Montag, 20. Juni 2016

Nachtrag zu „Freispruch in Sonthofen“


Nachtrag zu „Freispruch in Sonthofen“

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein

In dem Beitrag vom 16.6.2016 zum „Freispruch in Sonthofen“ und zu dem wirklichen Inhalt der Ince-Entscheidung vom 4.2.2016 wurde klargestellt, dass der EuGH die Unanwendbarkeit des Erlaubnisvorbehaltes des § 4 GlüStV bestätigt hat, wenn und weil das „Sportwettenmonopol“ unionsrechtswidrig ist. Das Fehlen einer deutschen Erlaubnis – sprich der Erlaubnisvorbehalt – darf einem EU-Anbieter nicht entgegengehalten werden, weder verwaltungsrechtlich noch strafrechtlich.

Damit ist klar, dass diejenigen behördlichen oder richterlichen Entscheidungen, die zwischen Monopolregelung und Erlaubnisvorbehalt unterscheiden, falsch sind. Die „Monopolregelung“ ist nicht § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 GlüStV, sondern der Erlaubnisvorbehalt in § 4. Und der Erlaubnisvorbehalt ist umgekehrt auch die „Monopolregelung“, jedenfalls immer dann, wenn der Staat – aus welchem Grund auch immer – keine Erlaubnis an private Wettanbieter erteilt. Weshalb keine Genehmigungen an Private erteilt werden, ist für die Frage, welche Regelung das Wett-Monopol begründet, vollkommen gleichgültig. Ob die Erlaubnisbehörden aus reiner Willkür keine Genehmigungen an private Anbieter erteilen, weil es ihnen von den deutschen Gerichten untersagt wird, oder ob eine deutsche Regelung der Genehmigungserteilung an Private entgegensteht, ist aus Sicht des durch den Erlaubnisvorbehalt ausgeschlossenen Anbieters egal. Die Eingriffsintensität des Erlaubnisvorbehaltes ist unabhängig von dem Grund für die Erlaubnisverweigerung stets identisch.

Aufgrund der seit 15 Jahren bestehenden Unionsrechtswidrigkeit des so genannten Sportwettenmonopols ist daher nicht der an die Behörden gerichtete § 10 Abs. 5 GlüStV bzw. Abs. 6 GlüÄndStV unanwendbar, sondern der Erlaubnisvorbehalt. Für EU-Anbieter, die im Rahmen ihrer EU-Lizenz in Deutschland Dienste anbieten, besteht daher zwar keine generelle Erlaubnisfreiheit in der EU. Die Erlaubnis im Ursprungsland i.V.m. dem freien Dienstleistungsverkehr berechtigt jedoch dazu, bundesweit Sportwetten und Glücksspiele legal anzubieten. Verbotsverfahren gegenüber EU-Anbietern sind deutschen Behörden durch Artikel 56 AEUV verboten.

Anderes gilt in Erlaubnisverfahren. Das an die deutschen Behörden gerichtete Verbot des § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 ist zwar unanwendbar, wenn sich ein privater Wettanbieter in einem Erlaubnisverfahren gegenüber der Behörde, die eine Erlaubnis mit dem Hinweis auf § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 verweigert, auf das höherrangige Unionsrecht beruft.

Die Erlaubnisbehörde dürfte aber nicht von sich aus § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 GlüStV bzw. GlüÄndStV unangewendet lassen, wenn sich der Erlaubnisbewerber nicht ihr gegenüber auf den Anwendungsvorrang beruft. Der Verwaltung räumt das Unionsrecht nämlich nicht die Befugnis ein, von sich aus EU-rechtswidrige deutsche Normen unangewendet zu lassen.

Diese oft verkannte Systematik des EU-Rechts drückt z.B. die brandenburgische Verwaltung in ihrer Veröffentlichung zur Bedeutung des Anwendungsvorrangs (http://bravors.brandenburg.de/de/verwaltungsvorschriften-219396) so aus: „Über Fälle, in denen ein Unternehmer einen Anwendungsvorrang geltend macht, zu dem noch kein BMF-Schreiben vorliegt, wird gebeten zu berichten. Der Verwaltung steht demgegenüber kein Berufungsrecht zu. Folglich kann eine für einen Unternehmer gegenüber dem Umsatzsteuergesetz nachteilige Bestimmung einer EG-Richtlinie nicht durch die Verwaltung angewendet werden.“ Das ist korrekt. Geht die Anwendung des EU-Rechts durch die Verwaltung gegenüber dem nationalen Recht zu Lasten des Bürgers und beruft sich der Bürger gegenüber der Verwaltung nicht explizit auf das EU-Recht, ist der Verwaltung die Anwendung des EU-Rechts verboten.

Warum ist diese Systematik so wichtig? Weil in fast allen anhängigen Verbotsverfahren die Behörde das EU-Recht zu Lasten der Wettanbieter anwendet, obwohl sich der Wettanbieter gegenüber der Behörde gar nicht auf die Unanwendbarkeit des § 10 Abs 5 GlüStV a.F. bzw. Abs. 6 GlüÄndStV berufen hat. In Verbotsverfahren muss die Behörde stets und immer davon ausgehen, dass ein EU-Anbieter unionsrechtswidrig von der Ausübung seines Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr durch § 4 in Verbindung mit § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 mit der Folge ausgeschlossen ist, dass der Erlaubnisvorbehalt nicht angewendet werden darf.

Die Untersagungsbehörde darf in einem Untersagungsverfahren gegenüber einem EU-Anbieter hingegen nicht fingieren, das Verbot des § 10 Abs. 5 bzw. – nachdem auch die Experimentierklausel gescheitert ist – das Verbot des § 10 Abs. 6 GlüÄndStV sei unanwendbar. Diese Befugnis hat die Behörde nicht, weil sich der auf Unterlassung in Anspruch genommene private Wettanbieter in dem Untersagungsverfahren nur auf die Unanwendbarkeit des Erlaubnisvorbehaltes, nicht aber auf die Unanwendbarkeit des § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 beruft. Das heißt folgendes: Die Untersagungsbehörde darf nicht fingieren, dass der private Wettanbieter, gegen den sie vorgeht, entgegen § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 theoretisch eine Genehmigung bekommen könnte.

Genau dies aber fingieren die deutschen Untersagungsbehörden und einige obere Gerichte. Sie fingieren unter Berufung auf den Anwendungsvorrang eine deutsche Rechtslage, in welcher ein Einzelner entgegen § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 (und entgegen der unionsrechtswidrigen und gescheiterten Experimentierklausel) eine deutsche Genehmigung bekommen könnte. Dann prüfen die Untersagungsbehörden und die oberen Gerichte fiktiv die Genehmigungsfähigkeit des privaten Anbieters, obwohl dieser überhaupt keine Genehmigung beantragt hat, sondern sich gegen eine Untersagungsverfügung zur Wehr setzt. Am Ende scheitert die Genehmigungsfähigkeit in diesem fiktiven Erlaubnisverfahrens, weil Genehmigungsanforderungen angewendet werden, die das staatliche Monopol mit der Notwendigkeit der Bekämpfung von Suchtgefahren legitimieren, nicht aber den freien Markt – der in der deutschen Gesetzeslage gar nicht vorgesehen ist – regulieren sollen. In der Folge kommen die Untersagungsbehörden auf der Grundlage ihres fiktiven Erlaubnisverfahrens immer zur fehlenden Erlaubnisfähigkeit und halten an Verbotsverfügungen fest.

Diese unsägliche staatliche Praxis, die im Ergebnis das Monopol aufrechterhält oder privaten Wettanbietern diejenigen beschränkenden Regelungen des Staatsvertrages aufzwingt, die zur Legitimation des Monopols und nicht zur Regulierung eines vom freien Wettbewerb gekennzeichneten Marktes für Glücksspiele oder Sportwetten geschaffen wurden, hat der Gerichtshof in Ince als unionsrechtswidrig beurteilt.

Wer den wirklichen Gehalt dieses EuGH-Urteils verstehen will, muss dazu das Vorstehende erneut sowie die Rn. 29 in Ince lesen. Der Vorlagebeschluss stellte die Rechtsprechung des BVerwG in 8 C 16.12, 14.12 und 8 B 36.14 auf den Prüfstand unionsrechtlicher Grundsätze. In Rn. 29 heißt es beim EuGH:
29 Auf der einen Seite sind manche deutschen Gerichte, darunter die oberen Verwaltungsgerichte, wie auch manche Verwaltungsbehörden der Ansicht, dass allein § 10 Abs. 5 GlüStV, der den Ausschluss privater Veranstalter vorsehe, mit dem Unionsrecht unvereinbar sei, wohingegen die in § 4 Abs. 1 GlüStV aufgestellte Erlaubnispflicht grundsätzlich damit vereinbar sei. Diese Gerichte haben folglich die Bestimmung über den Ausschluss privater Veranstalter aufgrund des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts unangewandt gelassen. Sie waren sodann der Auffassung, dass für solche Veranstalter die materiellen Voraussetzungen gelten müssten, die nach dem Glücksspielstaatsvertrag und den Ausführungsgesetzen der Länder für die Erteilung von Erlaubnissen an staatliche Veranstalter vorgesehen seien.
Somit ist nach diesen Gerichten in jedem Einzelfall zu prüfen, ob ein privater Anbieter nach einem fiktiven Erlaubnisverfahren eine Erlaubnis unter den Bedingungen bekommen kann, die für die staatlichen Monopolträger und ihre Vermittler vorgesehen sind (im Folgenden: fiktives Erlaubnisverfahren).
In diesem fiktiven Erlaubnisverfahren, welches die Untersagungsbehörde und nicht etwa die Erlaubnisbehörde rein fiktiv durchführt, ohne dass dem Anbieter darin jemals eine Erlaubnis erteilt werden könnte, hat – wie der EuGH in Rn. 31 hervorhebt – selbstredend niemals ein Anbieter eine Erlaubnis erhalten. Es geht den Behörden auch nicht darum, eine Erlaubnis zu erteilen, sondern darum, das Monopol über den Umweg der fingierten Erlaubnismöglichkeit zu perpetuieren.

