EWG-Vertrag geltend. Den Widerspruch wies die KVN mit Bescheid vom 28. September 1988 zurück, nachdem sie eine Rechtsauskunft bei ihrer Aufsichtsbehörde, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, eingeholt hatte, der ihre Rechtsauffassung bestätigte.</p><p>14. Die gegen den Bescheid der KVN gerichtete Klage wurde vom Sozialgericht Düsseldorf mit Urteil vom 28. März 1990 abgewiesen; die dagegen gerichtete Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 24. Oktober 1990 zurück. Mit Beschluß vom 20. Mai 1992 ersuchte das Bundessozialgericht in der Revisionsinstanz den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 20 der Richtlinie 78/686 und von Artikel 52 EWG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG).</p><p>15. In seinem Urteil vom 9. Februar 1994 in der Rechtssache C-319/92 (Haim, Slg. 1994, I-425; im folgenden: Urteil Haim I) entschied der Gerichtshof, daß Artikel 20 der Richtlinie 78/686 einem Mitgliedstaat nicht verbietet, von einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der keinen in Artikel 3 dieser Richtlinie genannten Befähigungsnachweis besitzt, als Voraussetzung für seine Zulassung als Kassenzahnarzt die Ableistung einer Vorbereitungszeit zu verlangen, auch wenn der Betreffende zur Berufsausübung im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates zugelassen ist, und daß Artikel 20 einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der ein von einem Drittstaat ausgestelltes Diplom besitzt, auch dann nicht von der Ableistung der Vorbereitungszeit befreit, wenn dieses Diplom von einem anderen Mitgliedstaat als einem in Artikel 3 der Richtlinie genannten Diplom gleichwertig anerkannt worden ist. Der Gerichtshof fügte allerdings hinzu, daß die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, aber in beiden Mitgliedstaaten zur Berufsausübung zugelassen worden ist und seinen Beruf auch ausgeübt hat, nach Artikel 52 EWG-Vertrag nicht mit der Begründung, er habe die nach dem Recht des erstgenannten Staates erforderliche Vorbereitungszeit nicht abgeleistet, die Zulassung als Kassenzahnarzt versagen dürfen, ohne zu prüfen, ob und, wenn ja, inwieweit die vom Betroffenen bereits nachgewiesene Erfahrung der nach diesem Recht vorgeschriebenen entspricht.</p><p>16. Auf dieses Urteil hin erhielt der Kläger mit Bescheid vom 4. Januar 1995 seine Eintragung in das Zahnarztregister. Das Verfahren zur Zulassung als Kassenarzt verfolgte er aus Altersgründen nicht weiter.</p><p>17. Der Kläger erhob allerdings beim Landgericht Düsseldorf eine zweite Klage gegen die KVN, mit der er Ersatz des Verdienstausfalls begehrt, der ihm dadurch entstanden sei, daß er seit 1. September 1988 bis Ende 1994 einen geringeren Verdienst gehabt habe als den, der zu erwarten gewesen wäre, wenn er als Kassenzahnarzt in Deutschland tätig gewesen wäre.</p><p>18. Nach Auffassung des Landgerichts Düsseldorf hat die KVN 1988 objektiv rechtswidrig die Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister verweigert, weil sie bei ihrer Entscheidung rechtsirrtümlich die Berufserfahrung des Klägers, die er im Rahmen seiner Kassenzahnarzttätigkeit in Belgien erworben hatte, unberücksichtigt gelassen habe. Sie habe jedoch bei dieser Entscheidung schuldlos gehandelt.</p><p>19. Zum einen habe nämlich § 3 ZOK ein Absehen von der Pflicht zur Ableistung eines zweijährigen Vorbereitungsdienstes mit Rücksicht auf die Berufserfahrung eines Zahnarztes im Ausland nicht vorgesehen.</p><p>20. Zum anderen habe sich die Entscheidung der KVN im Hinblick auf Artikel 52 EG-Vertrag, der die Niederlassungsfreiheit gewährleiste, als fehlerhaft erwiesen. Die Frage, ob und inwieweit die Wahrung der Niederlassungsfreiheit des Klägers eine Berücksichtigung seiner Berufserfahrung geboten habe, sei seinerzeit noch nichtentschieden gewesen. Erst seit dem Urteil des Gerichtshofes vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-340/89 (Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357) sei klar gewesen, daß die Berufserfahrung des Klägers zu berücksichtigen sei.</p><p>21. Das vorlegende Gericht schloß daraus, daß die KVN durch die Ablehnung der Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister im Jahre 1988 nicht schuldhaft im Sinne des deutschen Amtshaftungsrechts gehandelt habe, so daß das innerstaatliche Recht keine Grundlage für seine Schadensersatzklage biete.</p><p>22. Zu prüfen sei jedoch, ob sich ein Anspruch des Klägers gegen die KVN unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten könne, da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes jeder Mitgliedstaat für Schäden hafte, die dem einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstünden, und zwar auch bei administrativem Unrecht.</p><p>23. Was das Vorbringen der KVN angehe, der Kläger hätte, selbst wenn er 1988 in das Zahnarztregister eingetragen worden wäre, nicht die Zulassung zum Kassenzahnarzt erhalten, weil er keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse gehabt habe, sei fraglich, ob die nationalen Behörden die Kassenzulassung einer Person wie des Klägers von sprachlichen Voraussetzungen abhängig machen dürften.</p><p>24. Das Landgericht Düsseldorf hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:</p><p>1. Kann, wenn ein Beamter einer rechtlich selbständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft eines Mitgliedstaats bei der Anwendung nationalen Rechts im Rahmen einer Einzelentscheidung gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstößt, neben der Haftung des Mitgliedstaats auch die Haftung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft gegeben sein?</p><p>2. Wenn ja: Liegt ein qualifizierter Gemeinschaftsverstoß in einem Fall, in dem ein nationaler Beamter entweder gegen Gemeinschaftsrecht verstoßendes nationales Recht angewendet hat oder nationales Recht nicht gemeinschaftsrechtskonform angewendet hat, schon deshalb vor, weil dem Beamten bei seiner Entscheidung kein Ermessen zustand?</p><p>3. Dürfen die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines in diesem Mitgliedstaat approbierten Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen, daß dieser die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmestaat braucht?</p><p><b>Zur ersten Frage</b></p><p>25. Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob es gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden ist, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist.</p><p><span style="background-color: #fcff01;">26. Die Haftung für Schäden, die dem einzelnen durch einer staatlichen Stelle zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, stellt einen Grundsatz dar, der aus dem Wesen des Vertrages folgt (vgl. Urteile vom 19. November 1991 in den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 35, vom 5. März 1996 in den Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 31, vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38, vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 24, und vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20, und vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-127/95, Norbrook Laboratories, Slg. 1998, I-1531, Randnr. 106).</span></p><p><span style="background-color: #fcff01;">27. Wie alle Regierungen, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, und die Kommission im Kern vorgetragen haben und wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, muß jeder Mitgliedstaat sicherstellen, daß dem einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht entstanden ist, gleichgültig, welche staatliche Stelle diesen Verstoß begangen hat und welche Stelle nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats diesen Schadensersatz grundsätzlich zu leisten hat (Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62).</span></p><p><span style="background-color: #fcff01;">28. Die Mitgliedstaaten können sich dieser Haftung mithin nicht dadurch entziehen, daß sie auf die interne Verteilung der Zuständigkeiten und der Haftung auf Körperschaften verweisen, die nach ihrer Rechtsordnung bestehen, oder daß sie geltend machen, der staatlichen Stelle, die den Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht begangen habe, hätten nicht die erforderlichen Befugnisse, Kenntnisse oder Mittel zur Verfügung gestanden.</span></p><p>29. Aus der in den Randnummern 26 und 27 dieses Urteils zitierten Rechtsprechung ergibt sich indessen nicht, daß der Mitgliedstaat seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nur erfüllt, wenn er selbst den Ersatz der dem einzelnen durch gemeinschaftsrechtswidrige innerstaatliche Maßnahmen entstandenen Schäden sicherstellt.</p><p><span style="background-color: #fcff01;">30. Für bundesstaatlich aufgebaute Mitgliedstaaten hat der Gerichtshof nämlich bereits entschieden, daß ein solcher Mitgliedstaat seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen auch erfüllen kann, wenn nicht der Gesamtstaat den Ersatz der einemeinzelnen durch gemeinschaftsrechtswidrige innerstaatliche Maßnahmen entstandenen Schäden sicherstellt, sofern die innerstaatlichen Verfahrensregelungen einen wirksamen Schutz der Rechte ermöglichen, die dem einzelnen aufgrund Gemeinschaftsrechts zustehen, und die Geltendmachung dieser Rechte nicht gegenüber derjenigen solcher Rechte erschwert ist, die dem einzelnen nach innerstaatlichem Recht zustehen (Urteil Konle, Randnrn. 63 f.).</span></p><p><span style="background-color: #fcff01;">31. Dies gilt auch für die Mitgliedstaaten, in denen - unabhängig davon, ob sie bundesstaatlich aufgebaut sind oder nicht - bestimmte Gesetzgebungs- oder Verwaltungsaufgaben dezentralisiert von Gebietskörperschaften mit einer gewissen Autonomie oder von anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, die vom Staat rechtlich verschieden sind, wahrgenommen werden. In diesen Mitgliedstaaten können die Schäden, die dem einzelnen durch innerstaatliche Maßnahmen entstanden sind, die eine öffentlich-rechtliche Einrichtung unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffen hat, daher von dieser ersetzt werden.</span></p><p><span style="background-color: #fcff01;">32. Gemeinschaftsrechtlich ist es auch nicht zu beanstanden, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist.</span></p><p><span style="background-color: #fcff01;">33. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Staat vorbehaltlich des Anspruchs auf Entschädigung, der bei Erfüllung der Voraussetzungen für die Haftung eines Mitgliedstaats für einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht seine Grundlage unmittelbar im Gemeinschaftsrecht hat, die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im nationalen Schadensersatzrecht festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Rechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen, und nicht so ausgestaltet sein dürfen, daß sie die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteile Francovich u. a., Randnrn. 41 bis 43, und Norbrook Laboratories, Randnr. 111).</span></p><p>34. Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß es gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist</p><p><b>Zur zweiten Frage</b></p><p>35. Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob in einem Fall, in dem ein nationaler Beamter entweder gegen Gemeinschaftsrecht verstoßendes nationales Recht angewendet oder nationales Recht nicht gemeinschaftsrechtskonform angewendet hat, ein qualifizierter Verstoß im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes schon deshalb vorliegt, weil dem Beamten bei seiner Entscheidung kein Ermessen zustand.</p><p><span style="background-color: #fcff01;">36. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht hervor, daß ein Mitgliedstaat Schäden, die dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, unter drei Voraussetzungen zu ersetzen hat: Die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang. Die Beurteilung dieser Voraussetzungen hängt von der jeweiligen Fallgestaltung ab (Urteil Norbrook Laboratories, Randnr. 107).</span></p><p>37. Diese drei Voraussetzungen müssen sowohl erfüllt sein, wenn die Schäden, deren Ersatz begehrt wird, auf eine Untätigkeit des Mitgliedstaats zurückgehen, z. B. bei der Nichtumsetzung einer Gemeinschaftsrichtlinie, als auch dann, wenn sie auf den Erlaß eines gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßenden Gesetzgebungs- oder Verwaltungsakts zurückgehen, unabhängig davon, ob dieser vom Mitgliedstaat selbst oder von einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung erlassen wurde, die vom Staat rechtlich unabhängig ist.</p><p><span style="background-color: #fcff01;">38. Was speziell die zweite dieser Voraussetzungen angeht, hat der Gerichtshof bereits entschieden, daß ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnis die Grenzen offenkundig und erheblich überschritten hat, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind (vgl. Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 55, British Telecommunications, Randnr. 42, und Dillenkofer u. a., Randnr. 25), und daß die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat, der zum Zeitpunkt dieser Rechtsverletzung nur über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, ausreichen kann, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen (vgl. Urteile Hedley Lomas, Randnr. 28, und Norbrook Laboratories, Randnr. 109).</span></p><p><span style="background-color: #fcff01;">39. Insoweit ist zu beachten, daß die Verpflichtung zum Ersatz der dem einzelnen entstandenen Schäden nicht von einer an den Verschuldensbegriff geknüpften Voraussetzung abhängig gemacht werden kann, die über den hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinausgeht (Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 79).</span></p><p><span style="background-color: #fcff01;">40. Der in Randnummer 38 des vorliegenden Urteils erwähnte Gestaltungsspielraum ist derjenige des betreffenden Mitgliedstaats. Ob und in welchem Umfang er vorliegt, bestimmt sich nach Gemeinschaftsrecht und nicht nach nationalem Recht. Insoweit ist ein dem Beamten oder der Stelle, die den Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen haben, gegebenenfalls nach nationalem Recht eingeräumtes Ermessen unbeachtlich.</span></p><p>41. Aus den in Randnummer 38 zitierten Urteilen ergibt sich ferner, daß eine bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat ein hinreichend qualifizierter Verstoß sein kann, aber nicht sein muß.</p><p>42. Um festzustellen, ob eine solche Verletzung des Gemeinschaftsrechts einen hinreichend qualifizierten Verstoß darstellt, muß das mit einer Schadensersatzklage befaßte nationale Gericht alle Gesichtspunkte berücksichtigen, die für den ihm vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind.</p><p><span style="background-color: #fcff01;">43. Zu diesen Gesichtspunkten gehören u. a. das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen bzw. zugefügt wurde oder nicht, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, daß das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen hat, daß nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt oder aufrechterhalten wurden (vgl. Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 56, zu den Voraussetzungen für die Begründung der Haftung des Staates wegen gemeinschaftsrechtswidriger Handlungen und Unterlassungen des nationalen Gesetzgebers).</span></p><p>44. Die Anwendung dieser Kriterien auf den vorliegenden Fall obliegt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes grundsätzlich den nationalen Gerichten (Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 58), die dabei die vom Gerichtshof entwickelten Leitlinien zu beachten haben (Urteil Konle, Randnr. 58).</p><p>45. Hierzu ist festzustellen, daß es sich bei der betreffenden Vorschrift des Gemeinschaftsrechts um eine Vertragsbestimmung handelt, die seit dem - lange vor dem streiterheblichen Zeitpunkt eingetretenen - Ablauf der im Vertrag vorgesehenen Übergangszeit unmittelbar anwendbar ist.</p><p>46. Als der deutsche Gesetzgeber § 3 ZOK erließ und die KVN sodann die Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister ablehnte, hatte der Gerichtshof jedoch noch nicht das Urteil Vlassopoulou erlassen, in dessen Randnummer 16 er erstmals entschied, daß ein Mitgliedstaat, bei dem die Zulassung zu einem Beruf beantragt wird, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation abhängt, die Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, die der Betroffene erworben hat, um den gleichen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, in der Weise zu berücksichtigen hat, daß er die durch diese Diplome bescheinigten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleicht.</p><p>47. Gemäß diesem Grundsatz entschied der Gerichtshof in Randnummer 29 des Urteils Haim I, daß die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, der aber in beiden Mitgliedstaaten zur Berufsausübung zugelassen worden ist und seinen Beruf auch ausgeübt hat, nach Artikel 52 EG-Vertrag nicht mit der Begründung, er habe die nach dem Recht des erstgenannten Staates erforderliche Vorbereitungszeit nicht abgeleistet, die Zulassung als Kassenzahnarzt versagen dürfen, ohne zu prüfen, ob und, wenn ja, inwieweit die vom Betroffenen bereits nachgewiesene Erfahrung der nach diesem Recht vorgeschriebenen entspricht.</p><p>48. Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand der in den Randnummern 43 bis 47 des vorliegenden Urteils gegebenen Kriterien und Hinweise zu prüfen, ob im Ausgangsrechtsstreit ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt.</p><p>49. Auf die zweite Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß bei der Prüfung, ob ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes vorliegt, der Gestaltungsspielraum zu berücksichtigen ist, über den der betreffende Mitgliedstaat verfügt. Das Bestehen und der Umfang dieses Gestaltungsspielraums sind anhand des Gemeinschaftsrechts und nicht anhand des nationalen Rechts zu bestimmen.</p><p><b>Zur dritten Frage</b></p><p>50. Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassen und approbiert ist, aber kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen dürfen, daß dieser Zahnarzt die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat braucht.</p><p>51. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnten derartige sprachliche Anforderungen gegen Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 und gegen Artikel 52 EG-Vertrag verstoßen.</p><p>52. Zu Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 ist festzustellen, daß die in dieser Richtlinie aufgestellten Vorschriften über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes nicht für Diplome gelten, die in einem Drittstaat erworben wurden, selbst wenn sie von einem anderen Mitgliedstaat als gleichwertig anerkannt wurden (vgl. Urteil vom 9. Februar 1994 in der Rechtssache C-154/93, Tawil-Albertini, Slg. 1994, I-451, Randnr. 13).</p><p>53. Da das Diplom des Klägers von einem Drittstaat erteilt wurde, fällt es, obwohl es von einem anderen Mitgliedstaat als einem in Artikel 3 der Richtlinie 78/668 genannten Diplom gleichwertig anerkannt wurde, nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie.</p><p>54. Folglich braucht nicht geprüft zu werden, ob es in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens gegen Artikel 18 Absatz 3 dieser Richtlinie verstößt, wenn als Voraussetzung für die Kassenzulassung Sprachkenntnisse verlangt werden.</p><p>55. Der Kläger hat sich unmittelbar auf Artikel 52 EG-Vertrag berufen und geltend gemacht, § 21 ZOK könne nicht die Forderung nach Sprachkenntnissen rechtfertigen, wie sie von ihm im Ausgangsverfahren verlangt worden seien. Nach dieser Vorschrift sei ein Zahnarzt mit geistigen oder sonstigen in seiner Person liegenden schwerwiegenden Mängeln, insbesondere ein Zahnarzt, der innerhalb der letzten fünfJahre vor Stellung seines Antrag auf Zulassung rauschgiftsüchtig oder trunksüchtig gewesen sei, ungeeignet für die Ausübung der Kassenpraxis. Die beispielhaften Aufzählungen in dieser Vorschrift zeigten klar, daß hiermit keine unzureichenden Sprachkenntnisse gemeint seien oder gemeint sein könnten.</p><p>56. Zwar besagt § 21 ZOK seinem Wortlaut nach nichts über Sprachkenntnisse des Betroffenen, doch steht es dem Gerichtshof nicht zu, sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zur Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift zu äußern, insbesondere nicht zu der Frage, auf welche Arten von Mängeln sich eine nationale Vorschrift wie § 21 ZOK bezieht.</p><p>57. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten einschränken, nur unter vier Voraussetzungen zulässig: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. u. a. Urteile vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37, und Urteil vom 9. März 1999 in der Rechtssache C-212/97, Centros, Slg. I-1999, I-1459, Randnr. 34).</p><p>58. Zwar ist es im Rahmen der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gemeinschafts- und den nationalen Gerichten grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen in der bei ihm anhängigen Rechtssache erfüllt sind, doch kann der Gerichtshof in seiner Entscheidung auf ein Vorabentscheidungsersuchen gegebenenfalls Klarstellungen vornehmen, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben.</p><p>59. Die Gewährleistung der Verständigung des Zahnarztes mit seinen Patienten sowie mit den Verwaltungsbehörden und Berufsorganisationen stellt insoweit, wie der Generalanwalt in den Randnummern 105 bis 113 seiner Schlußanträge ausführt, einen zwingenden Grund des allgemeinen Interesses dar, der es rechtfertigt, die Kassenzulassung eines Zahnarztes von sprachlichen Voraussetzungen abhängig zu machen. Sowohl das Gespräch mit den Patienten als auch die Einhaltung der im Aufnahmemitgliedstaat für Zahnärzte geltenden Berufsregeln und Rechtsvorschriften wie auch die Erfüllung der administrativen Aufgaben verlangen nämlich eine angemessene Kenntnis der Sprache dieses Staates.