Donnerstag, 29. April 2010

Glücksspielstaatsvertrag: Revisionsverfahren beim Bundesverwaltungsgericht anhängig

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Nun muss auch das Bundesverwaltungsgericht über die Zulässigkeit der einschränkenden Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags und deren Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht entscheiden. Nach Mitteilung des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach hat dieses eine Klage gegen eine Untersagungsverfügung zwar abgelehnt, aber die (Sprung-)Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen. Beim Bundesverwaltungsgericht, dem höchsten Verwaltungsgericht Deutschlands, ist das Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 8 C 5.10 anhängig.

I. Instanz: VG Ansbach, Urteil vom 9. Dezember 2009, Az. AN K 09.00570 und AN K 09.00592

Quelle: http://wettrecht.blogspot.com/

zum Urteil vom 24.11.2010

Mittwoch, 21. April 2010

Der Glücksspielstaatsvertrag – Ein Monopol, das niemandem Glück bringt und nur Verlierer kennt?

Pressemitteilung zur Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung am 20.4.2010 in München

Die liberale Stiftung lud am gestrigen Abend Vertreter aus Wirtschaft, Recht und Politik ein, um das "Politikum" des Staatsmonopols für Lotterien und Sportwetten zu diskutieren.

Eine düstere Bestandsaufnahme zur bisherigen Regelung aus ökonomischer Sicht stellte Volkswirt Dr. Luca Rebeggiani vom Institut für Volkswirtschaftslehre, Konjunktur und Strukturpolitik an der Universität Hannover fest. Er führte den Teilnehmern vor Augen, dass der Marktanteil des staatlichen Glücksspiels in den letzten Jahren stark zurückgegangen ist, während die stark suchtgefährlichen Spielautomaten zugenommen haben. Der Wettmarkt sei mit 94 % fast vollständig in der Hand privater Anbieter.

Über den nationalen Tellerrand blickten die Rechtsanwälte Dr. Helmut Grubmüller, Geschäftsführer des Österreichischen Buchmacherverbandes, und Dr. Wulf Hambach, Gründungspartner der Hambach & Hambach Rechtsanwälte, die das deutsche Staatsmonopol mit den Regelungen in den Nachbarländern Österreich und Dänemark verglichen. Vor kurzem habe sich Dänemark entschlossen, Poker und Sportwetten zu liberalisieren, da ein attraktives erlaubtes Angebot fehlte und die Spielteilnehmer ebenso wie in Deutschland in den Schwarzmarkt abwanderten. Dr. Hambach verwies darauf, dass Dänemark, wie auch Italien und Frankreich aus finanzpolitischen Gründen ein Monopol auf Lotterien beibehalte. Die Kanalisierung des Spieltriebes im Bereich Sportwetten und Poker erfolge in Dänemark jedoch nicht durch Verbote, sondern gerade durch eine beabsichtigte kontrollierte Zulassung von Werbung und zwar ausschließlich für in Dänemark zugelassene Anbieter. Die Bewerbung legaler Angebote solle und werde ein weiteres unkontrolliertes Abfließen der Steuern ins Ausland bzw. in den Schwarzmarkt stoppen.

In Österreich, so Dr. Grubmüller, stoße die stetig wiederkehrende Diskussion in Deutschland auf wenig Verständnis. Dort würden Sportwetten bereits nicht als Glücksspiel angesehen. Dr. Grubmüller sah in dem Beharren Deutschlands auf das Suchtrisiko von Sportwetten schon selbst eine Art "Sucht". Österreich verzeichne trotz oder gerade wegen dem freien Wettbewerb in Österreich keine nennenswerte Suchtproblematik bei Sportwetten.

Die Sprecherin der bayerischen FDP-Fraktion für Kultur, Medien, Jugend- und Sportpolitik, Julika Sandt, forderte energisch "Marktwirtschaft statt Marxwirtschaft." Nicht die Staatseinnahmen, wie zuletzt durch Ministerpräsident Seehofer geäußert, sondern die Regelungen für effektiven Jugendschutz und Spielsuchtprävention sollten im Vordergrund stehen. Hierfür sei ein Staatsmonopol schlicht nicht erforderlich.

Das Fazit des Moderators der Veranstaltung, Horst-Jürgen Lahmann, Vorsitzender der liberalen Gesellschaft Bremen, lautete: "Das bisherige Staatsmonopol ist weder ökonomisch sinnvoll noch kann dadurch das Ziel der Suchtbekämpfung erreicht werden, wenn weiterhin Automatenspiele privilegiert werden und Konsumenten wie Unternehmen in den Schwarzmarkt abwandern. Will Deutschland keine Insel bleiben, umgeben von Nachbarländern mit liberalisierten Märkten, müssen nun die Weichen neu gestellt werden".

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Wulf Hambach, München

Nach Schleswig-Holstein, will auch die FDP in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen den Glücksspielstaatsvertrag abschaffen um die Einnahmen der Landeskassen aufzubessern ! Auch aus Thüringen gab es viel Kritik am GlüStV. Sogar in Bayern soll nun der GlüStV überprüft werden !

Nach Überzeugung des Bundesverfassungsgerichts können weder die fiskalischen Interessen des Staates noch eine gemeinnützige Verwendung der Einnahmen legitime Ziele für eine Einschränkung der Berufsfreiheit nach Art. 12 des Grundgesetzes sein.


Glücksspielmarkt in Deutschland zunehmend vom Ausland kontrolliert
Das Beratungsunternehmen Goldmedia (http://www.goldmedia.com) hat in der neuen Studie Glücksspielmarkt Deutschland 2015 die Auswirkungen dieser restriktiven Neuordnung auf die einzelnen Glücksspiel-Segmente Lotto, Wetten, Casino und Poker analysiert und erste Ergebnisse jetzt in Berlin vorgestellt. Pressemeldung

EuGH-Urteile: Lindmann / Zenatti / Läärä / Schindler



URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
13. November 2003(1)
„Freier Dienstleistungsverkehr - Lotteriescheine - Betrag, der bei einem in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten Glücksspiel gewonnen wurde - Einkommensteuer - Glücksspielsteuer - Besondere Regelung der Åland-Inseln“
In der Rechtssache C-42/02
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom finnischen Ålands förvaltningsdomstol in dem bei diesem von
Diana Elisabeth Lindman
anhängig gemachten Verfahren vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 49 EG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer C. W. A. Timmermans in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter) und P. Jann,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
-    von Frau Lindman, die sich selbst vertritt,
-    der finnischen Regierung, vertreten durch E. Bygglin als Bevollmächtigte,
-    der belgischen Regierung, vertreten durch A. Snoecx als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck, avocat,
-    der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,
-    der norwegischen Regierung, vertreten durch G. Hansson Bull und H. Klem als Bevollmächtigte,
-    der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und K. Simonsson als Bevollmächtigte,
-    der Überwachungsbehörde der EFTA, vertreten durch E. Wright und V. Kronenberger als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der finnischen Regierung, vertreten durch E. Bygglin, der belgischen Regierung, vertreten durch P. De Wael als Bevollmächtigten, der Kommission, vertreten durch K. Simonsson, und der Überwachungsbehörde der EFTA, vertreten durch E. Wright, in der Sitzung vom 23. Januar 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. April 2003
folgendes

Urteil

1.
    Mit Beschluss vom 5. Februar 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Februar 2002, hat der Ålands förvaltningsdomstol gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 49 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
    Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Lindman und dem Skatterättelsenämnd (Beschwerdeausschuss in Steuersachen) wegen der Zurückweisung durch diesen Ausschuss der Beschwerde, die sie erhoben hatte, um eine Herabsetzung der Besteuerung zu erreichen, der der Betrag unterzogen worden war, den sie bei ihrer Teilnahme an einer in Schweden veranstalteten Lotterie gewonnen hatte. Rechtlicher Rahmen
A - Gemeinschaftsrecht
3.
    Artikel 49 Absatz 1 EG bestimmt: „Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten.“
B - Nationales Recht
4.
    Nach § 1 des Lotteriskattelag (552/1992) (Lotteriesteuergesetz) ist die Lotteriesteuer für in Finnland veranstaltete Spiele an den Staat zu entrichten. Nach § 2 dieses Gesetzes sind Lotterien Glücksspiele. Gemäß § 3 des Gesetzes ist der Veranstalter der Lotterie steuerpflichtig.
5.
    § 85 des Inkomstskattelag (1535/1992) (Einkommensteuergesetz) bestimmt: „Gewinne aus den in § 2 des Lotteriskattelag genannten Lotterien unterliegen nicht der Einkommensteuer ...“ Aus den Akten ergibt sich, dass die Nichtsteuerbarkeit nur für die Lotterien nach § 2 des Lotteriskattelag gilt, die nur die in Finnland veranstalteten Spiele umfassen.
C - Die besondere Regelung der Åland-Inseln
6.
    Nach dem Självstyrelselag (1144/1991) för Åland (Autonomiegesetz für die Provinz Åland) fällt die Regelung der Lotterien und anderer Glücksspiele unter die Gesetzgebungskompetenz der Provinz Åland. Die Veranstaltung von Lotterien unterliegt einer Genehmigung der Provinzregierung, deren Modalitäten durch das Landskapslag om lotterier (Provinzialgesetz über Lotterien, Ålands författningssamling 10/1966) festgelegt werden. Die Veranstaltung von Lotterien wird durch dieses Gesetz geregelt. Die Genehmigung zur Veranstaltung von Lotterien und anderen Glücksspielen nach § 3 des Landskapslag om lotterier kann einer durch eine Provinzialverordnung errichteten öffentlich-rechtlichen Vereinigung erteilt werden. Der Ertrag aus der Tätigkeit der Vereinigung ist in den Haushalt der Provinz Åland einzustellen und dazu zu verwenden, Vorhaben zum Wohl der Allgemeinheit oder von allgemeinem Interesse sowie Vorhaben, die als nützlich für die Tätigkeit und die Ziele der Vereinigung gelten können, zu fördern. Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage
7.
    Frau Lindman, eine finnische Staatsangehörige, wohnt in der Gemeinde Saltvik auf den Åland-Inseln (Finnland). Am 7. Januar 1998 gewann sie 1 000 000 SEK bei der Ziehung einer Lotterie der Gesellschaft AB Svenska Spel, die in Stockholm (Schweden) stattfand. Sie hatte ihren Gewinnschein bei einem Aufenthalt in Schweden gekauft.
8.
    Dieser Lotteriegewinn wurde im Rahmen der Einkommensteuer für das Jahr 1998 als steuerbares Erwerbseinkommen angesehen und unterlag der dem finnischen Staat zukommenden Staatssteuer, der Kommunalsteuer für die Gemeinde Saltvik, der Kirchensteuer für die Kirchengemeinde und einem nach dem Sjukförsäkringslag (Krankenversicherungsgesetz) erhobenen zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrag.
9.
    Frau Lindman erhob Beschwerde beim Skatterättelsenämnd von Åland, um die Berichtigung ihrer Besteuerung zu erreichen. Diese Beschwerde wurde am 22. Mai 2000 mit der Begründung zurückgewiesen, dass § 85 des Inkomstskattelag nicht die Besteuerung von Gewinnen aus ausländischen Lotterien in Finnland verbiete.
10.
    Frau Lindman legte daraufhin ein Rechtsmittel beim Ålands förvaltningsdomstol ein, um die Abänderung der ablehnenden Entscheidung des Skatterättelsenämnd zu erreichen, und machte geltend, dass die Besteuerung des in Schweden gewonnenen Betrages aufgehoben werden müsse, hilfsweise, dass dieser Betrag nicht als Erwerbseinkommen, sondern als Kapitaleinkommen zu besteuern sei, was einen niedrigeren Steuersatz bedeute.
11.
    Der Ålands förvaltningsdomstol meint, dass die Besteuerung der Gewinne aus im Ausland veranstalteten Lotterien als Erwerbs- oder Kapitaleinkommen möglicherweise als eine besondere, auf den Ort des Ursprungs der Dienstleistung gestützte Regel angesehen werden könne.
12.
    Da der Ålands förvaltningsdomstol der Auffassung ist, dass die Auslegung des Gemeinschaftsrechts für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich sei, hat er das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Verwehrt Artikel 49 EG einem Mitgliedstaat die Anwendung von Vorschriften, nach denen Lotteriegewinne aus Lotterien, die in anderen Mitgliedstaaten veranstaltet werden, bei der Einkommenbesteuerung als steuerbare Einkünfte des Gewinners behandelt werden, während Lotteriegewinne aus Lotterien, die in dem betreffenden Mitgliedstaat veranstaltet werden, von der Einkommensteuer befreit sind?
Rechtliche Ausführungen
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
13.
    Frau Lindman macht geltend, dass die finnische Regelung diskriminierend sei, da sie nicht einkommensteuerpflichtig gewesen wäre, wenn sie in Schweden gewohnt hätte oder wenn der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Betrag bei einer finnischen Lotterie gewonnen worden wäre.
14.
    Die finnische, die belgische, die dänische und die norwegische Regierung sind der Auffassung, dass die finnische Regelung mit Artikel 49 EG vereinbar sei. Gestützt auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-275/92, Schindler, Slg. 1994, I-1039, vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-124/97, Läärä u. a., Slg. 1999, I-6067, und vom 21. Oktober 1999 in der Rechtssache C-67/98, Zenatti, Slg. 1999, I-7289) tragen sie insoweit vor, dass die Besteuerung von Glücksspielen nur ein spezifischer Aspekt der Gesamtregelung der Glücksspiele sei, ein Bereich, in dem die Mitgliedstaaten über ein weites Ermessen verfügten. Nach Ansicht dieser Regierungen sind die eventuellen Einschränkungen durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt, die insofern mit der Bekämpfung der schädlichen Folgen von Glücksspielen in der Weise zusammenhingen, als die Öffentlichkeit einen Anreiz zur Teilnahme an solchen Lotterien hätte, wenn ausländische Lotteriegewinne nicht steuerbar wären.
15.
    Im Einzelnen macht die finnische Regierung geltend, dass die Besteuerung von Gewinnen aus Glücksspielen, die außerhalb Finnlands veranstaltet würden, damit zu erklären sei, dass es unmöglich sei, in diesem Mitgliedstaat die ausländischen Unternehmen zu besteuern, die vom Ausland her Glücksspiele anböten. Andernfalls würden sich die in Finnland Steuerpflichtigen und die Veranstalter von Glücksspielen einen Steuervorteil unabhängig davon teilen, ob die Einkünfte im Ursprungsland im öffentlichen Interesse verwendet würden oder ob mit den Vorschriften in diesem Mitgliedstaat die Ziele des Verbraucherschutzes und der Prävention gesellschaftlichen Schadens berücksichtigt würden.
16.
    Die Kommission und die Überwachungsbehörde der EFTA sind der Ansicht, dass die Besteuerung der Lotteriegewinne in einem Mitgliedstaat nur dann gegen Artikel 49 EG verstoße und nicht durch Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden könne, wenn es sich um in anderen Mitgliedstaaten veranstaltete Lotterien handele.
17.
    Die Kommission trägt gestützt auf das Urteil vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C-283/95 (Fischer, Slg. 1998, I-3369) vor, dass nach dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität ein Mitgliedstaat den Gewinner eines in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig veranstalteten Glücksspiels nicht weniger günstig behandeln dürfe als denjenigen, der bei einem in ersterem Mitgliedstaat veranstalteten Glücksspiel gewonnen habe. Antwort des Gerichtshofes
18.
    Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, dass diese ihre Befugnisse in diesem Bereich jedoch unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen (Urteile vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-80/94, Wielockx, Slg. 1995, I-2493, Randnr. 16, vom 16. Juli 1998 in der Rechtssache C-264/96, ICI, Slg. 1998, I-4695, Randnr. 19, vom 29. April 1999 in der Rechtssache C-311/97, Royal Bank of Scotland, Slg. 1999, I-2651, Randnr. 19, vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C-35/98, Verkooijen, Slg. 2000, I-4071, Randnr. 32, und vom 3. Oktober 2002 in der Rechtssache C-136/00, Danner, Slg. 2002, I-8147, Randnr. 28).
19.
    Wie der Gerichtshof bereits zu der Veranstaltung von Lotterien festgestellt hat, finden die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr auf eine Tätigkeit Anwendung, die darin besteht, den Nutzern gegen Entgelt die Teilnahme an einem Glücksspiel zu ermöglichen (vgl. Urteil Schindler, Randnr. 19). Daher fällt eine solche Tätigkeit in den Anwendungsbereich des Artikels 49 EG, wenn zumindest einer der Dienstleistenden in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig ist, in dem die Dienstleistung angeboten wird. Der Fall ist daher unter dem Blickwinkel des freien Dienstleistungsverkehrs zu prüfen.
20.
    Nach ständiger Rechtsprechung verbietet Artikel 49 EG nicht nur jede Diskriminierung eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch jede Beschränkung und jede Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs, selbst wenn sie unterschiedslos für inländische wie für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Dienstleistende gelten (vgl. Urteil vom 13. Februar 2003 in der Rechtssache C-131/01, Kommission/Italien, Slg. 2003, I-1659, Randnr. 26).
21.
    Es steht fest, dass im Ausgangsverfahren die ausländischen Lotterien einer steuerlichen Behandlung unterzogen werden, die sich von der den finnischen Lotterien zugute kommenden Behandlung unterscheidet, und dass sie sich in einer unvorteilhaften Lage diesen gegenüber befinden. Nach dem Lotteriskattelag werden nämlich nur die Gewinne aus in Finnland nicht genehmigten Glücksspielen als steuerbare Einkünfte angesehen, während die Gewinne aus in Finnland veranstalteten Glücksspielen keine steuerbaren Einkünfte sind. Die finnische Regierung hat im Übrigen anerkannt, dass das Bestehen solcher Vorschriften bewirkt, dass ein finnischer Steuerpflichtiger die Teilnahme an einer in Finnland veranstalteten Lotterie der an einer Lotterie, die in einem anderen Mitgliedstaat stattfindet, vorzieht.
22.
    Entgegen dem Vorbringen dieser Regierung nimmt der Umstand, dass die in Finnland ansässigen Erbringer solcher Spiele als Veranstalter von Glücksspielen steuerpflichtig sind, den finnischen Vorschriften nicht ihren offensichtlich diskriminierenden Charakter, denn diese Steuer entspricht nicht der Einkommensteuer, von der die aus der Teilnahme an den in anderen Mitgliedstaaten veranstalteten Lotterien stammenden Gewinne der Steuerpflichtigen betroffen sind.
23.
    Die finnische Regierung räumt ein, dass die nationalen Vorschriften diskriminierend sind, meint aber, dass sie durch zwingende Gründe des Gemeinwohls wie die Prävention von Missbräuchen und Betrugstaten, die Verringerung des durch das Spiel verursachten gesellschaftlichen Schadens, die Finanzierung gemeinnütziger Tätigkeiten oder die Wahrung der Rechtssicherheit gerechtfertigt seien.
24.
    Die norwegische Regierung beruft sich zur Rechtfertigung auch auf die Notwendigkeit, die schädlichen Folgen der Abhängigkeit vom Spiel zu bekämpfen, die unter die öffentliche Gesundheit fielen. So gebe es Rehabilitationszentren und andere Möglichkeiten zur Behandlung von Spielern, und das Spiel schaffe soziale Probleme wie die Entziehung der finanziellen Mittel für die Familie der vom Spiel abhängigen Person, Scheidungen und Selbstmorde.
25.
    Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtfertigungsgründe, die von einem Mitgliedstaat geltend gemacht werden können, von einer Untersuchung zur Zweckmäßigkeit und zur Verhältnismäßigkeit der von diesem Staat erlassenen beschränkenden Maßnahme begleitet werden müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, und vom 26. November 2002 in der Rechtssache C-100/01, Oteiza Olazabal, Slg. 2002, I-10981).
26.
    Im Ausgangsverfahren weisen die dem Gerichtshof vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten kein Element statistischer oder sonstiger Natur auf, das einen Schluss auf die Schwere der Gefahren, die mit dem Betreiben vom Glücksspielen verbunden sind, oder gar auf einen besonderen Zusammenhang zwischen solchen Gefahren und der Teilnahme der Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats an in anderen Mitgliedstaaten veranstalteten Lotterien zuließe.
27.
    Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Artikel 49 EG den Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen Gewinne aus in anderen Mitgliedstaaten veranstalteten Lotterien als steuerbare Einkünfte des Gewinners behandelt werden, während Gewinne aus in dem betreffenden Mitgliedstaat veranstalteten Lotterien nicht steuerbar sind. Kosten
28.
    Die Auslagen der finnischen, der belgischen, der dänischen und der norwegischen Regierung sowie der Kommission und der Überwachungsbehörde der EFTA, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Ålands förvaltningsdomstol mit Beschluss vom 5. Februar 2002 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Artikel 49 EG steht Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, nach denen die Gewinne aus in anderen Mitgliedstaaten veranstalteten Lotterien als steuerbare Einkünfte des Gewinners behandelt werden, während Gewinne aus in dem betreffenden Mitgliedstaat veranstalteten Lotterien nicht steuerbar sind.
Timmermans

Edward

Jann
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. November 2003.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
V. Skouris

1: Verfahrenssprache: Schwedisch.