Die dem Bundesverwaltungsgericht entgegenstehende Auffassung deutscher Gerichte und Behörden legt der EuGH zusammengefasst in Rn. 32 dar. Jene Auffassung sieht zu Recht den Erlaubnisvorbehalt als die eigentliche Monopolregelung an und versteht – wie das BVerwG in 8 C 14.09 und 15.09 (Rn. 60) nicht das an die Behörden gerichtete Verbot des § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 als den legitimationsbedürftigen Eingriff in Grundfreiheiten.

In Rn. 32 führt der EuGH aus:
„32 Auf der anderen Seite sind sonstige deutsche Gerichte der Auffassung, dass es, da sich eine Verletzung des Unionsrechts aus dem Zusammenwirken der Erlaubnispflicht und des Ausschlusses privater Veranstalter, die im Glücksspielstaatsvertrag und in den Ausführungsgesetzen der Länder vorgesehen seien, ergebe, für eine Behebung der festgestellten Rechtswidrigkeit nicht ausreiche, den Ausschluss privater Veranstalter unangewandt zu lassen und stattdessen das Erlaubnisverfahren zu fingieren. Für diesen Ansatz führt das vorlegende Gericht an, dass das Verfahren und die Erlaubniskriterien, die nach dem Glücksspielstaatsvertrag und den Ausführungsgesetzen dazu vorgesehen seien, allein auf die staatlichen Veranstalter von Sportwetten und ihre Vermittler zugeschnitten seien.“
Der EuGH musste sich zwischen zwei Seiten entscheiden. Die eine Seite – so z.B. das VG Stuttgart oder auch das VG Köln in seiner früheren Besetzung – versteht zu Recht als „Monopolregelung“ den Erlaubnisvorbehalt in Verbindung mit dem an die Behörden gerichteten Verbot, anderen als staatlichen Anbietern eine Erlaubnis zu erteilen. Aufgrund der Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols ist daher der Erlaubnisvorbehalt unanwendbar und darf in Verbotsverfahren dem EU-Anbieter nicht entgegengehalten werden.

Die „andere Seite“ sieht als die Monopolregelung lediglich das an die Behörden gerichtete Verbot, anderen als staatlichen Anbietern eine Erlaubnis zu erteilen an, nicht aber den Erlaubnisvorbehalt. Dann fingiert diese „andere Seite“ im Rahmen von Untersagungsverfahren zu Lasten des EU-Bürgers, das an die Erlaubnisbehörde (und natürlich nicht an die Untersagungsbehörde) gerichtete Verbot des § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 sei nicht anwendbar. Anschließend prüft die Untersagungsbehörde in diesem fiktiven Erlaubnisverfahren anhand der auf das Monopol zugeschnittenen (oder von der Behörde aus dem Hut mit sog. Checklisten gezauberten) Erlaubnisanforderungen, fiktiv die Einhaltung der Monopolanforderungen. Das Vorliegen aller Monopolanforderungen wird stets verneint, weil ein privater Anbieter selbstverständlich legitime fiskalische Ziele im Rahmen der strengen Regularien seines Ursprungslandes verfolgt und nicht systematisch und kohärent allein auf die Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet ist.

Der EuGH hat sich unmissverständlich für die „eine Seite“ entschieden und die „andere Seite“, namentlich insbesondere BVerwG 8 C 16.12, 14.12 und 8 B 36/14 als unionsrechtswidrig beurteilt. Das in Rn. 29 der EuGH-Entscheidung definierte fiktive Erlaubnisverfahren gehört daher der Vergangenheit an. EU-Anbieter, die sich an die strengen regulatorischen Vorgaben ihrer EU-Erlaubnis halten, dürfen durch die deutschen staatlichen Stellen nicht bei der Ausübung ihres Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr behindert werden.

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s.a.:
Freispruch in Sonthofen (EuGH-Ince)

mehr zum Glücksspielrecht


Freispruch in Sonthofen (EuGH-Ince)

Freispruch in Sonthofen

Ein Beitrag von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein


Seit langem steht das Amtsgericht Sonthofen im Fokus der Glücksspiel- und Sportwettenunternehmen, argwöhnisch beäugt von denjenigen deutschen Behörden oder Gerichten, die eine Entscheidung des EuGH gerne vermieden hätten, weil ihnen – möglicherweise – der Rock näher ist als das Recht. Mit Urteil vom 04.02.2016 hat der EuGH klargestellt, dass die von dem höchsten deutschen Verwaltungsgericht in den Rechtssachen 8 C 16.12, 14.12 und 39.12 gebilligte Behördenpraxis, das Sportwettmonopol trotz dessen Unionsrechtswidrigkeit mit allerlei Spitzfindigkeiten aufrechtzuerhalten, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

Nunmehr hat das Amtsgericht Sonthofen die mehrfach wegen Glücksspiels ohne deutsche Erlaubnis angeklagte Frau Ince freigesprochen. Weil auch die Staatsanwaltschaft auf Freispruch plädierte, konnte das Amtsgericht Sonthofen – verdientermaßen – auf eine vertiefte Begründung des Freispruchs verzichten.

Damit ist auch auf nationaler Ebene bestätigt, dass der das Monopol konstituierende Erlaubnisvorbehalt des Glücksspielstaatsvertrages nicht anwendbar ist. Das Fehlen einer deutschen Erlaubnis bzw. der Erlaubnisvorbehalt darf im Anwendungsbereich der höherrangigen Dienstleistungsfreiheit nicht für staatliche Behinderungen und schon gar nicht für Sanktionen wie Zwangs- oder Bußgelder herangezogen werden.

Der Freispruch gibt Anlass, mit einem weit verbreiteten „Irrtum“ aufzuräumen, der sich seit 2011 in einige behördliche und sogar richterliche Entscheidungen eingeschlichen hat, obwohl das Bundesverwaltungsgericht selbst – unter dem Vorsitz von Frau Doktor von Heimburg – in den Rechtssachen C-14.09 und 15.09 Klarheit geschaffen hatte. Ist von dem „Sportwettenmonopol“ die Rede, geht es mitnichten isoliert um die Regelung in § 10 Abs. 5 GlüStV a.F. (bzw. heute Abs. 6 GlüStV), eine Regelung, die den Behörden die Erteilung einer Erlaubnis an andere als staatliche Anbieter verbietet. Diese Regelung ist isoliert betrachtet kein Eingriff in Grundrechte und Grundfreiheiten, weil sie sich nicht an den Wettanbieter richtet und diesem etwas verbietet, sondern nur an die deutschen staatlichen Stellen. Eine Regelung, die sich lediglich an die staatlichen deutschen Stellen richtet, kann kein Eingriff in Grundrechte oder Grundfreiheiten und daher auch nicht Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH in Ince, Markus Stoß oder Carmen Media sein.

Daher ist es nicht nur unpräzise, sondern rechtsfehlerhaft, soweit im Zusammenhang mit dem Monopol oder der „Monopolregelung“ auf § 10 Abs. 5 bzw. heute Abs. 6 GlüStV referiert wird. Ein in Grundrechte und Grundfreiheiten eingreifendes Monopol verursacht erst ein Genehmigungs- bzw. Erlaubnisvorbehalt für private Anbieter. Besteht kein Erlaubnisvorbehalt, oder ist dieser unionsrechtlich unanwendbar, tangiert es einen privaten Anbieter nicht, dass nach deutschem Recht nur staatliche, nicht aber private Anbieter eine deutsche Erlaubnis erhalten können.

Der bis 2007 geltende Lotteriestaatsvertrag enthielt schon eine inhaltsgleiche Regelung wie § 10 Abs. 5 GlüStV a.F. (§ 5 Abs. 4 LottStV), aber noch keinen Erlaubnisvorbehalt. Die Aussage, der Lotteriestaatsvertrag 2004 habe ein staatliches Monopol für Sportwetten geregelt, ist daher schlichtweg falsch. Ein staatliches Monopol wurde bis Ende 2007 aus dem Lotteriestaatsvertrag erst durch die von Behörden und Fachgerichten herangezogene – fehlerhafte, aber Bundesverfassungsgericht im Sportwetten Urteil vom 28.3.2006 (dort Rn. 90 – 92) als Auslegung des einfachen Rechts nicht beanstandete – These, § 284 StGB enthalte ein repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt.