</p><p>60. Zu beachten ist jedoch, daß sprachliche Anforderungen, die gewährleisten sollen, daß sich der Zahnarzt mit seinen Patienten, deren Muttersprache die Sprache des betreffenden Mitgliedstaats ist, sowie mit den Verwaltungsbehörden und den Berufsorganisationen dieses Staates angemessen verständigen kann, nicht über das zur Erreichung dieses Zieles Erforderliche hinausgehen dürfen. Es liegt im Interesse der Patienten, deren Muttersprache nicht die Amtssprache ist, daß es eine gewisse Zahl von Zahnärzten gibt, die sich mit ihnen auch in ihrer eigenen Sprache verständigen können.</p><p>61. Auf die dritte Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassen und approbiert ist, aber kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen dürfen, daß dieser Zahnarzt die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat braucht.</p><p><b>Kosten</b></p><p>62. Die Auslagen der deutschen, der dänischen, der griechischen, der spanischen, der französischen, der italienischen und der schwedischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.</p><p>Aus diesen Gründen</p><p>hat</p><p style="text-align: center;">DER GERICHTSHOF<br /><br /></p><p>auf die ihm vom Landgericht Düsseldorf mit Beschluß vom 8. Dezember 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:</p><p><b>1. Es ist gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist.</b></p><p><b>2. Bei der Prüfung, ob ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes vorliegt, ist der Gestaltungsspielraum zu berücksichtigen, über den der betreffende Mitgliedstaat verfügt. Das Bestehen und der Umfang dieses Gestaltungsspielraums sind anhand des Gemeinschaftsrechts und nicht anhand des nationalen Rechts zu bestimmen.</b></p><p><b>3. Die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats dürfen die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassen und approbiert ist, aber kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen, daß dieser Zahnarzt die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat braucht.</b></p><p>Rodríguez Iglesias Edward Sevón<span> </span><span> <span> </span></span>Schintgen</p><p>Kapteyn Gulmann Puissochet<span> </span><span> </span>Hirsch</p><p>Jann<span> </span><span> </span>Ragnemalm<span> </span><span> </span>Wathelet</p><p>Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 4. Juli 2000.</p><p>Der Kanzler<span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span>Der Präsident</p><p>R. Grass<span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span><span> </span>G. C. Rodríguez Iglesias</p><p>1: Verfahrenssprache: Deutsch.<br /><br /><br /></p><p><span style="font-size: x-small;">Hervorhebungen durch mich</span><br /><br /></p><p><b>SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS JEAN MISCHO vom 19. Mai 1999 <br /></b>Quelle: <a href="https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX%3A61997CC0424" target="_blank">https://curia.europa.eu/</a></p><p><b><br /></b></p><p><b>s.a.. Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht <a href="https://winyourhome.blogspot.com/2014/04/rechtsprechung-des-gerichtshofs-zur.html" target="_blank">(Zusammenfassung)</a></b></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /><br /><br /></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-32600668039910208082021-07-24T14:01:00.002-07:002021-07-24T14:16:36.848-07:00EuGH -Beschluss vom 18. Mai 2021 (C-920/18) Fluctus, Fluentum <p><br /></p><p class="C19Centre" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: center;">BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)</p><p class="C19Centre" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: center;">18. Mai 2021(<a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document_print.jsf?docid=241604&text=&dir=&doclang=DE&part=1&occ=first&mode=DOC&pageIndex=0&cid=4938774#Footnote*" name="Footref*">*</a>)</p><p class="C71Indicateur" style="margin: 30pt 0cm 28pt 1cm; text-align: center;">„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Art. 56 AEUV – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiele – Duales System der Organisation des Marktes – Monopol für Lotterien und Spielbanken – Vorherige Bewilligung zum Betrieb von Glücksspielautomaten – Werbepraktiken des Monopolinhabers – Beurteilungskriterien – Verfassungsrechtsprechung, mit der die Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht festgestellt wurde“</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">In der Rechtssache C‑920/19</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) mit Entscheidung vom 6. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Dezember 2019, in dem Verfahren</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Fluctus s. r. o.,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Fluentum s. r. o.,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>KI</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">gegen</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Landespolizeidirektion Steiermark,</b></p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Beteiligte:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><b>Finanzpolizei Team 96</b>,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">erlässt</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"><br /></p><p class="C19Centre" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: center;">DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin sowie der Richter T. von Danwitz und P. G. Xuereb (Berichterstatter),</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Generalanwalt: G. Hogan,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">Kanzler: A. Calot Escobar,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">aufgrund des schriftlichen Verfahrens,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">unter Berücksichtigung der Erklärungen</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der Fluctus s. r. o. und der Fluentum s. r. o., vertreten durch Rechtsanwalt P. Ruth,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– von KI, vertreten durch die Rechtsanwälte N. Aquilina und T. Talos,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, F. Koppensteiner und J. Schmoll als Bevollmächtigte,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaeminck und R. Verbeke, avocats,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. G. Marrone, avvocato dello Stato,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, A. Pimenta, M. J. Marques, A. Silva Coelho und P. Barros da Costa als Bevollmächtigte,</p><p class="C03Tiretlong" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">– der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Malferrari, R. Pethke und L. Armati als Bevollmächtigte,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">folgenden</p><p class="C75Debutdesmotifs" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 24pt 1cm; text-align: center;"><b>Beschluss</b></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point1">1</a> Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point2">2</a> Es ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Fluctus s. r. o., der Fluentum s. r. o. und KI auf der einen Seite und der Landespolizeidirektion Steiermark (Österreich) auf der anderen Seite über die Frage, ob Bescheide über die Beschlagnahme von Glücksspielautomaten und Straferkenntnisse wegen Verstoßes gegen die österreichischen Glücksspielvorschriften rechtmäßig sind.</p><p class="C04Titre1" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <b>Rechtlicher Rahmen</b></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point3">3</a> § 2 des Glücksspielgesetzes vom 28. November 1989 (BGBl. Nr. 620/1989) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Glücksspielgesetz) sieht in seinen Abs. 3 und 4 vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(3) Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten liegt vor, wenn die Entscheidung über das Spielergebnis nicht zentralseitig, sondern durch eine mechanische oder elektronische Vorrichtung im Glücksspielautomaten selbst erfolgt. Der Bundesminister für Finanzen ist ermächtigt, durch Verordnung bau- und spieltechnische Merkmale von Glücksspielautomaten näher zu regeln sowie Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten festzulegen. Glücksspielautomaten gemäß § 5 sind verpflichtend an die Bundesrechenzentrum GmbH elektronisch anzubinden. …</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(4) Verbotene Ausspielungen sind Ausspielungen für die eine Konzession oder Bewilligung nach diesem Bundesgesetz nicht erteilt wurde und die nicht vom Glücksspielmonopol des Bundes gemäß § 4 ausgenommen sind.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point4">4</a> § 3 („Glücksspielmonopol“) dieses Gesetzes bestimmt:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ist, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol).“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point5">5</a> § 4 („Ausnahmen aus dem Glücksspielmonopol“) dieses Gesetzes bestimmt in Abs. 2:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten nach Maßgabe des § 5 unterliegen nicht dem Glücksspielmonopol des Bundes.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point6">6</a> § 5 („Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten“) dieses Gesetzes sieht in Abs. 1 Z 1 vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten sind Ausspielungen nach § 2 Abs. 3 an ortsfesten, öffentlich zugänglichen Betriebsstätten unter Einhaltung ordnungspolitischer Mindestanforderungen an Bewilligungswerber (Abs. 2) sowie besonderer Begleitmaßnahmen der Spielsuchtvorbeugung (Abs. 3 bis 5), der Geldwäschevorbeugung (Abs. 6) und der Aufsicht (Abs. 7)</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. in Automatensalons mit mindestens 10 und höchstens 50 Glücksspielautomaten oder</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">2. in Einzelaufstellung mit höchstens drei Glücksspielautomaten.“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point7">7</a> In § 52 („Verwaltungsstrafbestimmungen“) des Glücksspielgesetzes heißt es:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„(1) Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde in den Fällen der Z 1 mit einer Geldstrafe … zu bestrafen,</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen … veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht …;</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">(2) Bei Übertretung des Abs. 1 Z 1 mit bis zu drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen ist für jeden Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand eine Geldstrafe … zu verhängen.</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">…“</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point8">8</a> § 56 („Zulässige Werbung“) Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:</p><p class="C02AlineaAltA" style="margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;">„Die Konzessionäre und Bewilligungsinhaber nach diesem Bundesgesetz haben bei ihren Werbeauftritten einen verantwortungsvollen Maßstab zu wahren. Die Einhaltung dieses verantwortungsvollen Maßstabes ist ausschließlich im Aufsichtswege zu überwachen und nicht dem Klagswege nach §§ 1 ff UWG zugänglich. Abs. 1 Satz 1 stellt kein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB dar.