SCHLUSSANTRÄGE DER FRAU GENERALANWALTCHRISTINE STIX-HACKL
vom 10. April 2003(1)
Rechtssache C-42/02
Diana Elisabeth Lindman
gegen
Skatterättelsenämnde
(Vorabentscheidungsersuchen der Ålands förvaltningsdomstol [Finnland])
„Artikel 46 EG - Artikel 49 EG - Lotteriegewinne - Besteuerung - Diskriminierung - Kohärenz des Steuersystems - Verhältnismäßigkeit“
I - Einleitung
1.
    In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof nach seinen Urteilen Schindler(2), Läärä(3) und Zenatti(4) abermals mit einer Frage befasst, die die Vereinbarkeit einer nationalen Regelung bezüglich Glücksspielen mit den Bestimmungen des Vertrages über den freien Dienstleistungsverkehr betrifft. Der Förvaltningsdomstol in Åland ersucht um Vorabentscheidung darüber, ob es einem Mitgliedstaat gemäß Artikel 49 EG verwehrt ist, Gewinne aus Lotterien, die in anderen Mitgliedstaaten veranstaltet werden, bei der Einkommensbesteuerung als steuerpflichtige Einkünfte des Gewinners zu behandeln, während Gewinne aus Lotterien, die in dem betreffenden Mitgliedstaat veranstaltet werden, von der Einkommensteuer befreit sind. II - Rechtlicher Rahmen
A - Das Lotteriesteuergesetz (552/1992)
2.
    Gemäß § 1 des Lotteriesteuergesetzes ist für in Finnland veranstaltete Lotterien Lotteriesteuer an den Staat zu entrichten.
3.
    Als Lotterie sind nach § 2 Absatz 1 dieses Gesetzes u. a. anzusehen: „Warenlotterien, Geldlotterien, Bingo- und Totospiele ...“
4.
    § 3 Lotteriesteuergesetz bestimmt auszugsweise: „Steuerpflichtig ist der Veranstalter der Lotterie.“B - Das Einkommensteuergesetz (1535/1992)
5.
    § 1 Absätze 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes bestimmen: „Einkünfte und Steuerpflichtige. Für Erwerbseinkünfte ist Steuer an den Staat, die Gemeinde und die Kirchengemeinde zu entrichten. Für Kapitaleinkünfte ist Steuer an den Staat zu entrichten. Dem Anspruch der Gemeinden auf einen Anteil an der Steuer auf Kapitaleinkünfte wird bei der Verteilung des Steueraufkommens entsprechend den Vorschriften dieses Gesetzes und des Gesetzes über die Steuererhebung (611/78) Rechnung getragen.“
6.
    § 9 Absätze 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes bestimmen die Steuerpflichtigen und die steuerpflichtigen Einkünfte. Demnach sind Personen, die im Steuerjahr ihren Wohnsitz in Finnland hatten, für in- und ausländische Einkünfte einkommensteuerpflichtig. Steuerpflichtige Einkünfte sind die Einkünfte des Steuerpflichtigen in Geld oder Geldwert. Einkünfte von natürlichen Personen und Nachlässen werden in zwei Einkunftsarten aufgeteilt, nämlich Kapitaleinkünfte und Erwerbseinkünfte.
7.
    In Bezug auf Lotteriegewinne wird in § 85 des Einkommensteuergesetzes Folgendes bestimmt:„Lotteriegewinne. Gewinne aus den in § 2 des Lotteriesteuergesetzes genannten Lotterien sind nicht steuerpflichtig. Steuerpflichtig sind jedoch Gewinne, die als angemessene Gegenleistung für eine Leistung oder als Arbeitslohn im Sinne des Gesetzes über den Lohnsteuerabzug anzusehen sind.“
C - Das Kommunalsteuergesetz für die Provinz Åland
8.
    § 1 Absatz 1 lautet auszugsweise:„Anwendungsbereich des Gesetzes. Für Erwerbseinkünfte ... ist Kommunalsteuer zu zahlen; der Verlustausgleich bei der Kommunalbesteuerung erfolgt nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (FFS 1535/92) und der Verordnung über die Einkommensteuer (FFS/1551/92) vorbehaltlich der in diesem Gesetz und in Sondervorschriften vorgesehenen Ausnahmen.“
III - Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
9.
    Frau Lindman, die Rechtsmittelführerin des Ausgangsverfahrens, ist finnische Staatsbürgerin und wohnt in Saltvik auf Åland. Während eines Aufenthalts in Schweden hatte sie ein Los einer von der AB Svenska Spel veranstalteten Lotterie gekauft. Bei der Ziehung am 7. Januar 1998 in Stockholm wurde sie als Gewinnerin von 1 000 000 SEK ermittelt. Der Lotteriegewinn, der 672 100 FIM entspricht, wurde im Rahmen der Besteuerung des Einkommens für das Steuerjahr 1998 als steuerpflichtiges Erwerbseinkommen behandelt.
10.
    Aufgrund der Einordnung des Lotteriegewinns als Erwerbseinkommen wurden auf diesen die Staatssteuer für den finnischen Staat, die Kommunalsteuer für die Gemeinde Saltvik, die Kirchensteuer für die Kirchengemeinde sowie ein zusätzlicher Krankenversicherungsbeitrag, der gemäß dem Krankenversicherungsgesetz zu entrichten ist und an die Kommunalsteuer des Versicherten gebunden ist, erhoben.
11.
    Der Lotteriegewinn wurde nicht als steuerfrei gemäß § 85 des Einkommensteuergesetzes anerkannt, da diese Steuerbefreiung nur für die in § 2 des Lotteriesteuergesetzes genannten Lotterien gilt, zu denen alleine die in Finnland veranstalteten Lotterien gehören. Er wurde auch nicht als Kapitaleinkommen behandelt, weil hierunter Einkünfte verstanden werden, die als aus dem Eigentum abgeleitet angesehen werden können, was im vorliegenden Fall nicht zutraf.
12.
    Frau Lindman focht den Steuerbescheid vor dem Beschwerdeausschuss in Steuersachen an. Ihr Antrag, die Besteuerung des Lotteriegewinns aus Schweden aufzuheben oder herabzusetzen, wurde jedoch, nachdem eine Stellungnahme der Direktion für Steuersachen (skattestyrelse) eingeholt worden war, mit Beschluss vom 22. Mai 2000 abgewiesen.
13.
    Gegen diesen Beschluss des Beschwerdeausschusses hat Frau Lindman ein Rechtsmittel beim Ålands förvaltningsdomstol, dem Gericht des Ausgangsverfahrens, eingelegt.
14.
    In ihrem Rechtsmittel beantragt sie, die Besteuerung ihres Lotteriegewinns aus Schweden aufzuheben und hilfsweise, den Gewinn als Kapitaleinkommen, also mit einem niedrigeren Steuersatz, zu besteuern.
15.
    Die finnischen Behörden vertreten im Ausgangsverfahren die Ansicht, dass die im Einkommensteuergesetz vorgesehene Steuerbefreiung nur für in Finnland veranstaltete Lotterien gelte und dass dies eine schwedische Lotterie-Gesellschaft nicht an der freien Erbringung ihrer Dienstleistungen in Finnland im Sinne des Artikels 49 EG hindere.
16.
    Nach Angaben der Ålands förvaltningsdomstol gilt die Steuerbefreiung nach dem Einkommensteuergesetz aufgrund des Lotteriesteuergesetzes nur für in Finnland veranstaltete Lotterien. Das Gericht ist daher der Auffassung, dass die Erhebung von Einkommensteuer auf Gewinne aus im Ausland veranstalteten Lotterien (als Erwerbs- oder Kapitaleinkünfte) eventuell als Ungleichbehandlung je nach dem Ort der Dienstleistung angesehen werden könne.
17.
    Dementsprechend hat der Ålands förvaltningsdomstol mit Beschluss vom 5. Februar 2000 dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Artikel 234 EG vorgelegt:Verwehrt Artikel 49 EG einem Mitgliedstaat die Anwendung von Vorschriften, nach denen Lotteriegewinne aus Lotterien, die in anderen Mitgliedstaaten veranstaltet werden, bei der Einkommensbesteuerung als steuerpflichtige Einkünfte des Gewinners behandelt werden, während Lotteriegewinne aus Lotterien, die in dem betreffenden Mitgliedstaat veranstaltet werden, von der Einkommensteuer befreit sind?
IV - Vorbringen der Beteiligten
18.
    In der vorliegenden Rechtssache haben Frau Lindman, die finnische, die belgische und die dänische Regierung, die Kommission sowie die Überwachungsbehörde der EFTA und die norwegische Regierung Stellungnahmen abgegeben.
19.
    Frau Lindman hat lediglich ausgeführt, dass sie die Besteuerung ihres Lotteriegewinns als diskriminierend betrachte. Ihrer Auffassung nach wäre ihr Gewinn nämlich nicht besteuert worden, wenn sie in Schweden wohnhaft gewesen wäre oder wenn sie in einer finnischen Lotterie gewonnen hätte.
20.
    Die finnische, die belgische, die dänische und die norwegische Regierung halten eine steuerliche Regelung wie die in Finnland, wonach Gewinne aus in anderen Mitgliedstaaten veranstalteten Lotterien im Gegensatz zu Gewinnen aus inländischen Lotterien besteuert werden, für mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß Artikel 49 EG vereinbar. Diese Regierungen beziehen sich dabei vor allem auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes in den Rechtssachen Schindler(5), Läärä(6) und Zenatti(7). Sie räumen zwar im Wesentlichen ein, dass eine solche steuerliche Behandlung von Lotteriegewinnen geeignet ist, die Dienstleistungsfreiheit zu beschränken, erachten diese Regelung jedoch nicht unbedingt als diskriminierend. Sie machen übereinstimmend geltend, dass die finnischen Rechtsvorschriften jedenfalls aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien und bringen vor, dass nach der genannten Rechtsprechung den Mitgliedstaaten bei der Regelung von Glücksspielen ein weites Ermessen zustehe.
21.
    Im Einzelnen führt darüber hinaus die finnische Regierung aus, dass die Organisation von Glücksspielen in Finnland einer Reglementierung unterliege, welche der Rechtssicherheit der Spieler, der Verbrechensvorbeugung sowie der Begrenzung des durch Glücksspiel verursachten gesellschaftlichen Schadens diene. Diese Zwecke seien im Urteil Schindler als Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit anerkannt worden und würden auch die fragliche Steuerregelung rechtfertigen, da diese einen Teil der nationalen Reglementierung der Lotterie darstelle.
22.
    Die finnische Regierung gibt an, dass die Einnahmen aus den Glücksspielen, die von den drei Gesellschaften, die in Finnland zur Organisation von Glücksspielen zugelassen seien, veranstaltet würden, beachtlich seien. Sie verweist darauf, dass diese Einnahmen in das staatliche Budget einfließen würden, um sicherzustellen, dass sie möglichst zum Wohle der Gesellschaft verwendet würden. Der finnische Staat habe sich daher auch einer zu hohen Besteuerung von Glücksspielen enthalten, um die Verwendung der Erlöse für Zwecke des Allgemeininteresses nicht zu gefährden.
23.
    Die finnische Regierung führt außerdem aus, dass daher Lotterietätigkeiten in Finnland einer sehr niedrigen Besteuerung unterliegen würden und diesbezüglich keine andere Steuer vorgesehen sei als die Lotteriesteuer. Diese entspreche gegenwärtig der Höhe nach nicht der Steuer, die ein Gewinner zu zahlen hätte, würde man seine Gewinne als steuerpflichtiges Einkommen behandeln.
24.
    Die finnische Regierung macht geltend, dass ihr, da sie ausländische Veranstalter von Lotterien nicht besteuern könne, nichts anderes übrig bleibe, als die Gewinner von ausländischen Lotterien zu besteuern. Andernfalls würden sich inländische Gewinner von ausländischen Lotterien mit den ausländischen Veranstaltern derselben einen steuerlichen Vorteil teilen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob im Ursprungsland der Lotterien die Spieleinnahmen im öffentlichen Interesse verwendet oder dieselben Schutzzwecke berücksichtigt würden wie mit den finnischen Regelungen.
25.
    In der mündlichen Verhandlung hat die finnische Regierung näher ausgeführt, dass die Verwendung der Lotterieeinnahmen für gemeinnützige Zwecke nur ein zusätzliches Argument hinsichtlich der Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht darstelle. Vor allem seien Glücksspiele generell in Finnland durch verschiedene Maßnahmen im Hinblick auf die Spieleinsätze und -gewinne Beschränkungen unterworfen. Die Höhe der Gewinne beeinflusse maßgeblich die Attraktivität des Spiels. Durch ihre Besteuerung werde die Teilnahme an ausländischen Lotterien weniger verlockend, sodass die Kontrolle und der Schutz vor den schädlichen gesellschaftlichen Wirkungen dieses Spiels aufrechterhalten werden könne. Diese Ziele könnten nur durch die Besteuerung der Gewinne aus ausländischen Glücksspielen erreicht werden, weniger einschneidende Maßnahmen gebe es nicht.
26.
    Nach Ansicht der finnischen Regierung können von nationalen Rechtsvorschriften auferlegte Beschränkungen bezüglich der Veranstaltung von Spielen und bezüglich der Bedingungen, denen diese Tätigkeit unterliege, selbst dann durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses - die sich auf den Schutz der Spieler, auf die gesellschaftliche Ordnung und auf die Finanzierung von Tätigkeiten im öffentlichen Interesse beziehen würden - gerechtfertigt sein, wenn diese nationalen Rechtsvorschriften diskriminierend seien.
27.
    Die fragliche Steuerregelung könne aber nicht als diskriminierend betrachtet werden. Der Grund, warum die Gewinne aus inländischen Lotterien nicht besteuert würden, liege nämlich darin, dass diese Lotterien einer Besteuerung über deren Veranstalter unterliegen. Außerdem seien die Gewinne aus inländischen Lotterien ebenso zu besteuern, wenn diese ohne Genehmigung veranstaltet würden, sodass keine Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit vorliege.
28.
    Doch selbst wenn dem so wäre, käme, insgesamt betrachtet, jedenfalls eine Rechtfertigung auf der Grundlage von Artikel 46 EG in Betracht. Das Ziel der Reglementierung der Lotterietätigkeiten bestehe nämlich in der Verhinderung illegaler Glücksspiele, der Geldwäsche und jeder anderen Kriminalität, was den Zielen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit entspreche. Außerdem sei eine schwere Spielsucht als Krankheit zu betrachten, sodass die nationale Reglementierung der Lotterie auch der öffentlichen Gesundheit diene.
29.
    Schließlich räumt die finnische Regierung ein, dass es bei finnischen Lotterien keine Beschränkung hinsichtlich der Höhe der Spieleinsätze gebe.
30.
    Die belgische Regierung führt zu den finnischen Rechtsvorschriften aus, dass zwar Gewinne aus in Finnland zugelassenen Lotterien von der Steuer befreit seien, die Besteuerung jedoch auf Ebene der Veranstalter der Lotterie erfolge. Die Besteuerung von Gewinnen aus ausländischen Lotterien müsse also als korrigierender Faktor gesehen werden, der es erlaubt, der Besteuerung finnischer Veranstalter von Lotterien Rechnung zu tragen. Andernfalls bestünde nämlich ein Anreiz, im Ausland zu spielen, sodass die nationalen Behörden die Kontrolle über das bestehende Angebot an Glücksspielen verlieren würden und die gesellschaftlichen Folgen unabsehbar wären.
31.
    Auch nach Ansicht der belgischen Regierung ist die gegenständliche finnische Regelung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses unter den Bedingungen, wie sie der Gerichtshof beispielsweise in seinen Urteilen Kraus(8) und Gebhard(9) festgelegt habe, zu rechtfertigen. Als Gründe kämen insbesondere der Konsumentenschutz und die öffentliche Ordnung in Betracht.
32.
    Die belgische Regierung verweist darauf, dass sich die schädlichen Folgen der Lotterien in individueller wie gesellschaftlicher Hinsicht in dem Staat, in dem der Spieler wohnhaft sei und nicht in jenem, wo der Lotterieschein gekauft worden sei, manifestierten. Es liege daher im Ermessen des finnischen Staates, diese schädlichen Folgen möglichst zu begrenzen, indem er nur jene Gewinne von der Steuer befreie, die bei den zur Veranstaltung von Lotterien autorisierten und kontrollierten Veranstaltern gemacht würden. In Finnland würden Lotterien von einer vom finnischen Staat kontrollierten Organisation durchgeführt. Damit werde eine Kanalisierungspolitik verfolgt, durch die Spieler vom „grauen Bereich“ des Glücksspiels ferngehalten werden sollten. Diese Politik laufe Gefahr, durch ausländische Lotterien untergraben zu werden. Nach dem Urteil Zenatti(10) reiche das Ziel der Verminderung der Gelegenheiten zum Glücksspiel aus, um eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen.
33.
    Außerdem enthielten die finnischen Rechtsvorschriften keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit. Unterschieden werde nämlich bei der Steuerbefreiung nicht nach der Staatsangehörigkeit, sondern danach, ob der Spieleveranstalter über eine Zulassung verfüge. Darüber hinaus seien die finnischen Vorschriften, die auf eine Begrenzung des Spieleangebots auf ein sozial verträgliches Maß abzielen würden, angesichts der Spielsucht, die Lotterien hervorrufen könnten, verhältnismäßig.
34.
    Die dänische Regierung teilt die dargelegten Rechtsauffassungen weitgehend. Sie weist außerdem darauf hin, dass sie hier deshalb Stellung nehme, weil eine Besteuerung von Lotterien, wie sie in Finnland vorgenommen werde, unter den Mitgliedstaaten allgemein üblich sei. Blieben die Gewinne aus ausländischen Lotterien steuerbefreit, würde dies die jeweils inländische Öffentlichkeit dazu verleiten, an solchen Lotterien teilzunehmen und die Rechtsvorschriften, die der betreffende Mitgliedstaat zum Schutz zwingender Allgemeininteressen erlassen habe und deren Rechtfertigung der Gerichtshof anerkannt habe, ihrer Wirksamkeit berauben, und zwar selbst dann, wenn die Lotterie auch in einem anderen Mitgliedstaat einer Reglementierung unterliege.
35.
    Die dänische Regierung betont, dass die gegenständlichen steuerlichen Vorschriften einen integralen Bestandteil der gesetzlichen Vorschriften bildeten, mit denen die Organisation und Vermarktung von Lotterien und anderen Glücksspielen geregelt und eingeschränkt werde und die der Gerichtshof aus einer Reihe von zwingenden Gründen des Allgemeininteresses als gerechtfertigt anerkannt habe. Gerade auch aufgrund der Möglichkeiten, die das Internet biete, könne das Verbot der Vermarktung von Glücksspielen nur mit Hilfe flankierender steuerlicher Maßnahmen wirksam bleiben.
36.
    Die niederländische Regierung führt aus, dass das Hauptziel der finnischen Regierung darin bestehe, jene Steuern einzuheben, die ihr gebühren. Wer als Steuerpflichtiger die Steuer abführe, sei nicht entscheidend. Finnland besteuere Spielgewinner entweder direkt oder gewissermaßen indirekt über den Spielveranstalter. Während also ein finnischer Gewinner in einer finnischen Lotterie seine Steuern bereits über den Spielveranstalter bezahlt habe, habe ein finnischer Gewinner einer ausländischen Lotterie, die als solche keiner Steuer in Finnland unterliege, noch keine Steuern entrichtet. Daraus folge, dass die finnischen Steuervorschriften keine diskriminierende Behandlung beinhalten und Artikel 49 EG nicht widersprechen würden.
37.
    Aber selbst wenn sie als diskriminierend anzusehen wären, so seien sie doch aus den in Artikel 46 EG angeführten Gründen mit Artikel 49 EG vereinbar, da diese Steuervorschriften der Bekämpfung der schädlichen Folgen von Glücksspielen dienten und nicht über das hinaus gingen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sei. Die Besteuerung von Gewinnen aus in einem anderen Mitgliedstaat organisierten Lotterien mit dem Effekt, dass deren Gewinnhöhe begrenzt werde, stelle die einzige Möglichkeit dar, das Interesse der Öffentlichkeit an solchen Spielen einzuschränken, ohne die Teilnahme daran vollständig zu verbieten.
38.
    Die norwegische Regierung verweist ebenso auf die Rechtfertigungsgründe des Artikels 46 EG und führt im Hinblick auf die öffentliche Ordnung aus, dass die Besteuerung von Spielgewinnen insbesondere auch der Bekämpfung der Geldwäsche diene. Gewinnscheine könnten nämlich von Personen gekauft werden, um gegenüber den Steuerbehörden die legale Herkunft des Geldes zu beweisen.
39.
    Die Kommission sowie die Überwachungsbehörde der EFTA sind dagegen der Ansicht, dass eine Besteuerung nur ausländischer Lotteriegewinne, wie in Finnland, diskriminierend sei und nicht durch Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden könne. Sie verstoße daher gegen Artikel 49 EG.
40.
    Die in Artikel 46 vorgesehenen Ausnahmen sind nach Ansicht der Kommission im vorliegenden Fall nämlich nicht anwendbar. Insbesondere hätten die gegenständlichen finnischen Rechtsvorschriften nicht den Zweck, die Tätigkeit des Glücksspiels unter dem Gesichtspunkt des Allgemeininteresses zu regeln oder den Einzelnen vor den Gefahren des Glücksspiels zu schützen. Die finnische Gesetzgebung bewirke vielmehr, dass nur Gewinne aus ausländischen Glücksspielen als steuerbare Einkommen anzusehen seien. Das Vorbringen der finnischen Regierung, die fragliche Regelung würde der öffentlichen Ordnung und Gesundheit dienen, sei, so hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung angemerkt, vage und weit hergeholt. Darüber hinaus könnten die vom Gerichtshof in den Rechtssachen Schindler, Läärä und Zenatti genannten Gründe keine direkte Diskriminierung, wie sie vorliegend der Fall sei, rechtfertigen. Aber selbst unter der Annahme, die finnischen Steuervorschriften wären nicht diskriminierend, dürften keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses zur Rechtfertigung der Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs vorliegen.
41.
    Schließlich verweist die Kommission auf das Urteil in der Rechtssache Fischer(11), wonach ein Mitgliedstaat gemäß dem Prinzip der steuerlichen Neutralität nicht Geschäfte mit unerlaubten Glücksspielen der Mehrwertsteuer unterwerfen dürfe, wenn die entsprechenden erlaubten Tätigkeiten von der Steuer befreit seien. A fortiori könne ein Mitgliedstaat gemäß dem Grundsatz der Nicht-Diskriminierung einen inländischen Gewinner, der an einem im Ausland veranstalteten Glücksspiel teilgenommen habe, nicht schlechter behandeln, als einen Gewinner eines nationalen Glücksspiels. Im Übrigen hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung auf den großen Unterschied bezüglich des Steuerniveaus hingewiesen, der zwischen der über den inländischen Veranstalter erhobenen Lotteriesteuer und der Einkommensteuer, welcher der Gewinner einer ausländischen Lotterie gegebenenfalls unterliege, bestehe. Außerdem könne es zu einer Doppelbesteuerung kommen, da auch die schwedische Lotterie einer Besteuerung unterliege.
42.
    Die Überwachungsbehörde der EFTA teilt im Wesentlichen die Auffassung der Kommission. Sie stellt fest, dass die finnischen Einkommensteuervorschriften in Bezug auf Lotteriegewinner nach dem Ort der Niederlassung des Dienstleistungserbringers differenzierten und daher die Dienstleistungsfreiheit der Spielveranstalter einschränkten. Die steuerliche Ungleichbehandlung in- und ausländischer Lotteriegewinne sei geeignet, finnische Spieler von der Teilnahme an ausländischen Lotterien abzuhalten.
43.
    Zweifellos würden die Mitgliedstaaten in der Regel in Glücksspielen Gefahren moralischer, religiöser oder kultureller Natur erblicken, doch sei es angesichts der Tatsache, dass es in Finnland mehrere nationale Lotterien gebe, fraglich, ob diese Erwägungen zur Begründung einer völlig anderen Behandlung ausländischer Lotterien herangezogen werden könnten. Diskriminierende nationale Rechtsvorschriften könnten überhaupt nur aus den in Artikel 46 EG genannten Gründen ausnahmsweise gerechtfertigt sein, doch lägen solche Gründe in Bezug auf die fraglichen Steuervorschriften nicht vor. V - Würdigung
44.
    Der Gerichtshof hatte schon mehrfach, und zwar in den Rechtssachen Schindler(12), Läärä(13) und Zenatti(14), über die Vereinbarkeit nationaler Bestimmungen im Bereich des Glücksspielwesens mit den Grundfreiheiten zu entscheiden.
45.
    Jedoch ist insbesondere auf zwei Unterschiede zu verweisen, die die vorliegende Rechtssache im Vergleich zu jenen Rechtssachen aufweist und denen bei der folgenden gemeinschaftsrechtlichen Beurteilung Rechnung zu tragen sein wird.
46.
    Zum einen steht im gegenständlichen Verfahren erstmals eine fiskalische Regelung betreffend Glücksspiele im Zusammenhang mit den Grundfreiheiten auf dem Prüfstand.
47.
    Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Erhebung der Einkommensteuer auf Gewinne aus Lotterien, die in anderen Mitgliedstaaten veranstaltet werden - während Gewinne aus Lotterien, die in dem betreffenden Mitgliedstaat veranstaltet werden, von der Einkommensteuer befreit sind -, mit der Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 49 EG vereinbar ist.
48.
    Zum anderen wurden in den bisher vom Gerichtshof entschiedenen Fällen der Dienstleistungsfreiheit im Bereich der Glücksspiele ausländische Dienstleistungserbringer bzw. deren Vertreter jeweils auf dem Gebiet bzw. auf dem Markt des Mitgliedstaats der Dienstleistungsempfänger tätig oder wurden vielmehr an solchen Tätigkeiten gehindert.
49.
    In der Rechtssache Schindler wurde den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats von einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Veranstalter einer Lotterie (bzw. von dessen Bevollmächtigtem) Werbematerial und Lose zugesandt, um sie an dieser Lotterie teilnehmen zu lassen(15).
50.
    In der Rechtssache Läärä ging es um die Aufstellung und den Betrieb von Glücksspielautomaten durch einen in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Betreiber(16).
51.
    In der Rechtssache Zenatti wurde über einen im Empfangsmitgliedstaat tätigen Vertreter die Teilnahme an Sportwetten eines ausländischen Veranstalters organisiert(17).
52.
    Insofern ging es in den genannten Rechtssachen jeweils um die staatliche Reglementierung betreffend Glücksspieltätigkeiten auf dem Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaats und dies vor allem unter dem Aspekt der Angebotskontrolle ebendort.
53.
    Dagegen geht es hier nicht um die Frage, inwieweit ein ausländischer Erbringer von Dienstleistungen im Glücksspielbereich in einem anderen Mitgliedstaat tätig werden darf. Eine Tätigkeit der schwedischen Lotterie in Finnland steht nicht zur Diskussion. Den Ausgangspunkt bildet hier vielmehr die Inanspruchnahme einer in einem anderen Mitgliedstaat angebotenen Dienstleistung. Es handelt sich dabei um eine Erscheinungsform der passiven Dienstleistungsfreiheit, da Frau Lindman während eines Aufenthalts in Schweden an der dortigen Lotterie teilgenommen hat(18).
54.
    Die Inanspruchnahme dieser Dienstleistung erfolgte im vorliegenden Fall aber offenbar eher aus Anlass denn als Ziel des Auslandsaufenthalts. Im Vordergrund stehen nämlich weniger Beschränkungen des Rechts einer Person, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, als vielmehr Beschränkungen, die die Freizügigkeit der Dienstleistung als solche betreffen, also Aspekte der „Produktfreizügigkeit“. Mit der gegenständlichen Konstellation vergleichbar wären daher auch Fälle, in denen sich jemand über Telefon, Fax oder Internet an einer von einem ausländischen Veranstalter angebotenen Lotterie beteiligt, um an dieser teilzunehmen; also auch reine Korrespondenzdienstleistungen, die aber im Unterschied zu jenen in der Rechtssache Schindler nicht mit Tätigkeiten ausländischer Erbringer von Lotteriedienstleistungen auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verbunden sind.A - Zur Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch die streitige Steuerregelung
55.
    Zunächst ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung zwar der Bereich der direkten Steuern als solcher beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fällt, dass aber die Mitgliedstaaten die ihnen verbliebenen Befugnisse unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen(19).
56.
    Wie der Gerichtshof bereits in der Rechtssache Schindler festgestellt hat(20), stellt die Veranstaltung einer Lotterie eine Dienstleistung im Sinne von Artikel 50 EG dar. Die gegenständliche Steuerregelung ist somit hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der Dienstleistungsfreiheit gemäß Artikel 49 EG zu untersuchen.
57.
    Nach ständiger Rechtsprechung verbietet Artikel 49 EG nicht nur jede Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistungserbringers aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern generell alle Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs.
58.
    Als derartige Beschränkungen sind sämtliche Maßnahmen - selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistungserbringer wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten - anzusehen, die geeignet sind, die Ausübung dieser Freiheit zu unterbinden, zu behindern oder auch nur weniger attraktiv zu machen(21).
59.
    Zwar hindert die streitige Besteuerung von Lotteriegewinnen finnische Staatsangehörige nicht schlechthin daran, an Lotterien in einem anderen Mitgliedstaat teilzunehmen. Diese Besteuerung lässt jedoch solche Lotterien zweifellos weniger attraktiv erscheinen als Lotterien, deren Gewinne von der Steuer befreit sind und ist daher geeignet, finnische Spieler von der Teilnahme an Lotterien im Ausland abzuhalten. Genau dies soll auch nach den Angaben der finnischen Regierung mit dieser steuerlichen Regelung bewirkt werden.
60.
    Die streitigen Steuervorschriften stellen daher grundsätzlich sowohl aus der Sicht der ausländischen Veranstalter von Lotterien als auch aus jener der finnischen Teilnehmer an diesen eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar(22).
61.
    Dies wird auch von den Regierungen, die in diesem Verfahren Erklärungen abgegeben haben, im Wesentlichen nicht bestritten.
62.
    Die streitigen Steuervorschriften können also nur mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar sein, wenn entsprechende Rechtfertigungsgründe vorliegen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Genüge getan wird.B - Zu den in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründen
63.
    Beeinträchtigungen der Dienstleistungsfreiheit können prinzipiell aus den in Artikel 46 EG, der über Artikel 55 EG anwendbar ist, ausdrücklich vorgesehenen Gründen des Allgemeininteresses oder entsprechend der Rechtsprechung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.
64.
    In den Urteilen Schindler, Läärä und Zenatti, auf die sich die beteiligten Regierungen hauptsächlich stützen, hat der Gerichtshof zwar auf die Rechtfertigungsgründe gemäß Artikel 46 EG verwiesen, hat dann jedoch keine gesonderte Prüfung auf der Grundlage dieser Bestimmung vorgenommen.
65.
    Vielmehr hat der Gerichtshof unter Hinweis auf die besonderen Merkmale von Glücksspielen und die spezifischen Gefahren, die mit der Veranstaltung von Glücksspielen verbunden sind - und die auch im vorliegenden Verfahren ausführlich zur Sprache kamen - zwingende Gründe des Allgemeininteresses anerkannt, die Beeinträchtigungen des freien Dienstleistungsverkehrs im Bereich des Glücksspielwesens rechtfertigen können.
66.
    Der Gerichtshof hat festgestellt, dass die in den obgenannten Rechtssachen angegebenen Gründe - wie die Verhinderung der Gefahr von Betrug und anderen Straftaten, der Ausnutzung der Spielleidenschaft und der Vermeidung schädlicher persönlicher und sozialer Folgen sowie die Zweckgebundenheit der erlangten Mittel für gemeinnützige und wohltätige Zwecke - nicht einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit zu würdigen seien, und diese Gründe dahin gehend zusammengefasst, dass sie sich „auf den Schutz der Empfänger der Dienstleistung und, allgemeiner, der Verbraucher sowie den Schutz der Sozialordnung“ bezögen(23).
67.
    Jedoch erscheint es im vorliegenden Fall zweifelhaft, ob die streitige Steuerregelung überhaupt durch - solche oder andere - zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann.
68.
    In ständiger Rechtsprechung wird im Zusammenhang mit diesen Rechtfertigungsgründen nämlich auf „unterschiedslos anwendbare“ Maßnahmen Bezug genommen(24).
69.
    So hat der Gerichtshof auch die nationalen Regelungen im Glücksspielbereich, für die er die beschriebenen zwingenden Gründe des Allgemeininteresses als Rechtfertigung anerkannt hat, jeweils als unterschiedslos auf die im Inland als auch auf die in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Wirtschaftsteilnehmer anwendbar qualifiziert(25).
70.
    Demgegenüber hat der Gerichtshof wiederholt festgestellt, dass diskriminierende Maßnahmen nur aus den Gründen gerechtfertigt sein können, die in Artikel 46 EG ausdrücklich vorgesehen sind(26).
71.
    Wie die finnische Regierung ausgeführt hat, hat sich Generalanwalt Jacobs in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Danner zwar für ein Abgehen von der Unterscheidung zwischen Rechtfertigungsgründen für diskriminierende und für unterschiedslos geltende Maßnahmen ausgesprochen(27), doch lässt sich dem entsprechenden Urteil nicht entnehmen, dass der Gerichtshof dieser Anregung gefolgt wäre, zumal er es unterlassen hat, die dort streitigen Maßnahmen ausdrücklich als diskriminierend zu qualifizieren(28).
72.
    Vielmehr hat der Gerichtshof erst kürzlich in seinem Urteil in der Rechtssache C-388/01 bestätigt, dass diskriminierende Maßnahmen - zumindest, wenn sie eine Unterscheidung aufgrund der Staatsangehörigkeit vorsehen -, „nur dann mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, wenn sie einer ausdrücklichen Ausnahmebestimmung wie Artikel 46 EG ... zugeordnet werden können, d. h. der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit“(29).
73.
    Nach wie vor ist also offenbar hinsichtlich der Rechtfertigungsmöglichkeiten zwischen die Dienstleistungsfreiheit zwar beschränkenden, aber unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen einerseits und diskriminierenden Maßnahmen andererseits zu unterscheiden, wenngleich sich dafür aus der Rechtsprechung keine eindeutigen Abgrenzungskriterien ergeben(30).
74.
    Festzuhalten ist jedenfalls, dass sich Artikel 46 EG im Zusammenhang mit den dort genannten Rechtfertigungsgründen auf „Sonderregelungen für Ausländer“ bezieht. Damit sind mit dieser Regelung zunächst ausdrücklich vor allem Maßnahmen angesprochen, die nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit - welchem im Falle eines Unternehmens dessen Sitz entspricht(31) - diskriminieren.
75.
    Der Gerichtshof hat sich in einigen Fällen im Zusammenhang mit diskriminierenden Maßnahmen aber auch auf den Ursprung der Dienstleistung bezogen(32).
76.
    Diskriminierende Regelungen im Bereich der Dienstleistungen anhand des Ursprungs der Dienstleistung, nicht anhand des Sitzes oder der Staatsangehörigkeit des Dienstleistungserbringers zu identifizieren, erscheint insbesondere in Fällen wie dem gegenständlichen als sachgerecht, in denen personenbezogenen Aspekten der Dienstleistungsfreiheit eine untergeordnete Rolle zukommt und es eher um die Dienstleistung als solche geht. Solche Erscheinungsformen der Dienstleistungsfreiheit weisen als „Produktfreizügigkeit“ eher Parallelen mit dem freien Warenverkehr - in dem es ebenfalls nicht auf das Kriterium der Staatsangehörigkeit ankommt - als mit dem freien Personenverkehr auf.
77.
    Insofern ist hier festzustellen, dass die streitige Einbeziehung in die Einkommensteuer durchwegs nur die Gewinne aus in anderen Mitgliedstaaten veranstalteten Lotterien betrifft, also Dienstleistungen mit Ursprung in anderen Mitgliedstaaten.
78.
    Der Hinweis der finnischen Regierung darauf, dass die fragliche Besteuerung der Lotteriegewinne nicht nur ausländische Lotterien, sondern auch alle Lotterien betreffe, die in Finnland ohne Genehmigung durchgeführt würden, ist meines Erachtens nämlich schon deshalb zurückzuweisen, weil legal veranstaltete Glücksspiele nicht mit illegalen Glücksspielen verglichen werden können.
79.
    Außerdem besteht im vorliegenden Fall - im Unterschied zu den Rechtssachen Schindler, Läärä und Zenatti, wo es um Glücksspieltätigkeiten im Mitgliedstaat der Dienstleistungsempfänger ging(33) - kein Zusammenhang mit einer Genehmigung oder Konzession zur Aufnahme von Tätigkeiten im Bereich der Lotterie in Finnland.
80.
    Im Übrigen kann ich auch nicht der von der finnischen, der belgischen und der niederländischen Regierung vertretenen Ansicht folgen, wonach die streitige Steuerregelung im Wesentlichen deshalb nicht diskriminierend sei, weil die inländischen Lotterieveranstalter der Lotteriesteuer unterlägen und somit Spielgewinne aus in- und ausländischen Lotterien im Ergebnis gleichermaßen besteuert würden.
81.
    Es handelt sich nämlich nicht um eine vergleichbare Besteuerung. Denn wie aus den Angaben der finnischen Regierung hervorgeht, entspricht die Höhe der von den finnischen Glücksspielveranstaltern zu entrichtenden Lotteriesteuer nicht der Höhe der Steuer, die von Lotteriegewinnern zu zahlen wäre, wenn solche Gewinne als einkommensteuerpflichtig anzusehen wären. Wie die Kommission ausgeführt hat, beläuft sich die Einkommensteuer auf bis zu 56 %, während die Lotteriesteuer nach den Angaben der finnischen Regierung sehr niedrig ist, sodass offenbar von einer geringeren Besteuerung von Gewinnen aus inländischen Lotterien im Vergleich zu jenen aus ausländischen Lotterien auszugehen ist.
82.
    Außerdem unterscheiden sich die Einkommensteuer und die Lotteriesteuer auch im Hinblick auf ihre Berechnung. Da nämlich ausländische Lotteriegewinne in die Bemessungsgrundlage für die progressiv gestaltete finnische Einkommensteuer einbezogen werden, hängt die tatsächliche Besteuerung dieser Gewinne letztlich von der Höhe des Gewinns und anscheinend auch von der Höhe der übrigen Einkünfte des finnischen Lotteriegewinners ab.
83.
    Insgesamt ist daher festzustellen, dass es sich bei der streitigen Steuerregelung im Unterschied zu den nationalen Vorschriften, um die es in den Rechtssachen Schindler, Läärä und Zenatti ging, nicht um eine Regelung handelt, die unterschiedslos anwendbar ist und die daher durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses zu rechtfertigen wäre. Vielmehr handelt es sich um eine diskriminierende Maßnahme, die nur aus den in Artikel 46 EG genannten Gründen gerechtfertigt sein kann.C - Zu den Gründen wirtschaftlicher Natur
84.
    Das Verhältnis von Staaten zum Glücksspielwesen könnte man im Allgemeinen als ambivalent charakterisieren: Einerseits sehen sie sich aufgrund der mit Glücksspielen verbundenen gesellschaftlichen Risiken traditionell dazu veranlasst, ordnend oder beschränkend in diesen Bereich einzugreifen, andererseits sind Glücksspiele in fiskalischer wie allgemein wirtschaftlicher Hinsicht für den öffentlichen Haushalt von großer Bedeutung.
85.
    Schon Generalanwalt Gulmann hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Schindler diese wirtschaftlichen Implikationen des Glücksspiels ausführlich erörtert und auf die zum Teil weitgehenden Folgen einer Liberalisierung in diesem Bereich für die öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten hingewiesen(34).
86.
    Dennoch können Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit gemeinschaftsrechtlich nur soweit hinnehmbar sein, als diese Beschränkungen mit den von den Mitgliedstaaten aufgrund der spezifischen Risiken des Glücksspiels verfolgten Ordnungs- und Schutzpolitiken zusammenhängen.
87.
    Denn auch wenn die Gewährleistung eines entsprechenden Spielraums der Mitgliedstaaten in diesem Bereich - wie er in den Urteilen Schindler, Läärä und Zenatti zum Ausdruck kam - im Endeffekt auch wirtschaftlichen Interessen bestimmter Mitgliedstaaten dienen mag, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gemeinschaftsrecht prinzipiell keine Handhabe für eine Aufrechterhaltung von Beschränkungen aus wirtschaftlichen oder protektionistischen Beweggründen bieten kann.
88.
    Dies geht als klare Konsequenz aus der ständigen Rechtsprechung hervor, wonach wirtschaftliche Gründe weder zu den Gründen des Artikels 46 EG noch zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zählen, die eine Beschränkung einer durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit rechtfertigen können(35).
89.
    Daraus folgt zunächst im vorliegenden Fall, dass die streitige Steuerregelung nicht bloß mit der Sicherstellung der Finanzierung bestimmter gemeinnütziger Zwecke gerechtfertigt werden kann.
90.
    Dies geht meines Erachtens auch aus dem Urteil Zenatti hervor, wo der Gerichtshof festgestellt hat, dass, obwohl es „nicht gleichgültig“ sei, dass Lotterien und andere Glücksspiele in erheblichem Maße zur Finanzierung gemeinnütziger oder im Allgemeininteresse liegender Tätigkeiten beitragen können, „dies allein nicht als sachliche Rechtfertigung von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit angesehen werden [kann]“(36).
91.
    Manche der beteiligten Regierungen haben auch mehr oder weniger explizit auf die Wahrung der Steuereinnahmen aus der Lotterie hingewiesen. Ganz allgemein kann jedoch die Notwendigkeit, einen Steuerausfall zu vermeiden - der beispielsweise dadurch entstünde, dass Spieler an Lotterien von Veranstaltern in anderen Mitgliedstaaten teilnehmen -, Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit weder gemäß Artikel 46 EG noch als zwingender Grund des Allgemeininteresses rechtfertigen(37).
92.
    Nicht als wirtschaftlicher Grund wäre dagegen die Wahrung der Kohärenz des Steuersystems anzusehen, mit welcher sich der Gerichtshof schon mehrfach im Zusammenhang mit Steuerregelungen, die den Bereich der Dienstleistungsfreiheit betreffen, auseinander gesetzt hat(38).
93.
    Aber abgesehen von der Problematik, ob dieser Rechtfertigungsgrund überhaupt bei diskriminierenden Maßnahmen wie der gegenständlichen greifen könnte, können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes steuerliche Ungleichbehandlungen nur dann aus Gründen der Kohärenz des Steuersystems gerechtfertigt sein, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den in Frage stehenden steuerlichen Maßnahmen besteht(39).
94.
    Im vorliegenden Fall kann man jedoch nicht von einem derartigen Zusammenhang zwischen der Besteuerung von Veranstaltern von finnischen Lotterien einerseits und der Einkommensteuerbefreiung von Gewinnern in diesen Lotterien andererseits sprechen.
95.
    Erstens handelt es sich nämlich um zwei getrennte Besteuerungen von verschiedenen Steuerpflichtigen und zweitens korreliert, wie ich bereits festgestellt habe, die von den finnischen Lotterieveranstaltern zu entrichtende Lotteriesteuer der Höhe nach nicht mit der Steuer, die von Gewinnern in finnischen Lotterien zu zahlen wäre, wenn diese Gewinne so besteuert würden, wie Gewinne aus ausländischen Lotterien.D - Zum Nachweis der Rechtfertigung der gegenständlichen Regelung und zur Verhältnismäßigkeit
96.
    Zumindest ein Teil der von der finnischen Regierung vorgebrachten Argumente lässt sich den in Artikel 46 EG angeführten Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und vor allem der Gesundheit zuordnen. Wie diese ausgeführt hat, soll die fragliche Regelung insbesondere die Spielleidenschaft eindämmen und die Gefahr der Geldwäsche und anderer Straftaten abwenden.
97.
    Eine nationale Maßnahme, mit der eine der durch den Vertrag garantierten Grundfreiheiten beschränkt wird, kann aber aus den in Artikel 46 EG genannten Gründen nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet.
98.
    Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet dies, dass eine solche Maßnahme geeignet sein muss, die Verwirklichung des mit ihr angestrebten Zieles zu gewährleisten und sie nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist; das gleiche Ergebnis darf also nicht durch weniger einschneidende Regelungen erreichbar sein(40).
99.
    Bevor ich auf Eignung und Erforderlichkeit der streitigen Maßnahme eingehe, möchte ich noch kurz gesondert auf eine gewisse Zweideutigkeit in der Argumentation der finnischen Regierung, aber auch der anderen beteiligten Regierungen, hinweisen.
100.
    Einerseits gingen die Rechtfertigungsvorbringen bezüglich der streitigen Besteuerung in die Richtung, dass die Besteuerung als solche bestimmten Zielen wie der Eindämmung der Spielleidenschaft diene.
101.
    Andererseits bestand der breitere Argumentationsrahmen wohl darin, dass die streitige Steuerregelung einen notwendigen Teil des finnischen Glücksspielregimes bilde, weil sie verhindere, dass die von einem Mitgliedstaat verfolgten Schutzzwecke bzw. die „Kanalisierungspolitik“ im Bereich der Glücksspiele, welche der Gerichtshof im Grunde als gerechtfertigt ansah, dadurch, dass an ausländischen Glücksspielen teilgenommen werden kann, unterlaufen werde.
102.
    Zu Letzterem ist festzustellen, dass der Gerichtshof es dem Ermessen eines Mitgliedstaats anheim gestellt hat, inwieweit dieser „auf seinem Gebiet im Bereich von Lotterien und anderen Glücksspielen Schutz gewähren will“(41).
103.
    Doch ist dies offenkundig so zu verstehen, dass die Mitgliedstaaten die Rahmenbedingungen und das Schutzniveau bezüglich der Erbringung von Glücksspieltätigkeiten auf ihrem Gebiet im Grunde nach ihren Vorstellungen regeln dürfen. In den Rechtssachen Schindler, Läärä und Zenatti ging es dabei insbesondere um die Angebotskontrolle(42). Diesbezüglich hat der Gerichtshof festgestellt, dass den staatlichen Stellen die Beurteilung zukomme, „ob es im Rahmen des angestrebten Zieles notwendig ist, derartige Tätigkeiten vollständig oder teilweise zu verbieten oder nur einzuschränken und dazu mehr oder weniger strenge Kontrollformen vorzusehen“(43). Dieses Ermessen geht aber wohl nicht so weit, dass ein Mitgliedstaat, wie im vorliegenden Fall, die bloße Teilnahme an einer in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten Lotterie behindern oder beschränken dürfte, die nicht mit Lotterietätigkeiten in seinem Gebiet bzw. auf seinem Markt verbunden ist.
104.
    In einem solchen Fall sind diese in dem anderen Mitgliedstaat angebotenen Lotteriedienstleistungen nämlich nicht oder nur mittelbar Teil des „Glücksspielangebots“ in dem betreffenden Mitgliedstaat, zu dessen Kontrolle oder Beschränkung dieser zweifellos befugt ist(44).
105.
    Was nun aber zunächst das Ziel der Verhinderung der Geldwäsche und anderer Straftaten betrifft, also den Schutz der öffentlichen Ordnung, so ist aus den Angaben der beteiligten Regierungen kaum ersichtlich, inwiefern die streitige Besteuerung ausländischer Lotteriegewinne zur Erreichung dieser Ziele geeignet oder erforderlich sein soll.
106.
    Die norwegische Regierung hat im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Geldwäsche darauf verwiesen, dass in Ermangelung der streitigen Besteuerung ausländische Gewinnscheine von Personen gekauft werden könnten, um gegenüber den Steuerbehörden die legale Herkunft des Geldes zu beweisen.
107.
    Zunächst ist eine Eignung der Besteuerung, solche Machenschaften zu verhindern, wohl nur insoweit gegeben, als Geldwäsche dadurch weniger attraktiv wird, dass die betreffenden illegalen Gelder zu versteuern wären. An der Geldwäschemöglichkeit als solcher änderte sich aber allein durch diese Maßnahme nichts.
108.
    Zur Erforderlichkeit der Besteuerung ausländischer Lotteriegewinne, um Geldwäsche in diesem Bereich zu verhindern, ist sodann festzustellen, dass diesbezüglich eher an einer Verifizierung des Bestehens der Lotteriegewinne, die prinzipiell genauso ohne Besteuerung dieser Gewinne vorgenommen werden könnte, anzusetzen wäre(45).
109.
    In diesem Lichte steht die generelle Besteuerung ausländischer Gewinne meiner Ansicht nach in keinem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel.
110.
    Was sodann das Ziel der Eindämmung der Spielleidenschaft, also den Gesundheitsschutz, betrifft, so lassen sich den Vorbringen der Beteiligten etwas konkretere Angaben entnehmen. Demnach soll offenbar insbesondere durch eine durch steuerliche Maßnahmen bewirkte Verringerung der Gewinnhöhe der Anreiz zum Spiel gemindert werden.
111.
    Da die Attraktivität einer Lotterie in einer Relation zur Höhe des möglichen Gewinns steht, ist die Eignung der streitigen Maßnahme zur Eindämmung der Spielleidenschaft grundsätzlich zu bejahen.
112.
    Jedoch sprechen mehrere Aspekte gegen eine Verhältnismäßigkeit bzw. Erforderlichkeit der streitigen Steuerregelung für Zwecke des Gesundheitsschutzes.
Im Übrigen beträfen diese Einwände großteils auch die Rechtfertigung der streitigen Maßnahme durch die im Verfahren genannten zwingenden Gründe des Allgemeininteresses.
113.
    Die Ausführungen der finnischen Regierung in ihrer schriftlichen Stellungnahme, dass sie die Besteuerung von Lotterien in Finnland möglichst gering halte, um die Finanzierung gemeinnütziger Tätigkeiten nicht zu gefährden, lassen sich nämlich mit den - im Wege der finnischen Steuerpolitik bezüglich der Lotterien - verfolgten Zielen der gesundheitspolitisch motivierten Eindämmung der Spielsucht kaum in Einklang bringen.
114.
    Generell lässt sich aus der Rechtsprechung zu Artikel 46 EG ableiten, dass die dort genannten Rechtfertigungsgründe es nicht zulassen, dass Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschränkungen mit zweierlei Maß messen. Im Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung hat der Gerichtshof festgestellt, dass ein Mitgliedstaat aus diesem Grund nicht Maßnahmen gegenüber einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats treffen darf „wegen eines Verhaltens, das für die Angehörigen des erstgenannten Mitgliedstaats keine repressiven oder anderen tatsächlichen und effektiven Maßnahmen zu seiner Bekämpfung zur Folge hätte(46). Umgelegt auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass aus Gründen der Bekämpfung der Spielleidenschaft in Bezug auf ausländische Lotterien insoferne nicht beschränkender vorgegangen werden darf, als in Bezug auf inländische Lotterien. So gesehen ist anzumerken, dass die finnische Regierung nicht auf mit der streitigen Regelung vergleichbare Maßnahmen der Bekämpfung der Spielsucht im Zusammenhang mit finnischen Lotterien verweisen konnte.
115.
    Die Lotteriesteuer, die der finnische Veranstalter einer Lotterie zu entrichten hat, ist mit der Besteuerung des Gewinns aus ausländischen Lotterien in ihrer (die Spielsucht eindämmenden) Wirkung schon deshalb kaum vergleichbar, weil sie offenbar von geringerer Höhe ist und vor allem, weil der Lotteriespieler sie nur indirekt aufzubringen hat. Zudem hat die finnische Regierung eingeräumt, dass es in Finnland bezüglich der Lotterien auch keine Begrenzung im Hinblick auf die Höhe des Spieleinsatzes gibt.
116.
    Wenn schließlich die finnische Regierung damit argumentiert, dass mit der Besteuerung von Gewinnen aus ausländischen Lotterien lediglich die fehlende steuerliche Belastung durch die Lotteriesteuer ausgeglichen werden soll, so müsste bei dieser Besteuerung auch berücksichtigt werden, ob die ausländische Lotterie nicht bereits in ihrem Herkunftsland steuerlichen Belastungen unterliegt. Sonst nämlich geht die streitige Maßnahme über das zur Erreichung des angegebenen Zieles notwendige Maß hinaus.
117.
    Hinsichtlich der Möglichkeit, dies zu überprüfen, kann, wie dies der Gerichtshof bereits mehrfach in ähnlich gelagerten Fällen getan hat, auf die Richtlinie 77/799/EWG(47) verwiesen werden, wonach ein Mitgliedstaat die zuständigen Behörden um alle Auskünfte ersuchen kann, die er für die ordnungsgemäße Festsetzung der Einkommensteuer benötigt(48). Durch die streitige steuerliche Regelung werden nämlich die Gewinne aus ausländischen Lotterien in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer einbezogen.
118.
    Somit ist festzustellen, dass die streitige Regelung nicht aus einem in Artikel 46 EG genannten Grund erforderlich ist.
119.
    Eine Rechtfertigung der streitigen Steuerregelung ist daher nicht gegeben.
120.
    Nach all dem ist festzustellen, dass Steuervorschriften wie jene, um die es hier geht, nicht mit Artikel 49 EG vereinbar sind. VI - Ergebnis
121.
    Demnach wird dem Gerichtshof vorgeschlagen, die Vorlagefrage wie folgt zu beantworten:Artikel 49 EG steht nationalen Vorschriften wie den finnischen entgegen, nach denen Lotteriegewinne aus Lotterien, die in anderen Mitgliedstaaten veranstaltet werden, bei der Einkommensbesteuerung als steuerpflichtige Einkünfte des Gewinners behandelt werden, während Lotteriegewinne aus Lotterien, die in dem betreffenden Mitgliedstaat veranstaltet werden, von der Einkommensteuer befreit sind.