Allein richtig ist daher, wie das Bundesverwaltungsgericht in den genannten Entscheidungen 8 C 14.09 und 15.09 vom 24.11.2010 in Rn. 60 ausführt, dass der

„Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV und der Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung an private Wettanbieter – auch – in anderen Mitgliedstaaten die rechtfertigungsbedürftige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen.“

Jede andere Sichtweise ist sehr unzutreffend und dringend korrekturbedürftig. Während sich das in § 10 Abs. 5 bzw. Abs. 6 GlüStV normierte Verbot, anderen als staatlichen Anbietern eine Erlaubnis zu erteilen, nur an die deutschen Behörden richtet, wendet sich der Erlaubnisvorbehalt in § 4 und das explizit im Staatsvertrag vorgesehene Verbot der Vermittlung oder Veranstaltung von Sportwetten ohne deutsche Erlaubnis an die Träger von Grundrechten und Grundfreiheiten. Auch wenn das deutsche staatliche Sportwettenmonopol somit letztlich in zwei Paragrafen aufgesplittet wurde, enthält der Staatsvertrag alter wie neuer Fassung insoweit nur eine einzige Regelung. Diese hat folgenden Inhalt:

„Anderen als den erlaubten staatlichen oder staatlich beherrschten Anbietern (sowie Lotto-Rheinland-Pfalz) ist die Vermittlung oder Veranstaltung von Sportwetten in Deutschland verboten.“

Oder, wie es noch bis 2012 im hessischen Glücksspielgesetz hieß:

„Das Land Hessen ist allein befugt, innerhalb seines Staatsgebietes Sportwetten zu veranstalten“.

Warum ist es wesentlich, diese Systematik hervorzuheben? Der Grund ist einfach: Niemand hat Zweifel, dass das sogenannte Sportwettenmonopol verfassungs- und unionsrechtswidrig ist. Streit besteht aber – und diesen Streit hatte das Amtsgericht Sonthofen im Vorlagebeschluss in den Rn. 45-72 dezidiert aufbereitet – über die Konsequenzen dieser Unionsrechtswidrigkeit. Diesen Streit hat der EuGH in der Entscheidung vom 04.02.2016 in den Rn. 29-32 zusammengefasst und eindeutig zu Gunsten derjenigen deutschen Gerichte und Behörden entschieden, die die Unanwendbarkeit des deutschen Erlaubnisvorbehaltes als die das Monopol konstituierende Regelung angenommen haben. Frau Ince durfte das Fehlen einer deutschen Erlaubnis, also der Erlaubnisvorbehalt in § 4 des Staatsvertrages von Seiten der Staatsanwaltschaft oder anderer staatlicher Stellen nicht entgegengehalten werden. Der Erlaubnisvorbehalt ist unionsrechtlich unanwendbar, mit anderen Worten unbeachtlich und die unionsrechtliche Gewerbefreiheit, auch genannt Dienstleistungsfreiheit, setzt sich durch. So haben es die Väter der EG-Verträge, unter ihnen auch Deutschland, gewollt.

Ob die deutschen staatlichen Stellen das Verbot des § 10 Abs. 5 GlüStV gegenüber einem Erlaubnisbewerber – also in einem Erlaubnisverfahren – unangewendet lassen müssten, wird ohne weiteres zu bejahen sein, hatte der EuGH aber bisher nicht zu entscheiden. In den Ausgangssachverhalten von Ince, Carmen Media, Winner Wetten und Markus Stoß ging es nicht um die auf § 10 Abs. 5 GlüStV beruhende Verweigerung der Erteilung einer deutschen Erlaubnis, sondern um einen staatlichen Eingriff wegen des Fehlens einer deutschen Erlaubnis. Die vom EuGH zu beurteilenden staatlichen Eingriffe wurden dementsprechend nicht etwa damit begründet, dass es den deutschen Behörden durch § 10 Abs. 5 GlüStV a.F. bzw. Abs. 6 GlüÄndStV verboten ist, einem EU-Anbieter eine Erlaubnis zu erteilen. Vielmehr wurde der staatliche Eingriff stets damit begründet, dass dem EU-Anbieter (so auch Frau Ince) eine deutsche Erlaubnis fehle, sie also gegen den Erlaubnisvorbehalt des § 4 GlüStV verstoßen und sich damit ggfs. strafbar machen.

Die Rechtssystematik, dass das rechtswidrige und damit unanwendbare „Sportwettmonopol“ der rechtlich oder (wie derzeit) faktisch nicht überwindbare Erlaubnisvorbehalt des Staatsvertrags ist – und keineswegs isoliert das an die Behörden gerichtete Verbot des § 10 Abs. 5 –, hat folgende vom Amtsgericht Sonthofen nunmehr bestätigte Konsequenz:

Der Erlaubnisvorbehalt bzw. das Fehlen einer deutschen Erlaubnis darf niemals mittelbar oder unmittelbar zum Anlass für staatliche Eingriffe herangezogen werden. Der Erlaubnisvorbehalt ist unanwendbar, mithin im Anwendungsbereich des freien Dienstleistungsverkehrs unbeachtlich.

Diese Unanwendbarkeit ist von allen deutschen staatlichen Stellen zu beachten. Der einzelne private Anbieter mit einer Erlaubnis in seinem Ursprungsland, der sich einschließlich seiner in Deutschland ansässigen Vermittler im Anwendungsbereich des freien Dienstleistungsverkehrs bewegt, braucht sich weder an legislative, exekutive oder judikative deutsche Vorgaben zu halten, die mit dem Erlaubnisvorbehalt oder dem Fehlen einer deutschen Erlaubnis begründet sind. Damit geht natürlich kein unkontrollierter „Wildwuchs“ im Binnenmarkt einher, denn EU-Anbieter unterliegen den strengen Kontrollen und Regularien in ihrem Ursprungsland. Vielmehr setzt sich lediglich die in einer jeden Demokratie und erst recht in einem Binnenmarkt an erster Stelle stehende grenzüberschreitende Berufsfreiheit und Gewerbefreiheit gegenüber den illegitimen fiskalischen Interessen der deutschen Bundesländer und ihrer Lotterieunternehmen durch. Anbieter aus Drittländern und die – illegitime Ziele verfolgenden (vgl. BVerwG, 8 C 17.12) – deutschen staatlichen Anbieter, die sich nicht auf Grundrechte oder auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten berufen können, um entgegenstehendes nationales Recht zu überwinden, müssen sich an den deutschen Erlaubnisvorbehalt selbstverständlich halten.

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BVerwG: Erlaubnisverfahren für private Sportwettenanbieter muss transparent sein

Pressemitteilung Nr. 54/2016
BVerwG 8 C 5.15
16.06.2016

Erlaubnisverfahren für private Sportwettenanbieter muss transparent sein

Die Untersagung der Vermittlung von Sportwetten kann nicht auf das Fehlen einer Erlaubnis gestützt werden, wenn ein europarechtswidriges staatliches Sportwettenmonopol faktisch fortbesteht, weil das für private Wettanbieter eröffnete Erlaubnisverfahren nicht dem europarechtlichen Gebot der Transparenz entspricht. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden.

Das beklagte Land Rheinland-Pfalz untersagte der Klägerin im April 2010 die Vermittlung von Sportwetten unter Verweis auf das im Glücksspielstaatsvertrag 2008 verankerte Sportwettenmonopol. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit der Begründung zurückgewiesen, das Land Rheinland-Pfalz habe im Hinblick auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zu den deutschen Sportwettenmonopolen vom 8. September 2010 inzwischen ein Erlaubnisverfahren für private Wettanbieter eröffnet. Die Klägerin erfülle nicht offensichtlich alle Anforderungen, die danach an Wettvermittler zu stellen seien. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Klägerin bezüglich des Untersagungszeitraums von der Eröffnung des Erlaubnisverfahrens bis zur Widerspruchsentscheidung stattgegeben. Die im Widerspruchsbescheid nachgeschobene Ermessenserwägung sei nicht Gegenstand der gerichtlichen Prüfung, weil dadurch der ursprüngliche Bescheid in seinem Wesen verändert worden sei. Die somit allein auf das staatliche Sportwettenmonopol gestützte Untersagung sei rechtswidrig. Dieses Monopol könne in Rheinland-Pfalz wegen einer den Zielen der Suchtbekämpfung und des Spielerschutzes widersprechenden Werbepraxis nicht angewendet werden.

