Montag, 24. Oktober 2016

FG Baden-Württemberg: Umsätze einer "Geistheilerin" sind umsatzsteuerpflichtig

Die Umsätze einer "Geistheilerin" sind nicht als sogenannte Heilbehandlungen von der Umsatzsteuer befreit.

FG Baden-Württemberg Urteil vom 6.7.2016,
-14 K 1338/15-


Sind Umsätze von "Geistheilern" umsatzsteuerfrei?

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
    
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Am 17. April 2014 ging beim Finanzamt (FA) A, ein Schreiben von Z aus B ein, mit dem sie das FA unter anderem darüber informierte, dass die Klägerin, die in der Schweiz ihren Wohnsitz habe, Seminare anbiete, die sich mit esoterischen Praktiken befassten. „Unter bestimmten Oberbegriffen“ wende sie sich an interessierte und „bedürftige“ Personen. Ihre Dienste biete sie hauptsächlich in Deutschland, in C, D und E, an. Zudem schreibe sie Bücher über [ ... ], damit jedermann mit „ganz hohen Lichtwesen aus dem Kosmos“ kommunizieren könne.

2
   
Nachdem dieses Schreiben wegen § 21 Abs. 1 Satz 2 Abgabenordnung (AO) in Verbindung mit § 1 Nr. 25 Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung an den Beklagten gelangte, wandte sich dieser am 3. Juni 2014 an die Klägerin und bat sie darum, „vollumfänglich darzulegen, welche Umsätze“ sie getätigt hat, „in welcher Höhe, wann und wo“. Am 16. Juni 2014 ging beim Beklagten ein von der Klägerin nicht vollständig ausgefüllter „Fragebogen zur umsatzsteuerlichen Erfassung“ ein. Ihre Tätigkeit bezeichnete sie als „Autorin“. Sie teilte mit, seit xx.xx. 2008 habe sie ihren „alleinigen Wohnsitz“ in der Schweiz. „Seit diesem Zeitpunkt behalten meine Buchverlage […] ESt. und Soli direkt ein und leiten diese (hoffentlich) an die Finanzämter weiter“. Angaben zur steuerlichen Erfassung, zur Handelsregistereintragung, zu ausländischen Bankverbindungen und zur Art der Umsätze in Deutschland machte sie nicht. In einem weiteren Schreiben des Beklagten vom 20. Juni 2014 wies dieser die Klägerin darauf hin, dass es hier nicht um Einkommensteuer gehe, sondern um Umsatzsteuer. Er bat darum, mitzuteilen, welche Umsätze sie in Deutschland getätigt hat und um Belege, eine Aufstellung sowie Abrechnungen. In ihrer Antwort vom 30. Juni 2014 führte die Klägerin aus, sie erhalte die Buchhonorare direkt von den Verlagen. Weitere Umsätze erziele sie in Deutschland nicht. Mit Schreiben vom 2. Juli 2014 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass er Erkenntnisse darüber habe, dass sie in Deutschland Seminare und Kurse durchführe. Sollte sie die angeforderten Unterlagen nicht einreichen, werde er die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO schätzen müssen. Daraufhin schaltete sich ein Steuerberater der Klägerin ein. Am 28. Juli 2014 teilte er dem Beklagten mit, die Klägerin erziele in Deutschland Umsätze, die nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 Umsatzsteuergesetz in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (UStG) mit der Tätigkeit eines Heilpraktikers vergleichbar seien. Die Heilbehandlung stehe eindeutig im Vordergrund. Eine „umfassende Beurteilung“ gehe dem Beklagten noch zu.

3
   
Mit Schreiben vom 19. August 2014 legte die Klägerseite dem Beklagten folgende Unterlagen vor:
           
- eine Urkunde, wonach die Klägerin, so der Dachverband Geistiges Heilen e.V. (DGH), seit xx.xx. 2004 eine anerkannte Heilerin des DGH ist.
           
Laut seiner Internetseite (www.dgh-ev.de) ist der DGH
           
„ein Zusammenschluss von Heilern, Heilerverbänden, Ärzten, Heilpraktikern, Patienten und engagierten Laien. Unter dem Dach des Vereins haben Vertreter verschiedenster geistiger Heilweisen eine Interessengemeinschaft gefunden - Heiler ebenso wie Heilpraktiker und Ärzte, die geistige Heilweisen in ihre Arbeit einbeziehen. Hinzu kommen Menschen, die geistiges Heilen selbst nicht beruflich praktizieren, sondern beispielsweise Klienten/Patienten, deren Angehörige und Freunde, welche die Ziele und Anliegen des DGH unterstützen wollen.
           
Sowohl die Mitgliedschaft im DGH e.V. als auch das Wirken des Vereins sind unabhängig von religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen oder Zugehörigkeiten. Der DGH e.V. arbeitet konfessions- und kulturübergreifend, unabhängig von Kirchen, Glaubensvereinigungen und Institutionen und tritt ein für das Recht auf Selbstbestimmung jedes einzelnen Menschen.
           
Der DGH e.V. bietet 5.000 Einzelmitgliedern sowie Mitglieds- und Förderverbänden aus Deutschland, der Schweiz und Osterreich eine Dachorganisation und hat sich zum größten Interessensvertreter von Heilern im deutschsprachigen Raum entwickelt.
           
Seit der Gründung des gemeinnützigen Vereins am 18. Februar 1995 setzen sich die Mitglieder des DGH dafür ein, geistiges Heilen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und als dritte Säule in das Gesundheitswesen zu integrieren. Ziel war und ist das gleichberechtigte Zusammenwirken von Ärzten, Heilpraktikern und Heilern zum Wohle der Menschen.
           
Im Sinne des Verbraucherschutzes klärt der DGH e.V. auf über Möglichkeiten und Grenzen geistiger Heilweisen, informiert über die Arbeitsweise von Heilern, vermittelt Adressen von Heiler/innen, die DGH-Mitglieder sind und informiert über Aus- und Weiterbildungen zu geistigen Heilweisen.“,
           
- diverse Dankesmails von ehemaligen Seminarteilnehmern,
           
- eine Übersicht über den Ablauf von Seminaren/Workshops, die die Klägerin in den Streitjahren in Deutschland abgehalten habe:
           
- Ausbildungsseminar „[ ... ]“            
Früher habe das Seminar, so die Klägerin, 3 Tage gedauert, jetzt dauere es noch 1 ½ Tage. Es habe einen theoretischen und einen praktischen Teil. Teilnehmer seien überwiegend Therapeuten (Ärzte, Heilpraktiker, Energetiker und Geomanten). Zunächst referiere sie über die verschiedenen Arten von Fremdenergien und benenne Beispiele. Dann folge eine Fragestunde. Im Anschluss daran mache sie sowohl an eingeladenen Patienten („mit einschlägigen Diagnosen wie Schizophrenie“) als auch an Seminarteilnehmern Clearingbehandlungen. Sie erläutere und demonstriere den Ablauf „dieser Heilbehandlungen“ und führe sie „vor den Augen der Teilnehmer durch“. Da zahlreiche Teilnehmer wegen ihrer eigenen Problematik („Besetzung, Anhaftungen durch Verstorbene, schwarze Magie, etc.“) am Seminar teilnähmen (das sei günstiger als ein komplettes Clearing durch sie, die Klägerin, selbst), mache sie stets Clearingbehandlungen. Daher gingen einige Teilnehmer „befreit und geheilt“ nach Hause. Anschließend hätten die Teilnehmer Gelegenheit, sich gegenseitig zu behandeln.            
- Seminar „mentale Rückenbegradigung, Wirbelsäulenaufrichtung“            
Das Seminar dauere 1 Tag. Sie, die Klägerin, erkläre die Wirkungsweise und den Ablauf der Behandlung und nehme diese an den Teilnehmern vor. Teilnehmer seien meist Therapeuten und Energetiker. Jeder der Teilnehmer könne in den „Genuss einer Rückenbehandlung kommen“, wenn er es wolle. Bestandteil des Seminars sei eine „geistige Einweihung/Einstimmung in die erforderliche Schwingung“. Diese werde „Christusenergie“ genannt. Auch sie sei bereits therapeutisch, da sie „Heilimpulse“ gebe. Im Anschluss daran übten Teilnehmer gegenseitig.           
- Seminar „spirituelle Therapien für die neue Zeit“            
Das Seminar dauere 3 oder 4 Tage. An einem Tag befasse es sich mit Clearing,  an einem anderen Tag mit Rückenbegradigung und geistigem Heilen und am letzten Tag mit mentaler Neuprogrammierung und systematischem Stellen. Clearing und Rückenbehandlung liefen wie bereits geschildert ab. Das „Geistige Heilen“ gestalte sich wie folgt: Die Teilnehmer erhielten 2 Einstimmungen. Diese aktivierten deren Selbstheilung und erhöhten die Schwingungen. Das sei bereits therapeutisch. Danach behandle sie, die Klägerin, die Teilnehmer, so sie wollten, auf einer Liege. Sie lege Hände auf, erkläre die Wirkungsweise und demonstriere den Ablauf einer Geistheilsitzung („spirituelle Therapie“). Die Teilnehmer kämen alleine an diesem Kurstag in den Genuss von doppelter Heilschwingung: einmal durch die „Einweihungen/Einstimmungen“ und zusätzlich durch die „Heilbehandlung“. Mentale Neuorientierung und systemisches Stellen erfolgten am letzten Kurstag. Sie erarbeite mit den Kursteilnehmern deren störende Denkmuster und Glaubenssätze, die Gesundheit und Glück behinderten. Dann fänden sie gemeinsam die lösenden Sätze und programmierten neue Denkweisen. Auch führe sie mit einigen Teilnehmern ein systematisches „Stellen“ nach Bert Hellinger durch, „um karmische Verstrickungen, Überliebe und Abhängigkeiten zu erkennen und zu lösen“. Auch dieser Teil des Seminars sei „therapeutisch“.            
- „Reiki- und Lichtgrad-Einweihungen“            
Das Seminar dauere ½ Tag. Die Teilnehmer würden von ihr, der Klägerin, eingeweiht. Es erfolge eine Einstimmung in Mantras und Symbole, die schwingungserhöhend wirkten. Gleichzeitig setze eine „Selbstheilung des Körpers“ ein. Bestandteil des Seminars sei das Handauflegen, das sie an einigen Teilnehmern demonstriere. Diese würden dadurch eine „Heilbehandlung“ erfahren.            

