LVwG-411652/5/Gf/Mu
Linz, 22.12.2016
I M N A M E N D E R R E P U B L I K
Das
Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich hat durch seinen Richter
Dr. Grof über die Beschwerde des A K, vertreten durch RA
Dr.
F M, gegen das wegen einer Übertretung des Glücksspielgesetzes
(unternehmerische Beteiligung an verbotenen Ausspielungen) ergangene
Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich
(Polizeikommissariat Steyr) vom 6. Oktober 2016, Zl.
VStV-915301651027-2015 (Mitbeteiligte Partei: Finanzamt
Kirchdorf-Perg-Steyr),
z u R e c h t e r k a n n t :
I.
Der Beschwerde wird gemäß § 50 VwGVG stattgegeben, das angefochtene
Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 38
VwGVG i.V.m. § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG eingestellt.
II. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 52 Abs.
9 VwGVG weder einen Kostenbeitrag für das Strafverfahren vor der
belangten Behörde noch einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor
dem Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
Vorgängige Behörden- und Verwaltungsgerichtsverfahren
1. Auf Grund eines anonymen Anrufes vom 5. Oktober 2015 sowie einer Anzeige der O O M
GmbH
vom 7. Oktober 2015 haben Exekutivorgane der Finanzpolizei am 21.
Oktober 2015 in einem in der B in S etablierten Gastgewerbebetrieb eine
Kontrolle wegen des Verdachtes des Vorliegens eines Verstoßes gegen das
Glücksspielgesetz durchgeführt.
Laut der in der Folge
vom Finanzamt Kirchdorf-Perg-Steyr hierüber erstatteten Anzeige vom 27.
Oktober 2015, Zl. 051/70274/23/4315, an die Landespolizeidirektion
Oberösterreich (Polizeikommissariat Steyr, im Folgenden auch kurz: LPD
OÖ bzw.
PK Steyr) sei im Zuge dieses Augenscheins festgestellt worden, dass in
jenem Lokal seit dem 19. August 2015 vier Automaten ohne erforderliche
behördliche Konzession betriebsbereit aufgestellt gewesen seien, an
denen nach entsprechender Geldeingabe unterschiedliche Spiele (sog.
virtuelle Walzenspiele und ein sog. „Hundewettrenn-Terminal“), die nach
dem Glücksspielgesetz als Glücksspiele zu qualifizieren seien, hätten
durchgeführt werden können, wobei die vom Beschwerdeführer vertretene
GmbH
Glücksspielautomaten entgeltlich zur Verfügung gestellt und sich
dadurch an den verbotenen Ausspielungen unternehmerisch beteiligt habe.
2. Ohne weitere Ermittlungsschritte zu tätigen, wurde von der LPD
OÖ
(im Folgenden auch: belangte Behörde) gegen den Rechtsmittelwerber in
dessen Funktion als handelsrechtlicher Geschäftsführer dieser
GmbH
mit Straferkenntnis vom 6. Oktober 2016, Zl. VStV-915301651027-2015,
eine Geldstrafe von 20.000 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 112 Stunden)
verhängt, weil er es als außenvertretungsbefugtes Organ
verwaltungsstrafrechtlich zu verantworten habe, dass sich diese
GmbH
durch das entgeltliche Zur-Verfügung-Stellen von Glücksspielautomaten
an nach dem Glücksspielgesetz verbotenen Ausspielungen beteiligt habe.
Dadurch habe er eine Übertretung des § 52
Abs.
1 Z. 1 viertes Tatbild des Glücksspielgesetzes, BGBl 620/1989 in der
bereits damals maßgeblichen Fassung BGBl I 118/2015 (im Folgenden:
GSpG), begangen, weshalb er nach § 52
Abs. 1 GSpG zu bestrafen gewesen sei.
Begründend
wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die dem Beschwerdeführer
angelastete Übertretung auf Grund der Anzeige des Finanzamtes
Kirchdorf-Perg-Steyr sowie des vom PK Steyr durchgeführten
Ermittlungsverfahrens als erwiesen anzusehen sei.
Die
Höhe der verhängten Geldstrafe entspreche dem Unrechts- und Schuldgehalt
der Tat; sie erweise sich in diesem Ausmaß als notwendig, um den
Rechtsmittelwerber von der künftigen Begehung derartiger Übertretungen
wirksam abzuhalten.
3. Gegen dieses ihm am 10. Oktober
2016 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 3.
November 2016 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Beschwerde an
das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich.
Darin
wird – auf das Wesentliche zusammengefasst – vorgebracht, dass es nach
der allgemeinen Lebenserfahrung äußerst unwahrscheinlich sei, dass
während der im Straferkenntnis als Tatzeit angegebenen Lokalkontrolle
eine Bespielung der verfahrensgegenständlichen Automaten durch Dritte
möglich gewesen sei, sodass zu diesem Zeitpunkt keine Inbetriebnahme der
Geräte vorgelegen sei. Außerdem sei die belangte Behörde zur Erlassung
des angefochtenen Straferkenntnisses sachlich deshalb nicht zuständig
gewesen, weil in Wahrheit eine gerichtlich strafbare Handlung vorgelegen
sei. Schließlich leide das Straferkenntnis auch an einer Vielzahl von
näher dargestellten Begründungsmängeln.
Daher wird in erster Linie dessen Aufhebung beantragt.
II.
Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung
1.
Das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben
durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde zu Zl.
VStV-915301651027-2015.
2. Hinsichtlich der im
gegenständlichen Verfahren primär zur Diskussion stehenden Frage nach
der Unionsrechtskompatibilität des im Glücksspielgesetz verankerten
(Quasi-)Monopolsystems hat das LVwG
OÖ bereits in mehreren Entscheidungen, so
z.B.
mit Erkenntnis vom 8. August 2016, LVwG-411506/5/Gf/Mu, festgestellt,
dass diese Regelung nach Auffassung des erkennenden Richters als
unionsrechtswidrig anzusehen ist; um unnötige Wiederholungen zu
vermeiden, ist zur näheren Begründung ergänzend (auch) auf diese
Entscheidung (siehe
BEILAGE 1) zu verweisen (vgl. im Übrigen näher unten, III.).
Widerspricht
eine innerstaatliche Regelung dem Unionsrecht, so hat diese nach
ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (im
Folgenden auch: EuGH) effektiv unangewendet zu bleiben. Dieser Grundsatz
ist von jedem staatlichen Organ auf jeder Ebene des Verfahrens zu
beachten.
Konkret bedeutet dies insbesondere, „
dass
der Verstoß eines Wirtschaftsteilnehmers gegen eine Regelung im
Glücksspielbereich nicht zu Sanktionen führen kann, wenn diese Regelung
mit Art. 56 AEUV nicht vereinbar ist“ (vgl. EuGH vom 30. April 2014, C-390/12 [Pfleger,
EU:C:2014:281], RN 64,
m.w.N.).
Daraus
resultiert, dass eine Beschlagnahme von Glücksspielgeräten, eine
Bestrafung wegen des Verdachtes der Begehung einer Übertretung des § 52
Abs. 1 Z. 1 GSpG oder ähnliche behördliche Eingriffsmaßnahmen
ausgeschlossen sind.
2.1. Vor dem Hintergrund dieser
Rechtslage wurde den Verfahrensparteien mit hg. Schriftsatz vom 7.
Dezember 2016, LVwG-411652/2/Gf/Mu
u.a.,
mitgeteilt, dass sowohl nach der Begründung der angefochtenen
Entscheidungen als auch nach dem (jeweiligen) Vorbringen der
Rechtsmittelwerber(innen) der entscheidungswesentliche Sachverhalt als
unstrittig erscheint, sodass aus der Sicht des Verwaltungsgerichtes des
Landes Oberösterreich die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung
vornehmlich deshalb als nicht erforderlich erachtet wird, weil in den
gegenständlichen Fällen bloß Rechtsfragen – nämlich in erster Linie jene
nach der Unionsrechtskonformität der österreichischen
Glücksspielmonopolregelung – zu klären sind.
2.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (im Folgenden auch:
VwGH)
könne jedoch auch in einem derartigen Fall von der Durchführung einer
öffentlichen Verhandlung nur dann abgesehen werden, wenn die
Verfahrensparteien – insbesondere die Beschuldigten – darauf verzichten (
z.B. VwGH vom 19. März 2015, Zl. Ra 2014/06/0020).
2.3.
In zahlreichen andern gleichgelagerten Verfahren seien zur Klärung der
Frage der Unionsrechtskonformität der österreichischen
Glücksspielmonopolregelung vornehmlich von der Amtspartei folgende
Beweismittel vorgelegt worden:
− „Glücksspiel Bericht 2010-2013“ des Bundesministeriums für Finanzen
− Stellungnahme des Bundeministeriums für Finanzen vom 18. Septem-
ber 2014
− Erkenntnis des LVwG
OÖ vom 15. Dezember 2014, LVwG-410395
und zwar jeweils zum Beweis dafür,
− dass mit dem im GSpG verankerten Monopolsystem die Ziele eines ef-
fektiven Spielerschutzes und einer Kriminalitätsbekämpfung tatsäch-
lich sowie systematisch und kohärent verfolgt würden,
− dass das im GSpG verankerte Monopolsystem nicht dem vorrangigen
Ziel einer Erhöhung der Staatseinnahmen diene,
− dass die Geschäftspolitik der Monopolisten, im Besonderen deren Wer-
bemaßnahmen, zum Zweck der Hinlenkung zum erlaubten Glücksspiel
sowohl maßvoll als auch zielgerichtet seien, und
− dass die aus dem GSpG-Monopol resultierenden Beschränkungen je-
weils dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen würden.
2.4. Vor diesem Hintergrund ergebe sich aus der Sicht des LVwG
OÖ
hinsichtlich der einzelnen Hauptproblemfelder im Zusammenhang mit der
Frage der Unionsrechtskonformität der Regelungen des im GSpG verankerten
Monopolsystems mit Blick auf die vom EuGH in dessen Judikatur hierfür
aufgestellten Kriterien Folgendes:
2.4.1. Dem
„Glücksspielbericht 2010-2013“ sei zunächst eine Darstellung der
Zielsetzungen der im Zeitraum 2011 bis 2013 vorgenommenen Novellierungen
des GSpG und der höchstgerichtlichen Rechtsprechung in dieser Periode
(S. 3 bis S. 15) sowie ein Überblick über durchgeführte und anhängige
Konzessionserteilungsverfahren (S. 16 bis S. 23) vorangestellt.
Bezüglich
der Neuerungen im Spielerschutz werde sodann unter Hinweis auf eine im
Jahr 2011 veröffentlichte Glücksspielsuchtstudie betont, dass (S. 24)
„rund 64.000 Personen in der Altersgruppe zwischen dem 14. und dem 65.
Lebensjahr von Glücksspielsucht betroffen“ und „0,43% dieses
Bevölkerungssegements“ (also etwa 25.000 Personen) „ein problematisches
Spielverhalten aufweisen und 0,66%“ (also
ca.
39.000 Personen) „pathologisch glücksspielsüchtig“ sein würden; in
diesem Zusammenhang erweise sich auf Basis einer
„Repräsentativbefragung“ das Glücksspiel mit Automaten außerhalb einer
Spielbank als der größte Problemfaktor (33% Problemspieler; dagegen:
Lotterien: 2% Problemspieler, Sportwetten: 13% Problemspieler,
Klassische Kasinospiele: 7% Problemspieler und Automaten in Kasinos: 14%
Problemspieler ), weshalb durch das im GSpG verankerte Monopolsystem
„das Glücksspielangebot und die Akzeptanz gelenkt werden“ solle, und
zwar „weg von den Problembereichen hin zu anderen Bereichen, innerhalb
derer die Problemprävalenz weniger hoch ist“.
In einer
weiteren Studie sei zu Tage getreten, dass im Jahr 2006 aus dem Motiv
der Glücksspielsucht 38 Fälle von Beschaffungskriminalität
(gewerbsmäßiger Diebstahl, schwerer Raub und gewerbsmäßiger Betrug)
sowie im ersten Halbjahr 2007 weitere 36 solcher Fälle begangen worden
seien (S. 24 f).
Beispielsweise hätten auf Grund einer
Kostenschätzung für das Bundesland Steiermark im Jahr 2006 Ausgaben für
Spielsucht in Höhe von 140.900 Euro resultiert (S. 25). Um diese
Problembereiche (Suchtverhalten, Beschaffungskriminalität und
Therapiekosten) einzudämmen, sei mit Jahresbeginn 2011 eine Stabsstelle
für Spielerschutz eingerichtet worden (S. 26 bis 29).
Hinsichtlich
legaler, nämlich konzessionierter Glücksspielanbieter sei die
staatli-che Aufsicht intensiviert (S. 30 f.) sowie eine Anbindung von
deren Glücksspielautomaten an ein Datenrechenzentrum (S. 31 f) und eine
bescheidmäßige Vorschreibung von Werbestandards vorgenommen worden (S.
32 ff).
Parallel dazu sei(en) das illegale Glücksspiel
auf mehreren Ebenen bekämpft und in diesem Zusammenhang bis Ende 2013
bereits über 6.000 vorläufige Beschlagnahmen von Glücksspielgeräten und
sonstigen Eingriffsgegenständen durchgeführt worden; dieser hohe
behördliche Verfolgungsdruck führe allerdings in der Praxis zu einer
„Flucht ins Strafrecht“, weil dort kaum strafgerichtliche Verurteilungen
wegen § 168 StGB vorkämen (S. 34 und 35).
Von in den Jahren 2012 und 2013 insgesamt 222 beim
VwGH eingebrachten Amtsbeschwerden seien 141 „gewonnen“ und lediglich 20 abgewiesen
bzw.
abgelehnt worden, die restlichen Verfahren (61) zum Zeitpunkt der
Erstellung dieses Berichtes jedoch noch anhängig gewesen (S. 36).
Ein Hauptaugenmerk im Rahmen der staatlichen Aufsicht gelte schließlich noch der Geldwäschevorbeugung (S. 36 bis 38).
Für
das Jahr 2014 seien eine verfassungskonforme Neuregelung der
Pokerkonzessionen, eine präzise der Abgrenzung des Tatbestandes des §
168 StGB von jenem des § 52 GSpG, eine Novellierung der
Automatenglücksspielverordnung, der Abschluss der noch laufenden
Spielbankenkonzessionierungsverfahren sowie im Bereich des
Spielerschutzes eine Evaluierung der seit 2010 ergangenen Novellen zum
GSpG und von deren Umsetzung in Aussicht genommen worden (S. 39).
2.4.2.
Die zum anderen bereits im Verfahren des Verwaltungsgerichtes des
Landes Oberösterreich zu LVwG-410395 (abgeschlossen mit Erkenntnis vom
15. Dezember 2014
)
ergänzend erstattete Stellungnahme des Bundeministeriums für Finanzen
vom 18. September 2014 bestehe in inhaltlicher Hinsicht im Wesentlichen
aus einer Wiederholung der im Glücksspielbericht 2010-2013 enthaltenen
Ausführungen (vgl. S. 5 bis 8; S. 9 bis 15).
Darüber
hinaus finde sich in dieser neben einem Hinweis auf die aus den
Gesetzesmaterialien zur GSpG-Novelle BGBl I 73/2010 hervorgehenden
ordnungspolitischen Zielsetzungen eine Aufzählung jener Bestimmungen des
GSpG, die den gemäß der EuGH-Judikatur gerechtfertigten Eingriffen in
die Dienstleistungsfreiheit dienen (S. 2 bis 4).
In
der Folge werde darauf hingewiesen, dass nach dem GSpG im Zuge von
Konzessionserteilungen für Spielbanken nunmehr eine Mindestdauer pro
Spiel, Mindestabstandsregelungen, Zutrittssysteme, Schulungskonzepte für
Mitarbeiter, die verpflichtende Zusammenarbeit mit
Spielerschutzeinrichtungen, ein Verbot bestimmter Spielinhalte, Einsatz-
und Gewinnlimits, ein Verbot parallel laufender Spiele
etc. vorgesehen sei (S. 9).
Seit
Jahresbeginn 2011 sei die Stabsstelle für Spielerschutz tatsächlich
eingerichtet und mit vielfältigen Aufgaben betraut (S. 9 f); dem Schutz
der besonders vulnerablen Gruppe der Kinder und Jugendlichen diene eine
effektive Zugangskontrolle, eine verantwortungsvolle Werbung, eine
strenge Aufsicht und Kontrolle durch staatliche Behörden
etc. (S. 9 bis 12), wobei für den Fall von Zuwiderhandlungen empfindliche Sanktionen vorgesehen seien (S. 12 bis S. 14).
Zulässige
Werbemaßnahmen müssten zwar maßvoll und nicht aggressiv, jedoch dazu
geeignet sein, das Glücksspiel in erlaubte Bahnen zu lenken, weshalb im
Zuge der Konzessionserteilungen jeweils in Zusammenarbeit mit
unabhängigen Experten erstellte Werbestandards und Leitlinien
bescheidmäßig vorgeschrieben worden seien (S. 16 bis 18).
Hinsichtlich
der Frage, ob die mit dem GSpG-Monopol verfolgten Zwecke auch durch
weniger eingriffsintensive Maßnahmen erreicht werden können, sei auf das
Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (im Folgenden auch:
VfGH) vom 6. Dezember 2013, B 1337/11, zu verweisen (S. 18 f).
Insgesamt
sei das GSpG von dem Gedanken getragen, ein ausgewogenes
Glücksspielangebot bereit zu stellen, das einer strengen und effektiven
staatlichen Kontrolle unterliegt; gleichzeitig solle illegales
Glücksspiel eingedämmt und hintangehalten werden. Insgesamt ergebe sich
aus den Gesetzesmaterialien zur GSpG-Novelle 2010 sowie aus den im
Glücksspielbericht 2010-2013 genannten Novellen eindeutig, dass die
Regelungen des GSpG tatsächlich diese Ziele in kohärenter und
systematischer Weise verfolgen und Spielerschutz und
Kriminalitätsbekämpfung nicht bloß vordergründige Ziele seien. Diese
Ziele würden sich allerdings nicht kohärent und systematisch erreichen
lassen, wenn ein unbeschränktes Angebot an Glücksspielen zugelassen
werden müsste (S. 20).
2.4.3. Dem von der Amtspartei
zur Unterstützung und zum Beleg der Richtigkeit ihrer Argumentation
weiters vorgelegten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes des Landes
Oberösterreich vom 15. Dezember 2014, LVwG-410395, sei zunächst zu
entnehmen, dass es sich bei den an den dort verfahrensgegenständlichen
Geräten durchgeführten Spielen zweifelsfrei um Glücksspiele handelte,
wobei auf Grund des im dg. Verfahren zum Tragen gekommenen, nicht als
verfassungswidrig erachteten § 52
Abs. 3 GSpG eine allfällige Strafbarkeit gemäß § 168 StGB nicht in Betracht zu ziehen gewesen sei (S. 20 und 21).
In
der Folge werde dort ausgeführt, dass hinsichtlich einer allfälligen
Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des GSpG darauf hinzuweisen sei, dass kein
Sachverhalt mit Auslandsbezug vorliege (S. 21).