1: -     Originalsprache: Deutsch.

2: -    Urteil vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-275/92 (Schindler, Slg. 1994, I-1039).

3: -    Urteil vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-124/97 (Läärä, Slg. 1999, I-6067).

4: -    Urteil vom 21. Oktober 1999 in der Rechtssache C-67/98 (Zenatti, Slg. 1999, I-7289).

5: -    Zitiert in Fußnote 2.

6: -    Zitiert in Fußnote 3.

7: -    Zitiert in Fußnote 4.

8: -    Urteil vom 31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92 (Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32).

9: -    Urteil vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94 (Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37).

10: -    Zitiert in Fußnote 4 (Randnr. 36).

11: -    Urteil vom 11. Juni 1998 in der Rechtssache C-283/95 (Fischer, Slg. 1998, I-3369).

12: -    Urteil zitiert in Fußnote 2.

13: -    Urteil zitiert in Fußnote 3.

14: -    Urteil zitiert in Fußnote 4.

15: -    Siehe das Urteil Schindler (zitiert in Fußnote 2), Randnr. 3.

16: -    Siehe das Urteil Läärä (zitiert in Fußnote 3), Randnr. 2.

17: -    Siehe das Urteil Zenatti (zitiert in Fußnote 4), Randnr. 2.

18: -    Nach ständiger Rechtsprechung schließt der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Leistungsempfänger ein, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkungen daran gehindert zu werden. Siehe u. a. die Urteile vom 28. Oktober 1999 in der Rechtssache C-55/98 (Vestergaard, Slg. 1999, I-7641, Randnr. 20), vom 29. April 1999 in der Rechtssache C-224/97 (Ciola, Slg. 1999, I-2517, Randnr. 11), vom 31. Januar 1984 in den verbundenen Rechtssachen 286/82 und 26/83 (Luisi und Carbone, Slg. 1984, 377, Randnr. 16) und vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 186/87 (Cowan, Slg. 1989, 195, Randnr. 15).

19: -    Vgl. u. a. die Urteile vom 3. Oktober 2002 in der Rechtssache C-136/00 (Danner, Slg. 2002, I-8147, Randnr. 28), vom 26. Oktober 1999 in der Rechtssache C-294/97 (Eurowings, Slg. 1999, I-7447, Randnr. 32) und vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache C-279/93 (Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnr. 21).

20: -     -    Urteil Schindler (zitiert in Fußnote 2), Randnr. 19.

21: -    Unter anderem die Urteile vom 13. Februar 2003 in der Rechtssache C-131/01 (Kommission/Italien, Slg. 2003, I-0000, Randnr. 26), vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-294/00 (Deutsche Paracelsus Schulen, Slg. 2002, I-6515, Randnr. 38), vom 3. Oktober 2000 in der Rechtssache C-58/98 (Corsten, Slg. 2000, I-7919, Randnr. 33), vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-272/94 (Guiot, Slg. 1996, I-1905, Randnr. 10), vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-43/93 (Vander Elst, Slg. 1994, I-3803, Randnr. 14) und vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90 (Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 12).

22: -    Vgl. z. B. das Urteil vom 28. April 1998 in der Rechtssache C-158/96 (Kohll, Slg. 1998, I-1931, Randnr. 35).

23: -    Siehe die Urteile Schindler (zitiert in Fußnote 2), Randnrn. 57 ff., Läärä (zitiert in Fußnote 3), Randnrn. 31 ff., und Zenatti (zitiert in Fußnote 4), Randnrn. 29 ff.

24: -    Vgl. u. a. die Urteile in der Rechtssache C-294/00 (zitiert in Fußnote 21), Randnr. 39, vom 4. Juli 2000 in der Rechtssache C-424/97 (Haim, Slg. 2000, I-5123, Randnr. 57), in der Rechtssache Zenatti (zitiert in Fußnote 4), Randnr. 29, und vom 30. November 1995 in der Rechtssache Gebhard (zitiert in Fußnote 9), Randnr. 37.

25: -    Siehe die Urteile Schindler (zitiert in Fußnote 2), Randnr. 47, Läärä (zitiert in Fußnote 3), Randnr. 28, und Zenatti (zitiert in Fußnote 4), Randnr. 26. Die in den beiden letztgenannten Rechtssachen streitigen nationalen Regelungen enthielten - anders als in der Rechtssache Schindler - kein generelles Verbot der dort jeweils fraglichen Tätigkeiten im Bereich des Glücksspiels, sondern behielten diese Tätigkeiten bestimmten (inländischen) Einrichtungen vor. Obwohl solche Regelungen unvermeidlich ausländische Dienstleistungserbringer benachteiligen bzw. deren Tätigkeit auf diesem Gebiet praktisch ausschließen, qualifizierte der Gerichtshof diese Regelungen dennoch als unterschiedslos anwendbar, weil die Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten jeweils alle - inländischen wie ausländischen - Wirtschaftsteilnehmer betrafen, die hierfür über keine Zulassung verfügten oder keine Genehmigung erhalten konnten.

26: -    Siehe die Urteile vom 29. April 1999 in der Rechtssache Ciola (zitiert in Fußnote 18), Randnr. 16, vom 14. November 1995 in der Rechtssache C-484/93 (Svensson, Slg. 1995, I-3955, Randnr. 15), vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-288/89 (Collectieve Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991, I-4007, Randnr. 11), vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-353/89 (Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-4069, Randnr. 15) und vom 26. April 1988 in der Rechtssache 352/85 (Bond van Adverteerders u. a., Slg. 1988, 2085, Randnr. 32). Vgl. auch meine Schlussanträge vom 10. Oktober 2002 in der Rechtssache C-388/01 (Kommission/Italien, Urteil vom 16. Januar 2003, Slg. 2003, I-0000, Nr. 35).

27: -    Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs vom 21. März 2002 in der Rechtssache C-136/00 (Urteil zitiert in Fußnote 19), Nrn. 40 und 41.

28: -     -    Urteil Danner (zitiert in Fußnote 19), Randnrn. 32 ff.

29: -    Urteil in der Rechtssache C-388/01 (zitiert in Fußnote 26), Randnr. 19.

30: -    So hat der Gerichtshof beispielsweise in seinem Urteil in der Rechtssache Ciola (zitiert in Fußnote 18), Randnr. 16, festgestellt, dass sich nach dem Wohnsitz des Empfängers diskriminierende Maßnahmen nur aufgrund einer ausdrücklich abweichenden Bestimmung des Vertrages mit dem Gemeinschaftsrecht rechtfertigen ließen, während er in seinem kürzlich ergangenen Urteil in der Rechtssache C-388/01 (zitiert in Fußnote 26), Randnr. 21, eine nach diesem Kriterium unterscheidende Maßnahme dahin gehend geprüft hat, ob sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist.

31: -    Vgl. bereits das Urteil vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 270/83 (Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 273, Randnr. 18).

32: -    Unter anderem die Urteile in den Rechtssachen Kommission/Niederlande (zitiert in Fußnote 26), Randnr. 15, und in der Rechtssache Bond van Adverteerders (zitiert in Fußnote 26), Randnr. 32.

33: -    Siehe oben, Nrn. 48 ff., und die Fußnote 25.

34: -    Schlussanträge vom 16. Dezember 1993 in der Rechtssache C-275/92 (Urteil zitiert in Fußnote 2), Nrn. 114 ff.

35: -    Vgl. u. a. die Urteile vom 16. Januar 2003 in der Rechtssache C-388/01 (zitiert in Fußnote 26), Randnr. 19, vom 21. November 2002 in der Rechtssache C-436/00 (X und Y, Slg. 2002, I-0000, Randnr. 50), vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C-35/98 (Verkooijen, Slg. 2000, I-4071, Randnr. 48), vom 28. April 1998 in der Rechtssache C-158/96 (zitiert in Fußnote 22), Randnr. 41, und vom 14. November 1995 in der Rechtssache Svensson (zitiert in Fußnote 26), Randnr. 15.

36: -    Urteil Zenatti (zitiert in Fußnote 4), Randnr. 36, vgl. aber auch das Urteil in der Rechtssache 352/85 (zitiert in Fußnote 26), Randnr. 34.

37: -    Vgl. die Urteile vom 3. Oktober 2002 in der Rechtssache C-136/00 (zitiert in Fußnote 19), Randnr. 56, und vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-307/97 (Saint-Gobain, Slg. 1999, I-6161, Randnr. 51).

38: -    Siehe z. B. das Urteil vom 6. Juni 2000 in der Rechtssache C-35/98 (zitiert in Fußnote 35), Randnrn. 48 und 56, und die in der folgenden Fußnote genannten Urteile.

39: -    Siehe die Urteile vom 3. Oktober 2002 in der Rechtssache C-136/00 (zitiert in Fußnote 19), Randnr. 36, vom 8. März 2001 in den verbundenen Rechtssachen C-397/98 und C-410/98 (Metallergesellschaft Ltd u. a., Slg. 2001, I-1727, Randnr. 69) und in der Rechtssache Verkooijen (zitiert in Fußnote 35), Randnr. 57.

40: -    In diesem Sinne u. a. die Urteile des Gerichtshofes vom 26. November 2002 in der Rechtssache C-100/01 (Olazabal, Slg. 2002, I-0000, Randnr. 43), vom 9. Juli 1997 in den verbundenen Rechtssachen C-34/95, C-35/95 und C-36/95 (De Agostini, Slg. 1997, I-3843, Randnr. 55), vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94 (zitiert in Fußnote 9), Randnr. 37, und vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-353/89 (zitiert in Fußnote 26), Randnr. 19.

41: -    Siehe das Urteil Zenatti (zitiert in Fußnote 4), Randnr. 33.

42: -    Siehe Fußnote 25.

43: -    Urteil Zenatti (zitiert in Fußnote 4), Randnr. 33.

44: -    Vgl. dazu Generalanwalt Fennelly in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache C-67/98 (Urteil zitiert in Fußnote 4), Nr. 33.

45: -    Schließlich dürften Geldwäscheaktivitäten aufseiten der Teilnehmer an Lotterien anders als aufseiten der Veranstalter derselben - die deshalb zu Recht in der Regel einer entsprechenden Kontrolle bzw. einem Konzessionssystem unterliegen - in größerem Umfang schwierig sein. Zum einen müssten wohl zunächst Verkäufer von - ausländischen - Lotteriescheinen ausfindig gemacht werden, mit denen ein entsprechender Betrag gewonnen wurde. Zum anderen würden besonders hohe oder - eher noch - häufige Gewinne in einem Glücksspiel wie der Lotterie wohl nicht unbemerkt bleiben.

46: -    Urteil in der Rechtssache C-100/01 (zitiert in Fußnote 40), Randnr. 42; siehe auch das Urteil vom 18. Mai 1992 in den Rechtssachen 115/81 und 116/81 (Adoui und Cornuaille, Slg. 1982, 1665, Randnr. 9).

47: -    Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern (ABl. L 336, S. 15).

48: -    Vgl. die Urteile vom 3. Oktober 2002 in der Rechtssache C-136/00 (zitiert in Fußnote 19), Randnr. 49, vom 28. Oktober 1999 in der Rechtssache Vestergaard (zitiert in Fußnote 18), Randnr. 26, vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C-250/95 (Futura Participations, Slg. 1997, I-2471, Randnr. 30) und vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-80/94 (Wielockx, Slg. 1995, I-2493, Randnr. 26).




URTEIL DES GERICHTSHOFES
21. Oktober 1999 (1)
„Dienstleistungsfreiheit - Annahme von Wetten“

In der Rechtssache C-67/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom italienischen Consiglio di Stato in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Questore di Verona
gegen
Diego Zenatti
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über eine Frage nach der Auslegung der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, D. A. O. Edward und R. Schintgen sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, J.-P. Puissochet (Berichterstatter), G. Hirsch, P. Jann und H. Ragnemalm,
Generalanwalt: N. Fennelly

Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
-    der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato D. Del Gaizo,
-    des Herrn Zenatti, vertreten durch die Rechtsanwälte R. Torrisi Rigano, Catania, und A. Pascerini, Bologna,
-    der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
-    der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,
-    der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. I. Fernandes, Leiter des Juristischen Dienstes der Generaldirektion für die Europäischen Gemeinschaften des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, M. L. Duarte, Rechtsberaterin in dieser Direktion, und A. P. Barros, juristische Koordinatorin der Abteilung Spiele der Santa Casa de Misericórdia de Lisboa, als Bevollmächtigte,
-    der finnischen Regierung, vertreten durch Botschafter H. Rotkirch, Leiter der Abteilung für Rechtsangelegenheiten im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, und T. Pynnä, Rechtsberaterin im selben Ministerium, als Bevollmächtigte,
-    der schwedischen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Brattgård, Juristisches Sekretariat (EU) im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
-    der norwegischen Regierung, vertreten durch J. Bugge-Mahrt, stellvertretender Generaldirektor im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
-    der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Patakia und L. Pignataro, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der italienischen Regierung, vertreten durch D. Del Gaizo, des Herrn Zenatti, vertreten durch Rechtsanwälte R. Torrisi Rigano und A. Pascerini, der belgischen Regierung, vertreten durch Rechtsanwalt P. Vlaemminck, Gent, der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad, der französischen Regierung, vertreten durch F. Million, Beauftragter der juristischen Abteilung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der portugiesischen Regierung, vertreten durch M. L. Duarte, der finnischen Regierung, vertreten durch H. Rotkirch und T. Pynnä, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse, Ministerialrat im Juristischen Sekretariat (EU) im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten und der Kommission, vertreten durch M. Patakia und L. Pignataro, in der Sitzung vom 10. März 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Mai 1999,
folgendes

Urteil

1.
    Der Consiglio di Stato hat mit Beschluß vom 20. Januar 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 13. März 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Vereinbarkeit nationaler Rechtsvorschriften, die von Ausnahmen abgesehen die Annahme von Wetten verbieten und bestimmten Einrichtungen das Recht vorbehalten, die erlaubten Wetten zu organisieren, mit den Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit gestellt.
2.
    Diese Frage wurde im Rahmen einer Anfechtungsklage des Klägers Zenatti gegen eine Verfügung des Questore di Verona (Polizeipräfekt der Provinz Verona) gestellt, mit der ihm die Fortführung seiner Tätigkeit als italienischer Mittelsmann einer Gesellschaft mit Sitz im Vereinigten Königreich, die auf den Abschluß von Wetten über Sportereignisse spezialisiert ist, verboten wurde. Der rechtliche Rahmen
3.
    Nach Artikel 88 des Königlichen Dekrets Nr. 773 vom 18. Juni 1931 über die Annahme der kodifizierten Fassung der Gesetze über die öffentliche Sicherheit (GURI Nr. 146 vom 26. Juni 1931; nachfolgend: Königliches Dekret) kann eine „Genehmigung für den Abschluß von Wetten ... nicht erteilt werden, es sei denn, es handelt sich um Wetten bei Rennen, Regatten, Ballspielen oder ähnlichen Wettkämpfen, sofern der Abschluß der Wetten eine notwendige Voraussetzung für die zweckentsprechende Durchführung des Wettkampfs ist.“
4.
    Aus der Antwort der italienischen Regierung auf die vom Gerichtshof gestellte Frage nach den Anwendungsmodalitäten dieser Ausnahme geht hervor, daß die Wetten entweder das Ergebnis von Sportereignissen, die unter der Kontrolle des Comitato olimpico nazionale italiano (nationales olympisches Komitee; nachfolgend: CONI) stattfinden, oder das Ergebnis von Pferderennen betreffen dürfen, die durch Vermittlung der Unione nazionale incremento razze equine (nationaler Verband zur Verbesserung der Pferderassen; nachfolgend: UNIRE) organisiert werden. Die Verwendung der Gelder, die aus den Wetten stammen und diesen beiden Einrichtungen zugeteilt werden, ist gesetzlich geregelt und soll es vor allem gestatten, die Entwicklung sportlicher Aktivitäten durch Investitionen in die Infrastruktur im Bereich des Sports, insbesondere in den ärmsten Regionen und in den Außenbezirken der großen Städte zu fördern, sowie den Pferdesport und die Pferdezucht zu unterstützen. Nach verschiedenen von 1995 bis 1997 erlassenen Rechtsvorschriften dürfen die Veranstaltung und der Abschluß von Wetten, die dem CONI und der UNIRE vorbehalten sind, nach einem Ausschreibungsverfahren und gegen Zahlung der entsprechenden Lizenzgebühren an Personen oder Einrichtungen vergeben werden, die die geeigneten Sicherheiten bieten.
5.
    Nach Artikel 718 des italienischen Strafgesetzbuchs (Codice penale) ist die Ausübung oder Veranstaltung eines Glücksspiels strafbar. Artikel 4 des Gesetzes Nr. 401 vom 13. Dezember 1989 (GURI Nr. 401 vom 18. Dezember 1989) verbietet die rechtswidrige Teilnahme an der Veranstaltung von Spielen oder Wetten, die dem Staat oder Unternehmen vorbehalten sind, die über eine Konzession hierfür verfügen. Außerdem fallen die nicht genehmigten Spiele und Wetten unter Artikel 1933 des Zivilgesetzbuchs (Codice civile), dem zufolge eine Spiel- oder Wettschuld nicht einklagbar ist. Dagegen kann das freiwillig Geleistete außer im Betrugsfall nicht zurückgefordert werden. Das Ausgangsverfahren
6.
    Seit dem 29. März 1997 ist der Kläger als italienischer Mittelsmann der SSP Overseas Betting Limited (nachfolgend: Overseas), eines amtlich zugelassenen Buchmachers mit Sitz in London, tätig. Seine Aufgabe ist es, für die italienischen Kunden von Overseas ein Übertragungszentrum für Daten betreffend Wetten über sportliche Ereignisse im Ausland zu betreiben. Er schickt von den Kunden ausgefüllte Formulare, begleitet von einer Fotokopie der Banküberweisungen, per Fax oder Internet nach London und erhält andere Faxbriefe von Overseas, um sie an dieselben Kunden weiterzuleiten.
7.
    Mit Verfügung vom 16. April 1997 untersagte der Questore di Verona dem Kläger seine Tätigkeit mit der Begründung, daß sie nicht nach Artikel 88 des Königlichen Dekrets genehmigt werden könne, der die Erteilung einer Genehmigung für die Annahme von Wetten nur dann erlaube, wenn der Abschluß von Wetten eine notwendige Voraussetzung für die erfolgreiche Durchführung des Wettkampfs sei.
8.
    Der Kläger erhob gegen diese Verfügung Anfechtungsklage vor dem Tribunale amministrativo regionale del Veneto und beantragte im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, deren Durchführung auszusetzen. Mit Beschluß vom 9. Juli 1997 setzte das Tribunale amministrativo die Geltung der streitigen Verfügung vorläufig aus.
9.
    Der Questore di Verona legte gegen diesen Beschluß ein Rechtsmittel zum Consiglio di Stato ein.
10.
    Der Consiglio di Stato vertritt die Auffassung, zur Entscheidung des Rechtsstreits sei die Auslegung der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit erforderlich. Zwar seien die im Urteil des Gerichtshofes vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-275/92 (Schindler, Slg. 1994, I-1039) festgehaltenen Grundsätze - Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit stünden Rechtsvorschriften wie den britischen Lotterievorschriften unter Berücksichtigung der Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung, die diese Vorschriften rechtfertigten, nicht entgegen - wohl analog auf die italienischen Vorschriften über Wetten anwendbar.
11.
    Da jedoch noch kein Urteil des Gemeinschaftsgerichts über Regelungen dieser Art ergangen sei, hält sich der Consiglio di Stato, dessen Entscheidungen nicht anfechtbar sind, nach Artikel 177 EG-Vertrag für verpflichtet, den Gerichtshof anzurufen. Deshalb hat er dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Stehen die Bestimmungen des Vertrages über den Dienstleistungsverkehr einer Regelung wie der italienischen über die Wetten unter Berücksichtigung der Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung entgegen?
Zur Vorabentscheidungsfrage
12.
    Sowohl die italienische Regierung, für die die Avvocatura generale dello Stato Erklärungen abgegeben hat, die den Questore di Verona vor dem Consiglio di Stato vertritt, und alle anderen Regierungen als auch die Kommission sind der Ansicht, die Ausführungen im Urteil Schindler erlaubten es, die gestellte Frage zu verneinen.
13.
    Der Kläger hingegen meint, die Annahme von Wetten über Sportereignisse sei nicht mit der Veranstaltung von Lotterien gleichzusetzen, um die es im UrteilSchindler gegangen sei, insbesondere, weil Wetten keine reinen Glücksspiele seien, sondern Spiele, in denen der Wetter das Ergebnis mit seiner Geschicklichkeit bestimmen müsse. Außerdem genüge der schlichte Verweis des vorlegenden Gerichts auf Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung nicht, um die im Ausgangsverfahren streitigen Rechtsvorschriften zu rechtfertigen.
14.
    In Randnummer 60 des Urteils Schindler hat der Gerichtshof die sittlichen, religiösen oder kulturellen Erwägungen, die in allen Mitgliedstaaten zu Lotterien ebenso wie zu den anderen Glücksspielen angestellt würden, betont. Die nationalen Rechtsvorschriften seien allgemein darauf gerichtet, die Ausübung von Glücksspielen zu begrenzen oder sogar zu verbieten und zu verhindern, daß sie zu einer Quelle persönlicher Bereicherung würden. Außerdem erhöhten Lotterien angesichts der Höhe der Beträge, die durch sie eingenommen werden könnten, und der Höhe der Gewinne, die sie den Spielern bieten könnten, vor allem wenn sie in größerem Rahmen veranstaltet würden, die Gefahr von Betrug und anderen Straftaten. Weiter verleiteten sie zu Ausgaben, die schädliche persönliche und soziale Folgen haben könnten. Schließlich sei nicht ohne Bedeutung, auch wenn dies nicht allein als sachliche Rechtfertigung angesehen werden könnte, daß Lotterien in erheblichem Maße zur Finanzierung gemeinnütziger oder im Allgemeininteresse liegender Tätigkeiten wie sozialer oder karitativer Werke, des Sports oder der Kultur beitragen könnten.
15.
    Nach Randnummer 61 desselben Urteils rechtfertigen diese Besonderheiten ein Ermessen der staatlichen Stellen bei der Festlegung der Anforderungen, die wegen des Schutzes der Spieler und, ganz allgemein, nach Maßgabe der soziokulturellen Besonderheiten jedes Mitgliedstaats wegen des Schutzes der Sozialordnung an Art und Weise der Veranstaltung von Lotterien, die Höhe der Einsätze sowie die Verwendung der dabei erzielten Gewinne zu stellen sind. Damit komme dieser Stelle nicht nur die Beurteilung der Frage zu, ob eine Beschränkung der Tätigkeiten im Lotteriewesen erforderlich sei, sondern sie dürften diese auch verbieten, sofern diese Beschränkungen nicht diskriminierend seien.
16.
    Auch wenn das Urteil Schindler die Veranstaltung von Lotterien betrifft, gelten, wie übrigens aus dem Wortlaut von Randnummer 60 dieses Urteils hervorgeht, seine Erwägungen gleichermaßen für andere Spiele um Geld, die vergleichbare Merkmale aufweisen.
17.
    Zwar hat der Gerichtshof es in seinem Urteil vom 26. Juni 1997 in der Rechtssache C-368/95 (Familiapress, Slg. 1997, I-3689) abgelehnt, bestimmte Spiele mit den Lotterien, die die im Urteil Schindler untersuchten Merkmale aufwiesen, gleichzusetzen. Dabei handelte es sich um Preisausschreiben, zu denen in Zeitschriften in Form von Kreuzwort- und anderen Rätseln aufgefordert wurde und bei denen einige der Leser, die die erwarteten Antworten gegeben hatten, aufgrund einer Verlosung Preise gewinnen konnten. Wie der Gerichtshof insbesondere in Randnummer 23 dieses Urteils festgestellt hat, stellen derartige Spiele, die in kleinem Rahmen veranstaltet werden und bei denen der Einsatz gering ist, keineunabhängige wirtschaftliche Betätigung dar, sondern nur einen Bestandteil des redaktionellen Inhalts einer Zeitschrift unter anderen.
18.
    Im vorliegenden Fall hingegen bieten Wetten über Sportwettkämpfe wie reine Glücksspiele, mit denen sie im übrigen nicht gleichgestellt werden können, als Gegenleistung für einen Einsatz eine Chance auf einen Geldgewinn. In Anbetracht der Höhe der Beträge, die dabei eingenommen werden können, und der Gewinne, die sie den Spielern bieten können, sind sie mit denselben Gefahren von Betrug und anderen Straftaten verbunden und können dieselben schädlichen persönlichen und sozialen Folgen haben.
19.
    Daher müssen die im Ausgangsverfahren streitigen Wetten als Glücksspiele angesehen werden, die mit den im Urteil Schindler behandelten Lotterien vergleichbar sind.
20.
    Allerdings unterscheidet sich der vorliegende Fall wenigstens in zwei Aspekten vom Fall Schindler.
21.
    Zum einen ist die Reichweite der streitigen Rechtsvorschriften in den beiden Fällen unterschiedlich, auch wenn sie jeweils die betreffenden Geschäfte vorbehaltlich von Ausnahmen verbieten. Wie der Generalanwalt in Ziffer 24 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, verbieten die im Ausgangsverfahren streitigen Rechtsvorschriften die Annahme von Wetten nicht vollständig, sondern behalten bestimmten Einrichtungen das Recht vor, sie unter bestimmten Voraussetzungen zu veranstalten, während die nationalen Rechtsvorschriften, die im Urteil Schindler untersucht wurden, ein vollständiges Verbot der streitigen Spiele, nämlich der großen Lotterien, enthielten.
22.
    Zum anderen könnten, wie in einigen der dem Gerichtshof vorgelegten Erklärungen festgestellt wurde, die Bestimmungen des EG-Vertrags über das Niederlassungsrecht mit Rücksicht auf die Art der Beziehungen zwischen dem Kläger und der Firma Overseas, als deren Mittelsmann er handelt, auf einen Fall wie den im Ausgangsverfahren streitigen Anwendung finden.
23.
    Da sich die Frage des vorlegenden Gerichts jedoch auf die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit beschränkt, ist es nicht angebracht, die Anwendbarkeit anderer Bestimmungen des EG-Vertrags zu erörtern.
24.
    Wie der Gerichtshof im Urteil Schindler zur Veranstaltung von Lotterien entschieden hat, finden die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit Anwendung auf eine Tätigkeit, die es den Interessenten ermöglicht, gegen Bezahlung an einem Glücksspiel teilzunehmen. Demnach fällt eine solche Tätigkeit in den Anwendungsbereich von Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG), sobald wenigstens einer der Leistungsanbieter ineinem anderen Staat als dem niedergelassen ist, in dem die Leistung angeboten wird.
25.
    Nun handelt es sich bei den im Ausgangsverfahren streitigen Leistungen um solche, die der Veranstalter der Wetten und seine Bevollmächtigten erbringen, indem sie die Wetter an einem Glücksspiel teilnehmen lassen, das ihnen eine Gewinnchance bietet. Diese Leistungen werden regelmäßig gegen ein Entgelt erbracht, das durch Zahlung des gewetteten Betrages geleistet wird, und sie weisen einen grenzüberschreitenden Charakter auf.
26.
    Weder die Parteien des Ausgangsverfahrens noch die Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, noch die Kommission bezweifeln, daß die italienischen Rechtsvorschriften, die die Annahme von Wetten jeder Person oder jeder Einrichtung mit Ausnahme derjenigen verbieten, die hierfür eine Genehmigung erhalten können, auf mögliche Interessenten ohne Unterschied danach anwendbar ist, ob sie in Italien oder in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen sind.
27.
    Allerdings stellen solche Rechtsvorschriften dadurch, daß sie die Veranstalter aus anderen Mitgliedstaaten direkt oder indirekt daran hindern, selbst Wetten auf italienischem Boden anzunehmen, ein Hindernis für die Dienstleistungsfreiheit dar.
28.
    Deswegen ist zu untersuchen, ob diese Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit im EG-Vertrag ausdrücklich zugelassen ist oder entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofes mit zwingenden Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt werden kann.
29.
    Die Artikel 55 EG-Vertrag (jetzt Artikel 45 EG) und 56 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 46 EG), auf die Artikel 66 EG-Vertrag (jetzt Artikel 55 EG) verweist, lassen Beschränkungen zu, wenn die Tätigkeiten auch nur zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, oder soweit sie durch Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Außerdem sind nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. in diesem Sinne das Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-288/89, Collectieve Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991, I-4007, Randnrn. 13 bis 15) Hindernisse für die Dienstleistungsfreiheit, die sich aus unterschiedslos anwendbaren nationalen Maßnahmen ergeben, nur dann zulässig, wenn diese Maßnahmen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, wenn sie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen angestrebten Zieles zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hierfür Erforderliche hinausgehen.
30.
    Nach den Angaben im Vorlagebeschluß und in den Erklärungen der italienischen Regierung verfolgen die im Ausgangsverfahren streitigen Rechtsvorschriften Ziele, die den von den britischen Rechtsvorschriften über Lotterien angestrebten entsprechen, wie sie vom Gerichtshof im Urteil Schindler festgestellt wurden. Die italienischen Rechtsvorschriften zielen nämlich darauf, zu verhindern, daß dieseSpiele zu einer Quelle persönlicher Bereicherung werden, die Gefahr von Betrug und anderen Straftaten sowie schädliche, persönliche und soziale Folgen durch den von ihnen ausgeübten Anreiz zu Ausgaben zu vermeiden und sie nur insoweit zuzulassen, als sie von gesellschaftlichem Nutzen für die zweckentsprechende Durchführung eines Sportwettkampfs sind.
31.
    Wie der Gerichtshof in Randnummer 58 des Urteils Schindler ausgeführt hat, sind diese Gründe in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Sie beziehen sich auf den Schutz der Empfänger der Dienstleistung und ganz allgemein der Verbraucher sowie den Schutz der Sozialordnung. Diese Ziele gehören zu denen, die als zwingende Gründe des Allgemeinwohls angesehen werden können (Urteile vom 18. Januar 1979 in den verbundenen Rechtssachen 110/78 und 111/78, Van Wesemael u. a., Slg. 1979, 35, Randnr. 28, vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 220/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 3663, Randnr. 20, und vom 24. Oktober 1978 in der Rechtssache 15/78, Société générale alsacienne de banque, Slg. 1978, 1971, Randnr. 5). Hinzukommen muß, wie in Randnummer 29 ausgeführt, daß die auf solche Gründe gestützten Maßnahmen geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen angestrebten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hierfür Erforderliche hinausgehen.
32.
    Wie in Randnummer 21 festgestellt, unterscheiden sich die italienischen Rechtsvorschriften über Wetten von den im Urteil Schindler streitigen Rechtsvorschriften insbesondere dadurch, daß sie die betreffenden Geschäfte nicht vollständig verbieten, sondern sie bestimmten Einrichtungen unter bestimmten Voraussetzungen vorbehalten.
33.
    Inwieweit ein Mitgliedstaat auf seinem Gebiet im Bereich von Lotterien und anderen Glücksspielen Schutz gewähren will, steht jedoch in dem Ermessen, das der Gerichtshof den nationalen Stellen in Randnummer 61 des Urteils Schindler zuerkannt hat. Ihnen obliegt es nämlich, zu beurteilen, ob es im Rahmen des verfolgten Zieles notwendig ist, Tätigkeiten dieser Art vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck bestimmte Kontrollen vorzusehen.
34.
    Daher ist es für die Beurteilung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen ohne Belang, daß ein Mitgliedstaat andere Schutzregelungen als ein anderer Mitgliedstaat erlassen hat. Diese sind allein im Hinblick auf die von den nationalen Stellen des betroffenen Mitgliedstaats verfolgten Ziele und auf das Schutzniveau zu beurteilen, das sie gewährleisten sollen.
35.
    Entsprechend den Ausführungen des Gerichtshofes in Randnummer 37 des Urteils vom 21. September 1999 in der Rechtssache C-124/97 (Läärä, Slg. 1999, I-0000) zu Geldspielautomaten genügt auch hier die Tatsache, daß die streitigen Wetten nicht vollständig verboten sind, entgegen der Ansicht des Klägers nicht für den Nachweis,daß die nationale Regelung die am Allgemeininteresse ausgerichteten Ziele, die in ihr aufgeführt werden und die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind, nicht wirklich zu erreichen sucht. Denn eine begrenzte Erlaubnis von Glücksspielen im Rahmen von - bestimmten Einrichtungen gewährten oder zur Konzession erteilten - besonderen oder Ausschließlichkeitsrechten, die den Vorteil bietet, die Spiellust und den Betrieb der Spiele in kontrollierte Bahnen zu lenken, die Risiken eines solchen Betriebes im Hinblick auf Betrug und andere Straftaten auszuschalten und die sich daraus ergebenden Gewinne gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, dient auch der Verwirklichung dieser Ziele.
36.
    Wie jedoch der Generalanwalt in Nummer 32 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, ist eine solche Begrenzung nur zulässig, wenn sie in erster Linie wirklich dem Ziel dient, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, und wenn die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf die Einnahmen aus genehmigten Spielen nur eine erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist. Denn obwohl es, wie der Gerichtshof in Randnummer 60 des Urteils Schindler festgestellt hat, nicht gleichgültig ist, daß Lotterien und andere Glücksspiele in erheblichem Maße zur Finanzierung gemeinnütziger oder im Allgemeininteresse liegender Tätigkeiten beitragen können, kann dies allein nicht als sachliche Rechtfertigung von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit angesehen werden.
37.
    Es ist Sache des nationalen Gerichts, zu überprüfen, ob die nationalen Rechtsvorschriften angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten wirklich Zielen dienen, mit denen sie gerechtfertigt werden können, und ob die in ihnen enthaltenen Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen.
38.
    Nach alledem ist auf die Vorabentscheidungsfrage zu antworten, daß die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit nationalen Rechtsvorschriften wie den italienischen, die bestimmten Einrichtungen das Recht zur Annahme von Wetten über Sportereignisse vorbehalten, nicht entgegenstehen, wenn diese Rechtsvorschriften tatsächlich durch Ziele der Sozialpolitik, nämlich die Beschränkung der schädlichen Wirkungen solcher Aktivitäten, gerechtfertigt sind, und wenn die in ihnen enthaltenen Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen. Kosten
39.
    Die Auslagen der italienischen, der belgischen, der deutschen, der spanischen, der französischen, der finnischen, der schwedischen und der norwegischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Consiglio di Stato mit Beschluß vom 20. Januar 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Die Bestimmungen des EG-Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit stehen nationalen Rechtsvorschriften wie den italienischen, die bestimmten Einrichtungen das Recht zur Annahme von Wetten über Sportereignisse vorbehalten, nicht entgegen, wenn diese Rechtsvorschriften tatsächlich durch Ziele der Sozialpolitik, nämlich die Beschränkung der schädlichen Wirkungen solcher Aktivitäten, gerechtfertigt sind, und wenn die in ihnen enthaltenen Beschränkungen nicht außer Verhältnis zu diesen Zielen stehen.
Rodríguez Iglesias

Moitinho de Almeida

Edward
Schintgen


Kapteyn

Puissochet
Hirsch


Jann

Ragnemalm
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Oktober 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias

1: Verfahrenssprache: Italienisch.