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Die Klägerin betonte, bei allen von ihr durchgeführten Seminaren behandle sie die Teilnehmer selbst, bevor sich diese gegenseitig behandelten. Jeder Teilnehmer, der wolle, bekomme eine „Heilbehandlung“ von ihr. In einigen Seminaren („Rücken, Reiki, geistiges Heilen“) gehöre eine „Einweihung/Einstimmung“ dazu. Diese erhalte jeder Teilnehmer. Die Behandlungen der Teilnehmer seien in jedem Fall „therapeutisch“.

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Auf ihrer Internetseite (www. [ ... ].de) beschreibt die Klägerin das „Clearing“ wie folgt:

„ [ … ]

.“

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Der DGH beschreibt auf seiner Internetseite „geistige Heilweisen“ wie folgt:

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„Die Bandbreite spiritueller Heilweisen ist groß, es gab und gibt sie in allen Kulturen. Die Art und Weise der Ausübung geistiger/spiritueller Heilweisen ist eng verbunden mit Traditionen, Glauben bzw. Religionen sowie mit konkreten Lebensumständen. Gemeinsam ist allen jedoch die Arbeit der „geistigen Welt“: Schamanen aller Erdteile verbinden sich mit Krafttieren oder mit Ahnen. Christlich geprägte Heiler verbinden sich mit Gott und mit Jesus Christus. Andere arbeiten mit Naturwesen. Wieder andere mit Engeln, die nächsten mit Meistern und Heiligen. Andere mit Gaya, der Mutter Erde. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Hinzu kommt, dass viele Heilweisen, die einst einer bestimmten Schule entstammen, weiterentwickelt und schließlich von jedem heilend Tätigen ganz individuell - gewissermaßen als Kunstform des Heilens - ausgeübt werden.“

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Zu den von der Klägerin genannten „Heilweisen“ führt der DGH Folgendes aus:

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„Besprechen (Heilgebete)

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Seit Jahrtausenden haben weise Frauen und Medizinmänner in allen Kulturen Krankheiten durch heilige Gebete geheilt. Sie wurden von Generation zu Generation weiter gegeben. Diese ehemals geheimen Gebete (Sprüche, Formeln), welche beim Besprechen verwendet werden, finden für vielerlei Befindlichkeitsstörungen Anwendung.

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Der Betroffene braucht das Besprechen nur mit offenem Herzen zuzulassen. Da Krankheiten oft durch Energieblockaden entstanden sind, kann es hilfreich sein, sich zusätzlich mit einer anderen (geistigen) Heilweise behandeln zu lassen oder eine solche zu erlernen.

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Beim Besprechen wird die Problemstelle zumeist leicht berührt (von Berührung ausgenommen sind: offene Wunden, Hautausschläge, Ekzeme oder Warzen). Die Anzahl der Besprechungen hängt von der Art und Intensität der Beschwerden ab. Auch Fern-Besprechung ist möglich.

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Clearing

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Wer sich mit dem Thema Reinkarnation beschäftigt hat, der weiß: Wenn der physische Körper stirbt, verlässt die Seele diesen Körper und geht in die geistige Welt oder anders gesagt: in die höhere Schwingung. Sie wird auf diesem Wege von Geistwesen - sehr häufig von früher verstorbenen nahen Angehörigen oder Freunden - abgeholt und begleitet.

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Viele Seelen realisieren aber nicht, dass ihr Körper gestorben ist. Die Gründe hierfür können sehr verschieden sein: Dies geschieht häufig, wenn der Tod als Schock erlebt wird, wie z.B. bei einem Unfall. Oft ist es auch so, dass die Seele das Gefühl hat, dass sie hier auf der Erde noch etwas zu erledigen hat. Was auch immer der Grund sein mag, die Seele bleibt erdgebunden. Beispiel: das Phänomen der „Poltergeister“. Diese erdgebundenen Seelen suchen sich einen Aufenthaltsort, wie z.B. Möbel, Räume, Häuser.

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Viele kennen das Gefühl, in einen Raum zu kommen und eine bedrückende Stimmung wahrzunehmen – man hat das Gefühl, nicht allein zu sein. Auch solche besetzten Räume können gereinigt werden.

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Auch Menschen können von diesen „heimatlosen“ bzw. erdgebundenen Seelen beeinflusst werden (siehe: Fremdeinfluss). Bei ihnen können verschiedene Beeinträchtigungen hervorgerufen werden, wie z.B. schlechte Konzentration, Stimmungsschwankungen, impulsives Verhalten, fremde Gedanken und Verhaltensweisen, das Hören von Stimmen, plötzlich auftretende Ängste und/oder Depressionen, physische und psychosomatische Probleme ohne erkennbaren Grund oder Süchte.

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Im Gegensatz zum mediumistischen Heilen arbeitet man beim Clearing in Anwesenheit und unter Einbeziehung der hilfesuchenden Person. Besetzungen können gelöst werden, indem man mit diesen Seelen spricht und ihre Nöte, Ängste und Schmerzen annimmt und versteht. Dann sind sie meistens bereit, an den für sie richtigen Platz in der geistigen Welt zu gehen. Das kann nur freiwillig geschehen und nicht unter Zwang. In der Arbeit unterstützen Clearing-Praktizierende ihre Klienten, indem sie ihnen eine „mentale Lichtsäule“ bauen. Der Besetzte, auch Wirt genannt, ist aufgefordert, die Loslösung zu unterstützen. Für ihn bedeutet das die Konfrontation mit seinen eigenen Themen. Er muss loslassen und z.B. mit dem Gefühl der Verlassenheit umgehen lernen.

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Handauflegen

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Handauflegen zählt zu den ältesten aller Heilmethoden. Hinweise darauf finden sich bereits auf Höhlenzeichnungen der Steinzeit, in alten ägyptischen Schriften. Im frühen Christentum oder der griechischen Antike zählte das Handauflegen ebenfalls zu den anerkannten Heilmethoden.

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Handauflegen ist eine der ursprünglichsten Methoden und sie scheint den meisten Menschen fast instinkthaft geläufig. Wer beobachtet, wie Mütter und Väter mit kleinen Kindern umgehen, die sich verletzt haben, kann sehen, dass sie fast immer automatisch die Hände auf die Verletzung legen.

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Heiler unterscheiden verschiedene Formen des Handauflegens: Manche Heiler übertragen beim Handauflegen ihre eigene Energie und Vitalität auf den Kranken. Dieses oft als magnetisch bezeichnete Handauflegen hat eine Erschöpfung der Energie des Heilers zur Folge. Er muss sich nach den Behandlungen wieder aufladen, wenn er nicht völlige Erschöpfung und vielleicht sogar Erkrankung riskieren will.

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Die meisten Handaufleger sehen sich aber lediglich als Kanal für heilende Energien, die sie aus einer göttlich-schöpferischen Quelle weiterleiten in den physischen und/oder fein-stofflichen Körper des Kranken. Für diese Form des Handauflegens muss der Heiler keine komplizierte Ausbildung absolvieren. Es genügt, wenn er sich liebevoll und mit Mitgefühl geistig mit dem Kranken verbindet, um die Heilungsenergie bittet und sie dann, ohne eigenes Wünschen und Wollen, durch die Hände direkt in den Körper oder in die Aura des Kranken fließen lässt.

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Es erfordert für die meisten Menschen Übung, diesen Zustand der inneren Leere herzustellen, aus dem heraus die Heilungsenergie ganz rein fließen kann. Wenn der Heiler diesen Zustand aber erreichen und halten kann, fließt die Heilenergie von Behandlung zu Behandlung besser. Gleichzeitig kann der absichtslose Heiler sicher sein, dass er mit seinem Tun nicht gegen die kosmische Ordnung verstößt. In dieser Form gleicht die Behandlung einem Gebet, das durch Auflegen der Hände unterstützt wird.

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Ob die Hände direkt auf den Körper oder nur in die Aura gelegt werden unterscheidet die einzelnen Richtungen des Handauflegens. So bleiben die Hände beim Therapeutic Touch in der Aura, werden z.B. beim Reiki in bestimmten Positionen auf den Körper gelegt und in der Tradition von Harry Edwards direkt auf den Körper.

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Jede der verschiedenen Richtungen hat ihre Vorzüge und viele Handaufleger beherrschen mehrere Methoden, die sie je nach Bedarf anwenden.

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Bei manchen Methoden werden gezielt so genannte Störfelder im Körper gesucht und der Heiler versucht, sie zu beheben. Für solche absichtsvollen Formen des Handauflegens ist eine gründliche Ausbildung unabdingbar! Der Heiler muss Kenntnisse erwerben, die ihm ermöglichen, verantwortungsvoll mit den heilenden Energien umzugehen.

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Allen Heilmethoden gemeinsam ist, dass sie ein geistiger Weg sind und die spirituelle Entwicklung des Heilers an die Heilfähigkeit gekoppelt ist. Die Auseinandersetzung mit sich selbst und die Beschäftigung mit spirituellen Fragen sowie regelmäßige Meditation befähigen den Heiler, Zugang zu immer höheren und feineren Energien zu erhalten und dadurch die Heilungsenergie besser leiten zu können.