Im
Übrigen sei – unter (teilweise wörtlicher) Übernahme der
nachvollziehbaren Ausführungen des Bundesministeriums für Finanzen in
dessen Stellungnahme vom 18. September 2014 sowie unter Hinweis auf die
Gesetzesmaterialien – davon auszugehen, dass es sich bei den
Zielsetzungen der Suchtprävention, des Spielerschutzes und der
Kriminalitätsabwehr um solche handle, die eine Beschränkung des
Glücksspielangebotes rechtfertigen würden; anderes würde allenfalls nur
dann gelten, wenn eine Maximierung von Abgabeneinnahmen das einzige Ziel
des GSpG-Monopols wäre, was jedoch deshalb nicht zutreffe, weil in der
Stellungnahme des Bundesministeriums für Finanzen aufgezeigt werde, dass
die Spielsucht in Österreich tatsächlich ein nicht irrelevantes
gesellschaftliches Problem darstelle und davon ausgehend eine
beschränkte Anzahl von Konzessionären offenkundig effektiver zu
überwachen sei als eine unbeschränkte Anzahl von Anbietern; hinzu komme
der damit verbundene Lenkungseffekt hin zum erlaubten und überwachten
Glücksspiel (S. 22 bis 24).
Außerdem werde in dieser Stellungnahme auch auf bereits umgesetzte Maßnahmen –
z.B. auf die Einrichtung einer Spielerschutzstelle, auf die Anbindung der Glücksspielautomaten an die Bundesrechenzentrum
GmbH,
auf die Überwachung der Einhaltung von Spielpausen, auf effektive
Zutrittskontrollen, auf Auskunftspflichten der Konzessionäre, auf
Aufsichtsbefugnisse staatlicher Behörden und auf bescheidmäßig
vorgeschriebene Werbestandards – einerseits sowie auf die umfangreichen
Maßnahmen zur Bekämpfung des illegalen Glücksspiels hingewiesen.
Wenngleich einzelne Werbungen problematisch erscheinen könnten, sei bei
einer Gesamtbetrachtung der Werbekonzepte keine unzulässige Werbung zu
erkennen, zumal auch in der Stellungnahme keine derartige Praxis genannt
worden sei (S. 24 und 25).
Zusammenfassend ergebe
sich daher, dass bei einer Gesamtbetrachtung aller im Verfahren
hervorgekommener Umstände eine Gemeinschaftswidrigkeit des
Monopolsystems des GSpG nicht vorliege, weil dieses (zumindest auch)
jene vom EuGH anerkannten Gründe des Allgemeininteresses verfolge; zudem
erschienen die Regelungen des GSpG geeignet, diese Ziele zu erreichen,
wobei schließlich auch deren Unverhältnismäßigkeit nicht hervorgekommen
sei (S. 25 und 26).
2.5. Dies wurde den Verfahrensparteien in Wahrung des rechtlichen Gehörs zur Kenntnis gebracht.
Gleichzeitig
wurden diese dazu aufgefordert, bis zum 16. Dezember 2016 bekannt zu
geben, ob auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet
wird sowie bis zu diesem Zeitpunkt sämtliche ihrem jeweiligen
Rechtsstandpunkt dienlichen Beweismittel vorzulegen oder so rechtzeitig
zu benennen, dass sie von Amts wegen bis zur allfälligen Durchführung
einer öffentlichen Verhandlung beigeschafft werden können.
3.1.
Dem entsprechend hat sich der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit
e-mail vom 13. Dezember 2016 zunächst dahin geäußert, dass auf die
Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtet wird.
In
der Sache wurde sodann (nach Themen strukturiert) darauf hingewiesen,
dass das GSpG-Monopol als unionsrechtswidrig anzusehen sei, was im
gegenständlichen Fall zu einer verfassungswidrigen
Inländerdiskriminierung führe. Außerdem habe die Neuordnung des
Glücksspielwesens zu keiner Reduktion der Spielsucht und der damit
verbundenen Probleme (sondern nur zu einer örtlichen Verlagerung ins
benachbarte Ausland und somit eher sogar zu einer Ausweitung) geführt.
Dazu komme, dass – wie sich aus einem psychologischen Gutachten ergebe –
der Spielerschutz in jedem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen
Union besser ausgestaltet sei als in Österreich, was sich schon daran
zeige, dass dieser in weitem Umfang von freiwilligen Spenden der
Glücksspielanbieter abhänge. Weiters werde von den Konzessionsinhabern
keineswegs bloß eine maßvolle, sondern vielmehr eine aggressive
Werbepolitik betrieben, die
v.a. auch
darauf ausgerichtet sei, solche Personen zu Glücksspielaktivitäten zu
verleiten, die bislang dazu keinerlei Bezug aufgewiesen haben. Davon
abgesehen könnten die vom Gesetzgeber mit der Monopolregelung verfolgten
Zielsetzungen auch durch weniger eingriffsintensive Maßnahmen – so
z.B. durch eine finanzielle Unterstützung von Spielsuchtambulanzen – erreicht werden.
3.2.
Die belangte Behörde hat mit e-mail vom 13. Dezember 2016 bekannt
gegeben, dass auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung
verzichtet wird.
Beweismittel wurden dieser Mitteilung weder angeschlossen noch wurden in dieser solche bezeichnet.
3.3. Das Finanzamt Kirchdorf-Perg-Steyr hat sich bis zur Erlassung des gegenständlichen Erkenntnisses nicht geäußert.
4.
Im Zuge dieser Beweisaufnahme ließen sich hinsichtlich der Frage der
Unionsrechtskompatibilität des im Glückspielgesetz verankerten
Monopolsystems insbesondere unter Bedachtnahme auf die in früheren, beim
LVwG
OÖ anhängigen gleichartigen
Verfahren erhobenen Beweise sowie der im gegenständlichen Verfahren von
den Parteien ergänzend vorgelegten Beweismittel folgende
entscheidungswesentliche Sachverhaltselemente feststellen:
4.1. Zum „
Glücksspiel – Bericht 2010-2013“ des Bundesministeriums für Finanzen
:
Von
den darin enthaltenen bloßen rechtspolitischen Absichtserklärungen und
deskriptiven Wiedergaben von Gesetzestexten und Materialien hierzu
abgesehen wurde in diesem Zusammenhang beispielsweise schon im
Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich vom 24.
Juni 2015, LVwG-410600 (vgl.
BEILAGE 2[4]), darauf hingewiesen, dass bereits die diesem zentral zu Grunde liegende Anzahl von
ca.
64.000 spielsüchtigen Personen in Österreich als nicht plausibel
erscheint und es somit nicht als ein sicheres Faktum angesehen werden
kann, dass Spielsucht in Österreich ein gesellschaftsrelevantes Problem
darstellt(e) (vgl. S. 35 ff, 42 f und 46 dieses Erkenntnisses); Gleiches
gilt hinsichtlich der Ausführungen des Glücksspielberichts zum
illegalen Glücksspiel als Kriminalitätsproblem insofern, als bloß eine
hohe Anzahl von Verfolgungshandlungen und Bestrafungen wegen
Verletzungen des – im Ergebnis als unionsrechtswidrig zu
qualifizierenden – Glücksspielmonopols selbst (also gleichsam der
petitio principii) hierfür keinen Beleg zu bilden vermag (vgl. S. 37 f
und 46 des Erkenntnisses)
.
Dem
gegenüber haben sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, daran zu
zweifeln, dass die in diesem Glücksspiel – Bericht 2010-2013 angeführten
Intensivierungsmaßnahmen hinsichtlich der staatlichen Aufsicht
(Anbindung an ein Datenrechenzentrum, bescheidmäßige Vorschreibung von
Werbestandards, Maßnahmen zur Geldwäschevorbeugung) nicht den Tatsachen
entsprechen würden.
4.2. Zur „
Stellungnahme des Bundesministeriums für Finanzen vom 18. September 2014“:
Soweit
diese insofern über den Glücksspiel – Bericht 2010-2013 hinausgeht, als
detaillierte bescheidmäßige Auflagen im Zuge von Konzessionserteilungen
(Mindestdauer pro Spiel, Mindestabstandsregelungen, Zutrittssysteme
etc.)
sowie konkrete Aufgaben der Stabsstelle für Spielerschutz (wie
Zugangskontrolle und strenge staatliche Aufsicht) beschrieben werden
(vgl. S. 9 ff), bestehen für das Verwaltungsgericht des Landes
Oberösterreich ebenfalls keine Zweifel, dass diese Maßnahmen auch
tatsächlich (wenngleich im Einzelfall jeweils mehr
bzw. weniger stringent) umgesetzt
bzw.
auf deren tatsächliche Einhaltung hin überprüft wurden und werden (vgl.
schon S. 43 und 46 des hg. Erkenntnisses vom 24. Juni 2015,
LVwG-410600).
4.3. Zum Bericht „
Auswirkungen des Glücksspielgesetzes 2010-2014 – Evaluierungsbericht des Bundesministers für Finanzen gemäß § 60 Abs. 25 Z. 5 GSpG – November 2014“, III-131 BlgNR, 25. GP (im Folgenden kurz: Evaluierungsbericht)
[6]:
Da
sich dieser Bericht inhaltlich besehen lediglich als eine – datenmäßig
geringfügig aktualisierte – Zusammenfassung des zuvor dargestellten
„Glücksspiel – Berichts 2010-2013“ und der „Stellungnahme vom 18.
September 2014“ darstellt (vgl. schon LVwG
OÖ
vom 24. Juni 2015, LVwG-410600, S. 42), kann diesbezüglich auf das oben
unter II.4.1. und II.4.2. Ausgeführte verwiesen werden.
4.4. Zur Studie „
Glücksspielverhalten und Glücksspielprobleme in Österreich – Ergebnisse der Repräsentativerhebung 2015“ des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung in Hamburg (im Folgenden kurz: „Glücksspielstudie 2015“):
Diese Studie des in der BRD situierten Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung
(im Folgenden kurz: ISD) kommt zunächst zu der generellen
Schlussfolgerung, dass sich das Glücksspielverhalten der
österreichischen Bevölkerung im Zeitraum zwischen 2009 und 2015 nicht
maßgeblich verändert habe (S. 16). Speziell bezogen auf
Glücksspielgeräte habe sich gezeigt, dass in diesem Zeitraum das
Automatenglücksspiel außerhalb von Casinos einerseits leicht – nämlich
von 1,2% auf 1,0% – gesunken sei und andererseits diese Spielform
weiterhin in einem auffälligen Missverhältnis zu den beliebtesten
Glücksspielarten („Lotto 6 aus 45“: 33,0%; „Joker“: 14,3%;
„Euromillionen“: 13,2%; „Rubbellose“: 8,7%) stehe (S. 17 f). Im Übrigen
erfülle die weit überwiegende Mehrzahl (nämlich 97,2%) aller Befragten
keines und 1,7% der Stichprobenteilnehmer bloß ein oder zwei der
insgesamt zehn Kriterien des „Diagnostischen und Statistischen Manuals
Psychischer Störungen“ (vgl. S. 12; im Folgenden kurz:
DSM-IV-Kriterien), was einem riskanten Spielverhalten entspreche; ca. 0,5% der Teilnehmer
würden durch Glücksspiel bedingte Probleme (= Erfüllung von drei oder
vier DSM-IV-Kriterien) und 0,6% ein pathologisches Spielverhalten (=
Erfüllung von mindestens fünf DSM-IV-Kriterien) aufweisen[9], woraus zu schließen sei, dass – zusammengerechnet – „1,1% aller Österreicher/innen (14 bis 65 Jahre) über ein problematisches oder pathologisches Spielverhalten verfügen“ würden, „das sind“ – hochgerechnet (!) – „etwa 64.000 Personen“ (S. 23). Dabei könne es sich allerdings „immer nur um eine Schätzung der tatsächlichen Verhältnisse“ handeln; auf Grund dieser sei davon auszugehen, dass – wie auch bereits im Jahr 2009 – „in Österreich aktuell zwischen 27.000 bis etwa 46.000 Personen spielsüchtig“
sein dürften (S. 24 f). Bei jenen Befragten, die an außerhalb von
Casinos aufgestellten Automaten – also an solchen, die sich in
Spielhallen, Gaststätten oder Tankstellen befinden – spielten, sei der
Anteil an nicht bloß problematischen, sondern sogar pathologischen
Spielern (= Erfüllung von mindestens fünf DSM-IV-Kriterien) als
signifikant hoch, nämlich mit 21,2%, zu qualifizieren, während sich dem
gegenüber der Vergleichswert für Automatenglücksspiel in
konzessionierten Salons der Casinos Austria AG
als eher gering (4,4%) ausnehmen würde (S. 28 f). Unter einer Auswahl
von 13 suchtpräventiven Maßnahmen kämen ein Spielverbot unter 18 Jahren
(89%), eine spielartübergreifende Sperre (83%) bzw.
eine Reduzierung der Werbung (70%) auf die höchsten Akzeptanzwerte,
während das staatliche Glücksspielmonopol und ein Alkoholverbot in
Spielstätten (jeweils unter 50%) sowohl in der Bevölkerung als auch
unter den Spielern selbst auf die geringste Resonanz stoßen würden
(S. 30 ff).
Ungeachtet
dessen, dass das ISD auch nach der Rechtsordnung jenes Staates, in dem
dieses seinen Sitz hat (BRD), nicht als eine öffentlich-rechtliche
Einrichtung, sondern als privater Verein zu qualifizieren ist,
wurde – sieht man davon ab, dass die im Zeitraum zwischen Jänner und
Juni 2015 durchgeführte Befragung nunmehr 10.000 Personen (2009: 6.300
Personen) im Alter zwischen 14 und 65 Jahren im Rahmen einer (allerdings
bloß telefonisch erhobenen) Stichprobe erfasste (S. 8 f) – bei
der Erstellung der Glücksspielstudie 2015 wieder auf dieselbe Methodik
zurückgegriffen, die bereits der Repräsentativerhebung 2009 zu Grunde
lag (S. 8 ff).
Berücksichtigt man weiters, dass die Glücksspielstudie 2015 selbst zu dem Ergebnis kommt, dass „sich das Glücksspielverhalten der österreichischen Bevölkerung seit dem Jahr 2009 nicht stark verändert“
hat (S. 3 und 16), vermag dieses Beweismittel sohin auf der
Tatsachenebene keine additiven Erkenntnisse zu erbringen. Dazu trägt
insbesondere auch der Umstand bei, dass in der Glücksspielstudie 2015
überwiegend bloß prozentuelle Anteile angeführt, die daraus zu ziehenden
Schlüsse hingegen nicht einmal angedeutet, geschweige denn
nachvollziehbar begründet und somit die entscheidenden Fragen im
Ergebnis vielfach nicht gelöst, sondern offen gelassen werden: So könnte
beispielsweise (und stellvertretend für Vieles) aus der Angabe, dass
das Automatenglücksspiel außerhalb von Casinos zwischen 2009 und 2015
leicht – nämlich von 1,2% auf 1,0% – gesunken ist, sowohl abgeleitet
werden, dass dies als eine positive Konsequenz der verstärkten
finanzpolizeilichen Kontrollen angesehen werden muss, aber auch, dass
sich diese im Gegenteil wegen des kaum quantifizierbaren Erfolges
gesamthaft betrachtet als ineffektiv erwiesen haben.
Außerdem haben auch im Rahmen dieser Untersuchung lediglich 1,1% aller Befragten – also absolut besehen: bloß 110 Personen – und diese zudem nur auf Grund einer Eigeneinschätzung
angegeben, „mehr oder weniger stark spielsüchtig“ zu sein, sodass die
aus einer bloßen Selbstreflexion abgeleitete Schlussfolgerung, dass „in Österreich aktuell zwischen 27.000 bis etwa 46.000 Personen spielsüchtig“ sein dürften, lediglich ein abstraktes Rechenexempel verkörpert, das jeglicher faktischer Verifizierbarkeit entbehrt.
4.5. Zum
Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, zum
Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Oktober 2016, E 945/2015, zu den
Entscheidungen anderer Einzelrichter des LVwG OÖ sowie den
Entscheidungen anderer Landesverwaltungsgerichte,
mit denen jeweils – explizit oder implizit – die unionsrechtliche
Unbedenklichkeit des im GSpG normierten Monopolsystems festgestellt
wurde, sowie zum
Beschluss des Obersten Gerichtshofes vom 30. März 2016, 4 Ob 31/16m, in dem dieser von einer Unions- und Verfassungswidrigkeit der im GSpG normierten Monopolregelung ausgeht:
Diese Entscheidungen sind jeweils durchgängig dadurch gekennzeichnet, dass ihnen
keine eigenständige, auf die Frage der Unionsrechtskompatibilität des GSpG-Monopolsystems bezogene
Faktenermittlung zu Grunde liegt (vgl. schon LVwG
OÖ vom 24. Juni 2015, LVwG-410600, S. 43 f).
Somit
vermögen sie – rein auf der Faktenebene – schon von vornherein nichts
zur Klärung der vom EuGH jüngst neuerlich (vgl. EuGH vom 30. Juni 2016,
C‑464/16 [Admiral Casinos & Entertainment
AG – ECLI:
EU:C:2016:500]; s. auch unten, II.2.6.) betonten Problematik beizutragen, dass
Art.
56 AEUV dahin auszulegen ist, dass es bei der Prüfung der
Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich
der Glücksspiele im Sinne einer
nicht bloß statischen, sondern vielmehr einer
dynamischen Betrachtungsweise
(RN 36) nicht nur auf die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres
Erlasses ankommt, sondern auch auf die nach ihrem Erlass zu bewertenden
Auswirkungen (RN 37).
4.6. Zur „
schriftlichen Äußerung“ des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers:
Soweit
in dieser auf rechtswissenschaftliche Literaturstellen Bezug genommen
wird, gilt das zuvor unter II.2.5. Ausgeführte hier in gleicher Weise,
weil jenen ebenfalls keine eigenständigen faktenmäßigen Erhebungen zu
Grunde liegen (vgl. schon LVwG
OÖ vom 24. Juni 2015, LVwG-410600, S. 44).
Andererseits decken sich die in der Presseaussendung der APA (Originaltextservice) vom 8. April 2015
über den Geschäftserfolg der „Casinos Austria
AG“ und der „Österreichischen Lotterien
GmbH“ im Jahr 2014 genannten Werte und die daraus resultierende Steuerleistung von 552
Mio. Euro im Vorjahr mit den auf der
Homepage des Bundesministeriums für Finanzen diesbezüglich veröffentlichten Zahlen
, sodass diese sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach als zutreffend angesehen werden kann.
Dem
gegenüber enthält das vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers
bezogene Statement der Vorsitzenden der „(Wiener) Spielsuchthilfe“ vom
3. April 2015 bloß Mutmaßungen. Auch der Inhalt des von ihnen
vorgelegten, in diversen zivilgerichtlichen (wettbewerbsrechtlichen)
Prozessen erstatteten Zeugenaussagen durfte im gegenständlichen
Verfahren wegen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (vgl. § 48 VwGVG) nicht
verwendet werden; davon abgesehen wird in den in jenen Verfahren
ergangenen Entscheidungen – wie bereits zuvor angeführt – sogar
ausdrücklich klargestellt, dass mangels entsprechender Beweisangebote
eben gerade keine für die Klärung der Frage der Unionsrechtskonformität
maßgeblichen Fakten erhoben wurden (vgl.
z.B. Landesgericht Steyr vom 3. April 2015, 2 Cg-48/14y-25, S. 11).
