Donnerstag, 30. April 2015

EGMR schützt das Recht der Anwälte auf Justizkritik


Auch Richter und Staatsanwälte dürfen kritisiert werden – die Große Kammer des EGMR schützt das Recht der Anwälte auf Justizkritik.

EGMR zu anwaltlicher Justizkritik: Die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte schützt mit einer Entscheidung vom gestrigen Donnerstag das Recht von Anwälten auf Justizkritik und korrigiert damit ein Urteil der 5. Kammer des EGMR aus dem Jahre 2013. Der Kläger, der französische Anwalt Olivier Morice, hatte im Interview mit der Zeitung Le Monde unter anderem das Verhalten einer französischen Untersuchungsrichterin als "völlig unvereinbar mit den Prinzipien der Unparteilichkeit und Fairness" bezeichnet und war daraufhin zu einer Geldstrafe wegen Beihilfe zur Diffamierung öffentlicher Amtsträger verurteilt worden. Seine Beschwerde gegen das Urteil wies die 5. Kammer damals mit der Begründung ab, eine Verletzung der Meinungsfreiheit gemäß Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention liege nicht vor – Morice sei vielmehr als Rechtsanwalt verpflichtet zum "guten Funktionieren der Justiz" beizutragen. Die Große Kammer erklärte nun in ihrer Entscheidung, sie sehe darin zwar weiterhin einen legitimen Grund zur Einschränkung der Meinungsfreiheit, jedoch könnten unter bestimmten Bedingungen auch Richter und Staatsanwälte mit Kritik konfrontiert werden.
verfassungsblog.de  (Maximilian Steinbeis) erläutert den zugrundeliegenden Fall.

Wenn ein Anwalt sich mit einem Justizskandal konfrontiert sieht, dann darf er das öffentlich anprangern. Solange er nicht lügt, beleidigt oder irreführende, ins Blaue hinein geäußerte oder nicht zur Sache gehörende Bemerkungen dabei macht, ist er vor Strafverfolgung sicher. In diesem Sinne hat die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs in Straßburg den verheerenden Eindruck, den das Gericht in der Sache Morice v. Frankreich vor knapp zwei Jahren hatte entstehen lassen, heute wieder korrigiert: Whistleblowing durch Anwälte ist erlaubt und geschützt.
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EGMR
CASE OF MORICE v. FRANCE
(Application no. 29369/10)




BVerfG: "FCK CPS" als Abkürzung für „Fuck Cops“ nicht strafbar

„Kollektivbeleidigung“ nur bei Bezug zu einer hinreichend überschaubaren und abgegrenzten Personengruppe

Pressemitteilung Nr. 23/2015 vom 28. April 2015

Beschluss vom 26. Februar 2015
1 BvR 1036/14

Das Tragen eines mit der Buchstabenkombination „FCK CPS“ beschrifteten Ansteckers im öffentlichen Raum ist vor dem Hintergrund des Grundrechts auf Meinungsfreiheit nicht ohne weiteres strafbar. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden und die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zur sogenannten Kollektivbeleidigung bekräftigt. Die Verurteilung wegen Beleidung gemäß § 185 Strafgesetzbuch (StGB) setzt voraus, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht; ansonsten ist der Eingriff in die Meinungsfreiheit nicht gerechtfertigt.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin wurde von einer Polizeistreife angetroffen, wobei sie einen Anstecker trug, der mit der Buchstabenkombination „FCK CPS“ beschriftet war. Das Amtsgericht verurteilte die Beschwerdeführerin wegen Beleidigung gemäß § 185 StGB. Das Gericht begründete die Verurteilung damit, dass „FCK CPS“ als Abkürzung für „Fuck Cops“ stehe und diese Äußerung eine Kundgabe der Missachtung sei, weil sie den sozialen Wert der betroffenen Personen im Amt betreffe und schmälern solle. Die Revision der Beschwerdeführerin zum Oberlandesgericht blieb ohne Erfolg.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

1. Der Aufdruck „FCK CPS“ ist nicht von vornherein offensichtlich inhaltlos, sondern bringt eine allgemeine Ablehnung der Polizei und ein Abgrenzungsbedürfnis gegenüber der staatlichen Ordnungsmacht zum Ausdruck. Es handelt sich um eine Meinungsäußerung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die strafrechtliche Verurteilung der Beschwerdeführerin greift in dieses Grundrecht ein.

2. Die Auslegung und Anwendung der Strafgesetze ist grundsätzlich Aufgabe der Fachgerichte. Vorliegend hat jedoch das Amtsgericht in seiner Entscheidung die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung und Auslegung des § 185 StGB als Schranke der freien Meinungsäußerung verkannt, indem es eine hinreichende Individualisierung des negativen Werturteils angenommen hat.

a) Eine herabsetzende Äußerung, die weder bestimmte Personen benennt noch erkennbar auf bestimmte Personen bezogen ist, sondern ohne individuelle Aufschlüsselung ein Kollektiv erfasst, kann zwar unter bestimmten Umständen ein Angriff auf die persönliche Ehre der Mitglieder des Kollektivs sein. Je größer das Kollektiv ist, desto schwächer kann auch die persönliche Betroffenheit des einzelnen Mitglieds werden, weil es bei den Vorwürfen an große Kollektive meist nicht um das individuelle Fehlverhalten oder individuelle Merkmale der Mitglieder, sondern um den aus der Sicht des Sprechers bestehenden Unwert des Kollektivs geht. Jedoch ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen bezogene Äußerung allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe bezogen zu behandeln, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet.

b) Diesen Vorgaben wird das Urteil des Amtsgerichts nicht gerecht. Es fehlt an hinreichenden Feststellungen zu den Umständen, die die Beurteilung tragen könnten, dass sich die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht. Nach den dargelegten Maßstäben reicht es nicht aus, dass die örtlichen Polizeikräfte eine Teilgruppe aller Polizisten und Polizistinnen sind. Vielmehr bedarf es einer personalisierenden Zuordnung, für die hier nichts ersichtlich ist. Es kann nicht angenommen werden, dass die dem Anstecker zu entnehmende Äußerung allein durch das Aufeinandertreffen der Beschwerdeführerin mit den kontrollierenden Polizeibeamten einen objektiv auf diese konkretisierten Aussagegehalt gewonnen hat. Der bloße Aufenthalt im öffentlichen Raum reicht nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Benennung der Umstände nicht aus, die eine aus dem Wortlaut einer Äußerung nicht erkennbare Konkretisierung bewirken.

3. Da das Oberlandesgericht die Revision als offensichtlich unbegründet erachtet hat, leidet seine Entscheidung an denselben Mängeln wie das Urteil des Amtsgerichts. Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Oberlandesgerichts werden daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Quelle

Maximilian Steinbeis (verfassungsblog.de) ist "bei aller Sympathie" für Polizisten, die sich nicht kollektiv beschimpfen lassen wollen, froh über die liberale Karlsruher Linie.

Denn sonst würde das Beleidigungs-Strafrecht schnell zu einem "jede freie Meinungsäußerung abtötenden Einschüchterungsinstrument".
20 Jahre wird der berühmt-berüchtigte “Soldaten-sind-Mörder”-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts in diesem Jahr alt. Eine heute veröffentlichte Kammerentscheidung aus Karlsruhe gibt Anlass, sich dieser einst so heiß umstrittenen Entscheidung zu erinnern. Wieder geht es um Kollektivbeleidigung, wieder geht es um Menschen, die Waffen tragen und Gewalt ausüben (dürfen), und wieder geht es um die Grenzen des Rechts, öffentlich nicht gut finden zu dürfen, dass es diese Menschen gibt.
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Mittwoch, 29. April 2015

EuGH: Mündliche Verhandlung in der Rechtssache C-336/14 (Ince)

Ein Kurzbeitrag von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein

In der Rechtssache C-336/14 (Ince), ein Vorlageverfahren des Amtsgerichts Sonthofen zur Auslegung des Unionsrechts im Zusammenhang mit der restriktiven deutschen Rechtsprechung und Rechtslage im Bereich der Sportwetten, das gemeinschaftlich von den Rechtsanwälten Arendts und Rolf Karpenstein geführt wird, hat der Gerichtshof der Europäischen Union die mündliche Verhandlung in Luxemburg für den 10. Juni 2015 anberaumt. Eine mündliche Verhandlung hatten die Angeklagte im Ausgangsverfahren sowie die Bundesrepublik Deutschland beantragt.

Der Gerichtshof hat die Sache mit Entscheidung vom 21.4.2015 an die Erste Kammer verwiesen. Es ist also nicht wie in dem Vorlageverfahren des BGH (EuGH C-156/13; BGH I ZR 171/13) die Fünfte Kammer zuständig. Ob dies damit zusammenhängt, dass die Entscheidung der Fünften Kammer vom 12. Juni 2014 ins Leere geht, weil die Fünfte Kammer aufgrund von Fehlinformationen durch die deutschen Stellen irrig annahm, dass die liberalere Gesetzeslage von Schleswig Holstein bezüglich der dortigen Erlaubnisinhaber der Vergangenheit angehöre (vgl. EuGH, C-156/13, Rn. 36, 37 „begrenzt war“; dazu R. Karpenstein, isa-law v. 25.6.2014), liegt nicht fern, ist aber natürlich nicht bekannt. *

Die Erste Kammer beim EuGH ist mit den Richtern Tizzano (Vorsitzender, Italien), Borg Barthet (Malta), Rodin (Berichterstatter, Kroatien), Levits (Lettland) und Berger (Österreich) besetzt. Zum Generalanwalt wurde der Pole Szpunar bestimmt.

Der Gerichtshof hat an die Parteien, die in der mündlichen Verhandlung auftreten möchten, die Frage gerichtet, welche Bestimmungen des GlüStV 2008 aus ihrer Sicht technische Vorschriften im Sinne der Informationsrichtlinie darstellen.

Kontakt:
Blume Ritscher Nguyen Rega Rechtsanwälte

Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
Gerhofstraße 38
20354 Hamburg

Telefon: 040 / 355 030 – 0
Telefax: 040 / 355 030 – 30
Mobil: 0171 / 8503528
eMail: karpenstein@raeblume.de
Online: www.raeblume.de


* s.u.

Die Kommission hält die deutschen Glücksspielregelungen für Europa-rechtswidrig und verweist auf die Einhaltung der Vorgaben aus dem Urteil Pfleger vom 30. April 2014 (C-390/12, Randnr. 43), dass das Spielhallenrecht zum Inhalt hatte.

Hintergrund:

Dienstag, 9. Juni 2015
Rechtsanwalt Rolf Karpenstein zur Entscheidung des BGH (I ZR 171/13) vom 07.05.2015 (EuGH C-156/13)

Mittwoch, 11. Februar 2015 
EuGH-Verfahren Ince: Europäische Kommission hält deutsche Glücksspielregelungen für europarechtswidrig

Sonntag, 9. November 2014

EuGH: Rs. Ince (C-336/14) zum Erlaubnisvorbehalt und Sportwetten-Konzessionierungsverfahren

Samstag, 28. Juni 2014

Der EuGH und die Deutungshoheit (zu EuGH C-156/13 = Digibet)  *

Dienstag, 18. März 2014

Neue Vorlage an den EuGH zum deutschen Glücksspielrecht

Samstag, 16. März 2013
Zur Vorlage des BGH in I ZR 171/10   
Die Wahrheit liegt schon in Zenatti und Gambelli – erst Recht im Wettbewerbsrecht!


