(Urteil s.u.)
von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) müssen geplante Gesetzesänderungen hinsichtlich Glücksspielautomaten der Europäischen Kommission vorab notifiziert (d.h. im Entwurf mitgeteilt) werden, wenn diese Bestimmungen die Art und die Vermarktung wesentlich beeinflussen können (Urteil vom 19. Juli 2012 in den verbundenen Rechtssachen Fortuna C-213/11, Grand C-214/11 und Forta C-217/11).
Der EuGH war vom Verwaltungsgericht Danzig um Vorabentscheidung gebeten worden, nachdem mehrere Automatenaufsteller mit Klagen geltend gemacht hatten, durch eine nicht notifizierte Gesetzesänderung würden ihre Automaten praktisch nutzlos. Durch das zum 1. Januar 2010 in Kraft getretene polnische Glücksspielgesetz waren Automatenspiele nunmehr nur noch in Spielkasinos zulässig. Davor war lediglich eine Erlaubnis der örtlich zuständigen Finanzbehörde erforderlich. Auch war nunmehr nach den Übergangsbestimmungen eine Änderung der Orte der Spielveranstaltung nicht mehr möglich.
Rechtlich ging es vor dem EuGH um die Frage, ob diese Gesetzesänderungen als „technische Vorschriften“ im Sinne der Richtlinie 98/34/EG zu betrachten sind, deren Entwürfe der Europäischen Kommission übermittelt hätten werden müssen. Nach Ansicht des EuGH wird durch die Übergangsbestimmungen die Vermarktung der Spielautomaten beeinträchtigt. Das Verbot der Ausstellung, der Verlängerung und der Änderung der Erlaubnisse für die Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen außerhalb von Spielkasinos sei nämlich geeignet, den Handel mit den Automaten für Spiele mit niedrigen Gewinnen unmittelbar zu beeinträchtigen (Rn. 36). Nach Auffassung des EuGH muss das nationale Gericht neben der Möglichkeit einer (Um-)Programmierung der Automaten nunmehr prüfen, ob die Verringerung der Stätten für Automatenspiele auch mit einer Begrenzung der Höchstzahl der Spielkasinos und der dort benutzbaren Spielautomaten einhergeht.
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D - 82031 Grünwald (bei München)
Quelle
Hintergrund:
EuGH entscheidet zur Notifizierungspflicht
Der BGH entschied:
BGH I ZR 92/09 vom 19. Juli 2012
Rn. 25) Schließlich legt die Anhörungsrüge auch im Zusammenhang mit dem Beklagtenvortrag zur unionsrechtlichen Notifizierungspflicht keinen Gehörsverstoß dar. Der Senat hat in Randnummer 36 f. des Revisionsurteils ausgeführt, dass der Glücksspielstaatsvertrag der Kommission notifiziert worden ist, so dass das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV jedenfalls ab 21. Juni 2007 in Kraft gesetzt werden durfte. Er hat weiter dargelegt, dass das Ausführungsgesetz des Landes Hessen keine Regelungen enthielt, die zu einer erneuten Notifizierungspflicht hinsichtlich des Internetverbots führten; die Frage, ob für die Ausführungsgesetze der Länder zum Glücksspielstaatsvertrag unter anderen Gesichtspunkten eine gesonderte Notifizierungspflicht bestand, hat er dahinstehen lassen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass der Senat entgegen der Ansicht der Beklagten der Umsetzung von § 4 Abs. 4 GlüStV in hessisches Landesrecht keinen eigenständigen notifizierungspflichtigen Inhalt beimisst, obwohl Rechtswirkungen gegenüber Dritten erst durch diesen Umsetzungsakt entstehen. Mit Notifizierung des Glücksspielstaatsvertrags hatte die Kommission Kenntnis davon, dass die Regelung des § 4 Abs. 4 GlüStV – selbstverständlich mit Rechtswirkung für Dritte – in Deutschland eingeführt werden sollte. Es ist dann nicht ersichtlich, warum der rein formale Akt eines inhaltlich identischen Ausführungsgesetzes erneut der Prozedur der Notifizierung unterzogen werden soll.BGH I ZR 30/10 vom 28. September 2011
Rn 43) Soweit § 1 BremGlüG die Zustimmung des Bundeslands Bremen zum Glücksspielstaatsvertrag enthält, folgt daraus kein über diesen Vertrag hinausgehender notifizierungspflichtiger Inhalt des Ausführungsgesetzes.so auch
Rn 44 cc) Zwar können Verschärfungen des Entwurfs einer technischen Vorschrift nach Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 3 der Informationsrichtlinie eine erneute Notifizierungspflicht auslösen.