Weiters
lässt sich auch nicht konstatieren, dass es sich bei dem vom Vertreter
des Beschwerdeführers vorgelegten Manuskript „Überblick –
Spielsuchtprävention Österreich vier Jahre nach Inkrafttreten des GSpG
2010“ (von
MMag. Malgorzata Zanki
vom 12. Jänner 2015; im Folgenden auch kurz: Manuskript
Suchtprävention) tatsächlich – wie von ihm vorgebracht – um ein
Sachverständigengutachten handelt; dagegen spricht nicht nur der
unstrukturierte Aufbau der Darstellung und das durchgängige Fehlen von
Bezugnahmen auf Fachliteratur, sondern vor allem die polemische,
einseitig-inobjektive inhaltliche Bewertung von Mängeln im Zusammenhang
mit der faktischen Umsetzung der gesetzlichen Spielerschutzbestimmungen;
vielmehr dürfte dieses Manuskript bloß die Basis für einen Vortrag oder
eine Präsentation darstellen (
bzw. dargestellt haben), wie sich aus dem häufigen Hinweis auf (gemeint wohl: Power-
Point-)„Folien“ (vgl. insbesondere S. 3) ergibt.
Soweit
es schließlich die Werbeaktivitäten der Konzessionsinhaber betrifft,
ist zum einen darauf hinzuweisen, dass bereits im Erkenntnis des
Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich vom 24. Juni 2015,
LVwG-410600, festgestellt wurde, dass diese als „notorisch aggressiv“ zu
qualifizieren ist (vgl. S. 39 f).
Diese Einschätzung
wird durch die vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers seiner
schriftlichen Äußerung beigegebenen Unterlagen zusätzlich bekräftigt:
Denn danach zielen zahlreiche Werbeaktivitäten darauf ab, nicht bloß das
Glücksspiel in legale Bahnen zu lenken; vielmehr sollen ganz
offensichtlich auch solche Personen zum Glücksspiel animiert werden, die
diesem bislang völlig desinteressiert gegenübergestanden sind
.
Fakten,
die diese auch vom OGH und zahlreichen Zivilgerichten geteilte
Einschätzung widerlegen, lassen sich demgegenüber insbesondere auch dem
Erkenntnis des
VfGH vom 15. Oktober 2016, E 945/2016, und der dort bezogenen Judikatur des
VwGH und des LVwG
OÖ nicht entnehmen.
5. All dies berücksichtigend erachtet es das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich daher
in tatsächlicher Hinsicht weiterhin
als
nicht erwiesen,
· dass in Österreich
64.000 Personen spielsüchtig sind
[15] und dass es hierzulande beispielsweise mehr spielsüchtige (
substanzunabhängige bzw. stoffunabhängige Verhaltenssucht) als drogenabhängige (
substanzabhängige Verhaltenssucht) Personen gibt,
· dass die Spielsucht in Österreich ein erhebliches, einen unverzüglichen staatlichen Handlungsbedarf hinsichtlich Spielerschutzmaßnahmen begründendes gesellschaftliches Problem darstellt(e), und
· dass das Glücksspiel, insbesondere das Automatenglücksspiel, tatsächlich ein echtes Kriminalitätsproblem
verkörpert(e), weil Verstöße gegen glücksspielrechtliche Bestimmungen
nur in relativ geringem Ausmaß schwere (strafgerichtlich zu ahndende)
Delikte bild(et)en; zum weitaus überwiegenden Teil handelte es sich
dagegen bloß um Ordnungswidrigkeiten, nämlich um Verstöße
gegen solche Vorschriften, die ausschließlich der effektiven Sicherung
und Aufrechterhaltung des bestehenden Monopolsystems dienen; erweist
sich jedoch dieses Regelungssystem i.S. einer petitio principii
als unionsrechtswidrig, dann kann eine Verletzung von Bestimmungen, die
zu dessen Aufrechterhaltung und Absicherung dienen, auch nicht als
rechtswidrig und schon gar nicht als kriminell qualifiziert werden;
als
erwiesen,
· dass die Staatseinnahmen aus dem Glücksspiel jährlich ca. 500 Mio. Euro betragen (und die GSpG-Konzessionäre damit zu den 5 größten steuerleistenden Unternehmen in Österreich zählen),
· dass der Spielerschutz
seit dem Inkrafttreten der GSpG-Novelle 2010 – wenngleich nicht
perfektioniert, so doch (im Wege entsprechender Auflagenvorschreibungen
an die Konzessionäre) – erheblich verbessert wurde,
· dass die Monopolinhaber eine aggressive Expansions- und Werbestrategie verfolgen, sowie
· dass der Staat, insbesondere die staatlichen Behörden die Notwendigkeit einer Monopolregelung gerade in jener Form, wie diese im GSpG verankert ist, nicht nachgewiesen
haben, sodass insbesondere nicht erkennbar ist, weshalb beispielsweise
eine strenge Konzessionsprüfung (Eigenkapitalausstattung,
Spielerschutzauflagen, Vertrauenswürdigkeit, etc.
bis hin zu hohen Verfahrensabgaben) ohne zusätzliche (auf eine
Bedarfsprüfung hinauslaufende) Beschränkung auf eine bestimmte Zahl von
Anbietern zur Zielerreichung nicht in gleicher Weise ausreichend sein
soll.
Darüber hinausgehende
(Erkundungs-)Beweise waren – schon mangels entsprechender Anträge der
Verfahrensparteien – selbst unter Bedachtnahme auf die Maßgeblichkeit
des
Amtswegigkeitsprinzips[16] nicht zu erheben.
Im
Besonderen war auch (entgegen der ursprünglich gegenteiligen Annahme
des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich selbst) die Einholung
eines
Sachverständigengutachtens schon deshalb entbehrlich, weil
die Bewertung der vom EuGH aufgestellten Kriterien hinsichtlich der
Beurteilung der Vereinbarkeit der Monopolregelungen des GSpG mit der
unionsrechtlich garantierten Dienstleistungsfreiheit kein derart
spezifisches Sachwissen erfordert, dass besondere Fachkenntnisse eines
bestimmten naturwissenschaftlichen Materienbereiches erforderlich wären;
vielmehr setzen diese Kriterien bloß eine reine Faktenerhebung voraus.
Systematisch besehen geht es also um eine Tatsachenermittlung ex post,
nämlich bezogen auf den Tatzeitpunkt, sowie um die nachträgliche
Verifizierung von Behauptungen, Absichtserklärungen und/oder Prognosen
(und zwar vornehmlich des Gesetzgebers
bzw. des Bundesministeriums für Finanzen zwecks Rechtfertigung des Glücksspielmonopols); ob
bzw. inwieweit diese jeweils für wahr zu halten sind, verkörpert dem gegenüber ausschließlich eine Frage der Beweiswürdigung.
6.
Im Besonderen wurde schließlich festgestellt, dass der Beschwerdeführer
– jedenfalls zum Tatzeitpunkt – Geschäftsführer jener
GmbH war („P
GmbH“), hinsichtlich der er als verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher
i.S.d. § 9 VStG belangt wurde. Diese
GmbH hat ihren Sitz in der Gemeinde W und der Rechtsmittelwerber selbst ist serbischer Staatsbürger.
7.
Von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung konnte schon im
Hinblick auf den von den Verfahrensparteien erklärten Verzicht, aber
auch unter Heranziehung der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte (im Folgenden auch: EGMR) zu
Art. 6
Abs.
1 EMRK abgesehen werden: Denn danach ist eine solche auch in
Strafverfahren nicht erforderlich, wenn es beispielsweise – wie im
vorliegenden Fall – bloß um Verwaltungsübertretungen geht und für die
durch die angefochtene Entscheidung belastete Partei keine gravierenden
Rechtsfolgen auf dem Spiel stehen (vgl. EGMR vom 23. November 2006,
73053/01, RN 43 und 48,
m.w.N., jüngst bestätigt
z.B. durch EGMR vom 15. Jänner 2015, 63362/09, RN 81, sowie vom 19. November 2015, 46998/08, RN 81).
III.
Rechtliche Beurteilung
1. Staatliche Eingriffsbefugnisse nach dem GSpG
1.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des GSpG (BGBl 620/1989 i.d.F. BGBl I 118/2015) laute(te)n auszugsweise:
„Verwaltungsstrafbestimmungen
§ 52.
(1) Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde in
den Fällen der Z. 1 mit einer Geldstrafe von bis zu 60.000 Euro und in
den Fällen der Z. 2 bis 11 mit bis zu 22.000 Euro zu bestrafen,
1. wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 daran beteiligt;
2. .....
(2) Bei Übertretung des Abs.
1 Z. 1 mit bis zu drei Glücksspielautomaten oder anderen
Eingriffsgegenständen ist für jeden Glücksspielautomaten oder anderen
Eingriffsgegenstand eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 Euro bis zu
10.000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren Wiederholung von
3.000 Euro bis zu 30.000 Euro, bei Übertretung mit mehr als drei
Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen für jeden
Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand eine Geldstrafe
von 3.000 Euro bis zu 30.000 Euro, im Falle der erstmaligen und weiteren
Wiederholung von 6.000 Euro bis zu 60.000 Euro zu verhängen.
(3)
Ist durch eine Tat sowohl der Tatbestand der Verwaltungsübertretung
nach § 52 als auch der Tatbestand des § 168 StGB verwirklicht, so ist
nur nach den Verwaltungsstrafbestimmungen des § 52 zu bestrafen.
(4)
..... Gegenstände, mit deren Hilfe eine verbotene Ausspielung im Sinne
des § 2 Abs. 4 durchgeführt oder auf andere Weise in das
Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen wird, unterliegen, sofern sie
nicht gemäß § 54 einzuziehen sind, dem Verfall.
(5) .....
1.2.
Nach § 168 StGB ist derjenige, der ein Spiel, bei dem Gewinn und
Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen oder das
ausdrücklich verboten ist, veranstaltet oder eine zur Abhaltung eines
solchen Spieles veranstaltete Zusammenkunft fördert, um aus dieser
Veranstaltung oder Zusammenkunft sich oder einem anderen einen
Vermögensvorteil zuzuwenden, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten
oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen, es sei denn,
dass bloß zu gemeinnützigen Zwecken oder bloß zum Zeitvertreib und um
geringe Beträge gespielt wurde.
2. Zur Frage der sachlichen Zuständigkeit der belangten Behörde
2.1. Ob der Tatbestand des § 52
Abs. 1 Z. 1 GSpG erfüllt ist, hing bis zur GSpG-Novelle BGBl I 13/2014 – nachdem der
VwGH
(nach Änderung seiner früheren Judikatur) die Auffassung vertreten
hatte, dass es auf den tatsächlich entrichteten Spieleinsatz ankäme
(vgl.
VwGH vom 22. August 2012, Zl. 2012/17/0156, u.
v.a.), von dieser Rechtsmeinung jedoch im Gefolge des
VfGH-Erkenntnisses vom 13. Juni 2013, B 422/2013, (neuerlich) wieder ausdrücklich abgegangen war (vgl.
z.B. VwGH vom 23. Juli 2013, Zl. 2012/17/0249, u.
v.a.)
– davon ab, ob es Spielern im Zusammenhang mit ihrer Teilnahme an
Ausspielungen möglich war, vermögenswerte Leistungen pro Spiel von
höchstens 10 Euro zu erbringen; war hingegen ein Einsatz von mehr als 10
Euro je Spiel möglich, so handelte es sich ex lege nicht mehr um
geringe Beträge mit der Folge, dass eine allfällige Strafbarkeit nach
dem GSpG hinter einer allfälligen Strafbarkeit nach § 168 StGB
zurücktrat.
2.2. Nach der Anordnung des § 52
Abs. 3 GSpG i.d.F. der am 1. März 2014 in Kraft getretenen (vgl. § 60
Abs.
34 GSpG) – und damit auch im vorliegenden Fall (Vorfallszeitpunkt:
21. Oktober 2015) maßgeblichen – Novelle BGBl I 13/2014 ist nunmehr
jedoch dann, wenn durch eine Tat sowohl der Tatbestand der
Verwaltungsübertretung nach § 52
Abs. 1 GSpG
als auch der Tatbestand des § 168 StGB verwirklicht ist, nur eine
Bestrafung nach den Verwaltungsstrafbestimmungen des § 52
Abs. 1 GSpG vorzunehmen.
2.3. Da sich die
GmbH
des Beschwerdeführers – auch von ihm selbst unwidersprochen – zum
Zeitpunkt der von den Exekutivorganen der Finanzpolizei vorgenommenen
Kontrolle an den Einnahmen, die mit den im verfahrensgegenständlichen
Lokal aufgestellten Glücksspielautomaten erzielt wurden, durch das
Zur-Verfügung-Stellen dieser Geräte unternehmerisch beteiligt hatte,
jedoch nicht über eine hierfür erforderliche Konzession verfügte, war
sohin der Verdacht einer Übertretung des § 52
Abs. 1 Z. 1 vierte Alternative GSpG – der zugleich nach § 52
Abs. 3 GSpG eine gerichtliche Strafverfolgung nach § 168 StGB ausschloss – gegeben.
Angesichts dessen war die belangte Behörde sohin gemäß § 52
Abs. 1 Z. 1 GSpG zur Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses sachlich (und auch örtlich) zuständig.
3. Zur Frage der Maßgeblichkeit des Unionsrechts, insbesondere der Vereinbarkeit des Glücksspielmonopols mit Art. 56 AEUV
3.1.
Hinsichtlich der Problematik, ob im vorliegenden Fall auch die
Rechtsvor-schriften der Europäischen Union – und unter diesen
insbesondere die in
Art. 56 AEUV
garantierte Dienstleistungsfreiheit – unmittelbar zum Tragen kommen,
haben sich im Ermittlungsverfahren weder Anhaltspunkte dafür ergeben,
dass der Rechtsmittelwerber Staatsangehöriger eines
EU-Mitgliedlandes ist, noch, dass die von ihm vertretene
GmbH ihren Sitz in einem derartigen Staat hat.
3.2.
Die Maßgeblichkeit des Unionsrechts für den gegenständlichen Fall ist
allerdings im Lichte der neueren Rechtsprechung des EuGH aus folgenden
Gründen dennoch zu bejahen:
3.2.1. So hat der EuGH in seinem Urteil vom 30. Juni 2016, C-464/15 (Admiral Casinos & Entertainment
AG,
EU:C:2016:500), RN 21 bis 24, explizit ausgeführt (Hervorhebungen nicht im Original):
„21 Es ist richtig, dass die Vorschriften des AEU-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr keine Anwendung auf einen Sachverhalt finden, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 2008, Kommission/Frankreich, C‑389/05, EU:C:2008:411, Rn. 49).
22 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine nationale Regelung
wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende – die unterschiedslos auf
österreichische Unternehmer und Unternehmer mit Sitz in anderen
Mitgliedstaaten anwendbar ist – im Allgemeinen zwar nur dann unter die Bestimmungen über die vom AEU‑Vertrag garantierten Grundfreiheiten fallen kann, wenn sie für Sachlagen gilt, die eine Verbindung zum Handel zwischen den Mitgliedstaaten aufweisen; es lässt sich jedoch keineswegs ausschließen, dass Unternehmer, die in anderen Mitgliedstaaten als der Republik Österreich ansässig sind, Interesse daran hatten oder haben, in diesem Mitgliedstaat Glücksspielautomaten zu betreiben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Juli 2012, Garkalns, C‑470/11, EU:C:2012:505, Rn. 21, und vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C‑367/12, EU:C:2014:68, Rn. 10).
23
Während hier, wie aus den Rn. 8 bis 10 des vorliegenden Urteils
hervorgeht, sowohl die Klägerin als auch die Beklagten des
Ausgangsverfahrens Unternehmen oder Personen sind, die ihren Sitz bzw. Wohnsitz im Hoheitsgebiet der Republik Österreich haben, sind indessen die Betreiber der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Glücksspielautomaten – obwohl sie nicht zu den Beklagten des Ausgangsverfahrens gehören – zwei Gesellschaften mit Sitz in der Tschechischen Republik bzw. in der Slowakei, denen diese Beklagten gegen Entgelt das Recht zur Aufstellung der Glücksspielautomaten in ihren Lokalen eingeräumt haben.
24 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Frage zuständig ist.“
Und in den mit RN 22 verwiesenen Entscheidungen heißt es (vgl. EuGH vom 13. Februar 2014, C
‑367/12 [Sokoll-Seebacher,
EU:C:2014:68], RN 10 bis 13, Hervorhebungen nicht im Original):
„10
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale
Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die unterschiedslos auf
österreichische Staatsangehörige und Staatsangehörige anderer
Mitgliedstaaten anwendbar ist, im Allgemeinen zwar nur dann unter die
Bestimmungen über die vom AEU‑Vertrag garantierten Grundfreiheiten fallen kann, wenn sie für Sachlagen gilt, die eine Verbindung zum Handel zwischen den Mitgliedstaaten aufweisen; es lässt sich jedoch keineswegs ausschließen, dass Staatsangehörige, die in anderen Mitgliedstaaten als der Republik Österreich ansässig sind, Interesse daran hatten oder haben, in diesem Mitgliedstaat Apotheken zu betreiben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Dezember 2013, Venturini u. a., C‑159/12 bis C‑161/12, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
11 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich zwar, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens österreichische Staatsangehörige ist und sich der Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits ausnahmslos innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats, nämlich der Republik Österreich, abspielt, doch kann die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung gleichwohl Wirkungen entfalten, die sich nicht auf diesen Mitgliedstaat beschränken.
12 Im Übrigen kann die Antwort des Gerichtshofs dem vorlegenden Gericht selbst bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt
wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen, bei dem nichts über die
Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweist, von Nutzen sein, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht vorschreibt, dass einem Inländer die gleichen Rechte zustehen wie die, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Unionsrecht zustünden (Urteil Venturini u. a., Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
13 Diese erste Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.“
bzw. schon zuvor (vgl. EuGH vom 19. Juli 2012, C
‑470/11 [Garkalns,
EU:C:2012:505], RN 20 bis 22, Hervorhebungen nicht im Original):
„20 Im vorliegenden Fall steht zwar fest, dass Garkalns ein in Lettland gegründetes lettisches Unternehmen ist und sämtliche Elemente des Ausgangsrechtsstreits innerhalb dieses einzigen Mitgliedstaats liegen. Dennoch kann die Antwort des Gerichtshofs, wie aus der Rechtsprechung hervorgeht, dem vorlegenden Gericht auch unter derartigen Umständen von Nutzen sein, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht vorschreiben sollte, dass einem inländischen Staatsangehörigen die gleichen Rechte zustehen, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Unionsrecht
zustünden (vgl. in diesem Sinne Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez,
Randnr. 39, und Urteil vom 10. Mai 2012, Duomo Gpa, C‑357/10 bis C‑359/10, Randnr. 28).