Dienstag, 28. April 2015

Die Spielbanken werden nicht rentabel !


update: 09.06.2015
Freistaat investiert in Bad Steben

Bayerns Finanzminister Söder will die Attraktivität des Staatsbades steigern. Der Freistaat investiert daher zwei Millionen Euro in die Therme und verlagert eine Abteilung in die Marktgemeinde.
Söder ging auf Gerüchte über eine geplante Schließung der Spielbank ein: "Die Spielbank Bad Steben bleibt erhalten, es gibt keine Bestrebungen, das Angebot des Hauses zu reduzieren - ganz im Gegenteil, wir entwickeln Maßnahmen, um die Spielbank attraktiver zu machen."
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Erneut ein Jahresfehlbetrag

Gewinnorientierung steht für Freistaat nicht an oberster Stelle – warum auch, der Steuerzahler zahlt alles!

Wie der Staat Millionen im Casino verzockt
Nordrhein-Westfalen versteigert Kunstschätze, um seine Kasinos zu sanieren. Kein absurder Einzelfall, sondern der Offenbarungseid einer ganzen Branche – mit staatlichem Auftrag. 
........Doch dahinter steht eine grundsätzliche Frage: Wozu braucht der Staat seine Spielbanken überhaupt, wenn er nicht mal mehr Geld damit verdient? 
........änderte sich das Freizeitverhalten der Deutschen. Zur Kur ging man bald nur noch, weil es die Krankenkasse bezahlte, und als auch das in den Neunzigerjahren abgeschafft wurde, fielen mit einem Schlag die Besucherzahlen in den Keller. Zugleich mussten die Spielbanken erdulden, was ihr Geschäftsmodell nicht vorsah: Konkurrenz. Erst waren es nur ein paar Automaten in den Eckkneipen der Republik, später ganze Spielhallen, von der Online-Daddelei gar nicht anzufangen. Die Spielbank aber war immer noch auf die Frackträger ausgerichtet.
........Und es dürfte noch viele Warhols dauern, bis in den Spielbanken die eigentliche Botschaft ankommt: 
In ihrer aktuellen Form sind sie weder konkurrenzfähig – noch nützlich.

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Die Vernichtung von Steuergeldern, durch ein überholtes Geschäftsmodell, kann niemals staatlicher Auftrag sein!

Zum staatlichen "Auftrag" führt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung 1 BvR 539/96 vom 19.07.2000 aus:
.......Denn der Betrieb einer Spielbank ist eine an sich unerwünschte Tätigkeit, die der Staat gleichwohl erlaubt, um das illegale Glücksspiel einzudämmen, dem nicht zu unterdrückenden Spieltrieb des Menschen staatlich überwachte Betätigungsmöglichkeiten zu verschaffen und dadurch die natürliche Spielleidenschaft vor strafbarer Ausbeutung zu schützen.
Mitglieder von Bundesgerichten sehen den Rechtfertigungsgrund zunehmend kritisch.
So führt HAHN (Richter am Bundesverwaltungsgericht) aus: 

“In einem beklagenswerten Widerspruch zu den weiteren Zielen des gewerblichen Spielrechts, die Spielsucht einzudämmen, steht die vielfach zu beobachtende Ausweitung von Spielbanken mit Automatensälen, in denen vielfach hunderte sog. einarmiger Banditen (“Slot-Maschinen”) stehen, und der Veranstaltung von Lotterien und Ausspielungen, für die nicht zuletzt im öffentlichen Einnahmeinteresse teils aggressive Werbung betrieben wird.”
(HAHN,  Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Gewerberecht und zum Gaststättenrecht, GewArch 1999 S. 355, 361).  Ähnlich kritisch das KG Berlin WuW 1996 S. 633, 647 (gewerbliche Spielvermittler).

Zuschuss fürs staatliche Glücksspiel  
Im Haushaltsausschuss des Landtages musste das Ministerium Anfang Februar bekannt geben, dass der Ertrag der staatlichen Spielhallen 2014 wieder, wie seit Jahren gewohnt, gesunken war; um 4,6 Prozent. Der mit Steuergeldern zu deckende Jahresfehlbetrag soll bei 2,5 Millionen Euro liegen. "Es ist mir ein erheblicher Dorn im Auge, dass wir das Glücksspiel bezuschussen müssen", sagte Bernhard Pohl (Freie Wähler) damals im Ausschuss.
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Der Freistaat hat sich auch mit der Spielbank Bad Kötzting “verzockt“
Die Konkurrenz aus Tschechien und dem Internet ist groß.
Seit Jahren muss der Steuerzahler helfen, die roten Zahlen auszugleichen.
Doch die Stadt ist zum Durchhalten verdammt.
27 Millionen Mark hat Kötzting in Grundstück und Bau seiner Spielbank investiert.
Der Pachtvertrag läuft 2025 aus, ohne Kasino wäre das Haus kaum zu bewirtschaften.
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Hartmut Hamerich:
Die Casinostrategie der Landesregierung ist gescheitert

Nach der Anhörung vom 05. März 2014 zum Spielhallen- und Spielbankgesetz sieht der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Hartmut Hamerich, die Strategie der Weiterentwicklung staatlicher Casinos zu ”Clubsinos”, wie sie in Travemünde mit dem neuen Standort Lübeck vorgenommen wurde, als gescheitert an:

”Die Umsatz- und Besucherzahlen zeigen eindeutig, dass dieses Konzept nicht trägt. So wird keine Kanalisierung im Sinne des Glücksspielstaatsvertrages erreicht. Die Landesregierung darf den Schiffbruch weiterer Casinos durch eine Übernahme des Konzeptes nicht zulassen”, erklärte Hamerich in Kiel.

Die Stellungnahme aller Angehörten in diesem Fall bis hin zu der Mitarbeitervertretung sei eindeutig gewesen. Der verantwortliche Geschäftsführer habe sich völlig verrannt.

”Wenn die Landesregierung weiter auf Clubsinos setzt, dann wird das ein Millionengrab für die Finanzministerin”, so Hamerich.

Im Übrigen habe die Anhörung gezeigt, daß die Landesregierung einheitliche Regeln für staatliche und private Anbieter schaffen müsse:”SPD, Grüne und SSW wollen ernsthaft, dass in staatlichen Spielcasinos vor 60 Spielautomaten gegessen, getrunken und geraucht werden darf. In privaten Spielhallen wollen sie mit der Begründung der Suchtprävention lediglich zwölf Automaten erlauben, vor denen weder verzehrt noch geraucht werden darf. Herr Stegner und seinen Koalitionären geht es dabei nicht um maximalen Spielerschutz, sondern um maximale staatliche Glücksspieleinnahmen”, so der CDU-Abgeordnete.

Der vorliegende Gesetzentwurf zu den Spielhallen stelle darüber hinaus die Kommunen vor unlösbare Probleme und setze diese horrenden Schadenersatzforderungen aus.

Denn SPD, Grüne und SSW wollten den Kommunen nach Ablauf der Übergangsregelungen und unklaren Härtefallregelungen die Entscheidung zuschieben, welche Spielhalle in einem Umkreis von 300 Metern bleiben darf, und welche nicht.

”Es ist klar, weshalb die Regierungsfraktionen so vorgehen wollen: Sie haben Angst, selbst zu entscheiden, weil die Regressansprüche dann an das Land gestellt würden”, erklärte der CDU-Abgeordnete.

Casinos in Mainz, Trier und Bad Ems seit Jahren in den roten Zahlen
Hoffen auf neues Spielbanken-Gesetz .....
und auf eine Steuersenkung

MAINZ - Als der Glückspielstaatsvertrag 2007 geändert wurde, verschlechterte sich die Lage der Spielbanken erheblich; bundesweit sackten die Einnahmen der Casinos um 50 Prozent ab. Es folgten Sanierungs- und Kostensenkungsprogramme mit entsprechenden Konsequenzen fürs Personal. Doch auch nach den Programmen besserte sich die Lage vielerorts nicht entscheidend – auch weil sich die gewerblich betriebenen Spielhallen ausbreiteten.
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Dazu stellte das Ifo Institut fest:
"Die Spielbanken haben in den letzten Jahrzehnten einen dynamischen Aufschwung erlebt. Besonders ausgeprägt war die Entwicklung beim so genannten Kleinen Spiel. Der Erfolg in diesem Marktsegment steht in enger Beziehung zu einer expansiven Geschäftspolitik, die in der Eröffnung neuer Spielbanken sowie örtlich getrennter Automatensäle zum Ausdruck kommt und zu immer neuen Spielangeboten führt. Gezielt werden neue Kundenkreise angesprochen die bisher nicht in den Spielbanken zu finden waren. Die Eröffnung von Dependancen der Spielbanken im Bereich der Innenstädte, aber auch in der Aufweichung der in der Vergangenheit strikten Kleiderordnung sind Maßnahmen, um Kunden mit "kleinerem Geldbeutel" anzusprechen."
Quelle: ifo-institut (2007), S. 14

Im Gutachten, Wettbewerb als Determinante des Spieler- und Konsumentenschutzes
v. Prof Dr. Dr. Franz W. Peren und Prof. Dr. Reiner Clement wurde auf Seite 60 festgestellt:
”....eine Abwanderung von Spielbanken zu Spielhallen lässt sich empirisch nicht belegen.
Es gibt eher Argumente, die gegen diese Form der Abwanderungsbewegung sprechen...”

Aktuelle Studie: Expansion der Spielhallen ausgebremst
YELLOW PAPER (pdf-download)

Damit ist die Schutzbehauptung der Spielbankbetreiber widerlegt, die Spielhallen seien an der wirtschaftlichen Misere schuld !

Der EuGH entschied, dass das nationale Gericht neben der Möglichkeit einer (Um-)Programmierung der Automaten zu prüfen hat, ob die Verringerung der Stätten für Automatenspiele auch mit einer Begrenzung der Höchstzahl der Spielkasinos und der dort benutzbaren Spielautomaten einhergeht. (Fortuna; C-213/11, Rn 38) weiterlesen
s.a.:
Spielbanken in Bayern, Zuschuss fürs Glücksspiel
Bayerns Staatskanzlei-Chefin Christine Haderthauer sieht die neun Spielbanken im Freistaat als Verlustbringer, deren Sanierungsbemühungen weitgehend gescheitert sind.
http://winyourhome.blogspot.de/2013/12/auch-die-bayerischen-spielbanken-werden.html
http://sz.de/1.2429261

Spielbanken BW
http://winyourhome.blogspot.de/2013/06/wettbewerbsverzerrung-durch.html 
Spielbanken Rheinland-Pfalz, seit Jahren in den roten Zahlen
http://winyourhome.blogspot.de/2013/02/landesrechnungshof-rlp-deckt.html
http://www.allgemeine-zeitung.de/wirtschaft/wirtschaft-ueberregional/casinos-in-mainz-trier-und-bad-ems-seit-jahren-in-den-roten-zahlen-hoffen-auf-neues-spielbanken-gesetz_15174162.htm

Ostsee-Spielbanken
Wettbewerbsverzerrung durch Steuerstundung
Wie aus den im Bundesanzeiger veröffentlichten Bilanzen (s.u.) hervorgeht, wurde dem staatlich konzessionierten Spielbankunternehmen in privater Trägerschaft, Mecklenburg-Vorpommerns, Ostsee-Spielbanken die Spielbankenabgabe gestundet

http://winyourhome.blogspot.de/2013/06/wettbewerbsverzerrung-durch_21.html
http://winyourhome.blogspot.de/2013/08/aus-fur-spielbanken-in-mecklenburg.html

weitere Veröffentlichungen:
http://winyourhome.blogspot.de/2014/10/marode-spielbanken-nrw-will-bilder-fur.html
Mehr zur Steuergeldverschwendung bei deutschen Spielbanken
http://winyourhome.blogspot.de/2013/09/mehr-zur-steuergeldverschwendung-bei.html  









Freitag, 24. April 2015

Financial Blocking und der Glücksspielstaatsvertrag

Ohne Aussicht auf Erfolg: Financial Blocking und der Glücksspielstaatsvertrag

Nationale Zahlungssperren können unlizenziertes Glücksspiel nicht verhindern – Datenschützer: Maßnahme praktisch unmöglich und unverhältnismäßig