“</p><p class="C04Titre1" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <b>Ausgangsverfahren und Vorlagefragen</b></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point9">9</a> Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass der österreichische Glücksspielmarkt durch ein duales System der Organisation gekennzeichnet ist. Zum einen unterliegen Lotterien und Spielbanken mittels einer dem Monopolinhaber erteilten ausschließlichen Konzession österreichweit einem Monopol. Zum anderen ist der Betrieb von Glücksspielautomaten nach dem Glücksspielgesetz grundsätzlich verboten, kann aber von jedem Land zugelassen werden, sofern die Betreiber dieser Automaten eine vorherige behördliche Bewilligung erhalten.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point10">10</a> Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, führten Kontrollen, die am 19. Oktober 2016 von Beamten der Finanzpolizei (Österreich) in einem Lokal in Graz (Österreich) durchgeführt wurden, zur vorläufigen Beschlagnahme von acht Glücksspielautomaten, da diese Automaten ohne die erforderliche behördliche Bewilligung betrieben wurden. Nachdem die mutmaßlichen Verwaltungsübertretungen der Landespolizeidirektion Steiermark zur Kenntnis gebracht worden waren, erließ diese am 23. November und am 12. Dezember 2016 Beschlagnahmebescheide gegen Fluctus, die Gesellschaft, die Inhaberin der fraglichen Glücksspielautomaten war, und gegen Fluentum, die Gesellschaft, die Eigentümerin dieser Automaten war. Ebenso verhängte sie am 22. und 29. Januar 2018 gegen KI, den Geschäftsführer dieser Gesellschaften, der als Veranstalter und Unternehmer des Glücksspiels angesehen wurde, mit Straferkenntnissen Geldstrafen in Höhe von insgesamt 480 000 Euro.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point11">11</a> Gegen die Beschlagnahmebescheide und die Straferkenntnisse wurde Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) eingebracht.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point12">12</a> Das vorlegende Gericht hegt an der Vereinbarkeit von Werbepraktiken des Inhabers des Glücksspielmonopols in Österreich mit dem Unionsrecht Zweifel, die seiner Auffassung nach auch ein Teil der nationalen Rechtsprechung und nationalen Lehre hege. Die Casinos Austria AG verfüge über die ausschließliche Konzession für die Durchführung von Casinospielen und die Österreichische Lotterien GmbH über die ausschließliche Konzession für die Veranstaltung von Lotterien, und diese beiden Gesellschaften, die das vorlegende Gericht zusammen als „Monopolisten“ bezeichnet, könnten aufgrund der wechselseitigen Beteiligungsverflechtungen als ein und dieselbe Einheit betrachtet werden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point13">13</a> Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts folgt aus ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine Vorschrift, mit der ein Glückspielmonopol eingeführt wird, mit den von ihr verfolgten Zielen, insbesondere dem Verbraucherschutz, der Betrugsbekämpfung und der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen, in Einklang stehen müsse, damit sie mit dem Unionsrecht vereinbar sei, und dass diese Forderung nach Kohärenz auch für die vom Inhaber eines Monopols durchgeführte Werbung gelte.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point14">14</a> Das vorlegende Gericht ist aber der Ansicht, dass die offensive Werbepolitik des Glücksspielmonopolisten in Österreich nicht maßvoll und nicht streng auf das beschränkt sei, was für die Lenkung der Verbraucher hin zu kontrollierten Spielenetzwerken notwendig sei. Diese Werbepolitik rege im Gegenteil zu aktiver Teilnahme am Spiel an, indem das Spiel verharmlost werde, ihm ein positives Image verliehen werde, seine Anziehungskraft durch In-Aussicht-Stellen bedeutender Gewinne erhöht werde, neue Zielgruppen zum Spielen angeregt würden und das inhaltliche Angebot laufend ausgedehnt werde. Diese Werbepolitik entspreche daher nicht der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Werbung im Glücksspielbereich.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point15">15</a> Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass die Werbeaktivitäten des Inhabers des Glücksspielmonopols in Österreich keiner wirksamen Aufsicht unterlägen, da § 56 Abs. 1 des Glücksspielgesetzes in Bezug auf diese Aktivitäten nur Aufsichtsmaßnahmen vorsehe und eine Kontrolle ihres maßvollen Charakters durch eine Klage auf der Grundlage des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ausschließe. Außerdem unterliege auch eine Vielzahl von dritten Unternehmen, die in Österreich Glücksspiele anböten, insbesondere im Onlinebereich, keiner wirksamen Aufsicht.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point16">16</a> Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass das in Österreich eingerichtete Glücksspielmonopol einschließlich seiner Begleitregelungen gegenüber einem Begünstigten der Dienstleistungsfreiheit wie den Beschwerdeführern des Ausgangsverfahrens nicht mehr anwendbar sei.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point17">17</a> Die drei österreichischen Höchstgerichte hätten jedoch entschieden, dass das Glücksspielgesetz mit dem Unionsrecht vereinbar sei, so dass sich das vorlegende Gericht grundsätzlich an diese Rechtsprechung halten müsse. Daher sei eine Antwort des Gerichtshofs erforderlich, um der Praxis der österreichischen Höchstgerichte, die darin bestehe, das Unionsrecht bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Glücksspielmonopols zu missachten und die Untergerichte daran zu hindern, die Vorgaben der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs anzuwenden, ein Ende zu setzen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point18">18</a> In diesem Zusammenhang hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. Ist Art 56 AEUV dahin gehend auszulegen, dass es bei der Würdigung der vom Gerichtshof für den Fall eines staatlichen Glücksspielmonopols in ständiger Rechtsprechung formulierten unzulässigen Werbepraktiken des Konzessionsinhabers darauf ankommt, ob es in einer gesamthaften Betrachtung im relevanten Zeitraum tatsächlich zu einem Wachstum des Glücksspielmarktes gekommen ist oder genügt es schon, dass die Werbung darauf abzielt, zu aktiver Teilnahme am Spiel anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">2. Ist Art. 56 AEUV weiters dahin gehend auszulegen, dass Werbepraktiken eines Monopolisten im Falle ihres Vorliegens jedenfalls die Kohärenz der Monopolregelung ausschließen oder kann im Falle entsprechender Werbeaktivitäten privater Anbieter von Seiten eines Monopolisten auch zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Ansehen verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?</p><p class="C09Marge0avecretrait" style="margin: 0cm 0cm 12pt 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">3. Ist ein staatliches Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit Art. 56 AEUV anzuwenden hat, aus eigener Entscheidungsbefugnis gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es jede seiner Auffassung nach entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt, selbst wenn in einem verfassungsrechtlichen Verfahren deren Unionsrechtskonformität bestätigt wurde?</p><p class="C04Titre1" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <b>Zu den Vorlagefragen</b></p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Zur Zulässigkeit</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point19">19</a> Die ungarische, die österreichische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission halten das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, weil die Vorlagefragen, die sich auf die Werbepraktiken der Monopolisten für Spielbanken und Lotterien bezögen, in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit stünden, der die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen betreffe, mit denen der Betrieb von Glücksspielautomaten ohne eine entsprechende Bewilligung geahndet werde.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point20">20</a> In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Er kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 26).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point21">21</a> Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung ist eine dem nationalen Gericht dienliche Auslegung des Unionsrechts nur möglich, wenn dieses die Sach- und Rechtslage, in der sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese Fragen beruhen, erläutert. Außerdem muss die Vorlageentscheidung die genauen Gründe angeben, aus denen dem nationalen Gericht die Auslegung des Unionsrechts fraglich und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof erforderlich erscheint (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 27).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point22">22</a> Im vorliegenden Fall beschreibt die Vorlageentscheidung die Rechts- und Sachlage der Ausgangsrechtsstreitigkeiten hinreichend, und die Angaben des vorlegenden Gerichts ermöglichen es, die Reichweite der Vorlagefragen zu bestimmen. Insbesondere ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Fragen im Licht der in der Vorlageentscheidung enthaltenen Erläuterungen, dass das vorlegende Gericht der Ansicht ist, dass die Werbepraktiken des Glücksspielmonopolisten die Kohärenz des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts insgesamt in Frage stellten.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point23">23</a> Die Einrede der Unzulässigkeit der Vorlagefragen ist daher zurückzuweisen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point24">24</a> Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen kann, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, wenn eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die der Gerichtshof bereits entschieden hat, wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point25">25</a> Da die Antwort auf die Fragen klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, ist diese Bestimmung in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Zur ersten und zur zweiten Frage</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point26">26</a> Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts allein deshalb entgegensteht, weil die Werbepraktiken des Monopolisten für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost wird, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point27">27</a> Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung der Glücksspiele zu den Bereichen gehört, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer diesbezüglichen Harmonisierung durch die Europäische Union ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, in diesen Bereichen im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 20).