21 Außerdem kann zwar eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige, die unterschiedslos anwendbar ist, im Allgemeinen
nur dann unter die Bestimmungen über die vom AEU-Vertrag garantierten
Grundfreiheiten fallen, wenn sie für Sachlagen gilt, die eine Verbindung
zum Handel zwischen den Mitgliedstaaten aufweisen, doch lässt sich keineswegs ausschließen, dass Anbieter, die in anderen Mitgliedstaaten als der Republik Lettland ansässig sind, Interesse daran hatten oder haben, im lettischen Hoheitsgebiet Glücksspielstätten zu eröffnen (vgl. in diesem Sinne Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Randnr. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
22 Unter diesen Umständen ist das Vorabentscheidungsersuchen als zulässig anzusehen.“
Schließlich hat der EuGH diese Problematik jüngst in seinem Urteil vom 15. November 2016, C‑268/15 (Ullens de Schooten, ECLI:
EU:C:2016:874), folgendermaßen systematisiert:
„50
Zwar hat der Gerichtshof Vorabentscheidungsersuchen, bei denen es um
die Auslegung von die Grundfreiheiten betreffende Vorschriften der
Verträge ging, für zulässig erachtet, obwohl die Merkmale des
Ausgangsrechtsstreits sämtlich nicht über die Grenzen eines
Mitgliedstaats hinauswiesen, und dies damit begründet, dass sich nicht
ausschließen lässt, dass in anderen Mitgliedstaaten ansässige Staatsangehörige Interesse daran hatten oder haben, von diesen Freiheiten Gebrauch zu machen,
um in dem Mitgliedstaat, der die betreffende nationale Regelung
erlassen hat, Tätigkeiten auszuüben, und dass folglich diese
unterschiedslos auf Inländer und Staatsangehörige anderer
Mitgliedstaaten anwendbare Regelung Wirkungen entfalten kann, die sich
nicht auf diesen Mitgliedstaat beschränken (.....).
51
Des Weiteren hat der Gerichtshof ausgeführt, dass dann, wenn das
vorlegende Gericht ihn im Rahmen eines Verfahrens zur Nichtigerklärung
von Bestimmungen anruft, die nicht nur für Inländer, sondern auch für
die Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten Geltung haben, die
Entscheidung, die das vorlegende Gericht im Anschluss an das
Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs treffen wird, auch in Bezug auf die Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten Wirkungen entfalten
wird, was es rechtfertigt, dass er die ihm im Zusammenhang mit den die
Grundfreiheiten betreffenden Vorschriften des Vertrags gestellten Fragen
trotz des Umstands beantwortet, dass die Merkmale des
Ausgangsrechtsstreits sämtlich nicht über die Grenzen eines
Mitgliedstaats hinausweisen (.....).
52
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich die Auslegung der in den
Art. 49, 56 oder 63 AEUV vorgesehenen Grundfreiheiten in einer
Rechtssache, deren Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines
Mitgliedstaats hinausweisen, als relevant erweisen kann, wenn das nationale Recht dem vorlegenden Gericht vorschreibt, einem Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, zu dem dieses Gericht gehört, die gleichen Rechte
zuzuerkennen, wie sie einem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats in
gleicher Lage aufgrund des Unionsrechts zustünden (.....).
53
Dasselbe gilt in den Fällen, in denen zwar der Sachverhalt des
Ausgangsverfahrens nicht unmittelbar in den Geltungsbereich des
Unionsrechts fällt, aber die Vorschriften des Unionsrechts durch das nationale Recht,
das sich zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte, deren
Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats
hinausweisen, nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen richtete, für anwendbar erklärt wurden (.....).
54
Jedoch kann der Gerichtshof in den Fällen, auf die sich die RN 50 bis
53 des vorliegenden Urteils beziehen, dann, wenn er von einem nationalen
Gericht im Zusammenhang mit einem Sachverhalt angerufen wird, dessen
Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats
hinausweisen, und das nationale Gericht lediglich angibt, dass die
fragliche nationale Regelung unterschiedslos für die Staatsangehörigen
des betreffenden Mitgliedstaats und für die Staatsangehörigen anderer
Mitgliedstaaten gilt, nicht davon ausgehen, dass das nationale Gericht
das Ersuchen um Auslegung im Wege der Vorabentscheidung bezüglich der
die Grundfreiheiten betreffenden Vorschriften des AEU-Vertrags für die
Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits benötigt. Die konkreten Merkmale, die es ermöglichen, einen Zusammenhang zwischen dem Gegenstand oder den Umständen eines Rechtsstreits, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen des betreffenden Mitgliedstaats hinausweisen, und den Art. 49, 56 oder 63 AEUV herzustellen, müssen sich nämlich aus der Vorlageentscheidung ergeben.
55
Folglich ist es im Zusammenhang mit einem Sachverhalt wie dem im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden, dessen Merkmale sämtlich nicht über
die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, Sache des vorlegenden Gerichts, dem Gerichtshof den Anforderungen von Art. 94 seiner Verfahrensordnung entsprechend anzugeben, inwieweit der bei ihm anhängige Rechtsstreit trotz seines rein innerstaatlichen Charakters einen Anknüpfungspunkt
bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die
Grundfreiheiten aufweist, der die Auslegung im Wege der
Vorabentscheidung, um die ersucht wird, für die Entscheidung dieses
Rechtsstreits erforderlich macht.“
Zusammenfassend ergibt sich aus diesen Entscheidungen, dass ein fehlender Auslandsbezug somit
generell kein Hindernis für eine unmittelbare Maßgeblichkeit der in
Art. 49 AEUV,
Art. 56 AEUV und/oder in Art. 63 AEUV normierten Grundfreiheiten bildet, wenn
bzw. solange ein entsprechender
inhaltlicher Konnex – nämlich: potentielles Interesse eines
bzw.
potentielle Auswirkung einer gerichtlichen Entscheidung auf einen in
einem anderen Mitgliedsstaat ansässigen Unternehmer(s); umgekehrte
Diskriminierung; und/oder Implementierung des Unionsrechts durch
nationales Recht – gegeben ist.
3.2.2.
Aus dieser jüngeren Judikaturentwicklung geht somit
deutlich hervor, dass die
frühere Grenzziehung zwischen der Anwendbarkeit der
unionsrechtlichen Grundfreiheiten,
im Besonderen der Dienstleistungs- und der Niederlassungsfreiheit,
einerseits und der Zuständigkeit des EuGH in Vorabentscheidungsverfahren
gemäß Art. 267 AEUV andererseits
zunehmend aufgelöst wird. Unionsrecht, insbesondere die im
AEUV normierten Grundfreiheiten und die Garantien der
EGRC, kommt
bzw. kommen daher
nicht nur in Fällen mit einem
unmittelbaren Auslandsbezug zum Tragen:
Vielmehr reicht
auf der einen Seite ein auch
nur hypothetischer Auslandsbezug
hin, dann nämlich, wenn sich – so der EuGH – „keineswegs ausschließen“
lässt, dass auch im Ausland ansässige Unternehmer ein Interesse an der
Erlangung einer durch nationale Rechtsvorschriften eingeschränkten
Erlaubniserteilung haben könnten (vgl. oben EuGH vom 30. Juni 2016,
C-464/15 [Admiral Casinos & Entertainment
AG,
EU:C:2016:500], RN 22; vom 13. Februar 2014, C-367/12 [Sokoll-Seebacher,
EU:C:2014:68], RN 10; und vom 19. Juli 2012, C-470/11 [Garkalns,
EU:C:2012:505],
RN 20). Wenngleich man in diesem Zusammenhang auch die Auffassung
vertreten könnte, dass Ausländer, die bloß hypothetisch von einer
unionsrechtswidrigen nationalen Regelung betroffen sind, deshalb solange
nicht als schutzwürdig erscheinen, als sie noch keine konkreten, ihrer
Rechtsverfolgung dienenden Prozesshandlungen gesetzt haben, entspricht
es aber der Formulierung des
Art. 18 AEUV und des
Art. 21
Abs.
2 EGRC (vgl. jeweils: „ist verboten“ [und nicht etwa: „hat ein Recht
darauf“]) und der Judikatur des EuGH, wonach alle Gerichte die effektive
Umsetzung des Unionsrechts mit den ihnen zur Verfügung stehenden
rechtlichen Mitteln sicherzustellen haben (vgl.
z.B. EuGH vom 15. Oktober 2015, C‑581/14 [Naderhirn,
EU:C:2015:707], RN 32,
m.w.N.),
jedenfalls eher, dass das Verbot der Nichtdiskriminierung alle
staatlichen Organe unmittelbar dazu verpflichtet, entsprechende Verstöße
schon ex officio aufzugreifen.
Und
auf der anderen Seite ist selbst dann, wenn nicht einmal ein hypothetischer Auslandsbezug vorliegt (arg. „außerdem“
bzw.
„im Übrigen“), zu beachten, ob durch nationales Recht angeordnet ist,
dass inländischen Staatsangehörigen die gleichen Rechte zukommen, die
einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen
Lage kraft Unionsrecht zustünden: Trifft dies zu, dann erlangt das
Unionsrecht offenbar – gleichsam über „Vermittlung“ des
Diskriminierungsverbotes des
Art. 18 Abs. 1 AEUV – auch
in rein innerstaatlichen Fällen Geltung, um eine sog. „
umgekehrte Diskriminierung“
zu vermeiden, die darin bestünde, dass für einen Ausländer, wenn er
eine Genehmigung beantragen würde, eine unionsrechtswidrige nationale
Schrankenregelung nicht anzuwenden wäre, während diese dem gegenüber für
einen Inländer in rein innerstaatlichen Sachverhalten (zumindest bis zu
deren formeller Eliminierung durch den innerstaatlichen Gesetzgeber
oder ein nach nationalen Vorschriften hierfür zuständiges
innerstaatliches Gericht) zum Tragen käme – und dies nur deshalb, weil
de facto kein Auslandsbezug vorliegt, wobei gerade darin ebenfalls eine
Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit
i.S.d. Art. 18 AEUV
bzw. des
Art. 21 Abs. 2 EGRC läge (vgl. näher dazu auch
G. Kucsko-Stadlmayer,
in: H. Mayer – K. Stöger [Hrsg.], Kommentar zu AEUV und EUV, 2013, RN
48 ff, die zwar ebenfalls bereits eine Ausdehnung des
Anwendungsbereiches des Art. 18
Abs. 1 AEUV durch den EuGH konzediert [vgl. insbes. RN 58: „
Insgesamt ist festzuhalten, dass dem EuGH ein Mindestmaß an Verbindung eines Sachverhalts zum Unionsrecht genügt, um Art. 18 AEUV für anwendbar zu erachten“ und RN 61: „
Der
erforderliche Bezug eines Sachverhalts zum Unionsrecht wird meist als
‚Unionsbezug‘, ‚grenzüberschreitender Bezug‘ oder ‚Auslandsbezug‘
bezeichnet. Auf Grund der fortgeschrittenen Integration innerhalb des
Binnenmarktes wird das Kriterium heute zT schon auf Grund des
Unionsrechts für irrelevant erachtet (näher Epiney in Callies/Ruffert4 Art. 18 AEUV Rz 32 ff; König, AöR 1993, 594 ff; Rossi, EuR 2000, 201 f)“], im Ergebnis aber – freilich
v.a. noch vor dem Hintergrund der früheren EuGH-Judikatur – festhält [vgl. RN 26], „
dass Art. 18 AEUV nur
im ‚Anwendungsbereich der Verträge‘ zum Tragen kommt und seine Wirkung
somit auf unionsrechtlich geregelte Situationen beschränkt ist“).
3.2.3.
Angesichts dessen dürfte sich wohl die vom Obersten Gerichtshof
hinsichtlich der Problematik der „umgekehrten Diskriminierung“ in seiner
jüngeren Rechtsprechung (vgl.
z.B. OGH vom 20. Jänner 2015, 4 Ob 200/14m, und zuletzt vom 30. März 2016, 4 Ob 31/16m
u.a.)
vertretene Auffassung, die davon ausgeht, dass die Frage einer
allfälligen verfassungswidrigen Inländerdiskriminierung von einem
ordentlichen Gericht nicht aus eigenem, sondern nur vom
VfGH
beurteilt werden könne, insbesondere unter Berücksichtigung auch der
EuGH-Judikatur, wonach alle Gerichte die effektive Umsetzung des
Unionsrechts mit den ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln
sicherzustellen haben (vgl.
z.B. EuGH vom 15. Oktober 2015, C 581/14 [Naderhirn,
EU:C:2015:707], RN 32,
m.w.N.), im Ergebnis nicht
bzw.
nur mehr insoweit als maßgeblich erweisen, als es die Frage der
Verfassungsmäßigkeit der nationalen Schrankenregelung, nicht jedoch auch
insoweit, als es die Frage von deren Vereinbarkeit mit Unionsrecht
betrifft:
Denn in zivilgerichtlichen, im Besonderen:
in wettbewerbsrechtlichen Verfahren ist die als unionsrechtswidrig
erachtete Norm zwar nicht unmittelbar anwendbar (wie etwa im Falle einer
auf das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, BGBl 448/1984
i.d.g.F.
BGBl I 49/2015 [im Folgenden: UWG], gerichteten Unterlassungsklage
eines Bewilligungsinhabers gegen einen Nichtkonzessionär): Ob insoweit
eine „unlautere Geschäftspraktik oder sonstige unlautere Handlung“
i.S.d. § 1
Abs.
1 Z. 1 UWG vorliegt, ist aber danach zu beurteilen, ob
Glücksspielgeräte nur mit einer nach dem GSpG erforderlichen Konzession
oder auch ohne eine solche betrieben werden dürfen; auf diese Weise hat
daher das Zivilgericht notwendigerweise auch über die untrennbar damit
verbundene Vorfrage zu entscheiden, ob das im GSpG normierte
Konzessionssystem im Lichte des Art. 56 AEUV unionsrechtskonform ist
oder nicht, wobei im letzteren Fall das GSpG nicht anzuwenden ist (vgl.
in diesem Sinne
z.B. LG Graz vom 20. April 2016, 10 Cg 22/16w).
Hierzu bedarf es aber nicht nur keiner vorangehenden Befassung des
VfGH,
vielmehr ist einem unterinstanzlichen Gericht ein derartiger Weg – wie
aus der insoweit eindeutigen Rechtsprechung des EuGH hervorgeht – sogar
ausdrücklich verwehrt: Dieses hat die Frage der
Unionsrechtskompatibilität ausschließlich aus eigenem und ohne
vorangehende Befassung eines nach nationalem Recht allenfalls exklusiv
zur Normenkontrolle berufenen Höchstgerichts zu entscheiden (vgl.
z.B. EuGH vom 11. September 2014, C‑112/13 [A und B,
EU:C:2014:2195], RN 36 und 46, jeweils
m.w.N.; und vom 15. Oktober 2015, C 581/14 [Naderhirn,
EU:C:2015:707], RN 32,
m.w.N.).
3.2.4.
Analog gilt dies erst recht für Verfahren vor Verwaltungsgerichten,
weil hier (im Gegensatz zu einem Verfahren vor einem ordentlichen
Gericht oder im Verfahren vor dem
VwGH [vgl.
Art. 133
Abs. 5 B-VG]) das Verfassungsrecht – und im Besonderen
Art. 7
B-VG – ebenfalls einen Prüfungsmaßstab bildet.
Die
Frage einer allfälligen verfassungswidrigen Inländerdiskriminierung und
damit die Vorfrage der Unionsrechtskonformität des GSpG-Monopols ist
daher von Verwaltungsgerichten (unter den oben unter III.3.2.1. und
3.2.2. genannten Voraussetzungen) auch in Fällen mit Sachverhalten ohne
Auslandsbezug zu prüfen; als verfassungswidrig könnte sich in diesem
Zusammenhang allerdings erweisen, dass der belangten Behörde und der
Amtspartei (
bzw. dem Bundesminister
für Finanzen als oberster Behörde) gegen eine solche Entscheidung des
Verwaltungsgerichtes keine Beschwerdemöglichkeit an den
VfGH
(sondern nur ein [lediglich auf grundsätzliche Rechtsfragen
eingeschränktes] Amtsrevisionsrecht an den für Verfassungsfragen gemäß
Art. 133
Abs. 5 B‑VG allerdings explizit nicht zuständigen
VwGH) zukommt
.
3.2.5. Zusammengefasst geht der
EuGH somit hinsichtlich des
Problemdreiecks „
Prüfung
der Unionsrechtskompatibilität und Anwendbarkeit nationaler Normen –
Vereinbarkeit mit nationalem Verfassungsrecht – nationaler Instanzenzug“ offenbar von einem durch
folgende Eckpunkte gekennzeichneten Konzept aus:
1. Die
Letztkompetenz zur Beurteilung, ob eine nationale Rechtsvorschrift mit dem Unionsrecht vereinbar ist, kommt
ausschließlich dem
EuGH zu.
2.
Davon ausgehend hat jedes nationale Gericht, soweit dieses Zweifel
hinsichtlich der Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Norm mit dem
Unionsrecht hegt, einen
Vorlageantrag gemäß
Art. 267 AEUV an den EuGH zu stellen, und zwar
2.1. ex ante:
ohne zuvor ein nach nationalem Recht allenfalls exklusiv zur Normenkontrolle berufenes
Höchstgericht zu befassen sowie
2.2. ex post:
ohne diesbezüglich an die Rechtsauffassung eines anderen (allenfalls auch instanzenmäßig übergeordneten) innerstaatlichen Gerichts
gebunden zu sein.
3.
Nationalen Gerichten kommt – ungeachtet ihrer Stellung im Instanzenzug –
keine Kompetenz zur bindenden Auslegung des Unionsrechts zu; deren allfällige (Letzt-)Kompetenz zur Prüfung der Vereinbarkeit innerstaatlicher Gesetze mit der Verfassung (
VfGH) und/oder von Individualakten mit verfassungs-
bzw. einfachgesetzlichen Bestimmungen (
VfGH,
VwGH, OGH) steht damit vielmehr in
keinerlei Zusammenhang, sondern ist
völlig getrennt von der (
bzw. parallel zur) Frage der Unionsrechtskompatibilität nationaler Normen zu betrachten.
4. Allenfalls kann eine (allerdings nicht rechtlich-formale, sondern lediglich)
faktische Bindungswirkung anderer Gerichte dadurch erreicht werden, dass der Entscheidung ein
EMRK-konformes Verfahren vorausgeht und diese
inhaltlich überzeugend begründet wird. Ein durch Prinzipien wie
Bindung an den Sachverhalt,
Neuerungsverbot,
bloß kassatorische Entscheidung etc. gekennzeichnetes Verfahrenssystem entspricht jedoch
nicht den Anforderungen des
Art. 6
Abs. 1 EMRK an ein
faires Verfahren.
5. Die (verfassungs-)gesetzliche Institutionalisierung einer
zentralen Kompetenz zugunsten eines bestimmten
nationalen (Höchst-)
Gerichts zur Prüfung der Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht wäre unionsrechtswidrig
.
6. Im Falle von
einander widersprechenden Entscheidungen innerstaatlicher Gerichte
wäre – unter der Voraussetzung, dass diese Ergebnisse jeweils in einem
EMRK-konformen Verfahren erzielt wurden (was nicht vorbehaltlos
zutrifft, wenn der EuGH auf die faktische Kohärenz der nationalen Norm
abstellt, das innerstaatliche Gericht jedoch an Verfahrensprinzipien wie
oben unter 4. angeführt gebunden ist) – von einem dieser Gerichte
neuerlich ein
Vorlageantrag zu stellen
.