Auf die Revision des beklagten Landes hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hätte die neue Begründung der Untersagungsverfügung berücksichtigen müssen. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist der Verwaltungsakt in der Gestalt, die ihm der Widerspruchsbescheid gegeben hat (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Ob die Untersagung auch bei Berücksichtigung ihrer neuen Begründung rechtswidrig war, ließ sich auf Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts nicht abschließend entscheiden. Wie der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 4. Februar 2016 (C-336/14 - Sebat Ince) entschieden hat, können private Wettanbieter nicht wegen Verstoßes gegen den Erlaubnisvorbehalt strafrechtlich sanktioniert werden, wenn das für Private bis zur Anwendung einer glücksspielrechtlichen Neuregelung eingeführte Erlaubnisverfahren nicht transparent und diskriminierungsfrei ausgestaltet worden ist und deshalb faktisch weiterhin ein staatliches Sportwettenmonopol besteht. In einem solchen Fall kann das Fehlen einer Erlaubnis auch keine Untersagung der Wettvermittlung begründen. Das Oberverwaltungsgericht wird im zurückverwiesenen Verfahren zu klären haben, ob in Rheinland-Pfalz ein faktisches Monopol fortbestand, was insbesondere zuträfe, wenn die Eröffnung des Erlaubnisverfahrens und die Erlaubnisvoraussetzungen nicht öffentlich bekannt gemacht worden wären.

BVerwG 8 C 5.15 - Urteil vom 15. Juni 2016

Vorinstanzen:
OVG Koblenz 6 A 11312/13 - Urteil vom 01. Juli 2014
VG Trier 1 K 438/12.TR - Urteil vom 20. Juni 2013
Quelle: PM Nr. 54/2016

vgl.:
VG Gelsenkirchen:
das Lotteriemonopol ist Verfassungs– und Europarechtskonform!
Urteil vom 17.05.2016 (Aktz. 19 K 3334/14)

EuGH Urteil v. 04.02.2016 (Ince)



VG Gelsenkirchen: das Lotteriemonopol ist Verfassungs– und Europarechtskonform!


Verwaltungsgericht Gelsenkirchen: das Lotteriemonopol nach dem GlüStV und das Glückspielkollegium sind Verfassungs– und Europarechtskonform!

In seinem jüngsten Urteil vom 17.05.2016 (Aktz. 19 K 3334/14) attestiert das VG Gelsenkirchen dem Lotteriemonopol nach den Vorschriften des GlüStV uneingeschränkte Europarechts- und Verfassungskonformität.

Gegenstand des Rechtsstreits war die Klage eines führenden gewerblichen Lotterievermittlers gegen den Erlaubnisbescheid des zuständigen Landes Niedersachsen zur gewerblichen Spielvermittlung, welcher mit einer Vielzahl von Auflagen versehen war. Die Klägerin wandte sich umfassend gegen sämtliche Auflagen des Bescheides. Sie argumentiert jedoch insbesondre auch, der Erlaubnisvorbehalt für die Vermittlungstätigkeit sei verfassungswidrig, weil er nur dazu diene, die überkommenen Monopole der Länder im Glücksspielbereich zu sichern, welche entgegen der Begründung im GlüStV allein fiskalischen Zwecken dienten. Auch sei der Erlaubnisvorbehalt für die Glücksspielvermittlung unverhältnismäßig, da nennenswerte Missstände oder Gefährdungen für die Spielteilnehmer nicht existierten. Ferner verstoße das Erlaubnissystem, insbesondere die Pflicht der gewerblichen Spielvermittler, mindestens 2/3 der vereinnahmten Beträge an den Veranstalter weiterzuleiten, gegen Unionsrecht. Schließlich sei auch die Einbindung des Glückspielkollegiums verfassungswidrig.

Das VG Gelsenkirchen hat die Klage mit Ausnahme von 2 Nebenbestimmungen vollumfänglich abgewiesen. Das Gericht legt detailliert dar, dass nach seiner Ansicht keine Bedenken gegen das Lotteriemonopol bestehen. Mit deutlichen Worten erteilt es der These von der Verfassungswidrigkeit des Glückspielkollegiums eine Abfuhr.

Im einzelnen führt das VG Gelsenkirchen wie folgt aus:
Schwere und offenkundige Missstände seien im Bereich der staatlich organisierten Lotterien nicht erkennbar. Insbesondere die Ziele des § 1 Nr. 2 und 4 GlüStV rechtfertigen „eine strikte und intensive Kontrolle des Zahlenlottos mit planmäßigen Jackpot und den damit in Rede stehenden teilweise exorbitanten Gewinnen. Nur eine durch öffentliche Kontrolle des Spielablaufs gewährleistete Transparenz der Lotteriebedingungen und die durch staatliche Stellen verantwortete oder jedenfalls maßgeblich bestimmte Trägerschaft garantieren erkennbar derzeit eine ordnungsgemäße Durchführung solcher Lotterien.“ Vor diesem Hintergrund sieht das VG Gelsenkirchen die mit der Monopolisierung der Veranstaltung von Lotterien im Sinne des § 22 Abs. 1 GlüStV verbundenen Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG und auch der Art. 15 und 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union als gerechtfertigt an.

Selbst dann, wenn man unterstellen wollte, die neue Regelungen des Spielhallenrechts und des Rechts der Sportwetten seien unions- oder verfassungswidrig, sei nicht erkennbar, „dass diese Defizite auf die zum Lotterierecht geltenden Regelungen derart einwirken, dass sie ebenfalls unanwendbar oder verfassungswidrig wären.“ Es sei nämlich nicht erkennbar, dass die von dieser Situation ausgehenden Einflüsse auf andere Arten des Glücksspiels in einer solchen Weise einwirken, dass sie „die Entwicklung der anderen Glücksspielarten in nicht gewollter Weise behindern oder der Zielsetzung der Regelungen zum Glücksspielwesen in anderen Bereichen des Staatsvertrages zuwiderlaufen“.

Bemerkenswert sind die Ausführungen des VG Gelsenkirchen zur Rechtmäßigkeit der Werbung zugunsten der staatlichen Zahlenlotterien. Selbst wenn man nämlich unterstellen wollte, es gebe eine überzogene Werbung für das staatliche Lotterieangebot, so wäre dies durch die Kanalisierungsfunktion, „die nach § 5 Abs. 1 GlüStV auch ein legitimes Mittel der Werbung ist,“ gerechtfertigt. Die Kammer sieht nämlich keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Inkohärenz durch die Lotteriewerbung, weil „nicht festgestellt werden kann, dass das Spielangebot in anderen Bereichen merklich durch die Marktmacht der Veranstalter der monopolisierte Lotterien eingeschränkt oder behindert wird.“ Hiervon könne insbesondere angesichts des unstreitig rückläufigen Marktanteils der Lotterien „nicht ansatzweise die Rede sein“.

Der insbesondere vom HessVGH (Beschlüsse vom 02. und 05.11.2015, Az. 8 B 1134/15 u.a.) aufgestellten These von der Verfassungswidrigkeit des Glückspielkollegiums erteilt das VG Gelsenkirchen eine deutliche Abfuhr. So gebe es keine Regelung im GG, die es den Ländern untersage, in ihrem Kompetenzbereich dafür Sorge zu tragen, dass einzelne Sachbereiche bundeseinheitlich gehandhabt werden. Auch gebe es keine Bestimmung, die es den Ländern vorschreibe, eigenes Recht nur durch eigene Behörden zu vollziehen. Auch die Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen sei dadurch gerechtfertigt, dass die Länder sich zur Sicherung einer einheitlichen Verwaltungspraxis auf gesetzlicher Grundlage durch die Zustimmungsgesetze zum Staatsvertrag mit einer solchen Entscheidungsfindung einverstanden erklärt haben. Schließlich sei die Einrichtung des Glückspielkollegiums auch mit dem Bundesstaatsprinzip vereinbar, denn es handele sich dabei nicht um eine 3. Verwaltungsebene, sondern um ein in seiner Geschäftsführung in die Landesverwaltung des Landes Hessen inkorporiertes Organ der zuständigen Behörden.

Auf Grundlage dieser allgemeinen verfassungs- und europarechtlichen Einschätzung untersucht das VG Gelsenkirchen sodann alle im einzelnen angegriffenen Auflagen. Eine detaillierte Darstellung der jeweiligen Entscheidungspunkte würde den hiesigen Rahmen sprengen. Es lohnt sich also, diese wegweisende Entscheidung sorgfältig nachzulesen.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass das VG Gelsenkirchen mit diesem Urteil eine klare Stellungnahme zu grundlegenden Fragen der Verfassungs – und Europarechtskonformität des GlüStV abgegeben hat, die derzeit in der Judikatur, aber auch in der juristischen Fachliteratur mit großem Engagement und ebenso großer Verve diametral diskutiert werden.

Rechtsanwalt Dr. Manfred Hecker
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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vgl. BVerwG: Erlaubnisverfahren für private Sportwettenanbieter muss transparent sein
Pressemitteilung Nr. 54/2016 vom 16.06.2016 (BVerwG 8 C 5.15)




Freitag, 10. Juni 2016

OVG Münster: Untersagung von sog. Nullstandswetten rechtswidrig

Beschluss OVG Münster: Untersagung von sog. Nullstandswetten rechtswidrig

Rechtsanwalt Guido Bongers
In einem durch die Kanzlei des Unterzeichners geführten verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren hat das Oberverwaltungsgericht Münster mit Beschluss vom 09.06.2016 im Verfahren – 4 B 1437/15 – einen vorhergehenden, anderslautenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln abgeändert und die aufschiebende Wirkung der Klage eines Sportwettvermittlers gegen eine Ordnungsverfügung der Stadt Köln angeordnet bzw. stattgegeben.