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Auch Handauflegen ist keine Methode, die erlernt wird und dann unveränderlich praktiziert wird. Es ist ein Weg zu sich selbst, der dem Heiler ermöglicht, anderen zu helfen und einen Weg aufzuzeigen.

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Reiki

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Kurzform für: Usui-System des Reiki

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Das Usui-System des Reiki ist eine natürliche Heilmethode, die mittlerweile von Millionen Menschen weltweit praktiziert wird. Dabei wird universelle Lebensenergie per Handauflegen übertragen.

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Die aus Japan stammende Methode wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von dem Japaner Mikao Usui entwickelt, auf Grundlage seiner jahrzehntelangen Forschungen und Kenntnisse im Bereich der Heilarbeit. Damit entwickelte Usui eine einfache wie wirkungsvolle Methode, die Lebensenergie zu kanalisieren und zum Wohle aller Lebewesen einzusetzen.

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Im Laufe der Jahrzehnte sind viele unterschiedliche Formen des Systems entstanden, mit verschiedenen Lehrinhalten und -strukturen.

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Die Anwendung von Reiki, d.h. die Übertragung universeller Lebensenergie auf sich selbst und andere, unterstützt Heilungsprozesse und vitalisiert Körper und Geist. Wer sich selbst Reiki gibt oder über einen Reiki-Behandler die Energie erhält, empfindet dies in der Regel als wohltuend und entspannend. Innere Balance stellt sich ein, die eigene Mitte wird wiedergefunden und das Urvertrauen gestärkt.

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Das Wort Reiki stammt aus dem Japanischen und bedeutet „universelle Lebensenergie“. Es setzt sich aus zwei Silben zusammen: „Rei“, dem universellen Aspekt dieser Energie, und „Ki“, der Lebenskraft, die in individueller Ausprägung durch jedes Lebewesen fließt. Auch in anderen fernöstlichen Methoden der Energiearbeit, wie beim Qi Gong oder beim Tai Chi, wird mit der Lebensenergie Ki (andere Schreibweisen: Qi, Chi) gearbeitet. Das Usui-System des Reiki ist heute das populärste System weltweit, das mit der in der Geschichte der Menschheit seit Jahrtausenden bekannten Lebensenergie arbeitet – einer Energie, die in allen großen Kulturen der Welt bekannt ist.

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Nach allem, was wir heute darüber wissen, beruht die Funktionsweise von Reiki, vereinfacht gesagt, auf dem Phänomen der Schwingungsänderung. Durch Krankheit, Ärger oder Stress wird der menschliche Organismus in einen disharmonischen Zustand versetzt, dadurch geraten die Schwingungen im Körper durcheinander.

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Durch Einwirken der universellen Lebensenergie auf den aus dem Gleichgewicht geratenen Organismus kann der disharmonische Zustand in eine harmonische Schwingung zurückgeführt werden. Je nach den Umständen der Krankheit kann dies unterschiedlich schnell bzw. mit unterschiedlichem Erfolg geschehen.

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Neben Heilungsvorgängen fördert Reiki auch die persönliche und spirituelle Entwicklung. Die regelmäßige Anwendung von Reiki bei sich selbst kann ein Weg der Selbstfindung sein“.

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Die Klägerin beschreibt auf ihrer Internetseite ihre Ausbildung wie folgt:

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[ … ]

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Die Klägerseite bekräftigte ihre Auffassung, eine Umsatzsteuerfreiheit im Sinne von § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG sei gegeben. Die Rechtsprechung sei „im Fluss“ und lasse in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Art. 132 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehrwertsteuersystemrichtlinie - MwStSystRL) sämtliche Heilbehandlungen umsatzsteuerfrei. Gemeinschaftsrechtlich seien Präventionsmaßnahmen zur generellen Verbesserung des Gesundheitszustands der Behandlung zur Heilung einer konkreten Gesundheitsstörung gleichgestellt. Sie seien daher umsatzsteuerbefreit. Die Klägerin erbringe sowohl „direkte“ Heilbehandlungen als auch Präventivmaßnahmen.

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Der Beklagte folgte der Auffassung der Klägerin nicht und erließ, nach Anhörung (s. Schreiben vom 3. Dezember 2014), mit Datum vom 30. Januar 2015 auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhende Umsatzsteuerbescheide für 2009 bis 2013. Diese ergingen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Umsätze zum Regelsteuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen setzte er jeweils in Höhe von xx.xxx,- EUR an. Umsatzsteuer für die Streitjahre setzte er jeweils in Höhe von x.xxx,- EUR fest.

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Für die Monate Januar bis Dezember 2014 erließ der Beklagte mit Datum vom 7. April 2015 auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhende Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide. Umsätze zum Regelsteuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen berücksichtigte er jeweils in Höhe von x.xxx,- EUR, Umsatzsteuer setzte er für jeden Monat in Höhe von xxx,xx EUR fest. Die Bescheide ergingen jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

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Gegen alle Umsatzsteuerfestsetzungen legte die Klägerin erfolglos Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2015 wies der Beklagte ihre Einsprüche als unbegründet zurück.

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Am 19. Mai 2015 erhob die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Klage. Zur Begründung führt sie unter anderem aus, der Bundesfinanzhof (BFH) habe die Beweislast im Bereich des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG zu Gunsten des Steuerpflichtigen herabgesetzt. Der therapeutische Zweck sei auf Grundlage anonymisierter Patientenunterlagen zu beurteilen. Er könne durch Einholen eines medizinischen Sachverständigengutachtens festgestellt werden. Für die Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten komme es nicht in Betracht, Untersuchungen und Befunderhebung durch diesen zu verlangen. Das Beweismaß für die Feststellung des therapeutischen Zwecks sei auf eine „größtmögliche Wahrscheinlichkeit“ zu reduzieren.

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Diagnosen für Seminarteilnehmer lägen vor. Es gebe einen Erstkontakt (in der Regel per Mail und Übersendung eines Fotos). Eine Diagnose erfolge aufgrund vorstehender Angaben. Eine Behandlung gebe es im Seminar. Auf anonymisierte Patientenkorrespondenz werde hingewiesen (s. Anlage 1 zum Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 28. Juli 2015). Von jedem Klienten lege sie, die Klägerin, eine Datei mit Beschreibung der individuellen Symptomatik an. In dieser werde die gesamte Korrespondenz dokumentiert. Auf dieser Grundlage analysiere sie die jeweiligen Krankheitsbilder und gehe diese dann im Rahmen der in Seminaren vorgenommenen Heilbehandlungen an. Behandelt würden akute Krankheitszustände. Das gleiche Arbeitsmuster sei im Bereich des Behandelns „offener Gruppen“ zu finden. Bei diesen könnten auch Personen teilnehmen, die sich nicht krank fühlen, obwohl sich anlässlich der Behandlung regelmäßig das Gegenteil herausstelle. Auf anonymisierte Patientenkorrespondenz werde hingewiesen (s. Anlage 2 zum Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 28. Juli 2015). Geistheilen sei eine medizinische Behandlungsmethode. Da sie therapeutisch tätig sei, werde sie regelmäßig von Ärzten herangezogen, um in solchen Fällen unterstützend therapeutisch zu behandeln, in denen diese mit ihren Methoden alleine keinen vollständigen Heilungserfolg erzielen können. Geistheilen sei eine anerkannte medizinische Therapie, die in bestimmten Fällen zu Heilerfolgen führen könne, die ohne diese Behandlungsform nicht erzielbar seien. Ihre Tätigkeit entspreche diesem Anforderungsprofil. Therapeutische Geistheilungen im Sinne von Reiki-Behandlungen würden von verschiedenen Krankenkassen in Deutschland bezahlt.

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Im Hinblick auf das Berufsbild „geistiges Heilen“ lägen berufsrechtliche Regelungen vor. Der DGH zertifiziere geistige Heiler, sofern sie eine Ausbildung nach dessen Richtlinien absolviert hätten. Für diese Ausbildung sei eine zentrale schriftliche Prüfung abzulegen. Zuvor sei eine Ausbildung gemäß der Prüfungs- und Anerkennungsordnung vom 1. April 2013 zu durchlaufen. Um diese Prüfung abnehmen zu können, müsse der entsprechende Prüfer eine Lizenz als „anerkannter Ausbilder“ erworben haben. Die Ausbildung sei auf jeden Fall dem als einem Katalogberuf ähnlich anerkannten Berufsbild eines „Beschäftigungstherapeuten“, „Diätassistenten“, „Ergotherapeuten“ oder „Funktionstrainers“ vergleichbar. In Großbritannien sei der Beruf des „geistigen Heilens“ als medizinischer Beruf anerkannt, und es gebe national verbindliche Ausbildungsvorschriften. Sollte der Senat ihrer Auffassung nicht folgen, dass die Ausbildung einen geordneten Ausbildungsgang darstellt, wäre im Hinblick auf die durch Art. 56 ff. des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) garantierte Dienstleistungsfreiheit ein Vorabentscheidungsverfahren zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) durchzuführen. Dem Verfahren zu Grunde liegen müsse die Fragestellung, ob die Dienstleistungsfreiheit dadurch beeinträchtigt wird, dass der Beruf des Geistheilers in Deutschland anders als in Großbritannien nicht als auf einer Ausbildung beruhend angesehen wird und damit eine steuerliche Diskriminierung gegenüber anderen Gesundheitsberufen eintritt.

49
   
Im Einzelnen wird auf die Schreiben der Klägerseite vom 28. Juli und 20. August 2015 sowie die Anlagen zu den Schreiben Bezug genommen.