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point28">28</a> Im Rahmen mit dem AEU-Vertrag vereinbarer Rechtsvorschriften obliegt sodann die Wahl der Bedingungen für die Organisation und die Kontrolle der in der Veranstaltung von und der Teilnahme an Glücks- oder Geldspielen bestehenden Tätigkeiten den nationalen Behörden im Rahmen ihres Ermessens (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 21).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point29">29</a> Im Bereich der Glücksspiele ist grundsätzlich gesondert für jede mit einer nationalen Rechtsvorschrift auferlegte Beschränkung insbesondere zu prüfen, ob sie geeignet ist, die Verwirklichung des Ziels oder der Ziele zu gewährleisten, die von dem fraglichen Mitgliedstaat geltend gemacht werden, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels oder dieser Ziele erforderlich ist (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 22).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point30">30</a> Somit kann der Umstand, dass von verschiedenen Arten von Glücksspielen einige einem staatlichen Monopol und andere einer Regelung unterliegen, nach der private Veranstalter eine Bewilligung benötigen, im Hinblick darauf, dass mit Maßnahmen, die – wie das staatliche Monopol – auf den ersten Blick als am restriktivsten und wirkungsvollsten erscheinen, legitime Ziele verfolgt werden, für sich genommen nicht dazu führen, dass diese Maßnahmen ihre Rechtfertigung verlieren. Derart divergierende rechtliche Regelungen ändern nämlich als solche nichts an der Eignung einer solchen Maßnahme zur Verwirklichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 23).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point31">31</a> Wie der Gerichtshof jedoch bereits entschieden hat, kann sich ein solches duales System der Organisation des Glücksspielmarkts als im Widerspruch zu Art. 56 AEUV stehend erweisen, wenn festgestellt wird, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele als die, die dem staatlichen Monopol unterliegen, eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, was zur Folge hat, dass das der Errichtung dieses Monopols zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, mit ihm nicht mehr wirksam verfolgt werden kann (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 24).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point32">32</a> Ebenso kann das Ziel der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und der Bekämpfung der Spielsucht, das der Einführung eines Systems der vorherigen Bewilligung für den Betrieb von Glücksspielautomaten zugrunde lag, gefährdet werden, wenn die zuständigen Behörden eine Politik verfolgen, die zur Teilnahme an Glücksspielen, die dem staatlichen Monopol unterliegen, anregt.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point33">33</a> Im vorliegenden Fall beruft sich die österreichische Regierung zur Rechtfertigung des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts auf Gründe der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit sowie auf zwingende Gründe des Verbraucherschutzes, der Verhinderung der Spielsucht und der Betrugsvorbeugung.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point34">34</a> Solche Gründe können Beschränkungen von Glücksspieltätigkeiten sowohl in Gestalt der Regelung über das staatliche Monopol bei bestimmten Arten von Glücksspielen als auch in Gestalt der Regelung, wonach für die Veranstaltung anderer Arten von Glücksspielen eine vorherige Bewilligung erforderlich ist, rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 26).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point35">35</a> Das vorlegende Gericht führt jedoch aus, die Werbepraktiken der Konzessionäre für Spielbanken- und Lotteriespiele förderten eine verstärkte Teilnahme an diesen Spielen, die den erklärten Zielen des Verbraucherschutzes und der Verhinderung der Spielsucht zuwiderlaufe. Es fügt hinzu, dass nach Ansicht der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens das Hauptziel der nationalen Rechtsvorschriften in Wirklichkeit darin bestehe, die Haushaltseinnahmen zu erhöhen, die durch die auf Spielbanken erhobenen Abgaben erzielt würden.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point36">36</a> Hierzu ist festzustellen, dass eine Ausweitung der Geschäftstätigkeit eines mit ausschließlichen Rechten im Glücksspielbereich ausgestatteten Anbieters sowie eine wesentliche Steigerung der Einnahmen, die er damit erzielt, besondere Aufmerksamkeit bei der Prüfung des kohärenten und systematischen Charakters der fraglichen Regelung und somit ihrer Geeignetheit für die Verfolgung der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Ziele erfordern. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass die Finanzierung gemeinnütziger Tätigkeiten mit den Einnahmen aus Glücksspielen nicht das eigentliche Ziel einer in diesem Sektor betriebenen restriktiven Politik sein darf, sondern nur als eine nützliche Nebenfolge angesehen werden kann (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 61).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point37">37</a> Ein Mitgliedstaat kann sich daher nicht erfolgreich auf Gründe der öffentlichen Ordnung berufen, die sich auf die Notwendigkeit einer Verminderung der Spielgelegenheiten beziehen, wenn die Behörden dieses Mitgliedstaats die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Glücksspielen teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 62).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point38">38</a> Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass eine Politik der kontrollierten Expansion von Glücksspieltätigkeiten mit dem Ziel im Einklang stehen kann, sie in kontrollierbare Bahnen zu lenken, indem Spielern, die verbotenen geheimen Spiel- oder Wetttätigkeiten nachgehen, ein Anreiz gegeben wird, zu erlaubten und geregelten Tätigkeiten überzugehen. Eine solche Politik kann nämlich sowohl mit dem Ziel, die Ausnutzung von Glücksspieltätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken zu verhindern, als auch mit dem Ziel der Vermeidung von Anreizen für übermäßige Spielausgaben und der Bekämpfung der Spielsucht im Einklang stehen, indem die Verbraucher zu dem Angebot des Inhabers des staatlichen Monopols gelenkt werden, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass es frei von kriminellen Elementen und darauf ausgelegt ist, die Verbraucher besser vor übermäßigen Ausgaben und vor Spielsucht zu schützen (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 63).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point39">39</a> Um das Ziel, die Spieltätigkeiten in kontrollierbare Bahnen zu lenken, zu erreichen, müssen die zugelassenen Anbieter eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zu den nicht geregelten Tätigkeiten bereitstellen, was an und für sich das Anbieten einer breiten Palette von Spielen, Werbung in einem gewissen Umfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken beinhalten kann (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 64).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point40">40</a> Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, in Anbetracht der Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob die Geschäftspolitik des Inhabers des Monopols sowohl hinsichtlich des Umfangs der Werbung als auch hinsichtlich der Schaffung neuer Spiele als Teil einer Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor zur wirksamen Lenkung der Spiellust in rechtmäßige Bahnen angesehen werden kann (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 65).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point41">41</a> Insbesondere im Rahmen dieser Prüfung hat das vorlegende Gericht u. a. zu untersuchen, ob im entscheidungserheblichen Zeitraum die kriminellen und betrügerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Spielen und die Spielsucht in Österreich ein Problem waren und eine Ausweitung der zugelassenen und geregelten Tätigkeiten geeignet war, diesem Problem abzuhelfen (vgl. entsprechend Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 66).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point42">42</a> Aber da das Ziel, die Verbraucher vor der Spielsucht zu schützen, grundsätzlich schwer mit einer Politik der Expansion von Glücksspielen, die insbesondere durch die Schaffung neuer Spiele und die Werbung für sie gekennzeichnet ist, vereinbar ist, kann eine solche Politik nur dann als kohärent angesehen werden, wenn die rechtswidrigen Tätigkeiten einen erheblichen Umfang haben und die erlassenen Maßnahmen darauf abzielen, die Spiellust der Verbraucher in rechtmäßige Bahnen zu lenken (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 67).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point43">43</a> Jedenfalls muss die vom Inhaber eines staatlichen Monopols eventuell durchgeführte Werbung maßvoll und eng auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken. Die Werbung darf hingegen nicht darauf abzielen, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 68).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point44">44</a> Insbesondere ist zu unterscheiden zwischen Strategien des Monopolinhabers, die nur die potenziellen Kunden über die Existenz der Produkte informieren und durch Lenkung der Spieler in kontrollierte Bahnen einen geordneten Zugang zu Glücksspielen sicherstellen sollen, und Strategien, die zu aktiver Teilnahme an Glücksspielen auffordern und anregen. Zu unterscheiden ist also zwischen einer restriktiven Geschäftspolitik, die nur den vorhandenen Markt für den Monopolinhaber gewinnen oder die Kunden an ihn binden soll, und einer expansionistischen Geschäftspolitik, die auf das Wachstum des gesamten Marktes für Spieltätigkeiten abzielt (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 69).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point45">45</a> Im vorliegenden Fall stellt sich das vorlegende Gericht insbesondere die Frage, ob es für den Nachweis der Inkohärenz eines dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts ausreicht, festzustellen, dass die Werbung des Monopolinhabers darauf abzielt, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden – etwa indem das Spiel verharmlost oder ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird – oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point46">46</a> Insoweit ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung, dass die nationalen Gerichte im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven Maßnahme im Bereich der Glücksspiele eine Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen müssen, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, und im Rahmen dieser Würdigung insbesondere zu prüfen haben, ob die nationalen Vorschriften tatsächlich dem Anliegen entsprechen, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, die Tätigkeiten in diesem Bereich zu begrenzen und die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität systematisch und kohärent zu bekämpfen. (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 39, 41, 47 bis 49, sowie vom 14. Juni 2017, Online Games u. a., C‑685/15, EU:C:2017:452, Rn. 49 bis 52). Der Ansatz des nationalen Gerichts darf im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht statisch sein, sondern muss dynamisch sein, so dass es die Entwicklung der Umstände nach dem Erlass der betreffenden Regelung berücksichtigen muss (Urteil vom 14. Juni 2017, Online Games u. a., C‑685/15, EU:C:2017:452, Rn. 53).