Die Stadt Köln hatte einem Wettvermittler, der über einen Wettterminal Sportwetten an ein ausländisches Unternehmen vermittelte, die sogenannte Nullstands- bzw. Restzeitwette untersagt und argumentiert, dass es sich nach dortiger Auffassung um eine angeblich unzulässige Ereigniswette handele.

Der Antragsteller hatte gegen diese Verfügung Klage erhoben und einen Eilantrag an das Verwaltungsgericht Köln gestellt. Das Verwaltungsgericht Köln hatte diesen Eilantrag zunächst abgewiesen. Auf die für den Mandanten erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht Münster nunmehr den Beschluss abgeändert und dem Eilantrag in vollem Umfange stattgegeben. Der Mandant kann also diese Wettarten auch weiterhin anbieten.

Das Gericht vertritt die Auffassung, dass sich die Untersagungsverfügung der Stadt Köln bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweise und im Übrigen auch kein Vorrang des öffentlichen Vollzugsinteresses bestehe.

Dabei stellt es zunächst zutreffend darauf ab, dass die Stadt Köln ihre Entscheidung nicht ermessensfehlerfrei getroffen habe. Sie habe die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten. So hatte die Stadt Köln argumentiert, dass die vom Antragsteller angebotenen sogenannten Nullstandswetten als Live-Wetten schon nicht erlaubnisfähig seien. Die fehlende Erlaubnisfähigkeit des Wettangebotes allein könne die zuständige staatliche Stelle dem Antragsteller ohne Verstoß gegen Art. 56 AEUV aber nicht entgegen halten, solange der Wettanbieter die erforderliche Erlaubnis nur theoretisch erhalten könne, weil das europarechtswidrige Sportwettenmonopol in tatsächlicher Hinsicht unverändert fortbestehe.

Insofern stellt das Oberverwaltungsgericht nicht nur die derzeitige Gemeinschaftswidrigkeit des nach wie vor bestehenden Sportwettenmonopols trotz des laufenden und bis heute nicht abgeschlossenen Sportwettkonzessionsverfahrens fest, sondern es macht auch deutlich, dass eine Behörde nicht allein auf die fehlende Erlaubnisfähigkeit eines Wettangebotes abstellen kann ohne zu berücksichtigen, dass derzeit ein europarechtswidriges Sportwettenmonopol besteht und die Vergabe der Sportwettkonzession bis heute zu Gunsten der Wettveranstalter noch immer nicht abgeschlossen ist.

Das Gericht weist weiter darauf hin, dass eine Wettvermittlungstätigkeit allenfalls noch aus monopolunabhängigen Gründen materiell rechtlich nicht zulässig sein könnte. Auch in diesem Zusammenhang kommt das Gericht aber zu dem Ergebnis, dass derzeit eine kohärente Verwaltungspraxis nicht im Ansatz erkennbar sei, so dass die entsprechenden Ausführungen der Behörde ermessensfehlerhaft seien. So hebt das Gericht hervor, dass auch eine vermeintlich monopolunabhängige Regelung mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar sein müsse. Dies sei aber nur dann der Fall, wenn sie mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar sei, wenn sie desweiteren aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie geeignet sei und schließlich die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels auch gewährleistet werde, wobei die Regelung schließlich auch verhältnismäßig und erforderlich sein müsse.

Dabei stellt das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes erneut auf den Gesichtspunkt der „Kohärenz“ ab. So fordert der EuGH nach zutreffender Auffassung des Senats, dass verschiedene zuständige Behörden bei der Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten sich untereinander koordinieren müssen. Es führe hierbei aber zu einer sog. Inkohärenz – und zwar unabhängig von unterschiedlichen innerstaatlichen Zuständigkeiten – wenn bestimmte Tätigkeiten strukturell geduldet würden, was wiederum zur Folge habe, dass die in Rede stehende Regel zur Verwirklichung der mit ihr verfolgten Ziele tatsächlich nicht beitragen könne und damit die Eignung zur Zielerreichung schlichtweg aufgehoben werden. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn ein Umsetzungsdefizit bereits in der Norm angelegt sei oder jedenfalls einen Verstoß gegen Vorschriften zuständigkeitsübergreifend nicht konsequent geahndet und unterbunden werde, was zu einem strukturellen Vollzugsdefizit führe.

Die Ermessensausübungen der Stadt Köln ließen nicht erkennen, so das Gericht zutreffender Weise, dass die angefochtene Entscheidung Teil einer den Kohärenzanforderungen genügenden Vollzugspraxis zur Durchsetzung des Verbots von Ereigniswetten darstelle, soweit torbezogene Wetten betroffen seien.

Das Oberverwaltungsgericht führt weiter aus, dass die aktuelle, tatsächliche Situation des Sportwettenmarktes in keiner Weise der Konzeption des Glücksspielstaatsvertrages eines experimentellen, regulierten Angebots einer beschränkten Zahl privater konzessionierter Wettanbieter in erlaubten Wettannahmestellen entspreche. Der Sportwettenmarkt stelle sich als unregulierter Markt des freien Wettbewerbs dar ohne dass ein Ende dieses Zustandes auch nur im Ansatz absehbar wäre.

So war diesseits vorgetragen worden, dass sog. Nullstandswetten derzeit nicht nur bei jedem Internet-Anbieter, sondern auch in 10.000 bis 15.000 Wettvermittlungsstellen bundesweit unbeanstandet angeboten würden. Dies, so dass Oberverwaltungsgericht Münster, sei nicht wiederlegt worden, wobei selbst die Lotterie-Unternehmen und auch die Deutsche Telekom über eine von ihr betriebene Sportgesellschaft unbeanstandet verschiedene Ereigniswetten als Live-Wetten anbieten würden.

Auch gemäß den Leitlinien zum Vollzug im Bereich Sportwetten, die während des laufenden Konzessionsverfahrens von Seiten der obersten Landesbehörde an verschiedene Wettveranstalter per E-Mail übersandt worden seien, ergebe sich gerade nicht, dass solche Wettangebote unzulässig seien. Nach dem Inhalt einer email des Innenministeriums in Hessen im Auftrag der obersten Landesbehörden vom 28.01.2016 wird nämlich selbst seitens dieser obersten Landesbehörden ausgeführt, dass wesentlich für die Abgrenzung unzulässiger Ereigniswetten von zulässigen Ergebniswetten der sogenannte Ergebniszusammenhang bzw. die Ergebnisbezogenheit sei. Aus unserer Sicht ist im Hinblick auf diese sogenannte Ergebnisbezogenheit bzw. aus dem Ergebniszusammenhang anzunehmen, dass auch Wettarten wie „Über/Unter“, die Handicap-Wette oder eben auch die Nullstandswette einen Ergebniszusammenhang aufweisen und daher nicht zu beanstanden sind. Das Gericht tritt dieser Einschätzung nicht entgegen und verweist darauf, dass auch die Stadt Köln keine zutreffenden Argumente gegen diese Einschätzung vorgebracht hat. Das Gericht macht ferner deutlich, dass derzeit eine offensichtliche Unklarheit bezogen auf derartige Wettarten bestehe, der Ergebnisbezug in solchen Fällen umstritten ist und dies umso mehr deutlich mache, dass man gegen solche Wettangebote ohnehin nur einschreiten könnte, wenn ein zuständigkeitsübergreifender, konsistenter Vollzug in diesem Bereich bestehe. Dieser sei aber gerade nicht gegeben. Schließlich greift das Gericht auch die diesseits dargelegte Argumentation auf, dass erschwerend hinzukomme, dass es derzeit entgegen der Konzeption des Glücksspielstaatsvertrages noch keine Inhalts- und Nebenbestimmungen gebe, die für die Wettveranstalter und Wettvermittler die Art und den Zuschnitt der zulässigen Sportwetten im Einzelnen verbindlich regeln würden. Abschliessend verweist das Gericht auch darauf, dass diesseits dezidiert und umfassend vorgetragen worden ist, dass im Bereich der Sportwettveranstaltung und Sportwettvermittlung im Internet derzeit keine Behörde gegen derartige Wettangebote vorgeht. So führt das Gericht in diesem Zusammenhang aus:

    „In Übereinstimmung mit den diesbezüglichen Angaben der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers hatte im Übrigen ausweislich eines entsprechenden Telefonvermerks im Verwaltungsvorgang die Bezirksregierung Düsseldorf mitgeteilt, dass keine Maßnahmen gegen unzulässige Ereigniswetten ergriffen würden …….“

Insofern wurden die diesseits sehr konkreten Darstellungen auch in diesem Punkt bestätigt.