Berlin, April 2015. Drei Glücksspielstaatsverträge (GlüStV) in zehn Jahren, zwei unterschiedliche Gesetzgebungen innerhalb Deutschlands, das Damoklesschwert der EU-Rechtswidrigkeit permanent in der Schwebe, in diesen Tagen der Rücktritt des Sportbeirates des Glücksspiel-Kollegiums aus Protest gegen das Lizenzvergabeverfahren: „Made in Germany“ kann derzeit nicht als Gütesiegel für Glücksspielgesetze im Rest der Welt gelten. Und es kündigt sich weiteres Ungemach an: Gemäß geltendem Glücksspielstaatsvertrag droht der Gesetzgeber zur Unterbindung von Online-Angeboten mit Financial oder Payment Blocking-Maßnahmen und beabsichtigt, „insbesondere den Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten die Mitwirkung an Zahlungen für unerlaubtes Glücksspiel“ zu untersagen. Im Klartext: Wer keinen Spieleinsatz einzahlen kann, kann auch nicht spielen. Soweit die Theorie, die sich jedoch nach Einschätzung vieler Praktiker nicht realisieren lässt, bräuchte es doch unter anderem eine Kehrtwende bei der Vorratsdatenspeicherung. Dieser erteilt etwa der Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) eine klare Absage: Auf einer Fachtagung des Verbandes in Berlin machte eine Expertenrunde die Vielzahl der Hürden für Financial Blocking deutlich, darunter Sebastian A. Fairhurst, Head of Public Policy Germany bei der Santander Consumer Bank AG, Christian Chmiel, Experte für Zahlungssicherheit und CEO der Web Shield Ltd., Justin Franssen, Partner bei Kalff Katz & Franssen Attorneys at Law aus Amsterdam, und Joakim Marstrander, Partner bei Deloitte Tax & Legal in Norwegen. Ihre Analyse: Financial Blocking zur Durchsetzung des Glücksspielstaatsvertrages ist unverhältnismäßig, verletzt europäische Grundfreiheiten und erfordert eine umfassende Vorratsdatenspeicherung (vgl.: https://politik-recht.eco.de/2015/events…).

Bankkunden unter Generalverdacht

Da ist zunächst die Standort-Komponente: Wo hält sich ein Spieler bei der Einzahlung auf und von wo aus spielt er dann tatsächlich, für welches Territorium besitzt der Anbieter eine Lizenz? Eine Frage, die angesichts des gesetzgeberischen Flickenteppichs in Deutschland und Europa alles andere als unwichtig ist: Wie also kann eine Bank, noch bevor eine Spielteilnahme stattfindet, entscheiden, ob sie eine Transaktion zu einem Glücksspielanbieter unterbinden muss, obwohl der Anbieter in vielen Ländern Europas und möglicherweise auch in Teilen Deutschlands über eine Lizenz verfügt? Immerhin hat Schleswig-Holstein auf Grundlage seines von der Europäischen Kommission goutierten Gesetzes, das europaweit als eines der modernsten seiner Art gilt, rund 50 Lizenzen sowohl für Anbieter von Sportwetten als auch von Online-Poker und Online-Casino-Spielen erteilt, die weiterhin Gültigkeit haben, während für den Rest der Republik nur 20 Sportwetten-Lizenzen gelten sollen, deren Vergabe Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ Ehre macht. Und wie kann die Bank zudem in Erfahrung bringen, ob es sich überhaupt um einen Spieleinsatz handelt oder einen vermeintlich „legalen“ Zahlungszweck? Die Banken müssten daher selbst versuchen, den Aufenthaltsort des Kunden zum Zeitpunkt der Zahlung, ggfs. sogar zum Zeitpunkt der Spielteilnahme herauszufinden, mehr oder weniger ein Bewegungsprofil erstellen und Kunden damit unter Generalverdacht stellen.

Der nächste Aspekt: Die Regulierungsebenen unterscheiden sich. Das deutsche Glücksspielrecht auf der einen, die internationale Banken- und Zahlungsregulierung sowie die weltweiten Möglichkeiten des Internets auf der anderen Seite. Deutsche Banken und Zahlungsdienstleister wären im Zweifel benachteiligt, müssten sie die Financial Blocking-Maßnahmen nur für Deutschland umsetzen. Der Spieler jedoch wandert – Europa und seiner Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit sei Dank – zu einem im Ausland ansässigen Zahlungsdienstleister, der online bekanntlich nur ein paar Klicks entfernt ist. Dass dies keine graue Theorie, sondern praktische Erfahrung ist, lässt sich unter anderem in Norwegen beobachten, wo der Financial Blocking-Versuch als gescheitert gilt.

Financial Blocking nicht durchsetzbar

Angesichts dieser Gemengelage verwundert es nicht, dass Datenschützer vor den geplanten Zahlungsblockaden warnen, sie gar für unmöglich halten, insbesondere, weil damit lediglich die Schwächen der bestehenden Glücksspielgesetzgebung kaschiert werden sollen.
Die anlasslose und verdachtsunabhängige Speicherung der Verkehrsdaten im Rahmen elektronischer Kommunikation erzeuge beim Bürger das ständige und diffuse Gefühl des Überwachtseins, hatte eco-Vorstandsvorsitzender Michael Rotert im Rahmen seiner Eröffnungsrede in Berlin gemahnt. Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz und Landedatenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein (ULD), hat in seiner umfangreichen „Datenschutzrechtlichen Bewertung der Regelungen zum ‚Financial Blocking‘ zur Verhinderung illegalen Glücksspiels im Internet“ die Pläne hierzu analysiert und die Einwände von Industrie- und Rechtsexperten abgewogen. Er beurteilt die geplanten Financial Blocking-Maßnahmen als „weitgehend praktisch unmöglich“ und befürchtet zugleich eine „unzulässige Vorratsdatenerhebung“ zulasten aller Kunden von deutschen Banken und Zahlungsdienstleistern.

Zwar könnten Banken oder Kreditkartenunternehmen gemäß GlüStV Daten für Financial Blocking entgegen nehmen, um mögliche Zahlungen zu sperren, weitere Daten dürften jedoch nicht erhoben bzw. verarbeitet werden. „Insbesondere besteht keine Befugnis zum Datenaustausch mit anderen an einer Finanztransaktion beteiligten Stellen und keine Befugnis zur Erhebung von Daten, die zur Identifizierung unzulässiger Glücksspieltransaktionen geeignet sein können. Ebenso wenig besteht eine Befugnis für Internetservicebetreiber, Identifizierungsdaten an Finanzdienstleister oder auch an andere Stellen herauszugeben“, so Weicherts Urteil in seiner Stellungnahme. Er sagt Financial Blocking keinen Erfolg voraus: „Da Finanzdienstleister regelmäßig nicht die Daten verfügbar haben, mit denen Finanztransaktionen zu unzulässigem Glücksspiel identifiziert werden können, dürfte der praktische Versuch, Finanzdienstleister zum Financial Blocking zu verpflichten, ohne die beabsichtigte Wirkung bleiben.“ Wegen der praktischen Unmöglichkeit, Financial Blocking tatsächlich umzusetzen, stellt er zudem die Frage, „inwieweit der sämtliches staatliches Handeln bindende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.“

Internetwirtschaft: „Bedenkliche Eingriffe in die Internetinfrastruktur“

Die Verhältnismäßigkeit stellen auch fünf deutsche Verbände der Internet-, Medien- und Glücksspielbranche in Frage, neben dem eco der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW), der Deutsche Verband für Telekommunikation und Medien (DVTM), der Prepaid Verband Deutschland (PVD) und die Remote Gambling Association (RGA): Sie kritisieren in einem gemeinsamen Schreiben gegenüber den Ministerpräsidenten die derzeitige Gesetzgebung, verwehren sich gegen „fragwürdige und datenschutzrechtliche bedenkliche Eingriffe in die Internetinfrastruktur“ und bescheinigen ihr „eine nicht zeitgemäße online-kritische Grundhaltung, die die Möglichketen des Internets zur Erreichung der Ziele des Glücksspielstaatsvertrages weitestgehend ausblenden.“

Neben der Kritik am Lizenzvergabeverfahren für Sportwetten, an der Ignoranz der Gesetzgebung gegenüber Online-Poker und Online-Casino-Angeboten sowie an den restriktiven Werbevorschriften, die die Kanalisierung der Kundennachfrage behindern, halten die unterzeichnenden Verbände die Aufsichtsbehörden schlicht für überfordert: „Angekündigte Vollzugsmaßnahmen wie das Financial Blocking sind (datenschutz-)rechtlich fragwürdig und praktisch nicht umsetzbar.“ Mit ihrem abschließenden Appell für eine sofortige Überarbeitung des Glücksspielstaatsvertrages, die eigentlich erst in sechs Jahren ansteht, fordern sie auch mehr Gewicht für die Lebenswirklichkeiten in Deutschland: Dabei müssten nämlich „die unterschiedlichen Interessen aller Marktbeteiligten sowie die bestehenden gesellschaftlichen Realitäten des Internet-Zeitalters berücksichtigt und vor allem vorbehaltlos bewertet und abgewogen werden.“ Bedenkt man, dass der Glücksspielstaatsvertrag einen der weltweit größten Online-Glücksspielmärkte mit ca. 20 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr (vgl. http://www.spiegel.de/wirtschaft/service…) nicht nur nicht reguliert, sondern auch Millionen von Spielern in Deutschland unter Generalverdacht stellt, scheint dies mehr als dringend geboten. (Ansgar Lange/Andreas Schultheis)

Quelle: Andreas Schultheis


Die Kommission hält die deutschen Glücksspielregelungen für Europa-rechtswidrig
und verweist auf die Einhaltung der Vorgaben aus dem Urteil Pfleger vom 30. April 2014 (C-390/12, Randnr. 43), dass das Spielhallenrecht zum Inhalt hatte.

Das ifo-Institut (1) und auch die Monopolkommission (2) haben Zweifel an der Kohärenz der weitgehenden Regulierung des gewerblichen Glücksspiels.
Es ist offen, ob die derzeitige Überregulierung des gewerblichen Automatenglücksspiels einer Überprüfung durch den EuGH standhalten würde.
(1)  ifo-Institut (2013), S. 52
(2)  Monopolkommission (2010/2011), Ziffer 45, S. 58


In einer Entscheidung (Aktenzeichen 5 L 1448/14.WI) bestätigte das Verwaltungsgericht Wiesbaden letzte Woche die von vielen Marktteilnehmern lang geäußerte Sorge, dass das Sportwetten-Konzessionsverfahren von seiner Konzeption, seinen Anforderungen und vom Verfahrensablauf her als intransparent und fehlerhaft zu bewerten sei und die europäische Dienstleistungsfreiheit unzulässig einschränke.
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Donnerstag, 23. April 2015

FG Münster: 19% Mehrwertsteuer auf Sondennahrung - 5 K 3876/11 U

Finanzgericht Münster, 5 K 3876/11 U
Datum: 05.03.2015
Gericht: Finanzgericht Münster
Spruchkörper: 5. Senat
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 5 K 3876/11 U

Sachgebiet: Finanz- und Abgaberecht

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

1

Tatbestand:
2

Streitig ist, ob der ermäßigte Umsatzsteuersatz für die Lieferung von Sondennahrung gewährt werden kann.
3