50
   
Die Klägerin beantragt

1. die Aufhebung aller angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre für 2009 bis 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung,

2. hilfsweise, die Zulassung der Revision.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung vom 11. Mai 2015.

53
   
Am 16. Juli 2015 gingen beim Beklagten Umsatzsteuererklärungen der Klägerin für die Streitjahre ein. Die Klägerin erklärte Umsätze für 2009 in Höhe von x.xxx,- EUR, für 2010 in Höhe von xx.xxx,- EUR, für 2011 in Höhe von xx.xxx,- EUR, für 2012 in Höhe von x.xxx,- EUR, für 2013 in Höhe von xx.xxx,- EUR und für 2014 in Höhe von xx.xxx,- EUR, die sie als steuerfrei gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG ansah. Mit Schreiben vom 24. Juli 2015 teilte der Beklagte mit, die von der Klägerin als steuerfrei erklärten Umsätze werde er in geänderten bzw. erstmaligen Umsatzsteuerbescheiden als dem Regelsteuersatz unterliegende Umsätze ansetzen. Mit Bescheiden vom 27. August 2015 setzte der Beklagte Umsatzsteuer 2009 in Höhe von x.xxx,xx EUR, Umsatzsteuer 2010 in Höhe von x.xxx,xx EUR, Umsatzsteuer 2011 in Höhe von x.xxx,xx EUR, Umsatzsteuer 2012 in Höhe von x.xxx,xx EUR, Umsatzsteuer 2013 in Höhe von x.xxx,xx EUR und Umsatzsteuer 2014 in Höhe von x.xxx,xx EUR fest. Er berücksichtigte für 2009 dem Regelsteuersatz unterliegende Umsätze aus Lieferungen und sonstigen Leistungen in Höhe von x.xxx,- EUR, für 2010 in Höhe von xx.xxx,- EUR, für 2011 in Höhe von xx.xxx,- EUR, für 2012 in Höhe von x.xxx,- EUR, für 2013 in Höhe von x.xxx,- EUR und für 2014 in Höhe von xx.xxx,- EUR. Den Vorbehalt der Nachprüfung ließ er jeweils bestehen.

54
   
Am 16. Februar 2016 fand ein Erörterungstermin statt (s. Sitzungsniederschrift). In diesem wurde die Klägerin dazu aufgefordert, sich im Rahmen eines ihr eingeräumten Schriftsatzrechts insbesondere noch einmal zu ihrer Qualifikation zu äußern und inwieweit diese den in § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG genannten Qualifikationen entspricht. Auch solle sie darlegen, ob sie einen Heil- oder einen Heilhilfsberuf ausübt. Daneben solle sie dem Gericht eine tabellarische Übersicht über die einzelnen Seminare mit den anonymisierten Teilnehmern zukommen lassen sowie für jeden Teilnehmer die Anamnese, die Diagnose, den Therapieansatz, das in Rechnung gestellte Entgelt, die Übernahme des Betrags durch die Krankenkasse und die Rechnung. Des Weiteren solle sie dem Gericht ihre Entgeltberechnung aufschlüsseln.

55
   
In der Folge führte die Klägerin aus, sie sei in „Dorn-Therapie“, „Reiki“ und „Wirbelsäulenaufrichten“ ausgebildet. Im Rahmen der praktischen Umsetzung der so gelernten Behandlungsmethoden habe sie aufgrund ihrer Intuition und ihrer mentalen Fähigkeiten ihre von ihr nunmehr praktizierte Weise der Geistheilung erlernt. Auf ihren individuellen Werdegang komme es aber nicht an, da der DGH für den Beruf „Geistheiler“ eine den Kriterien der Ausbildung der anderen Heilberufe analoge Ausbildungsordnung habe. Sie übe einen Heilberuf aus. Eine ärztliche Therapieanordnung müsse aber auch bei Heilhilfsberufen nicht mehr vorliegen. Diagnosen erstelle sie und Therapien dazu halte sie fest (s. Dokumentation verschiedener „Heilungen“ aus 2012 und 2014 als Anlage zum Schreiben vom 4. April 2016).

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Ihre Seminare liefen wie folgt ab: Vor Seminarbeginn bereite sie den Raum vor: Blumenstrauß auf das Pult, meist auch eine Kerze, auf alle Fälle sanfte Begleitmusik im Hintergrund. Die Teilnehmer säßen meist an Tischen, die auch, mit Decken gepolstert, als Liegen fungierten. Zudem würden die von den mit den Autos angereisten Teilnehmern mitgebrachten Behandlungsliegen aufgestellt. Zu Beginn des Seminars gebe es eine Vorstellungsrunde. In dieser stelle sich jeder Teilnehmer mit Name, Wohnort, Beruf und Anliegen (Beschwerden) vor. Anschließend erläutere sie den Ablauf des Seminars und beginne mit dem theoretischen Teil. Zu diesem Zeitpunkt erkläre sie Einzelheiten zu Fremdenergien (beim Clearing-Seminar), dem Erkennen, der Wirkungsweise und der Beseitigung bzw. Transformation. Daran schließe sich die Behandlung jeder teilnehmenden Person an. Während sie einen Teilnehmer auf seinem Stuhl oder auf der Behandlungsliege behandle, säßen die übrigen still in einer Meditation. Behandeln bedeute entweder die Hände auflegen oder sie mit Abstand zum Körper ohne direkte Berührung halten. Sie gehe reihum, so dass jeder die Möglichkeit für eine Behandlung erhalte. Falls das jemand zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht wolle, bleibe er einfach ruhig sitzen und genieße die erhöhte Raumschwingung. Aufgrund der Licht- oder Energiearbeit steige die Raumfrequenz an, so dass man von „Kraftort“ sprechen könne. Bei den kombinierten Seminaren erfolge für jeden Seminarinhalt getrennt der theoretische erklärende Teil mit anschließendem praktischen Behandlungsteil. Es gebe immer eine Behandlung durch sie, die unterschiedlich lange ausfalle, je nach Erfordernis und Teilnehmerzahl. Meist gehe sie einige Male die Runde der Teilnehmer durch und lege mehrmals Hände auf. Die Seminarteilnehmer nähmen die Ruhe und die sanfte Behandlung direkt auf. Da die meisten von ihnen sensitiv seien, spürten sie die anwesenden Energien und eine Besserung ihres Zustands. Das Ziel des Seminars sei immer, Linderung, Besserung und Heilung zu erzielen. Außerdem wollten die Teilnehmer die Methoden erlernen, um sich selbst helfen zu können. Am Ende des Seminars, das zwischen einem und drei Tagen dauern könne, gäben die Teilnehmer eine Rückmeldung über ihr Befinden und darüber, wie sie den theoretischen und praktischen Teil mit den Behandlungen empfunden hätten. Bevor der Raum verlassen werde, führe sie nochmals für alle Teilnehmer ein Gruppenclearing aus, um sicherzustellen, dass keine Fremdenergien mehr vorhanden sind und von einem auf den anderen Teilnehmer überspringen können.

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Der Begriff „Seminar“ werde verwendet, da damit keinerlei esoterische Verbindung bestehe. Er erreiche somit eine größere Akzeptanz, insbesondere gegenüber Familienangehörigen der Klienten, die ansonsten dieser Methodik negativ gegenüberstünden. Das Wort impliziere auch kein Heilversprechen mit der Garantie eines Heilerfolgs. Als seriöse Anbieterin könne sie dies nicht geben.

58
   
Ihrer Kalkulation für die von den Seminarteilnehmern zu erhaltenden Gelder lege sie die Kosten des Seminarraums, die Pausenverpflegung der Teilnehmer und ihre Reise- und Übernachtungskosten mit einem geringen Aufschlag zu Grunde. Nur für Leistungen, die in der Schweiz abgerechnet werden, orientiere sie sich an den Vorgaben der dortigen Krankenkassen.

59
   
Musterrechnungen für 2012, 2013 und 2014 legte sie vor (insgesamt 3 Rechnungen, je eine pro Jahr). Umsatzsteuer ist in diesen nicht ausgewiesen.

60
   
Der Beklagte erwiderte hierauf, die Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG lägen auch nach dem jetzigen Klägervortrag nicht vor. Weder habe die Klägerin die nach dieser Vorschrift notwendige Berufsqualifikation (hierfür lägen keine Nachweise vor) noch erbringe sie Heilbehandlungen. „Dorn-Therapie“, „Reiki“ und „Wirbelsäulenaufrichtung“ seien wissenschaftlich nicht anerkannt. Es liege kein Wirkungsnachweis vor. Die Behandlungskosten würden deswegen nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Das Gleiche gelte für die geistige Wirbelsäulenaufrichtung mit Hilfe göttlicher Energien. Die vorgelegten Rechnungen enthielten keine Diagnosen, sondern führten nur den Anlass auf.

61
   
Mit Schreiben vom 22. April 2016 bat der Prozessbevollmächtigte den Beklagten um die Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen für 2009 in Höhe von xxx,xx EUR, für 2010 in Höhe von xxx,xx EUR, für 2011 in Höhe von xxx,xx EUR, für 2012 in Höhe von xxx,xx EUR, für 2013 in Höhe von xxx,xx EUR und für 2014 in Höhe von xxx,xx EUR. Der Beklagte berücksichtigte in Änderungsbescheiden vom 23. Mai 2016 diese Vorsteuerbeträge und reduzierte die Umsatzsteuer 2009 auf xxx,xx EUR, Umsatzsteuer 2010 auf x.xxx,xx EUR, Umsatzsteuer 2011 auf x.xxx,xx EUR, Umsatzsteuer 2012 auf xxx,xx EUR, Umsatzsteuer 2013 auf x.xxx,xx EUR und Umsatzsteuer 2014 auf x.xxx,xx EUR. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb jeweils bestehen.