Insgesamt verweist der 4. Senat des Oberverwaltungsgerichts Münster, der seit vielen Jahren für die glücksspielrechtlichen Verfahren in Nordrhein-Westfalen zuständig ist, darauf, dass auch angesichts weniger Einzelfallentscheidungen anderer Gerichte offensichtlich werde, das erheblichste Unsicherheiten bei der Einordnung bestimmter Sportwettformen bestehen und selbst einzelne Vollzugsbemühungen weniger Einzelbehörden schon quantitativ nicht die praktisch flächendeckende Verfügbarkeit der hier in Rede stehenden Wettarten ausschließe.

Nach alledem hatte der Eilantrag zu Recht Erfolg. Der Beschluss ist unanfechtbar.

Rechtsanwaltskanzlei Bongers
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Donnerstag, 9. Juni 2016

BVerfG: Der Anordnung einer Betreuung muss eine persönliche Anhörung vorausgehen


Der Anordnung einer Betreuung muss eine persönliche Anhörung vorausgehen

Pressemitteilung Nr. 23/2016 vom 4. Mai 2016

Beschluss vom 23. März 2016
1 BvR 184/13

Angesichts der mit einer Betreuung verbundenen tiefen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist eine persönliche Anhörung durch das Betreuungsgericht grundsätzlich unverzichtbar. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden und damit die große Bedeutung der persönlichen richterlichen Anhörung im Betreuungsverfahren erneut hervorgehoben. Die Anordnung einer Betreuung ohne diese Anhörung verletzt nicht nur das Recht auf rechtliches Gehör, sondern stellt auch eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG dar.

Sachverhalt:

Nachdem die Beschwerdeführerin im Dezember 2010 im Wege der einstweiligen Anordnung unter vorläufige Betreuung gestellt worden war, beantragte der Betreuer im Juni 2011 beim Amtsgericht eine Verlängerung der einstweiligen Betreuung um sechs Monate. Mit Beschluss vom selben Tag verlängerte das Amtsgericht die Betreuung, ohne die Beschwerdeführerin zuvor anzuhören. Auf erneuten Antrag des Betreuers verlängerte das Amtsgericht im August 2011 die vorläufige Betreuung bis zum 31. Oktober 2011, abermals ohne die Beschwerdeführerin vorher anzuhören. Mit Ablauf des 31. Oktober 2011 endete die einstweilige Betreuung durch Zeitablauf.

Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin beim Amtsgericht die Feststellung, dass der Beschluss über die Verlängerung der Betreuung aus August 2011 sie in ihren Rechten verletzt habe. Das Amtsgericht half der Beschwerde nicht ab. Das Landgericht wies die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde zurück, nachdem es zuvor die Beschwerdeführerin persönlich angehört hatte.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung der Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG) und ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

1. Der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts über die Verlängerung der Betreuung verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

a) Das Recht auf freie und selbstbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit sichert jedem Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann. Die Anordnung einer Betreuung beeinträchtigt dieses Recht, sich in eigenverantwortlicher Gestaltung des eigenen Schicksals frei zu entfalten, denn sie weist Dritten zumindest eine rechtliche und tatsächliche Mitverfügungsgewalt bei Entscheidungen im Leben der Betroffenen zu.

Ein solcher Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn das zuständige Betreuungsgericht nach angemessener Aufklärung des Sachverhalts davon ausgehen darf, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung oder Verlängerung einer Betreuung tatsächlich gegeben sind. Zu den zentralen verfassungsrechtlichen Anforderungen gehört daher die Beachtung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Angesichts der mit einer Betreuung möglicherweise verbundenen tiefen Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist eine Anhörung in Form einer persönlichen Anhörung im Angesicht der Betreffenden grundsätzlich unverzichtbar. Die persönliche Anhörung darf nur im Eilfall bei Gefahr im Verzug vorläufig unterbleiben, ist dann aber unverzüglich nachzuholen.

Aufgrund der engen Verbindung zwischen dem für das Betreuungsverfahren als Recht auf persönliche Anhörung ausgestalteten Gehörsrecht und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht liegt in der Anordnung einer Betreuung ohne diese Anhörung nicht nur eine Verletzung des Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG, sondern zugleich eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Durch eine spätere Anhörung kommt eine Heilung damit nicht rückwirkend, sondern nur in Blick auf die Zukunft in Betracht.

b) Das Amtsgericht hat demgegenüber die Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt persönlich angehört. Die vorliegend angegriffene erneute Verlängerung der Betreuung wurde vielmehr ‑ ebenso wie schon zuvor die Entscheidung über die erste Verlängerung ‑ zunächst angeordnet, ohne die Beschwerdeführerin auch nur in Kenntnis zu setzen. Auch im Weiteren fehlte es an einer persönlichen Anhörung. Ein Verzicht auf eine Anhörung durch die Beschwerdeführerin kann weder tatsächlich hergeleitet werden noch ist dieser einfachrechtlich begründbar.

Die Gehörsverletzungen konnten auch nicht im Zuge des Verfahrens über die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde geheilt werden. Das Unterbleiben der persönlichen Anhörung begründet die Rechtswidrigkeit der Anordnung der Betreuung. Die nachträgliche Anhörung durch das Beschwerdegericht kann das Unterbleiben der Anhörung durch das Betreuungsgericht nicht rückwirkend heilen.

2. Der Beschluss des Landgerichts, der ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Gehörsverletzung durch das Amtsgericht verneint, verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz. Art. 19 Abs. 4 GG gebietet den Rechtsmittelgerichten, ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv zu machen. Zwar ist es mit diesem Gebot vereinbar, den Rechtsschutz davon abhängig zu machen, dass ein Rechtsschutzinteresse besteht. In Fällen tiefgreifender Grundrechtseingriffe kann das Rechtsschutzinteresse jedoch auch dann bejaht werden, wenn die direkte Belastung durch Erledigung des Hoheitsakts entfallen ist, ohne dass die betroffene Person zuvor effektiven Rechtsschutz erlangen konnte. Der Beschluss vom 3. Mai 2012, in dem das Landgericht ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Beschwerdeführerin verneint, verfehlt diese Anforderungen.

Quelle
Beschluss vom 23. März 2016   

s.a.: In den Fängen der Psychiatrie
Fehlerhafte Gutachten in der Justiz 
weiterlesen

Mittwoch, 8. Juni 2016

Als wahnsinnig abgestempelt - fragwürdige Gutachten in der Justiz?


Di, 7.6.2016 | 21:45 Uhr | Das Erste (ARD)
Do, 9.6.2016 | 05:30 Uhr | SWR Fernsehen

Mediathek


Report Mainz


Wie unbequeme Kläger mit fragwürdigen Gutachten mundtot gemacht werden
Als wahnsinnig abgestempelt


Manuskript zum Herunterladen  (pdf)
Video-Podcast Website
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Die ganze Sendung: REPORT MAINZ vom 6.7.2016 Download (mp4-Video)


Kaum ein Gerichtsverfahren ohne Gutachter. Häufig geht es dabei auch um Fragen der Prozess- oder Schuldfähigkeit. Psychiater sollen klären, ob eine Geisteskrankheit oder Geistesstörung vorliegt. Für die Betroffenen kann so ein Gutachten das ganze Leben verändern.

Video herunterladen (Website)

Lisa Hase ist sich sicher, Opfer zahnärztlicher Behandlungsfehler zu sein. Sie verklagt deshalb ihre Zahnärzte, fordert Schadenersatz. Im Prozess vor dem Landgericht Göttingen geht es dann plötzlich um ihren Geisteszustand. Die Richter benennen einen bestimmten psychiatrischen Gutachter. Der soll ihre Prozessfähigkeit überprüfen, also Feststellen, ob bei ihr eine Geistesstörung vorliegt.

Lisa Hase hat einen schweren Verdacht: Sie glaubt, dass man Sie so gezielt aus dem Prozess drängen wollte. Ist das möglich? Werden Gutachten gezielt eingesetzt, um den Ausgang eines Prozesses zu beeinflussen? Wir begeben uns auf eine Spurensuche.


Als wahnsinnig abgestempelt


Von Angst und Verunsicherung handelt auch unser nächstes Thema. Auch wenn wir im Allgemeinen mit großem Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat durchs Leben gehen, so kennt der Volksmund doch die Weisheit: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.

Da schimmert der Zweifel durch, ob es in unseren Gerichten immer mit rechten Dingen zugeht. Der Justizskandal von Gustl Mollath, er scheint die Zweifler zu bestätigen.

REPORT MAINZ ist jetzt auf Fälle gestoßen, die zumindest den Verdacht nahelegen, dass so mancher Kläger vor Gericht mit dem Instrument "psychiatrische Begutachtung" mundtot gemacht wurde. Monika Anthes mit den Details.

Bericht:

In die Stadt gehen, den Alltag genießen, heute kann Lisa Hase das wieder. Lange Zeit war das nicht möglich. Eine Zahnbehandlung brachte ihr Leben aus den Fugen, erzählt sie uns:

O-Ton, Lisa Hase:

"In Folge einer kleinen prothetischen Versorgung, also es war eine Brücke, begannen Zahnschmerzen, die sich dann über das ganze Gebiss ausbreiteten. Und ich habe über viele Jahre unter starken Zahnmerzen gelitten, war mehrere Jahre berufsunfähig wegen Zahnschmerzen."