7. Angesichts dessen, dass vom zuständigen Gericht in der Regel
jeweils umgehend für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts in Bezug auf eine unionsrechtswidrige Inländerdiskriminierung (
bzw. „umgekehrte Diskriminierung“) zu sorgen ist, ist daher in Fällen, in denen die Unionsrechtswidrigkeit
offensichtlich auch zu einer
Verfassungswidrigkeit führt, das unionsrechtswidrige nationale Recht
im konkreten Einzelfall auch dann
nicht anzuwenden, wenn eine
entsprechende Feststellung des VfGH noch nicht vorliegt (vgl. dazu näher LVwG
OÖ vom 12. Juli 2016, LVwG-050057, S. 30
[21]).
Im
Ergebnis soll also nach der Vorstellung des EuGH offenbar an die Stelle
eines durch „Führungsabhängigkeit und unreflektierte
Verantwortungsdelegation nach oben“ geprägten Systems – zumindest im
Bereich der (unabhängigen) Gerichtsbarkeit – ein solches treten, das
durch „eigenverantwortliche Entscheidungskompetenz und inhaltliche
Überzeugung der Begründung“ gekennzeichnet ist.
3.3. Vor diesem Hintergrund sowie mit Blick darauf, dass sowohl der OGH als auch der
VwGH unter der Voraussetzung, dass die Prüfung der Frage einer verfassungswidrigen Inländerdiskriminierung exklusiv dem
VfGH
zukommt, jeweils selbst davon ausgehen, dass das unterinstanzliche
Gericht vor der Stellung eines entsprechenden Gesetzprüfungsantrages
gemäß
Art. 140
Abs. 1
B-VG
zu klären hat, ob das GSpG-Monopol in tatsächlicher Hinsicht
unionsrechtswidrig ist, wobei es hierfür gerichtlicher Ermittlungen und
Feststellungen dahin bedarf, ob die Wirkungen der Regelungen des GSpG
wirklich zu effektivem Spielerschutz und Kriminalitätsbekämpfung führen
und in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spielen
verringern (vgl.
z.B. OGH vom 21. Oktober 2014, 4 Ob 145/14y, und
VwGH vom 5. April 2016, Ra 2015/17/0063), sind somit im gegenständlichen Fall vom LVwG
OÖ von Amts wegen (
d.h.,
auch wenn der Beschwerdeführer kein diesbezügliches Vorbringen
erstattet hat) die vom EuGH vorgegebenen und in der Rechtsprechung der
drei österreichischen Höchstgerichte (
VfGH, OGH,
VwGH) jeweils übernommenen Kriterien dafür, ob das GSpG-Monopol mit der in
Art.
56 AEUV normierten Dienstleistungsfreiheit sowohl dem Grunde nach
vereinbar ist als auch im Besonderen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip
genügt, zu prüfen,
d.h.:
welche bzw. ob mit der im GSpG verankerten Monopolregelung
tatsächlich die Ziele des
erhöhten Spielerschutzes und einer
effektiven Kriminalitätsbekämpfung – und nicht etwa vorrangig jenes einer
Erhöhung der Staatseinnahmen – verfolgt werden, ob dadurch
tatsächlich und systematisch insbesondere der
Anreiz und die Gelegenheit zum Spiel verringert werden und ob die aus dem GSpG-Monopol resultierenden
Beschränkungen in ihrer Gesamtheit sowie im jeweils für sich betrachtet
verhältnismäßig sind.
3.3.1. Die Kohärenzkriterien im Detail
Denn gemäß
Art.
56 AEUV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs
innerhalb der Europäischen Union für Angehörige von Mitgliedstaaten, die
in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers
ansässig sind, grundsätzlich verboten
bzw. nur im Rahmen jener Kriterien zulässig, die sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergeben.
Im
Besonderen hat der EuGH in Bezug auf das (zumindest bislang noch) nicht
harmonisierte Glücksspielwesen in seinem Urteil vom 30. April 2014,
C-390/12 (Pfleger,
EU:C:2014:281), ausgesprochen, dass
Art.
56 AEUV in diesem Zusammenhang dahin auszulegen ist, dass er einer
nationalen Monopolregelung wie jener des GSpG entgegensteht, sofern ein
derartiges System „
nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder
der Kriminalitätsbekämpfung verfolgt und nicht tatsächlich dem Anliegen
entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum
Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität
zu bekämpfen“.
Begründend wurde dazu insbesondere
ausgeführt (vgl. näher die RN 39 bis 64 dieses Urteils), dass eine
Regelung, die den Betrieb von Glücksspielautomaten ohne vorab erteilte
behördliche Erlaubnis verbietet, eine Beschränkung des durch
Art. 56 AEUV garantierten freien Dienstleistungsverkehrs darstellt (vgl. auch EuGH vom 6. März 2007, C-338/04 [Placanica,
EU:C:2007:133], RN 42).
Daher
hat das nationale Gericht zu prüfen, ob eine solche Beschränkung im
Rahmen der Ausnahmeregelungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung,
Sicherheit oder Gesundheit, die in den nach
Art. 62 AEUV auch auf dem Gebiet des freien Dienstleistungsverkehrs anwendbaren
Art. 51 AEUV und
Art.
52 AEUV ausdrücklich vorgesehen sind, zulässig oder gemäß der
Rechtsprechung des EuGH aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses
gerechtfertigt ist (vgl. EuGH vom 19. Juli 2012, C 470/11 [Garkalns,
EU:C:2012:505], RN 35 und die dort angeführte Rechtsprechung); zu diesen Gründen zählen vor allem der
Verbraucherschutz, die
Betrugsvorbeugung und die
Vermeidung von Anreizen für die Bürger
zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen (vgl. EuGH vom 8.
September 2010, C-46/08 [Carmen Media Group, EU:C:2010:505], RN 55 m.w.N.).
Sollte sich jedoch im Zuge einer
Gesamtwürdigung ergeben, dass die Monopolregelung des GSpG
nicht wirklich das Ziel des
Spielerschutzes oder der
Kriminalitätsbekämpfung (insbes. der Betrugsvorbeugung) verfolgt und/oder
nicht tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise die
Anreize und Gelegenheiten zum Spiel verringert, sondern de facto
bloß eine Maximierung der Staatseinnahmen
intendiert und/oder die daraus resultierenden Beschränkungen nicht den
sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebenden Anforderungen an die
Verhältnismäßigkeit genügen (vgl. EuGH vom September 2011, C-347/09 [Dickinger u. Ömer,
EU:C:2011:582],
RN 54 f), wäre eine solche mitgliedstaatliche Konzeption nicht mit dem
Unionsrecht vereinbar; davon ausgehend könnte aber der Verstoß eines
Wirtschaftsteilnehmers gegen eine beschränkende nationale Regelung im
Glücksspielbereich auch
nicht zu Sanktionen führen, wenn
bzw. soweit eine solche Eingriffsnorm selbst gegen Unionsrecht verstößt (vgl.
z.B. EuGH vom 30. April 2014, C-390/12 [Pfleger,
EU:C:2014:281], RN 64).
Vor
diesem Hintergrund sind daher im Folgenden die vom EuGH aufgestellten
Kriterien zur Rechtfertigung eines Monopolsystems im Bereich des
Glücksspielwesens im Einzelnen jeweils näher zu untersuchen.
3.3.2. Spielerschutz und Suchtprävention
3.3.2.1.
Wie sich den darauf bezüglichen Gesetzesmaterialien entnehmen lässt
(vgl. 657 BlgNR, 24. GP, S. 1 und 3), sollte der Spielerschutz eine
wesentliche Zielsetzung der GSpG-Novelle BGBl I 73/2010, bilden, wenn
dort ausgeführt wird:
„Beim Automatenglücksspiel
sollen noch stärker Jugendschutz und Spielerschutz im Vordergrund
stehen. Automatensalons sowie Automaten in Einzelaufstellung sollen
unter strengen Spielerschutzbestimmungen und Aufsichtsregeln in
Landeskompetenz bleiben.“
bzw.:
„Glücksspiel
ist ein Thema von europaweitem Interesse, da es die
gesellschaftsrechtliche Verantwortung betrifft und von hoher
ordnungspolitischer Relevanz ist. Der Spielerschutz steht dabei an
erster Stelle. Auch die Europäische Kommission legt in Hinblick auf den
Bestand nationaler Monopole erhöhtes Augenmerk auf Spielsuchtprävention
(Vertragsverletzungsverfahren in einigen Staaten) und auf
Kriminalitätsabwehr.
Mit der umfassenden Änderung des Glücksspielrechts in Österreich soll insbesondere folgenden Zielen Rechnung getragen werden:
-
Jugendschutz: Dem Gesetzgeber ist es ein besonderes Anliegen, den
Schutz für die Jugend umfassend sicher zu stellen. Jugendschutz soll
daher flächendeckend bei allen Glücksspielangeboten durch
Bundeskonzessionäre und Landesbewilligungsinhaber an die erste Stelle
gereiht und umgesetzt werden (Zugangskontrolle).
-
Spielerschutz sowie soziale Sicherheit der Familien und Kinder:
Spielsucht darf nicht die soziale Sicherheit der Familien und Kinder
gefährden. Spielsucht zerstört auch Familien, indem unkontrolliert viel
Zeit mit Glücksspielen zugebracht und mitunter viel Geld verloren wird.
Je höher nämlich der Verlust, desto höher ist der Anreiz, noch mehr
einzusetzen, um den Verlust wettzumachen. Durch die Festlegung eines
Höchstgewinns und einer Mindestdauer für das einzelne Spiel, durch den
Einsatz von Warnsystemen und die Vorgabe echter Einsatzlimits soll der
Spielsucht Einhalt geboten werden können. Die Verbesserung des
Konsumentenschutzes ist damit ein wesentliches Reformanliegen.“
Spielerschutz
und Suchtprävention stellen grundsätzlich jeweils Ziele dar, die eine
Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen.
3.3.2.2.1. Bezüglich der
tatsächlichen Umsetzung dieser beiden Ziele ist in dem vom LVwG
OÖ (s.o., II.) durchgeführten Ermittlungsverfahren
einerseits zutage getreten, dass den einzelnen im Zuge der Erteilung der (insgesamt limitierten) Bewilligungen zum Zug gekommenen
Konzessionären jeweils zweckentsprechende, dem Spielerschutz und der Suchtpräventionen dienende
Maßnahmen (wie
z.B.
Mindestdauer pro Spiel, Mindestabstandsregelungen, Zutrittskontrolle,
Verbot von bestimmten Spielinhalten, Einsatz- und Gewinnlimits)
bescheidmäßig vorgeschrieben wurden, wobei die Kontrolle der Einhaltung dieser Auflagen von den staatlichen Behörden wahrgenommen wird; dass insoweit
bislang noch keine nennenswerten Beanstandungen offenbar
wurden, lässt allerdings schon auf Grund der Kürze der seit dem
Inkrafttreten der Novelle BGBl I 73/2010 (teilweise erst am 1. Jänner
2015; vgl. § 60 Abs. 25 GSpG) verstrichenen Zeit gegenwärtig noch keine
zwingenden Rückschlüsse auf die Effektivität dieser Regelungen zu, weil
aus diesem Umstand sowohl abgeleitet werden kann, dass die Konzessionäre
bislang sämtliche bescheidmäßigen Vorgaben eingehalten haben, aber
auch, dass die entsprechenden Kontrollen bisher nicht
bzw. nicht mit der gebotenen Stringenz durchgeführt wurden.
Ergänzend zu diesen bescheidmäßigen Auflagenvorschreibungen wurde beim Bundesministerium für Finanzen auch eine
Stabsstelle für Spielerschutz eingerichtet, die mit anderen Spielerschutzinstitutionen kooperiert
[22].
Andererseits ließ sich der diesen Spielerschutzmaßnahmen zu Grunde liegende
Ausgangspunkt, nämlich ein Quantum von insgesamt
64.000 (verhaltensauffällig
bzw. pathologisch)
glücksspielsüchtigen Personen
in Österreich, nicht verifizieren. Denn diese Zahl entstammt einer vom
„Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität
Hamburg“ überwiegend schon im Jahr 2010 erstellten (und nachfolgend im
Jahr 2015 konkretisierten)
Studie[23], deren
primäre Zielsetzung in der Erstellung einer
wissenschaftlichen Basis für
künftige Glücksspielpräventionsmaßnahmen bestand
[24].
Konkret wurde dieser Anteil derart ermittelt, dass in sämtlichen neun
Bundesländern (bloß) aus der Menge aller deutsch sprechenden
Österreicher der Altersgruppe zwischen 14 und 65 Jahren (insgesamt
5,836.144 weibliche und männliche Staatsbürger) jeweils
ca.
700 Personen pro Bundesland ausgewählt und mit diesen eine telefonische
Umfrage (als sog. „Repräsentativbefragung“ bezeichnet) durchgeführt
wurde; von den sonach
insgesamt 6.324 Befragten gaben
27 Personen (≈
0,43%) an, (nach
eigener subjektiver Bewertung entsprechender Testkriterien) ein
problematisches Spielverhalten,
bzw. 41 Personen (≈
0,65%) an, ein
pathologisches Spielverhalten aufzuweisen;
zusammen genommen 68 Personen qualifizierten sich demnach
im Wege einer eigenen subjektiven Einschätzung als „spielverhaltensproblematisch“
bzw. „pathologisch spielsüchtig“, während „
die weit überwiegende Mehrzahl der an Glücksspielen teilnehmenden Personen“ – nämlich insgesamt
98,91%, wobei auf
97,23% der Befragten
überhaupt keines der insgesamt 10 Kriterien des „Diagnostischen und statistischen Manuals psychischer Störungen“ (sog. DSM-IV-Kriterien
[25]) zutraf
(!)[26] – „
keine spielbezogenen Probleme zeigt(e)“
[27].
Statistisch hochgerechnet ergäbe dies einerseits eine absolute Zahl von
ca. 25.096
bzw. von
ca. 37.935 Personen – und damit insgesamt von
ca. 63.031 Personen (≈
1,1% der
Gesamtmenge) –, die sich
subjektiv als
verhaltensauffällige bzw. pathologische Spieler einschätzen, denen andererseits
5,772.530 Personen ohne jegliche Spielprobleme gegenüberstünden.
Seither wird diese bloß statistisch errechnete Gesamtanzahl von „64.000 Spielsüchtigen“
allseits unreflektiert weitertradiert, beispielsweise auch in den „Factsheets Sucht“
[28] des „Instituts Suchtprävention (IS) pro mente Oberösterreich“
[29]
(aktuell: Version 2.4 vom 17. Juni 2016, S. 5), obwohl sich dort
zumindest einerseits die Feststellung findet, dass es sich um „
die erste repräsentative telefonische Befragung der österreichischen Bevölkerung (im Alter von 14 bis 65 Jahren)“ handelte, deren Ergebnisse „
eine 2015 durchgeführte Folgebefragung ..... bestätigt“ hat und andererseits kritisch klargestellt wird, dass „
der Begriff ‚Abhängigkeit‘ ..... in dieser Allgemeinheit nicht unproblematisch [ist]
, da er in den verschiedenen Verhaltens- und Suchtbereichen eine jeweils andere Bedeutung
besitzt und sich unter diesem Begriff unterschiedlichste Problematiken
versammeln. Insbesondere bei Alkohol und Nikotinzahlen zielen die oben
angeführten Zahlen eher auf körperliche Abhängigkeit, während die Verhaltenssüchte von Natur aus in rein psychischer Abhängigkeit begründet sind.“ (vgl. S. 4, FN 1). Von einer solchen in Bezug auf
Glücksspiel als „
rein psychischer Abhängigkeit“ ausgehend kann es daher auch kaum überraschen, dass die Absolutzahl an (pathologisch) Spielsüchtigen (38.000),
v.a.
aber die vom IS ebenfalls erhobene Anzahl an Kauf- (565.000) und
Medikamentensüchtigen (90.000 bis 130.000) beispielsweise die absolute
Anzahl an (
physisch) Drogenabhängigen (28.000 bis 29.000) überwiegt (vgl. S. 5 und 6).
Nicht überzeugend erscheint daher
v.a.
die dem „Glücksspielbericht 2010-2013“ des Bundesministers für Finanzen
zu Grunde liegende Methode, aus einer telefonischen Umfrage mit 6.300
Personen, in der
insgesamt bloß 68 Befragte – und noch dazu
subjektiv sowie auf Basis von
keinesfalls präzisen sowie
kaum objektivierbaren Kriterien[30]
– ein auffälliges oder sogar pathologisches Spielverhalten angegeben
haben, darauf zu schließen, dass es in Österreich nicht nur
statistisch-prognostisch, sondern
tatsächlich insgesamt 64.000
spielsüchtige Personen in der Altersgruppe zwischen 14 und 65 Jahren
geben soll. Vielmehr handelt es sich insoweit bloß um einen
rein fiktiven mathematischen Wert, hinsichtlich dessen seit der überwiegend im Jahr 2010 durchgeführten Erhebung lediglich
ein weiterer Versuch einer nachfolgenden Verifizierung
unternommen wurde, nämlich im Wege der Studie „Glücksspielverhalten und
Glücksspielprobleme in Österreich – Ergebnisse der
Repräsentativerhebung 2015“ des Hamburger Instituts für
interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung. Diese mit denselben
Methoden durchgeführte Untersuchung gelangte zum Ergebnis, dass „
in Österreich aktuell zwischen 27.000 bis etwa 46.000 Personen“
also sogar weniger als 64.000 – „
spielsüchtig“ sein dürften (vgl. S. 24 f).
Dazu kommt, dass beispielsweise auch aus dem Jahresbericht 2015 des Vereines „(Wiener) Spielsuchthilfe“ hervorgeht
[32], dass 485 Personen diesen telefonisch um Hilfe ersucht haben (was eine Reduktion gegenüber dem Vorjahr bedeutete) und dessen
Online-Beratungen
im Berichtsjahr lediglich 339 Personen (gegenüber noch 359 Personen im
Jahr 2012) in Anspruch genommen haben; auch die von dieser Institution
persönlich betreuten Klienten ist von 910 (= Spitzenwert im Jahr 2009)
auf 643 Personen (davon 483 Spieler [Rest: Angehörige] und unter diesen
bloß 173 Neufälle) gesunken. Dass damit insgesamt
lediglich ca. 1% der (vermeintlich) Spielsüchtigen sowie der zu diesen in einer Nahebeziehung stehenden Personen (
v.a. Ehe- und Lebenspartner, Eltern, Kinder,
etc.)
die zudem überwiegend kostenlosen Unterstützungsangebote der
Spielsuchthilfe in Anspruch genommen haben sollen, erscheint aber
schlechthin nicht nachvollziehbar.
Objektiv besehen vermag sich daher die
Zahl von 64.000 spielsüchtigen Personen nicht auf eine
nachvollziehbare faktische Untermauerung zu gründen und
kann daher auch
nicht als erwiesene Tatsache einer gerichtlichen Entscheidung zu Grunde gelegt werden
[33];
als erwiesen kann
vielmehr bloß angesehen werden, dass sich dieser Studie zufolge
insgesamt 68 Personen selbst als spielsüchtig eingeschätzt haben.