Rn 45) Es kann dahinstehen, ob für die Ausführungsgesetze der Länder zum Glücksspielstaatsvertrag unter anderen Gesichtspunkten eine gesonderte Notifizierungspflicht bestand.
BGH I ZR 43/10 vom 28. September 2011
BGH I ZR 92/09 vom 28. September 2011
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
19. Juli 2012(*)
19. Juli 2012(*)
„Binnenmarkt
– Richtlinie 98/34/EG – Normen und technische Vorschriften –
Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen
Vorschriften – Spielautomaten mit niedrigem Gewinn – Verbot der
Änderung, der Verlängerung und der Ausstellung der Erlaubnisse für die
Durchführung – Begriff ‚technische Vorschrift‘“
In den verbundenen Rechtssachen C‑213/11, C‑214/11 und C‑217/11
betreffend
Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Wojewódzki Sąd Administracyjny w Gdańsku (Polen) mit Entscheidungen vom
16. November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 9. bzw. 11. Mai 2011,
in den Verfahren
Fortuna sp. z o.o. (C‑213/11),
Grand sp. z o.o. (C‑214/11),
Forta sp. z o.o. (C‑217/11)
gegen
Dyrektor Izby Celnej w Gdyni,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter
Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters
J. Malenovský, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter
G. Arestis (Berichterstatter) und D. Šváby,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. März 2012,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Fortuna sp. z o.o., der Grand sp. z o.o. und der Forta sp. z o.o., vertreten durch K. Budnik, adwokat,
– der polnischen Regierung, vertreten durch M. Szpunar, B. Majczyna und D. Lutostańska als Bevollmächtigte,
– der
belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs
als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck und R. Verbeke,
advocaten,
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und A. P. Barros als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Zavvos und K. Herrmann als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Die
Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung des Art. 1 Nr. 11
der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom
22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen
und technischen Vorschriften (ABl. L 204, S. 37) in der durch die
Richtlinie 2006/96/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363,
S. 81) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34).
2 Diese
Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der
Fortuna sp. z o.o. (im Folgenden: Fortuna), der Grand sp. z o.o. (im
Folgenden: Grand) und der Forta sp. z o.o. (im Folgenden: Forta)
einerseits und dem Dyrektor Izby Celnej w Gdyni (Direktor der Zollkammer
Gdyni, im Folgenden: DZG) andererseits wegen dessen Weigerung, die
Erlaubnisse für die Aufnahme und Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der
Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen, je nach Fall, zu erteilen oder
zu verlängern.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Art. 1 Nrn. 1 bis 5 und 11 der Richtlinie 98/34 bestimmt:
„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:
1. ‚Erzeugnis‘:
Erzeugnisse, die gewerblich hergestellt werden, und landwirtschaftliche
Erzeugnisse, einschließlich Fischprodukte;
2. ‚Dienst‘:
eine Dienstleistung der Informationsgesellschaft, d. h. jede in der
Regel gegen Entgelt elektronisch im Fernabsatz und auf individuellen
Abruf eines Empfängers erbrachte Dienstleistung.
3. ‚technische
Spezifikation‘: Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist,
das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen,
Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der
Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen
und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des
Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.
…
4. ‚sonstige
Vorschrift‘: eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische
Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der
Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem
Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch,
Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese
Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder
seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können;
5. ‚Vorschrift
betreffend Dienste‘: eine allgemein gehaltene Vorschrift über den
Zugang zu den Aktivitäten der unter Nummer 2 genannten Dienste und über
deren Betreibung, insbesondere Bestimmungen über den Erbringer von
Diensten, die Dienste und den Empfänger von Diensten, unter Ausschluss
von Regelungen, die nicht speziell auf die unter dieser Nummer
definierten Dienste abzielen.
…
11. ‚Technische
Vorschrift‘: Technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder
Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen
Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das
Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines
Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder
in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie –
vorbehaltlich der in Artikel 10 genannten Bestimmungen – die Rechts- und
Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung,
Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder
Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als
Erbringer von Diensten verboten werden.
…“
4 Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 und 3 dieser Richtlinie lautet:
„Vorbehaltlich
des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission
unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich
nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder
europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um
welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission
gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung
einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei
denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.