Sie ist sich sicher, Opfer von Behandlungsfehlern zu sein. Verklagt deshalb mehrere Zahnärzte. Sie verlangt Schadenersatz, Schmerzensgeld.

Das Verfahren am Landgericht in Göttingen zieht sich über Jahre. Eigentlich geht es um ihre Zähne. Doch 2009 interessiert sich das Gericht plötzlich für ihren Geisteszustand. Die Richter zweifeln an der "Prozessfähigkeit der Klägerin". Ein Gutachter soll prüfen, ob eine "Geistesstörung bzw. Geistesschwäche" vorliegt.

O-Ton, Lisa Hase:

"Da habe ich fürchterliche Angst gekriegt, also richtig fürchterliche Angst. Da bricht eine Welt zusammen. Sie hatten mich erlebt, die hatten überhaupt keinen Anhaltspunkt, dass ich da Unterstützung benötige. Ich hatte ganz klar den Eindruck, die wollten mich mundtot machen, die wollten, dass ich das Verfahren zurückziehe."

Wollte das Gericht die Klägerin tatsächlich unter Druck setzen, zur Aufgabe zwingen? Wir bitten um eine Stellungnahme, die lehnt das Gericht ab.

Universität Bielefeld, Juristische Fakultät. Hier lehrt Prof. Martin Schwab. Er beschäftigt sich in einem Forschungsprojekt mit krassen Fehlentscheidungen der Justiz. Im Rahmen dieses Projekts hat er auch den Fall von Lisa Hase intensiv studiert. Seine Einschätzung:
O-Ton, Prof. Martin Schwab, Jurist Universität Bielefeld:

"Der Beweisbeschluss, Frau Hase zu einer psychiatrischen Begutachtung zu schicken, hätte niemals ergehen dürfen. Die Richter haben sich den Akteninhalt fast schon zwanghaft so hingedreht, dass sie einen solchen Verdacht konstruieren. Ich kann es jedenfalls nicht ausschließen, dass Frau Hase hier mundtot gemacht werden sollte, es bleibt dieser schale Beigeschmack."

Zu diesem "schalen Beigeschmack" gehört auch eine Entdeckung, die Lisa Hase in ihrer Gerichtsakte macht. Zwischen Protokollen und Befunden stößt sie auf einen juristischen Fachartikel. Der Titel: "Die Prozessfähigkeit eines Querulanten im Verfahren."

Der Jurist kommt zum Fazit: "Es bleibt zu hoffen, das Rechtsanwälte häufiger versuchen, die Prozessunfähigkeit des Prozessgegners dazulegen. Dem Beklagten bliebe so viel Mühe erspart, das Gericht könnte einer harten Entscheidung aus dem Weg gehen."

Eine klare Empfehlung: Richter sollen psychiatrische Gutachter beauftragen. So können sie unliebsame Kläger loswerden, Verfahren verkürzen. Doch passiert das auch?

Das wollen wir von Frau Professor Ursula Gresser wissen. Die Medizinerin hat zur Beziehung zwischen Gerichten und Gutachtern geforscht. Im Rahmen einer Studie über 500 gerichtliche Gutachter befragt.

O-Ton, Prof. Ursula Gresser, Ludwig-Maximilians-Universität München:

"Die haben uns ganz klar geschrieben, die Richter holen sich den Gutachter, der ihnen eine klare Aussage macht, und sie nehmen halt immer wieder den gleichen, wenn sie merken, sie kriegen die Ergebnisse, die sie gerne haben."

Die Daten zeigen: Vor allem Psychologen sind sehr oft wirtschaftlich auf die Gutachteraufträge von Gerichten angewiesen. Und 45 Prozent der psychologischen Gutachter geben an, schon mal vom Gericht eine Tendenz erhalten zu haben, wie das Gutachten ausfallen sollte.

Zurück zu Lisa Hase. Das Gericht verlangt, dass die Göttingerin sich von einem Psychiater im über 200 Kilometer entfernten Winsen bei Lüneburg begutachten lässt.

Einer ihrer Richter war früher in Lüneburg tätig, das macht sie misstrauisch.

O-Ton, Lisa Hase:

"Ich hatte schon den Verdacht, dass er diesen Gutachter gezielt ausgesucht hatte und nicht zufällig."

Wer ist dieser Gutachter, Christian R.? Wir begeben uns auf eine Spurensuche. In der Nähe von Lüneburg sind wir mit Antje Trigo und Karin Wagner verabredet. Sie kennen den Gutachter, machen uns auf einen Betreuungsskandal aufmerksam.

Lokale Zeitungen und auch Report München haben darüber berichtet: Zahlreiche wohlhabende Senioren, wie Ursula Cordts, wurden mit Hilfe eines Gutachtens von Christian R. zwangsweise unter Betreuung gestellt, ihr ganzes Hab und Gut verkauft.

Nach der Fernsehsendung meldeten sich zahlreiche Betroffene bei den beiden Frauen.

O-Ton, Karin Wagner:

"Dann haben wir einfach gemerkt, dass das immer wieder der Herr R. ist. Das fiel uns auf, der Name."

O-Ton, Antje Trigo:

"Er war ein Gefälligkeitsgutachter, denn alle Richter, bin ich der Meinung, die jemanden brauchten, wo ein Gutachten für den Betreuer oder für das Gericht ist, wurde ja R. immer gerufen."

Die Rentner, die von den beiden Frauen betreut wurden, sind mittlerweile verstorben und auch der Psychiater lebt nicht mehr. Doch seine Gutachten wirken nach, bis heute.

Ein kleines Dorf in der Nähe von Lüneburg. Nur wenige alte Gehöfte und mitten drin das Haus der Familie Weißer. Uwe Weißer hatte immer wieder Ärger mit einigen Dorfbewohnern. Der Streit wird handgreiflich. Uwe Weißer wird angeklagt wegen Körperverletzung.

Das Amtsgericht Lüneburg beauftragt auch in diesem Fall den Gutachter Christian R. Er soll den Geisteszustand von Uwe Weißer, seine Schuldunfähigkeit, direkt im Gerichtssaal beurteilen.

O-Ton, Uwe Weißer:

"Daraufin kriegte Christian R. ein Signal, sprang auf und machte ein Spontangutachten. Das heißt, so fünf-sechs Sätze, ja der ist sowieso geisteskrank, kann man nicht helfen, ja, schuldunfähig."

Er zeigt uns das Gerichtsprotokoll. Das mündliche Gutachten umfasst darin nur wenige Sätze. Demnach erklärt der Gutachter:

Zitat:

"Ich stelle eine nazistische, paranoide und querulatorische Persönlichkeitsstörung fest."

Kurz darauf ergeht das Urteil. Er wird freigesprochen, doch seitdem gilt er als schuldunfähiger Querulant, bis heute. Uwe Weißer übergibt uns seine Akten. Sie zeigen, wie sehr er seit Jahren für seine Rehabilitierung kämpft.

Darin ein Attest der Charité. Die Ärzte dort können keine Persönlichkeitsstörung feststellen, erklären, dass das Gutachten von Christian R. mangelhaft sei. Doch all das hilft nichts.

Und Lisa Hase? Sie konnte die Begutachtung durch Christian R. verhindern. Eine andere Gutachterin bescheinigte ihr völlige geistige Gesundheit. Doch sie will die Sache nicht auf sich beruhen lassen, hat Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt, Petitionen im Landtag eingereicht.

Wir bitten die niedersächsische Justizministerin um ein Interview zu diesen Fällen. Doch das lehnt sie ab. Schriftlich erklärt sie, im Fall Lisa Hase sei eine rechtliche Bewertung nicht möglich, aufgrund der garantierten Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern.

Mit den Anliegen von Uwe Weißer habe man sich befasst. Anhaltspunkte für einen unsachgemäßen Umgang seien nicht erkennbar.

O-Ton, Prof. Martin Schwab, Jurist Universität Bielefeld:

"Wenn ich Justizminister von Niedersachsen wäre und mir dieser Fall mit sämtlichen, auch subjektiven Begleiterscheinungen vorgetragen würde, würde ich mich in der Pflicht sehen, hier dienstaufsichtlich tätig zu werden."
O-Ton, Lisa Hase:

"Wenn Richter sich nicht an Recht und Gesetz halten müssen, dann sind sie eine absolute Gefahr für die Menschen."

Abmoderation Fritz Frey:

Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich momentan mit dem sogenannten Sachverständigenrecht. Als Grund für diesen Gesetzesentwurf wird auch die mitunter mangelnde Qualität von medizinischen Gutachten beklagt, die auf – ich zitiere – "eine fehlerhafte Auswahl der Sachverständigen durch die Gerichte" zurückzuführen sei.

Das Problem also ist durchaus bekannt. Zu diesem Thema unter reportmainz.de auch ein Gespräch mit unserer Autorin.