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point47">47</a> Erstens kann, wie die österreichische Regierung vorgebracht hat, nicht jedem Werbeinhalt <i>per se</i> eine zu übermäßigen Spielausgaben verleitende Wirkung unterstellt werden. Es ist daher zu prüfen, ob der Umfang der Werbung eng auf das begrenzt bleibt, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 68), was eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Geschäftsstrategie des Monopolinhabers durch das vorlegende Gericht im Hinblick auf alle relevanten Umstände und keine isolierte Prüfung einer individuellen Werbung impliziert.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point48">48</a> Zweitens hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung, ob das Monopol tatsächlich in der Lage sein wird, die geltend gemachten Ziele in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen, die vom Inhaber des Monopols verfolgte Geschäftspolitik nicht der einzige relevante Gesichtspunkt ist (vgl. entsprechend Urteile vom 30. Juni 2011, Zeturf, C‑212/08, EU:C:2011:437, Rn. 63, sowie vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 57 und 58).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point49">49</a> Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich zum einen, dass die Werbepraktiken des Monopolinhabers, die Teil seiner Geschäftspolitik sind, und die staatliche Kontrolle der Tätigkeiten des Monopolinhabers nur einige der Gesichtspunkte sind, die das vorlegende Gericht im Rahmen seiner umfassenden und dynamischen Beurteilung des Vorliegens einer staatlichen Politik, die darauf abzielt, zur Teilnahme an dem Monopol unterliegenden Glücksspielen zu ermuntern, berücksichtigen muss. Zum anderen ist für die Feststellung einer etwaigen Inkohärenz des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts im Hinblick auf Art. 56 AEUV noch nachzuweisen, dass die Anreizpolitik für dem Monopol unterliegende Glücksspiele solche Ausmaße annimmt, dass die Ziele, die der Einführung des Systems der vorherigen Bewilligung für den Betrieb von Glücksspielautomaten zugrunde liegen, nicht mehr wirksam verfolgt werden können.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point50">50</a> Zu den anderen Gesichtspunkten, die für die Beurteilung der Kohärenz des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts neben der Geschäftsstrategie des Monopolinhabers und der staatlichen Kontrolle seiner Tätigkeiten relevant sind, gehören u. a. die Ausweitung seiner Geschäftstätigkeit und die Werbepraktiken etwaiger privater Wirtschaftsteilnehmer.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point51">51</a> Hierzu ist nur festzustellen, dass eine Ausweitung der Geschäftstätigkeit des Inhabers des Glücksspielmonopols zwar besondere Aufmerksamkeit bei der Prüfung des kohärenten und systematischen Charakters der fraglichen Regelung erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 61), eine solche Ausweitung sich aber auch ebenso gut, worauf im Wesentlichen die ungarische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen hinweist, aus einer Lenkung der illegalen Tätigkeiten hin zu den kontrollierten Spielenetzen ergeben könnte.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point52">52</a> Da zudem eine Politik der Expansion von Glücksspielen nur dann als kohärent angesehen werden kann, wenn die rechtswidrigen Tätigkeiten einen erheblichen Umfang haben und die erlassenen Maßnahmen darauf abzielen, die Spiellust der Verbraucher in rechtmäßige Bahnen zu lenken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 67), sind Umstände wie aggressive Werbemaßnahmen privater Anbieter zugunsten rechtswidriger Aktivitäten oder die Heranziehung neuer Medien wie des Internets durch private Anbieter zu berücksichtigen.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point53">53</a> Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts nicht allein deshalb entgegensteht, weil die Werbepraktiken des Monopolisten für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost wird, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.</p><p class="C05Titre2" style="font-style: italic; margin: 0cm 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <i><b>Zur dritten Frage</b></i></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point54">54</a> Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er ein Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet, eine gegen Art. 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, und zwar auch dann, wenn ein höheres Gericht diese Bestimmung als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point55">55</a> Das vorlegende Gericht führt zur Begründung dieser Frage aus, dass der Verwaltungsgerichtshof (Österreich), der Verfassungsgerichtshof (Österreich) und der Oberste Gerichtshof (Österreich) durch im Jahr 2016 ergangene Entscheidungen entschieden hätten, dass das Glücksspielgesetz unionsrechtskonform sei, so dass die österreichischen Gerichte keine echte unabhängige Kontrolle der Kohärenz der einschlägigen österreichischen Regelung mehr durchführten.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point56">56</a> Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob es zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 56 AEUV die zuvor von den österreichischen Höchstgerichten erlassenen Entscheidungen außer Acht zu lassen habe.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point57">57</a> Insoweit ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung zum einen, dass jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs‑, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beiseitezulassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der unmittelbar geltenden Normen des Unionsrechts bilden, mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar ist (Urteil vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána, C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 36).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point58">58</a> Zum anderen verpflichtet das Unionsrecht, wenn die Erwägungen eines nationalen Gerichts offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprechen, ein anderes nationales Gericht, das nach dem innerstaatlichen Recht vorbehaltlos an die Auslegung des Unionsrechts durch das erstgenannte Gericht gebunden ist, die innerstaatliche Rechtsvorschrift, die von ihm verlangt, sich an die vom erstgenannten Gericht herangezogene Auslegung des Unionsrechts zu halten, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen. Dies wäre u. a. dann der Fall, wenn ein nationales Gericht aufgrund einer solchen innerstaatlichen Rechtsvorschrift, an die es gebunden ist, daran gehindert wäre, in den bei ihm anhängigen Rechtssachen dem Umstand, dass eine nationale Vorschrift nach einem Urteil des Gerichtshofs als unionsrechtswidrig anzusehen ist, angemessen Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass der Vorrang des Unionsrechts ordnungsgemäß gewährleistet wird, indem es alle hierfür erforderlichen Maßnahmen ergreift (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 15. Oktober 2015, Naderhirn, C‑581/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:707, Rn. 35 und 36, vom 7. Juni 2018, Filippi u. a., C‑589/16, EU:C:2018:417, Rn. 35 und 36, sowie vom 4. April 2019, DP und Finanzamt Linz [Österreichische Glücksspielgesetzgebung], C‑545/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:286, Rn. 29).</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point59">59</a> Dies gilt umso mehr, als im Fall der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven Maßnahme im Bereich des Glücksspiels, wie in der Antwort auf die erste und die zweite Vorlagefrage ausgeführt, der Ansatz des nationalen Gerichts nicht statisch, sondern dynamisch sein muss, da dieses Gericht die Entwicklung der nach dem Erlass dieser Regelung eingetretenen Umstände berücksichtigen muss.</p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point60">60</a> Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er ein Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet, eine gegen Art. 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, und zwar auch dann, wenn ein höheres Gericht eben dieses Mitgliedstaats diese Bestimmung als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.</p><p class="C04Titre1" style="font-weight: bold; margin: 24pt 0cm 12pt 1cm; text-align: justify;"> <b>Kosten</b></p><p class="C01PointnumeroteAltN" style="margin-bottom: 12pt; margin-left: 28.35pt; text-align: justify; text-indent: -26.95pt;"><a name="point61">61</a> Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.</p><p class="C41DispositifIntroduction">Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:</p><p class="C08Dispositif" style="font-weight: bold; margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">1. <b>Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts nicht allein deshalb entgegensteht, weil die Werbepraktiken des Monopolisten für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost wird, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.</b></p><p class="C08Dispositif" style="font-weight: bold; margin-bottom: 12pt; margin-left: 56.7pt; text-align: justify; text-indent: -28.35pt;">2. <b>Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er ein Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet, eine gegen Art. 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, und zwar auch dann, wenn ein höheres Gericht eben dieses Mitgliedstaats diese Bestimmung als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.</b></p><p class="C77Signatures" style="margin: 0cm 0cm 60pt 1cm; text-align: justify;">Unterschriften</p><div><div>Quelle: <a href="https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=241604&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1" target="_blank">https://curia.europa.eu/</a></div><div><br /></div><div><br /></div><div><b>Antrag </b></div><div><br /></div><div><b>Vorabentscheidungsersuchen des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (Österreich) eingereicht am 16. Dezember 2019 - Fluctus s.r.o. u.a.