62
   
Am 6. Juli 2016 fand die mündliche Verhandlung statt (s. Sitzungsniederschrift).


Entscheidungsgründe
    
63
   
1. Die Klage ist unbegründet.Die von der Klägerin angefochtenen Umsatzsteuerbescheide begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Entgegen ihrer Auffassung unterliegen die Umsätze aus den von ihr in Deutschland abgehaltenen Seminaren in Deutschland der Umsatzbesteuerung (a.) und sind nicht von der Umsatzsteuer befreit (b.).

64
   
a. Die aus den in Deutschland abgehaltenen Seminaren erzielten Umsätze unterliegen in Deutschland der Umsatzbesteuerung. Das ergibt sich für Leistungen der Klägerin, die an Privatpersonen erbracht wurden, für 2009 aus § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a UStG (in der Fassung für 2009) und ab 2010 aus § 3a Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a UStG. Für Leistungen der Klägerin, die an Unternehmer erbracht wurden, ergibt sich der genannte Ort der Leistung ab 2011 aus § 3a Abs. 3 Nr. 5 UStG.
65
   
b. Die von der Klägerin erzielten Umsätze sind nicht von der Umsatzsteuer befreit.

66
   
Nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, steuerfrei. Die Vorschrift beruht auf europäischem Recht. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL sind Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden, steuerfrei.

67
   
Bei richtlinienkonformer Auslegung setzt die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass der Unternehmer eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche Leistungen erbringt und dass er die dafür erforderliche Qualifikation besitzt (BFH-Urteile vom 30. April 2009 V R 6/07, Bundessteuerblatt - BStBl - II 2009, 679; vom 30. Januar 2008 XI R 53/06, BStBl II 2008, 647 und vom 23. August 2007 V R 38/04, BStBl II 2008, 37, m.w.N. zur Rechtsprechung des BFH und des EuGH; daneben EuGH-Urteil vom 27. April 2006 C-443/04 und C-444/04, ECLI:EU:C: 2006:257, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2006, Beilage 3, 299). Dieser Rechtsprechung folgt der Senat. Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin dienen der Diagnose, Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen. Sie müssen einen therapeutischen Zweck haben. Zu den Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gehören auch Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung erbracht werden, wie vorbeugende Untersuchungen und ärztliche Maßnahmen an Personen, die an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, sowie Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden. Keine Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sind demgegenüber „ärztliche Leistungen“, „Maßnahmen“ oder „medizinische Eingriffe“, die zu anderen Zwecken erfolgen (vgl. BFH-Urteil vom 30. April 2009 V R 6/07, a.a.O.).

68
   
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind die Steuerbefreiungstatbestände des Art. 132 MwStSystRL als Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz, dass jede Dienstleistung gegen Entgelt der Mehrwertsteuer unterliegt, eng auszulegen (EuGH-Urteil vom 14. September 2000 C-384/98, ECLI:EU:C:2000:444, BFH/NV 2001, Beilage 1, 31). Die restriktive Auslegung muss jedoch mit den Zielen im Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gesamte Mehrwertsteuersystem beruht. Ziel der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c MwStSystRL vorgesehenen Steuerbefreiungen ist es, die Kosten der Heilbehandlungen zu senken (EuGH-Urteil vom 18. November 2010 C-156/09, ECLI:EU:C:2010:695, BFH/NV 2011, 179, m.w.N.).

69
   
Vor diesem Hintergrund müssen sowohl die „ärztlichen Heilbehandlungen“ (Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL) als auch die „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ (Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL) einen therapeutischen Zweck haben. Daraus folgt zwar nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist. Insofern kommen nach der Rechtsprechung des EuGH ärztliche bzw. arztähnliche Leistungen, die zum Zwecke der Vorbeugung erbracht werden, grundsätzlich für eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b bzw. c MwStSystRL in Betracht. Selbst wenn sich schließlich herausstellt, dass Personen, die sich vorbeugenden Untersuchungen oder anderen ärztlichen bzw. arztähnlichen Maßnahmen unterziehen, an keiner Krankheit oder Gesundheitsstörung leiden, steht die Einbeziehung dieser Leistungen in die Begriffe „ärztliche Heilbehandlung“ und „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ im Einklang mit dem Zweck, die Kosten der Heilbehandlungen zu senken. Daher fallen auch die ärztlichen bzw. arztähnlichen Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, unter die Steuerbefreiungsregelung dieser Vorschrift (vgl. EuGH-Urteil vom 20. November 2003 C-212/01, ECLI:EU:C:2003:625, BFH/NV 2004, Beilage 2, 111). Dagegen sind Leistungen, die keinem solchen therapeutischen Ziel dienen, vom Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c MwStSystRL ausgeschlossen und unterliegen der Umsatzsteuer (EuGH-Urteile vom 20. November 2003 C-212/01, a.a.O.; vom 20. November 2003 C-307/01, ECLI:EU:C:2003:627, BFH/NV 2004, Beilage 2, 115; vom 6. November 2003 C-45/01, ECLI:EU:C:2003:595, BFH/NV 2004, Beilage 1, 40 und vom 10. September 2002 C-141/00, ECLI:EU:C:2002:473, BFH/NV 2003, Beilage 1, 30).

70
   
aa. Im Streitfall fehlt es bereits an der für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG erforderlichen Berufsqualifikation der Klägerin. Jedenfalls hat sie diese bislang nicht glaubhaft gemacht. Da derjenige, der die Umsatzsteuerfreiheit begehrt, die Feststellungslast für die hierfür entscheidungserheblichen Tatsachen trägt (BFH-Beschlüsse vom 24. Oktober 2011 XI B 54/11, BFH/NV 2012, 279 und vom 18. Februar 2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001), hier die Klägerin, geht das zu ihren Lasten.

71
   
Sofern der Unternehmer, wie die Klägerin, keinen Beruf aus dem Katalog des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG ausübt, ist von der beruflichen Befähigung grundsätzlich dann auszugehen, wenn er die Voraussetzungen einer berufsrechtlichen Regelung erfüllt, die mit einem der dort genannten Berufe vergleichbar ist (BFH-Urteil vom 11. November 2004 V R 34/02, BStBl II 2005, 316).Eine berufsrechtliche Regelung über Ausbildung, Prüfung, staatliche Anerkennung sowie staatliche Erlaubnis und Überwachung der Berufsausübung gibt es in Deutschland für „Geistiges Heilen“ bisher nicht. Zwar hat die Klägerin eine seit1. April 2013 bestehende Prüfungs- und Anerkennungsordnung des DGH vorgelegt. Allerdings ist die Berufsausübung eines „Geistigen Heilers“ weder von einer staatlichen Erlaubnis abhängig noch an öffentlich-rechtliche Einschränkungen (bspw. Aufsicht durch die Gesundheitsbehörden) gebunden (zu diesen Voraussetzungen s. Urteile des BFH vom 8. März 2012 V R 30/09, BStBl II 2012, 623 und des FG Hamburg vom 17. März 2016 2 K 263/14, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2016, 1119). Dies wird auch von der Klägerin nicht in Abrede gestellt. Im Übrigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass ihre Fähigkeit zum „Geistigen Heilen“ auf Talent beruhe und nicht auf einer Ausbildung im eigentlichen Sinne.

72
   
Zwar hängt der Nachweis der beruflichen Befähigung nicht ausschließlich von einer berufsrechtlichen Regelung und deren Erfüllung ab. Denn, entsprechend dem Zweck der Regelung, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten, kann grundsätzlich vom Vorliegen des Befähigungsnachweises ausgegangen werden, wenn die heilberuflichen Leistungen des Unternehmers in der Regel von den Sozialversicherungsträgern finanziert werden (BFH-Urteil vom 30. Januar 2008 XI R 53/06, a.a.O.). Grundlage hierfür ist in erster Linie eine Zulassung des jeweiligen Unternehmers oder die regelmäßige Zulassung seiner Berufsgruppe gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) durch die zuständigen Stellen der gesetzlichen Sozialversicherung (BFH-Urteil vom 23. August 2007 V R 38/04, a.a.O.). Neben der Zulassung kann Indiz für einen entsprechenden beruflichen Befähigungsnachweis sein, dass die betreffenden Leistungen in den durch die Heilmittel- und Hilfsmittelrichtlinien gemäß § 92 SGB V konkretisierten Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen (Heilmittelkatalog) aufgenommen worden sind (BFH-Urteil vom 11. November 2004 V R 34/02, a.a.O.). Die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG kommt schließlich auch dann in Betracht, wenn eine Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung auf Grund eines Versorgungsvertrags gemäß §§ 11 Abs. 2, 23 Abs. 4, 40, 111 SGB V mit Hilfe von Fachkräften Leistungen zur medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation erbringt. In diesem Fall sind regelmäßig sowohl die Leistungen der Einrichtung als auch die Leistungen der hierzu nach Maßgabe des Versorgungs- oder Rehabilitationsvertrags qualifizierten Fachkräfte an diese Einrichtung steuerfrei (BFH-Urteil vom 10. März 2005 V R 54/04, BStBl II 2005, 669). Allerdings sind die genannten Voraussetzungen weder nach Lage der Akten erfüllt noch hat die Klägerin entsprechende Nachweise erbracht.
73
   
Somit führt die fehlende Berufsqualifikation zur Versagung der Steuerfreiheit der streitigen Umsätze.