Da
sonstige diesbezügliche Nachweise weder vorgelegt wurden noch erkennbar
sind, geht das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich somit
bis zum Beweis des Gegenteils (der den staatlichen Behörden obliegt) davon aus, dass es sich bei der Zahl von 64.000 spielsüchtigen Personen
lediglich um eine
unbelegte Vermutung handelt.
Davon
ausgehend (also auf einer Basis von bloß 68 Personen, die sich im Zuge
eines telefonischen Interviews selbst als pathologisch süchtig
bzw. verhaltensauffällig glücksspielend eingeschätzt haben) ist
im Ergebnis zu konstatieren, dass die
Spielsucht in Österreich
weder zum Zeitpunkt der Erlassung der einen maßgeblichen Systemwechsel intendierenden
GSpG-Novelle 2010 (BGBl I 73/2010)
noch gegenwärtig ein
überdurchschnittlich maßgebliches oder gar
gesamtgesellschaftlich relevantes Problem darstellt(e), das ein
unabdingbar gebotenes und unverzügliches Einschreiten des Gesetzgebers oder der staatlichen Behörden erfordert hätte oder erfordern würde.
Gegenteiliges würde im Übrigen
auch dann nicht gelten, wenn man die Zahl von
64.000 spielsüchtigen Personen als
tatsächlich zutreffend unterstellt, weil auch diese nicht über einen
Anteil von bloß 1,1% der in Betracht gezogenen Bevölkerungsgruppe hinauskommen würde.
3.3.2.2.2. Vor einem derartigen Hintergrund
vermindert sich aber die
Plausibilität, dass beginnend mit der GSpG-Novelle BGBl I 73/2010
tatsächlich primär diese Ziele verfolgt werden
sollten und sie nicht vielmehr bloß als ein andere Prioritäten
rechtfertigender und/oder aus jenen resultierender Nebeneffekt anzusehen
sind,
ganz erheblich, insbesondere, wenn man in diesem
Zusammenhang wiederum die geringe Zahl an feststehenden sachadäquaten
Anlassfällen sowie den Umstand in Betracht zieht, dass die Suchthilfe
nicht einmal vom Staat, sondern von den Konzessionären (denen zudem auch
alle übrigen Kosten der Totalausgliederung aufgebürdet wurden) selbst
finanziert wird
[34].
Dies
gilt im Übrigen selbst dann, wenn man die Schlussfolgerungen des vom
Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin vorgelegten, von der Psychologin
Malgorzata Zanki verfassten „
Manuskript(s) Suchtprävention“ – wonach die
Spielerschutzbestimmungen des GSpG seit 2010
kaum tatsächliche Wirkung entfaltet und vor allem
nicht zu einem effektiven Rückgang der Spielsucht geführt haben sollen – als
nicht zutreffend unterstellt.
In diesem Zusammenhang ist überdies darauf hinzuweisen, dass auch die als „Glücksspielverhalten und Glücksspielprobleme in Österreich – Ergebnisse der Repräsentativerhebung 2015“ bezeichnete Studie (im Folgenden kurz: „Glücksspielstudie 2015“) des in Hamburg situierten Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) zu der generellen Schlussfolgerung kommt, dass sich das Glücksspielverhalten der österreichischen Bevölkerung im Zeitraum zwischen 2009 und 2015 nicht maßgeblich verändert
habe (S. 16): Speziell bezogen auf Glücksspielgeräte habe sich gezeigt,
dass in diesem Zeitraum das Automatenglücksspiel außerhalb von Casinos
sogar leicht – nämlich von 1,2% auf 1,0% – gesunken sei und diese
Spielform weiterhin in einem auffälligen Missverhältnis zu den
beliebtesten Glücksspielarten („Lotto 6 aus 45“: 33,0%; „Joker“: 14,3%;
„Euromillionen“: 13,2%; „Rubbellose“: 8,7%) stehe (S. 17 f). Im Übrigen
erfülle die weit überwiegende Mehrzahl (nämlich 97,2%) aller Befragten
keines und 1,7% der Stichprobenteilnehmer bloß ein oder zwei der
insgesamt zehn Kriterien des „Diagnostischen und Statistischen Manuals
Psychischer Störungen“ (vgl. S. 12), was einem riskanten Spielverhalten
entspreche; ca. 0,5% der Teilnehmer
würden durch Glücksspiel bedingte Probleme (= Erfüllung von drei oder
vier DSM-IV-Kriterien) und 0,6% ein pathologisches Spielverhalten (=
Erfüllung von mindestens fünf DSM-IV-Kriterien) aufweisen, woraus zu
schließen sei, dass – zusammengerechnet – (höchstens) „1,1% aller Österreicher/innen (14 bis 65 Jahre) über ein problematisches oder pathologisches Spielverhalten verfügen“ würden, „das sind“ – mathematisch hochgerechnet (!) – „etwa 64.000 Personen“ (S. 23). Dabei könne es sich allerdings „immer nur um eine Schätzung der tatsächlichen Verhältnisse“ handeln; auf Grund dieser sei davon auszugehen, dass – wie auch bereits im Jahr 2009 – „in Österreich aktuell zwischen 27.000 bis etwa 46.000 Personen spielsüchtig“
sein dürften (S. 24 f). Allerdings sei bei jenen Befragten, die an
Automaten außerhalb von Casinos – also an solchen, die in Spielhallen,
Gaststätten oder Tankstellen aufgestellt sind – spielten, der Anteil an
nicht bloß problematischen, sondern sogar pathologischen Spielern (=
Erfüllung von drei oder vier DSM-IV-Kriterien) als signifikant hoch,
nämlich mit 21,2%, zu qualifizieren, während sich dem gegenüber der
Vergleichswert für Automatenglücksspiel in konzessionierten Salons der
Casinos Austria AG als eher
gering (4,4%) ausnehmen würde (S. 28 f). Unter einer Auswahl von 13
suchtpräventiven Maßnahmen kämen ein Spielverbot unter 18 Jahren (89%),
eine spielartübergreifende Sperre (83%) bzw.
eine Reduzierung der Werbung (70%) auf die höchsten Akzeptanzwerte,
während das staatliche Glücksspielmonopol und ein Alkoholverbot in
Spielstätten (jeweils unter 50%) sowohl in der Bevölkerung als auch
unter den Spielern selbst auf die geringste Resonanz stoßen würden
(S. 30 ff).
Ungeachtet
dessen, dass das ISD auch nach der Rechtsordnung jenes Staates, in dem
dieses seinen Sitz hat (BRD), nicht als eine öffentlich-rechtliche
Einrichtung, sondern als privater Verein zu qualifizieren ist,
wurde – sieht man davon ab, dass die im Zeitraum zwischen Jänner und
Juni 2015 durchgeführte Befragung nunmehr 10.000 Personen (2009: 6.300
Personen) im Alter zwischen 14 und 65 Jahren im Rahmen einer (allerdings
bloß telefonisch erhobenen) Stichprobe erfasste (S. 8 f) – bei
der Erstellung der Glücksspielstudie 2015 wieder auf dieselbe Methodik
zurückgegriffen, die bereits der Repräsentativerhebung 2009 zu Grunde
lag (S. 8 ff).
Berücksichtigt man weiters, dass die Glücksspielstudie 2015 selbst zu dem Ergebnis kommt, dass „sich das Glücksspielverhalten der österreichischen Bevölkerung seit dem Jahr 2009 nicht stark verändert“ hat (S. 3 und 16) und geschätzt in Österreich aktuell lediglich „zwischen 27.000 bis etwa 46.000 Personen spielsüchtig“
sein dürften (S. 24 f), bietet dieses Beweismittel für das erkennende
Gericht sohin keine Veranlassung dazu, seine bisherige Würdigung der
Frage, ob das im GSpG normierte Monopolsystem dem Unionsrecht entspricht
(vgl. z.B. die oben unter Pkt. II.2. angeführte Entscheidung m.w.N.), einer Revision zu unterziehen.
Dazu
trägt insbesondere auch der Umstand bei, dass in der Glücksspielstudie
2015 überwiegend bloß prozentuelle Anteile angeführt, die daraus zu
ziehenden Schlüsse hingegen nicht einmal angedeutet, geschweige denn
nachvollziehbar begründet und somit die entscheidenden Fragen im
Ergebnis vielfach nicht gelöst, sondern offen gelassen werden: So könnte
beispielsweise (und stellvertretend für Vieles) aus der Angabe, dass
das Automatenglücksspiel außerhalb von Casinos zwischen 2009 und 2015
leicht – nämlich von 1,2% auf 1,0% – gesunken ist, sowohl abgeleitet
werden, dass dies möglicherweise als eine positive Konsequenz der
verstärkten finanzpolizeilichen Kontrollen anzusehen ist, aber auch,
dass sich Letztere im Gegenteil wegen des kaum quantifizierbaren
Erfolges gesamthaft betrachtet als ineffektiv erwiesen haben. Außerdem
haben auch im Rahmen dieser Untersuchung lediglich 1,1% aller Befragten –
also absolut besehen: 110 Personen – und diese zudem nur auf Grund
einer Eigeneinschätzung angegeben, „mehr oder weniger stark
spielsüchtig“ zu sein, sodass die aus einer bloßen Selbstreflexion
abgeleitete Schlussfolgerung, dass „in Österreich aktuell zwischen 27.000 bis etwa 46.000 Personen spielsüchtig“ sein dürften, lediglich ein abstraktes Rechenexempel verkörpert, das jeglicher faktischer Verifizierbarkeit entbehrt.
Und selbst wenn man die in dieser Studie erstellten Prognosen und Schlussfolgerungen als vorbehaltlos zutreffend unterstellen würde, vermag dies nichts daran zu ändern, dass von der darin als „Spielsucht“ apostrophierten Problematik lediglich ein äußerst geringer Bevölkerungsanteil – nämlich bloß 1,1% – betroffen ist.
3.3.2.2.3.
Diese Feststellung schließt es freilich nicht aus, von staatlicher
Seite den Spielerschutz sowie die Suchtprävention dennoch zu einer
vorrangigen Aufgabe zu erklären, weil es grundsätzlich innerhalb des
rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers
bzw.
der Behörden liegt, im Rahmen der dem Staat insgesamt zur Besorgung
zukommenden Aufgaben allenfalls auch solche als prioritär zu
qualifizieren, hinsichtlich denen objektiv besehen keine zwingende
Vordringlichkeit besteht. In diesem Zusammenhang erscheinen –
abstrahiert von der Frage ihrer Notwendigkeit – die im GSpG vorgesehenen
Maßnahmen (wie
z.B. Einrichtung einer
Spielerschutzstabsstelle und verpflichtende Zusammenarbeit mit
Spielerschutzeinrichtungen, Zutrittssysteme und Zugangskontrolle,
Mindestdauer pro Spiel, Verbot bestimmter Spielinhalte, Einsatz- und
Gewinnlimits, Verbot parallel laufender Spiele, Abkühlphase,
Mindestabstandsregelungen, Schulungskonzepte für Mitarbeiter,
etc.)
auch weder als prinzipiell ungeeignet noch als unverhältnismäßig, um
die zum Regelungszweck des GSpG erklärten Ziele „Spielerschutz und
Suchtprävention“ auch tatsächlich zu erreichen.
3.3.2.2.4. Allerdings
fehlt es bei einer
Gesamtbetrachtung der dargestellten Fakten an
jeglicher Plausibilität und damit an
jeglicher sachlichen Rechtfertigung, weshalb für einen
so geringen Bevölkerungsanteil ein
derart unverhältnismäßiger legistischer und administrativer Aufwand betrieben werden sollte; dies ganz abgesehen davon, dass
konkrete Spielerschutzmaßnahmen erst seit der GSpG-Novelle 2010 – und zwar
in offensichtlicher Reaktion auf die einschlägige neuere EuGH-Judikatur (vgl. die zuvor bereits mehrfach angeführten Rs. „Dickinger und Ömer“ sowie „Pfleger“)
gesetzlich vorgeschrieben sind.
Im Übrigen lässt sich
mangels entsprechender Belege hierfür auch
nicht verifizieren, ob – und wenn ja, in welchem Ausmaß – sich diese auch
tatsächlich als
effizient erweisen.
3.3.3. Kriminalitätsbekämpfung und Kriminalitätsvorbeugung
Diesbezüglich lässt sich zunächst dem „Glücksspiel Bericht 2010-2013“
[39]
entnehmen (vgl. S. 34 f), dass die Bekämpfung des illegalen
Glücksspiels de facto auf mehreren Ebenen erfolgen soll, indem nach der
Neuordnung des Glücksspiels (BGBl I 73/2010) zur Jahresmitte 2010 eine
eigenständige „
SOKO Glücksspiel“ ins Leben gerufen und diese im Jahr 2013 in die
Finanzpolizei übergeführt wurde. Im Rahmen ihrer neuen Kontrolltätigkeiten und Befugnisse habe die Finanzverwaltung
bis Ende 2013 über 6.000 vorläufige Beschlagnahmen
(Glücksspielgeräte und sonstige Eingriffsgegenstände) durchgeführt. Die
von der Finanzpolizei vorgenommenen Kontrollen und der dadurch aufrecht
erhaltene
hohe Verfolgungsdruck hätten zu einer
Vielzahl von Verwaltungsstrafverfahren geführt, denen seitens illegaler Betreiber allerdings eine „
Flucht ins Strafrecht“
gegenüberstehe, weil in jenem Bereich kaum Verurteilungen wegen § 168
StGB zu befürchten seien. Dieser Verfolgungsdruck habe bis zum Sommer
2013 aufrechterhalten werden können; nach dem zu diesem Zeitpunkt
erfolgten Judikaturwechsel bezüglich der Abgrenzung zwischen § 168 StGB
und § 52 Abs. 1 GSpG seien die Kontrollen im Bereich des Glücksspiels
gemeinsam mit der Kriminalpolizei vorgenommen worden.
Ergänzend dazu heißt es in den Gesetzesmaterialien zur GSpG-Novelle BGBl I 14/2013, mit der die bis dahin maßgebliche
Subsidiarität der verwaltungsbehördlichen Strafbestimmung des § 52
Abs. 1 GSpG gegenüber dem gerichtliche strafbaren Tatbestand des § 168 StGB
ins Gegenteil verkehrt wurde,
u.a. (vgl. die E zur RV, 24 BlgNR, 25. GP, S. 22):
„Die
Erfahrungen aus dem bisherigen Vollzug der zuständigen
Verwaltungsbehörden zeigen die Wirksamkeit und Effektivität des
gewählten Modells. In den Jahren 2010 bis 2012 kam es erstinstanzlich zu
638 Verurteilungen, 1.195 Beschlagnahmen und 164 Einziehungen, die
rechtskräftig in zweiter Instanz zu 478 Verurteilungen, 1.125
Beschlagnahmen und 58 Einziehungen führten. Im Jahr 2012 gab es
demgegenüber nur zwei gerichtliche Verurteilungen nach § 168 StGB, in
beiden Fällen wurde jeweils eine Geldstrafe verhängt, im Jahr 2011 gab
es elf gerichtliche Verurteilungen nach § 168, die zu insgesamt sieben
Geldstrafen, jeweils einer bedingten und teilbedingten Freiheitsstrafe
sowie zu zwei anderen Sanktionen führten (Statistik Austria,
Gerichtliche Kriminalstatistik 2011 und 2012). Vor diesem Hintergrund
wird deutlich, dass die Umkehr der bisherigen Subsidiaritätsregel zu
keiner ‚Entkriminalisierung‘ führt.“.
Schon daraus geht aber jeweils übereinstimmend hervor, dass das illegale Glücksspiel in Österreich
weder vor den mit BGBl I 73/2010 begonnenen Modifikationen des GSpG noch seither ein
Kriminalitätsproblem der Art bildeten, dass daraus eine
zwingende Notwendigkeit resultierte,
i.S.d. Judikatur des EuGH
vorrangig einen Schutz der Spieler vor Betrug und anderen Straftaten zu gewährleisten (vgl.
z.B. EuGH vom 15. September 2011, C‑347/09 [Dickinger u. Ömer,
EU:C:2011:582], RN 52). Denn bei
insgesamt bloß 18 Verurteilungen in einem
Zeitraum von drei Jahren[41] kann
offenkundig kaum von einem
echten Kriminalitätsproblem i.S.d. vom EuGH gemeinten,
bloße Ordnungswidrigkeiten nicht einschließenden Begriffsverständnis (s. dazu gleich unten) gesprochen werden.
Gegenteiliges lässt sich auch der vom Bundesministerium für Finanzen im Glücksspielbericht 2010-2013 bezogenen Studie von
J. Köberl und
F. Prettenthaler[42]
nicht entnehmen; denn von jenen von diesen Autoren angeführten
insgesamt 74 Fällen von Beschaffungskriminalität in den Jahren 2006 und
2007 lassen sich auch nach deren eigenem Vorbringen
[43] lediglich 17 als solche qualifizieren, in denen
zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit die „
Glücksspielsucht als
alleiniges Motiv“ für die Begehung schwerer Straftaten (wie Raub, Betrug, Einbruch,
etc.) in Betracht kam
[44].
Selbst
wenn man diese Zahlen vorbehaltslos als zutreffend unterstellen würde,
ergibt sich schon allein daraus, insbesondere aber in Verbindung mit der
durch die GSpG-Novelle BGBl I 13/2014 vorgenommenen Umkehrung der
bisherigen Subsidiaritätsregel (vgl. § 52
Abs. 3 GSpG), hinsichtlich der der
VfGH in seiner Entscheidung vom 10. März 2015, E 1139/2014, der Sache nach (neuerlich) betont hat, dass das
behördliche im Verhältnis zum gerichtlichen Strafrecht mit Blick auf das wesentlich geringere Höchstausmaß einer potentiell drohenden Freiheitsstrafe die
deutlich weniger einschneidende Maßnahme darstellt (in diesem Sinne auch
z.B. schon EGMR vom 23. November 2006, 73053/01, RN 43 [„hard core of criminal law“ – „administrative penalties“]), für das LVwG
OÖ, dass das Automatenglücksspiel in Österreich
zu keiner Zeit ein echtes sicherheitspolitisches Problem darstellte.
Dazu kommt, dass auch der
EuGH (vgl.
z.B. dessen Urteil vom 31. März 2011, C‑347/09 [Dickinger u. Ömer,
EU:C:2011:582], RN 84,
m.w.N.) unter „
Kriminalität“
nicht bloße Verstöße gegen
ordnungspolitische und/oder Monopolsicherungsvorschriften, sondern vielmehr – allenfalls damit im Zusammenhang stehende –
erhebliche Eingriffe in die Rechtssphäre anderer Personen, insbesondere der
Spieler und deren
Angehöriger, versteht.
Das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich erachtet es daher als
erwiesen, dass
de facto beide „Systemnovellierungen“ des GSpG (BGBl I 73/2010 und BGBl I 13/2014)
keine „
Entkriminalisierung“
in jenem Sinne, wie diese vom EuGH gefordert wird, intendiert haben.