URTEIL DES GERICHTSHOFES
21. September 1999 (1)
„Freier Dienstleistungsverkehr — Ausschließliches Recht zum Betrieb vonGeldspielautomaten“

In der Rechtssache C-124/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234EG) vom Vaasan Hovioikeus (Finnland) in dem bei diesem Gericht anhängigenRechtsstreit
Markku Juhani Läärä,
Cotswold Microsystems Ltd,
Oy Transatlantic Software Ltd
gegen
Kihlakunnansyyttäjä (Jyväskylä),
Suomen valtio (Finnischer Staat )
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Urteils desGerichtshofes vom 24. März 1994 in der Rechtssache C-275/92 (Schindler, Slg.1994, I-1039) sowie der Artikel 30, 36, 56, 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt
Artikel 28 EG, 30 EG, 46 EG und 49 EG) und des Artikels 60 EG-Vertrag (jetztArtikel 50 EG)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten und der Sechsten KammerP. J. G. Kapteyn in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, derKammerpräsidenten J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und P. Jann sowie derRichter C. Gulmann, J. L. Murray, D. A. O. Edward, H. Ragnemalm, L. Sevón undM. Wathelet,
Generalanwalt: A. La Pergola

Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
—    von Herrn Läärä und der Oy Transatlantic Software Ltd, vertreten durchRechtsanwalt P. Kiviluoto, Jyväskylä,
—    der Cotswold Microsystems Ltd, vertreten durch Professor H. T. Klami,Universität Helsinki,
—    der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä, Rechtsberaterin imMinisterium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,
—    der belgischen Regierung, vertreten durch den Directeur d'administrationJ. Devadder, Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandelund Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten, Beistand:Rechtsanwälte P. Vlaemminck und L. Van den Hende, Gent,
—    der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder undRegierungsdirektor C.-D. Quassowski, beide Bundesministerium fürWirtschaft, als Bevollmächtigte,
—    der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado L. Pérez deAyala Becerril, als Bevollmächtigten,
—    der niederländischen Regierung, vertreten durch A. Bos, Rechtsberater imAußenministerium, als Bevollmächtigten,
—    der österreichischen Regierung, vertreten durch Botschafter F. Cede,Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
—    der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes, Direktor desJuristischen Dienstes der Generaldirektion fürGemeinschaftsangelegenheiten, Ministerium für AuswärtigeAngelegenheiten, A. Cortesão Seiça Neves, Mitglied desselben Dienstes,und J. Ramos Alexandre, Generalinspekteur für Glücksspiele,Wirtschaftsministerium, als Bevollmächtigte,
—    der schwedischen Regierung, vertreten durch E. Brattgård, Ministerialrat inder Abteilung für Außenhandel des Ministeriums für AuswärtigeAngelegenheiten, als Bevollmächtigten,
—    der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch AssistantTreasury Solicitor J. E. Collins als Bevollmächtigten, Beistand: BarristerM. Brealey,
—    der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durchRechtsberater A. Caeiro und durch K. Leivo, Juristischer Dienst, alsBevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Läärä und der OyTransatlantic Software Ltd, vertreten durch Rechtsanwalt P. Kiviluoto, derCotswold Microsystems Ltd, vertreten durch H. T. Klami, der finnischen Regierung,vertreten durch T. Pynnä, der belgischen Regierung, vertreten durch RechtsanwälteP. Vlaemminck und L. Van Den Hende, der deutschen Regierung, vertreten durchE. Röder, der spanischen Regierung, vertreten durch M. López-Monís Gallego,Abogado del Estado, als Bevollmächtigte, der irischen Regierung, vertreten durchM. Finlay, SC, der luxemburgischen Regierung, vertreten durch RechtsanwaltK. Manhaeve, Luxemburg, der niederländischen Regierung, vertreten durchM. A. Fierstra, beigeordneter Rechtsberater im Ministerium für AuswärtigeAngelegenheiten, als Bevollmächtigten, der portugiesischen Regierung, vertretendurch L. Fernandes und A. Cortesão Seiça Neves, der schwedischen Regierung,vertreten durch L. Nordling, Rättschef im Rechtssekretariat (EU), Ministerium fürAuswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte, der Regierung des VereinigtenKönigreichs, vertreten durch J. E. Collins, im Beistand von M. Brealey, und derKommission, vertreten durch A. Caeiro und K. Leivo, in der Sitzung vom 30. Juni1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März1999,
folgendes

Urteil

1.
    Das Vaasan Hovioikeus hat mit Beschluß vom 21. März 1997, beim Gerichtshofeingegangen am 25. März 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234EG) drei Fragen nach der Auslegung des Urteils des Gerichtshofes vom 24. März1994 in der Rechtssache C-275/92 (Schindler, Slg. 1994, I-1039; nachstehend: UrteilSchindler) sowie der Artikel 30, 36, 56, 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetztArtikel 28 EG, 30 EG, 46 EG und 49 EG) und Artikel 60 EG-Vertrag (jetzt Artikel50 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob einenationale Regelung mit diesen Bestimmungen vereinbar ist, die einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung das Recht vorbehält, in dem betreffenden MitgliedstaatGeldspielautomaten zu betreiben.
2.
    Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Läärä, der OyTransatlantic Software Ltd, einer Gesellschaft finnischen Rechts (nachstehend:TAS), und der Cotswold Microsystems Ltd, einer Gesellschaft englischen Rechts(nachstehend CMS), den Berufungsklägern des Ausgangsverfahrens, und demKihlakunnansyyttäjä (Jyväskylä) (Bezirksstaatsanwaltschaft Jyväskylä) und demfinnischen Staat wegen des Betriebs von Geldspielautomaten in Finnland. Die nationale Regelung
3.
    In Finnland dürfen nach § 1 Absatz 1 Arpajaislaki (1.9.1965/491)(Gesetz Nr. 491vom 1. September 1965 über Glücksspiele in der im entscheidungserheblichenZeitraum geltenden Fassung) Glücksspiele nur mit behördlicher Erlaubnis und mitdem Ziel veranstaltet werden, Mittel für wohltätige oder andere gemeinnützigeZwecke im Sinne des genannten Gesetzes zu erlangen. Nach § 1 Absatz 2Arpajaislaki gelten als Glücksspiele im Sinne dieses Gesetzes u. a. derSpielbankbetrieb, Spiele an Geldspielautomaten oder anderen Spieleinrichtungenoder Spiele, bei denen der Spieler gegen einen Geldeinsatz Geld, Waren, anderegeldwerte Leistungen oder in solche eintauschbare Jetons gewinnen kann.
4.
    Nach § 3 Arpajaislaki kann einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung von denBehörden die Erlaubnis erteilt werden, Geldspielautomaten und andereSpieleinrichtungen, die gegen ein Entgelt benutzt werden können, aufzustellen odereine Spielbank zu betreiben, um Mittel für verschiedene in dieser Bestimmungaufgeführte gemeinnützige Zwecke zu erlangen. Für diese Tätigkeiten kann für einund denselben Zeitraum nur eine Erlaubnis erteilt werden.
5.
    Diese Erlaubnis wurde gemäß § 1 Absatz 3 Raha-automaattiasetus(29.12.1967/676)(Verordnung Nr. 676 vom 29. Dezember 1967 überGeldspielautomaten in der im entscheidungserheblichen Zeitraum geltendenFassung) der Raha-automaattiyhdistys (Vereinigung für den Betrieb vonGeldspielautomaten, nachstehend: RAY) erteilt. Gemäß § 6 der genanntenVerordnung hat die RAY, um ihr Ziel, nämlich die Beschaffung von Mitteln für diein § 3 Arpajaislaki genannten Zwecke, zu erreichen, das Recht,Geldspielautomaten, die gegen ein Entgelt benutzt werden können, aufzustellen,eine Spielbank zu betreiben sowie Spiel- und Unterhaltungsautomaten herzustellenund zu verkaufen. Die §§ 29 ff. dieser Verordnung regeln im einzelnen, wie derNettoertrag der Tätigkeiten der RAY, dessen Betrag in den staatlichenHaushaltsplan eingestellt wird, an das Sozial- und Gesundheitsministeriumabzuführen und anschließend zwischen den Organisationen und Stiftungen, die denvorgenannten Zwecken dienen, aufzuteilen ist.
6.
    Nach § 6 Absatz 1 Arpajaislaki kann, wer ohne Erlaubnis Glücksspiele veranstaltet,für die eine behördliche Erlaubnis erforderlich ist, zu einer Geldstrafe oder zueiner Freiheitsstrafe von bis zu 6 Monaten verurteilt werden. Nach Kapitel 2 § 16Rikoslaki (13.5.1932/143)(finnisches Strafgesetz in der Fassung des Gesetzes Nr.143 vom 13. Mai 1932) kann eine Sache, die dem Täter oder einer Person gehört,für die oder mit deren Zustimmung die Tat begangen worden ist, oder die bei derBegehung der Tat verwendet oder ausschließlich dafür hergestellt worden ist,eingezogen werden. Der Ausgangsrechtsstreit
7.
    Wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt, übertrug die CMS der TAS, derenVorstandsvorsitzender Herr Läärä ist, den Betrieb sogenannter AWP-Geldspielautomaten des Typs Golden Shot in Finnland, die nach dem Vertragzwischen den beiden Unternehmen Eigentum der CMS bleiben sollten. In diesenApparaten rotieren mehrere Scheiben mit Abbildungen von Früchten. Kommen dieScheiben zum Stillstand, sei es von selbst oder weil der Spieler auf eine Tastegedrückt hat, und entspricht die Reihenfolge der Bilder einer in der Gewinntabelleaufgeführten Folge, schüttet der Apparat an den Spieler einen Einzelgewinn bis zu200 FIM (bei einem Einsatz zwischen 1 und 5 FIM) aus.
8.
    Herr Läärä wurde als Verantwortlicher der TAS vor dem Jyväskylän Käräjäoikeusangeklagt, weil er diese Apparate in Finnland aufgestellt hatte, ohne im Besitzeiner Erlaubnis zu sein. Unterstützt von der TAS und der CMS, die in demVerfahren vorgeladen wurden, machte Herr Läärä geltend, daß der Tatbestand derihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung nicht erfüllt sei, weil die Gewinnchancenbei den Golden Shot-Apparaten nicht in erster Linie vom Zufall abhingen, sondernim wesentlichen von der Geschicklichkeit des Spielers, so daß diese Apparate nichtals Glücksspiele angesehen werden könnten. Außerdem verstoße die finnischeRegelung gegen die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen über den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr. Das Käräjäoikeus folgte dieser Argumentation jedochnicht, sondern verurteilte den Angeklagten zu einer Geldstrafe und ordnete dieEinziehung der Apparate an.
9.
    Die Betroffenen legten hiergegen Rechtsmittel zum Vaasan Hovioikeus ein, dasbeschlossen hat, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragenzur Vorabentscheidung vorzulegen: 1.     Ist das Urteil des Gerichtshofes vom 24. März 1994 in der RechtssacheC-275/92, Schindler, dahin auszulegen, daß der darin entschiedene Fall alsmit dem vorliegenden Fall vergleichbar anzusehen ist (vgl. Urteil desGerichtshofes vom 6. Oktober 1982 in der Rechtssache 283/81, C.I.L.F.I.T.),und sind die Bestimmungen des EG-Vertrags in der vorliegenden Sacheebenso auszulegen wie in der erstgenannten?
Für den Fall daß die erste Frage ganz oder teilweise zu verneinen ist, werdenfolgende zusätzliche Fragen gestellt:
2.     Sind die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Waren- undDienstleistungsverkehr (Artikel 30, 59 und 60) auch auf Spielautomaten derim vorliegenden Fall streitigen Art anwendbar?
3.     Für den Fall, daß die zweite Frage zu bejahen ist:
    a)     Verbieten es die Artikel 30, 59 oder 60 oder eine andere Bestimmungdes EG-Vertrags, daß Finnland den Betrieb der fraglichenSpielautomaten durch die Gewährung eines ausschließlichen Rechtsfür die Raha-automaattiyhdistus beschränkt, obwohl dieseBeschränkung in gleicher Weise für inländische wie für ausländischeVeranstalter von Glücksspielen gilt?
    b)     Fällt diese Beschränkung in Anbetracht der Erwägungen, die in demGesetz über Glücksspiele oder den Gesetzesmaterialien hierzuangeführt werden, oder aus anderen Gründen unter einen der in denArtikeln 36 und 56 oder in einer anderen Bestimmung des EG-Vertrags genannten Rechtfertigungssgründe, und kann es für dieBeantwortung der Frage eine Rolle spielen, wie groß der an denSpielautomaten gewonnene Preis sein kann und ob dieGewinnchancen auf Zufall oder auf Geschicklichkeit beruhen?
10.
    Mit seinen drei Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegendeGericht wissen, ob im Licht des Urteils Schindler die Artikel 30, 59 und 60 EG-Vertrag dahin auszulegen sind, daß sie einer nationalen Regelung wie derfinnischen, die nur einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung das ausschließlicheRecht zum Betrieb von Geldspielautomaten gewährt, unter Berücksichtigung derzu ihrer Rechtfertigung angeführten Gründe des Allgemeininteresses nichtentgegenstehen.
11.
    Herr Läärä, die TAS und die CMS machen geltend, daß der im Ausgangsverfahrenstreitige Betrieb der Geldspielautomaten u. a. wegen der geringen Höhe derEinsätze und Gewinne sowie des Hauptzwecks der Apparate, nämlich der auf derGeschicklichkeit des Spielers beruhenden Unterhaltung, mit der Durchführunggroßer Lotterien, um die es im Urteil Schindler gegangen sei, in keiner Weise zuvergleichen sei. Das der RAY verliehene ausschließliche Recht stehe vor allemdeswegen im Widerspruch zu den Bestimmungen des Vertrages über den freienWaren- und Dienstleistungsverkehr und dem Wettbewerb, weil die amAllgemeininteresse ausgerichteten Ziele, die zur Rechtfertigung dieses Rechtsangeführt würden, nicht wirklich verfolgt würden und durch weniger einschneidendeMaßnahmen wie eine Regelung mit den erforderlichen Auflagen für die Betreibererreicht werden könnten.
12.
    Die finnische, die belgische, die deutsche, die spanische, die irische, dieluxemburgische, die niederländische, die österreichische, die portugiesische und dieschwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und dieKommission sind dagegen der Ansicht, daß die Bestimmungen des Vertrages einerRegelung nicht entgegenstünden, die wie die finnische ein ausschließliches Rechtzum Betrieb von Geldspielautomaten verleihe, sofern sie durch Erwägungengerechtfertigt sei, die denen des Gerichtshofes im Urteil Schindler entsprächen. Fürdie genannten Regierungen sind die im Ausgangsverfahren streitigen Spiele, diegegen Bezahlung die Möglichkeit von Geldgewinnen böten, Glücksspiele, die mitden Lotterien vergleichbar seien, zu denen der Gerichtshof festgestellt habe, daßes den Mitgliedstaaten zukomme, nach Maßgabe ihrer soziokulturellenBesonderheiten zu beurteilen, ob eine Beschränkung der Lotterien oder sogarderen Verbot zum Schutz der Sozialordnung erforderlich sei.
13.
    Der Gerichtshof hat in Randnummer 60 des Urteils Schindler auf die sittlichen,religiösen oder kulturellen Erwägungen verwiesen, die in allen Mitgliedstaaten zuLotterien ebenso wie zu den anderen Glücksspielen angestellt werden. Dienationalen Regelungen sind allgemein darauf gerichtet, die Ausübung vonGlücksspielen zu begrenzen oder sogar zu verbieten und zu verhindern, daß sie zueiner Quelle persönlichen Gewinns werden. Zudem erhöhen die Lotterienangesichts der Höhe der Beträge, die durch sie eingenommen werden können, undder Höhe der Gewinne, die sie den Spielern bieten können, vor allem wenn sie ingrößerem Rahmen veranstaltet werden, die Gefahr von Betrug und anderenStraftaten. Außerdem verleiten sie zu Ausgaben, die schädliche persönliche undsoziale Folgen haben können. Schließlich ist, ohne daß dies allein als sachlicheRechtfertigung angesehen werden könnte, nicht ohne Bedeutung, daß Lotterien inerheblichem Maße zur Finanzierung uneigennütziger oder im Allgemeininteresseliegender Tätigkeiten wie sozialer oder karitativer Werke, des Sports oder derKultur beitragen können.
14.
    Nach Randnummer 61 dieses Urteils rechtfertigen diese Besonderheiten es, daß diestaatlichen Stellen über ein ausreichendes Ermessen verfügen, um festzulegen,welche Erfordernisse sich bezüglich der Art und Weise der Veranstaltung vonLotterien, der Höhe der Einsätze sowie der Verwendung der dabei erzieltenGewinne aus dem Schutz der Spieler und allgemeiner nach Maßgabe dersoziokulturellen Besonderheiten jedes Mitgliedstaats aus dem Schutz derSozialordnung ergeben. Somit kommt den Staaten nicht nur die Beurteilung derFrage zu, ob eine Beschränkung der Tätigkeiten im Lotteriewesen erforderlich ist,sondern sie dürfen diese auch verbieten, sofern diese Beschränkungen nichtdiskriminierend sind.
15.
    Auch wenn das Urteil Schindler die Veranstaltung von Lotterien betrifft, geltendiese Erwägungen, wie sich im übrigen aus Randnummer 60 dieses Urteils ergibt,auch für die anderen Glücksspiele mit vergleichbaren Merkmalen.
16.
    Allerdings hat der Gerichtshof im Urteil vom 26. Juni 1997 in der RechtssacheC-368/95 (Familiapress, Slg. 1997, I-3689) bestimmte Spiele den Lotterien mit denim Urteil Schindler untersuchten Merkmalen nicht gleichgestellt. Es handelte sichdabei um Preisausschreiben in Zeitschriften in Form von Kreuzworträtseln oderanderen Rätseln, die Lesern, die die richtigen Antworten eingesandt hatten, imRahmen einer Verlosung die Möglichkeit von Gewinnen boten. Wie derGerichtshof insbesondere in Randnummer 23 dieses Urteils festgestellt hat, stellensolche Spiele, die nur in kleinem Rahmen veranstaltet werden und bei denenweniger auf dem Spiel steht, keine unabhängige wirtschaftliche Betätigung dar,sondern nur einen Gesichtspunkt des redaktionellen Inhalts eine Zeitschrift unteranderen.
17.
    In der vorliegenden Rechtssache geht es dagegen nach den Feststellungen desnationalen Gerichts um ein Glücksspiel. Die betreffenden Apparate bieten gegenein speziell für ihre Benutzung bestimmtes Entgelt die Chance eines Geldgewinns.Die relativ geringe Höhe der Einsätze und Gewinne, die von den Klägern desAusgangsverfahrens geltend gemacht wird, verhindert, wie die meisten amvorliegenden Verfahren beteiligten Regierungen betont haben, keineswegs, daßinsbesondere aufgrund der Zahl der in Betracht kommenden Spieler und derNeigung der meisten von diesen, wegen der Kürze des Spiels und seinesFortsetzungscharakters sehr viele Spiele hintereinander zu spielen, durch denBetrieb dieser Apparate erhebliche Beträge eingenommen werden können.
18.
    Somit sind Spiele, die gegen ein Entgelt an Spielautomaten wie den imAusgangsverfahren streitigen gespielt werden, als Glücksspiele anzusehen, die mitden Lotterien im Sinne des Urteils Schindler vergleichbar sind.
19.
    Die vorliegende Rechtssache unterscheidet sich von der Rechtssache Schindlerjedoch in verschiedener Hinsicht.
20.
    Zunächst waren die im Urteil Schindler streitigen Tätigkeiten im Lotteriewesenkeine Tätigkeiten, die „Waren“ betreffen und als solche unter Artikel 30 EWG-Vertrag fallen, sondern vielmehr „Dienstleistungen“ im Sinne des EG-Vertrags(Urteil Schindler, Randnrn. 24 und 25). Dagegen stellen die Geldspielautomatenals solche Waren dar, die unter Artikel 30 EG-Vertrag fallen können.
21.
    Sodann war nach der im Urteil Schindler streitigen nationalen Regelung — voneinigen dort festgelegten Ausnahmen abgesehen — die Veranstaltung von Lotterienin dem betreffenden Mitgliedstaat untersagt, während die in dem vorliegendenVerfahren streitige Regelung die Benutzung von Geldspielautomaten nichtverbietet, sondern deren Betrieb einer öffentlich-rechtlichen Vereinigung, die imBesitz einer behördlichen Erlaubnis ist (nachstehend: zugelassene öffentlich-rechtliche Vereinigung), vorbehält.
22.
    Schließlich könnten, wie in einigen beim Gerichtshof eingereichten Erklärungenvorgetragen worden ist, andere Bestimmungen des Vertrages wie die über dasNiederlassungsrecht und den Wettbewerb auf eine Regelung wie die imAusgangsverfahren streitige Anwendung finden.
23.
    Bezüglich des letzten Punktes hat sich das vorlegende Gericht jedoch daraufbeschränkt, in seiner dritten Frage neben den Artikeln 30, 36, 59 und 60 EG-Vertrag auf jede „andere Bestimmung des EG-Vertrags“ hinzuweisen, ohne diesenHinweis in den Gründen oder im Tenor seines Beschlusses näher zu erläutern. DerGerichtshof ist daher nicht in der Lage, zu der Frage Stellung zu nehmen, obandere Bestimmungen des Vertrages als die über den freien Waren- undDienstleistungsverkehr einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahrenstreitigen entgegenstehen.
24.
    Die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Warenverkehr können, wiein Randnummer 20 festgestellt worden ist, auf Geldspielautomaten Anwendungfinden, die Waren sind, die Gegenstand von Ein- oder Ausfuhren sein können.Zwar sind diese Apparate dazu bestimmt, der Allgemeinheit zur entgeltlichenBenutzung zur Verfügung gestellt zu werden. Wie der Generalanwalt in Nummer19 seiner Schlußanträge jedoch festgestellt hat, kann eine Ware, die mit dem Zielder Erbringung einer Dienstleistung eingeführt worden ist, nicht allein aus diesemGrund den Vorschriften über den freien Warenverkehr entzogen sein (vgl. indiesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-158/94,Kommission/Italien, Slg. 1997, I-5789, Randnrn. 15 bis 20).
25.
    Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige ist geeignet, denfreien Warenverkehr zu behindern, wenn die zugelassene öffentlich-rechtlicheVereinigung von Gesetzes wegen der einzige mögliche Betreiber vonGeldspielautomaten ist, die gegen Entgelt benutzt werden können, und das Rechthat, solche Apparate herzustellen.
26.
    Der Gerichtshof kann jedoch in Ermangelung hinreichend genauer Angaben zu dentatsächlichen Auswirkungen der streitigen Regelung auf die Einfuhr vonGeldspielautomaten im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht zu der FrageStellung nehmen, ob Artikel 30 EG-Vertrag der Anwendung einer solchenRegelung entgegensteht.
27.
    Die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr finden,wie der Gerichtshof im Urteil Schindler bezüglich der Veranstaltung von Lotterienfestgestellt hat, auf eine Tätigkeit Anwendung, die die Möglichkeit bietet, gegen einEntgelt an einem Glücksspiel teilzunehmen. Somit fällt eine solche Tätigkeit in denAnwendungsbereich des Artikels 59 EG-Vertrag, wenn wenigstens einer derDienstleistenden in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Dienstleistungangeboten wird, ansässig ist.
28.
    Wie auch das vorlegende Gericht festgestellt hat, enthält eine nationale Regelungüber Geldspielautomaten wie die finnische keine Diskriminierung aus Gründen derStaatsangehörigkeit, da jedem anderen als der zugelassenen öffentlich-rechtlichenVereinigung der Betrieb dieser Apparate untersagt ist. Sie trifft insoweitunterschiedslos sowohl die in Finnland als auch die in einem anderen Mitgliedstaatansässigen Wirtschaftsteilnehmer, die möglicherweise an einer solchen Tätigkeitinteressiert sind.
29.
    Soweit eine solche Regelung jedoch die Wirtschaftsteilnehmer aus anderenMitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar daran hindert, selbstGeldspielautomaten der Allgemeinheit zur entgeltlichen Benutzung zur Verfügungzu stellen, stellt sie eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.
30.
    Somit ist zu prüfen, ob diese Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrsaufgrund von im EG-Vertrag ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen zulässig istoder nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes aus zwingenden Gründen desAllgemeininteresses gerechtfertigt werden kann.
31.
    Die Artikel 55 EG-Vertrag (jetzt Artikel 45 EG) und 56 EG-Vertrag, die imvorliegenden Fall aufgrund von Artikel 66 EG-Vertrag (jetzt Artikel 55 EG)anwendbar sind, lassen Einschränkungen zu, die durch den Zusammenhang mit der— auch zeitlich begrenzten — Ausübung öffentlicher Gewalt oder aus Gründen deröffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind. Nach derRechtsprechung des Gerichtshofes (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 1991in der Rechtssache C-288/89, Collectieve Antennevoorziening Gouda, Slg. 1991,I-4007, Randnrn. 13 bis 15) sind Hemmnisse für den freien Dienstleistungsverkehraufgrund unterschiedslos anwendbarer nationaler Maßnahmen nur zulässig, wenndiese durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind, wennsie geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen angestrebten Zieles zugewährleisten, und wenn sie nicht über das zur Erreichung dieses ZielesErforderliche hinausgehen.
32.
    Nach den Angaben im Vorlagebeschluß und in den Erklärungen der finnischenRegierung zielt die im Ausgangsverfahren streitige Regelung darauf ab, dieAusnutzung der Spielleidenschaft der Menschen zu begrenzen, die Risiken vonBetrug und anderen Straftaten als Folge der entsprechenden Tätigkeiten zuvermeiden und diese Tätigkeiten nur zuzulassen, um Mittel für gemeinnützige oderwohltätige Zwecke zu erlangen.
33.
    Wie der Gerichtshof in Randnummer 58 des Urteils Schindler festgestellt hat, sinddiese Gründe in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Sie beziehen sich auf den Schutzder Empfänger der Dienstleistung und, allgemeiner, der Verbraucher sowie auf denSchutz der Sozialordnung. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, daß dieseGründe zu denjenigen gehören, die als zwingende Gründe des Allgemeininteressesangesehen werden können (vgl. Urteile vom 18. Januar 1979 in den Rechtssachen110/78 und 111/78, Van Wesemael u. a., Slg. 1979, 35, Randnr. 28, vom 4.Dezember 1986 in der Rechtssache 220/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986,3663, Randnr. 20, und vom 24. Oktober 1978 in der Rechtssache 15/78, Sociétégénérale alsacienne de banque, Slg. 1978, 1971, Randnr. 5). Wie in Randnummer31 festgestellt, müssen die aus diesen Gründen gerechtfertigten Maßnahmengeeignet sein, die Verwirklichung der mit ihnen angestrebten Ziele zugewährleisten, und dürfen nicht über das zur Erreichung dieser Ziele Erforderlichehinausgehen.
34.
    Wie in Randnummer 21 ausgeführt, unterscheidet sich die finnische Regelung vonder im Urteil Schindler streitigen u. a. dadurch, daß sie die Benutzung derGeldspielautomaten nicht verbietet, sondern deren Betrieb einer zugelassenenöffentlich-rechtlichen Vereinigung vorbehält.
35.
    Die Entscheidung, wie weit ein Mitgliedstaat in seinem Gebiet den Schutz beiLotterien und anderen Glücksspielen ausdehnen will, ist jedoch dem Ermessen derstaatlichen Stellen überlassen, das der Gerichtshof in Randnummer 61 des UrteilsSchindler diesen zugebilligt hat. Diesen kommt nämlich die Beurteilung zu, ob esim Rahmen des angestrebten Zieles notwendig ist, derartige Tätigkeiten vollständigoder teilweise zu verbieten oder nur einzuschränken und dazu mehr oder wenigerstrenge Kontrollformen vorzusehen.
36.
    Somit kann allein der Umstand, daß ein Mitgliedstaat ein anderes Schutzsystem alsein anderer Mitgliedstaat gewählt hat, keinen Einfluß auf die Beurteilung derNotwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungenhaben. Diese sind allein im Hinblick auf die von den nationalen Stellen desbetreffenden Staates verfolgten Ziele und das von ihnen angestrebte Schutzniveauzu beurteilen.
37.
    Die Tatsache, daß die im vorliegenden Verfahren streitigen Spiele nicht vollständigverboten sind, genügt entgegen der Ansicht der Kläger des Ausgangsverfahrensnicht, um nachzuweisen, daß die nationale Regelung die am Allgemeininteresseausgerichteten Ziele, die in ihr aufgeführt werden und die in ihrer Gesamtheit zuwürdigen sind, nicht wirklich zu erreichen sucht. Eine begrenzte Erlaubnis dieserSpiele im Rahmen eines Ausschließlichkeitsrechts, die den Vorteil bietet, dieSpiellust und den Betrieb der Spiele in kontrollierte Bahnen zu lenken, die Risikeneines solchen Betriebs im Hinblick auf Betrug und andere Straftaten auszuschaltenund die sich daraus ergebenden Gewinne zu gemeinnützigen Zwecken zuverwenden, dient auch der Verwirklichung dieser Ziele.
38.
    Gleiches gilt für den Umstand, daß die verschiedenen Betriebe, in denen dieGeldautomaten aufgestellt sind, von der zugelassenen öffentlich-rechtlichenVereinigung einen Teil der Einnahmen erhalten.
39.
    Was die Frage betrifft, ob es zur Erreichung dieser Ziele besser wäre, eineRegelung mit den erforderlichen Auflagen für die betroffenenWirtschaftsteilnehmer zu erlassen, statt einer zugelassenen öffentlich-rechtlichenVereinigung ein ausschließliches Betriebsrecht zu gewähren, so liegt dieseEntscheidung im Ermessen der Mitgliedstaaten, allerdings unter dem Vorbehalt,daß sie im Hinblick auf das angestrebte Ziel nicht unverhältnismäßig erscheint.
40.
    Aus der Verordnung über die Geldspielautomaten ergibt sich hierzu insbesondere,daß die RAY, die die einzige Vereinigung ist, die eine Erlaubnis zum Betriebdieser Apparate besitzt, eine Vereinigung des öffentlichen Rechts ist, derenTätigkeiten unter staatlicher Aufsicht ausgeübt werden und die, wie inRandnummer 5 festgestellt worden ist, den zu verteilenden Nettoertrag, der sichaus dem Betrieb der Geldspielautomaten ergibt, an den Staat abzuführen hat.
41.
    Zwar könnte der Staat die Beträge, die ihm auf diese Weise zu gemeinnützigenZwecken zufließen, auch auf andere Weise erhalten, z. B. durch die Besteuerungder Tätigkeiten, deren Ausübung den einzelnen Wirtschaftsteilnehmern im Rahmeneiner Regelung ohne Ausschließlichkeitscharakter erlaubt wird, doch stellt dieVerpflichtung der zugelassenen öffentlich-rechtlichen Vereinigung zur Abführungder Erträge aus ihrer Betriebstätigkeit eine deutlich wirksamere Maßnahme dar,um angesichts der Risiken von Betrug und anderen Straftaten die aus diesenTätigkeiten resultierenden Gewinne streng zu begrenzen.
42.
    Folglich ist die finnische Regelung über den Betrieb von Geldspielautomaten,soweit sie nur einer einzigen öffentlich-rechtlichen Vereinigung das ausschließlicheRecht zum Betrieb der Automaten verleiht und damit den freienDienstleistungsverkehr beeinträchtigt, im Hinblick auf die von ihr verfolgten Zielenicht unverhältnismäßig.
43.
    Somit ist auf die Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß dieBestimmungen des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr einernationalen Regelung wie der finnischen, die nur einer öffentlich-rechtlichenVereinigung das ausschließliche Recht zum Betrieb von Geldspielautomatengewährt, unter Berücksichtigung der am Allgemeininteresse ausgerichteten Ziele,die die Regelung rechtfertigen, nicht entgegenstehen. Kosten
44.
    Die Auslagen der finnischen, der belgischen, der deutschen, der spanischen, deririschen, der luxemburgischen, der niederländischen, der österreichischen, derportugiesischen und der schwedischen Regierung sowie der Regierung desVereinigten Königreichs und der Kommission, die Erklärungen beim Gerichtshofeingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien desAusgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei demvorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daherSache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Vaasan Hovioikeus mit Beschluß vom 21. März 1997 vorgelegtenFragen für Recht erkannt:
Die Bestimmungen des EG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr steheneiner nationalen Regelung wie der finnischen, die nur einer öffentlich-rechtlichenVereinigung das ausschließliche Recht zum Betrieb von Geldspielautomatengewährt, unter Berücksichtigung der am Allgemeininteresse ausgerichteten Ziele,die die Regelung rechtfertigen, nicht entgegen.
Kapteyn

Puissochet

Jann
Gulmann


Murray

Edward
Ragnemalm


Sevón

Wathelet
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. September 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias

1: Verfahrenssprache: Finnisch

____________________________________________________


URTEIL VOM 24. 3. 1994 — RECHTSSACHE C-275/92
URTEIL DES GERICHTSHOFES
24. März 1994 *
In der Rechtssache C-275/92

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EWG-Vertrag vom High Court of Justice of England and Wales (Queen's Bench Division) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Her Majesty's Customs and Excise

Gegen

Gerhart Schindler,
Jörg Schindler


vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 30, 36, 56 und 59 EWG-Vertrag

* Verfahrenssprache: Englisch.

erläßt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten O. Due, der Kammerpräsidenten G. F. Mancini,
J. C. Moitinho de Almeida und M. Diez de Velasco, der Richter C. N. Kakouris,
F. A. Schockweiler, G. C. Rodríguez Iglesias, F. Grévisse (Berichterstatter), M. Zuleeg, P. J. G. Kapteyn und J. Murray,

Generalanwalt: C. Gulmann
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

— von Gerhart und Jörg Schindler, vertreten durch Barrister Mark Brealey,
— der belgischen Regierung, vertreten durch den Directeur d'administration Jan Devadder, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten, und Rechtsanwalt P. Vlaemminck, Gent,
— der dänischen Regierung, vertreten durch Rechtsberater Jørgen Molde, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
— der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigten,
— der griechischen Regierung, vertreten durch Paredros Vassileios Kontolaimos und Ioannis Chalkias, Juristischer Beratungsdienst des Staates, als Bevollmächtigte,
— der spanischen Regierung, vertreten durch Alberto Navarro Gonzalez, Director general de coordinación jurídica e institucional communitaria, und Miguel Bravo-Ferrer Delgado, Abogado del Estado del servicio jurídico ante el Tribunal de Justicia, als Bevollmächtigte,
— der französischen Regierung, vertreten durch Philippe Pouzoulet, Sousdirecteur à la direction des affaires juridiques, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, und Helene Duchène, Secrétaire des Affaires étrangères, als Bevollmächtigte,
— der luxemburgischen Regierung, vertreten durch Charles Elsen, Premier Conseiller du gouvernement, als Bevollmächtigten, Beistand: Rechtsanwalt René Diederich, Luxemburg,
— der niederländischen Regierung, vertreten durch Rechtsberater A. Bos, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
— der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Sue Cochrane, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte, Beistand: David Pannick, QC, Bar of England and Wales,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Richard Wainwright und den zum Juristischen Dienst der Kommission abgeordneten britischen Beamten Arnold Ridout als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Beklagten, der belgischen Regierung, der Bundesregierung, der griechischen Regierung, der spanischen Regierung, der französischen Regierung, der irischen Regierung, vertreten durch

Senior Counsel Mary Finlay als Bevollmächtigte, der luxemburgischen Regierung, der niederländischen Regierung, vertreten durch Rechtsberater J. W. de Zwaan, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der portugiesischen Regierung, vertreten durch Luis Fernandes, Director do serviço de assuntos jurídicos da direcção geral das Comunidades Europeias, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, und Rogério Leitão, Professor am Institut für Europäischen Studien der Universität Lusíada, als Bevollmächtigte, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch John E. Collins, Assistant Treasury Solicitor, als Bevollmächtigten, und Barrister Stephan Richards, sowie der Kommission der
Europäischen Gemeinschaften in der Sitzung vom 22. September 1993,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16.Dezember 1993,

folgendes

Urteil

1 Der High Court of Justice of England and Wales (Queen's Bench Division) hat mit Beschluß vom 3. April 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 18. Juni 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag sechs Fragen nach der Auslegung der Artikel 30,36,56 und 59 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob nationale Rechtsvorschriften, die die Durchführung bestimmter Lotterien im Gebiet eines Mitgliedstaats verbieten, mit den genannten Vorschriften vereinbar sind.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen den Commissioners of Customs and Excise (Ministerialabteilung für Zölle und Verbrauchsteuern, im folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) und Gerhart und Jörg Schindler (im folgenden: Beklagte) wegen der Versendung von Werbematerial und Anmeldeformularen für eine in der Bundesrepublik Deutschland veranstaltete Lotterie an britische Staatsangehörige.