…
Die
Mitgliedstaaten machen eine weitere Mitteilung in der vorgenannten Art
und Weise, wenn sie an dem Entwurf einer technischen Vorschrift
wesentliche Änderungen vornehmen, die den Anwendungsbereich ändern, den
ursprünglichen Zeitpunkt für die Anwendung vorverlegen, Spezifikationen
oder Vorschriften hinzufügen oder verschärfen.“
Nationales Recht
5 Das
Gesetz über Spiele und Wetten (Ustawa o grach i zakładach wzajemnych)
vom 29. Juli 1992 (Dz. U. 2004, Nr. 4, Pos. 27) in geänderter Fassung,
das bis zum 31. Dezember 2009 in Kraft war, regelte die Aufnahme und
Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen
Gewinnen.
6 Art. 2 Abs. 2b dieses Gesetzes bestimmte:
„Automatenspiele
mit niedrigen Gewinnen sind Spiele an mechanischen, elektromechanischen
oder elektronischen Geräten mit Geld- oder Sachgewinnen, bei denen der
Wert des einzelnen Gewinns nicht mehr als 15 [Euro] betragen kann und
der Wert des Höchsteinsatzes für die Teilnahme an einem Spiel nicht
höher als 0,07 [Euro] sein kann.“
7 Nach
den Bestimmungen des genannten Gesetzes müssen die Eigentümer solcher
Geräte, um diese Automatenspiele durchführen zu können, die Erlaubnis
der örtlich zuständigen Finanzbehörde erhalten. Diese wurde den
Eigentümern dieser Geräte für die Dauer von sechs Jahren erteilt und
konnte auf Antrag der Person, der sie erteilt worden war, um weitere
sechs Jahre verlängert werden.
8 Art. 7 Abs. 1a des genannten Gesetzes sah vor:
„Die
Veranstaltung von Automatenspielen mit niedrigen Gewinnen ist nur an
Stätten für Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen zulässig.“
9 Art. 30 des Gesetzes über Spiele und Wetten bestimmte:
„Stätten
für Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen können sich in Gastronomie-,
Handels- oder Dienstleistungsräumen befinden, die mindestens 100 m von
Schulen, Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, Pflegeeinrichtungen und
religiösen Stätten entfernt sind.“
10 Das
Glücksspielgesetz (Ustawa o grach hazardowich) vom 19. November 2009
(Dz. U. Nr. 201, Pos. 1540), welches das Gesetz über Spiele und Wetten
ersetzt, trat am 1. Januar 2010 in Kraft.
11 Art. 14 Abs. 1 Glücksspielgesetz bestimmt:
„Die Veranstaltung von Roulettespielen, Kartenspielen, Würfelspielen und Automatenspielen ist nur in Spielkasinos zulässig.“
12 Art. 129 dieses Gesetzes sieht vor:
„(1) Eine
Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen oder
der Automatenspiele in Automatenspielsalons auf der Grundlage von
Erlaubnissen, die vor dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes erteilt
wurden, wird bis zum Erlöschen der Erlaubnisse von den Personen, denen
sie erteilt wurden, nach den bisherigen Vorschriften ausgeübt, sofern
dieses Gesetz nichts anderes bestimmt.
(2) Verfahren
zur Erteilung von Erlaubnissen für die Ausübung einer Tätigkeit im
Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen oder der
Automatenspiele in Automatenspielsalons, die vor dem Tag des
Inkrafttretens dieses Gesetzes eingeleitet und nicht abgeschlossen
wurden, werden eingestellt.
(3) Automatenspiele
mit niedrigen Gewinnen sind Spiele an mechanischen, elektromechanischen
oder elektronischen Geräten mit Geld- oder Sachgewinnen, bei denen der
Wert des einzelnen Gewinns nicht mehr als 60 PLN betragen kann und der
Wert des Höchsteinsatzes für die Teilnahme an einem Spiel nicht höher
als 0,50 PLN sein kann.“
13 Art. 135 Glücksspielgesetz lautet wie folgt:
„(1) Die
Erlaubnisse nach Art. 129 Abs. 1 können vorbehaltlich der Abs. 2 und 3
nach den in diesem Gesetz festgelegten Grundsätzen für die Änderung von
Konzessionen und Erlaubnissen, die Personen erteilt worden sind, die
eine Tätigkeit in dem in Art. 6 Abs. 1 bis 3 genannten Bereich ausüben,
von der für die Erteilung von Erlaubnissen am Tag vor dem Tag des
Inkrafttretens dieses Gesetzes zuständigen Behörde geändert werden. Die
Bestimmungen der Art. 56 und 57 gelten entsprechend.