74
   
bb. Nach Auffassung des Senats führte die Klägerin in den Streitjahren auch keine Heilbehandlungen im Sinne des § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG durch. Es fehlt trotz Aufforderung durch das Gericht an der Vorlage von Diagnosen der einzelnen Seminarteilnehmer. Inwiefern Krankheiten jedes einzelnen Teilnehmers therapiert wurden, erschließt sich dem erkennenden Senat nicht. Aus den dem Gericht mit Schreiben vom 4. April 2016 vorgelegten Listen lässt sich das jedenfalls nicht entnehmen. Es fehlt bereits die Zuordnung der einzelnen Klienten zu einzelnen Seminaren. Zudem betreffen die Angaben lediglich die Jahre 2010, 2012 und 2014 und nur 21 Klienten. Inwiefern Leistungen gegenüber den genannten Klienten und zu welchem Preis erbracht wurden, ergibt sich aus den Listen ebenfalls nicht. Die vorgelegten Rechnungen lassen keine Diagnosen erkennen. Da aber die Klägerin die Steuerfreiheit der aus den Seminaren erzielten Umsätze begehrt, trägt sie die Feststellungslast für die hier entscheidungserheblichen Tatsachen. Sofern die für die Umsatzsteuerbefreiung erforderlichen Feststellungen nicht möglich sind, geht das zu ihren Lasten.

75
   
Überdies ist zu berücksichtigen, dass sich die Seminare, nach dem Vortrag der Klägerin, nicht ausschließlich an Kranke, sondern auch an Personen wandten, die sich bspw. mit ihrer Teilnahme „lediglich“ eine Steigerung ihres Wohlbefindens versprachen. Jedenfalls war deren Teilnahme nicht ausgeschlossen. Bei den Adressaten der Seminare handelte es sich letztlich um „offene Gruppen“, an denen man voraussetzungslos, ohne dass zuvor bspw. ein Einzelgespräch geführt wurde, teilnehmen konnte. Auch ergibt sich nicht, dass vor der Teilnahme bspw. ein Anamnesebogen auszufüllen gewesen wäre. Bereits aus diesen Gründen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin in den Seminaren Heilbehandlungen erbracht hätte. Eine Steuerbefreiung der hieraus erzielten Umsätze nach § 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG scheidet auch deshalb aus.

76
   
Zuletzt weist der Senat darauf hin, dass nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) „ein Heiler, der spirituell wirkt und den religiösen Riten näher steht als der Medizin, […] im Allgemeinen die Erwartung auf heilkundlichen Beistand schon gar nicht [weckt] […] Hingegen dürften ganz andersartige, ergänzende Vorgehensweisen - wie beispielsweise die Krankensalbung, das Segnen oder das gemeinsame Gebet - wohl kaum den Eindruck erwecken, als handele es sich um einen Ersatz für medizinische Betreuung.“ Das BVerfG entschied, dass es für „Geistheiler“ keiner Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 Heilpraktikergesetz bedürfe, denn „wer eine rituelle Heilung in Anspruch nimmt, setzt sein Vertrauen nicht in die Heilkunde, sondern wählt etwas von einer Heilbehandlung Verschiedenes“ (Beschluss des BVerfG vom 2. März 2004 1 BvR 784/03, juris, zu einem „Geistheiler“, dessen Befähigung der DGH nachgewiesen hatte).

77
   
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

78
   
3. Die Revision wird nicht zugelassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

Quelle

Freitag, 21. Oktober 2016

Buchvorstellung: Kommunalsteuern und -abgaben



Veröffentlichung der  Deutschen
Steuerjuristischen Gesellschaft e.V.

Kommunalsteuern und -abgaben
36. Jahrestagung
der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V.
Speyer, 19. und 20. September 2011
______________
Herausgegeben im Auftrag der
Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V.
von
Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M.
Deutsche Universität
für Verwaltungswissenschaften
Speyer
2012


pdf-download


Inhalt*
Seite
Prof. Dr. Roman Seer, Ruhr-Universität Bochum
Kommunalsteuern und -abgaben – Einführung und Recht-
fertigung des Themas ....................................... 1
Prof. Dr. Christian Waldhoff, Humboldt-Universität zu Berlin
Das Finanzsystem der Kommunen aus rechtlicher Sicht:
Steuern, Abgaben und Finanzausgleich  ........................ 11
I. Einleitung – Der vierfache Anknüpfungspunkt des Themas
Steuern/Abgaben und Kommunen  ....................... 11
II. Stellung der Kommunen im Staatsaufbau und daraus
resultierende finanzverfassungsrechtliche Spielräume  ........ 17
III. Finanzautonomie als zentraler Bestimmungsgrund für das
kommunale Finanzsystem  .............................. 20
IV. Sieben grundsätzliche Zielkonflikte des kommunalen Finanz-
systems  ............................................. 24
V. Der begrenzte Wille zur Autonomie als rechtssystematische
Schwachstelle und politische Glaubwürdigkeitslücke  ........ 33
Prof. Dr. Markus Achatz, Johannes Kepler Universität Linz
Das Finanzsystem der Kommunen im Rechtsvergleich  ........... 35
I. Einleitung  ........................................... 35
II. Zur Funktion der Rechtsvergleichung kommunaler Finanz-
systeme  ............................................. 36
III. Zur Finanzautonomie der Kommunen  .................... 39
IV. Ausgleichsmechanismen  ................................ 51
V. Schlussbemerkung  .................................... 58
Prof. Dr. Lars P. Feld und Dipl.-Vw. Benedikt Fritz,
Universität Freiburg und Walter Eucken Institut
Das Finanzsystem der Kommunen aus ökonomischer Sicht ........ 61
I. Einleitung  ........................................... 61
II. Die Finanzsituation der deutschen Kommunen  ............. 62
III. Kriterien für eine gute Gemeindesteuer .................... 67
IV. Gewerbesteuer  ....................................... 69
V. Grundsteuer  ......................................... 78
VI. Implikationen für das kommunale Besteuerungssystem ....... 83
Diskussion  ............................................... 85
___________________
* Ausführliche Inhaltsverzeichnisse jeweils zu Beginn der Beiträge.

VI Inhalt
Prof. Dr. Rainer Wernsmann, Universität Passau
Möglichkeiten und Grenzen der gemeindlichen Steuerautonomie:
Steuererfindungsrechte sowie örtliche Aufwand- und Verbrauch-
steuern  .................................................. 95
I. Einleitung  ........................................... 95
II. Steuerautonomie und Steuererfindungsrechte  ............... 96
III. Örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern  ................. 99
IV. Zusammenfassung ..................................... 115
Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Geschäftsführendes
Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages, Honorarprofessor
Universität Osnabrück
Möglichkeiten und Grenzen der kommunalen Steuerautonomie
(Steuerfindungs- und -hebesatzrechte, örtliche Verbrauch- und
Aufwandsteuern)  .......................................... 117
I. System der Kommunalfinanzierung  ...................... 118
II. Verfassungsrechtliche Selbstverwaltungsgarantie für
Gemeinden und Kreise mit finanzverfassungsrechtlicher
Flankierung  .......................................... 124
III. Kommunalabgabengesetze und Spezialgesetze  .............. 142
IV. Entwicklungen bei einzelnen Verbrauch- und Aufwandsteuern 144
V. Resümee  ............................................ 156
Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M. (Cantab) Deutsche Universität
für Verwaltungswissenschaften, Speyer
Gebühren, Beiträge und Sonderabgaben im System der
Kommunalfinanzierung  .................................... 159
I. Einführung  .......................................... 159
II. Krise der Kommunalfinanzen und ihre Ursachen ............ 160
III. Bedeutung der Gegenleistungsabgaben für die Kommunal-
finanzen  ............................................. 162
IV. Arten der Gegenleistungsabgaben  ........................ 163
V. Rechtsrahmen für Gegenleistungsabgaben  ................. 165
VI. Maßstäbe der Abgabenerhebung  ......................... 166
VII. Lenkungsabgaben  ..................................... 168
VIII. Leistungsfähigkeit  ..................................... 169
IX. Abgaben und Entgelte  ................................. 170
X. Ausgewählte Abgaben  ................................. 171
XI. Ergebnis  ............................................ 172
Diskussion  ............................................... 174


Inhalt VII
Dr. Frank Roser, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater,
Hamburg
Kritische Bestandsaufnahme der Gewerbesteuer  ................. 189
I. Gewerbesteuer heute – Bedeutung und Aktualität  ........... 189
II. Ausgangspunkt einer kritischen Bestandsaufnahme  .......... 190
III. Einzelaspekte einer (kritischen) Bestandsaufnahme  .......... 201
IV. Ergebnis und Schlussfolgerungen  ........................ 216
Steuerberater Bernd-Peter Bier, Leverkusen
Die Gewerbesteuer aus Sicht der Unternehmen  ................. 219
I. Einleitung  ........................................... 219
II. Finanzwirtschaftliche Bedeutung der Gewerbesteuer  ........ 221
III. Die Gewerbesteuer im EU-Vergleich  ..................... 225
IV. Ausgewählte Problembereiche der Gewerbesteuer ........... 226
V. Steuerwettbewerb im Inland  ............................ 244
VI. Ausblick  ............................................ 246
Prof. Dr. Arndt Schmehl, Universität Hamburg
Kritische Bestandsaufnahme der Grundsteuer ................... 249
I. Einleitung  ........................................... 250
II. Die Grundsteuer in der Kritik – eine Einordnung  ........... 251
III. Die Stellung der Grundsteuer im System der Einnahmen-
erzielung  ............................................ 257
IV. Rechtsideen und Rechtswirklichkeit der gegenwärtigen
deutschen Grundsteuer ................................. 259
V. Grundsteuern in ausländischen Steuerordnungen ............ 272
VI. Eine neue oder jedenfalls erneuerte Grundsteuer  ............ 279
VII. Fazit ................................................ 291
Diskussion  ............................................... 292
Prof. Dr. Joachim Lang, Universität zu Köln
Bestandsaufnahme der kommunalsteuerlichen Reformmodelle  ..... 307
I. Einleitung  ........................................... 307
II. Prinzipien der Kommunalsteuerreform .................... 309
III. Modelle zum Umbau der Gewerbesteuer  .................. 311
IV. Modelle zur Reform der Grundsteuer  ..................... 315
V. Modelle einer umfassenden Reform des Kommunalsteuerrechts 319
VI. Resümee  ............................................ 323
Podiumsdiskussion zur Kommunalsteuerreform  ................ 325