Der Kläger ist als Apotheker selbstständig tätig. In den Streitjahren 2004 bis 2010 lieferte er unter anderem an Versicherte von Krankenkassen spezielle Sondennahrung. Dabei handelte es sich um eine Flüssigkeit, die über eine Magen- oder Darmsonde an solche Patienten verabreicht wird, die krankheitsbedingt Nahrung nicht in fester Form zu sich nehmen können. In den Streitjahren handelte es sich um folgende Produkte:
4

alte Bezeichnung:              neue Bezeichnung:
5

aaa              AAA
6

bbb              BBB
7

ccc              CCC
8

ddd              DDD
9

eee              EEE
10

fff              FFF.
11

Die Mittel wurden in Plastikflaschen zu 500 ml oder als Pack zu 1.500 ml abgegeben. 500 ml entsprachen einer Tagesdosis für ergänzende und 1.500 ml einer Tagesdosis für ausschließliche Ernährung. Eine Rezeptpflicht bestand nicht. Die Mittel stellten keine Arznei im Sinne des deutschen Arzneimittelgesetzes dar. Die Produkte waren jedoch verordnungsfähig und durften ausweislich der Produktblätter der Hersteller, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Gerichtsakte Blatt 102-124), nur unter ärztlicher Aufsicht verwendet werden.
12

In seinen Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre erklärte der Kläger die Sondennahrungsumsätze zum Regelsteuersatz. Die Umsatzsteuererklärungen standen gemäß § 168 AO Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Mit Anträgen vom 16.12.2009 (für 2004), 3.12.2010 (für 2005) und 5.10.2011 (für 2006-2010) beantragte der Kläger die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen dergestalt, dass die Sondennahrungsumsätze zum ermäßigten Umsatzsteuersatz besteuert werden. Der Beklagte lehnte die Änderungsanträge mit Bescheiden vom 13.10.2011 (für 2004-2009) und 8.11.2011 (für 2010) ab.
13

Dagegen hat der Kläger Sprungklage erhoben, der der Beklagte zugestimmt hat.
14

Während des Klageverfahrens sind nach einer Betriebsprüfung Änderungsbescheide für 2008 bis 2010 jeweils vom 3.2.2012 ergangen, die gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Die Änderungen betreffen nicht die hier streitigen Umsätze mit Sondennahrung.
15

Die Beteiligten wurden vom Gericht auf die Entscheidungen des EuGH vom 30.4.2014 C-267/13 und des BFH vom 24.9.2014 VII R 54/11, BFH/NV 2015, 139 hingewiesen.
16

Der Kläger meint unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 16.12.2010, 5 K 1462/09 U, die Sondennahrung sei als Lebensmittelzubereitung ermäßigt zu besteuern. Das Urteil des EuGH vom 30.4.2014, C-267/13 finde keine Anwendung, weil es sich bei der vom Kläger gelieferten Sondennahrung um ein Nahrung ersetzendes Produkt und nicht um ein Arzneimittel im Sinne des deutschen Arzneimittelgesetzes handele.
17

Der Kläger beantragt,
18

den Beklagten unter Aufhebung der ablehnenden Bescheide vom 13.10.2011 (für 2004-2009) und 8.11.2011 (für 2010) zu verpflichten, die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre zu ändern, indem sie wie folgt herabgesetzt werden: 2004 um 3.062,37 €,
19

2005 um 783,99 €,
20

2006 um 655,50 €,
21

2007 um 886,20 €,
22

2008 um 1.585,69 €,
23

2009 um 1.491,90 €,
24

2010 um 1.363,33 €,
25

hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
26

Der Beklagte beantragt,
27

die Klage abzuweisen.
28

Er meint, die Sondennahrung sei zolltariflich unter die Position 2202 der Kombinierten Nomenklatur (KN) einzureihen und unterliege dem Regelsteuersatz.
29

Es wurde die Gerichtsakte 5 K 1462/09 U beigezogen.
30

Entscheidungsgründe:
31

Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
32

Die Klage ist unbegründet.
33

Die Ablehnung der Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre durch den Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 101 FGO).
34

Die Umsatzsteuerermäßigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anl. 2 kann nicht gewährt werden. Die Voraussetzungen für die im Streitfall allein in Betracht kommende Steuerermäßigung gemäß Nr. 33 der Anl. 2 UStG i.V.m. Kapitel 21 KN sind nicht erfüllt.
35

Nach neuerer Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 30.4.2014 C-267/13 - Nutricia -, juris), der der Senat folgt, sind die streitbefangenen Sondennahrungsumsätze nicht als „Lebensmittelzubereitung“, sondern als Arzneiwaren im Sinne der Position 3004 KN einzuordnen. Für Arzneiwaren gibt es in Deutschland keine Umsatzsteuerermäßigung.
36

Nach Auffassung des EuGH, der der Senat folgt, gehören zu den „Arzneiwaren“ im Sinne der Position 3004 KN Erzeugnisse, die eindeutig bestimmbare therapeutische und prophylaktische Eigenschaften aufweisen und die zur Verhütung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können. Auch wenn das betroffene Erzeugnis keine eigene therapeutische Wirkung hat, aber bei der Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens Anwendung findet, ist es als zu therapeutischen Zwecken zubereitet anzusehen, sofern es eigens für diese Verwendung bestimmt ist (EuGH – Urteil vom 30.4.2014 C – 267/13 – Nutricia -, juris, Rn. 20). Die Darbietung der Erzeugnisse muss des Weiteren in dosierter Form erfolgen oder ihrer Aufmachung nach für den Einzelverkauf bestimmt sein. Aus dem Umstand, dass die Erzeugnisse in einem therapeutischen Umfeld unter ärztlicher Aufsicht mittels einer Magensonde zu Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder leidensbedingten Unterernährung verabreicht werden, schließt der EuGH in Rn. 30, dass die Erzeugnisse zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken im Sinne der Tarifposition 3004 KN hergestellt wurden.
37

Die vorgenannten Voraussetzungen liegen im Streitfall sämtlich vor. Die streitbefangenen Sondennahrungsmittel dürfen an kranke Patienten nur dosiert abgegeben und unter ärztlicher Aufsicht mittels einer Magen- und Darmsonde verabreicht werden. Die streitbefangenen Mittel sind aufgrund ihrer objektiven Merkmale und Eigenschaften zu medizinischen Verwendung bestimmt gewesen.
38

Der Auffassung des Klägers, eine Einordnung unter 3004 KN scheide aus, weil die Sondennahrung keine Arznei im Sinne von § 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG) ist, folgt der Senat nicht. Das deutsche Arzneimittelgesetz hat andere Ziele und Zwecke als das Steuerrecht. Gemäß § 1 AMG besteht der Zweck des Gesetzes darin, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel zu sorgen. Das AMG bezweckt daher Sicherheit und Ordnung. Im Steuerrecht und insbesondere der KN werden demgegenüber verkehrspolitische und fiskalische Zwecke verfolgt. Die Definition dessen, was als „Arznei“ im Sinne der Position 3004 KN zu fassen ist, richtet sich ausschließlich nach steuerrechtlichen Vorschriften. Die arzneimittelrechtliche Einordnung ist unerheblich.
39

Zwar haben das Hessische Finanzgericht mit Urteil vom 25.11.2010 7 K 3205/08, juris, und ihm folgend der BFH mit Beschluss vom 24.9.2014 VII R 54/11, BFH/NV 2015, 139 entschieden, dass Sondennahrung als „andere Getränke“ in Position 2202 KN einzuordnen ist. Der dort entschiedene Sachverhalt ist jedoch nicht deckungsgleich mit dem Sachverhalt im Streitfall, denn die dort zu beurteilende Sondennahrung ist in den Produktblättern als „Sonden- und Trinknahrung“ bezeichnet worden. Im Streitfall ist nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerseite eine Aufnahme durch „Trinken“ jedoch ausgeschlossen. Letztlich kann der Senat aber dahinstehen lassen, ob die Sondennahrung als Arznei im Sinne von Position 3004 KN oder als Getränk im Sinne von Position 2202 KN einzuordnen ist, denn für beide Produkte gibt es keine Umsatzsteuerermäßigung.
40

Selbst wenn die streitbefangene Sondennahrung – wie der Kläger meint und der erkennende Senat mit Urteil vom 16.12.2010 5 K 1462/09 U, EFG 2011, 1027 (Revision des Beklagten wurde als unzulässig verworfen, VII R 11/11 n.v.) auch entschieden hat – (auch) unter den Wortlaut der Position 2106 KN fällt, kann die Sondennahrung nicht als „Lebensmittelzubereitungen“ eingeordnet werden. Unter Position 2106 KN fallen nämlich nur solche Waren, die anderweitig weder genannt noch inbegriffen sind. Die Einordnung unter Position 2106 KN ist subsidiär (siehe dazu EuGH-Urteil vom 17.12.2009 C-410/08, Slg 2009, I - 11991; HFR 2010, 312). Die streitbefangene Sondennahrung ist nach der Rechtsprechung des EuGH vom 30.4.2014 C - 267/13 -Nutricia-,  juris, als Arzneiware (Position 3004 KN) einzuordnen, was dazu führt, dass eine Einordnung unter die Position 2106 KN ausscheidet.
41

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
42

Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO zuzulassen. Eine BFH-Entscheidung zur Einordnung von Sondennahrung in der hier streitbefangenen Art liegt bislang nicht vor. Der BFH-Beschluss vom 24.9.2014 VII R 54/11, BFH/NV 2015, 139 betrifft „Sonden- und Trinknahrung“. Im vorliegenden Fall ist demgegenüber die Sondennahrung nicht trinkbar. In den BFH-Beschlüssen vom 20.6.2011 VII R 11/11 n.v. und VII R 10/11, BFH/NV 2011, 2074, sind keine materiell-rechtlichen Entscheidungen ergangen. Dem EuGH - Urteil vom 30.4.2014 C- 267/13, -Nutricia-, juris, folgt der BFH in seinem Beschluss vom 24.9.2014 VII R 54/11, BFH/NV 2015, 139, Rn. 20 nicht uneingeschränkt.
Quelle


Kommentar:

Volle Mehrwertsteuer auf Sondennahrung

Berlin - Ein Apotheker will vor Gericht klären lassen, ob für die Lieferung von Sondennahrung der ermäßigte Umsatzsteuersatz gewährt werden kann oder aber der volle in Ansatz zu bringen ist. Das Finanzamt lehnte die Besteuerung zum ermäßigten Satz ab – das Finanzgericht Münster gab der Behörde Recht. Die Revision hat das Gericht jedoch zugelassen.

In seinen Umsatzsteuererklärungen erklärte der Apotheker die Sondennahrungsumsätze zunächst unter Vorbehalt zum Regelsteuersatz. Später beantragte er, sie zum ermäßigten Umsatzsteuersatz zu besteuern. Das lehnte das Finanzamt ab.

Keine steuerlich begünstigte „Lebensmittelzubereitung“


Auch das Finanzgericht meint: Die Umsatzsteuerermäßigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Anlage 2 kann nicht gewährt werden. In Betracht käme dies nur, fiele die Sondennahrung unter Nr. 33 – „verschiedene Lebensmittelzubereitungen“ – der in Anlage 2 aufgeführten Gegenstände, die dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen. Dies sei jedoch nicht der Fall.
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Die Logik des Gerichts erschließt sich mir nicht.
Von irgend etwas muß man sich ja ernähren – von Arzneimitteln kann man nicht leben!
Es spielt doch keine Rolle ob sich jemand von vorgefertigter Tiefkühlpizza ernährt, oder ob er mit einer speziell hergestellten Sondennahrung ernährt wird. Nahrung ist Nahrung – Basta! Das müßten die Richter doch einsehen! vs


Sportwetten: Konzessionsverfahren an die Wand gefahren


Pressemitteilung
22.04.2015 12:25
Deutscher Sportwettenverband e.V.
Sportwetten: Konzessionsverfahren an die Wand gefahren / Vermeidbare Verwaltungsirrfahrt zeigt Reformbedarf beim Glücksspielstaatsvertrag / Dienstleistungsfreiheit wurde unzulässig eingeschränkt

(Berlin) - Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) ist empört über die jahrelange Verwaltungsirrfahrt beim Konzessionsverfahren für Sportwetten und fordert eine politische Debatte über eine sinnvolle Reform der Glücksspielregulierung in Deutschland.