Denn gesamthaft betrachtet bildete die weitaus überwiegende Anzahl der
geahndeten Vergehen (638 Straferkenntnisse, 1.195 Beschlagnahmen und 164
Einziehungen der Verwaltungsstrafbehörden, von denen 478
Straferkenntnisse, 1.125 Beschlagnahmen und 58 Einziehungen im
Rechtsmittelweg bestätigt wurden)
bloße Ordnungsverstöße, die auf einer Nichtbeachtung von Vorschriften zur Sicherung des Monopolsystems selbst beruhten,
nicht aber davon losgelöste echte Fälle von mittlerer und schwerer (insbesondere Beschaffungs-)Kriminalität.
Überdies lässt sich deutlicher als dadurch, dass der Gesetzgeber parallel dazu dem
gerichtlich strafbaren Tatbestand
– als dem vergleichsweise gravierenderen Delikt – mit der Novelle BGBl I
13/2014 bewusst jeglichen Anwendungsbereich entzogen hat, wohl kaum zum
Ausdruck bringen, dass das
Glücksspiel für den österreichischen Staat in Wahrheit
kein kriminal- und sicherheitspolitisch relevantes Problem darstellt, zumal die
Effizienzsteigerung der verwaltungsbehördlichen Strafverfolgung
nicht als eine primär-ursprüngliche Notwendigkeit, sondern bloß als
eine aus der Einrichtung des Monopolsystems zu dessen weiterer
Aufrechterhaltung erforderliche und sohin gleichsam selbst (künstlich)
geschaffene
bzw. systematisch
zwangsläufig resultierende Folgewirkung
qualifiziert werden muss (wobei sich in diesem Zusammenhang zudem auch
noch die Frage der Verhältnismäßigkeit der damit verbundenen umfassenden
[wegen fehlender Richtervorbehalte teilweise bereits an der Grenze des
rechtsstaatlich noch Vertretbaren liegenden] Eingriffsbefugnisse
stellt).
Insgesamt besehen erscheint es daher auf Grund der
festgestellten faktischen Gegebenheiten, nämlich der
geringen Zahl an sachadäquaten Anlassfällen,
nicht als plausibel,
dass die Monopolregelung des GSpG
tatsächlich der
Kriminalitätsbekämpfung und
Kriminalitätsvorbeugung, im Besonderen der Hintanhaltung von
Betrugsdelikten gegenüber den Spielern selbst und der
Eindämmung von Beschaffungskriminalität dient.
3.3.4. Kohärente Reduktion von Spielanreizen, Kanalisierung der Spielgelegenheiten und maßvolle Werbung
3.3.4.1.
Der (zunächst bloß vorläufigen) Überzeugung des Verwaltungsgerichtes
des Landes Oberösterreich, dass die Geschäftspolitik der Inhaber
bundesrechtlicher Konzessionen (Casinos Austria
AG und Österreichische Lotterien
GmbH;
andere Bewilligungsinhaber für Spielbankenkonzessionen sowie
Konzessionäre auf Grund einiger landesrechtlicher Vorschriften müssen in
diesem Zusammenhang hingegen vorläufig außer Betracht bleiben, weil
sich jene gegenwärtig noch in der „Startphase“ ihrer
Unternehmertätigkeit befinden
), im Besonderen deren
Werbemaßnahmen, grundsätzlich
aggressiv darauf ausgerichtet sind, zum Spielen der von den beiden Hauptkonzessionären angebotenen Glücksspielarten zu animieren,
geradezu notorisch
ist – wie jeder willkürliche Blick in ein zufällig ausgewähltes Print-
oder elektronisches Medium, insbesondere jede Konsumation von durch
entsprechend aufdringliche Werbeintervalle unterbrochenen Fernseh- und
Hörfunkprogrammen zur sog. „Prime-Time“ zeigt –, wurde auch von den
Verfahrensparteien nicht entgegengetreten.
Im Übrigen
ist hierzu auch auf die Beschlüsse
des
OGH vom 28. Juni 2016, 2 Ob 92/15s, und vom 30. März 2016, 4 Ob 31/16m
(siehe dazu näher unten, III.3.4.1.), sowie auf die entsprechenden
Feststellungen zahlreicher Zivilgerichte (vgl.
z.B. LG Graz vom 20. April 2016, 10 Cg 21/16y) zu verweisen, während sich dieser Feststellung
widersprechende Fakten weder dem Erkenntnis des
VfGH vom 15. Oktober 2016, E 945/2016, noch der dort bezogenen Judikatur des
VwGH oder anderer Einzelrichter des LVwG
OÖ entnehmen lassen.
Im Zuge der sog. „
Startphase“ (die insoweit in etwa mit dem ersten Viertel bis ersten Drittel der faktischen Laufzeit der Konzession anzusetzen ist
[46]) würde sich eine
expansionistische Geschäfts- und Werbestrategie aus der Sicht des erkennenden Richters des LVwG
OÖ im Ergebnis zwar deshalb nicht als unzulässig und damit auch
nicht als unionsrechtswidrig
erweisen, weil eine wesentliche – und vom EuGH auch anerkannte –
Stoßrichtung eines Monopolsystems auf diesem (bislang noch) nicht
harmonisierten Sektor darin liegt, die angesprochenen Zielgruppen vom
illegalen Glücksspiel hin zu den erlaubten Glücksspielanbietern und
-arten zu lenken.
Anzumerken ist hierzu allerdings, dass sich aus den von den Verfahrensparteien vorgelegten Beweismitteln
nicht ergeben
hat – und für das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich auch
sonst nicht feststellbar ist –, dass gegenwärtig bereits gezielte
Werbeaktivitäten in der Richtung existieren, dass im vorgenannten Sinn
speziell auch das
Automatenglücksspiel in
legale Bahnen gelenkt wird.
Sollte sich Derartiges auch
nach dem Ende der Startphase –
d.h. spätestens bis
Jahresende 2017 – noch nicht deutlich herauskristallisiert haben, so würde sich insoweit aber wohl kaum tatsächlich eine effektive Um-
bzw. Hinlenkung zu erlaubten Glücksspielanbietern und ‑arten belegen lassen.
3.3.4.2.
Schließlich ist im Besonderen auch noch darauf hinzuweisen, dass bis
dato in Wien, Salzburg, Tirol und Vorarlberg von der Ermächtigung des § 5
GSpG immer noch kein Gebrauch gemacht wurde.
Somit besteht aber offensichtlich in allen diesen österreichischen Bundesländern – und damit in Bezug auf
40% der österreichischen Bevölkerung –
keinerlei faktische Notwendigkeit, das
Automatenglücksspiel im Interesse des Spielerschutzes und der Kriminalitätsvorbeugung
in legale Bahnen zu lenken!
3.3.5. Staatseinnahmen
Bereits im Zuge des Vorabentscheidungsverfahrens zum Fall „Pfleger“ (vgl. EuGH vom 30. April 2014, C‑390/12 [ECLI:
EU:C:2014:281])
wurde auch von der österreichischen Bundesregierung gar nicht in Abrede
gestellt (wenngleich dort bloß als ein „erfreulicher Nebeneffekt“
bezeichnet), dass die Beibehaltung des Monopolsystems zu einer Sicherung
von Staatseinnahmen in einem nicht unerheblichen Ausmaß (von
ca. 500
Mio. Euro jährlich) führt
[48].
Gleiches lässt sich auch aus den Gesetzesmaterialien zur GSpG-Novelle BGBl 73/2010 ableiten, wenn dort
u.a. festgestellt wird (vgl.
z.B. 657 BlgNR, 24. GP, insbes. S. 1, S. 3 ff und S. 11 f):
„Automatensalons
sowie Automaten in Einzelaufstellung sollen unter strengen
Spielerschutzbestimmungen und Aufsichtsregeln in Landeskompetenz
bleiben. Sie werden mit einer geteilten Abgabe belegt. ..... Die
Automaten und Video Lotterie Terminals (VLT's) werden einer geteilten
Abgabe unterworfen und die bisherigen Erlaubnisländer erhalten
gesetzlich garantierte Mindesteinnahmen. ..... Es wird ..... davon
ausgegangen, dass das Aufkommen inkl. Zuschlag der Länder ..... über 150 Mio.
Euro p.a. liegen wird und somit die Mindereinnahmen .....
überkompensiert werden. ..... Die bisherigen 'Erlaubnisländer' erhalten
zusätzlich eine Finanzzuweisung des Bundes, wenn ihre Einnahmen aus dem
Zuschlag bestimmte Garantiebeträge, die aus den bisherigen Einnahmen aus
Vergnügungssteuern abgeleitet wurden, nicht erreichen. ..... Die
bisherigen Erlaubnisländer Niederösterreich, Steiermark und Kärnten
erhalten eine Bedarfszuweisung des Bundes, wenn ihre Einnahmen aus dem
landesgesetzlich geregelten Zuschlag der Länder bestimmte Jahresbeträge,
die aus den erwarteten Einnahmen aus der bisherigen Vergnügungssteuer
abgeleitet werden, nicht erreichen. Damit werden die Länder auch dagegen
abgesichert, dass die Einnahmen nicht den Erwartungen entsprechen.
..... Die Garantiebeträge werden aliquot gekürzt, wenn in einem Land das
Höchstausmaß des Zuschlags nicht ausgeschöpft wird, wenn die
höchstzulässige Anzahl von Glücksspielautomaten nicht oder nicht
ganzjährig erreicht wird, wenn Glücksspielautomaten nicht ganzjährig
betrieben werden, oder wenn in den Bewilligungen die Bedingungen für den
Spielverlauf unter den Grenzen des § 5 Abs.
5 GSpG bleiben. Bei dieser aliquoten Kürzung wird daher darauf Bedacht
genommen, in welchem Umfang, aber auch wie lange in einem Land die
bestehenden Möglichkeiten nicht ausgenützt werden."[49]
Schließlich
ist auch einer gemeinsamen Pressaussendung der beiden Monopolinhaber
(mit Ausnahme jener für Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten
gemäß § 5 GSpG) „Casinos Austria
AG“ und „Österreichische Lotterien
GmbH“
vom 8. April 2015 über das Geschäftsjahr 2014 – hinsichtlich der sich
objektiv besehen keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Richtigkeit
dieser Angaben zu bezweifeln wäre – zu entnehmen, dass diese
Konzessionäre zu den „
Top-5-Steuerzahlern“
in Österreich (
2014: insgesamt
552 Mio. Euro) gehören
[50].
All dies führt daher zu der Schlussfolgerung, dass
allein dem Bund aus dem Glücksspielmonopol
jährlich Einnahmen in einer Höhe von
mehr als einer halben Milliarde Euro erwachsen. Dies entspricht einem Anteil von
0,4% an den
jährlichen Gesamteinnahmen dieser Gebietskörperschaft
[51] und stellt sohin
keineswegs eine
vernachlässigbare oder gar verzichtbare Quote dar.
Dazu kommt, dass der Staat das Glücksspielangebot
vollständig ausgelagert
(„privatisiert“) hat, sodass ihm aus der diesbezüglichen
unternehmerischen Tätigkeit nicht nur keine Kosten erwachsen; vielmehr
trifft dieser Aufwand, die bereits angeführten
hohe Abgabenquote und die mit der Konzessionserteilung verbundene
exorbitant hohe[52] Gebührenlast die Konzessionäre, die
in der Folge zudem in einem nicht unerheblichen Ausmaß auch noch
aus eigenem die gesetzlichen
Spielerschutz- und Suchtpräventionsmaßnahmen zu
finanzieren haben.
Stellt man dem die Tatsache gegenüber, dass sowohl
Spielerschutz und
Suchtprävention als auch
Kriminalitätsbekämpfung und
‑vorbeugung – wie zuvor aufgezeigt (vgl. III., 3.3.2. und 3.3.3.) – auf Grund der jeweils geringen Anzahl von Anlassfällen
keine vordringlichen Staatsaufgaben verkörpern, so ergibt sich daraus nach Überzeugung des erkennenden Richters des LVwG
OÖ insgesamt, dass die
Besorgung dieser Agenden vornehmlich bloß zu dem Zweck erfolgt, um
vordergründig und
anlassbezogen den
Anforderungen der EuGH-Judikatur, wie diese
v.a. in den Rechtssachen „Dickinger u. Ömer“
bzw. „Pfleger“ zum Ausdruck gebracht wurde, Genüge zu tun und zugleich einen
Vorwand für die
Beibehaltung der Monopolregelung des GSpG zu bilden,
während der
Primärzweck dieser Konzeption
in Wahrheit darin besteht, eine
stabile Quote von 0,4% der jährlichen Gesamteinnahmen des Bundes sicherzustellen.
3.3.6. Verhältnismäßigkeit insgesamt sowie einzelner Eingriffsbefugnisse
3.3.6.1. Zur effektiven Hintanhaltung von Beeinträchtigungen des Glücksspielmonopols sind in den
§§ 50 ff GSpG umfassende Eingriffsbefugnisse der
Finanzbehörden (
Finanzämter), vor allem aber auch der ihnen zugeordneten
Exekutivorgane (
Finanzpolizei) vorgesehen; hierzu zählen neben den
nicht unerheblichen Verwaltungsstrafdrohungen (vgl. § 52 Abs. 1 Z. 1 bis Z. 11 GSpG) auch detaillierte
Betretungs‑, Einschau-,
Informations- und
Überprüfungsbefugnisse (§ 50 Abs. 4 GSpG), die Berechtigung zur Vornahme einer
vorläufigen und/oder endgültigen Beschlagnahme (§ 53 GSpG) oder
Einziehung samt nachfolgender
Vernichtung der Eingriffsgegenstände (§ 54 GSpG) sowie die Anordnung einer
Betriebsschließung (§ 56a GSpG).
Abgesehen davon, dass sich diese weit reichenden und jeweils
ohne vorangehende richterliche Kontrolle
teilweise massive Grundrechtsbeeinträchtigungen ermöglichenden
einfachgesetzlichen Ermächtigungen bei Anlegung eines durchschnittlichen
Maßstabes auch als verfassungsrechtlich höchst bedenklich erweisen – so
z.B. im Hinblick auf den durch das Gesetz zum Schutze des Hausrechts, RGBl 88/1862
i.d.g.F. BGBl 422/1974 (im Folgenden: HausRG), seit
über 150 Jahren garantierten
rechtsstaatlichen Standard –, mag es in diesem Zusammenhang allenfalls als noch vertretbar erscheinen, eine nach
nationalem Verfassungsrecht bestehende, nämlich durch das öffentliche Interesse an der Wahrung des Monopols
bzw. der Sicherung entsprechender Staatseinnahmen sachlich zu rechtfertigende
politische Gestaltungsbefugnis des einfachen Gesetzgebers zur Erlassung derartiger Eingriffsbefugnisse anzunehmen.
Allerdings sind die
Kriterien, anhand der die
Verhältnismäßigkeit einer
mitgliedstaatlichen Monopolregelung im Lichte des Art. 56 AEUV zu beurteilen ist, nicht mit jenen gleichzusetzen, anhand denen die
Verfassungsmäßigkeit, im Besonderen die Gleichheitskonformität (
bzw. sachpolitische Rechtfertigung) dieser Vorschriften zu beurteilen ist. Oder anders gewendet: Wäre Österreich
kein Mitgliedstaat der Europäischen Union,
könnten sich die Bestimmungen der §§ 50 ff GSpG im Lichte des
nationalen Verfassungsrechts allenfalls auch als unbedenklich erweisen
(und wäre diese Frage zudem
autonom von den hierfür zuständigen
innerstaatlichen Organen zu entscheiden). So aber begegnen diese – wie
dem Urteil des EuGH vom 30. April 2014, C‑390/12 (Pfleger,
EU:C:2014:281), RN 57 ff, zu entnehmen ist – jedenfalls gravierenden Bedenken im Hinblick auf die Garantien der
Art. 15 bis 17 EGRC (
Berufsfreiheit,
unternehmerische Freiheit,
Eigentum), aber auch in Bezug auf die Achtung des
Privat- und Familienlebens (
Art. 7 EGRC) und den Schutz
personenbezogener Daten (
Art. 8 EGRC): Denn die in
Art. 52 Abs. 1 EGRC normierte
Wesensgehaltssperre stellt nach Auffassung des erkennenden Richters des LVwG
OÖ sicher, dass jener
Standard an staatlichen Eingriffsmodalitäten, der mit der EGRC im Zusammenhang mit der Sanktionierung von Verstößen gegen Unionsrecht
generell festgelegt ist und
insbesondere in den Art. 47 ff EGRC zum Ausdruck kommt,
stets gewahrt bleiben muss. Selbst unter der Annahme, dass die im GSpG positivierte Monopolregelung
als abstraktes System betrachtet mit dem Unionsrecht vereinbar wäre, würden sich daher jedenfalls die in den §§ 50 ff GSpG normierten Eingriffsbefugnisse als
unverhältnismäßig erweisen, weil die mit diesen intendierte faktische Effizienz zum Zweck der Abwehr von Monopolbeeinträchtigungen –
v.a. im Hinblick auf die
gänzlich fehlende Bindung an vorangehende richterliche Ermächtigungen[54] –
in ihrer Gesamtheit betrachtet jedenfalls überschießend ist und somit auch nicht dem in
Art. 52
Abs. 1 EGRC normierten Kriterium des
Gemeinwohls dient.
3.3.6.2. Von diesen Eingriffsbefugnissen abgesehen ließe sich zudem vor dem Hintergrund, dass die
konsequenteste
(freilich nicht nur mit einem gänzlichen Verzicht auf staatliche
Einnahmen, sondern demgegenüber sogar mit einem hohen Kostenaufwand für
eine effiziente Kontrolle verbundene)
Maßnahme eines
absoluten Verbots des Glücksspiels vom Bundesgesetzgeber
nicht (
bzw. bloß von einigen Landesgesetzgebern)
gewählt
wurde, eine Feststellung dahin, dass das im GSpG verankerte System der
Monopolregelung dem Gebot der Kohärenz der Zielerreichung entspricht,
aber ohnehin nur dann treffen, wenn sich zuvor zweifelsfrei annehmen
lässt, dass einerseits Spielerschutz und Suchtprävention sowie
Kriminalitätsvorbeugung und -bekämpfung vom Gesetzgeber tatsächlich als
Primärziele beabsichtigt waren und andererseits diese Ziele von der
vollziehenden Gewalt seither sowohl tatsächlich als auch konsequent
umgesetzt wurden. Beides war
bzw.
ist jedoch – wie zuvor unter III.3.3.2. und 3.3.3. ausgeführt – jeweils
nicht der Fall; nach Überzeugung des erkennenden Richters des
Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich bilden
Spielerschutz,
Suchprävention,
Kriminalitätsbekämpfung und
Kriminalitätsvorbeugung
nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens selbst unter Berücksichtigung
des Umstandes, dass sich der mit der GSpG-Novelle 2010 begonnene
Systemwechsel – zumindest bezogen auf die Landesausspielungen –
gegenwärtig noch in (
bzw. nahezu am Ende) der sog. „Startphase“ befindet,
lediglich Nebenziele, denen im Verhältnis zu den beiden
Hauptzielen der
Sicherung der Staatseinnahmen einerseits und der
effizienten Aufrechterhaltung und Durchsetzung des Monopolsystems andererseits
bloß untergeordnete Bedeutung zukommt.