3 Die Beklagten des Ausgangsverfahrens üben die selbständige Tätigkeit von Bevollmächtigten der Süddeutschen Klassenlotterie (SKL) aus, einer öffentlichen Einrichtung, die sogenannte „Klassen“-Lotterien im Namen von vier deutschen Bundesländern veranstaltet. Die Tätigkeit der Beklagten besteht in der Förderung der Lotterien der SKL und zweifellos im Verkauf der Lose für diese Lotterien.

4 Die Beklagten des Ausgangsverfahrens versandten daher von den Niederlanden aus Briefe an britische Staatsangehörige. Jeder Brief enthielt ein Schreiben, mit dem der Empfänger zur Teilnahme an der 87. Ausspielung der SKL aufgefordert wurde, Anmeldeformulare für die Teilnahme an dieser Lotterie und einen vorgedruckten Rückumschlag.

5 Diese Sendungen wurden von dem Kläger des Ausgangs Verfahrens im Postamt Dover angehalten und mit der Begründung beschlagnahmt, sie seien unter Verstoß gegen Section 1 Ziffer ii des Revenue Act 1898 (Abgabengesetz von 1898) in Verbindung mit Section 2 des Lotteries and Amusements Act 1976 (Lotterie- und Vergnügungsgesetz 1976) in ihrer vor dem National Lottery etc. Act 1993 (Gesetz über die Staatliche Lotterie u. a. von 1993) geltenden Fassung eingeführt worden.

6 Section 1 des Abgabengesetzes von 1898 bestimmt in seiner damals geltenden Fassung:
„Die Einfuhr der folgenden Gegenstände ist untersagt:
(i) ...
(ii) Werbematerial oder andere Mitteilungen über oder betreffend die Ziehung oder beabsichtigte Ziehung einer Lotterie, die nach Ansicht der Commissioners of Customs and Excise entgegen einem Gesetz über Lotterien zum Zweck der Veröffentlichung in das Vereinigte Königreich eingeführt wird."

7 Nach Section 1 des Lotterie- und Vergnügungsgesetzes von 1976 sind Lotterien, die keine Glücksspiele im Sinne der britischen Rechtsvorschriften über Glücksspiele sind (siehe insbesondere den Gaming Act 1968
— Gesetz über Glücksspiele von 1968), d. h. die vom Zufall bestimmte Verteilung von Gewinnen in Form von Sachwerten oder Geld, für die das Kapital von den Teilnehmern aufgebracht wird, verboten. Das Gesetz läßt jedoch als Ausnahme von diesem Verbot bestimmte Formen der Lotterie, im wesentlichen kleine Lotterien zu uneigennützigen Zwecken, zu.

8 Wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt, war die 87. Ausspielung der SKL nach diesen Bestimmungen verboten.

9 Section 2 des Gesetzes von 1976 lautet in seiner damals geltenden Fassung:

„... jeder, der im Zusammenhang mit einer in Großbritannien oder anderenorts veranstalteten oder geplanten Lotterie

...

(d) Lose oder Werbematerial für die Lotterie zum Zweck des Verkaufs oder der Verteilung nach Großbritannien bringt oder jemanden auffordert, sie dorthin zu versenden, oder

(e) Geld oder Wertgegenstände, die er für den Verkauf oder die Verteilung eines Loses oder einer Beteiligung an der Lotterie erhalten hat, oder ein Dokument, in dem der Verkauf oder die Verteilung oder die Identität des Inhabers eines Loses oder einer Beteiligung an der Lotterie verzeichnet ist, aus Großbritannien versendet oder zu versenden versucht, oder

(f) ...

(g) jemanden veranlaßt, eine der genannten Handlungen vorzunehmen oder dies versucht,
[macht] sich einer Zuwiderhandlung schuldig."

10 Vor dem High Court of Justice, den der Kläger des Ausgangsverfahrens wegen Feststellung, daß die Beschlagnahme der Sendungen rechtsgültig war, angerufen hatte, machten die Beklagten geltend, daß Section 1 Ziffer ii des Abgabengesetzes von 1898 und Section 2 des Lotterie- und Vergnügungsgesetzes von 1976 mit Artikel 30 EWG-Vertrag oder zumindest mit Artikel 59 EWG-Vertrag unvereinbar seien, da es nach den genannten Gesetzesvorschriften verboten sei, Lose, Schreiben und Anmeldeformulare im Zusammenhang mit einer in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig veranstalteten Lotterie in einen Mitgliedstaat einzuführen.

11 Der Kläger des Ausgangsverfahrens wendet dagegen folgendes ein: Weder Lose noch Werbematerial für eine Lotterie seien „Waren" im Sinne des EWG-Vertrags; weder Artikel 30 noch Artikel 59 EWG-Vertrag gälten für das in den britischen Rechtsvorschriften geregelte Einfuhrverbot, denn die britischen Rechtsvorschriften beträfen alle großen Lotterien unabhängig von ihrer Herkunft; jedenfalls sei dieses Verbot durch das Anliegen des Vereinigten Königreichs, die Lotterien aus Gründen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung zu beschränken, gerechtfertigt.

12 Der High Court of Justice hält für eine Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits die Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften für erforderlich und hat deshalb dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1) Sind Lose oder Werbematerial für eine Lotterie, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig veranstaltet wird, Waren im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag?

2) Wenn ja, gilt Artikel 30 für das Verbot der Einfuhr von Losen oder Werbematerial für große Lotterien durch das Vereinigte Königreich, obwohl die Beschränkungen für die Veranstaltung solcher Lotterien innerhalb des Vereinigten Königreichs nach dessen Recht ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und unabhängig davon gelten, ob die Lotterie innerhalb oder von außerhalb des Vereinigten Königreichs veranstaltet wird?

3) Wenn ja, bilden die vom Vereinigten Königreich angeführten Gründe der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung berechtigte Erwägungen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sittlichkeit, die die beanstandeten Beschränkungen unter den Umständen des vorliegenden Falles entweder nach Artikel 36 oder auf andere Weise rechtfertigen?

4) Stellt die Bereitstellung von Losen oder die Versendung von Werbematerial für eine Lotterie, die in einem anderen Mitgliedstaat rechtmäßig veranstaltet wird, eine Dienstleistung im Sinne von Artikel 59 EWG-Vertrag dar?

5) Wenn ja, gilt Artikel 59 für das Verbot der Einfuhr von Losen oder Werbematerial für große Lotterien durch das Vereinigte Königreich, obwohl die Beschränkungen für die Veranstaltung solcher Lotterien innerhalb des Vereinigten Königreichs nach dessen Recht ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und unabhängig davon gelten, ob die Lotterie innerhalb oder von außerhalb des Vereinigten Königreichs veranstaltet wird?

6) Wenn ja, bilden die vom Vereinigten Königreich angeführten Gründe der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung berechtigte Erwägungen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sittlichkeit, die die beanstandeten Beschränkungen unter den Umständen des vorliegenden Falles entweder nach Artikel 56 in Verbindung mit Artikel 66 oder auf andere Weise rechtfertigen?
13 Das vorlegende Gericht stellt unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien des Ausgangsverfahrens  und der Gründe seines Vorlagebeschlusses die Frage, ob die Artikel 30 und 59 EWG-Vertrag den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die wie die britischen Rechtsvorschriften, von Ausnahmen abgesehen, Lotterien im Gebiet dieses Mitgliedstaats und folglich die Einfuhr von Unterlagen, die den in diesem Gebiet wohnenden Personen die Teilnahme an ausländischen Lotterien ermöglichen sollen, verbieten.

14 Mit der ersten und der vierten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Einfuhr von Werbematerial und Losen in einen Mitgliedstaat, um die in diesem Staat wohnenden Personen an einer in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten Lotterie teilnehmen zu lassen, eine Einfuhr von Waren darstellt und unter Artikel 30 EWG-Vertrag fällt oder ob diese Tätigkeit zu den Dienstleistungen gehört und daher in den Anwendungsbereich des Artikels 59 EWG-Vertrag fällt.

15 Somit sind diese beiden Fragen zusammen zu prüfen.

Zur ersten und zur vierten Frage

16 Zur Frage der Anwendbarkeit der Artikel 30 und 59 EWG-Vertrag trägt eine erste Gruppe von Regierungen, zu der die belgische, die deutsche, die irische, die luxemburgische und die portugiesische Regierung gehören, vor, daß Lotterieveranstaltungen nicht zum „Wirtschaftsleben" im Sinne des EWG-Vertrags gehörten.
Lotterien seien in den Mitgliedstaaten herkömmlicherweise verboten oder würden ausschließlich aus Gründen des Allgemeininteresses unmittelbar vom Staat oder unter seiner Kontrolle veranstaltet. Den Lotterien liege kein wirtschaftliches Leistungsverhältnis zugrunde, da sie auf dem Zufall beruhten. Schließlich seien Lotterien Erholung oder Spiel und keine wirtschaftliche Tätigkeit. Nach Ansicht der belgischen und der luxemburgischen Regierung ergibt sich außerdem aus der Richtlinie 75/368/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für einige Tätigkeiten (aus ISIC-Hauptgruppe Ol bis ISIC-Hauptgruppe 85), insbesondere Übergangsmaßnahmen für diese Tätigkeiten (ABl. L 167, S. 22), daß Lotterien vom Anwendungsbereich des EWG-Vertrags ausgeschlossen seien, es sei denn, daß sie von Privaten zu Erwerbszwecken durchgeführt würden.

17 Eine zweite Gruppe von Regierungen, zu der die spanische und die französische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs gehören, und die Kommission machen geltend, daß die Tätigkeit, die in der Veranstaltung von Lotterien bestehe, eine „Dienstleistung" im Sinne des Artikels 60 EWG-Vertrag sei.
Diese Tätigkeit betreffe Leistungen, die dem Veranstalter der Lotterie oder den Teilnehmern an dieser Lotterie in der Regel gegen Entgelt erbracht würden und nicht unter die Vorschriften über den freien Warenverkehr fielen.

18 Schließlich vertreten die Beklagten des Ausgangs Verfahrens die Ansicht, daß ihre Tätigkeit in den Anwendungsbereich des Artikels 30 EWG-Vertrag falle. Das Werbematerial und die Unterlagen, in denen die Ziehung einer Lotterie angekündigt würde oder die diese Ziehung beträfen, seien „Waren" im Sinne des Vertrages, d. h. nach der Definition des Gerichtshofes im Urteil vom 11. Juli 1985 in den verbundenen Rechtssachen 60/84 und 61/84 (Cinéthèque, Slg. 1985, 2605) körperliche Gegenstände, die hergestellt worden seien.

19 Zu der Auffassung einiger Regierungen, Lotterien gehörten nicht zum „Wirtschaftsleben" im Sinne des Vertrages, ist darauf hinzuweisen, daß Einfuhren von Waren oder entgeltliche Dienstleistungen (vgl. zum letztgenannten Punkt Urteile vom 14. Juli 1976 in der Rechtssache 13/76, Doña, Slg. 1976, 1331, Randnr. 12, und vom 5. Oktober 1988 in der Rechtssache 196/87, Steymann, Slg. 1988, 6159, Randnr. 10) als Teil des „Wirtschaftslebens" im Sinne des Vertrages anzusehen sind.

20 Somit ist nur zu prüfen, ob Lotterien in den Anwendungsbereich einer der beiden im Vorlagebeschluß genannten Vertragsvorschriften fallen.

21 Das vorlegende Gericht wirft die Frage auf, ob Lotterien nicht zumindest teilweise unter Artikel 30 EWG-Vertrag fallen, wenn sie mit der Versendung und Verteilung großer Mengen körperlicher Gegenstände wie Briefe, Werbeprospekte oder Lose
— im vorliegenden Fall in einem anderen Mitgliedstaat — verbunden sind.

22 Zwar beschränkt sich die Tätigkeit der Beklagten des Ausgangsverfahrens anscheinend auf die Versendung von Werbematerial und Anmeldeformularen, möglicherweise von Losen, im Namen eines Lotterieveranstalters, der SKL. Solche Tätigkeiten sind jedoch nur die konkreten Einzelheiten der Veranstaltung oder des Ablaufs einer Lotterie und können im Hinblick auf den Vertrag nicht losgelöst von der Lotterie betrachtet werden, auf die sie sich beziehen. Die Einfuhr und die Verteilung von Gegenständen sind kein Selbstzweck, sondern sollen den Personen, die in den Mitgliedstaaten wohnen, in die diese Gegenstände eingeführt und in denen sie verteilt werden, die Teilnahme an der Lotterie ermöglichen.

23 Der von den Beklagten angeführte Umstand, daß im Ausgangsrechtsstreit die Bevollmächtigten der SKL körperliche Gegenstände für die Werbung und den Verkauf dieser Lotterie nach Großbritannien versandten und die hergestellten körperlichen Gegenstände Waren im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes waren, genügt nicht, um in ihrer Tätigkeit lediglich eine Ausfuhr oder Einfuhr zu sehen.

24 Die Tätigkeiten im Lotteriewesen sind somi t keine Tätigkeiten, die „Waren" betreffen un d als solche unter Artikel 30 EWG-Vertrag fallen.

25 Diese Tätigkeiten sind vielmehr als „Dienstleistungen" im Sinne des Vertrages anzusehen.

26 Nach Artikel 60 Absatz 1 EWG-Vertrag sind

„Dienstleistungen ... Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen".

27 Im vorliegenden Fall geht es um Leistungen, die der Veranstalter der Lotterie erbringt, indem er die Käufer von Losen an einem Glücksspiel, das ihnen eine Gewinnchance eröffnet, teilnehmen läßt und zu diesem Zweck die Einsammlung der Einsätze, die Veranstaltung der vom Zufall bestimmten Ziehungen sowie die Festsetzung und die Auszahlung der Preise oder Gewinne sicherstellt.

28 Diese Leistungen werden in der Regel gegen ein Entgelt erbracht, das in dem Preis für das Los besteht.

29 Die betreffenden Leistungen sind grenzüberschreitende Leistungen, wenn sie wie im Ausgangsrechtsstreit in einem anderen Mitgliedstaat angeboten werden als in dem, in dem der Veranstalter der Lotterie niedergelassen ist.

30 Schließlich richten sich die Lotterien weder nach den Vertragsvorschriften über den freien Warenverkehr, wie unter Randnummer 24 dieses Urteils bereits festgestellt worden ist, noch nach den Vorschriften über die Freizügigkeit, die nur den Ortswechsel von Personen betreffen, noch nach den Regeln über den freien Kapitalverkehr, der nur die Bewegungen von Kapital betrifft, nicht aber die Gesamtheit der für die wirtschaftlichen Tätigkeiten erforderlichen Zahlungen (vgl. Urteil vom 23. November 1978 in der Rechtssache 7/78, Thomson u. a., Slg. 1978, 2247).

31 Zwar unterliegen die Lotterien, wie einige Mitgliedstaaten ausgeführt haben, einer besonders strengen Regelung und einer genauen behördlichen Kontrolle in den einzelnen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Sie sind jedoch in diesen Staaten gleichwohl nicht völlig verboten. Sie werden im Gegenteil in großem Umfang
betrieben. So sind Lotterien in Großbritannien zwar grundsätzlich verboten, doch sind dort kleine, zu uneigennützigen Zwecken veranstaltete Lotterien sowie die staatliche Lotterie seit dem dazu erlassenen Gesetz von 1993 erlaubt.

32 Somit können Lotterien nicht als Tätigkeiten angesehen werden, die wegen ihrer Schädlichkeit in allen Mitgliedstaaten verboten sind und im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht in die Nähe von Tätigkeiten gerückt werden könnten, die sich auf unerlaubte Erzeugnisse beziehen (vgl. für Betäubungsmittel Urteil vom 28.Februar 1984 in der Rechtssache 294/82, Einberger, Slg. 1984, 1177), auch wenn, wie die belgische und die luxemburgische Regierung angeführt haben, Spielverträge nach dem Recht einiger Mitgliedstaaten als nichtig behandelt werden können. Lotterien mögen für sittlich zumindest fragwürdig gehalten werden, doch ist es nicht Sache des Gerichtshofes, die Beurteilung, die der Gesetzgeber in den Mitgliedstaaten vorgenommen hat, in denen diese Tätigkeit rechtmäßig ausgeübt wird, durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen (Urteil vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-159/90, Society for the Protection of Unborn Children Ireland,
Slg. 1991, 1-4685, Randnr. 20).

33 Einige Regierungen weisen darauf hin, daß die Lotteriegewinne zufällig seien. Die gewöhnlichen Tätigkeiten im Rahmen einer Lotterie bestehen aber in der Zahlung eines Betrags durch einen Spieler, der auf einen Gewinn oder einen Preis als Gegenleistung hofft. Die Zufallsabhängigkeit dieser Gegenleistung nimmt dem Austausch nicht seinen wirtschaftlichen Charakter.

34 Richtig ist auch, daß eine Lotterie ebenso wie der Amateurspor t für die an ihr teilnehmenden Spieler Unterhaltungscharakter haben kann. Dieses spielerische Element nimmt der Lotterie jedoch nicht den Charakter einer Dienstleistung. Lotterien verschaffen nicht nur den Spielern, wenn auch nicht immer einen Gewinn, so doch zumindest eine Gewinnchance, sondern erbringen auch einen Gewinn fűr den Veranstalter. Sie werden nämlich von Privatpersonen oder von der öffentlichen Hand mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben, da in der Regel nicht die Gesamtheit der von den Spielern eingesetzten Beträge wieder in Form von Gewinnen oder Preisen ausgeschüttet wird.

35 Zwar dürfen in vielen Mitgliedstaaten die durch eine Lotterie erzielten Gewinne nach dem Gesetz nur für bestimmte Zwecke, namentlich solche von Allgemeininteresse, verwendet werden oder müssen sogar dem Staatshaushalt zugeführt werden, doch ändern diese Vorschriften über die Verwendung der Gewinne nichts an der Natur der betreffenden Tätigkeit und nehmen ihr nicht den wirtschaftlichen Charakter.

36 Wenn schließlich die Richtlinie 75/368 Tätigkeiten im Lotteriewesen, die nicht von Privatpersonen zu Erwerbszwecken ausgeübt werden, von ihrem Anwendungsbereich ausschließt, spricht sie damit diesen Tätigkeiten nicht den Charakter von „Dienstleistungen" ab. Diese Richtlinie soll lediglich die Ausübung der in ihr aufgeführten selbständigen Tätigkeiten durch Angehörige anderer Mitgliedstaaten vorübergehend erleichtern. Weder bezweckt noch bewirkt sie also den Ausschluß der Lotterien vom Anwendungsbereich der Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag, wozu der Richtliniengeber ohnehin nicht befugt gewesen wäre.

37 Somit ist auf die erste und die vierte Vorlagefrage zu antworten, daß die Einfuhr von Werbematerial und Losen in einen Mitgliedstaat, um die in diesem Staat wohnenden Personen an einer in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten Lotterie teilnehmen zu lassen, zu den ,,Dienstleistungen" im Sinne des Artikels 60 EWG-Vertrag gehört und folglich in den Anwendungsbereich des Artikels 59 EWG-Vertrag fällt.

Zur zweiten und zur dritten Frage

38 Aus dem Wortlaut der zweiten und der dritten Vorlagefrage ergibt sich, daß sie nur für den Fall gestellt worden sind, daß die im Ausgangsverfahren streitige Tätigkeit in den Anwendungsbereich des Artikels 30 EWG-Vertrag fällt. Da dies nicht der Fall ist, brauchen diese Fragen nicht beantwortet zu werden.

Zur fünften Frage

39 Mit der fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob nationale Rechtsvorschriften, die wie die britischen Lotterievorschriften, von den dort festgelegten Ausnahmen abgesehen, die Durchführung von Lotterien auf dem Gebiet eines Mitgliedstaats verbieten, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen.

40 Nach Ansicht der Kommission und der Beklagten des Ausgangsverfahrens beschränken solche Rechtsvorschriften, die in der Praxis diskriminierend seien, jedenfalls den freien Dienstleistungsverkehr.

41 Die spanische, die französische und die griechische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs räumen ein, daß solche Rechtsvorschriften eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen könnten, auch wenn sie unterschiedslos gälten.

42 Nach Ansicht der belgischen und der luxemburgischen Regierung stellen Rechtsvorschriften wie die britischen keine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, da sie unterschiedslos gälten.

43 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90, Säger, Slg. 1991, 1-4221, Randnr. 12) können nationale Rechtsvorschriften selbst bei unterschiedsloser Geltung unter Artikel 59 EWG-Vertrag fallen, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern.

44 Es genügt die Feststellung, daß dies auf nationale Rechtsvorschriften wie die britischen Lotterievorschriften zutrifft, die die Lotterieveranstalter aus anderen Mitgliedstaaten ohne Ausnahme daran hindern, im Gebiet des Mitgliedstaats, der diese Rechtsvorschriften erlassen hat, unmittelbar oder durch selbständige Bevollmächtigte ihre Lotterien zu fördern oder Lose zu verkaufen.

45 Somit ist auf die fünfte Vorlagefrage zu antworten, daß nationale Rechtsvorschriften, die wie die britischen Lotterievorschriften, von den dort festgelegten Ausnahmen abgesehen, die Durchführung von Lotterien auf dem Gebiet eines Mitgliedstaats verbieten, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen.

Zur sechsten Frage


46 Mit der sechsten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Vorschriften des EWG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr Rechtsvorschriften wie den britischen Lotterievorschriften unter Berücksichtigung der Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung, die diese Vorschriften rechtfertigen, entgegenstehen.

47 Zunächst ist festzustellen, daß Rechtsvorschriften wie die britischen, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit enthalten und deshalb als unterschiedslos anwendbar anzusehen sind.

48 Es steht nämlich außer Frage, daß ein Verbot, wie es die britischen Rechtsvorschriften vorsehen, das die Veranstaltung großer Lotterien und insbesondere die Werbung für Lose solcher Lotterien und deren Verteilung betrifft, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Veranstalters der Lotterie oder seiner Bevollmächtigten und unabhängig davon gilt, in welchem Mitgliedstaat oder in welchen Mitgliedstaaten der Veranstalter oder seine Bevollmächtigten niedergelassen sind. Durch das Verbot erfolgt keine Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit der betreffenden Wirtschaftsteilnehmer oder nach dem Mitgliedstaat, in dem diese niedergelassen sind.

49 Nach Ansicht der Kommission und der Beklagten des Ausgangsverfahrens sind Rechtsvorschriften wie die britischen Lotterievorschriften jedoch in der Praxis diskriminierend. Zwar seien danach große Lotterien im britischen Staatsgebiet in scheinbar nichtdiskriminierender Weise verboten, doch erlaubten solche Vorschriften zum einen die gleichzeitige Veranstaltung mehrerer kleinerer Lotterien durch ein und dieselbe Person, was einer großen Lotterie gleichkomme, und zum anderen die Veranstaltung von Glücksspielen wie Fußballtoto oder „Bingo", die von ihrer Natur und ihrer Größe her großen Lotterien vergleichbar seien.

50 Das im Ausgangsverfahren streitige Verbot betrifft zwar nicht alle Arten von Lotterien, da Lotterien bis zu einer bestimmten Größe, die zu uneigennützigen Zwecken veranstaltet werden, im Inland zugelassen sind, und ist auch im größeren Rahmen der nationalen Rechtsvorschriften über Glücksspiele zu sehen, die bestimmte, lotterieähnliche Spielformen wie Fußballtoto oder das Spiel „Bingo" zulassen.

51 Aber selbst wenn es bei den im Vereinigten Königreich zugelassenen Spielen zu Einsätzen in einer Höhe kommen kann, die mit denen bei großen Lotterien vergleichbar sind, und auch bei ihnen der Zufall eine bedeutende Rolle spielt, unterscheiden sich diese Spiele hinsichtlich ihres Gegenstands, ihrer Regeln sowie der Einzelheiten ihrer Durchführung doch von den großen Lotterien, die bis zum Erlaß des Gesetzes vom 1993 über die Staatliche Lotterie in anderen Mitgliedstaaten bestanden. Ihre Lage ist somit eine andere als die der nach den britischen Rechtsvorschriften verbotenen Lotterien, und sie können diesen entgegen der Ansicht der Kommission und der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht gleichgestellt werden.

52 Rechtsvorschriften wie die britischen können unter diesen Umständen nicht als diskriminierend angesehen werden.

53 Somit ist zu untersuchen, ob Artikel 59 EWG-Vertrag solchen Rechtsvorschriften entgegensteht, die zwar nicht diskriminierend sind, gleichwohl aber, wie in Randnummer 45 dieses Urteils festgestellt, den freien Dienstleistungsverkehr beschränken.

54 Alle Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, sind der Ansicht, daß Rechtsvorschriften wie die streitigen mit Artikel 59 EWG-Vertrag vereinbar seien. Diese Rechtsvorschriften müßten aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses wie des Verbraucherschutzes, der Verbrechensbekämpfung, des Schutzes der öffentlichen Sittlichkeit, der Begrenzung der Nachfrage nach Glücksspielen sowie der Finanzierung von im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten als gerechtfertigt angesehen werden. Außerdem seien Rechtsvorschriften dieser Art im Hinblick auf die von ihnen verfolgten Ziele verhältnismäßig.

55 Die Kommission meint dagegen, daß ein Lotterieverbot wie im britischen Recht, auch wenn es auf zwingenden Gründen des Allgemeininteresses beruhe, mit Artikel 59 EWG-Vertrag nicht vereinbar sei, da die Ziele, die es verfolge, mit weniger einschneidenden Mitteln erreicht werden könnten.

56 Die Beklagten des Ausgangsverfahrens tragen vor, daß die zur Rechtfertigung des streitigen Verbots angeführten Gründe keine zwingenden Gründe des Allgemeininteresses seien, da Rechtsvorschriften wie die britischen für Glücksspiele der gleichen Art wie die großen Lotterien kein entsprechendes Verbot enthielten.

57 Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts verfolgten die britischen Rechtsvorschriften in ihrer vor dem Gesetz von 1993 zur Einführung der Staatlichen Lotterie geltenden Fassung folgende Ziele: Sie sollten Straftaten verhindern und sicherstellen, daß die Spieler fair behandelt werden, eine Anregung der Nachfrage nach Glücksspielen, die im Übermaß betrieben mit sozialschädlichen Folgen verbunden sind, verhindern und dafür sorgen, daß Lotterien nicht zu privaten oder gewerblichen Gewinnzwecken veranstaltet werden können, sondern ausschließlich zu wohltätigen oder sport- oder kulturfördernden Zwecken.

58 Diese Gründe, die in ihrer Gesamtheit zu würdigen sind, beziehen sich auf den Schutz der Empfänger der Dienstleistung und, allgemeiner, der Verbraucher sowie den Schutz der Sozialordnung. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, daß diese Gründe zu denjenigen gehören, die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können (Urteile vom 18. Januar 1979 in den verbundenen Rechtssachen 110/78 und 111/78, Van Wesemael, Slg. 1979, 35, Randnr. 28, vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 220/83, Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 3663, Randnr. 20, und vom 24. Oktober 1978 in der Rechtssache 15/78, Société genérale alsacienne de banque, Slg. 1978, 1971, Randnr. 5).

59 Angesichts der ganz besonderen Natur der Lotterien, die von vielen Mitgliedstaaten betont worden ist, sind diese Gründe geeignet, Beschränkungen bis hin zum Verbot von Lotterien im Gebiet eines Mitgliedstaats im Hinblick auf Artikel 59 EWG-Vertrag zu rechtfertigen.

60 Zunächst einmal können nämlich die sittlichen, religiösen oder kulturellen Erwägungen, die in allen Mitgliedstaaten zu Lotterien ebenso wie zu den anderen Glücksspielen angestellt werden, nicht außer Betracht bleiben. Sie sind allgemein darauf gerichtet, die Ausübung von Glücksspielen zu begrenzen oder sogar zu verbieten und zu verhindern, daß sie zu einer Quelle persönlichen Gewinns werden. Sodann ist festzustellen, daß die Lotterien angesichts der Höhe der Beträge, die durch sie eingenommen werden können, und der Höhe der Gewinne, die sie den Spielern bieten können, vor allem wenn sie in größerem Rahmen veranstaltet werden, die Gefahr von Betrug und anderen Straftaten erhöhen. Außerdem verleiten sie zu Ausgaben, die schädliche persönliche und soziale Folgen haben können. Schließlich ist, ohne daß dies allein als sachliche Rechtfertigung angesehen werden könnte, nicht ohne Bedeutung, daß Lotterien in erheblichem Maße zur Finanzierung uneigennütziger oder im Allgemeininteresse liegender Tätigkeiten wie sozialer oder karitativer Werke, des Sports oder der Kultur beitragen können.

61 Diese Besonderheiten rechtfertigen es, daß die staatlichen Stellen über ein ausreichendes Ermessen verfügen, um festzulegen, welche Erfordernisse sich bezüglich der Art und Weise der Veranstaltung von Lotterien, der Höhe der Einsätze sowie der Verwendung der dabei erzielten Gewinne aus dem Schutz der Spieler und allgemeiner nach Maßgabe der soziokulturellen Besonderheiten jedes Mitgliedstaats aus dem Schutz der Sozialordnung ergeben. Somit kommt den Staaten nicht nur die Beurteilung der Frage zu, ob eine Beschränkung der Tätigkeiten im Lotteriewesen erforderlich ist, sondern sie dürfen diese auch verbieten, sofern diese Beschränkungen nicht diskriminierend sind.

62 Wenn ein Mitgliedstaat die Veranstaltung großer Lotterien, insbesondere die Werbung für Lose solcher Lotterien und deren Verteilung in seinem Gebiet verbietet, kann das Verbot, Werbematerial einzuführen, um die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats an solchen in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten Lotterien teilnehmen zu lassen, nicht als eine Maßnahme angesehen werden, die den freien Dienstleistungsverkehr in nicht gerechtfertigter Weise beschränkt. Ein solches Einfuhrverbot ist nämlich für den Schutz, den dieser Mitgliedstaat in seinem Gebiet im Lotteriewesen sicherstellen will, erforderlich.

63 Somit ist auf die sechste Vorlagefrage zu antworten, daß die Vorschriften des EWG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr Rechtsvorschriften wie den britischen Lotterievorschriften unter Berücksichtigung der Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung, die diese Vorschriften rechtfertigen, nicht entgegenstehen.

Kosten

64 Die Auslagen der belgischen, der dänischen, der deutschen, der griechischen, der spanischen, der französischen, der irischen, der niederländischen, der portugiesischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom High Court of Justice (Queen's Bench Division, Commercial
Court) mit Beschluß vom 3. April 1992 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1) Die Einfuhr von Werbematerial und Losen in einen Mitgliedstaat, um die in diesem Staat wohnenden Personen an einer in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten Lotterie teilnehmen zu lassen, gehört zu den „Dienstleistungen" im Sinne des Artikels 60 EWG-Vertrag und fällt folglich in den Anwendungsbereich des Artikels 59 EWG-Vertrag.

2) Nationale Rechtsvorschriften, die wie die britischen Lotterievorschriften, von den dort festgelegten Ausnahmen abgesehen, die Durchführung von Lotterien auf dem Gebiet eines Mitgliedstaats verbieten, stellen eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar.

3) Die Vorschriften des EWG-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr stehen Rechtsvorschriften wie den britischen Lotterievorschriften unter Berücksichtigung der Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung, die diese Vorschriften rechtfertigen, nicht entgegen.


Due     Mancini     Moitinho de Almeida
Diez de Velasco     Kakouris     Schockweiler
Rodríguez Iglesias     Grévisse     Zuleeg
Kapteyn     Murray

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 24. März 1994.
Der Kanzler             Der Präsident
R. Grass                O. Due







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SCHLUSSANTRÄGE VON HERRN GULMANN — RECHTSSACHE C-275/92

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
CLAUS GULMANN
vom 16. Dezember 1993

Herr Präsident,
meine Herren Richter!

1. In den Rechtssystemen aller Mitgliedstaaten besteht ein grundsätzliches Verbot von Lotterien und anderen Formen des Glücksspiels. Die Begründungen hierfür sind weitgehend die gleichen. Es handelt sich um Tätigkeiten, die aus moralischen und sozialen Gründen nicht zugelassen werden sollen. Die Bürger sollen vor den möglichen Gefahren der Spielleidenschaft geschützt werden. Dieser Bereich ist sehr anfällig für Kriminalität.

Gleichzeitig bestehen jedoch in allen Mitgliedstaaten in mehr oder weniger großem Umfang Ausnahmen von dem Verbot. Begründet wird dies damit, daß es zweckmäßig sein könne, Glücksspiele in gewissem
Umfang zuzulassen, teils um dem Spieltrieb der Bürger entgegenzukommen, teils um die Veranstaltung illegaler Glücksspiele zu verhindern. Für die erlaubten Formen des Glücksspiels können Voraussetzungen aufgestellt werden, so daß die Kriminalitätsgefahr begrenzt ist. Außerdem kann, was in allen Mitgliedstaaten von großer Bedeutung ist, die Erlaubnis davon abhängig gemacht werden, daß der Gewinn aus den Glücksspielen gemeinnützigen Zwecken oder der Staatskasse zugute kommt.

2. Das Lotteriewesen, um das es in der vorliegenden Sache geht, ist dadurch gekennzeichnet, daß in den meisten Mitgliedstaaten eine oder mehrere große landesweite Lotterien bestehen, die entweder unmittelbar von der öffentlichen Hand oder unter strenger öffentlicher Kontrolle betrieben werden; darüber hinaus gibt es Vorschriften, nach denen kleinere örtliche Lotterien unter bestimmten Voraussetzungen, u. a. namentlich hinsichtlich der Verwendung des Gewinns, zugelassen werden. Gleichzeitig bestehen nach den vorliegenden Angaben in den Mitgliedstaaten ein Verbot oder erhebliche Beschränkungen in bezug auf Tätigkeiten ausländischer Lotterien 1.