In einer Entscheidung (Aktenzeichen 5 L 1448/14.WI) bestätigte das Verwaltungsgericht Wiesbaden letzte Woche die von vielen Marktteilnehmern lang geäußerte Sorge, dass das Sportwetten-Konzessionsverfahren von seiner Konzeption, seinen Anforderungen und vom Verfahrensablauf her als intransparent und fehlerhaft zu bewerten sei und die europäische Dienstleistungsfreiheit unzulässig einschränke.

Auch die Entscheidungsfindung des Glücksspielkollegiums, so das Gericht, sei intransparent und fehlerbehaftet. Die dem Gericht vorliegenden Sitzungsniederschriften seien inhaltlich nicht nachvollziehbar und wiesen auf Verfahrensfehler hin. Das Gremium aus Verwaltungsbeamten der 16 Bundesländer legt die Richtlinien der Glücksspielregulierung fest und steuert maßgeblich das Konzessionsverfahren.

DSWV-Präsident Mathias Dahms sagte: "Das Konzessionsverfahren wurde sehenden Auges und mit bürokratischer Gründlichkeit gegen die Wand gefahren. Bevor es zum Totalschaden kommt, muss die Politik nun endlich eingreifen und die Kehrtwende einleiten. Seit der Europäische Gerichtshof das deutsche Sportwettenmonopol 2010 für rechtswidrig befunden hat, warten wir auf bundesweite Lizenzen. Dass fünf Jahre später immer noch nicht absehbar ist, wann diese vergeben werden, darf in einem Rechtsstaat nicht vorkommen. Die Antragsteller haben Ihren Teil beigetragen, erfüllen alle Anforderungen, jetzt sind die Bundesländer gefordert."

Mit Hinblick auf die lange Dauer des Verfahrens wies das Gericht darauf hin, dass die siebenjährige Experimentierphase, in der die Öffnung des Sportwettenmarktes bundesweit erprobt werden soll, nicht dafür gedacht sei, den Behörden zu ermöglichen zu experimentieren, wie ein Konzessionsverfahren gestaltet werden kann. Stattdessen müsse den Sportwettenanbietern der gesamte oder jedenfalls der weit überwiegende Zeitraum zur Verfügung stehen.

Mathias Dahms: "Der Kardinalfehler des Verfahrens ist schon im Glücksspielstaatsvertrag angelegt: Die willkürliche Begrenzung der Sportwettenlizenzen auf 20 widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes und verstößt zudem gegen die von der EU verbriefte Dienstleistungsfreiheit. Es ist verständlich, dass unterlegene Anbieter sich dagegen wehren. Allein deshalb muss der Glücksspielstaatsvertrag dringend überarbeitet werden."

Die zahlenmäßige Begrenzung der Sportwettenkonzessionen hatte zuvor auch der Sportbeirat, das offizielle Beratungsgremium des Glücksspielkollegiums, scharf kritisiert. Dessen Vorsitzender, der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbunds, Dr. Michael Vesper, bezeichnete die Hängepartie zuletzt als unerträglich und kündigte eine Arbeitsniederlegung des Sportbeirats an.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden ist noch nicht rechtskräftig. Das federführende Hessische Ministerium des Innern und für Sport wird vermutlich Beschwerde einlegen.

Quelle und Kontaktadresse:
Deutscher Sportwettenverband e.V.
Pressestelle
Schiffbauerdamm 40, 10117 Berlin
Telefon: (030) 403 680 160, Fax: (030) 403 680 170
E-Mail: presse@dswv.de
Internet: http://www.dswv.de
(dvf, sy)

Quelle

Hintergrund:

Kommission hält deutsche Glücksspielregelungen für europarechtswidrig
Dieses Vergabeverfahren wird im Rahmen einer Gesamtbewertung untersucht, die Aufschluss darüber geben soll, ob die Ziele des Allgemeininteresses, mit denen die Beschränkungen in den deutschen Glücksspielbestimmungen gerechtfertigt werden, in kohärenter und systematischer Weise erreicht werden, wie gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verlangt (siehe das jüngst ergangene Urteil vom 30. April 2014, Pfleger, C-390/12, Randnr. 43). weiterlesen

FOCUS:
Sportbeirat legt Arbeit nieder - Vesper: "Unerträglich"
In der Debatte um die Zulassung neuer Sportwetten ist ein offener Streit ausgebrochen.
Der Sportbeirat zum Glücksspielstaatsvertrag unter Mitwirkung des DOSB-Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper hat an dem bisherigen Vorgehen des Glückspielskollegiums heftige Kritik geübt und als Konsequenz seine Mitarbeit aufgekündigt.
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Sportwetten
Rücktritte wegen Lizenzvergabeverfahren
(vorlesen)

Die umstrittene Vergabe der Sportwetten-Lizenzen hat eine neue Dimension erreicht. Der Sportbeirat des für die Lizenzerteilung zuständigen Glücksspiel-Kollegiums hat seine Arbeit aus Protest gegen das Vergabeverfahren eingestellt. Denn der organisierte Sport will sich von der Politik nicht länger als Feigenblatt missbrauchen lassen.

Dazu kommt: Die Zuständigkeit des Glücksspiel-Kollegiums ist höchst umstritten. Nach mehreren Rechtsgutachten kann ein aus Verwaltungen mehrerer Länder bestehendes Gremium nicht in die Entscheidung einer einzelnen Landesregierung wie in diesem Fall beim Glücksspielrecht eingreifen. Das hat schon das Verwaltungsgericht Wiesbaden in einem Beschluss bestätigt. Setzt sich diese Rechtsauffassung durch, wären alle Entscheidungen des Glücksspiel-Kollegiums in Sachen Sportwetten-Lizenzen hinfällig.   Weiter zum vollständigen Artikel ...


Auf dieses Problem wies Dirk Uwer in seinem Gutachten, auf Seite 13 bereits hin:

..........Ähnliche Auffälligkeiten zeigten sich bei Errichtung und Besetzung des Fachbeirats Glücksspielsucht, dessen Mitglieder in einem intransparenten Verfahren nach dem Kriterium strikter „Monopoltreue“ ausgewählt wurden.
Jüngstes Beispiel ist die Berufung eines früheren Glücksspielreferenten, der an der Entwicklung des Glücksspielstaatsvertrags maßgeblich beteiligt war, in dieses Gremium; damit ist eine wissenschaftlich unabhängige und objektive Beratung der Länder durch diesen Fachbeirat planmäßig ausgeschlossen.
Ein ähnlicher Ansatz wird mit dem – teilweise verfassungswidrig handelnden (46)  – Glücksspielkollegium verfolgt.
Seinen Vorsitz hat der maßgebliche Autor des 1. Glücksspieländerungsstaatsvertrags übernommen, der damit nicht nur zum authentischen Interpreten seines eigenen Gesetzentwurfs, sondern auch zum maßgeblichen Vollzugsorgan dieses Gesetzes wird.
(46)    Christoph Degenhart, Rechtsfragen des ländereinheitliches Verfahrens nach dem Entwurf
eines Ersten Staatsvertrags zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland, Rechtsgutachten, Dezember 2011, S. 4, 8 ff.;  ders., Poker und Glücksspiel, Handelsblatt vom 13. Dezember 2011, S. 18.

Quelle: Die unwahre Gesetzesbegründung  (pdf-download)

Regulierungschaos bei Sportwetten: Sportverbände ziehen Notbremse
Pressemitteilung des DSWV vom 17. April 2015

Arbeitsniederlegung des Sportbeirats ist konsequent und zeigt Missstände der deutschen Sportwettenregulierung auf


Berlin. Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) wertet die Entscheidung des Sports, die Zusammenarbeit mit dem Glücksspielkollegium einzustellen, als konsequenten Schritt. Er sieht darin einen weiteren Beleg für die Reformbedürftigkeit der deutschen Sportwettenregulierung.

Der mit hochrangigen Vertretern der deutschen Sportverbände besetzte Sportbeirat des Glücksspielkollegiums hatte seine Arbeit aus Protest gegen die Sportwettenpolitik der Bundesländer niedergelegt.

Der Sportbeirat kritisiert, dass bis heute noch keine einzige Lizenz erteilt wurde. Bereits 2013 hatte er empfohlen, die Begrenzung der Konzessionen auf 20 aufzuheben. Der Beirat empfindet es als Brüskierung durch das Kollegium der Glücksspielreferenten der Länder, dass in seinem Zwischenbericht zur Evaluierung des Staatsvertrages die Kritik an den offenkundigen Mängeln des Verfahrens keinen Eingang fand.

Im Glücksspielkollegium entscheiden Verwaltungsbeamte der 16 Bundesländer über die Richtlinien der Glücksspielpolitik und die Erteilung von Sportwettenlizenzen. Der Sportbeirat, dem Vertreter des Deutschen Olympischen Sportbunds, der Landessportbünde, der Deutschen Sporthilfe, des DFB und der Bundesliga sowie des deutschen Turnerbunds angehören, soll das Glücksspielkollegium dabei beraten.

DSWV-Präsident Mathias Dahms sagte: „Die Entscheidung des Sports ist beachtlich und konsequent, denn die deutsche Sportwettenregulierung ist derzeit ein Konjunkturprogramm für Schwarzmarktanbieter, die Milliarden aus dem deutschen Markt nach Asien und Zentralamerika pumpen und die Integrität des sportlichen Wettbewerbs gefährden. Gleichzeitig ist das Verfahren zur Erteilung von Sportwettenkonzessionen an seriöse Anbieter in Deutschland völlig entgleist. Dessen Ende ist nicht abzusehen.“

Hintergrund ist, dass die Ministerpräsidenten der Länder sich bereits im Dezember 2011 darauf verständigt hatten, den deutschen Sportwettenmarkt in geordnete Bahnen zu überführen und 20 Sportwettenkonzessionen zu erteilen. Das vom Glücksspielkollegium gelenkte Verfahren krankt jedoch an erheblichen Mängeln, mit denen sich derzeit mehrere Verwaltungsgerichte befassen. Nach mehr als drei Jahren ist eine finale, rechtskonforme Lizenzerteilung nicht abzusehen.

Mathias Dahms: „Bisher hat das Regulierungschaos in Deutschland nur Verlierer hervorgebracht: Dem Staat ist jegliche ordnungspolitische Kontrolle über den Markt entglitten, rechtstreue, lizenzierungswillige Sportwettenanbieter stecken seit Jahren in einem Endlosverfahren fest, Verbraucher werden in die Arme von Schwarzmarktanbietern getrieben und der deutsche Sport ist nicht unerheblichen Risiken durch Spielmanipulation ausgesetzt.“

Mathias Dahms weiter: „Selbstverständlich brauchen wir dringend den Sachverstand der Sportverbände, wenn es darum geht, die deutsche Sportwettenregulierung zu verbessern, doch zunächst müssen Politik und Verwaltung einen Weg aus der Sackgasse finden, in der das Lizenzverfahren feststeckt.“

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Über den Deutschen Sportwettenverband
Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) wurde im Jahr 2014 von den führenden deutschen und europäischen Sportwetten-Anbietern in Berlin gegründet. Mit Sitz im Haus der Bundespressekonferenz versteht sich der DSWV als öffentlicher Ansprechpartner, insbesondere für Politik, Sport und Medien.

Die Mitgliedsunternehmen befinden sich in der letzten Runde des bundesweiten Sportwetten-Konzessionsverfahrens, das vom Bundesland Hessen durchgeführt wird.

Damit sind alle Mitglieder des DSWV einer umfangreichen behördlichen Zuverlässigkeitsprüfung unterzogen worden und zahlen Steuern in Deutschland. Die meisten Mitglieder sind auch als Sponsoren im Profisport aktiv.