(2) Die
Änderung einer Erlaubnis darf nicht zur Änderung der Orte der
Spielveranstaltung führen, mit Ausnahme einer Verringerung der Zahl der
Stätten für Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen.
…“
14 Gemäß
Art. 138 Abs. 1 dieses Gesetzes können die Erlaubnisse nach Art. 129
Abs. 1 des genannten Gesetzes nicht verlängert werden.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
15 Die
Klägerinnen des Ausgangsverfahrens üben eine wirtschaftliche Tätigkeit
aus, die u. a. in der Veranstaltung und Durchführung von
Automatenspielen besteht. Für diese Zwecke erwerben Fortuna, Grand und
Forta auf dem Unionsmarkt Spielautomaten.
16 Fortuna
besitzt die gesetzlich erforderliche Erlaubnis zur Ausübung dieser Art
von Tätigkeit, die ihr am 1. November 2003 für die Dauer von sechs
Jahren erteilt wurde und anschließend mit Entscheidung vom 14. September
2009 verlängert wurde. Diese Erlaubnis betrifft eine große Zahl von
Spielstätten. Fortuna beantragte die Änderung ihrer Erlaubnis
hinsichtlich der Festlegung eines der Orte der Spielveranstaltung. Mit
Entscheidung vom 3. Februar 2010, bestätigt durch weitere Entscheidung
vom 14. April 2010, lehnte der DZG diesen Antrag unter Berufung auf
Art. 135 Abs. 2 Glücksspielgesetz ab, wonach Änderungen einer Erlaubnis
nicht zu einer Änderung der Orte der Spielveranstaltung führen dürfen,
mit Ausnahme einer Verringerung der Zahl der Stätten für Automatenspiele
mit niedrigen Gewinnen.
17 Grand
besaß die gesetzlich erforderliche Erlaubnis für die Veranstaltung und
Durchführung von Automatenspielen, die ihr am 6. August 2004 für die
Dauer von sechs Jahren erteilt worden war. Die Erlaubnis betraf
ebenfalls eine große Zahl von Spielstätten. Grand stellte einen Antrag
auf Verlängerung seiner Erlaubnis um weitere sechs Jahre. Mit
Entscheidung vom 24. Februar 2010, bestätigt durch weitere Entscheidung
vom 18. Mai 2010, lehnte der DZG diesen Antrag unter Berufung auf
Art. 138 Abs. 1 Glücksspielgesetz ab, wonach die Erlaubnisse für die
Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen
Gewinnen nicht verlängert werden dürfen.
18 Am
10. Dezember 2008 stellte Forta einen Antrag auf Erlaubnis für die
Veranstaltung und Durchführung von Automatenspielen mit niedrigen
Gewinnen in der Woiwodschaft Pommern. Dieser Antrag, der sich
ursprünglich auf 112 Stätten für Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen
bezog, umfasste schließlich 80 Stätten. Mit Entscheidung vom 12. Februar
2010, bestätigt durch weitere Entscheidung vom 19. April 2010, stellte
der DZG in Anwendung von Art. 129 Abs. 2 Glücksspielgesetz fest, dass
das in Rede stehende Verfahren nicht weiter zu verfolgen sei. Nach
dieser Bestimmung waren nämlich die offenen und vor Inkrafttreten dieses
neuen Gesetzes noch nicht abgeschlossenen Verfahren, welche die Anträge
nach dem Gesetz über Spiele und Wetten auf Erlaubnis für die Ausübung
einer Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen
oder der Automatenspiele in Automatenspielsalons betrafen, einzustellen.
19 Die
Klägerinnen des Ausgangsverfahrens erhoben gegen die sie betreffenden
Entscheidungen jeweils Klage beim Wojewódzki Sąd Administracyjny w
Gdańsku (Verwaltungsgericht der Woiwodschaft Gdansk) und machten
geltend, dass sich die Verwaltungsbehörden nicht auf die Vorschriften
des Glücksspielgesetzes als Grundlage für die Entscheidung berufen
könnten, da dieses Gesetz nicht der Kommission mitgeteilt worden sei,
obwohl es „technische Vorschriften“ im Sinne der Richtlinie 98/34
enthalte. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens trugen außerdem vor,
dass die aus diesem Gesetz folgenden Beschränkungen der Ausübung von
Automatenspielen mit niedrigen Gewinnen zu erheblichen Beschränkungen
des Handels mit den betreffenden Automaten innerhalb der Europäischen
Union führen würden. Das Verbot, frühere Erlaubnisse zu ändern oder zu
erneuern, sowie das Verbot, für den Betrieb solcher Automaten neue
Erlaubnisse zu erteilen, würden nämlich diese Automaten praktisch völlig
nutzlos machen.