Der Binnenmarkt ist also im Lotteriebereich keine Wirklichkeit. Die großen landesweiten Lotterien besitzen ausschließliche Rechte und sind weitgehend gegen die Konkurrenz ausländischer Lotterien geschützt.
1 — Siehe hierzu Vorlagebeschluß unter 41.
    * Originalsprache Dänisch
3. Die vorliegenden Sache gibt dem Gerichtshof Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, ob die Vorschriften des EWG-Vertrags in diesem Bereich anwendbar sind, und gegebenenfalls inwieweit die Beschränkungen, die für die Tätigkeiten ausländischer Lotterien gelten, nach dem Vertrag rechtmäßig sind.

Die Rechtssache ist somit von erheblichem praktischen und grundsätzlichen Interesse, und alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Italien haben denn auch Erklärungen eingereicht.

4. Die Vorlagefrage, die der Gerichtshof zu beantworten hat, stellt sich in einem Rechtsstreit, in dem ein britisches Gericht entscheiden muß, ob die Beschlagnahme von Werbematerial über eine ausländische Lotterie aufgrund der britischen Rechtsvorschriften, die zum damaligen Zeitpunkt — als es also noch keine große landesweite Lotterie im Vereinigten Königreich gab — Lotterien, abgesehen von bestimmten örtlichen Lotterien, verboten, nach dem Gemeinschaftsrecht rechtmäßig war.

Zu den Glücksspielen in den Mitgliedstaaten und zur Regelung ihrer Veranstaltung

5. Es mag zweckmäßig sein, diese einleitenden Bemerkungen um einige kurze Angaben über die verschiedenen Formen von Glücksspielen in den Mitgliedstaaten und die Regelung ihrer Veranstaltung zu ergänzen.

6. Diese Angaben sind namentlich einem von der Kommission veröffentlichten Bericht über Glücksspiele im Binnenmarkt 2  entnommen. Der Bericht, der hervorhebt, daß gegenüber den aufgeführten Zahlen für 1989
Vorsicht geboten sei, teilt den Glücksspielmarkt in eine Reihe Teilmärkte auf, die am Gesamtmarkt der Gemeinschaft folgende Anteile hätten:
— Staatslotterien und ähnliche Tätigkeiten 36 %
— Rennwetten und ähnliche Tätigkeiten 31 %
— Spielbanken 17 %
— Spielautomaten 11 %
— Bingo u. a. 5 %
2 — Gambling in the Single Market — Λ Study of the Current Legal ana Market Situation, Bd. 1-3, Juni 1991. Der Bericht wurde für die Kommission von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Coopers & Lybrand ausgearbeitet und ist angeblich „nicht unbedingt Ausdruck des offiziellen Standpunkts
der Kommission".
Der Bericht beruht auf einer Trennung von Glücksspiel und Wette. Wette wird definiert als Spiel, bei dem Geld auf die Wahrscheinlichkeit des Ausgangs eines bestimmten Ereignisses gesetzt wird. Die Wette setzt ein gewisses Maß an Einsicht in dem betreffenden Bereich voraus. Spiel wird dagegen als eine Tätigkeit definiert, bei dem Geld auf den Ausgang eines bestimmten Ereignisses gesetzt wird, ohne daß irgend eine Einsicht in die betreffenden Umstände vorliegt. Deshalb heißen die letztgenannten Spiele Glücksspiele. Lotterien sind Glücksspiele.
Der Gesamtumsatz, d. h. die Summe der Einsätze für legale Spiele, wird auf etwas mehr als 45 Milliarden ECU veranschlagt.

7. Nach diesem Bericht bestehen in den einzelnen Mitgliedstaaten große Unterschiede zwischen den Glücksspielmärkten.

Aufgrund dieser nationalen Unterschiede hielten z. B. das Vereinigte Königreich und Frankreich auf diesem Markt bei Rennwetten einen Anteil von 55 % bzw. 30 % des Gesamtmarkts der Gemeinschaft, während
der Lotteriemarkt 3 — für den der Bericht nur die Zahlen für die großen landesweiten Lotterien berücksichtigt, dafür aber die Zahlen für die Fußball-und anderen Sportwetten (Toto/Football pools) einbezieht — in folgende nationale Märkte aufgeteilt war:

— Deutschland 28,5 %
— Spanien 26,0 %
— Frankreich 16,0 %
— Italien 11,0 %
—Vereinigtes Königreich 6,0 %  (vermutlich nur Football pools)
—übrige Mitgliedstaaten 12,5 %

8. Der Bericht weist auch darauf hin, daß der Glücksspielmarkt sich aus äußerst unterschiedlichen nationalen Märkten zusammensetze und dies Ausdruck der verschiedenen nationalen Traditionen und Vorlieben sowie
unterschiedlicher nationaler gesetzlicher Regelungen sei 4.

9. Dem Bericht zufolge muß der Glücksspielmarkt heutzutage nicht zuletzt als eine wichtige Einnahmequelle der Staaten angesehen werden.
3 — Lotterien sind dadurch gekennzeichnet, daß die Einsätze in einen Topf fließen und nohe Gewinne niedrigen Einsätzen gegenüberstehen. Der Lotteriemarkt wird heutzutage vom Lotto beherrscht. Klassenlotterien — wie auch Lotterien im allgemeinen — beruhen auf dem Verkauf numerierter Lose, wonach ein oder mehrere Gewinnummern gezogen werden. Bei Klassenlotterien nehmen die Spieler an mehreren Ziehungen (Klassen) mit einem Los teil. In jeder Klassenlotterie sind die einzelnen Regeln hinsichtlich der Zahl der Auslosungen u. a. in den einzelnen Klassen festgelegt. Es gibt andere Formen von Lotterien. Hier sind die „Sofortlotterien" zu nennen, d. h. Lotterien, bei denen „die Ziehung" sofort in der Weise vorgenommen wird, daß der Spieler z. B. durch „Rubbeln" auf dem Los unmittelbar sehen kann, ob er gewonnen hat. Nach dem Bericht setzt sich der Markt für Lotterien und ähnliche Tätigkeiten wie folgt zusammen: „klassische" Lotterien 25 %, Lotto 46 %, Toto (Sportwette) 22 % und „Sofortlotterien" 6 %.

4 — Bericht Bd. 1, S. 3.
Dies wird auch im Lotteriebereich sehr deutlich. Aus dem Bericht und auch aus den Erklärungen in der vorliegenden Sache ergibt sich, daß die Staaten den Gewinn aus den Lotterien entweder selbst behalten (er fließt
in die öffentlichen Kassen) oder verlangen, daß er für gemeinnützige Zwecke verwendet wird (eventuell nachdem von dem Gewinn Abgaben an die Staatskasse gezahlt worden sind). In einigen Mitgliedstaaten müssen die Gewinner eine Gewinnsteuer entrichten. Nach den vorliegenden Erklärungen sind landesweite Lotterien, die auf kommerzieller Grundlage betrieben werden, d. h. von privaten Veranstaltern, die selbst über den Gewinn verfügen können, nicht erlaubt.

Wieviel vom Gesamtumsatz als Gewinn der Staatskasse zufließen oder für gemeinnützige Zwecke verwendet werden muß, variiert bis zu einem gewissen Grad von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Es handelt sich jedoch in allen Fällen um einen relativ großen Teil des Gesamtumsatzes, der normalerweise zwischen 25 % und 40 % liegt.

10. Auch wenn das Grundprinzip in allen Mitgliedstaaten gleich ist — Lotterien sind verboten, es sei denn, daß sie besonders genehmigt worden sind oder die allgemeinen Voraussetzungen für eine bestimmte, in der Regel örtliche Tätigkeit erfüllen —, bestehen doch erhebliche Unterschiede, soweit es darum geht, wem die Genehmigung erteilt wird. Wie gesagt werden in mehreren Mitgliedstaaten die großen landesweiten Lotterien entweder vom Staat selbst oder von Staatsunternehmen betrieben. Lotterien können auch in Konzession an Unternehmen vergeben werden, deren Aufgabe es ist, die Lotterie im Namen der öffentlichen Hand durchzuführen. Schließlich gibt es in mehreren Mitgliedstaaten Beispiele dafür, daß Lotterien auch landesweit von Wohlfahrtseinrichtungen veranstaltet werden können, die ihre Tätigkeit u. a. mit den aus den Lotterien
erzielten Gewinnen finanzieren.

11. Nach dem Bericht der Kommission5 werden Lose in zwar begrenztem — aber aufgrund der technischen Entwicklung steigenden — Maße über die Grenzen hinweg verkauft. Dies gelte namentlich für den Verkauf von Losen der deutschen Klassenlotterien nach Belgien, Dänemark, Holland und Luxemburg. In dem Bericht wird hervorgehoben, daß der britische Markt besonders interessant für ausländische Lotterieveranstalter sei, da dort bisher keine Möglichkeit bestanden habe, an großen Lotterien teilzunehmen. Es wird angenommen, daß die grenzüberschreitende Spieltätigkeit ein „marktbedingtes Phänomen" sei, da die Verbraucher in erster Linie durch die Höhe der Prämien angezogen würden.
5 — Bd. 1, S. 3 und S. 18.
12. Der britische Lotteriemarkt unterschied sich bis jetzt von den Lotteriemärkten in den anderen Mitgliedstaaten.

Die britischen Rechtsvorschriften enthalten ein allgemeines Verbot von Lotterieveranstaltungen. Von diesem Verbot werden Ausnahmen nur bei bestimmten örtlichen Lotterien gemacht, die entweder von Gemeinden oder Vereinigungen u. a. veranstaltet werden und deren Gewinn gemeinnützigen Zwecken („good causes") zufließt.

Als Folge davon konnten keine landesweiten Lotterien abgehalten werden, und der Verkauf von Losen ausländischer Lotterien und deren Vermarktung war ebenfalls verboten 6

13. Dieser Rechtszustand, der bis zu dem in der vorliegenden Sache maßgeblichen Zeitpunkt (April 1990) galt, hat sich nun in wichtigen Punkten geändert. Auf der Grundlage eines „Weißbuchs" vom März 1992 7
wurde am 21. Oktober 1993 ein Gesetz über die Errichtung einer staatlichen Lotterie (National Lottery etc. Act 1993) erlassen, die von einem Konzessionsinhaber unter öffentlicher Kontrolle betrieben werden und deren Gewinn gemeinnützigen Zwecken zugeführt werden soll. Die Rechtsvorschriften sind im übrigen in der Weise geändert worden, daß Lose für Lotterien in anderen Mitgliedstaaten eingeführt werden dürfen, doch besteht weiterhin ein Verbot zumindest bestimmter Formen der Förderung (Promotion) ausländischer Lotterien.

Wie sich aus dem Weißbuch ergibt, sind diese Änderungen u. a. vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung zu sehen, die in weitem Maße grenzüberschreitende Lotterietätigkeiten ermöglicht und zugleich die Durchsetzung eines Verbots solcher Tätigkeiten erschwert 8.
6 — in der mündlichen Verhandlung hat die britische Regierung darauf hingewiesen, daß es Privatpersonen nicht verboten gewesen sei, Lose für den Eigengebrauch zu kaufen und sie in das Vereinigte Königreich einzuführen.
7 — A National Lottery —Raising Money for Good Causes, Cm 1861, London, März 1992.
8 — In dem Weißbuch heißt es folgendermaßen:
„8. In der letzten Zeit hat die Besorgnis, welche möglichen Auswirkungen Lotterien aus anderen EG-Ländern nach der Einführung des Binnenmarkts zum 1. Januar 1993 haben werden, der Debatte über eine staadiche Lotterie erneut Nahrung gegeben. ...
9. Selbst wenn das gesetzliche Verbot ausländischer Lotterien aufrechterhalten wird, wird es, wie die Regierung einräumt, doch zunehmend schwieriger, das Verbot in der Praxis durchzusetzen. Wenn es keine staatliche Lotterie gibt, wird der Markt des Vereinigten Königreichs für Lotterien aus anderen Ländern innerhalb und außerhalb der EG weiterhin interessant sein.
10. Es ist zweifellos richtig, daß es aufgrund der modernen Technologie zunehmend schwieriger sein wird, die Bevölkerung davon abzuhalten, Werbung zu sehen und an ausländischen Lotterien teilzunehmen. ... Viele ausländische Fernsehsendungen können über Satellit empfangen werden. Billigere Nachrichtenübermittlung und neue Formen der Bezahlung können mit der Zeit dazu führen, daß es genauso leicht ist, an einer ausländischen Lotterie teilzunehmen wie zu telefonieren. Die britische Öffentlichkeit wird dann an Lotterien teilnehmen können, deren Vorteile den Bewohnern anderer Länder zufließt, nicht aber ihnen selbst."
Hintergrund und Inhalt der Vorabentscheidungsfrage

14. Gerhart Schindler, der zusammen mit seinem Bruder Jörg die selbständige Tätigkeit eines Bevollmächtigten der Süddeutschen Klassenlotterie ausübt, versandte im Jahr 1990 von den Niederlanden aus etwa 20 000 Briefe als Massenlieferung, die individuell an Privatpersonen adressiert waren, die ihren Wohnsitz im Vereinigten Königreich hatten. Jeder Brief enthielt ein Schreiben, mit dem der Empfänger zur Teilnahme an der 87. Süddeutschen Klassenlotterie aufgefordert wurde, ferner Anmeldeformulare und einen Rückumschlag, auf dem eine Adresse in den Niederlanden vorgedruckt war 9.

15. Die britischen Zollbehörden beschlagnahmten sämtliche Schreiben und Anmeldeformulare mit der Begründung, daß das Material unter Verstoß gegen geltendes Recht in das Vereinigte Königreich eingeführt worden sei. Sie erhoben Klage gegen Gerhart und Jörg Schindler wegen Feststellung, daß die Beschlagnahme, gegen die die Brüder Einspruch eingelegt hatten, rechtmäßig gewesen ist.

16. Der High Court of Justice, Queen's Bench Division, hat gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag sechs Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt. Mit der ersten und der vierten Frage möchte er wissen, ob Lose oder Werbematerial für eine Lotterie, die in einen Mitgliedstaat rechtmäßig veranstaltet wird, Waren im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag sind oder ob die Bereitstellung von Losen oder die Versendung von Werbematerial für eine solche Lotterie eine Dienstleistung im Sinne von Artikel 59 EWG-Vertrag darstellt.

Mit der zweiten und der fünften Frage möchte das Gericht wissen, ob entweder Artikel 30 oder Artikel 59 „für das Verbot der Einfuhr von Losen oder Werbematerial für große Lotterien durch das Vereinigte Königreich [gilt], obwohl die Beschränkungen für die Veranstaltung solcher Lotterien innerhalb des Vereinigten Königreichs nach dessen Recht ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und unabhängig davon gelten, ob die Lotterie innerhalb oder von außerhalb des Vereinigten Königreichs betrieben wird".

Mit der dritten und sechsten Frage möchte das Gericht, wenn die zweite oder fünfte Frage zu bejahen ist, wissen, ob „die vom Vereinigten Königreich angeführten Gründe der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung berechtigte Erwägungen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sittlichkeit [bilden], die die beanstandeten Beschränkungen unter den Umständen des vorliegenden Falles entweder nach Artikel 36" oder „nach Artikel 56 in Verbindung mit Artikel 66 oder auf andere Weise rechtfertigen".

9 — Die Süddeutsche Klassenlotterie ist eine öffentliche Einrichtung, die von vier deutschen Bundesländern, Bayern, Hessen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, errichtet wurde und einen Jahresumsatz von 700 Mio. DM hat. Die Verwaltung der Lotterie wird von einem staatlichen Lotterieausschuß überwacht, der den Haushalt und die Jahresabschlüsse genehmigen muß. Die Bevollmächtigten, die bestimmte Anforderungen hinsichtlich der fachlichen und persönlichen
Qualifikationen erfüllen müssen, sollen die Lotterie fördern, dürfen dies aber nach den Geschäftsbedingungen der Süddeutschen Klassenlotterie nicht in Staaten tun, in denen dies
verboten ist. Die Bevollmächtigten erhalten für jedes verkaufte Los eine Provision.
Die Süddeutsche Klassenlotterie ist eine Lotterie, bei der die Spieler ganze Lose oder Teile eines Loses kaufen, die an mehreren Ziehungen in der einzelnen Klasse teilnehmen. Jährlich werden zwei Lotterien veranstaltet. Jede Lotterie erstreckt sich über 26 Wochen. Die Ziehungen verteilen sich über 6 Klassen, wobei in den Klassen 1 bis 5 vier Ziehungen in jeder Klasse und in der Klasse 6 sechs Ziehungen stattfinden. In der Praxis findet das ganze Jahr über jede Woche eine Ziehung statt. Die Lose werden für jede Klasse getrennt ausgegeben. Die letzte Klasse enthält den größten Gewinn (der Höchstgewinn in der im Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Lotterie belief sich auf 4 Mio. DM). Die Anziehungskraft der Klassenlotterie besteht teils in dem sehr hohen Hauptgewinn, teils in der verhältnismäßig großen Chance, seinen Einsatz zurückzubekommen. Siehe im übrigen den Vorlagebeschluß unter 34. bis 38. und den Bericht der Kommission, Bd. 2, S. 93.
17. Die in dieser Sache eingereichten Erklärungen zeigen, daß folgende Fragen zu untersuchen sind:

— Inwieweit ist die Errichtung und der Betrieb von Lotterien eine „wirtschaftlichen Tätigkeit", die in den Anwendungsbereich des Vertrags fällt?
— Sind Lose und dazugehöriges Werbematerial Waren im Sinne des Artikels 30
oder Dienstleistungen im Sinne des Artikels 59?
— Ist das Einfuhrverbot diskriminierend?
— Wenn nein, liegt dann eine Beschränkung des freien Waren- oder Dienstleistungsverkehrs vor, die grundsätzlich im Widerspruch zum Vertrag steht?
— Können die angeführten Erwägungen gegebenenfalls eine solche Beschränkung rechtfertigen?
— Ist die Beschränkung gegebenenfalls notwendig und im Hinblick auf die verfolgten Ziele verhältnismäßig?

Zur Frage, ob Lotterien vom Vertrag umfaßt sind

18. Mehrere Mitgliedstaaten machen geltend, daß Lotterien entweder überhaupt nicht in den Anwendungsbereich des Vertrags fallen oder zumindest nicht unter die Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr. Einige der Mitgliedstaaten haben diesen Standpunkt jedoch auf Lotterien beschränkt,  die als öffentliche Dienstleistungsunternehmen bezeichnet werden können.

19. Das entscheidende und durchgängige Argument für diese Auffassung ist, daß der Vertrag nur auf wirtschaftliche Tätigkeiten im Hinblick auf die Verwirklichung der in Artikel 2 des Vertrags festgelegten Ziele
anwendbar sei und die Tätigkeiten im Lotteriewesen keine solchen wirtschaftlichen Tätigkeiten darstellten. In diesem Zusammenhang wird u. a. auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes verwiesen, nach der nichtwirtschaftliche Tätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich des Vertrags fielen; das ergebe sich aus den Urteilen in den Rechtssachen Walrave und Dona 10, nach denen bestimmte Sporttätigkeiten wegen ihres fehlenden wirtschaftlichen Charakters nicht vom Vertrag umfaßt seien. Weiter wird auf Artikel 58 EWG-Vertrag verwiesen, nach dem der Vertrag nur auf Gesellschaften Anwendung finde, die einen Erwerbszweck verfolgten. Nach der im Vertrag enthaltenen Definition der Dienstleistungen müsse es sich um Leistungen handeln, die in der Regel gegen Entgelt erbracht würden (Artikel 60).
10 — Urteile vom 12. Dezember 1974 in der Rechtssache 36/74 (Walrave, Slg. 1974, 1405) und vom 14. Juh 1976 in der Rechtssache 13/76 (Dona, Slg. 1976, 1333).
Diese Auffassung lasse sich auch darauf stützen, daß Glücksspiele grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten illegal seien und Verbindlichkeiten aus solchen Spielen nicht einklagbar seien, da die zugrundeliegenden Vereinbarungen als ungültig angesehen würden. Solche Vereinbarungen seien eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung und verfolgten keine schutzwürdigen Ziele. Als Argument wird auch angeführt, daß Glücksspiele in einigen Mitgliedstaaten, jedenfalls in Deutschland, als unter das öffentliche Recht fallend angesehen würden.

20. Diese Auffassung ist meines Erachtens nicht haltbar. Die von den Mitgliedstaaten angeführten Umstände zeigen, daß Glücksspiele gesellschaftlich eine Sonderstellung gegenüber den meisten normalen wirtschaftlichen Tätigkeiten haben. Es handelt sich um Umstände, die für die Beurteilung der Bedeutung der Vertragsvorschriften auf diesem Gebiet natürlich wichtig sind, doch handelt es sich nicht um Umstände, die die Anwendung des Vertrags als solchen oder seiner Vorschriften über Dienstleistungen grundsätzlich ausschließen.

21. Die Vorschriften des Vertrags — in der Auslegung durch den Gerichtshof 11 — bieten keine Grundlage, um dessen Anwendungsbereich eng zu halten. Unser Fall zeigt die große wirtschaftliche Bedeutung von Glücksspielen — u. a. von Lotterien — in allen Mitgliedstaaten. Es geht um eine ganz besondere Form wirtschaftlicher Tätigkeit vor allem deswegen, weil — zumindest soweit es um Lotterien geht — der verblei-
bende Gewinn, nachdem die oft beträchtlichen Ausgaben für die Veranstaltung der Lotterie beglichen und die Gewinne ausbezahlt sind, entweder unmittelbar der Staatskasse zufließt oder für gemeinnützige Zwecke verwendet wird. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die Tätigkeit aus dem Anwendungsbereich des Vertrags herausfällt. Auch solch eine Tätigkeit ist eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Vertrags. Die betreffenden Leistungen — Teilnahme an der Lotterie mit der sich daraus ergebenden Gewinnchance — werden gegen Entgelt erbracht und der durch die Tätigkeit erzielte Gewinn ist ungeachtet seiner Verwendung wirtschaftlicher Art. Artikel 90 EWG-Vertrag zeigt, daß der Vertrag auch auf öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, darunter Unternehmen, die den Charakter eines Finanzmonopols haben, anwendbar ist.
11 — In diesem Zusammenhang sind zu nennen: Urteil vom 5.Oktober 19S8 in der Rechtssache 196/87 (Steymann, Slg. 1988, 6159), das die Anwendung des Vertrags auf wirtschaftliche Tätigkeiten religiöser Vereinigungen betrifft, Urteil vom 2. Februar 1989 in der Rechtssache 186/87 (Cowan, Sie. 1989, 195), das die Anwendung des Vertrags auf nationale Rechtsvorschriften über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten betrifft, und Urteil vom 4.Oktober 1991 in der Rechtssache C-159/90 (Grogan, Slg. 1991, I-4685), das die Anwendung des Vertrags auf Vorschriften bezüglich der Informationen über freiwillige Schwangerschaftsabbrüche betrifft.
In diesem Zusammenhang läßt sich auch die Rechtssache C-272/91, Kommission/Italien, anführen, in der der Gerichtshof zu entscheiden hat, ob eine öffentliche Ausschreibung in Italien bezüglich des Systems der Automatisierung des italienischen Lottospiels mit dem Vertrag und der Richtlinie 77/62/EWG des Rates über öffentliche Lieferaufträge vereinbar ist. Die italienische Regierung macht geltend, daß die Ausschreibung die Übertragung von Befugnissen zur Veranstaltung von Lottospielen betreffe und damit unter die Artikel 55 und 66 EWG-Vertrag fallen. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Sache ist es bemerkenswert, daß weder die Regierung noch die Kommission Grund zu der Erwägung sahen, ob die Veranstaltung von Lotterien überhaupt unter die Vorschriften des Vertrages fallen. Ich habe in meinen Schlußanträgen vom 14. Juh 1993 in der Rechtssache die Auffassung zurückgewiesen, daß die Ausschreibung Befugnisse zur Veranstaltung von Lotterien betreffe, da es nach meiner Meinung um die Ausschreibung eines Vertrags geht, nach dem der öffentlichen Verwaltung im Hinblick auf von ihr veranstaltete Lotterien Dienstleistungen zu erbringen und Güter zu liefern sind. Folgt der Gerichtshof meiner Auffassung, wird die Frage, ob Lotterien als solche unter den EWG-Vertrag fallen, in dieser Sache nicht unmittelbar relevant.
22. Es sind keine überzeugenden Gründe dafür angeführt worden, daß Glücksspiele, hierunter Lotterien, vom Vertrag grundsätzlich nicht umfaßt seien 12. Meines Erachtens ist z. B. einleuchtend, daß Mitgliedstaaten, soweit sie Glücksspiele zulassen, das im Vertrag niedergelegte grundsätzliche Verbot der Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit beachten müssen.

23. Im Zusammenhang mit der Frage des Anwendungsbereichs des Vertrags ist auf die Richtlinie 75/368/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 mit dem Titel „Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs für einige Tätigkeiten (aus ISIC-Hauptgruppe 01 bis ISIC-Hauptgruppe 85), insbesondere Übergangsmaßnahmen für diese Tätigkeiten" 13 hingewiesen worden. Diese Richtlinie — eine der sogenannten Übergangsrichtlinien — gilt u. a. für Lotterien, die in einigen Mitgliedstaaten von Privatpersonen ausgeübt werden, umfaßt aber nicht. die von öffentlichen Stellen veranstalteten Lotterien (öffentliche Dienste) 14. Aus dieser Richtlinie läßt sich jedenfalls der Schluß ziehen, daß Tätigkeiten im Lotteriewesen nicht an und für sich dem Anwendungsbereich des Vertrags entzogen sind. Bezüglich der von öffentlichen Stellen veranstalteten Lotterien läßt sich der Richtlinie nichts anderes entnehmen, als daß der Rat es nicht für zweckmäßig gehalten hat, daß die Richtlinie für diese Lotterien gilt.
12 — Daß die betreffende Tätigkeit in dem einen oder in mehreren Mitgliedstaaten nicht als eine privatrechtliche wirtschaftliche Tätigkeit angesehen wird, ist ohne Bedeutung. Die Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Vertrags muß zwangsläufig auf der Grundlage einer autonomen Auslegung des Vertrags erfolgen, die nicht von der Begriffsbestimmung in einem oder mehreren Mitgliedstaaten abhängen kann.

13 — ABl. L 167, S. 22.

14 — Nach der Präambel gehören „die Tätigkeiten des Lotteriewesens und ähnliche Tätigkeiten der ISIC-Gruppe 859 ... häufig direkt oder durch Vermittlung öffentlicher Stellen zum Bereich der öffentlichen Dienste oder sind untersagt; einige dieser Tätigkeiten fallen daher nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie. Diese Tätigkeiten können jedoch in einigen Mitgliedstaaten von Privatpersonen ausgeübt werden".
Zur Frage, ob der Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits Waren oder Dienstleistungen im Sinne des Vertrags betrifft (Frage 1 und 4)

24. Der Gerichtshof ist wie gesagt ausdrücklich ersucht worden, über die Frage zu entscheiden, wie bestimmte Tätigkeiten in Verbindung mit Lotterien im Hinblick auf die im Vertrag verwendeten Begriffe der Waren und Dienstleistungen zu qualifizieren sind.

Eine solche Qualifizierung ist nach dem Vertrag in jedem Fall notwendig, auch wenn es zumindest in gewissem Umfang richtig ist, daß es — wie einige Mitgliedstaaten in ihren Erklärungen vorgetragen haben — für die Entscheidung, ob die streitigen britischen Rechtsvorschriften rechtmäßig sind, keine Rolle spielt, ob diese auf der Grundlage der Vorschriften des Vertrags über den freien Warenverkehr oder aber der Vorschriften des Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr beurteilt werden (näheres unter Nr. 56).

25. Die Qualifikation verursacht nach meiner Meinung keine größeren Schwierigkeiten.

26. Es ist hier unbestritten, daß die Tätigkeiten im Lotteriewesen als solche Dienstleistungen im Sinne des Vertrags sind. Dies ist vermutlich auch unbestreitbar. Das wird jedenfalls auch von der unter Nr. 23 genannten Richtlinie klar vorausgesetzt.

Nur die Brüder Schindler machen geltend, daß Lose als Waren im Sinne des Vertrags anzusehen seien und Werbematerial in Verbindung mit dem Verkauf von Losen unter die Vorschriften des Vertrags über den freien Warenverkehr fielen.

Die Mitgliedstaaten, die sich zu dieser Frage geäußert haben, und die Kommission sind sich einig, daß die in dieser Sache mit der Lotterie zusammenhängenden maßgeblichen Tätigkeiten als Teil dieser Dienstleistungstätigkeit anzusehen sind.

27. Diese Auffassung ist meines Erachtens zweifellos richtig. Es gibt keinen besonderen Grund, Lose als Waren zu behandeln. Sie sind der Beleg dafür, daß der Eigentümer des Loses für das Recht der Teilnahme an der Lotterie bezahlt hat, d. h. für die Chance, als Gewinner eines der Gewinne dieser Lotterie ausgelost zu werden. Der Kauf eines Loses entspricht in diesem Zusammenhang dem Abschluß einer Versicherung oder dem Kauf einer Beförderungsleistung, wo der vom Leistungserbringer ausgestellte Beleg über den Kauf der Dienstleistung — die Versicherungspolice oder die Fahrkarte — keine Waren im Sinne des Vertrags sind. Die tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede, die hinsichtlich der Übertragbarkeit dieser Belege bestehen mögen, spielen im vorliegenden Zusammenhang keine Rolle.

28. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes wird Werbematerial, das den Absatz von Waren betrifft, nach den Vorschriften des Vertrags über Waren behandelt  15. Es scheint mir außer Frage zu stehen, daß das Werbematerial, soweit es Dienstleistungen betrifft, nach den Vorschriften des Vertrags über Dienstleistungen zu behandeln ist.
15 — Siehe Urteil des Gerichtshofes vom 7. März 1990 in der Rechtssache C-362/88 (GB-INNO, Slg. 1990, I-667).
29. Daraus folgt, daß Lotterien und die damit zusammenhängenden Tätigkeiten, u. a. der Verkauf von Losen und dafür betriebene Werbung, Dienstleistungen im Sinne des Vertrags sind und nationale Rechtsvorschriften, die diese Tätigkeiten regeln, den Vorschriften des Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr unterliegen.

Zum Recht der Mitgliedstaaten, Tätigkeiten im Lotteriewesen zu regeln

30. Es gibt keine gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über Lotterien und andere Glücksspiele, die in diesem Zusammenhang einschlägig sind. Die vorstehend genannte Richtlinie 75/368 über Übergangsmaßnahmen enthält nur eine begrenzte Verpflichtung der Mitgliedstaaten, bestimmte Nachweise der Redlichkeit und andere Qualifikationen ausländischer Unternehmen anzuerkennen. Im übrigen sind die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht auf Lotterien von Privatpersonen begrenzt.

In diesem Verfahren ist darauf hingewiesen worden, daß die Kommission dem Europäischen Rat mitgeteilt hat, daß sie wegen des Subsidiaritätsgrundsatzes — so, wie dieser in dem neuen Artikel 3b zum Ausdruck kommt, der durch den Unionsvertrag in den EG-Vertrag eingefügt worden ist — beschlossen hat, keine Gemeinschaftsvorschriften für diesen Bereich vorzuschlagen 16.
16 — Siehe Schlußfolgerungen des Vorsitzes bezüglich der Tagung des Europäischen Rates in Edinburgh vom 11. und 12.12.1992, Teil A, Anlage 2 „Subsidiarität — Beispiele für die Überprüfung der derzeit vorliegenden Vorschläge und der geltenden Rechtsvorschriften", veröffentlicht im Bulletin der Europaischen Gemeinschaften, Nr. 12, 1992.
31. Es ist unbestritten, daß die Mitgliedstaaten diesen Bereich gründlich und verhältnismäßig restriktiv geregelt haben.

Es geht nicht darum, ob die Mitgliedstaaten eine solche Regelung treffen können. An der grundsätzlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Festlegung der Regeln über den Zugang und die Ausübung beruflicher oder gewerblicher Tätigkeiten wird vom Vertrag nicht gerüttelt. Die Frage ist allein, welche Begrenzungen der Regelungszuständigkeit der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet den Vertragsvorschriften entnommen werden können.

32. Die vorliegende Rechtssache betrifft wie gesagt die Bedeutung, die die Vertragsvorschriften über Dienstleistungen insoweit haben. Es kann aber zweckmäßig sein — vor der Behandlung der Vorschriften über Dienstleistungen —, sich allgemeiner mit der generellen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Regelung des Zugangs zu Tätigkeiten im Lotteriewesen und deren Ausübung zu beschäftigen.

33. Ausgangspunkt ist in allen Mitgliedstaaten wie gesagt, daß Glücksspiele verboten sind; dieser Rechtszustand kann nicht im Widerspruch zum Vertrag stehen. In der Praxis werden jedoch in allen Mitgliedstaaten bestimmte Formen von Glücksspielen unter im einzelnen festgelegten Bedingungen zugelassen. Es gibt ganz erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bezüglich der erlaubten Spielformen und bezüglich der für die Erlaubnis geltenden Bedingungen. Deshalb kann eine Form des Glücksspiels in einem Mitgliedstaat erlaubt und in einem anderen verboten sein.

34. Sind Glücksspiele erlaubt, können die Mitgliedstaaten zweifellos die Regeln für die Qualifikationen, die erfüllt sein müssen, um die Tätigkeit ausüben zu dürfen, und für die Art, in der die Tätigkeit ausgeübt werden muß, festlegen, um sicherzustellen, daß die Tätigkeit nicht zum Schaden einzelner Spielteilnehmer und der Gesellschaft insgesamt mißbraucht wird.

Intensität und Umfang des Schutzes, den die Gesetze in den einzelnen Ländern gegen Mißbrauch bieten, können unterschiedlich sein.

35. Die Praxis zeigt auch, daß in den Mitgliedstaaten häufig und bei Lotterien in allen wichtigen Fällen 17 verlangt wird, daß der Gewinn aus dieser Tätigkeit der Staatskasse zufließt oder zu gemeinnützigen Zwecken
verwendet wird. Die Mitgliedstaaten müssen solche Forderungen aufstellen können.
17 — In den nationalen Rechtsvorschriften gibt es jedoch Beispiele dafür, daß die Einnahmen aus bestimmten Lotterien Privatpersonen zufließen können. Voraussetzung hierfür ist in der Regel, daß es um begrenzte Beträge (sowohl hinsichtlich des einzelnen Lospreises als auch hinsichtlich des Gesamtumsatzes und der verlosten Gewinne, die häufig keine Geldgewinne sind) geht und die Tätigkeit im Rahmen anderer Vergnügungen stattfindet, z. B. einer Kirmes u. a.
36. Die Praxis zeigt auch, daß in den Mitgliedstaaten, in denen Lotterien erlaubt sind, im allgemeinen große staatliche Lotterien von der öffentlichen Hand selbst oder in öffentlicher Regie verwaltet werden. Dies geschieht angeblich deshalb, weil dies als eine zweckmäßige Form, um vor Mißbrauch zu schützen, und als natürlich angesehen wird, da der Überschuß dem Staat oder gemeinnützigen Zwecken zufließt.

37. Schließlich zeigt die Praxis, daß die Mitgliedstaaten jedenfalls in gewissem Umfang Tätigkeiten im Lotteriewesen so regeln, daß das „Angebot" begrenzt bleibt. Dadurch soll der Verbraucher vor Gefahren geschützt werden, die dem einzelnen durch eine zu häufige Teilnahme an Glücksspielen drohen (Spielleidenschaft); zu diesem Zweck werden namentlich die Anzahl von Unternehmen, die Lotterien veranstalten dürfen, die Anzahl Lotterien, die angeboten werden dürfen, und die Anzahl Ziehungen begrenzt.

38. Solange das in Artikel 52 verankerte grundlegende Gebot der Gleichbehandlung der Unternehmen eingehalten wird, kann nach meiner Meinung davon ausgegangen werden, daß die Mitgliedstaaten ohne Verstoß gegen den EWG-Vertrag Tätigkeiten im Lotteriewesen in der Weise regeln können, daß

— diese ganz oder teilweise verboten werden,
— Anforderungen an eine verantwortliche Ausübung der zugelassenen Tätigkeit gestellt werden,
— der Gewinn allein zu öffentlichen oder gemeinnützigen Zwecken verwendet wird und
— das Angebot an Lotterien jedenfalls in gewissem Umfang begrenzt werden kann.