Deutsche Sportwettenverband (DSWV)  Presseportal


Hans-Jörn Arp und Wolfgang Kubicki: Ministerpräsident Albig muss nach dem Rückzug des von ihm einberufenen Sportbeirates endlich aktiv werden
Veröffentlicht am 22. April 2015

Sportwetten-Staatsvertrag

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Hans-Jörn Arp, und der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Wolfgang Kubicki, haben Ministerpräsident Torsten Albig nach dem Rückzug des von ihm im Jahr 2012 ins Leben gerufenen Sportbeirates des Glücksspielkollegiums der Länder aufgefordert, sich endlich in das Verfahren zur Vergabe der Glücksspiellizenzen einzuschalten:

„Ministerpräsident Albig hat den Sportbeirat einberufen. Seitdem hat die Ministerpräsidentenkonferenz dieses Gremium komplett ignoriert. Der nun von den Vertretern der Spitzenverbände des Sports verkündete Rückzug ist deshalb auch eine Niederlage des Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten“, erklärte Arp heute (22. April 2015) in Kiel.

Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes habe in seinem Schreiben anlässlich des Rückzuges bemängelt, dass das Glücksspielkollegium der Länder offenbar weder interessiert noch in der Lage ist, die berechtigten Interessen des organisierten Sports zur Kenntnis zu nehmen. Auch habe die Kritik des Beirates an den offenkundigen Mängeln des 2012 geschossenen Glücksspielstaatsvertrages – bislang konnte auf dessen Grundlage noch nicht eine einzige Lizenz vergeben werden – keinen Eingang in den Zwischenbericht zur Evaluation gefunden.

FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki: „Es ist unglaublich und gleichzeitig bezeichnend, mit welcher Arroganz die Ministerpräsidenten die Spitzenvertreter des Sports in den vergangenen drei Jahren behandelt haben. Auf kritische Schreiben zu dem völligen Versagen bei der Vergabe von Sportwettenlizenzen wurde nicht einmal geantwortet. Diese Brüskierung des Sportes ist nicht wieder gutzumachen.“

Erst vergangenen Freitag hatte das Verwaltungsgericht Wiesbaden einen Eilbeschluss veröffentlicht, der einen namentlich nicht genannten Bewerber aus Österreich weiter im Rennen um eine Konzession hält (Az 5 L 1448/14.WI).
Bereits im vergangenen Herbst hatte das Gericht die Vergabe der Lizenzen an die 20 ausgewählten Bewerber verhindert.

„Angesichts dieses Trauerspiels hätten die Ministerpräsidenten besser ihr Glücksspielkollegium zum Rückzug drängen sollen, als die Berater des organisierten Sports. Letztere haben mit ihrer Kritik bislang Recht behalten, während die Regierungsfachleute bei der Vergabe von Lizenzen nach dem Glücksspielstaatsvertrag kläglich versagt haben“, so Arp.

Einmal mehr erinnerten Arp und Kubicki die Ministerpräsidenten daran, dass nach dem durch Albig gekippten Glücksspielgesetz Schleswig-Holsteins eine Lizenzvergabe – und damit die Suchtprävention, der Spielerschutz und die Bekämpfung von Geldwäsche – problemlos möglich sind.

Kubicki: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieses Gesetz den Glücksspielstaatsvertrag ablösen wird.“

Pressesprecher
Dirk Hundertmark
Landeshaus, 24105 Kiel
E-Mail: info@cdu.ltsh.de
Internet: http://www.cdu.ltsh.de

Pressesprecher
Dr. Klaus Weber
Postfach 7121, 24171 Kiel
E-Mail: fdp-pressesprecher@fdp.ltsh.de
Internet: http://www.fdp-fraktion-sh.de


Lotto:

Richter schelten Land Hessen wegen Sportwetten-Lizenzen

18. April 2015 Redaktion   

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat scharfe Kritik am Vergabeverfahren für bundesweit 20 Sportwettenlizenzen durch das hessische Innenministerium geübt. In einem Eilbeschluss, der am Freitag veröffentlicht wurde, hielten die Richter einen namentlich nicht genannten Bewerber aus Österreich weiter im Rennen um eine Konzession. (Az 5 L 1448/14.WI) Schon im vergangenen Herbst hatte das Gericht auf Antrag eines nicht berücksichtigten Wettunternehmens die Vergabe der Lizenzen an die 20 ausgewählten Bewerber verhindert.

Um das milliardenschwere Geschäft mit Internetsportwetten in Deutschland zu regulieren, hatten die Bundesländer 2012 beschlossen, 20 Konzessionen zu vergeben. Zuständig ist das hessische Innenministerium, dem die Richter nun viele Fehler vorhielten: Das Verfahren habe Mängel bei Konzeption und Durchführung. Die Anforderungen seien «nicht von vornherein verständlich und transparent gewesen». Nur wer die zweite Runde erreicht habe, habe erfahren, welche 600 Fragen er dann beantworten muss. An der ersten Runde hatten 73 Wettfirmen teilgenommen, an der zweiten nur noch 35 ausgewählte Bewerber.

Die Richter bestätigten das Ziel, den Spielbetrieb zu regulieren und Spielsucht zu bekämpfen. Der Staatsvertrag laufe aber nur sieben Jahre. Die Firmen bräuchten diese Zeit, um zu zeigen, dass eine Teilliberalisierung des Wettmarktes funktioniert. Die Frist sei nicht gedacht, «der Behörde ein Experimentieren, wie ein Konzessionsverfahren gestaltet und abgewickelt werden könne, zu ermöglichen», hieß es. (dpa)
Quelle




Sportwetten-Konzessionsverfahren gescheitert? – Kernaussagen des Verwaltungsgerichts Wiesbaden


Sportwetten-Konzessionsverfahren gescheitert? – Kernaussagen des Verwaltungsgerichts Wiesbaden
Veröffentlicht am 23. April 2015

Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Arendts Rechtsanwälte
Perlacher Str. 68
D - 82031 Grünwald (bei München)  
Tel.: +49 89 649111-75
Fax: +49 89 649111-76
E-Mail: martin.arendts@anlageanwalt.de


Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat in der letzten Woche in einem Eilverfahren dem Antrag eines Sportwettenanbieters aus Österreich stattgegeben, der die Sicherung seines Anspruchs auf weitere Teilnahme am Konzessionsverfahren für die Vergabe von 20 Sportwettenkonzessionen begehrte (Beschluss vom 16.04.2014, Az.: 5 L 1448/14.WI, zur Pressemitteilung des Gerichts siehe hier). Unabhängig von dem Einzelfall enthält die Gerichtsentscheidung maßgebliche Ausführung zu den Fehlern bei der Konzeption und Durchführung des Konzessionsverfahrens, so dass das Verfahren insgesamt als gescheitert anzusehen sein dürfte.

Die Ausschreibung erfüllt – wie das Verwaltungsgericht umfassend ausführt – gleich unter mehreren Gesichtspunkten nicht die Anforderungen an ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren. Das Konzessionsverfahren sei intransparent, weil nicht alle Kriterien für die Konzessionierung im Voraus bekannt gewesen seien (so jedoch die Forderung des EuGH). Die Bewerber hätten weder aus der Ausschreibung noch aus dem Gesetzestext des Glücksspielstaatsvertrags entnehmen können, was letztlich für eine erfolgreiche Bewerbung von ihnen gefordert werde. Als Zwischenfazit hält das Gericht fest:
„Schon das widerspricht dem Transparenzgebot und schränkt die Dienstleistungsfreiheit gerade auch externer Bewerber unverhältnismäßig ein (vgl. dazu die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 06.11.2014 in der Rechtssache C-338/14).“
Harte Kritik übt das Gericht bereits an der mangelhaften Konzeptionierung des Verfahrens. An der fehlenden Zeit habe es nicht gelegen:
„Es bestand ausreichend Zeit zwischen Unterzeichnung des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrages am 15.12.2011 und der Ausschreibung am 08.08.2012, um das gesamte Konzessionsverfahren konzipieren und vorbereiten zu können.“
Die inhaltliche Gestaltung des Auswahlverfahrens verstoße gegen die Anforderungen an eine rechtmäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit. So ergebe sich aus dem Glücksspielstaatsvertrag nicht die Forderung nach in der zweiten Stufe des Konzessionsverfahren von den Bewerbern verlangten fünf Konzepte:
„In § 4 b Abs. 2 GlüStV ist von einem Sicherheits-, Sozial- und einem Wirtschaftlichkeitskonzept die Rede, nicht aber von einem Vertriebs- und Zahlungsabwicklungskonzept.“
Auch die Anforderungen seinen unklar. Weder die gesetzlichen noch die europarechtlichen Vorgaben seien erfüllt:
„Die Ausschreibung erfüllt dementsprechend nicht die Anforderungen an ein transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren (§ 4b Abs. 1 Satz 1 GlüStV), weil nicht alle Kriterien für die Konzessionierung im Voraus bekannt waren. Auch die inhaltliche Gestaltung des Konzessionsverfahrens verstößt gegen die Anforderungen an eine rechtmäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV).“
Auch der Prüfungsablauf und die Entscheidungsfindung blieben bis zum Abschluss der Prüfung der Mindestanforderungen intransparent. Die Willkür der Behörde einschränkende Vorgaben fehlten:
„Wie der gesamte tatsächliche Verfahrensablauf zeigt, konnten die einzelnen Bewerber sich weder auf Fristabläufe/Fristverlängerungen noch Nachforderungen oder Änderungen von Memoranden und neugestaltete Formblätter einstellen oder bei ihrer Bewerbung von vornherein mit einkalkulieren. Eine vom Europäischen Gerichtshof (a.a.O.) geforderte Beschränkung des Gestaltungsermessens der Behörde kann nicht festgestellt werden.“
Angesichts fehlender Vorgaben sei das Verfahren intransparent (S. 24):
„Dass das Verfahren auf der 2. Stufe insgesamt als intransparent beurteilt werden muss, erschließt sich auch angesichts der Anzahl der von den Konzessionsbewerbern gestellten Fragen, die im Fragen-/Antwortenkatalog aufgeführt sind. Ganz offenkundig waren einer Vielzahl von Bewerbern viele Punkte im Anforderungskatalog auf der 2. Stufe so unklar, dass innerhalb kürzester Zeit fast 600 Fragen zur Klärung nötig waren. Selbst wenn einige der Fragen überflussig waren oder auf Missverständnissen beruht haben sollten, so kann doch aus der Summe der Anfragen abgeleitet werden, dass die Anforderungen nicht von vornherein verständlich und transparent waren und einer Erläuterung bedurften.