20 Das
vorlegende Gericht führt aus, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs
zum freien Waren- und Dienstleistungsverkehr für Glücksspiele es ihm
erlaube, selbständig zu beurteilen, ob das im Glücksspielgesetz
festgelegte System mit diesen Freiheiten vereinbar sei. Dagegen fragt
sich das vorlegende Gericht, ob die Bestimmungen dieses Gesetzes einem
Einzelnen entgegengehalten werden könnten, obwohl sie der Kommission
nicht im Verfahren nach der Richtlinie 98/34 mitgeteilt worden seien.
21 Unter
diesen Umständen hat der Wojewódzki Sąd Administracyjny w Gdańsku
entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden
Fragen vorzulegen:
In der Rechtssache C‑213/11:
Ist
Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie [98/34] dahin auszulegen, dass zu den
„technischen Vorschriften“, deren Entwürfe nach Art. 8 Abs. 1 der
Richtlinie der Kommission übermittelt werden müssen, eine
Rechtsvorschrift gehört, die die Änderung von Erlaubnissen für eine
Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen insoweit
untersagt, als es um eine Änderung des Ortes der Spielveranstaltung
geht?
In der Rechtssache C‑214/11:
Ist
Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie [98/34] dahin auszulegen, dass zu den
„technischen Vorschriften“, deren Entwürfe nach Art. 8 Abs. 1 der
Richtlinie der Kommission übermittelt werden müssen, eine
Rechtsvorschrift gehört, die die Verlängerung von Erlaubnissen für eine
Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen
untersagt?
In der Rechtssache C‑217/11:
Ist
Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie [98/34] dahin auszulegen, dass zu den
„technischen Vorschriften“, deren Entwürfe nach Art. 8 Abs. 1 der
Richtlinie der Kommission übermittelt werden müssen, eine
Rechtsvorschrift gehört, die die Erteilung von Erlaubnissen für eine
Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen
untersagt?
22 Mit
Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 9. Juni 2011 sind die
Rechtssachen C‑213/11, C‑214/11 und C‑217/11 zu gemeinsamem
schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung
verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
23 Mit
seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob
Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen ist, dass nationale
Bestimmungen wie jene des Glücksspielgesetzes, welche die Durchführung
von Automatenspielen mit niedrigen Gewinnen an anderen Orten als in
Kasinos und Spielsalons beschränken oder sogar allmählich unmöglich
machen können, „technische Vorschriften“ im Sinne dieser Bestimmung
darstellen, deren Entwürfe nach Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser
Richtlinie übermittelt werden müssen.
24 Der
Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass Maßnahmen, welche die
Verwendung von elektrischen, elektromechanischen und elektronischen
Spielen an öffentlichen oder privaten Orten mit Ausnahme von
Spielkasinos verbieten, als technische Vorschriften im Sinne von Art. 1
Nr. 11 der Richtlinie 98/34 zu qualifizieren sind (Urteil vom 26.
Oktober 2006, Kommission/Griechenland, C‑65/05, Slg. 2006, I‑10341,
Randnr. 61).
25 Unter
diesen Voraussetzungen ist eine Maßnahme wie jene in Art. 14 Abs. 1
Glücksspielgesetz, welche die Veranstaltung von Automatenspielen
lediglich Spielkasinos vorbehält, als technische Vorschrift im Sinne von
Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 zu qualifizieren.
26 Nach
ständiger Rechtsprechung soll die Richtlinie 98/34 den freien
Wettbewerb, der zu den Grundlagen der Europäischen Union gehört, durch
eine vorbeugende Kontrolle schützen, die insofern sinnvoll ist, als
unter die Richtlinie fallende technische Vorschriften möglicherweise
Behinderungen des Warenaustauschs zwischen Mitgliedstaaten darstellen,
die nur zugelassen werden können, wenn sie notwendig sind, um zwingenden
Erfordernissen zu genügen, die ein im allgemeinen Interesse liegendes
Ziel verfolgen (vgl. Urteile vom 30. April 1996 in der Rechtssache
C‑194/94, CIA Security International, Slg. 1996, I‑2201, Randnrn. 40 und
48, sowie vom 8. September 2005, Lidl Italia, C‑303/04, Slg. 2005,
I‑7865, Randnr. 22).