39. Eher schon können Zweifel bestehen, ob die Mitgliedstaaten, wie dies tatsächlich geschieht, das Angebot dadurch begrenzen dürfen, daß sie die betreffende Tätigkeit ausschließlich einem oder wenigen Unternehmen oder eventuell der öffentlichen Hand selbst vorbehalten.

Zweifel bestehen sowohl im Hinblick auf die Niederlassungsvorschriften des Vertrags als auch im Hinblick auf die Dienstleistungsvorschriften des Vertrags.

Bezüglich der Niederlassungsvorschriften steht nach dem Vertrag und der Rechtsprechung des Gerichtshofes fest, daß bestimmte Formen beruflicher oder gewerblicher Tätigkeit einem oder wenigen Unternehmen, dar-
unter eventuell öffentlichen Unternehmen oder Unternehmen in staatlicher Regie, vorzubehalten nicht völlig verboten ist. Der EWG-Vertrag verlangt aber, daß es allgemeine Gründe sind, die mit dem System des Vertrags vereinbar sind und die es geboten sein lassen, auf diese Weise Ausnahmen vom gleichen Zugang zur Berufs-oder Gewerbeausübung zu machen (vgl. unten unter Nr. 75).

40. Fraglich ist, ob die Mitgliedstaaten den Zugang zur Ausübung von Tätigkeiten im Lotteriewesen von einer sogenannten Bedarfsprüfung abhängig machen dürfen, d. h. von der Beurteilung, wie groß das Angebot auf dem Markt hinsichtlich der betreffenden Leistung sein soll. Anders ausgedrückt: Können die Mitgliedstaaten in diesem Bereich die allgemeinen Marktmechanismen außer Kraft setzen?

41. Es müssen gute Gründe vorliegen, um die allgemeinen Marktmechanismen außer Kraft zu setzen. In einer offenen Marktwirtschaft müssen grundsätzlich die Marktkräfte und nicht die staatlichen Regelungen dafür
maßgebend sein, wie groß das Angebot an bestimmten Waren oder Dienstleistungen sein soll.

42. Aber gerade im vorliegenden Bereich sind schwerwiegende Gründe für solche Eingriffe in die Marktmechanismen vorgetragen worden. Alle Mitgliedstaaten haben jedenfalls zwei entscheidende Eingriffe vorgenommen: erstens werden landesweit überhaupt keine Lotterieunternehmen zugelassen, oder die Erlaubnis ist nur einem einzigen oder einigen wenigen Unternehmen erteilt worden, und zweitens kann auf diesem Gebiet keine gewöhnliche kommerzielle Tätigkeit betrieben werden.

Natürlich besteht in der vorliegenden Sache keine Veranlassung, unter dem Gesichtspunkt des Niederlassungsrechts zur Rechtmäßigkeit dieser Eingriffe bezüglich des Zugangs der Unternehmen zur Ausübung von Tätigkeiten im Lotteriewesen Stellung zu nehmen. Aber es kann doch — wie sich aus dem folgenden ergeben wird — kaum ein begründeter Zweifel daran bestehen, daß die Mitgliedstaaten den Markt in dieser Art und Weise rechtmäßig regeln können, solange sie die Verpflichtung zur Gleichbehandlung nach Artikel 52 EWG-Vertrag beachten und solange die Gemeinschaft keine einschlägigen Rechtsvorschriften erlassen hat.

43. Diese Erwägungen sind nicht entscheidend, aber doch von Bedeutung für eine Stellungnahme zu dem, was in der vorliegenden Rechtssache problematisch ist, nämlich welche Grenzen für das Recht der Staaten gelten, die Anwendbarkeit ihres Rechts auch auf ausländische Dienstleistungserbringer zu erstrecken.

44. Die Erwägungen sind nicht entscheidend, weil nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, wie unter Nr. 54 gezeigt wird, das Verbot einer Begrenzung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Artikels 59 weiter reicht als das Verbot des Artikels 52, das die Möglichkeit der Mitgliedstaaten betrifft, das Niederlassungsrecht der Unternehmen zu regeln.

Die Erwägungen sind von Bedeutung, weil die Gesichtspunkte, die der Regelung des Niederlassungsrechts durch die Mitgliedstaaten zugrunde liegen, dieselben sind, die die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können, und es durchaus der Fall sein kann, daß sich das Ziel der Regelung des Niederlassungsrechts nur erreichen läßt, wenn die Niederlassungsregeln — d. h. die Regeln über den Zugang zu den betreffenden Tätigkeiten und über deren Ausübung — sowohl von inländischen als auch von ausländischen Unternehmen eingehalten werden müssen.

45. Für eine Stellungnahme zu dem hier entscheidenden Problem ist es wichtig, sich die Folgen der möglichen Antworten des Gerichtshofes klar zu machen.

46. Die weitestgehende Konsequenz einer Anwendung der Vorschriften des Vertrags über Dienstleistungen auf die die ausländischen Lotterien betreffenden Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten wäre, daß die Dienstleistungen von Unternehmen, die nach dem Recht ihres Heimatstaats rechtmäßig eine Lotterie betreiben, in dem Bestimmungsstaat voll anerkannt werden. Dies würde bedeuten, daß die Mitgliedstaaten ihre Vorschriften über Lotterien grundsätzlich vollständig gegenseitig anerkennen.

47. Es ist natürlich zu überlegen, inwieweit der Bestimmungsstaat in diesem Fall auch von ausländischen Dienstleistungserbringern verlangen kann, daß deren Tätigkeit nach Regeln ausgeübt wird, die im Hinblick auf den Schutz der Interessen des Verbrauchers und der Gesellschaft eine hinreichende Garantie für einen verantwortungsvollen Betrieb bieten.

48. Entsprechend ist zu überlegen, ob der Bestimmungsstaat von ausländischen Dienstleistungserbringern in der gleichen Weise wie von eigenen Unternehmen verlangen kann, daß der Gewinn in jedem Fall öffentlichen
oder gemeinnützigen Zwecken zugeführt wird.

49. Der Gerichtshof muß schließlich überlegen — dies ist die wichtigste Frage in dieser Rechtssache —, ob darüber hinaus dem Bestimmungsstaat Möglichkeiten einzuräumen sind, das Angebot an Lotterien zu
begrenzen.

Würden solche Möglichkeiten nicht eingeräumt, würde in jedem einzelnen Mitgliedstaat die Marktsituation so aussehen, daß die staatseigene oder -eigenen Lotterien ihre Dienstleistungen anbieten würden und gleichzeitig alle Lotterien, die in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig betrieben werden (und eventuell die genannten Erfordernisse eines verantwortungsvollen Betriebs usw. erfüllen) das gleiche tun könnten.

In diesem Fall wäre für den einzelnen Staat eine Begrenzung des Angebots wirklich unmöglich, da das Gesamtangebot auf dem Markt von dem in anderen Staaten zugelassenen Angebot abhinge; gleichzeitig würde eine Marktsituation entstehen, in der große Lotterien — in erster Linie die mit einem großen „Heimmarkt" — erhebliche Wettbewerbsvorteile hätten, da sie dem Verbraucher die höchsten Prämien anbieten könnten (Näheres unter Nr. 113).

Es träte, kurz gesagt, eine Situation ein, in der das Angebot nicht wirklich begrenzt werden könnte, um den Verbraucher vor den Gefahren übermäßigen Glücksspiels zu schützen, und in der nicht private Wirtschaftsteilnehmer miteinander konkurrierten — mit den daraus folgenden Vorteilen des Einsatzes von Ressourcen —, sondern öffentliche Kassen und gemeinnützige Zwecke in den einzelnen Mitgliedstaaten.

50. Die Mitgliedstaaten halten dieses Ergebnis für grundlegend falsch und sind der Meinung, daß es sich nicht aus dem Vertrag ableiten lasse.

Zu der fünften und der sechsten Vorlagefrage

51. Die Fragen betreffen wie gesagt die Bedeutung der Dienstleistungsvorschriften für die Anwendung britischer Vorschriften, die die Veranstaltung großer Lotterien im Vereinigten Königreich grundsätzlich verbieten, auf ausländische Lotterien.

52. Ich bin grundsätzlich der Ansicht, daß der Gerichtshof sich bei der Beantwortung der vorgelegten Fragen auf die Rechtmäßigkeit solcher Vorschriften nach dem EWG-Vertrag beschränken sollte.

Dessen ungeachtet halte ich es für zweckmäßig, auch Erwägungen über die Bedeutung des Vertrags für die in den meisten Mitgliedstaaten maßgebliche Lage mit einzubeziehen, d. h. eine Lage, in der der Markt für große
Lotterien einem oder mehreren Lotterieunternehmen vorbehalten ist, die von der öffentlichen Hand selbst oder unter staatlicher Kontrolle betrieben werden. Der Gerichtshof muß bei seiner Auslegung der Vertragsvorschriften im Zusammenhang mit der vorliegenden Sache natürlich der Bedeutung dieser Auslegung für die Rechtslage in den übrigen Mitgliedstaaten Rechnung tragen. Außerdem hat die britische Regierung zu Recht angeführt, daß die zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften nicht unabhängig davon beurteilt werden könnten, daß endlich die Entscheidung getroffen worden sei, im Vereinigten Königreich einen Rechtszustand herbeizuführen, der grundsätzlich dem in den anderen Mitgliedstaaten entspreche. Die anderen Mitgliedstaaten haben denn auch in ihren Erklärungen weitgehend Erwägungen angestellt, die für eine Beurteilung der Rechtslage in diesen Staaten von Bedeutung
sind.

Zur fünften Vorlagefrage

53. Die Frage lautet folgendermaßen:

„... gilt Artikel 59 für das Verbot der Einfuhr von Losen oder Werbematerial für große Lotterien durch das Vereinigte Königreich, obwohl die Beschränkungen für die Veranstaltung solcher Lotterien innerhalb des Ver-
einigten Königreichs nach dessen Recht ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und unabhängig davon gelten, ob die Lotterie innerhalb oder von außerhalb des Vereinigten Königreichs veranstaltet wird?"

54. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung stets darauf hingewiesen, daß die Dienstleistungsvorschriften des Vertrags in erster Linie eine offene oder verschleierte Diskriminierung ausländischer Dienstleistungen verbieten, doch hat er hinzugefügt, daß das Verbot auch andere Beschränkungen als die betreffen kann, die sich aus diskriminierenden Vorschriften ergeben. So stellte der Gerichtshof in seinen Urteilen von 1979 und 1981 in den Rechtssachen Van Wesemael und Webb 18 fest, daß die Vorschriften über Dienstleistungen auch die Möglichkeit der Mitgliedstaaten einschränken können, nichtdiskriminierende Vorschriften auf ausländische Dienstleistungen anzuwenden. Noch deutlicher wurde dies in den Urteilen von 1986 in den sogenannten Mitversicherungssachen festgestellt, die nichtdiskriminierende Erfordernisse der Niederlassung und Zulassung im Versicherungsbereich betrafen 19. Und zuletzt wurde dies in den Urteilen von 1991 in den sogenannten Fremdenführersachen 20 und im Urteil von 1991 in der Rechtssache Säger über Dienstleistungen, die sich auf Patentverlängerungen bezogen 21, festgestellt. In dem letztgenannten Urteil führte der Gerichtshof aus, „daß Artikel 59 EWG-Vertrag nicht nur die Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen des Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen —· selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistende wie für Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gelten — verlangt, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern" (Randnr. 12).
18 — Urteile vom 18. Januar 1979 (Rechtssache 110/78, Slg. 1979, 35) und vom 17. Dezember 1981 (Rechtssache 279/80, Slg. 1981, 3305).
19 — Namentlich Urteil vom 4. Dezember 1986 in der Rechtssache 205/84 (Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755).
20 — Urteile vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-154/89 (Kommission/Frankreich, Slg. 1991, I-659), in der Rechtssache C-180/89 (Kommission/Italien, Slg. 1991, I-709) und in der Rechtssache C-198/89 (Kommission/Griechenland, Slg. 1991, I-727).
21 — Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90 (Slg. 1991, I-4221).
22 — Z. B. Urteil vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-353/89 (Kommission/Niederlande, Slg. 1991, I-4069, Randnr. 15).
55. Die Rechtsprechung zu diesem Punkt läßt sich selbstverständlich nicht ohne den entscheidenden Vorbehalt verstehen, daß Beschränkungen — ob sie nun auf diskriminierenden Vorschriften beruhen oder nicht — begründet und damit rechtmäßig sein können.

Was „innerstaatliche Vorschriften" betrifft, „die nicht unterschiedslos auf alle Dienstleistungen ohne Rücksicht auf deren Ursprung anwendbar sind", so sind solche „mit dem Gemeinschaftsrecht [zu] vereinbaren, wenn sie unter eine ausdrückliche abweichende Bestimmung, wie z. B. Artikel 56 EWG-Vertrag, fallen" 22. Was andere Beschränkungen betrifft, so hat der Gerichtshof folgendes festgestellt: „In Anbetracht der Besonderheiten bestimmter Dienstleistungen sind solche an den Leistungserbringer gestellten besonderen Anforderungen nicht als mit dem Vertrag unvereinbar anzusehen, die sich aus der Anwendung von Regelungen für diese Art von Tätigkeiten ergeben. Jedoch darf der freie Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz des Vertrags nur durch Regelungen beschränkt werden, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und die für alle im Hoheitsgebiet des Bestimmungsstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten, und zwar nur insoweit, als dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Rechtsvorschriften Rechnung getragen ist, denen der Leistungserbringer in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist. Diese Anforderungen müssen insbesondere sachlich geboten sein, um die Einhaltung der Berufsregelungen und den Schutz der Empfänger von Dienstleistungen zu gewährleisten, und dürfen nicht über das hinausgehen, was zum Erreichen dieser Ziele erforderlich ist." 23.

56. Es besteht, wie wir sehen werden, weitgehende Übereinstimmung zwischen der Rechtsprechung zu Artikel 30 EWG-Vertrag und der zu Artikel 59 EWG-Vertrag.

Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof in Verbindung mit Artikel 59 nicht in der gleichen Weise wie in Verbindung mit Artikel 30 die Feststellung getroffen hat, daß jede Regelung, die den freien Dienstleistungsverkehr unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell beschränkt, von dem im Vertrag verankerten Verbot umfaßt wird 24. 

Der Dienstleistungsbereich ist jedoch bis zu einem gewissen Grad anders als der Warenbereich, vor allem wegen des entscheidenden persönlichen Elements bei vielen Dienstleistungen und der daraus folgenden Bedeutung der Unterscheidung zwischen den für den Zugang zu dem betreffenden Beruf oder Gewerbe geltenden Voraussetzungen (persönliche Qualifikationen u. a.) und den für die Ausübung des Berufs oder Gewerbes geltenden Voraussetzungen.

57. Infolgedessen ist es wohl am zutreffendsten, die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Artikel 59 so zusammenzufassen,

— daß alle diskriminierenden Maßnahmen unter Artikel 59 fallen und
— auch andere, aber nicht unbedingt alle Maßnahmen, die die Tätigkeiten ausländischer Dienstleistungserbringer im Gastland beschränken, unter Artikel 59 fallen können 25.
23 — Urteil in der Rechtssache Säger (siehe Anm. 21), Randnr. 15.
24 — Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 (Dassonville, Slg. 1974, 837).
25 — Daß auch im Zusammenhang mit Artikel 30 Beschränkungen des freien Warenverkehrs bestehen können, die keine Beschränkungen im Sinne des Artikels 30 sind, ist nun durch Urteil vom 24. November 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-267/91 und C-268/91 (Keck, Slg. 1993, I-6097) entschieden.
58. Die fünfte Vorlagefrage des High Court ist deshalb nicht mit der Feststellung beantwortet, daß die streitigen Vorschriften eine nichtdiskriminierende Beschränkung der Tätigkeit ausländischer Dienstleistungserbringer im Vereinigten Königreich darstellen.

Es muß untersucht werden, ob die Beschränkung eine Beschränkung im Sinne des Artikels 59 ist.

59. In den meisten in dieser Sache eingereichten Erklärungen, auch in denen der britischen Regierung, kommt zum Ausdruck, daß die Frage zu bejahen ist.

60. Einige Regierungen vertreten jedoch den entgegengesetzten Standpunkt. Sie stützen sich dabei vor allem auf die Urteile des Gerichtshofes vom 24. Oktober 1978 in der Rechtssache Société générale alsacienne de banque 26  und vom 18. März 1980 in der Rechtssache Debauve 27, die beide so verstanden werden können, daß die streitigen innerstaatlichen Vorschriften bereits deshalb nicht unter das Verbot des Artikels 59 fallen, weil sie nicht diskriminierend sind 28.
26 — Rechtssache 15/78, Slg. 1978, 1971.
27 — Rechtssache 52/79, Slg. 1980, 833.
28 — In der erstgenannten Rechtssache ging es um eine Dienstleistung — und zwar um Börsentermingeschäfte einer Bank im Auftrag eines Kunden —, die nach deutschem Recht als nicht einklagbar angesehen wurden. Der Gerichtshof stellte in diesem Fall folgendes fest: „Daß Spielschulden oder sonstige diesen gleichgestellte Verbindlichkeiten von der Möglichkeit gerichtlicher Geltendmachung ausgeschlossen werden, kann nicht als diskriminierende Behandlung in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Erbringer von Dienstleistungen angesehen werden, wenn die gleiche Beschränkung auch für jeden im Gebiet des beschränkenden Staates ansässigen Erbringer von Dienstleistungen gilt, der eine gleichartige Forderung geltend macht, was im vorliegenden Fall unstreitig ist" (Randnr. 5). In der zweiten Rechtssache ging es um ein belgisches Verbot, ausländische Werbemitteilungen im Wege des Kabelfernsehens zu übertragen. In seinem Urteil erkannte der Gerichtshof für Recht: „Die Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag stehen einer innerstaatlichen Regelung, nach der die Übertragung von Werbemitteilungen im Wege des Kabelfernsehens und die Ausstrahlung derartiger Mitteilungen durch das Fernsehen nicht zulässig sind, dann nicht entgegen, wenn diese Regelung ohne Unterscheidung hinsichtlich des — in- oder ausländischen — Ursprungs dieser Mitteilungen, der Staatsangehörigkeit des Erbringers der Dienstleistung oder des Orts, an dem dieser ansässig ist, angewandt wird" (Randnr. 16).
61. Ich meine, daß sich sehr gute Gründe dafür anführen lassen, daß nationale Rechts Vorschriften, die ein allgemeines Verbot einer bestimmten Tätigkeit und keine offene oder verschleierte Diskriminierung enthalten,
nicht gegen Artikel 59 EWG-Vertrag verstoßen. Solche Vorschriften sind für inländische und ausländische Dienstleistungserbringer gleichermaßen belastend, und es ist nicht ohne weiteres einsehbar, warum ausländische Dienstleistungserbringer eine Inländern verbotene Tätigkeit ausüben können sollen, nur weil sie diese Tätigkeit in ihrem Heimatstaat rechtmäßig ausüben.

62. Dies ist jedoch in der vorliegenden Sache kaum entscheidend. Die eben angeführten Urteile können nämlich nur bis zu einem gewissen Grade als Stütze für dieses Ergebnis angeführt werden. Der Gerichtshof prüfe in Wirklichkeit in dem Urteil Debauve, ob das betreffende Verbot zu den verfolgten Zielen in einem Mißverhältnis stand, und es darf nicht übersehen werden, daß der Gerichtshof wie gesagt in seiner späteren Rechtsprechung klargestellt hat, daß auch nichtdiskriminierende Beschränkungen unter Artikel 59 fallen können.

63. Im übrigen gibt es in dem konkreten Zusammenhang einen Grund dafür, daß Vorschriften wie die hier streitigen als Beschränkungen auch im Sinne des Artikels 59 anzusehen sind. Das streitige Verbot wurde in einer Situation angewendet, in der die britische Regierung erklärt hatte, daß es aufzuheben sei, weil sie die Errichtung einer staatlichen Lotterie für zweckmäßig halte. Ein Rechtszustand, der ausländischen Dienstleistungserbringern nicht erlaubt, in derselben Weise zu arbeiten wie Inländer, ist in jedem Fall eine Beschränkung im Sinne des Artikels 59, auch wenn er eventuell als nichtdiskriminierend anzusehen ist.

64. Die fünfte Frage ist aus diesen Gründen so zu beantworten, daß Artikel 59 EWG-Vertrag auf die streitigen Vorschriften Anwendung findet, auch wenn sie ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und unabhängig davon gelten, ob die Lotterie innerhalb oder von außerhalb des Vereinigten Königreichs veranstaltet wird.

Zur Frage, ob die britischen Rechtsvorschriften wirklich diskriminierend sind

65. Soweit ersichtlich bestreitet in dieser Sache niemand die Richtigkeit der der fünften Frage zugrunde liegenden Prämisse, nämlich daß die streitigen britischen Vorschriften ihrem Inhalt nach ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und unabhängig davon gelten, ob die Lotterie innerhalb oder von außerhalb des Vereinigten Königreichs veranstaltet wird.

66. Die Kommission und die Brüder Schindler machen jedoch geltend, daß die Vorschriften in Wirklichkeit diskriminierend seien. Sie hinderten nämlich eine Lotterie wie die Süddeutsche Klassenlotterie daran, Zugang zu einem Markt zu erhalten, wo entsprechende Glücksspieltätigkeiten für Konkurrenzunternehmen erlaubt seien.

In erster Linie verweisen sie auf die Tätigkeiten der örtlichen Lotterien und die der privaten Unternehmen, die Fußballwetten veranstalteten (Football pools). Diese Konkurrenzunternehmen würden mittelbar geschützt, und damit seien die streitigen Rechtsvorschriften diskriminierend.

67. Ich halte diese Auffassung nicht für zutreffend.

68. Außerdem ist von der Tatsache auszugehen, daß die britischen Rechtsvorschriften ein allgemeines Verbot der Veranstaltung von Lotterien enthalten, das nur durch einige genau abgegrenzte, auf den ersten Blick
objektiv wohlbegründete Ausnahmen zugunsten örtlicher Lotterien durchbrochen wird, deren Zweck genau festgelegt ist und deren Umsatz einen bestimmten Betrag nicht übersteigen darf 29.

Nichts in der Rechtssache deutet darauf hin, daß dieser Rechtszustand britische Lotterien unmittelbar oder mittelbar gegen die Konkurrenz anderer Lotterien, die außerhalb des Vereinigten Königreichs veranstaltet werden, schützen sollen. Es geht so weit ersichtlich um eine objektiv wohlbegründete Abgrenzung des britischen Lotteriemarkts, wonach dieser auf örtliche Lotterien mit einem begrenzten Umsatz beschränkt ist. Daß diese Abgrenzung dazu führt, daß große ausländische Lotterien nicht in Konkurrenz zu den zugelassenen örtlichen Lotterien tätig werden können, verleiht den betreffenden Regeln keinen diskriminierenden Charakter.

69. Nach den britischen Rechtsvorschriften sind Glücksspiele in Form des Fußballtotos zulässig. Die Genehmigung hierzu wird sogar privaten Unternehmen erteilt, die diese Tätigkeit mit Gewinnerzielungsabsicht ausüben, da die staatliche Regelung sich darauf beschränkt, sicherzustellen, daß das Unternehmen zuverlässig betrieben wird und ein angemessener Teil des Gewinns durch Besteuerung der Staatskasse zufließt 30.

Es ist nichts dafür vorgetragen worden, daß die geltenden britischen Vorschriften über Fußballtoto für sich allein gegen Vorschriften des Vertrags verstießen, und es ist auch nichts vorgetragen worden, was darauf hindeutet, daß die für den hier maßgeblichen Glücksspielmarkt wichtigen britischen Vorschriften zum Schutz des britischen Glücksspielmarkts gegenüber der Konkurrenz ausländischer Lotterien erlassen worden wären.

Die Regelung ist als rechtmäßiger Ausdruck der Auffassung des britischen Gesetzgebers, wie ein Glücksspielmarkt organisiert werden soll, anzusehen. Sie kann Ausdruck historischer Erfahrungen sein oder Erwägungen widerspiegeln, was als sozial am ehesten annehmbar erscheint (z. B. daß im Fußballtoto ein Element der Geschicklichkeit vorkommt, das in Lotterien fehlt), und sie kann einfach Ausdruck einer Wahl zwischen zwei möglichen Spielformen sein, da der Gesetzgeber es für wünschenswert hält, nur eine Form zuzulassen, weil das Gesamtangebot an Spielen sonst zu groß würde.
29 — Es handelt sich nach dem britischen Lotteriegesetz von 1976 um kleine Lotterien, díe in Verbindung mit bestimmten Formen der Unterhaltung veranstaltet werden (Section 3), um private Lotterien, die einem begrenzten Personenkreis vorbehalten sind (Section 4), um Lotterien zugunsten bestimmter Vereinigungen (Section 5), um Lotterien der örtlichen Behörden (Section 6) und um Lotterien, die in Übereinstimmung mit dem Gesetz über Kunstvereine von 1846 veranstaltet und durchgeführt werden.
Die größte Bedeutung haben die in den Sections 5 und 6 des Gesetzes von 1975 genannten Lotterien. Im Anhang A des Weißbuches von 1992 über eine Staatliche Lotterie heißt es zu diesen Lotterien: „Es gibt drei Arten von Lotterien, die von einer Vereinigung oder einer örtlichen Behörde veranstaltet werden können. Eine kurzzeitige Lotterie kann einen Monat nach der vorhergehenden veranstaltet werden. Der Höchstumsatz (d. h. der Wert der verkauften Lose) beträgt 45 000 UKL und der Höchstgewinn 6 000 UKL.
Eine Lotterie von mittlerer Dauer kann veranstaltet werden, wenn zwischen einem und drei Monaten seit der vorhergehenden Lotterie verstrichen sind. Der Höchstumsatz beträgt 90 000 UKL und der Höchstgewinn 9 000 UKL. Die größten öffentlichen Lotterien werden vierteljährlich mit einem Umsatz von 180 000 UKL und einem höchsten Einzelgewinn von 12 000 UKL veranstaltet. Der Höchstpreis für ein Los ist in allen Fällen 1 UKL."
Die britische Regierung weist darauf hin, daß die Höchstbeträge im Zusammenhang mit der Errichtung der Staatlichen Lotterie angehoben worden seien.
30 — Es ist darauf hingewiesen worden, daß es zur Zeit drei solcher Unternehmen gibt, nämlich die Firma Littlewoods, die mehr als 76 % des Marktes hält, Vernons, die 20 % besitzen, und Zetters mit etwa 3 %. Nach einer Mintel-Untersuchung, Special Report, Gamling 1991, S. 32 f . zahlen die Unternehmen mehr als 40 % des Umsatzes an den Staat, während die eigenen Nettoeinnahmen der Unternehmen ungefähr 4,4 % des Umsatzes betragen.
Die britische Regierung erklärte im Weißbuch von 1991 folgendes zu der Wirkung, die die Errichtung einer staatlichen Lotterie auf andere Formen der Glücksspiele haben würde:
„29. Fußballtoto ist die Form des Glücksspiels, die wahrscheinlich am stärksten von der Staatlichen Lotterie berührt werden wird. Das Toto ist eine Spielform mit .kleinem Einsatz/großem Gewinn', und in Totokreisen wird befürchtet, daß man früher oder später von einer staatlichen Lotterie verdrängt werde. In einigen Ländern hat eine staatliche Lotterie dem Toto geschadet, während die beiden Formen in anderen Ländern nebeneinander bestehen. Es werden weitere Untersuchungen erforderlich sein, um die Folgen festzustellen, die eine staatliche Lotterie auf das Toto hier im Lande haben wird.
30. Andere Formen des Glücksspiels werden wahrscheinlich in geringerem Maße als das Toto berührt werden. Sie bieten eine Leistung an, die ihrem Wesen nach von einer staatlichen Lotterie entweder als Folge des Spiels selbst oder der Umstände, unter denen es gespielt wird, oder in bezug auf beides verschieden ist. So werden Personen, die bei Pferde-oder Hunderennen wetten, kaum Interesse an einer staatlichen Lotterie haben, die ein Spiel mit »kleinen Chancen/kein Geschicklichkεitsspiel' ist. Bingo ist ein Gesellschaftsspiel, das nicht durch den Kauf eines Loses ersetzt werden kann. Ebenso bieten Spielbanken eine Art von Spiel und andere Annehmlichkeiten, die von der Teilnahme an einer Lotterie völlig verschieden sind. Spielautomaten, die der Öffentlichkeit am einfachsten zugänglich sind, dienen eher der Unterhaltung als daß sie die Chance eines großen Gewinns bieten.
....

33. Eine der am häufigsten angeführten Bedenken gegen die Lockungen einer staatlichen Lotterie ist, daß Wohltätigkeitseinrichtungen Einnahmen aus den bestehenden kleinen Lotterien und aus karitativen Schenkungen allgemein verlieren. Es ist nicht bekannt, wie hoch die Einnahmen sind, die die Wohltätigkeitseinrichtungen heutzutage aus kleinen Lotterien beziehen, da Zahlen für alle Lotterien nicht zentral erfaßt werden. ... Wohltätigkeitseinrichtungen werden ausdrücklich als eine der Gruppen angeführt, die eine staatliche Lotterie unterstützen muß ..."
70. Die britischen Rechtsvorschriften behandeln verschiedene Formen von Glücksspielen unterschiedlich, und die Tatsache, daß es in gewissem Maße um miteinander konkurrierende Tätigkeiten geht, ist an und für sich nicht gleichbedeutend damit, daß eine verschleierte Diskriminierung vorliegt. Im übrigen könnte eine Zustimmung zu dem Standpunkt der Kommission und der Brüder Schindler in der Tat so verstanden werden, daß sie auf der Prämisse beruht, daß ein Mitgliedstaat allein deshalb, weil er eine Spielform erlaubt hat, verpflichtet ist, entsprechende Spielformen ausländischer Unternehmen zuzulassen.

Hat eine große staatliche Lotterie Bedeutung für die Frage der Diskriminierung?

71. Es kann geltend gemacht werden, daß die Entscheidung über die Errichtung einer staatlichen Lotterie zeige, daß es tatsächlich um eine Diskriminierung entsprechender ausländischer Lotterien gehe.

72. Es wäre meines Erachtens verkehrt, bei der Beurteilung der eventuell diskriminierenden Wirkung der hier einschlägigen Rechtsvorschriften darauf abzustellen, daß diese Vorschriften später geändert wurden. Die im Ausgangsverfahren maßgeblichen Vorschriften werden nicht deshalb diskriminierend, weil zum damaligen Zeitpunkt eventuell Überlegungen angestellt wurden, sie zu ändern, und diese Überlegungen später vielleicht zu Änderungen geführt haben.

73. Darüber hinaus neige ich aber der Ansicht zu, daß es nicht richtig wäre, einen Rechtsstand wie den, der nach Erlaß des National Lottery etc. Act 1991 im Vereinigten Königreich und nach den vorliegenden Angaben auch in den übrigen Mitgliedstaaten besteht, als diskriminierend zu qualifizieren.

74. Es können sehr wohl in einem Land Vorschriften gelten, die ausländische Unternehmen daran hindern, Dienstleistungen zu erbringen — selbst wenn dies inländischen Unternehmen erlaubt ist —, ohne daß diese
Vorschriften als diskriminierend zu qualifizieren wären. Das typische Beispiel sind innerstaatliche Vorschriften, nach denen eine bestimmte Tätigkeit nur von Unternehmen ausgeübt werden kann, die im Inland niedergelassen sind. Solche Vorschriften bedeuten „die Negation" der Dienstleistungsfreiheit (vgl. Urteil des Gerichtshofes in der Mitversicherungssache Kommission/Deutschland 31). Der Gerichtshof qualifizierte diesen Rechtszustand als diskriminierend, stellte aber fest, daß für „die Zulässigkeit eines solchen Erfordernisses ... nachgewiesen werden [muß], daß es eine unerläßliche Voraussetzung für die Erreichung des verfolgten Zwecks ist". Er ließ damit auch andere Gründe als die in Artikel 56 des Vertrags genannten für eine eventuelle Rechtfertigung dieser wesentlichen Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs zu.

31 — Rechtssache 205/84, Slg. 1986, 3755, Randnr. 52.
75. Die hier in Rede stehende Situation unterscheidet sich von einem allgemeinen Erfordernis der Niederlassung dadurch, daß die betreffende Tätigkeit ·—· nach einer Bedarfsprüfung — nur einem oder einzelnen Unternehmen erlaubt wird. Dieser Umstand verleiht jedoch nicht an und für.sich den Vorschriften einen diskriminierenden Charakter. Es ist immer noch am richtigsten, davon auszugehen, daß sie nicht Ausdruck einer Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder der Herkunft der Unternehmen sind.

Es verstößt nicht an und für sich gegen den EWG-Vertrag, daß Mitgliedstaaten einem einzelnen oder einzelnen Unternehmen ausschließliche Rechte verleihen (vgl. hierzu Artikel 90 EWG-Vertrag). Die Mitgliedstaaten sind in diesem Fall verpflichtet, die allgemeinen Regeln des Vertrags einzuhalten, in diesem Zusammenhang also namentlich die Niederlassungs- und Dienstleistungsvorschriften des Vertrags. Dies bedeutet u a., daß die Beschränkungen, die die betreffenden ausschließlichen Rechte im Hinblick auf das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr mit sich bringen, in Übereinstimmung mit der allgemeinen Rechtsprechung des Gerichtshofes gerechtfertigt werden können müssen.

Wenn allein der Umstand, daß ausschließliche Rechte verliehen wurden, als Diskriminierung angesehen würde, wären ausschließliche Rechte nur rechtmäßig, wenn sie aus einem der in Artikel 56 genannten Gründe, d. h. aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt wären.

Ein solches Ergebnis ist meines Erachtens nicht richtig.

76. Zum einen meine ich, daß es unzweckmäßig ist, dem Begriff der Diskriminierung einen weiten Anwendungsbereich in einem Kontext wie dem vorliegenden zu geben und zum anderen halte ich es für eine wirksame Anwendung des Artikels 59 EWG-Vertrag nicht für entscheidend, ob die Situation als diskriminierend qualifiziert wird.

77. Nach Artikel 56 beeinträchtigen die Kapitel über das Niederlassungsrecht und Dienstleistungen nicht die Anwendbarkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, „die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen", wenn sie aus den in diesem Artikel aufgezählten Gründen gerechtfertigt sind.

Bereits der Wortlaut der Bestimmung zeigt, daß es um eine Sonderregelung für ausländische Unternehmen gehen muß, und es scheint mir, wenn bestimmten Unternehmen ungeachtet der Staatsangehörigkeit oder ihrer
Herkunft ausschließliche Rechte erteilt werden, nicht naheliegend, solch eine Regelung als eine „Sonderregelung für ausländische" Unternehmen zu bezeichnen.

Außerdem legt der Gerichtshof Artikel 56 restriktiv aus. Er hat darauf hingewiesen, daß die in der Bestimmung genannten Gründe nur geltend gemacht werden können, wenn „eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt" 32. Eine solche restriktive Auslegung ist zweifellos am Platz, wenn es um innerstaatliche Rechtsvorschriften geht, die — entweder offen oder verchleiert — auf die Staatsangehörigkeit oder die Herkunft der Unternehmen abstellen.
Dagegen ist sie nicht am Platz, wenn die eventuell diskriminierenden Wirkungen einer streitigen Maßnahme eine tatsächliche Folge von Abgrenzungskriterien sind, die sich sachlich durchaus rechtfertigen lassen.
32 — Urteil vom 27. Oktober 1977 in der Rechtssache 30/77 (Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Randnr. 35).
Ich halte es für gefährlich, einen weiten Diskriminierungsbegriff zu verwenden und Artikel 56 zugleich eng auszulegen. Dies kann zu einer unbeabsichtigten Beschränkung der Regelungszuständigkeit führen, die nach dem System des EWG-Vertrags zwangsläufig den Mitgliedstaaten zukommen muß, solange die Organe der Gemeinschaft keine Harmonisierung der entsprechenden nationalen Vorschriften vorgenommen haben.