Die maßgeblichen Kriterien müssen aber auch im Verwaltungsvergabeverfahren (vgl. zur Definition Hess. VGH, Beschluss vom 23.07.2012, Az.: 8 B 2244/11, zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen) sowohl für die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen als auch für die Auswahlentscheidung so klar, präzise und eindeutig formuliert und im Vorhinein bekannt sein, dass jeder Bewerber sich gebührend informieren und deren Bedeutung verstehen und auslegen kann. Jeder Bewerber soll damit in die Lage versetzt werden, die Anforderungen einzuschätzen und ein unter allen Umstanden vergleichbares sowie bestmögliches Angebot abzugeben. Es ist nicht Aufgabe der Bewerber, so lange Fragen an die Behörde zu richten, bis deren Anforderungen und Entscheidungskriterien hinreichend deutlich geworden sind (vgl. dazu die Ausführungen des Hess. VGH, Urteil vom 15.10.2014, Az.: 9 C 1276/13.T, juris, Rn. 69, zur Vergabe von Bodenabfertigungsdienstleistungen).“
Auch der Prüfungsablauf sei als intransparent zu beurteilen:
„Es wird zwar immer wieder betont, dass die Prüfung nach dem Vier-Augen-Prinzip erfolgt sei, aber trotz Nachfrage nicht offengelegt, welche Personen mit welcher Qualifikation im jeweiligen Prüfteam eingesetzt und wie eine durchgängige Beurteilung des für alle Bewerber gleichen Kriterienkatalogs durch jeweils dieselben Prüfer gewährleistet wurde. Eine personelle Kontinuität im Prüfungsverfahren erscheint schon deshalb nicht gegeben, weil ein häufiger Wechsel in der zuständigen Abteilung des Ministeriums (durch den zeitlich begrenzten Einsatz von Trainees, Wechsel im Einsatzbereich, Krankheit, Erziehungsurlaub usw.) – wie es gerichtsbekannt ist – stattgefunden hat.“
Die Entscheidungsfindung im Glücksspielkollegium sei ebenfalls fehlerhaft und rechtlich nicht haltbar. Das Gericht hält hinsichtlich des Glücksspielkollegiums auf S. 25 f. fest:
„Auch die Entscheidungsfindung im Glücksspielkollegium, dessen Beschlüsse nach dem Gesetz für den Antragsgegner bindend sind (§ 9 a Abs. 8 GlüStV), bleibt intransparent und fehlerbehaftet. Nach § 4 Abs. 4 der Geschäfts- und Verfahrensordnung des Glücksspielkollegiums sind dessen Beschlüsse zu begründen. In den dem Gericht überlassenen Auszügen aus den jeweiligen Sitzungsniederschriften finden sich aber hinsichtlich der Prüfungs- und Auswahlentscheidungen regelmäßig keine Angaben von Gründen, sondern lediglich Hinweise zum Verfahren und das Abstimmungsergebnis. (…)

Aus den Behördenakten, die das Verwaltungsverfahren der Antragstellerin betreffen, ergibt sich, dass der von 10 Prüfern unterschriebene Prüfvermerk das Datum 22.04.2014 trägt und jedenfalls bei Beschlussfassung am 09.04.2014 nicht vollständig vorgelegen haben kann. Eine ordnungsgemäße Prüfung und Beschlussfassung durch das Glücksspielkollegium kann dementsprechend nicht festgestellt werden.

Außerdem hat die Kammer erhebliche Bedenken gegen die Bindung des Antragsgegners an das Votum des Glücksspielkollegiums und dessen bestimmende Stellung im Konzessionsverfahren. Wie sie bereits im Verfahren 5 L 330/13.WI (Beschluss vom 11.06.2013) dargelegt hat, kann das Kollegium schon wegen der unterschiedlichen Aufgabenstellung nicht mit entsprechenden Gremien im Rundfunkrecht verglichen werden. (…)

Aber selbst wenn man die Tätigkeit des Glücksspielkollegiums entgegen dem Gesetzeswortlaut auf eine beratende beschränken könnte, bleibt dessen dem Antragsgegner zuzurechnendes Verfahren intransparent und die Beschlussfassung – soweit sie sich aus den dem Gericht vorgelegten Auszügen aus den Sitzungsniederschriften ergibt – inhaltlich nicht nachvollziehbar. Das gilt auch hinsichtlich der Abstimmung zum Verstoß gegen das Trennungsgebot (§ 21 Abs. 3 GlüStV). Der Antrag, einen Antragsteller (Name geschwärzt) aus der Liste der ersten 20 positiv bewerteten Bewerber herauszunehmen, wurde ohne Begründung mit 5 : 7 : 4 Stimmen abgelehnt, obwohl diese Entscheidung maßgeblichen Einfluss auf das gesamte Auswahlverfahren haben kann.“
Neben den Durchführungsmängeln bestünden auch konzeptionelle Defizite des Konzessionsverfahrens. Das bislang zur Rechtfertigung des Monopols und nunmehr zur Begründung der nur beschränkten Konzessionierung herangezogenen öffentliche Interesse an der Bekämpfung der Spielsucht und der Lenkung des Spieltriebs in geordneten Bahnen finde sich in der konkreten Ausgestaltung nicht wider:
„Entsprechend ist das Sozialkonzept, das auch singulär in § 6 GlüStV nochmals erwähnt und beschrieben wird, von hervorgehobener Bedeutung. In der konkreten Ausgestaltung kommt diese Wertigkeit jedoch nicht zweifelsfrei zum Ausdruck. Vielmehr werden die Einzelanforderungen aller Konzepte gleich gewichtet, und die Nichterfüllung auch nur einer Anforderung aus einem der Konzepte führt – nach den Vorgaben des Antragsgegners, vgl. zuletzt Informationsmemorandum vom 08.04.2014 – ohne Unterscheidung zur Ablehnung des Antrags. Für das Sozialkonzept listet der Anforderungskatalog insgesamt 24 Anforderungen auf, für das Sicherheitskonzept dagegen 33 Anforderungen, u. a. zur Protokollierung der Betriebsvorgange, zur Unterstützung der Aufsichtsbehörde, für den Datenschutz sowie zur Betrugs- und Geldwäscheabwehr. Letztere Anforderungen dienen überwiegend der Erleichterung der behördlichen Überwachungstätigkeit, während das Sozialkonzept auf Spielerschutz und Suchtbekämpfung ausgerichtet ist. (…)“
Angesichts der Intransparenz des Konzessionsverfahrens und des Verstoßes gegen die Dienstleistungsfreiheit komme es auf die die Frage, ob die Unterlagen der Antragstellerin tatsächlich unzureichend waren, daher nicht mehr entscheidend an:
„Denn eine in einem mit Fehlern behafteten Verwaltungsverfahren abgegebene Bewerbung kann nicht Gegenstand einer rechtmäßigen behördlichen Beurteilung sein. Auch mit dem ArgumenKommentar:t, 35 anderen Mitbewerbern sei es möglich gewesen, die Mindestanforderungen zu erfüllen, kann der Antragsgegner nicht durchdringen. Verfahrensfehler können nicht dadurch geheilt werden, dass Einzelne das fehlerhafte Verfahren erfolgreich durchlaufen konnten.“
Kommentar:

Hält der Hessische Verwaltungsgerichtshof, der sich vermutlich als Beschwerdeinstanz erneut mit dem Konzessionsverfahren befassen muss, diese Entscheidung des VG Wiesbaden auch nur teilweise, ist das derzeit laufende Konzessionsverfahren endgültig gescheitert. Eine Korrektur der vom Gericht festgehaltenen zahlreichen gravierenden Fehler ist aus meiner Sicht nicht möglich, selbst wenn die Länder nachträglich die zahlenmäßige Beschränkung der Konzessionen aufgeben sollten. Eine rechtlich haltbare Vergabe der Konzessionen („rechtmäßige behördliche Beurteilung“) ist damit ausgeschlossen. Angesichts der vom Gericht festgestellten gravierenden Konzeptions- und Durchführungsfehler stellt sich darüber hinaus die Frage nach Schadensersatzansprüchen für den nutzlosen Bewerbungsaufwand.

Viele potentielle Bewerber (insbesondere in anderen EU-Mitgliedstaaten zugelassene Sportwettenanbieter) haben sich angesichts der Intransparenz des Konzessionsverfahrens nicht beteiligt bzw. sind im laufenden Verfahren abgesprungen. Insoweit müsste das Verfahren, will man es auf eine rechtlich sichere Grundlage stellen, neu eröffnet und eine völlig neue Ausschreibung (mit Bekanntgabe sämtlicher Auswahlkriterien) veröffentlicht werden.

Insbesondere angesichts der immer weiter ablaufenden Restlaufzeit der Experimentierklausel (auslaufend zum 30. Juni 2019), auf die das Verwaltungsgericht verwiesen hat, und angesichts der aufgezeigten Konzeptionsfehler ist allerdings zunächst eine umgehende gesetzliche Neuregelung erforderlich.
Quelle


Verwaltungsgericht Wiesbaden:
Zulassung eines Sportwettenanbieters zur Teilnahme am Auswahlverfahren
Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden hat durch Beschluss vom 16.04.2014 dem Antrag eines Sportwettenanbieters aus Österreich stattgegeben, der im Eilverfahren die Sicherung seines Anspruchs auf weitere Teilnahme am Konzessionsverfahren für die Vergabe von 20 Sportwettenkonzessionen begehrte.
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s.a:
Ende des Sportwetten-Konzessionierungsverfahrens nicht absehbar:
Verwaltungsgerichtshof hebt Beschleunigungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden auf
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Mittwoch, 22. April 2015

Studie zur Unabhängigkeit von Gerichtsgutachten zeigt: Strukturen sind teilweise regelrecht mafiös


Mi, 22. Apr  2015 · 21:45-22:15 · Das Erste (ARD)
Plusminus

Gutachten
Entscheidend in vielen Schadenersatz-Prozessen


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Wer unverschuldet einen Unfall oder einen anderen Schaden erleidet, muss sich vor Gericht meist auf ein Gutachten berufen. Etliche Gutachten allerdings sind sehr einseitig verfasst.
Unfallopfer Rainer Matuszak wollte mit seinem Auto an einer grünen Ampel links abbiegen:
»Und habe dann im rechten Augenwinkel gesehen, dass auf der Rechtsabbiegespur einer mit erhöhter Geschwindigkeit ankommt. Und habe dann mein Fahrzeug zum Stehen gebracht. Kurz danach ist er mir seitlich in den Vorderwagen reingefahren und durch diesen Aufprall von rechts bin ich aus dem Schultergurt rausgeschlagen worden und lag mit dem gesamten Oberkörper im Fußraum des Beifahrers.«

Rainer Matuszak will von der gegnerischen Versicherung und der beruflichen Unfallversicherung  Schadensersatz, Schmerzensgeld und Rente.  Doch die Versicherungen lehnen ab, behaupten, seine Beschwerden hätten nichts mit dem Unfall zu tun.
Rainer Matuszak:
»Ich muss für alles bezahlen. Ich soll für alles bezahlen. Das ist ja nicht in Ordnung, das ist ja nicht nachvollziehbar. Ich habe immer noch offene Rechnungen, die ich jetzt in kleinen Raten abzahle, über 120.000 Euro, die ich noch bezahlen soll. Ich versteh‘s nicht…«
Rainer Matuszak muss vor Gericht ziehen. Das beauftragt einen Sachverständigen,  ein technisches Gutachten zu erstellen. Der Unfall wird nachgestellt. Unglaublich. Der Gutachter teilt die Argumente der Versicherungen: Die Beschwerden sollen angeblich nicht vom Unfall stammen.

Er kann es nicht glauben und lässt das Gutachten von einem anderen Sachverständigen überprüfen. Peter Schmidt findet immer wieder Ungereimtheiten in Gutachten von Kollegen. Auch in diesem Fall stellt er fest: Der Gerichtsgutachter hat schwere Fehler gemacht

Peter Schmidt, Unfallgutachter:
»Der Fehler der war, er hat in dem Crash-Test, den er durchgeführt hat, im Rahmen dieses Gerichtsgutachtens beide Fahrzeige vertauscht. Er hat also sein Fahrzeug gegen das gegnerische Fahrzeug fahren lassen. Es war aber genau anders herum. Der zweite Fehler war, dass er statt einem Seitencrash einen Frontcrash rekonstruiert hat. Und dadurch nicht berücksichtigt hat, dass das Fahrzeug sich bei dem Seitencrash gedreht hat und dadurch seine Wirbelsäule entsprechend seitlich verletzt wurde.«
Schwerwiegende Fehler in einem Gutachten und niemandem fällt das auf? Rainer Matuzsak ist kein Einzelfall: Immer dann, wenn Richter in einem Gerichtsverfahren keine eigene Sachkunde haben, müssen sie sich auf Gutachten verlassen. Und die müssten eigentlich objektiv und sorgfältig erstellt werden.