Stand: 8.6.2016, 10.35 Uhr

Kommentare: .........
Gefälligkeitsgutachten eher Regel als Ausnahme (Dr. Hans Doepner) 08.06.2016, 00:53
Report Mainz hat seit Jahren immer wieder und absolut zu Recht auf übelst unseriöse "Gutachten" hingewiesen. Diese ruinieren leichtfertig und oft vorsätzlich Leben, lernen will Justizia aus Fällen wie Kachelmann, Mollath oder Wörtz wohl nicht. Danke an Report Mainz für die hartnäckige Recherche. Geändert hat sich bis dato nichts. Vom neuen Gesetzentwurf ist nicts zu erwarten, es schreiben die Gutachter die Regeln gerade mit. Es ist ein System der maximalen Bequemlichkeit entstanden, bei dem es anscheinend nicht mehr um Wahrheitsfindung, sondern nur noch um einfache Arbeit und Abfertigung geht. Zumindest im Bereich Familiengericht sind fast alle "Gutachten" derart desolat, in jeder Hinsicht, dass es ausnahmslos jeder Richter und jeder Jugendamtsmitarbeiter erkennnen kann und muss und alles sofort verwerfen müsste. Ich mache der (Familien)Justiz daher den Vorwurf, praktisch flächendeckend unseriöse Gutachten zu initiieren und zu dulden. Eine Gegenwehr ist de facto unmöglich. Weder der Rechtsweg noch die Befangenheitsablehnung noch die Dienstaufsichtsbeschwerde sind gangbare "Rechtsmittel". Nicht jeder Richter weiss das Geschenk der "richterlichen Unabhängigkeit" zu würdigen. Für Schlamperei, mangelndes Interesse und die Arbeit mit Pseudogutachten ist dieses Privileg sicher nicht gedacht gewesen. Im besten Fall genügt Justiz sich selbst, Manus manum lavat. Bisweilen habe ich aber eher den Eindruck, es ist ein Staat im Staat geworden, der nicht mehr auf dem Boden der Verfassung steht und die besten Möglichkeiten zum Betrug hat. Etwa im Betreuungsrecht. Zu Einzelheiten Familiengerichtlicher Verfahren und der Problematik flächendeckend unseriöser Gutachten siehe mehr unter www.gustav.es.

Quelle

Mehr:

In den Fängen der Psychiatrie
Fehlerhafte Gutachten in der Justiz

Frontal21 am 08.09.2015:
"75 Prozent aller Gutachten in familienrechtlichen Streitigkeiten in Deutschland sind mangelhaft."
weiterlesen

Gesetzentwurf zur Qualität von Sachverständigen
Gegen das Ärgernis mangelhafter Gutachten in Gerichtsverfahren will die Bundesregierung mit einer Neuregelung des Sachverständigenrechts vorgehen.weiterlesen


Donnerstag, 2. Juni 2016

Heute im TV: In den Fängen der Psychiatrie

update: Report Mainz
Wie unbequeme Kläger mit fragwürdigen Gutachten mundtot gemacht werden

Do, 2. Jun 2016 · 22:00-22:45 · SWR BW
odysso - Wissen im SWR
In den Fängen der Psychiatrie
Querulatorische Persönlichkeitsstörung - zu diesem Schluss kam ein Gutachter bei Ilona H. nachdem sie ihre Nachbarin angeblich mit einem Einkaufswagen verletzt haben soll. Die Beurteilung des Gutachters blieb nicht ohne Folgen. Der Richter entschied, dass Ilona H. in eine forensische Klinik muss. Ganze sieben Jahre wird sie weggesperrt. "odysso" zeigt: Kein Einzelfall. Die Sendung befasst sich außerdem mit den Themen: * Wie wird man Gutachter? * Wann droht die Zwangseinweisung? * Sind zu viele Straftäter in der Psychiatrie?  Moderation: Dennis Wilms  Querulatorische Persönlichkeitsstörung - zu diesem Schluss kam ein Gutachter bei Ilona H. nachdem sie ihre Nachbarin angeblich mit einem Einkaufswagen verletzt haben soll. Weitere gefährlichere Straftaten seien zu erwarten. Eine anmaßende, schwer zu belegende Behauptung, so scheint es. Aber wenn ein Gutachter so etwas schreibt, bleibt das nicht ohne Folgen. Der Richter entscheidet bei Ilona H., dass sie in eine forensische Klinik muss. Ganze sieben Jahre wird sie weggesperrt. Das Wissenschaftsmagazin "odysso" zeigt: Kein Einzelfall, immer wieder werden Menschen von Gutachtern ohne lange zu zögern als "schuldunfähig" oder "vermindert schuldfähig" eingestuft, auch bei Bagatelldelikten.  Weitere Themen der Sendung: Wie wird man Gutachter? Wann droht die Zwangseinweisung? Sind zu viele Straftäter in der Psychiatrie?
Webseite: SWR


Wie kann die Unabhängigkeit und Neutralität gewahrt bleiben, wenn Richter dem von ihm bestellten Sachverständigen signalisieren, in welche Richtung sein Gutachten gehen solle? (vgl.. Schwintowski)
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Das Bundesverfassungsgericht legte am 8. Januar 2015 - 2 BvR 2419/13 fest, dass Gutachter eine Beurteilung nicht einseitig und fachwidrig zugunsten der Interessen ihrer Auftraggeber vornehmen dürfen.
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Wie Gerichtsgutachter Familien zerstören
Bis zu 1000 Gutachten für Familiengerichte pro Jahr fehlerhaft
Der  Deutsche  Richterbund  fordert  seit  langem,  die  Qualität  von  Sachverständigengutachten  zu  verbessern  und  begrüßt  den  vorliegenden  Gesetzentwurf.
weiterlesen

Gesetzentwurf zur Qualität von Sachverständigen
Gegen das Ärgernis mangelhafter Gutachten in Gerichtsverfahren will die Bundesregierung mit einer Neuregelung des Sachverständigenrechts vorgehen.

Fehlerhaftes Gutachten kann zu einer „Verletzung von Menschenrechten“ führen.
EuGH: Stigmatisierung der Betroffenen gibt Rechtsschutzinteresse

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Mehr über Ilona Haslbauer in diesem Blog:


Mi, 9. Dez 2015 · 20:15-21:00 · SWR BW
betrifft: In der Gutachterfalle
SWR Eberhart Herrmann - Der erfolgreiche Kunst- und Teppichhändler ist vor den Folgen eines vermeintlichen Fehlgutachtens über ihn in die Schweiz geflohen: "Gegen Gutachter hat man keine Chance! - Das wusste ich von meinem Jura-Studium." - Seine Lebensgefährtin ist fassungslos über das deutsche Gutachtersystem.

Es gibt wohl eine ganze Reihe von Gutachtern, die Menschen ohne lange zu zögern als "schuldunfähig" oder "vermindert schuldfähig" einstufen, auch bei Bagatelldelikten. Wohl wissend, dass das häufig viele Jahre im Maßregelvollzug bedeuten kann. Die Schwere der Tat spielt da keine Rolle.  Es scheint so, als würden moralische Bedenken oder auch wissenschaftliche Standards teilweise ausgeblendet werden. Persönliches Gerechtigkeitsempfinden, Antipathie, Angst vor Rückfällen und auch die Erwartungen der Auftraggeber spielen offensichtlich eine große Rolle.
Da viele Richter psychiatrische Gutachten nicht oder nur selten kritisch hinterfragen, machen sie die Gutachter zu den eigentlichen Richtern.
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Unfehlbare Richter? Bayerns Justiz in der Vertrauenskrise
Gustl Mollath war dabei, als Ilona Haslbauer endlich aus dem Isar-Amper-Klinikum entlassen wurde
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mehr:

Fehlerhafte Gutachten in der Justiz
- Pressemeldung: Zum geplanten Gesetz für "Qualifikationsanforderungen für Sachverständige" -
(Kirche zum Mitreden, 14.09.2015)
"75 Prozent aller Gutachten in familienrechtlichen Streitigkeiten in Deutschland sind mangelhaft." So meldete Frontal21 am 08.09.2015.  Im dazugehörigen Filmbeitrag heißt es: "Teuer und mangelhaft - auf Grundlage solcher Gutachten werden in deutschen Gerichtssälen Tag für Tag Urteile gesprochen. Wer sich dagegen wehrt, muss mit einem zermürbenden Rechtsstreit rechnen. [...] Bundesjustizminister Heiko Maas verspricht Besserung. Sein Gesetzentwurf sieht vor, künftig soll genauer überprüft werden, ob Gutachter wirklich geeignet sind. Wie das geschehen soll, ist unklar."
Zugegeben, überwältigend viele Gutachten sind bewiesenermaßen "stark mängelbehaftet" und "als Entscheidungsgrundlage für unsere Gerichte nicht geeignet" (O-Ton Prof. Werner Leitner, IB-Hochschule Berlin, im F21-Video). Aber so eifrig man auch über die erschütternde Menge erschütternder Falschgutachten lamentieren mag: Das eigentliche Problem wird damit eigentlich nur verschleiert. Denn objektiv liegt das Problem immer bei den Richtern.
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Entlassen und allein gelassen
Die Story vom 1.7.2015
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