78. Die Frage der Qualifikation hat im übrigen nach meiner Meinung keine große praktische Bedeutung in der vorliegenden Sache. Es geht, wie die Situation nach dem Diskriminierungsbegriff hier auch immer qua-
lifiziert wird, um eine wesentliche Beschränkung — eine Negation der Dienstleistungsfreiheit —, die sich nur rechtfertigen läßt, wenn die streitige Maßnahme objektiv notwendig ist, um Grundinteressen der Gesellschaft zu berücksichtigen.

79. Die entscheidende Frage bleibt somit in jedem Fall nach meiner Meinung, ob die Interessen der Gesellschaft, auf das die Staaten hinweisen, so grundlegend sind, daß sie im vorliegenden Kontext die Beschränkung rechtfertigen können, und ob die betreffenden Vorschriften objektiv notwendig sind, um das verfolgte Ziel zu erreichen und darüber hinaus in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Ziel stehen.

Zu der Frage, ob die Beschränkung, die sich aus dem britischen Verbot der Einfuhr von Losen und Werbematerial für große Lotterien ergibt, die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des Vertrags erfüllt

80. Die sechste Frage lautet folgendermaßen:

„... bilden die vom Vereinigten Königreich angeführten Gründe der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung berechtigte Erwägungen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sittlichkeit, die die beanstandeten Beschränkungen unter den Umständen des vorliegenden Falles entweder nach Artikel 56 in Verbindung mit Artikel 66 oder auf andere Weise rechtfertigen?"

81. Die elf Mitgliedstaaten, die Erklärungen eingereicht haben, haben sich alle für eine Bejahung dieser Frage ausgesprochen. Die Brüder Schindler und die Kommission vertreten hierzu eine unterschiedliche Auffassung.

Welche Interessen sollen durch die bestehenden Beschränkungen geschützt werden?

82. Die Mitgliedstaaten machen im wesentlichen geltend, daß die strenge Regelung der Tätigkeiten im Lotteriewesen und die daraus sich ergebende Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs auf drei Gründen beruhten.

83. Erstens auf der Notwendigkeit, die Verbraucher, d. h. die Teilnehmer an der Lotterie, vor Betrügereien und anderen Formen rechtswidriger Lotterieveranstaltungen zu schützen 33.

84. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, daß allgemeiner durch Vorschriften und Kontrollen die tatsächlich bestehende Gefahr abgewehrt werden müsse, daß Lotterien von kriminellen Kreisen übernommen oder zu kriminellen Zwecken, u. a. der Geldwäsche, benutzt würden.

85. Es wird geltend gemacht, daß besondere Gefahren bei grenzüberschreitenden Lotterien beständen 34. In diesem Zusammenhang haben einige Mitgliedstaaten auf die erhöhte Gefahr der Steuerhinterziehung hingewiesen. Die Kommission leugnet nicht, daß eine erhöhte Gefahr des Mißbrauchs bei grenzüberschreitenden Lotterien besteht, meint aber, daß die Mitgliedstaaten nach den vorliegenden Informationen hierbei nicht vor unüberwindbaren Problemen stünden.
33 — Es wird darauf hingewiesen, daß Lotterien eine Form des Glücksspiels seien, die für Betrug besonders anfällig sei. Dies liege daran, daß der Teilnehmer keine einfache und unabhängige Möglichkeit besitze, in Erfahrung zu bringen, wie hoch der eingezahlte Gesamtbetrag sei oder ob die versprochenen Preise ausgezahlt worden seien. Ohne ausreichende Kontrolle wäre es dem Betreiber einer Lotterie möglich, einen Teil der Erträge abzuschöpfen oder —im Fall unmittelbar durchgeführter Lotterien —die Gewinnlose, etwa zum eigenen Gebrauch, zurückzuhalten (Vorlagebeschluß unter 30.).

34 — In den Erklärungen der belgischen Regierung werden Beispiele für Klagen über einen solchen Mißbrauch angeführt.
86. Zweitens machen alle Mitgliedstaaten geltend, daß im Hinblick auf die Verbraucher eine Begrenzung des absoluten Angebots an Glücksspielen und eine Regelung der Art und Weise, in der Spiele angeboten würden, erforderlich seien. Sie verweisen auf die tatsächliche Gefahr, daß bestimmte Personen im Übermaß spielen könnten mit all den ernsten sozialen und gesundheitlichen Folgen für sie selbst und ihre Familien und damit für die Gesellschaft.

87. Drittens müsse sichergestellt werden, daß der Gewinn aus den Lotterien zu bestimmten von der Gesellschaft akzeptierten Zwecken verwendet werde, wozu es notwendig sein könne festzulegen, wieviel vom Lotterieumsatz für die Ausgaben zur Veranstaltung der Lotterie, wieviel für Gewinne und wieviel zu staatlichen oder sonst gemeinnützigen Zwecken zu verwenden sei.

88. Es ist nach meiner Meinung unbestreitbar und wird soweit ersichtlich hier auch nicht ernstlich bestritten, daß jedes dieser Ziele ein Ziel ist, das Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs gegebenenfalls rechtfertigen kann. Im übrigen geht es nach meiner Meinung um so wesentliche Ziele, daß der Gerichtshof sie, falls er es für erforderlich hält, als Ziele einstufen kann, die von Artikel 56 EWG-Vertrag erfaßt werden.

89. Die entscheidende Frage ist daher, ob die hier behandelten Beschränkungen notwendig sind, um die betreffenden Ziele zu erreichen, ob diese Ziele mit anderen, weniger einschneidenden Mitteln erreicht werden können und ob die Beschränkungen insgesamt in angemessenem Verhältnis zu den Zielen stehen.

Zur Frage, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet ist

90. Die Brüder Schindler und die Kommission verneinen diese Frage eindeutig, während die Mitgliedstaaten sie einstimmig bejahen.

91. In dem Rechtsstreit ist geltend gemacht worden, daß die genannten Gründe nicht isoliert voneinander betrachtet werden können. Dem stimme ich soweit zu. Es ist jedoch notwendig, die Gründe einzeln durchzugehen, was aber nicht ausschließt, daß die Gründe zwar nicht einzeln, doch zusammen die Beschränkungen rechtfertigen können.

Zur Frage, ob die Beschränkungen zum Schutz der Verbraucher und der Gesellschaft vor Betrug usw. erforderlich sind

92. Es ist unbestritten, daß das Anliegen, die Verbraucher vor der naheliegenden Gefahr des Mißbrauchs von Lotterien und darüber hinaus vor dem Einsatz der Lotterien zu kriminellen Zwecken zu schützen, selbst sehr tiefe einschneidende Regelungen und Kontrollen der Tätigkeiten im Lotteriewesen rechtfertigen können.

93. Es ist jedoch vorgetragen worden, daß dieser Grund jedenfalls nicht in der vorliegenden Rechtssache die streitigen Beschränkungen rechtfertigen könne, weil er nur insoweit geltend gemacht werden könne, als das Lotterieunternehmen, das die betreffenden Dienstleistungen erbringe, nicht bereits in seinem Heimatland einer ausreichenden Regelung für seine Tätigkeit und ausreichenden Kontrollen unterliege, die der Regelung
und den Kontrollen in dem Land, in dem die Dienstleistung erbracht werde, entsprächen.

94. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann der Bestimmungsstaat von ausländischen Dienstleistungserbringern die Einhaltung seiner eigenen Vorschriften nicht verlangen, wenn die diesen Vorschriften zugrunde liegenden Erwägungen in den eigenen Rechtsvorschriften des Dienstleistungs-
erbringers bereits berücksichtigt worden sind (Äquivalenzprinzip) 35.
35 — Siehe namentlich Urteil in der Mitversicherungssache (Rechtssache 205/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1986, 3755, Randnr. 34 ff.).
95. In unserem konkreten Fall läßt sich sicherlich argumentieren, daß das Äquivalenzprinzip schwer anzuwenden sei, da größere Lotterien zu dem im Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkt im Vereinigten Königreich verboten gewesen seien und deshalb kein Schutzniveau festgelegt gewesen sei, mit dem das für den ausländischen Dienstleistungserbringer maßgebliche Schutzniveau hätte verglichen werden können.

Dies ist jedoch nur ein formeller Einwand. Zum einen ist insoweit ein Vergleich mit dem Schutz möglich, den das Vereinigte Königreich den Verbrauchern im Zusammenhang mit den örtlichen Lotterien und vergleichbaren Glücksspielen wie Fußballtoto bietet, und im übrigen heute auch mit dem Schutz, der dem Verbraucher bei der neuen staatlichen Lotterie geboten wird.

Zum anderen steht fest, daß die Vorschriften, die für die Süddeutsche Klassenlotterie gelten, und deren Kontrolle in hohem Maße Sicherheit gegen Mißbrauch bieten 36.
36 — Siehe hierzu Anmerkung 9.
Es ist in dieser Rechtssache auch nicht vorgetragen worden, daß bei dieser Lotterie eine größere Gefahr des Mißbrauchs bestehe als sie für vergleichbare Spieltätigkeiten im Vereinigten Königreich als hinnehmbar angesehen wird.

96. Schließlich ist — nach meiner Meinung — in den allgemein gehaltenen Ausführungen der Mitgliedstaaten zu den erhöhten Gefahren grenzüberschreitender Lotterien nichts Konkretes für die Annahme vorgetragen worden, daß diese angebliche Gefahr allein die Anwendung der streitigen Rechtsvorschriften durch die britischen Behörden rechtfertigen könnte.

97. Daß der hier in Rede stehende Grund in dem konkreten Fall nicht angeführt werden kann, um die Tätigkeit der Süddeutschen Klassenlotterie im Vereinigten Königreich auszuschließen, bedeutet natürlich nicht, daß die Mitgliedstaaten in anderen Fällen ausländischen Lotterien nicht doch den Zugang zu ihren Märkten verwehren können, wenn die Regeln, die für sie in ihren Heimatstaaten gelten, und die Kontrolle, der sie dort unterliegen, im Vergleich zu dem Schutzniveau, an dem der Bestimmungsstaat festhalten will, nicht ausreichend sind.

Zur Frage, ob die Beschränkungen zur Begrenzung des Angebots von Glücksspielen im Bestimmungsstaat erforderlich sind

98. Akzeptiert man — und alle Mitgliedstaaten gehen davon aus —, daß das Gesamtangebot an Glücksspielen begrenzt werden muß, erscheint es auf den ersten Blick auch notwendig, daß die Mitgliedstaaten das Recht ausländischer Unternehmen auf Erbringung ihrer Dienstleistungen beschränken können.

Es ist wie gesagt ein Faktum, daß die Glücksspielmärkte der einzelnen Länder verschieden sind. Was in dem einen Land erlaubt ist, kann in dem anderen verboten sein. Könnte ein Staat Dienstleistungen aus Ländern, in denen diese erlaubt sind, nicht verbieten, würden seine Möglichkeiten für eine Beschränkung des Gesamtangebots an Spielen erheblich beschnitten.

99. Die Brüder Schindler und die Kommission führen demgegenüber an, daß solche Gesichtspunkte in dem vorliegenden Fall vom Vereinigten Königreich nicht geltend gemacht werden könnten, wenn man berücksichtige, daß sich der gesamte Glücksspielmarkt im Vereinigten Königreich im Jahr 1990 auf mehr als 13 Milliarden UKL belaufen habe, daß es umfassende Spielmöglichkeiten gegeben habe, hierunter Fußballtoto (einer privaten kommerziellen Tätigkeit, die grundsätzlich von jedem ausgeführt werden kann, der die allgemeinen Voraussetzungen hierfür erfüllt), daß das Vereinigte Königreich die Errichtung einer großen staatlichen Lotterie beschlossen habe und im übrigen anerkannt habe, daß Lotterie die am wenigsten gefährliche Form eines Glücksspiels sei 37.
37 — Im Weißbuch von 1992 heißt es dazu:
„14. Die Rothschild Royal Commission erkannte zwei Prinzipien einer Giücksspielpolitik an. Erstens sollen
Glücksspiele entsprechenden Vorschriften unterliegen, um sicherzustellen, daß sie ehrlich und fair durchgeführt würden. Zweitens soll die Nachfrage nach Glücksspielen nicht angeregt werden, weil diese, im Übermaß betrieben, den einzelnen und seine Familie unglücklich machen können und verheerende Wirkungen für die Gesellschaft insgesamt haben. Selbst wenn diese allgemeinen Prinzipien jeder Glücksspielkontrolle zugrunde liegen, werden sie unterschiedlich auf unterschiedliche Spielformen angewandt.
15. Glücksspiele in Spielbanken sind z. B. kriminalitätsanfälliger, und man kann sehr schnell hohe Geldbeträge verlieren. Sie sind die ,härteste' Form der Glücksspiele (hinsichtlich der Anfälligkeit für Mißbrauch und ihre Gefahren für den einzelnen) und sind deshalb am strengsten geregelt. ... Dagegen hat man lange Zeit Lotterien als die .mildeste' Form der Glücksspiele angeschen. Eingesetzt werden normalerweise kleine Beträge, und es besteht nicht derselbe Anreiz, Verluste durch immer weitere Spiele auszugleichen zu versuchen. Sie unterliegen einfacheren Regeln, da die Geldbeträge, um die es geht, bescheidener sind. Da sie bescheidene Gewinne bieten und wohltätigen Zwecken dienen, kann für sie uneingeschränkt geworben werden. Vor allem kann für sie im Fernsehen und Radio geworben werden, wohingegen -Radio-und Fernsehwerbung für alle Formen von Wetten oder Glücksspiel durch eine gesetzliche Regelung in Verbindung mit den Werbevorschriften der Radio- und Fernsehgesellschaften verboten ist."
100. Diese Argumentation, die auf den ersten Blick recht überzeugend erscheint, ist trotz allem aus folgenden Gründen zurückzuweisen.

101. Würde man die Auffassung der Brüder Schindler und der Kommission akzeptieren, hätte dies wie gesagt zur Folge, daß ein Mitgliedstaat mit verhältnismäßig liberalen Glücksspielvorschriften Beschränkungen des Spielangebots nicht länger aufrechterhalten könnte, jedenfalls nicht gegenüber der Spielform, die von den öffentlichen Stellen des betreffenden Landes als die im Verhältnis am wenigsten schädliche Spielform angesehen
wird.

Weiter würde es — ganz abgesehen davon, daß damit schwierige Ermessensentscheidungen verbunden wären — eine Distanzierung von einem der Hauptargumente der Mitgliedstaaten für ihre Befugnis zur Regelung der Glücksspiele, nämlich der Notwendigkeit, das Gesamtangebot beschränken zu können, bedeuten.

Berücksichtigt man, was über die Gefahren, die für bestimmte Menschen mit dem Glücksspiel verbunden sind, bekannt ist, halte ich es nicht für möglich, den übereinstimmenden Standpunkt der Mitgliedstaaten zurückzuweisen, daß ein tatsächliches Bedürfnis für eine Beschränkung des Angebots an Glücksspielen besteht und daß diese Beschränkung — solange hierzu keine Gemeinschaftsvorschriften erlassen sind — notwendigerweise von den Mitgliedstaaten vorgenommen werden muß.

102. Müßten die einzelnen Mitgliedstaaten Lotterien akzeptieren, die rechtmäßig und in befriedigender Weise in allen anderen Mitgliedstaaten veranstaltet werden, verlören sie die Möglichkeit, die Zahl der veranstalteten Lotterien, die Zahl der Ziehungen und die Höhe des erlaubten Umsatzes zu kontrollieren. Das Angebot in den Mitgliedstaaten würde in Wirklichkeit von dem Angebot bestimmt, das in allen Mitgliedstaaten
zusammengenommen besteht.

103. Die Kommission hat denn auch in der Sitzung erklärt, daß für die einzelnen Mitgliedstaaten vermutlich eine Möglichkeit bestellen müsse, das Angebot durch ein nichtdiskriminierendes Konzessionssystem zu beschränken.

104. Diese Auffassung zeigt die Schwierigkeit, wenn durch die unmittelbare Anwendung der Dienstleistungsvorschriften des Vertrags die nationalen Märkte für ausländische Dienstleistungen geöffnet werden.

Nach meiner Meinung können die Dienstleistungsvorschriften des Vertrags nicht so ausgelegt werden — ebensowenig wie die Vorschriften über das Niederlassungsrecht —, daß die Mitgliedstaaten daran gehindert sind, bestimmte Spielformen aus sachlichen Gründen zu verbieten.

So können die Mitgliedstaaten aufgrund des Vertrags nicht verpflichtet werden, in einem Bereich, in dem eine bestimmte Spielform ihrer Meinung nach verboten werden muß, ein Konzessionssystem einzuführen.

Dagegen kann wie gesagt zweifellos aufgrund des Vertrags verlangt werden, daß die Mitgliedstaaten, soweit sie ein beschränktes Angebot hinsichtlich einer bestimmten Spielform zulassen, dieses in nichtdiskriminieren-
der Weise organisieren.

Dagegen halte ich es für ausgeschlossen, aus den Dienstleistungsvorschriften des Vertrags eine unmittelbar geltende Pflicht der Mitgliedstaaten abzuleiten, eine bestimmte Anzahl von Lotterien zu erlauben. Anders
ausgedrückt: Dem Vertrag lassen sich keine Kriterien dafür entnehmen, wie groß das erlaubte Angebot hinsichtlich einer bestimmten Spielform sein muß.

Akzeptiert man, daß die Mitgliedstaaten das Angebot begrenzen können, muß die Frage, wie groß das Angebot sein soll, den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, die mit ihren Beschlüssen eine Entscheidung zum Ausdruck bringen werden, die in hohem Maße von den in den Staaten geltenden soziokulturellen Verhältnissen geprägt sein wird 38.
38 — Siehe Urteil vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-169/91 (Council of the City of Stoke-on-Trent, Slg. 1992, I-6635, Randnr. 11).
105. Kurz gesagt bin ich nicht der Ansicht, daß auf der Grundlage der Dienstleistungsvorschriften des Vertrags ohne eine Harmonisierung in der Gemeinschaft zwischen der Bejahung der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, auf nichtdiskriminierender Grundlage das Angebot zu beschränken, u. a. durch das Verbot oder die Beschränkung von Dienstleistungen ausländischer Lotterieunternehmen, und der uneingeschränkten Bejahung des Rechts ausländischer Lotterien auf Erbringung ihrer Dienstleistungen, wenn diese in ihrem Heimatland u. a. in befriedigender Weise geregelt sind, ein Kompromiß möglich ist.

106. Akzeptiert man somit, daß die Mitgliedstaaten das Spielangebot, insbesondere Lotterien, regeln können müssen, muß man auch akzeptieren, daß eine Beschränkung von Dienstleistungen ausländischer Unternehmen ein notwendiges und verhältnismäßiges Mittel ist.

Zur Frage, ob die Beschränkungen notwendig sind, um den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu lassen, Regeln für die Anwendung des Gewinns aus Lotterien festzulegen

107. Der letzte der Gründe, die die Mitgliedstaaten angeführt haben, nämlich ihre Möglichkeit, sicherzustellen, daß der Gewinn aus den Lotterien gemeinnützigen oder staatlichen Zwecken zufließt, ist ebenfalls von Bedeutung, um zu rechtfertigen, daß den Mitgliedstaaten die Möglichkeit zuzuerkennen ist, Dienstleistungen ausländischer Lotterien zu beschränken.

108. Es ist zweifellos historisch richtig und immer noch so, daß ein wesentlicher Grund, Glücksspiele überhaupt zuzulassen, die Möglichkeit ist, den Gewinn aus dieser Tätigkeit für „gute" Zwecke zu verwenden.

109. Sicherlich gibt es heute einige Gründe, gegenüber den Motiven der Mitgliedstaaten für eine Regelung des Glücksspielmarktes etwas skeptisch zu sein. Wie bereits angedeutet, haben die Mißbilligung des Glücksspiels an sich und das Interesse an einer Begrenzung der Gefahr übermäßigen Glücksspiels der Bürger gegenüber dem Interesse, die Spiellust der Bevölkerung als Einnahmequelle für die Staatskasse (entweder dadurch, daß der Gewinn unmittelbar der Staatskasse zufließt oder dadurch, daß der Gewinn kräftig besteuert wird) oder für gemeinnützige Zwecke zu nutzen, an Bedeutung verloren. Die Liberalisierung der Spielmärkte in mehreren Mitgliedstaaten und die Hinnahme einer häufig sehr aggressiven Werbung für Glücksspiele sind Zeichen dieser Entwicklung.

110. Aber selbst wenn dies zutrifft, steht doch fest, daß der Gewinn zu nichtkommerziellen Zwecken verwendet wird. Ich halte es insoweit nicht für entscheidend, ob der Gewinn der Staatskasse oder gemeinnützigen Zwecken zugute kommt. Der für gemeinnützige Zwecke verwendete Gewinn entlastet jedenfalls in gewissem Umfang die öffentlichen Haushalte davon, für die Ausgaben für diese gemeinnützigen Zwecke aufzukommen.

111. In diesem Zusammenhang sind verschiedene Umstände von Bedeutung.

Es ist vermutlich richtig, daß die Teilnehmer an Lotterien, wie in mehreren Erklärungen ausgeführt wurde, bis zu einem gewissen Grad an diesen teilnehmen, weil der Gewinn Zwecken zufließt, die ihnen besonders am Herzen liegen. Es kann jedoch auch nach dem vorliegenden Sachverhalt davon ausgegangen werden, daß bei großen Lotterien die Verwendung des Gewinns nur begrenzte Bedeutung für die Entscheidung der Teilnahme hat. Es herrscht offensichtlich Einverständnis, daß nicht zuletzt die Höhe der Gewinne entscheidend ist 39.
39 — In dem Bericht der Kommission — Gambling in the Single Market —Bd. 1, S. 44, heißt es folgendermaßen: „Wer spielt, ist in erster Linie daran interessiert, an einem attraktiven Spiel teilzunehmen. Ob ein Spiel attraktiv ist, hängt mit der Höhe der Prämien, der Gewinnchancen und der Frage zusammen, ob die Gewinne abgabenfrei oder nur mit einer geringen Abgabe belegt sind. Erscheint eine ausländische Lotterie attraktiver als ein inländisches Glücksspiel, werden einige Spieler daran teilnehmen, indem sie entweder Lose mit der Post bestellen oder indem sie über die Grenze reisen, um Lose bei einem Bevollmächtigten im Ausland zu kaufen. Die Bestellung über die Post eignet sich besonders für Klassenlotterien, da Fristen für die Entgegennahme der Lose viele Wochen später ablaufen."
112. Es läßt sich daher davon ausgehen — wie auch von mehreren Mitgliedstaaten geltend gemacht worden ist —, daß eine Öffnung der nationalen Märkte zu einem vermutlich intensiven Wettbewerb zwischen den großen Lotterien um Marktanteile in der ganzen Gemeinschaft führen würde.

Eine nicht unwahrscheinliche Entwicklung wäre, daß die von vornherein größten Lotterien — die, die heutzutage einen großen „Heimmarkt" haben — nicht alleine die kleineren und örtlichen Lotterien (die es von
vorneherein schwer haben), sondern auch die staatlichen Lotterien der kleineren Mitgliedstaaten vom Markt verdrängen würden 40.
40 — In dem Bericht der Kommission wird dazu ausgeführt (Bd. 1, S. 18):
„Grenzüberschreitende Glücksspiele sind ein marktbedingtes Phänomen. Die Bevollmächtigten bestimmter Klassenlotterien sind die aktivsten Förderer illegaler grenzüberschreitender Spiele.
,Mail-shot'-marketing ist in allen zwölf Mitgliedstaaten betrieben worden. Die kleinen Lotteriemärkte mit entsprechend kleinen Gewinnen sind eindeutig am anfälligsten. Die hohen Prämien in der deutschen Klassenlotterie besitzen eine große Anziehungskraft auf die Verbraucher, die normalerweise in kleineren staatlichen Lotterien mit geringeren Hauptgewinnen spielen. Diagramm 8 zeigt in diesem Zusammenhang die Anfälligkeit von Dänemark, Belgien und den Niederlanden. Grenzüberschreitende Spiele, die es gibt, weil sie von der Nähe eines benachbarten Mitgliedstaats oder der ähnlichen Sprache und Kultur profitieren, wirken nur in einer Richtung. Solche nur in einer Richtung wirkende grenzüberschreitende Spiele gibt es häufiger, wenn hinsichtlich der Größe der Bevölkerungen ein Mißverhältnis besteht und deshalb größere Lotterien mit höheren Preisen kleineren staatlichen Lotterien oder Lottos gegenüberstehen."
113. Der Wettbewerb würde vermutlich wie gesagt auch auf der Grundlage der Höhe der Preise geführt. Diese hingen im wesentlichen vom Umsatz und von der Höhe der Verwaltungskosten sowie des Gewinnanteils, der staatlichen oder gemeinnützigen Zwecken zugeführt werden muß, ab. Ein wichtiger Wettbewerbsparameter ist somit, wie groß der Anteil ist, der für die Gewinne verwendet werden kann, und wie groß der Anteil ist, der für staatliche oder gemeinnützige Zwecke verwendet werden muß. Die Lotterien, die den größten Anteil für die Gewinne verwenden, werden einen Wettbewerbsvorteil haben. Meines Erachtens müßte es zulässig sein, daß die Mitgliedstaaten eine solche Form des Wettbewerbs auf diesem ganz speziellen Markt verhindern.

114. Für die Mitgliedstaaten ist es zweifellos auch wesentlich, daß sie die Entstehung eines freien Wettbewerbs zwischen Lotterien auf europäischer Ebene verhindern können, dessen praktisch wichtigste Konsequenz wäre, daß die öffentlichen Kassen der verschiedenen Länder oder die gemeinnützigen Zwecke um das Geld konkurrierten, das europäische Bürger für Lotterien ausgeben.

Aufgrund dessen läßt sich mit Sicherheit nicht ausschließen, daß als eine der möglichen Konsequenzen einer Öffnung der staatlichen Märkte die großen deutschen Klassenlotterien so beherrschende Marktanteile
gewännen, daß es „unrentabel" würde, kleinere staatliche Lotterien in den Nachbarländern zu betreiben. Dies würde bedeuten, daß die Mittel, die bisher gemeinnützigen Zwecken in diesen Ländern zugeflossen sind, dann in die öffentlichen Kassen der deutschen Bundesländer flössen, die diese Lotterien betreiben.

115. Nach Ansicht der Kommission kann diesem Grund im Zusammenhang mit der Anwendung eines der grundliegenden Prinzipien des Vertrags, das eines der Grundpfeiler bei der Errichtung des Binnenmarkts sei, kein Gewicht beigemessen werden.

Sie stützt sich dabei auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach wirtschaftliche Gründe Ausnahmen von den Vorschriften des Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr nicht rechtfertigen können 41.
 41 — Z. B. Urteil vom 26. April 1988 in der Rechtssache 352/85 (Bond van Adverteerders, Slg. 1988, 2085), wo der Gerichtshof festgestellt hat: „Wirtschaftliche Ziele wie dasjenige, einer inländischen öffentlichen Stiftung die Gesamtheit der Einnahmen zu sichern, die aus speziell für das Publikum des betroffenen Staats bestimmten Werbemitteilungen stammen, können keine Gründe der öffentlichen
Ordnung im Sinne von Artikel 56 EWG-Vertrag sein" (Randnr. 34).
116. Auf den ersten Blick mag es vielleicht prinzipienwidrig erscheinen, daß ein solcher „wirtschaftlicher Grund" Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können soll.

Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch nach meiner Meinung, daß diesem Grund in dem vorliegenden Zusammenhang Gewicht beigemessen werden kann. Es geht nicht um einen wirtschaftlichen Grund in dem Sinne, in dem der Begriff in der Rechtsprechung des Gerichtshofes verwendet wird.

117. Der Vertrag baut auf dem Grundsatz auf, daß der Umsatz wirtschaftlicher Güter im Verbrauchsstaat mit Abgaben belegt werden kann (vgl. hierzu Artikel 95 EWG-Vertrag).

Die Kommission wies in der Sitzung darauf hin, daß ein Mitgliedstaat den Verkauf von Tabak und Alkohol aus anderen Mitgliedstaaten nicht verbieten kann, wenn ein solcher Verkauf in dem betreffenden Staat erlaubt ist. Das ist natürlich richtig. Das ändert aber nichts daran, daß die Staaten die eingeführten Waren in derselben Weise wie die im Inland hergestellten Waren mit Abgaben belegen können.

Es erscheint mir nicht unangemessen, den Sachverhalt so aufzufassen, daß es auch im Zusammenhang mit Lotterien um eine Form der Entrichtung von Abgaben geht. Wenn die Kommission Recht hätte, daß die Mitgliedstaaten nach dem Vertrag verpflichtet sind, ihre Märkte für ausländische Lotterien zu öffnen, würde „die Abgabe" auf Lose — d. h. der Teil des Lospreises, der der öffentlichen Kasse (oder gemeinnützigen Zwecken) zufließen soll — an den „Produktionsstaat" und nicht an den „Verbrauchsstaat" gezahlt.

118. Daß es nicht falsch ist, den Sachverhalt unter diesem Gesichtswinkel zu betrachten, wird durch die Ausführungen zu der Regelung bestätigt, die die luxemburgische Regierung mit zwei deutschen Lottounternehmen getroffen hat: Danach haben diese beiden Unternehmen die Erlaubnis erhalten, ihre Tätigkeit in Luxemburg gegen Entrichtung eines bestimmten Prozentsatzes des dort erzielten Umsatzes an den luxemburgischen Staat auszuüben.

119. Daß die hier genannten Gründe gegebenenfalls Beschränkungen grenzüberschreitender Dienstleistungen rechtfertigen können, wird zugleich durch das Urteil des Gerichtshofes vom 28. Januar 1992 in der Rechtssache Bachmann bestätigt, wo der Gerichtshof feststellte, daß die fraglichen ernsten Beschränkungen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Dienstleistungen zum Schutz der Steuereinnahmen des Staates durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein können, die Kohärenz der Steuerregelung zu gewährleisten 42.
42 — Rechtssache C-204/90, Slg. 1992, I -249.
120. Wichtiger ist jedoch nach meiner Meinung, daß der Gerichtshof in der vorliegenden Sache einen ganz speziellen Markt vor sich hat, für den, wie die Rechtsvorschriften aller Mitgliedstaaten zeigen, die allgemeinen Marktmechanismen weder gelten können noch gelten sollen. Soweit ersichtlich, hält kein Mitgliedstaat in diesem Bereich einen freien Wettbewerb mit den genannten Folgen für richtig.

121. Es würde um einen Wettbewerb gehen, bei dem sich tiefgreifende Folgen für eine Reihe von Lotterien mit einer langen Tradition, die eine wichtige Finanzierungsquelle für bedeutende Wohlfahrtsverbände und gemeinnützige Organisationen sind, kaum vermeiden lassen. Würde ein solcher Wettbewerb, der eine Folge der Öffnung der Märkte wäre, zugelassen, würde dies die nationale Vielfältigkeit einschränken, ohne daß sich dies nach meiner Meinung als notwendige Konsequenz der Errichtung des Binnenmarktes ansehen ließe.

122. Es lassen sich kaum schutzwürdige Wirkungen einer Öffnung der Märkte anführen. Soweit ich sehe, würde keines der in Artikel 2 EWG-Vertrag genannten Ziele damit gefördert.

123. Der zweckmäßige Einsatz von Ressourcen, der in wirtschaftlicher Hinsicht der wichtigste Grund für die Vertragsvorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr ist, spielt nach meiner Meinung im Lotteriebereich keine Rolle 43.
43 — Vgl. hierzu Artikel 102a EG-Vertrag in der durch den Vertrag über die Europäische Union geänderten Fassung, der in Satz 2 bestimmt: „Die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft handeln im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird, und halten sich dabei an die in Artikel 3a genannten Grundsätze."
124. Die Kommission macht zwar geltend, daß eine Öffnung der Märkte dazu führen würde, daß die Verbraucher mehr Möglichkeiten hätten, zwischen gemeinnützigen Zielen, die sie unterstützen wollten, zu wählen und größere Gewinne erhielten. Möglicherweise hat die Kommission auf kurze Sicht mit dem ersten Punkt recht. Es ist aber wie gesagt nicht unwahrscheinlich, daß eine Öffnung der Märkte auf längere Sicht dazu führen kann, daß eine Reihe von Lotterien vom Markt verdrängt werden und damit die Wahlmöglichkeit des Verbrauchers beschränkt wird.

Hinsichtlich des zweiten Punktes hat die Kommission wie gesagt vermutlich recht. Nach meiner Meinung kann dies aber kein Ziel sein, das der Vertrag verwirklichen soll. Eine Erhöhung der Gewinne würde auf der einen Seite die Spielleidenschaft verstärken und auf der anderen Seite dazu führen, daß der Anteil des Lotterieumsatzes, der als Gewinn öffentlichen oder gemeinnützigen Zwecken zufließt, geringer würde.

125. Nach meiner Meinung kann deshalb festgestellt werden, daß keine schwerwiegenden vom Vertrag zu schützenden Gründe dagegen sprechen, daß die Mitgliedstaaten weiterhin den freien Dienstleistungsverkehr beschränken können, während andererseits den von den Mitgliedstaaten übereinstimmend angeführten Gründen gegen die Öffnung der Märkte erhebliches Gewicht beizumessen ist. Es ist ein Bereich, in dem gute Gründe dafür sprechen, den Mitgliedstaaten ihre Regelungszuständigkeit zu belassen, solange feststeht, daß die Gemeinschaft von ihrer Regelungszuständigkeit in diesem Bereich keinen Gebrauch machen will.

126. Nach meiner Meinung ist als Ergebnis weiter festzustellen, daß aufgrund dessen nicht auf Mittel verwiesen werden kann, die in weniger einschneidender Weise die Ziele verwirklichen könnten, die mit den geltenden Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs verbunden sind 44.
44 — In den Vereinigten Staaten führte der Kongreß aufgrund der „commerce clause" in der Bundesverfassung im Lotteriebereich ein grundsätzliches Verbot des „freien Austauschs von Dienstleistungen" zwischen den Bundesstaaten ein. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetzgebung wurde durch Urteil des Federa! Supreme Court von 1903 bestätigt („The Lottery Case", Champion/Ames, [1903] 186 U. S. 321).
127. Ich meine deshalb, daß die Fragen des High Court dahingehend zu beantworten sind, daß die Dienstleistungsvorschriften des Vertrags der Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften nicht  entgegenstehen, die die Einfuhr von Losen und Werbematerial für große ausländische Lotterien verbieten, wenn große staatliche Lotterien verboten sind.

In dem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, daß die Errichtung einer großen staatlichen Lotterie beschlossen wurde, weil selbst dann, wenn solche Lotterien bestehen, nach meiner Meinung die Mitgliedstaaten Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs aufrechterhalten könnten 45.
45 — Ich habe erwogen, ob für die Auslegung des Artikels 59 im Kontext dieser Sache Artikel 55 Absatz 2 EWG-Vertrag Bedeutung beizumessen ¡st. Nach diesem Artikel in Verbindung mit Artikel 66 kann der Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit beschließen, daß dieses Kapitel auf bestimmte Tätigkeiten keine Anwendung findet. In dieser Sache ist nichts dazu vorgetragen worden, daß der Rat und die Kommission die Anwendung der Bestimmung erwogen hätten, um die Lotterien von den Vertragsvorschriften über Dienstleistungen auszunehmen. Natürlich ist in jedem Fall von Bedeutung, daß die Bestimmung nicht angewendet werden kann, ohne daß die Kommission einen Vorschlag hinsichtlich ihrer Anwendung vorgelegt hat. Ich bin zu dem Ergebnis gekommen, daß der Bestimmung im Kontext dieses Falles keine Bedeutung beizumessen ist.
Schlußantrag

128. Ich schlage deshalb dem Gerichtshof vor, die Fragen des High Court wie folgt zu beantworten:

Rechtsvorschriften über die Einfuhr von Losen und Werbematerial für große Lotterien fallen unter Artikel 59 EWG-Vertrag, der jedoch einem in diesen Rechtsvorschriften enthaltenen Verbot von Dienstleistungen großer ausländischer Lotterien nicht entgegensteht, wenn ein solches Verbot zu einem allgemeinen Verbot der Veranstaltung solcher Lotterien gehört.