Doch das ist oft nicht der Fall. Prof. Ursula Gresser hat eine Studie zur Unabhängigkeit von Gerichtsgutachten gemacht. Das erschreckende Ergebnis: Viele gerichtliche Gutachter lassen sich beeinflussen von Richtern, die ein bestimmtes Ergebnis wollen.

Prof. Dr. Ursula Gresser, Universität München
»Wir hatten mit allem gerechnet. Aber wir hatten nicht mit diesem Ergebnis gerechnet. Wir hatten nicht damit gerechnet, dass eine nennenswerte Zahl an Gutachtern, bis zu 45 Prozent je nach Berufsgruppe, sagt, wir kriegen gelegentlich Signale von Richtern, die uns sagen, in welche Richtung es gehen soll. Da waren wir völlig geplättet. Ich hatte mit ein oder zwei Fällen gerechnet. Aber nicht mit bis zu 45 Prozent. Es gibt Gutachter, da weiß man schon bei der Namensnennung, wie das Gutachten ausgeht.«
Und die Studie zeigt auch: Noch mehr Einfluss haben die Versicherungen.

Wir treffen Dr. Manfred Müller-Kortkamp. Er ist Arzt und arbeitet selbst als gerichtlicher Gutachter. Er bestätigt: Auch ihm hat eine Versicherung schon einmal Geld geboten.
Dr. Manfred Müller-Kortkamp, HNO-Arzt und Gutachter für Schleudertraumata:
»Ein freundlicher Herr sagte, ich vertrete einen großen Versicherungskonzern. Und Ihr Gutachten ist uns aufgefallen durch seine Sachlichkeit und Qualität. Und wir wären bereit, dass Sie unser Gutachter werden. Und das soll nicht zu Ihrem finanziellen Nachteil sein. Wir wissen, dass die Gutachten unterbezahlt werden. Wir werden darüber hinaus am Jahresende noch ein Erfolgshonorar auf ein Schweizer Konto überweisen, oder Deutschland, wo Sie es hinhaben wollen.«
Er will sich nicht kaufen lassen und lehnt ab. Aber er weiß: In Deutschland gibt es ein riesiges Netz von Gutachtern, die damit gut verdienen.
Dr. Manfred Müller-Kortkamp:
»Wenn ich das heute betrachte, würde ich sagen: Das war ein Angebot zur Korruption.«
Wir fragen nach beim Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft und wollen wissen, was an den Vorwürfen dran ist, die Versicherungen kaufen sich Gutachter.

Per Email wiegelt man ab:
»Versicherer haben ... kein Interesse an offensichtlich falschen "Gefälligkeitsgutachten", sondern erwarten sachlich richtige und objektive Gutachten.«
Ob Betroffene sich darauf verlassen können, darf in manchen Fällen bezweifelt werden. So wie bei Christian Federl. Bei einer Geschäftsreise stürzt er schwer. Seitdem ist er gehbehindert. Er will Leistungen von seiner Berufsunfallversicherung. Doch die mauert. Auch er muss klagen. Das Gericht bestellt mehrere Gutachter.

Christian Federl:
»Immer dann, wenn ich die Vorschläge von den Gutachtern bekam, war mir eigentlich klar, welche Tendenz, in welche Richtung diese Gutachter votieren würden. Und zwar zu meinem Nachteil.«
Und tatsächlich: Alle Gutachten fallen gegen ihn aus: Der Unfall sei nicht Ursache für seine Beschwerden. In den Gerichtsakten entdeckt Christian Federl erstaunliche Verbindungen - und stellt Befangenheitsanträge.  
 Zwei Jahre später werden drei Gutachter und sogar ein Richter für befangen erklärt.
Christian Federl:
»Der zweite Gutachter wurde als befangen erklärt, weil er außergerichtliche Kontakte, in meinem Fall direkt zur beklagten Berufsgenossenschaft unterhielt.«
Zwar haften Gutachter bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Dass sie aber bisweilen gekauft sind, kann man kaum nachweisen.

Prof.Dr. Ursula Gresser, Universität München
»Ich denke, der Gesetzgeber wäre aufgefordert, das Gutachterwesen jetzt mal auf richtige ordentliche und transparente Beine zu stellen. Und die Zuteilung der Gutachter nach Fachkompetenz durch Los. Keine festen Geschäftsbeziehungen zwischen Auftraggebern , egal ob Versicherungen oder Gerichte, insbesondere bei Gerichten Zuteilung durch Los!«
Christian Federl kämpft seit drei Jahren. Sein Prozess wird noch eine Weile dauern. Er hat  jetzt eine Opfervereinigung gegründet, um gegen das undurchsichtige Gutachtersystem vorzugehen.

Bei Rainer Matuzsak dauert der Streit schon 24 Jahre. Er will jetzt  ein neues Gutachten erstreiten. 120.000 Euro hat ihn das Verfahren bislang gekostet.

Rainer Matuszak:
»Ich frag mich: Wo ist der Rechtsstaat? Wo findet der kleine Mann in Deutschland Recht und Gerechtigkeit? Nur weil ich keinen Rang und keinen Namen habe, werde ich mit Füßen getreten? Da stimmt doch was nicht!«
Von seiner alten Existenz ist nichts mehr übrig. Der einst so starke und lebenslustige Mann fühlt sich als Opfer von Gutachterwillkür, aber er will nicht aufgeben.
Stand: 22.04.2015 21:55 Uhr
Quelle: Das Erste

Do, 16. Apr 15 · 20:15-21:00 · 3sat
Gutachten: mangelhaft
Gutachter haben Macht: In Strafprozessen entscheiden sie oft über ein Leben in Freiheit oder hinter Gittern.
Dokumentation (Gesellschaft - Justizsystem)
Film von Daniela Hoyer und Judith Schneider
Hunderttausende von Gerichtsprozessen werden jährlich in Deutschland geführt. In vielen davon ist die Beweislage dünn - es steht Aussage gegen Aussage. Dann müssen Gutachter helfen.  Wenn Eltern sich um das Sorgerecht für ihre Kinder streiten oder wenn im Strafprozess eine Verurteilung zu "lebenslang" von einer Zeugenaussage abhängt, beauftragt ein Richter oft Gutachter, ihre Expertise beizusteuern.  Als Gehilfen der Rechtsprechung sollen sie ihr psychologisches oder psychiatrisches Fachwissen mitteilen. Häufig geht das Vertrauen in die Gutachter so weit, dass ihre Befunde das richterliche Urteil maßgeblich lenken.  Allerdings ist der Begriff des "Gutachters" oder "Sachverständigen" nicht geschützt. Zwar gibt es in manchen Fachbereichen "staatlich anerkannte" oder "öffentlich bestellte und vereidigte" Sachverständige, die ihre Sachkenntnis durch umfangreiche Zertifizierungsverfahren belegen müssen, jedoch sind die Gerichte frei zu entscheiden, bei wem sie sich fachlichen Rat holen und ob sie den Ausführungen des Experten folgen.  Gutachter verfügen über eine große Macht, ihr fachliches Urteil entscheidet über den weiteren Verlauf von Menschenleben - und doch kommt es vor, dass Gutachten fehlerhaft und unprofessionell unter Missachtung wissenschaftlicher Standards erstellt wurden. Dabei gibt es klare, nach jahrelangen Tests etablierte Regeln, anhand derer Erziehungseignung von Eltern, Glaubwürdigkeit von Zeugen, oder Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit eines Straftäters beurteilt werden können.  Psychologen und Psychiatern stehen mannigfaltige Testverfahren und Methoden für eine Begutachtung zur Verfügung. Welche gelten als aussagekräftig, welche sind Humbug?  Anhand spannender Fälle aus Familien- und Strafprozessen beantwortet die 3sat-Wissenschaftsdokumentation zentrale Fragen rund um Gutachter, ihre Arbeitsmethoden und ihre erstaunliche Macht bei Gericht.  In 3sat steht der Donnerstagabend im Zeichen der Wissenschaft: Um jeweils 20.15 Uhr beleuchtet eine Dokumentation relevante Fragen aus Natur- und Geisteswissenschaften, Kultur und Technik. Im Anschluss um 21.00 Uhr diskutiert Gert Scobel mit seinen Gästen ein verwandtes Thema.

s.a.:
Gerichte geben Gutachtern häufig Tendenzen vor
Seit dem Fall Mollath sind die Vorbehalte gegen vom Gericht bestellte Gutachten gewachsen. Zu Recht, wie nun die Ergebnisse einer Doktorarbeit zeigen. Gerichte signalisieren den Gutachtern häufig, welche Ergebnisse die Richter sich wünschen. Und viele sind wirtschaftlich von deren Aufträgen abhängig.
Interessant, was die Befragten selbst zur Misere des Gutachterwesens sagten. So gab einer an, dass Gerichte gerne Gutachter benennen, die einfache Schwarz-Weiß-Beurteilungen abgeben. Und es gibt natürlich Stammgutachter, die von Gerichten immer wieder eingesetzt werden, weil sie gut sind. Manchmal aber auch nur, weil sie bequem sind. Denn wenn sie Widerworte geben, kann es ihnen ergehen wie Norbert Nedopil, der Koryphäe unter den deutschen Psychiatern. Weil er dem Münchner Schwurgericht zu häufig Gutachten vorlegte, in denen er statt zu Haft zur Psychiatrie riet, wurde er nicht mehr beauftragt - Koryphäe hin oder her.
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Versicherungsexperte Prof. Hans-Peter Schwintowski fordert neutralere Gutachten, bei deren Erstellung die Experten nicht wissen dürften, wer sie beauftragt hat.
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» Weblogs » bernd.heintschel-heinegg's blog
Wie objektiv, unabhängig und neutral sind medizinische, psychologische und psychiatrische Gerichtsgutachter?
Experte: Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg
Rechtsanwalt; VRiOLG a.D.; VRiBayObLG a.D.
  • Nahezu jeder vierte Sachverständige gab an, bei einem vom Gericht in Auftrag gegebenen Gutachten "in Einzelfällen" eine Tendenz signalisiert bekommen zu haben.
  • Mehr als 50 % ihrer Einnahmen erzielen 53 von den 235 Gutachtern, die an der Befragung teilgenommen haben. Bei rund einem Fünftel der Gutachter könnte also allein schon aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Neutralität gefährdet sein.
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Mittwoch, 9. April 2014
Studie: Richter signalisieren bei der Auftragsvergabe von Gutachten, welche Ergebnisse sie erwarten wirtschaftliche Abhängigkeit gefährdet Neutralität
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  • Sind diese Richter noch „neutral“ im Sinne der Sachaufklärung?
  • Ist das Gerichtsverfahren dann noch rechtsstaatlich?
  • Kann der Richter dann noch der Wahrheit dienen? ( vgl. BVerfG )
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Montag, 13. Oktober 2014
Wenn Gerichtsgutachten Familien zerstören
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Montag, 29.04.2013
Revolution an deutschen Gerichten
Gutachter müssen künftig ihre Unabhängigkeit beweisen

Einem entsprechenden Antrag auf Initiative der beiden Bürger Horst G. und Josef S. stimmte der Petitionsausschuss des Bundestages nach drei Jahren Laufzeit jetzt überraschend zu. Liefern Sachverständige so genannte „Gefälligkeitsgutachten“ ab, so dürfen sie künftig nicht mehr bestellt werden und verlieren somit Aufträge und ihr Renommee. Der Bundestag muss dem Vorschlag noch zustimmen.
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Verschwörung gegen freie und unabhängige Kfz-Sachverständige
Die Richterin schließt sich der Auffassung an, der Gutachter habe seinen Auftraggeber darauf hinzuweisen, dass seine Honorare gekürzt werden. Ja, geht´s denn noch besser? Es gibt nichts zu kürzen. Warum schreibt sie nicht gleich, ein Geschädigter hat den Schädiger zu fragen, welchen Gutachter er beauftragen darf.
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