VIII Inhalt
Prof. Dr. Joachim Wieland, LL.M. (Cantab),
Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer
Kommunale Steuern und kommunale Finanznot – Resümee  ....... 355
I. Zum Thema der Tagung  ................................ 355
II. Das kommunale Finanzsystem  .......................... 355
III. Kommunale Finanzsysteme im Rechtsvergleich  ............. 358
IV. Steuerautonomie  ...................................... 359
V. Kommunale Gegenleistungsabgaben  ...................... 361
VI. Gewerbesteuer  ....................................... 361
VII. Grundsteuer  ......................................... 363
VIII. Kommunalsteuerreform  ................................ 365
IX. Schlussbetrachtung  .................................... 366
Prof. Dr. Rainer Hüttemann, Rheinische Friedrich-Wilhelms-
Universität Bonn
Laudatio – aus Anlass der Verleihung des Albert-Hensel-Preises
2011 an Dr. Christoph Moes ................................. 367
Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft e.V.
Satzung  ............................................... 371
Vorstand und Wissenschaftlicher Beirat  ..................... 372
Teilnehmerverzeichnis  ................................... 373
Stichwortverzeichnis  ....................................... 379



Kommunalsteuern und -abgaben –
Einführung und Rechtfertigung des Themas
Prof. Dr. Roman Seer
Ruhr-Universität Bochum

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Donnerstag, 13. Oktober 2016

Der Vorrang des EU-Rechts


Der Vorrang des EU-Rechts

Laut dem Grundsatz des Vorrangs hat das EU-Recht ein höheres Gewicht als das Recht der Mitgliedstaaten. Der Grundsatz des Vorrangs gilt für alle EU-Rechtsakte mit verbindlicher Wirkung. Die Mitgliedstaaten dürfen also keine nationale Rechtsvorschrift anwenden, die im Widerspruch zum EU-Recht steht.
Der Grundsatz des Vorrangs gewährleistet, dass das EU-Recht ein höheres Gewicht als das nationale Recht hat. Er ist ein wesentlicher Grundsatz des EU-Rechts. Genau wie der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung ist er nicht in den Verträgen festgelegt, wurde aber vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anerkannt.

50 Jahre unmittelbare Wirkung des Unionsrechts zu gunsten von Bürgern und Unternehmen


Seit dem Urteil Van Gend & Loos von 1963 können sich Einzelpersonen vor den nationalen
Behörden und Gerichten unmittelbar auf das Unionsrecht berufen. s.u.

Definition
Der EuGH hat den Grundsatz des Vorrangs in seinem Urteil vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache Costa gegen Enel anerkannt. In diesem Urteil verkündet der Gerichtshof, dass das von den europäischen Organen verabschiedete Recht in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten übergeht und diese zu seiner Beachtung verpflichtet sind. Das EU-Recht hat also Vorrang vor dem nationalen Recht. Steht eine nationale Rechtsvorschrift im Widerspruch zu einer EU-Rechtsvorschrift, so müssen die Behörden der Mitgliedstaaten die EU-Rechtsvorschrift anwenden. Das nationale Recht wird weder für ungültig erklärt noch außer Kraft gesetzt, es wird lediglich seine verbindliche Wirkung ausgesetzt.
Zu einem späteren Zeitpunkt hat der Gerichtshof präzisiert, dass der Vorrang des EU-Rechts für alle nationalen Rechtsakte gilt, unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem EU-Rechtsakt angenommen wurden.
Indem das EU-Recht mehr Gewicht erhält als das nationale Recht, gewährleistet der Grundsatz des Vorrangs einen einheitlichen Schutz der Bürger durch das EU-Recht im gesamten Hoheitsgebiet der EU.

Geltungsbereich des Grundsatzes
Der Vorrang des EU-Rechts über das nationale Recht ist absolut / unumschränkt. Er gilt für alle EU-Rechtsakte, unabhängig davon, ob sie aus dem Primärrecht oder dem abgeleiteten Recht hervorgegangen sind.
Darüber hinaus gilt dieser Grundsatz für alle nationalen Rechtsakte, unabhängig von ihrer Art:
Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Beschlüsse, Rundschreiben usw., ganz gleich ob diese Texte exekutiven oder legislativen Ursprungs des betreffenden Mitgliedstaates sind. Auch die Justiz unterliegt dem Grundsatz des Vorrangs, denn das von ihr geschaffene Recht, die Rechtsprechung, hat das Gemeinschaftsrecht zu achten.
Der Gerichtshof befand, dass die Verfassungen der einzelnen Mitgliedstaaten ebenfalls dem Grundsatz des Vorrangs unterliegen. Somit hat das nationale Gericht dafür zu sorgen, dass Bestimmungen einer Verfassung, die im Widerspruch zum EU-Recht stehen, nicht zur Anwendung kommen.

Für die Achtung des Grundsatzes zuständige Instanzen
Ähnlich wie bei dem Grundsatz der unmittelbaren Wirkung wacht der Europäische Gerichtshof über die ordnungsgemäße Anwendung des Grundsatzes des Vorrangs. Er verhängt durch seine Entscheidungen, die auf den verschiedenen in den Gründungsverträgen vorgesehenen Rechtsmitteln beruhen, insbesondere im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens, Sanktionen gegen Mitgliedstaaten, die dem Grundsatz zuwiderhandeln.

Es ist ebenfalls Aufgabe des nationalen Gerichts, für die Achtung des Grundsatzes des Vorrangs zu sorgen. So kann es gegebenenfalls von einem Vorabentscheidungsverfahren Gebrauch machen, sollten hinsichtlich der Anwendung dieses Grundsatzes Zweifel bestehen. In seinem Urteil vom 19. Juni 1990 (Factortame) führte der Gerichtshof an, dass ein nationales Gericht im Rahmen einer Vorlagefrage zur Gültigkeit einer nationalen Norm umgehend die Anwendung dieser Norm so lange auszusetzen hat, bis der Gerichtshof eine Lösung empfohlen und das Gericht in der Sache geurteilt hat.
Letzte Änderung: 01.10.2010


Herrschaft des Rechts:
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH)


Die Europäische Union beruht auf Verträgen, die Staaten freiwillig untereinander geschlossen haben. Sie erlauben es der EU, Gesetze zu erlassen, die in allen Mitgliedsstaaten gelten und umgesetzt werden müssen: Das Europarecht. Es hat Vorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten. Das europäische Gemeinschaftsrecht zu schützen, ist Aufgabe des Gerichtshofes der Europäischen Union (auch EuGH genannt). Er entscheidet über Klagen von Mitgliedstaaten, Organen, natürlichen Personen oder Unternehmen (juristischen Personen).

Die Struktur der Gerichtsbarkeit

Mit dem Vertrag von Lissabon wurden veränderte Bezeichnungen aufgenommen.  Danach bezeichnet der "Gerichtshof der Europäischen Union" die Gesamtstruktur der Gerichtsbarkeit der Europäischen Union. Oberstes Organ der Gerichtsbarkeit ist fortan der "Gerichtshof". Das Gericht erster Instanz ist nun das "Gericht", während die dem Gericht beigeordneten Kammern, die der Bewältigung der Fülle von Klagen eingesetzt wurden, "Fachgerichte" genannt werden.

Aufgaben des Gerichtshofs

Der Gerichtshof ist das höchste Gericht der EU. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge. Die Urteile des Gerichtshofes gelten in allen Ländern der EU und können von keinem nationalen Gericht angetastet werden. Der Gerichtshof wahrt auch die Grundrechte des Bürgers gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft und seiner Organe und schützt ihn gegen Missbrauch der öffentlichen Gewalt.
Der Gerichtshof entscheidet beispielsweise aufgrund einer Klage (eines Mitgliedsstaates, eines EU-Organs, im zweiten Rechtszug auch eines Unternehmens oder eines Bürgers), ob in einem Einzelfall gegen EU-Recht verstoßen wurde ("Anwendung der Verträge"). Er entscheidet aber auch endgültig, wie strittige Texte in den Verträgen zu verstehen sind ("Auslegung der Verträge"). Der Gerichtshof gestaltet dadurch europäisches Recht fort und stellt sicher, dass das Gemeinschaftsrecht in allen EU-Ländern gleich ausgelegt wird. Damit kommt dem Europäischen Gerichtshof eine bedeutende Rolle in der Fortentwicklung der europäischen Integration zu.

Organisation

Der Gerichtshof, der seinen Sitz in Luxemburg hat, besteht aus 28 Mitgliedern, je einem Mitglied aus jedem EU-Land, die von acht Generalanwälten unterstützt werden. Nicht immer kommen alle 28 Richter (Tagung im Plenum) zusammen, um über einen Streitfall in der EU zu entscheiden. Damit die Effizienz des Gerichtshofes nicht leidet, werden Rechtssachen meist in einer "Großen Kammer" mit 15 Richtern oder durch "Kammern" mit drei oder fünf Richtern entschieden.

Schon 1989 wurde dem Europäischen Gerichtshof ein Gericht Erster Instanz beigeordnet, um den Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Das "Gericht" (der früher Gericht Erster Instanz genannt wurde) besteht ebenfalls aus mindestens einem Richter je Mitgliedstaat. Es ist insbesondere zuständig für Klagen von Privatpersonen und für Rechtssachen im Zusammenhang mit unfairem Wettbewerb zwischen Unternehmen.