</b></div><div><br /></div><div>(Rechtssache C-920/19)<br />Verfahrenssprache: Deutsch</div><div>Vorlegendes Gericht</div><div>Landesverwaltungsgericht Steiermark</div><div>Parteien des Ausgangsverfahrens</div><div>Beschwerdeführer: Fluctus s.r.o., Fluentum s.r.o., KI</div><div>Belangte Behörde: Landespolizeidirektion Steiermark</div><div>Mitbeteiligte Partei: Finanzpolizei Team 96 für das Finanzamt Deutschlandsberg Leibnitz Voitsberg</div><div><b><br /></b></div><div><b>Vorlagefragen</b></div><div><br /></div><div>Ist Art 56 AEUV dahingehend auszulegen, dass es bei der Würdigung der vom Gerichtshof der Europäischen Union für den Fall eines staatlichen Glücksspielmonopols in ständiger Rechtsprechung formulierten unzulässigen Werbepraktiken des Konzessionsinhabers darauf ankommt, ob es in einer gesamthaften Betrachtung im relevanten Zeitraum tatsächlich zu einem Wachstum des Glücksspielmarktes gekommen ist oder genügt es schon, dass die Werbung darauf abzielt, zu aktiver Teilnahme am Spiel anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?</div><div><br /></div><div>Ist Art 56 AEUV weiters dahingehend auszulegen, dass Werbepraktiken eines Monopolisten im Falles ihres Vorliegens jedenfalls die Kohärenz der Monopolregelung ausschließen oder kann im Falle entsprechender Werbeaktivitäten privater Anbieter von Seiten eines Monopolisten auch zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Ansehen verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?</div><div><br /></div><div>Ist ein staatliches Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit Art 56 AEUV anzuwenden hat, aus eigener Entscheidungsbefugnis gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es jede seiner Auffassung nach entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt, selbst wenn in einem verfassungsrechtlichen Verfahren deren Unionsrechtskonformität bestätigt wurde?</div><div><br /></div><div>____________</div><div><br /></div><div><b>Vorabentscheidungsersuchen (Fluctus Fluentum) EuGH C-920_19</b><br /><span style="font-size: x-small;"><a href="https://curia.europa.eu/juris/showPdf.jsf?text=&docid=225628&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=4938768" target="_blank">PDF-Downlad</a></span></div><div><br /></div><div>Quelle: https://curia.europa.eu/</div><br /><br /><br /><br /></div>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-17375773694274615662021-07-24T13:49:00.004-07:002021-07-24T14:19:09.197-07:00EuGH (Rs. C-920/19 – Fluctus Fluentum) - Die gerichtliche Pflicht zur Einzelfallprüfung<p><span style="font-size: small;"><br />Beschluss des EuGH, 18. März 2021 – Fluctus Fluentum oder auch: <br /></span><span style="font-size: small;">Die gerichtliche Pflicht zur Einzelfallprüfung</span></p><p><span style="font-size: x-small;">Rechtsanwalt Dr. Nik Sarafi<br />Dr. Sarafi Rechtsanwaltsgesellschaft mbH<br />Leerbachstr. 54<br />D - 60322 Frankfurt am Main<span style="white-space: pre;"> </span><br />Tel.: +49 69 70793-660<br />Fax: +49 69 70793-727<br />E-Mail: info@sarafi.de</span></p><p>Das Glücksspielrecht als Materie, die an normativen Wertungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und politischen Stimmungsbildern hängt, ist im ständigen Fluss. Kein Gericht entscheidet wirklich denselben Fall wie ein anderes, weil sich die bei der jeweiligen Entscheidung zu berücksichtigen Umstände rasant ändern. Was dies für das gerichtliche Prüfungsprogramm bei glücksspielrechtlichen Fragestellungen bedeutet, hat der EuGH mit Beschluss vom 18. Mai 2021 <a href="https://winyourhome.blogspot.com/2021/07/eugh-beschluss-vom-18-mai-2021-c-92018.html" target="_blank">(Rs. C-920/19 – Fluctus Fluentum)</a> herausgearbeitet.</p><p><b>Der zugrundeliegende Fall</b></p><p>Die der Entscheidung zugrunde liegende Konstellation ist einfach: In einem Restaurant in Graz beschlagnahmte die Finanzpolizei im Jahr 2016 acht Geldspielgeräte, welche ohne die erforderliche behördliche Bewilligung betrieben wurden, und verhängte Geldstrafen gegen Fluctus – die Gesellschaft, die Inhaberin der Glücksspielautomaten war –, Fluentum – die Gesellschaft, die Eigentümerin dieser Automaten war – und den Geschäftsführer von Fluctus und Fluentum in Höhe von insgesamt 480.000 €. Dagegen wehrten sich letzte durch eine Beschwerde vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) (Rn. 10-11).</p><p>Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegte Zweifel an der Unionsrechtmäßigkeit des Glücksspielmonopols in Österreich. Denn die Werbepolitik der Glücksspielmonopolisten in Österreich sei nicht maßvoll und auf das beschränkt, was für die Lenkung der Verbraucher hin zu kontrollierten Spielenetzwerken notwendig sei. Vielmehr rege sie zu aktiver Teilnahme am Spiel an, indem sie das Spiel verharmloste, ihm ein positives Image verlieh, seine Anziehungskraft durch In-Aussicht-Stellen bedeutender Gewinne erhöhte, neue Zielgruppen zum Spielen anregte und das inhaltliche Angebot laufend ausdehnte (Rn. 14).</p><p>Doch anstatt die als unionsrechtswidrig erachteten Vorschriften unangewendet zu lassen, wandte sich das Landesverwaltungsgericht Steiermark an den EuGH. Der Grund: Drei österreichische Höchstgerichte hatten zuvor entschieden, dass das Glücksspielgesetz mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark müsse sich an diese Rechtsprechung halten, und nur eine Entscheidung des EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren könne bewirken, dass der Praxis der österreichischen Höchstgerichte, die darin bestehe, das Unionsrecht bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Glücksspielmonopols zu missachten und die Untergerichte daran zu hindern, die Vorgaben der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs anzuwenden, ein Ende gesetzt werde (Rn. 17).</p><p><b>Die Entscheidung des EuGH</b></p><p>In dem Beschluss fasste der EuGH zunächst die Anforderungen zusammen, welche er in vorangegangen Urteilen zur Unionsrechtsmäßigkeit von Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV durch Glücksspielregulierung herausgearbeitet hatte – nämlich, dass ein Monopol nicht unionsrechtsmäßig sein kann,</p><p>„wenn festgestellt wird, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele als die, die dem staatlichen Monopol unterliegen, eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, was zur Folge hat, dass das der Errichtung dieses Monopols zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, mit ihm nicht mehr wirksam verfolgt werden kann.“ (Rn. 31)</p><p>Ferner entschied der EuGH, dass, wenn ein Gericht von der Unionsrechtswidrigkeit einer Vorschrift überzeugt ist, welche von höheren Gerichten als unionsrechtskonform erachtet wird, die Norm, welche die Bindung eines Gerichts an höhere Gerichte statuiert, nicht anzuwenden ist. Kurz gesagt: Ein Gericht ist zur Wahrung des Unionsrechts verpflichtet, mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu brechen.</p><p>„Insoweit ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung zum einen, dass jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beiseitezulassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der unmittelbar geltenden Normen des Unionsrechts bilden, mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar ist […]. Zum anderen verpflichtet das Unionsrecht, wenn die Erwägungen eines nationalen Gerichts offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprechen, ein anderes nationales Gericht, das nach dem innerstaatlichen Recht vorbehaltlos an die Auslegung des Unionsrechts durch das erstgenannte Gericht gebunden ist, die innerstaatliche Rechtsvorschrift, die von ihm verlangt, sich an die vom erstgenannten Gericht herangezogene Auslegung des Unionsrechts zu halten, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen. Dies wäre u. a. dann der Fall, wenn ein nationales Gericht aufgrund einer solchen innerstaatlichen Rechtsvorschrift, an die es gebunden ist, daran gehindert wäre, in den bei ihm anhängigen Rechtssachen dem Umstand, dass eine nationale Vorschrift nach einem Urteil des Gerichtshofs als unionsrechtswidrig anzusehen ist, angemessen Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass der Vorrang des Unionsrechts ordnungsgemäß gewährleistet wird, indem es alle hierfür erforderlichen Maßnahmen ergreift.“ (Rn. 57 f.)</p><p>Da die Bindung an höchstrichterliche Rechtsprechung somit unter dem Vorbehalt der Unionsrechtsmäßigkeit der gegenständlichen Normen steht, bedeutet dies für glücksspielrechtliche Fragestellungen, dass die Gerichte sich in ihrer Bewertung der Unionsrechtsmäßigkeit nicht auf die Ausführungen anderer Gerichte zurückziehen können, sondern eine eigenständige Prüfung unternehmen müssen:</p><p>„Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, in Anbetracht der Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob die Geschäftspolitik des Inhabers des Monopols sowohl hinsichtlich des Umfangs der Werbung als auch hinsichtlich der Schaffung neuer Spiele als Teil einer Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor zur wirksamen Lenkung der Spiellust in rechtmäßige Bahnen angesehen werden kann […]. Insbesondere im Rahmen dieser Prüfung hat das vorlegende Gericht u. a. zu untersuchen, ob im entscheidungserheblichen Zeitraum die kriminellen und betrügerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Spielen und die Spielsucht in Österreich ein Problem waren und eine Ausweitung der zugelassenen und geregelten Tätigkeiten geeignet war, diesem Problem abzuhelfen.“ (Rn. 40 f.)</p><p>An späterer Stelle macht es der EuGH nochmals explizit, dass bei der Prüfung der Unionsrechtsmäßigkeit nicht nur die Umstände bei der Normsetzung, sondern alle Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung – beispielsweise ein Fortschritt in der Suchtforschung bzgl. der Spielsuchtprävention – zu berücksichtigen sind, wenn er ausführt, dass bei</p><p>„der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven Maßnahme im Bereich des Glücksspiels […] der Ansatz des nationalen Gerichts nicht statisch, sondern dynamisch sein muss, da dieses Gericht die Entwicklung der nach dem Erlass dieser Regelung eingetretenen Umstände berücksichtigen muss.“ (Rn. 59)</p><p><b>Eigentlich nichts neues, aber…</b></p><p>Bahnbrechend ist die Entscheidung des EuGH eigentlich nicht. Bereits dass der EuGH die Entscheidungsform des Beschlusses anstelle des Urteils wählt, zeigt, dass die Entscheidung selbst rechtlich nichts Neues enthält, sondern nur bereits bekannte Prinzipien und Rechtsgrundsätze wiedergibt. Insbesondere die Erörterungen des EuGH zu den Anforderungen an eine unionsrechtskonforme Glücksspielregulierung fassen lediglich die bisher herausgearbeiteten Grundsätze zusammen.</p><p>Obwohl es auch für jeden Rechtswissenschaftler klar sein müsste, dass weder in Deutschland noch in Österreich – anders als im anglo-amerikanischen Recht – kein Case law bzw. kein Fallrecht gilt, jeder Richter und jedes Gericht daher kraft seines Amtes verpflichtet ist, eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, wobei natürlich höchstrichterliche Rechtsprechung bei den rechtlichen Aspekten wegweisend sein können und oft auch sind, wird dieser Aspekt in der Praxis oft missachtet. Da heißt es in diversen behördlichen Schreiben, aber auch in richterlichen Entscheidungen, „das Verbot des Internetglücksspiels ist nicht verfassungswidrig, vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26.10.2017 – BVerwG 8 C 18.16)“ und der Fall ist damit abgehakt, anstatt die konkreten Umstände des Sachverhalts zu berücksichtigen und individuell zu subsumieren.