27 Nach
der Rechtsprechung ergibt sich aus Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34,
dass der Begriff der „technischen Vorschrift“ – neben der Kategorie der
Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft im Sinne von
Art. 1 Nrn. 2 und 5 der genannten Richtlinie, um die es jedoch in den
Ausgangsrechtsstreitigkeiten nicht geht, da sich die dort in Rede
stehenden nationalen Bestimmungen auf Automaten für Spiele mit niedrigen
Gewinnen als „Erzeugnisse“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 dieser Richtlinie
beziehen – drei weitere Kategorien umfasst, nämlich erstens die
„technische Spezifikation“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 dieser Richtlinie,
zweitens die „sonstige Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 4 dieser
Richtlinie und drittens das Verbot von Herstellung, Einfuhr,
Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses im Sinne von Art. 1
Nr. 11 der Richtlinie (vgl. Urteile vom 21. April 2005, Lindberg,
C‑267/03, Slg. 2005, I‑3247, Randnr. 54, und vom 8. November 2007,
Schwibbert, C‑20/05, Slg. 2007, I‑9447, Randnr. 34).
28 Eine
nationale Maßnahme muss, damit sie unter die erste Kategorie der
technischen Vorschriften nach Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34, d. h.
unter den Begriff der „technischen Spezifikation“ fällt, sich
notwendigerweise auf das Erzeugnis und seine Verpackung als solche
beziehen und daher eines der vorgeschriebenen Merkmale für ein Erzeugnis
festlegen (vgl. Urteil Intercommunale Intermosane und Fédération de
l’industrie et du gaz, Randnr. 15).
29 Im
vorliegenden Fall genügt die Feststellung, dass die
Übergangsbestimmungen des Glücksspielgesetzes die Erlaubnisse für die
Ausübung von Automatenspielen mit niedrigen Gewinnen betreffen. Sie
beziehen sich nicht auf Automaten für Spiele mit niedrigen Gewinnen und
ihre Verpackung als solche und legen daher nicht deren Merkmale fest.
30 Somit
enthalten die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen
Bestimmungen keine technischen Spezifikationen im Sinne der Richtlinie
98/34.
31 Wie
weiter aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, setzt die
dritte Kategorie technischer Vorschriften in Art. 1 Nr. 11 der
Richtlinie 98/34, die ein Verbot insbesondere der Verwendung betrifft,
voraus, dass die in Rede stehenden nationalen Vorschriften in ihrer
Tragweite klar über eine Begrenzung bestimmter möglicher Verwendungen
des in Rede stehenden Erzeugnisses hinausgehen und seine Verwendung
nicht bloß beschränken (vgl. Urteil Lindberg, Randnr. 76).
32 Diese
dritte Kategorie technischer Vorschriften betrifft nämlich speziell
solche nationalen Maßnahmen, die bloß eine marginale und keine andere
Verwendung, wie man sie für das betreffende Erzeugnis vernünftigerweise
erwarten kann, zulassen (Urteil Lindberg, Randnr. 77).
33 Zwar
enthalten die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden
Übergangsbestimmungen des Glücksspielgesetzes gewisse Verbote betreffend
die Ausstellung, die Verlängerung und die Änderung der Erlaubnisse für
die Ausübung einer Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit
niedrigen Gewinnen, doch wird nach Art. 129 Abs. 1 dieses Gesetzes die
Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen, die auf
der Grundlage von vor dem Inkrafttreten des genannten Gesetzes
ausgestellten Erlaubnissen ausgeübt wird, von den Einrichtungen, denen
sie ausgestellt worden sind, bis zum Ablauf dieser Erlaubnisse weiterhin
nach den früheren Bestimmungen ausgeübt.
34 Somit
erlaubt es eine solche Bestimmung, die Tätigkeit im Bereich der
Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen weiterhin auszuüben und damit
solche Spielautomaten über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des
Glücksspielgesetzes hinaus zu verwenden. Unter diesen Umständen können
die Übergangsbestimmungen dieses Gesetzes nicht als nationale Maßnahmen
angesehen werden, die bloß eine marginale und keine andere Verwendung
der Automaten für Spiele mit niedrigen Gewinnen zulassen.