Besetzung der Ämter


Richter und Generalanwälte werden von einem Ausschuss nach ihrer Gewähr für Unabhängigkeit und hervorragender Befähigung für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt. Der Ausschuss setzt sich aus sieben Persönlichkeiten zusammen, die aus dem Kreis ehemaliger Mitglieder des Gerichtshofs und des Gerichts, der Mitglieder der höchsten einzelstaatlichen Gerichte und der Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung ausgewählt werden. Einer der Ausschussmitglieder wird vom Europäischen Parlament vorgeschlagen. Arbeitsweise und Beschlussfassung des Ausschusses wird auf Initiative des Präsidenten des Gerichtshofs vom Rat festgelegt.  Der Präsident des Gerichtshofes wird von den Richtern für eine dreijährige Amtszeit gewählt. Er kann wiedergewählt werden.

Der Weg zum EuGH

Der EG-Vertrag beschreibt verschiedene Wege (Klagearten und Verfahren), über die eine Rechtssache vor den Europäischen Gerichtshof kommen kann:

  • Vorabentscheidungen: Wenn ein nationales Gericht in einem Prozess Europarecht beachten muss, das stets Vorrang vor nationalem Recht hat, kann es vom Europäischen Gerichtshof eine Vorabentscheidung verlangen. Diese Entscheidung ist dann für das nationale Gericht in dem betreffenden Fall bindend. Nationale Gerichte letzter Instanz sind sogar verpflichtet, beim Europäischen Gerichtshof Vorabentscheidungen einzuholen. Das gewährleistet, dass Europarecht in allen EU-Ländern und von allen Gerichten einheitlich ausgelegt und angewendet wird. Das ist für eine Rechtsgemeinschaft von herausragender Bedeutung.
  • Klage wegen Vertragsverletzung: Dieses Verfahren prüft, ob ein Mitgliedsstaat seinen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, ob es beispielsweise ein EU-Gesetz korrekt umgesetzt hat. Solch eine Klage kann entweder von der Kommission erhoben werden oder von einem Mitgliedstaat. Stellt der Gerichtshof fest, dass ein Mitgliedsstaat gemeinschaftsrechtliche Pflichten verletzt hat, muss der verurteilte Staat seine Rechtslage anpassen. Tut er das nicht, kann er zur Zahlung einer Geldbuße gezwungen werden.
  • Nichtigkeitsklage: Mit der Nichtigkeitsklage beantragt der Kläger die Nichtigerklärung einer Handlung eines Organs (Verordnung, Richtlinie, Entscheidung). Die Einreichung einer Nichtigkeitsklage gegen Handlungen europäischer Organe wird seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon in vollem Umfang für sog. nicht-priviligierte Kläger - juristische und natürliche Personen - möglich. Zuständig für solche Klagen im ersten Rechtszug ist das Gericht. Der Gerichtshof ist zuständig für Klagen des Rechnungshofs, der Europäischen Zentralbank und des Ausschusses der Regionen, die auf die Wahrung ihrer Rechte abzielen.
  • Untätigkeitsklage: Unterlässt es das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat, die Kommission, die Europäische Zentralbank sowie andere Einrichtungen und Institutionen der Europäischen Union einen Beschluss zu fassen, obwohl eine vertragliche Verpflichtung dazu besteht, können andere EU-Organe oder Mitgliedsstaaten Klage wegen Untätigkeit erheben. Neu ist mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, dass die Untätigkeitsklage nun auch für den Europäischen Rat sowie andere Institutionen und Einrichtungen der Europäischen Union gilt.
  • Schadensersatzklage: Der Europäische Gerichtshof entscheidet auch, ob die Gemeinschaft für einen Schaden aufkommen muss, den ihre Organe oder deren Mitarbeiter in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursacht haben.
  • Berufung auf die Grundrechtecharta: Die Grundrechtecharta steht den anderen Verträgen der EU mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages fortan rechtlich gleich. Das bedeutet, dass die EU-Bürger (mit Ausnahme von Großbritannien und Polen, für die die Grundrechte nicht verbindlich gelten) sich in Zukunft vor dem Gerichtshof auf dieses Dokument berufen können.

Mehr Informationen
Internetseite des Europäischen Gerichtshofes


Grundprinzipien des europäischen Rechts
Insbesondere: Unmittelbare Anwendbarkeit und Vorrangprinzip

s.a.:
EuGH bekräftigt: EU-Recht steht über nationalem Recht

Pflicht zur Befolgung der Vorgaben eines übergeordneten Gerichts, EuGH (Rs. C-581/14)
Um die einheitliche und volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu sichern, sind unionsrechtswidrige mitgliedstaatliche Regelungen nicht nur unmittelbar zu beseitigen, sondern dürfen aufgrund des Anwendungsvorrangs auch nicht weiter angewandt werden. (Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit)
 

Nationale Gesetze dürfen sich nicht über EU-Recht hinwegsetzen.

Der Gerichtshof begeht den 50. Jahrestag des Urteils Van Gend en Loos
Am 13. Mai 2013 hat am Sitz des Gerichtshofs in Luxemburg zur Feier des 50. Jahrestags des am 5. Februar 1963 verkündeten Urteils „Van Gend en Loos" ein Tag der Reflexion stattgefunden.Bei dieser Veranstaltung wurde untersucht, inwiefern das Urteil sowohl Quelle als auch Leitbild der Grundsätze ist, die das konstitutionelle Gebäude der Union geformt haben, und welche Möglichkeiten sich daraus für die künftige Entwicklung der europäischen Konstruktion ergeben.

Die Konferenz wurde von einem Komitee unter Vorsitz des Kammerpräsidenten A. Tizzano organisiert, dem die Generalanwältin J. Kokott und die Richterin S. Prechal angehörten, und richtete sich an alle juristischen Berufe und die akademische Welt der Europäischen Union. Arbeitssprachen waren Französisch und Englisch.
Quelle

Gerichtshof der Europäischen Union
PRESSEMITTEILUNG Nr. 56/13
Luxemburg, den 7. Mai 2013

Presse und Information
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50 Jahre unmittelbare Wirkung des Unionsrechts zu gunsten von Bürgern und Unternehmen

Seit dem Urteil Van Gend & Loos von 1963 können sich Einzelpersonen vor den nationalen
Behörden und Gerichten unmittelbar auf das Unionsrecht berufen

Am 5. Februar 1963 verkündete der Gerichtshof das Urteil Van Gend & Loos 1, mit dem er eine von einem niederländischen Gericht, der Tariefcommissie, zur Vorabentscheidung vorgelegte  Frage beantwortete. Dieses Gericht hatte über einen  Rechtsstreit zwischen dem niederländischen Transportunternehmen Van  Gend & Loos und der niederländischen  Finanzverwaltung wegen Zöllen zu entscheiden, die das Unternehmen bei der Einfuhr von Waren aus Deutschland in  die Niederlande entrichten musste. Das Transportunternehmen machte geltend, dass der angewandte Zoll gegen die Regelung des EWG-Vertrags verstoße, wonach die Mitgliedstaaten  in  ihren
gegenseitigen  Handelsbeziehungen die Zölle nicht erhöhen durften. Die Finanzverwaltung war dagegen der Ansicht, dass sich das Unternehmen nicht auf diese Regelung berufen  könne, weil sie nur eine Verpflichtung gegenüber den anderen Mitgliedstaaten schaffe.

In seinem Urteil stellte der Gerichtshof mit dem Grundsatz der unmittelbaren Wirkung („effet direct“) einen der tragenden Grundsätze des Rechts der Europäischen Union auf. Nach diesem Grundsatz schafft das Unionsrecht nicht nur gegenseitige Verpflichtungen zwischen den Mitgliedstaaten, sondern erzeugt zugunsten der Bürger und Unternehmen unmittelbare Wirkungen, indem es ihnen individuelle Rechte verleiht, die die nationalen Behörden und Gerichte zu beachten haben.

Um an die Verkündung dieses Urteils zu erinnern, veranstaltet der Gerichtshof am 13.Mai  2013 eine Konferenz. Im Rahmen dieser Konferenz, zu der sich Vertreter aller juristischen Berufe und der Wissenschaft online  anmelden konnten, werden die Teilnehmer den Inhalt des Urteils, seine Auswirkungen und die Perspektiven der damit begründeten Rechtsprechung erörtern 2. Im Geist der Öffnung gegenüber der externen rechtswissenschaftlichen Welt, wie er bereits in dem vom Gerichtshof aus Anlass seines 60jährigen Bestehens  im Dezember 2012 veröffentlichten Werk zum Ausdruck gekommen ist, werden die Erörterungen im Rahmen der Konferenz durch mehrere Beiträge externer Persönlichkeiten eingeleitet.

Erstmals in der Geschichte des Gerichtshofs wird die Öffentlichkeit die Erörterungen live auf seiner Website (www.curia.europa.eu) verfolgen können. Dies zeugt von dem einzigartigen Charakter dieses Ereignisses  und  der Bedeutung, die der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung  für jeden Bürger und jedes Unternehmen in der Union hat.

Das Programm der Konferenz kann durch Anklicken des folgenden Bildes abgerufen werden.
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1 Urteil des Gerichtshofs vom 5.Februar 1963, Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung (26/62). 
2 Zur Ankündigung dieser Konferenz und zu näheren Angaben vgl. die Pressemitteilung Nr. 10/13
Quelle (pdf-download)



s.a.: Die unmittelbare Anwendbarkeit ist eine Rechtsfigur des Europarechts, die es Einzelpersonen ermöglicht, deren unmittelbar betroffene Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg einzuklagen (Art. 288 AEUV).
Quelle: wikipedia