</p><p>Daher sind die Ausführungen des EuGH zur umfangreichen Prüfpflicht der Gerichte besonders hervorzuheben, weil der EuGH nun endlich in aller Deutlichkeit konstatiert hat, dass eine Bezugnahme auf Präjudizen nicht ausreicht. Bei vielen deutschen Gerichten ist dies bislang leider noch nicht angekommen.</p><p><b>Keine Präjudizenbindung</b></p><p>Eigentlich ergibt sich die Präjudizenunabhängigkeit bereits aus dem Grundgesetz: Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Dies ist Segen und Fluch zugleich. Urteile anderer Gerichte entfalten – ausgenommen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welche nach § 31 Abs. 1 BVerfGG die Legislative, Exekutive und übrige Judikative bindet – für einen Richter keine Bindungswirkung, der Richter ist also im gesetzlichen Rahmen völlig frei in seiner Rechtsfindung. Praktikabilitätserwägungen mögen einen Richter zwar motivieren, eine bestimmte, von seinem Berufungs- und Revisionsgericht gebilligte Rechtsauffassung zu vertreten, was in der Praxis eine faktische Bindungswirkung zur Folge hat. Eine rechtliche Bindungswirkung besteht aber nicht und ein blindes Mitschwimmen – so hat der EuGH im Beschluss zu Fluctus und Fluentum jetzt entschieden – ist spätestens dort auch nicht mehr rechtmäßig, wo gegen Unionsrecht verstoßen wird. Dies lässt die „Schattenseite“ der Unabhängigkeit des Richters schon erahnen: Ein Richter kann sich nicht einfach auf Ausführungen anderer Gerichte zurückziehen. Damit soll nicht behauptet werden, dass der Präjudizenbezug per se keine Aussage- und Argumentationskraft hat, da eine vorangegangene rechtskräftige Entscheidung zumindest ein Argument für die Vertretbarkeit der vertretenen Auffassung darstellt. Wird ein Präjudizenbezug hergestellt, genügt es aber nicht, die Entscheidung bloß zu zitieren und sich ihr wie auch immer geartet anzuschließen. Vielmehr muss begründet werden, dass der zu beurteilende Sachverhalt dem Sachverhalt, der dem Präjudiz zugrunde lag, in allen rechtserheblichen Punkten gleicht, und der Richter sich die Ausführungen der Präjudizenentscheidung deshalb zu eigen und zu seiner Entscheidungsgrundlage machen kann.</p><p>Diese argumentationstheoretischen Grundlagen scheinen an vielen Verwaltungsgerichten, welche über glücksspielrechtliche Fragen zu entscheiden haben, vergessen. Zum Beispiel: Als der VGH München im Jahr 2020 über eine glücksspielrechtliche Untersagungsverfügung zur Veranstaltung von Glücksspielen im Internet zu entscheiden hatte (VGH München, Beschluss vom 16. Oktober 2020 – 23 CS 19.2009), verwies das Gericht zur Begründung der Unionsrechtsmäßigkeit des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 auf die Rechtsprechung des BVerwG aus dem Jahr 2017 (BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – 8 C 18.16). Das BVerwG verwies seinerseits in seinem Urteil aus dem Jahr 2017 zu der Frage, ob das Verbot des damals geltenden § 4 Abs. 4 GlüStV a.F., welches ein Totalverbot der Veranstaltung von Poker- und Casinospielen im Internet vorsah, mit Unions- und Verfassungsrecht vereinbar sei, auf eine Entscheidung des BVerwG aus dem Jahr 2011 und übernahm dieses stellenweise sogar wortgleich (!) (BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 – 8 C 5/10). Aber nicht mal das Urteil des BVerwG aus dem Jahr 2011 kommt an dieser Stelle ohne Präjudizenbezug aus, sondern nimmt Bezug auf einen Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2008, der die Gefährlichkeit des Glücksspiels im Internet auf die Verfügbarkeit von zuhause aus und auf das Fehlen eines technikgestützten Authentifizierungs- und Identifizierungssystems zum Ausschluss jugendlicher Spieler zurückführt (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 – 1 BvR 928/08). Ausführungen darüber, inwiefern sich die Erkenntnisse zur Entstehung und Bekämpfung von Glücksspielstörung gewandelt haben und die Gefährlichkeit von Online-Glücksspiel deshalb zu überdenken ist, oder inwiefern durch Technik mittlerweile ein ausreichender Spielerschutz sichergestellt werden kann, sucht man in der Entscheidung vergeblich.</p><p>Es drängt sich sogar jedem Laien auf, dass es nicht angehen kann, dass eine Entscheidung im Jahr 2020 letztlich auf einer Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2008 gründet, welche auf mittlerweile evident völlig überholten Vorstellungen zur technischen Umsetzbarkeit von Online-Glücksspiel und zur Spielsuchtentstehung und -bekämpfung basiert. Zu begrüßen ist deshalb, dass der EuGH nun endlich klar und unmissverständlich entschieden hat, dass sich die Gerichte nicht länger auf Präjudizen ausruhen dürfen, sondern selbst die Unionsrechtskonformität der glücksspielrechtlichen Normen unter Bezugnahme auf alle aktuellen Tatsachen, den aktuellen Forschungsstand und die aktuelle normative Bewertung des Glücksspielangebots durch den Gesetzgeber prüfen müssen.</p><p><b>Fazit</b></p><p>Was man aus der Entscheidung des EuGH zu Fluctus und Fluentum mitnehmen sollte, ist, dass glücksspielrechtliche Normen aufgrund der besonderen Eingriffstiefe in die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV immer mit Vorsicht anzuwenden und vorher auf ihre Unionsrechtsmäßigkeit zu prüfen sind. Denn mit Art. 56 AEUV hat der Gesetzgeber deutliche Worte gefunden: Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs sind verboten. Und wer gegen dieses Gebot verstößt – beispielsweise Gerichte oder auch Verwaltungsbehörden, welche unionsrechtswidrige Normen anwenden – handelt selbst unionsrechtswidrig.</p><p>Für Gerichte hat der EuGH nun explizit gemacht, dass eine eigenständige Prüfung der Unionsrechtskonformität erforderlich ist. Dasselbe gilt aber auch für die zuständigen Behörden: Auch diese müssen Normen nur mit denkendem Gehorsam anwenden und haben zumindest bei offensichtlichen Verstößen gegen Gemeinschaftsrecht auch eine Normverwerfungskompetenz (vgl. Demleitner, Die Normverwerfungskompetenz der Verwaltung bei entgegenstehendem Gemeinschaftsrecht, NVwZ 2009, 1525 (1526 mwN)).</p><p>Ändern die Verwaltungsgerichte ihre Praxis nicht unverzüglich, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der EuGH sie ob ihrer Missachtung der Prüfpflicht rügt. Die Gerichte sollten deshalb endlich ihre Chance nutzen, selbst Rechtsgeschichte zu schreiben und eine eigenständige Prüfung vorlegen, anstatt Rechtsgeschichte in Gestalt von Präjudizenbezügen lediglich weiter zu tradieren.<br /><br /></p><div><div>s. a. <a href="https://winyourhome.blogspot.com/2021/07/glucksspielregeln-in-osterreich-eu.html" target="_blank">Gutachten: Glücksspielregeln in Österreich EU-rechtswidrig</a></div><div><br /></div></div><div>zum Beschluss vom 18. Mai 2021 <a href="https://winyourhome.blogspot.com/2021/07/eugh-beschluss-vom-18-mai-2021-c-92018.html" target="_blank">(Rs. C-920/19 – Fluctus Fluentum)</a></div><div><br /></div><div><br /></div>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-70078795307133914122021-07-13T00:44:00.008-07:002021-07-13T00:44:57.722-07:00 Anhörungen und Stellungnahmen zu den Glücksspielausführungsgesetzen der Länder<p><b>Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim</b></p><p>Anhörung zu dem Gesetzentwurf der Hessischen Landesregierung, Gesetz zur Neuregelung des Glücksspielrechts, Drucksache 20/5240, April 2021</p><p>Schriftliche Stellungnahme zu dem Gesetz zur Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags 2021, Gesetzentwurf der Landesregierung NRW, Drucksache 17/12978, April 2021</p><p>Schriftliche Stellungnahme und Teilnahme an der mündlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Sport des Landtags des Saarlandes zum Gesetz über die Zustimmung zum Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens, 23.03.2021</p><p>Mündliche Anhörung des Innen- und Rechtsausschusses im schleswig-holsteinischen Landtag zum Entwurf des Glücksspielstaatsvertrag 2021, 03.03.2021</p><p>Schriftliche Stellungnahme für die Anhörung zum Thüringer Gesetz zur Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags 2021 (Drucksache 7/2284)</p><p>Schriftliche und mündliche Stellungnahme bei der Anhörung des Hauptausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalens am 1. März 2021 zum Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland</p><p>Schriftliche Stellungnahme zur Änderung des Saarländischen Gesetzes zur Ausführung des Staatsvertrags zum Glückspielwesen in Deutschland, AG GüStV-Saar – Drucksache 16/1525, 08.02.2021</p><p>Schriftliche Stellungnahme bei der Anhörung des Innen- und Rechtsausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtags zum Entwurf eines Gesetzes zum Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag 2021 - GlüStV 2021) – Drucksache 19/2593, 25.01.2021</p><p>- weitere Stellungnahmen</p><p>Schriftliche Stellungnahme zum Gesetz Landesregierung Gesetz zu dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 (Hessischer Landtag) – Drucksache 20/3989, 15.01.2021</p><p><a href="https://gluecksspiel.uni-hohenheim.de/anhoerung" target="_blank"><span style="font-size: x-small;">Weiter zum vollständigen Artikel ... </span></a></p><p><br /></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.comtag:blogger.com,1999:blog-3877262796901905022.post-69334957560363605712021-07-08T15:19:00.004-07:002021-07-08T15:19:50.326-07:00Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens trat am 1. Juli in Kraft<p>STAATSVERTRAG GLÜCKSSPIEL TRITT AM 1. JULI IN KRAFT</p><p><span style="font-size: x-small;">Von Lora Köstler-Messaoudi </span></p><p>Der Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag 2021 — GlüStV) 2021 tritt zum 1. Juli 2021 in Kraft. Die letzte Bedingung des Inkrafttretens ist mit dem Eingang der Ratifikationsurkunden aller 16 Länder zum Stichtag 30. April beim Vorsitzland Berlin fristgemäß erfüllt worden.</p><p>Der Staatsvertrag soll ein Nebeneinander voneinander abweichender Regeln einzelner Länder verhindern. Dies sei vor dem Hintergrund, dass die Glücksspielbranche insbesondere den Ländergrenzen überschreitenden Vertriebsweg Internet nutzt, von zentraler Bedeutung. Der Vertrag formuliert eine einheitliche Position für das Glückspiel im Netz. Eine weitgehende Deregulierung des Marktes mit der Folge unzureichenden Schutzes von Spielerinnen und Spielern soll damit ausgeschlossen werden.</p><p>Insbesondere im Internet-Glücksspielbereich soll mit dem neuen Staatsvertrag ein bundeseinheitlich hohes Niveau des Spieler- und Jugendschutzes erreicht werden. ............Dazu gehört die Einführung eines für Netz-Glücksspiel zwingend vorgeschalteten Spielkontos. Dieses Instrument soll den Spieler dazu zwingen, sich zu identifizieren und zu authentifizieren. ...........Spieler dürfen grundsätzlich nur noch bis zu 1.000 Euro im Monat auf ein Spielkonto einzahlen und mit diesem Betrag spielen.......</p><p><a href="https://www.gluecksspielwesen.de/2021/05/26/staatsvertrag-gluecksspiel-tritt-am-1-juli-in-kraft/" target="_blank">Weiter zum vollständigen Artikel ... </a></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p><p><br /></p>Volker Stinyhttp://www.blogger.com/profile/17827644303099130618noreply@blogger.com