35 Schließlich
hat der Gerichtshof entschieden, dass die betreffenden nationalen
Bestimmungen nur dann als „sonstige Vorschrift[en]“ im Sinne von Art. 1
Nr. 4 der Richtlinie 98/34 eingestuft werden können, wenn sie
„Vorschriften“ darstellen, die die Zusammensetzung, die Art oder die
Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses wesentlich beeinflussen können
(vgl. in diesem Sinne Urteile Lindberg, Randnr. 72, und Intercommunale
Intermosane und Fédération de l’industrie et du gaz, Randnr. 20).
36 Die
Übergangsbestimmungen des Glückspielgesetzes stellen Bedingungen auf,
die geeignet sind, die Vermarktung der Automaten für Spiele mit
niedrigen Gewinnen zu beeinträchtigen. Das Verbot der Ausstellung, der
Verlängerung und der Änderung der Erlaubnisse für die Ausübung einer
Tätigkeit im Bereich der Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen
außerhalb von Spielkasinos ist nämlich geeignet, den Handel mit den
Automaten für Spiele mit niedrigen Gewinnen unmittelbar zu
beeinträchtigen.
37 In
diesem Kontext obliegt es dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob diese
Verbote, deren Beachtung im Rahmen der Verwendung der Automaten für
Spiele mit niedrigen Gewinnen rechtlich zwingend vorgeschrieben ist, die
Art oder die Vermarktung dieser Automaten wesentlich beeinflussen
können (vgl. in diesem Sinne Urteil Lindberg, Randnr. 78).
38 Bei
der Prüfung, die das vorlegende Gericht somit vornehmen muss, hat es
insbesondere zu berücksichtigen, dass die Verringerung der zugelassenen
Stätten für Automatenspiele mit niedrigen Gewinnen mit einer Begrenzung
der Höchstzahl der Spielkasinos sowie der dort benutzbaren
Spielautomaten einhergeht.
39 Des
Weiteren muss das vorlegende Gericht prüfen, ob die Automaten für
Spiele mit niedrigen Gewinnen so programmiert oder umprogrammiert werden
können, dass sie in Kasinos als Glücksspielautomaten verwendet werden
können, die höhere Gewinne ermöglichen und folglich eine größere Gefahr
der Abhängigkeit des Spielers vom Spiel darstellen (vgl. in diesem Sinne
Urteil Lindberg, Randnr. 79), was ihre Art wesentlich beeinflussen
könnte.
40 Angesichts
der bisherigen Ausführungen ist auf die vorgelegten Fragen zu
antworten, dass Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen ist,
dass nationale Bestimmungen wie jene des Glücksspielgesetzes, welche
die Durchführung von Automatenspielen mit niedrigen Gewinnen an anderen
Orten als in Kasinos und Spielsalons beschränken oder sogar allmählich
unmöglich machen können, „technische Vorschriften“ im Sinne dieser
Bestimmung darstellen können, deren Entwürfe nach Art. 8 Abs. 1
Unterabs. 1 dieser Richtlinie übermittelt werden müssen, sofern
feststeht, dass die genannten Bestimmungen Vorschriften darstellen,
welche die Art oder die Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses
wesentlich beeinflussen können, was das vorlegende Gericht zu prüfen
hat.
Kosten
41 Für
die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem
Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 1
Nr. 11 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet
der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die
Dienste der Informationsgesellschaft in der durch die Richtlinie
2006/96/EG des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung ist dahin
auszulegen, dass nationale Bestimmungen wie jene des Glücksspielgesetzes
(Ustawa o grach hazardowich) vom 19. November 2009, welche die
Durchführung von Automatenspielen mit niedrigen Gewinnen an anderen
Orten als in Kasinos und Spielsalons beschränken oder sogar allmählich
unmöglich machen können, „technische Vorschriften“ im Sinne dieser
Bestimmung darstellen können, deren Entwürfe nach Art. 8 Abs. 1
Unterabs. 1 dieser Richtlinie übermittelt werden müssen, sofern
feststeht, dass die genannten Bestimmungen Vorschriften darstellen,
welche die Art oder die Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses
wesentlich beeinflussen können, was das vorlegende Gericht zu prüfen
hat.
Unterschriften
Quelle