3.3.6.3.
Aber auch wenn dies nicht zutreffen würde, ließe sich kein
stichhaltiges Argument dafür finden – und wurden hierfür insbesondere
auch seitens der belangten Behörde und der Amtspartei keine
entsprechenden Beweismittel vorgelegt –, dass die mit der GSpG-Novelle
beabsichtigten Ziele (Spielerschutz, Kriminalitätsbekämpfung und Sucht-
sowie Kriminalitätsvorbeugung) lediglich durch das vom Bundesgesetzgeber
konkret gewählte, extrem
eingriffsintensive (nämlich nur noch durch ein gänzliches Verbot zu übertreffende)
Monopolsystem
und nicht gleichermaßen effektiv auch durch weniger einschneidende
Maßnahmen – wie beispielsweise durch ein Konzessionssystem, das zwar in
analoger Weise wie das derzeit bestehende sowohl umfassende (allerdings
keine tatsächlich unüberwindbaren – und damit de facto wiederum auf eine
Monopolisierung hinauslaufenden – Hürden, wie etwa ein
Stamm- oder Grundkapital von mindestens 22 Millionen Euro [vgl. § 21
Abs. 2 Z. 3 GSpG], errichtende) Spielerschutz-, Zugangs-, Schulungsmaßen
etc. zu Lasten der Bewilligungsinhaber als auch rigorose staatliche Kontrollmaßnahmen vorsieht,
zugleich aber darauf
verzichtet, die
Anzahl der zu vergebenden Konzessionen (im Sinne einer
Bedarfsprüfung)
zahlenmäßig zu beschränken – erreicht werden kann.
Somit erweisen sich
im Ergebnis sowohl das
Monopolsystem als solches als auch die zu dessen Aufrechterhaltung normierten (
v.a. richtervorbehaltslos exekutiv‑)behördlichen Eingriffsermächtigungen als
unverhältnismäßig und sohin
nicht mit Art. 56 AEUV vereinbar.
3.4. Dieser Standpunkt erfährt auch durch Argumente, die in den
von der Amtspartei und von der belangten Behörde bezeichneten, ein anderes Ergebnis präferierenden gerichtlichen Erkenntnissen dargelegt werden, keine entscheidungserhebliche Modifikation:
Denn
zunächst ist hervorzuheben, dass die diesen Urteilen zu Grunde liegende
sog. „Beweiswürdigung“ jeweils durchgängig dem Muster folgt, die in
diversen Berichten (primär: des Bundesministeriums für Finanzen) und
Studien (primär: des ISD) sowie in Gesetzesmaterialien aufgestellten
bloßen Behauptungen (bzw. Prognosen) vorbehaltlos und ohne eigenständige inhaltliche Prüfung sowie nachfolgende argumentative Auseinandersetzung mit diesen als zutreffend zu unterstellen,
davon ausgehend – in diametralem Gegensatz zu den vom EuGH gestellten
Anforderungen – die Last zum Beweis des Gegenteils (nämlich: der
Unionsrechtswidrigkeit des im GSpG verankerten Monopolsystems) auf die
(vermeintlich widerrechtlich) in dieses Monopol Eingreifenden zu
verschieben und sodann, soweit deren Beweisanträge überhaupt ernsthaft
in Verhandlung genommen werden, zu dem Ergebnis zu kommen, dass die von
ihnen behauptete Unionsrechtswidrigkeit zumindest nicht zweifelsfrei
erwiesen werden konnte (symptomatisch etwa statt vieler LG Linz vom 9.
Februar 2016, 38 Cg 141/15w-12).
Weiters
ist darauf hinzuweisen, dass mittlerweile auch zahlreiche
Entscheidungen anderer Gerichte existieren, die – wenngleich mit
modifizierter Schwerpunktsetzung – entweder Bedenken gegen die
Unionsrechtskonformität des im GSpG normierten Monopolsystems haben
(vgl. z.B. LVwG Niederösterreich vom
21. Jänner 2016, LVwG-S-478/001-2014, und vom 2. Dezember 2015,
LVwG-BN-14-0212) oder dezidiert davon ausgehen, dass dieses
unionsrechtswidrig ist (vgl. z.B. LVwG
Vorarlberg vom 21. März 2016, LVwG-1-059/R11-2015, und LG Graz vom 20.
April 2016, 10 Cg 22/16w, sowie vom selben Tag, 10 Cg 21/16y).
3.4.1. In diesem Sinne hat auch der Oberste Gerichtshof in seinem Beschluss vom 30. März 2016, 4 Ob 31/16m u.a., mit dem beim VfGH gemäß Art.
140 Abs. 1 B‑VG ein Antrag auf Aufhebung der Monopolbestimmungen des
GSpG eingebracht worden war, explizit festgestellt (vgl. S. 31 f): „Aus der vom Senat angenommen Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielmonopols
folgt daher, dass die in Fallgestaltungen, die nicht in den
Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, weiter anzuwendenden
Bestimmungen des Glücksspielrechts eine gegen Art. 7 B‑VG verstoßende Inländerdiskriminierung bewirken.“ (Hervorhebung nicht im Original).
Begründend
wurde dazu – zusammengefasst – ausgeführt, dass nach ständiger
Rechtsprechung des EuGH die unionsrechtliche Zulässigkeit des im GSpG
normierten Monopolsystems nicht allein von Zielsetzungen des
Gesetzgebers, sondern auch von der tatsächlichen Wirkung der
gesetzlichen Regelungen abhängig sei. Hinsichtlich der Vermeidung von
Anreizen zu übermäßigen Spielausgaben, die prinzipiell einen
Rechtfertigungsgrund für einen nationalrechtlichen Eingriff in die
Dienstleistungsfreiheit bildet, und damit im Zusammenhang stehenden
zulässigen Werbemaßnahmen der Konzessionsinhaber komme der Kohärenz der
im GSpG getroffenen Regelung große Bedeutung zu: Für den Fall, dass die
Eignung dieser Norm bejaht wird, beurteile der EuGH in einem zweiten
Schritt deren Erforderlichkeit (Notwendigkeit) und gegebenenfalls in
einem dritten Schritt die Angemessenheit der Beschränkung; eine
nationale Regelung sei nach Ansicht des EuGH dann unionsrechtswidrig,
wenn diese Regelung nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder der
Kriminalitätsbekämpfung verfolgt und nicht tatsächlich dem Anliegen
entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum
Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität
zu bekämpfen.
Vor
diesem Hintergrund sei zu konstatieren, dass nach den Feststellungen
der unterinstanzlichen Gerichte die Österreichische Lotterien GmbH als Inhaberin aller in § 14 GSpG vorgesehenen Lotterienkonzessionen jährlich zwischen 40 und 50 Mio.
Euro in Werbemaßnahmen investiere und damit unter den
Top-Acht-Investoren bei Werbeausgaben in Österreich rangiere, wobei auf
diese Weise gesamthaft besehen ein sehr breites Publikum angesprochen
worden sei. Ähnliches gelte auch für die Casinos Austria AG
als Inhaberin aller in § 21 GSpG vorgesehenen Spielbankkonzessionen. Im
Ergebnis resultiere daraus, dass diese Werbung nicht ausschließlich
dazu diene, Verbraucher zu den kontrollierten Spielnetzwerken zu lenken,
sondern auch den Zweck verfolge, insbesondere jene Personen zur aktiven
Teilnahme am Spiel anzuregen, die bis dato nicht ohne weiteres zu
spielen bereit sind. Im Übrigen werde den Spielen ein positives Image
zugeschrieben; weiters versuche diese Werbung, die Anziehungskraft durch
zugkräftige Werbebotschaften zu erhöhen, wobei zudem bedeutende Gewinne
verführerisch in Aussicht gestellt werden. Dadurch würden insbesondere
neue Zielgruppen zum Spielen angeregt und die Werbung schließlich auch
laufend inhaltlich ausgedehnt. Im Sinne der Judikatur des EuGH liege
sohin keine maßvolle Werbung vor, die sich bloß darauf beschränkt,
Verbraucher zu den kontrollierten Spielernetzwerken zu lenken; in dieses
Bild füge sich auch der Umstand, dass § 56 Abs.
1 GSpG eine Überprüfung des unionsrechtlich gebotenen Maßstabs bei
Werbeauftritten im Weg einer Klage von Mitbewerbern oder klagebefugten
Verbänden nach dem UWG ausschließt.
Daher fehle dem Glücksspielmonopol die unionsrechtlich erforderliche Rechtfertigung.
Davon
ausgehend führe die Unionsrechtswidrigkeit des GSpG objektiv besehen
auch insofern zu einer Inländerdiskriminierung, als einerseits ein
ausländischer Anbieter, der in seinem Heimatstaat erlaubterweise –
nämlich v.a. auf Grund einer unter
vergleichsweise weniger rigiden Voraussetzungen erlangten Bewilligung –
Ausspielungen veranstaltet, hierzu infolge der durch die
Dienstleistungsfreiheit bewirkten Verdrängung der Monopolbestimmungen
des GSpG auch in Österreich berechtigt ist, während Gleiches einem
Inländer deshalb verwehrt bleibt, weil bei reinen Inlandssachverhalten
die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV und somit auch die im Verhältnis dazu bestehende Unionsrechtswidrigkeit bzw.
die daraus resultierende Verdrängungswirkung bezüglich der
Monopolregelung des GSpG so lange nicht zum Tragen kommt, bis Letztere
durch eine Aufhebung seitens des VfGH beseitigt ist.
3.4.2. Demgegenüber kommt der Verwaltungsgerichtshof
in seinem im Verhältnis zum eben dargestellten Gesetzesprüfungsantrag
des OGH (vom 30. März 2016) zeitlich früher datierten, de facto jedoch
später erlassenen, nämlich (bereits am 15. April 2016 auf der Homepage des VwGH veröffentlichen, aber) erst am 18. April 2016 den Verfahrensbeteiligten zugestellten Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022,
zwar zu dem Ergebnis, dass eine Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen
des GSpG nicht zu erkennen sei (RN 123), weil die mit diesem Gesetz
angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der
Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von
kriminellen Handlungen gegenüber Spielern in kohärenter und
systematischer Weise verfolgt würden und diese Ziele nicht bloß als
Vorwand für die Beibehaltung der Monopolregelung bzw.
einer Einnahmenmaximierung angesehen werden könnten. Dass vom Staat –
bei Verfolgung gerechtfertigter Ziele im Sinne von zwingenden Gründen
des Allgemeininteresses – im Zusammenhang mit dem Glücksspiel hohe
Einnahmen erzielt werden, mache die Regelungen des GSpG nicht
unionsrechtwidrig, denn es sei zu berücksichtigen, dass sowohl die
Maßnahmen des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung und der
Kriminalitätsbekämpfung sowie die Aufsicht über die
Glücksspielkonzessionäre und Bewilligungsinhaber und auch die
medizinischen Behandlungskosten von Spielsüchtigen sowie
Fürsorgeunterstützungen für Spielsüchtige und deren Familien hohe
finanzielle Kosten verursachen würden. Daher sei es auch unter diesen
Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, wenn neben der Verfolgung von
legitimen Zielen zur Rechtfertigung der Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit auch entsprechende Einnahmen aus Abgaben im
Zusammenhang mit Glücksspiel durch den Staat lukriert werden, wobei im
Übrigen gerade die vom LVwG OÖ
geforderte Vergabe von Konzessionen und Bewilligungen in unbeschränkter
Anzahl eine Erhöhung der vom Staat lukrierten Abgaben ermöglichen würde
(RN 122).
3.4.2.1. Im Einzelnen muss in diesem Zusammenhang jedoch Folgendes ins Kalkül gezogen werden:
3.4.2.1.1. Rechtssystematisch besehen beruht die Begründung des VwGH,
dass die Monopolregelung des GSpG tatsächlich dem Spielerschutz und der
Kriminalitätsbekämpfung dient, im Wesentlichen auf drei
Argumentationssträngen, nämlich auf einer Darstellung der historischen
Entwicklung des Glücksspielrechts in Österreich (RN 68 bis 77) – der vor
dem Hintergrund, dass die Monopolregelung vor allem auch gegenwärtig
dem unionsrechtlichen Kohärenzgebot entsprechen muss, freilich schon von
vornherein keine rechtliche Relevanz zukommt – und der in (zahlreichen)
Regierungsvorlagen (seit dem Jahr 1989) zu den einzelnen Novellierungen
des GSpG angeführten Absichten und Prognosen (RN 78 bis RN 106) sowie
auf den Feststellungen des Glücksspielberichts 2010-2013 des
Bundesministeriums für Finanzen.
Davon ausgehend gelangte der
VwGH – auf Basis der von einzelnen Richtern des LVwG OÖ getroffenen und im Revisionsverfahren nicht bekämpften Feststellungen
– zu dem Ergebnis, dass durch die im GSpG vorgesehenen Bestimmungen
die angestrebten Ziele des Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung,
der Verringerung der Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von
kriminellen Handlungen gegenüber Spielern in kohärenter und
systematischer Weise verfolgt würden (RN 119); diese Ziele könnten nicht
bloß als Vorwand für die Beibehaltung der Monopolregelung bzw. einer Einnahmenmaximierung angesehen werden (RN 122), weshalb auch keine Unionsrechtswidrigkeit zu erkennen sei (RN 123).
Da es zur Fällung einer Sachentscheidung im vorliegenden Fall ausgehend von dem von einzelnen Richtern des LVwG OÖ festgestellten Sachverhalt, der im Revisionsverfahren nicht bestritten wurde, keiner weiteren Ermittlungen bedurfte, habe der VwGH gemäß § 42 Abs.
1 VwGG in der Sache selbst entscheiden können, sodass die Beschwerde
des Beschuldigten als unbegründet abzuweisen gewesen sei (RN 127).
3.4.2.1.2. Damit stellt sich jedoch die Frage, ob auf diese Weise im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 EGRC ein auch in jeder Hinsicht grundrechtskonformes Ergebnis erzielt wurde:
3.4.2.1.2.1.
Vorweg ist in diesem Zusammenhang neuerlich daran zu erinnern, dass der
EuGH in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertritt, dass jedes
Gericht die Frage der Vereinbarkeit von innerstaatlichem Recht mit
Unionsrecht eigenständig und ohne Bindung an die Rechtsauffassung
anderer nationaler Gerichte zu beurteilen hat (vgl. z.B. zuletzt EuGH vom 5. April 2016, C-689/13, m.w.N.).
Insbesondere
bedeutet dies einerseits, dass in diesem Zusammenhang auftretende
Zweifelsfragen im Wege eines Vorlageantrages an den EuGH – ohne
vorangehende Befassung eines nach nationalem Recht exklusiv zur
Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung zuständigen
Gerichts – zu klären sind (vgl. EuGH vom 11. September 2014, C-112/13),
und andererseits, dass bei Nichtbestehen solcher Zweifel nationale
Normen, die eine allgemeine Bindungswirkung an die Rechtsmeinung
übergeordneter Instanzen festlegen, insoweit nicht zum Tragen kommen
(vgl. EuGH vom 15. Oktober 2015, C-581/14).
3.4.2.1.2.2. Den Ausgangspunkt für die eingangs aufgeworfene Fragestellung bildet die Bestimmung des § 42 Abs. 4 VwGG. Danach kann der VwGH
(im Sinne einer Ermessensentscheidung) dann auch in der Sache selbst
entscheiden, wenn 1.) diese entscheidungsreif ist und 2.) eine
Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit,
Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt; wird das Ermessen in diesem
Sinne ausgeübt, dann hat der VwGH den maßgeblichen Sachverhalt (selbst) festzustellen.
Im Übrigen, d.h. im Regelfall, hat der VwGH hingegen (im Sinne einer Rechtsentscheidung) gemäß § 41 Abs.
1 erster Satz VwGG (von gegenständlich nicht maßgeblichen
Ausnahmekonstellationen abgesehen) das angefochtene Erkenntnis auf Grund
des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der
geltend gemachten Revisionspunkte zu überprüfen.
Ergänzend hält der VwGH
in diesem Zusammenhang in ständiger Judikatur fest, dass er im
Revisionsverfahren zur Überprüfung der Beweiswürdigung der
Verwaltungsgerichte nicht berufen ist (vgl. statt vieler z.B. VwGH v. 13. Oktober 2015, Ra 2015/03/0075, m.w.N.).
Rechtsdogmatisch besehen scheint sich somit insgesamt zu ergeben, dass der VwGH dann, wenn er die Sachverhaltsfeststellungen des VwG unbeanstandet lässt, eine andersartige Würdigung dieser solcherart feststehenden Beweis- und Faktenlage nur dann vornehmen darf, wenn und soweit dies auf Grund eigenständig-modifizierter Sachverhaltsfeststellungen entsprechend indiziert und gerechtfertigt ist. Bedingt wird diese einfachgesetzlich-innerstaatliche Konzeption, wonach eine darüber hinaus gehende Umdeutung bzw.
Umkehrung der Beweiswürdigung grundsätzlich nicht in Betracht kommt,
durch die verfassungsrechtlich-supranationale Garantie des Art. 6 Abs. 1
EMRK (bzw. Art. 47 EGRC): Denn der in dieser Bestimmung (jeweils) garantierte Grundsatz des fairen (insbesondere unmittelbar-kontradiktorischen) gerichtlichen Verfahrens würde zweifelsfrei verletzt, wenn die in einem Art. 6 Abs.
1 EMRK entsprechenden (und in diesem Sinne „gerichtlichen“) Verfahren
gewonnene (Sachverhaltsfeststellung und/oder) Beweiswürdigung durch eine
solche, die in einem den Ansprüchen dieser Garantie nicht bzw.
nicht in vollem Umfang gerecht werdenden (und in diesem Sinne
„nicht-gerichtlichen“) Verfahren vorgenommen wurde, ersetzt werden
würde.
Im vorliegenden Fall hat der VwGH
weder selbst eine öffentliche Verhandlung durchgeführt noch sonst
eigenständige Sachverhaltsfeststellungen getroffen; vielmehr wird im
Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, mehrfach betont, dass
diese Entscheidung auf den vom Einzelrichter des LVwG OÖ im Verfahren zu LVwG- 410287 (abgeschlossen mit Erkenntnis vom 29. Mai 2015)
vorgenommenen und von den Verfahrensparteien nicht bestrittenen
Sachverhaltsfeststellungen fußt (vgl. insbesondere RN 119 und 127).
Wenn
davon ausgehend die in den Erläuterungen zu den Novellierungen des GSpG
angeführten Maßnahmen und Zielsetzungen des Spielerschutzes und der
Kriminalitätsbekämpfung – bei denen es sich rechtlich besehen nicht um
Tatsachenfeststellungen, sondern lediglich um Absichtserklärungen bzw.
Rechtsmeinungen von Ministerialbeamten handelt – entgegen der
diesbezüglich vom LVwG OÖ vorgenommenen Würdigung ohne nähere Begründung[57]
und vor allem ohne entsprechenden Nachweis hierfür durch staatliche
Behörden durchgehend so gewertet werden, als ob diese auch bereits
faktisch effizient sein und damit dem vom EuGH geforderten Kohärenzgebot
entsprechen würden, dann scheint dies im Ergebnis ebenso zu einer
Modifikation bzw. Substitution der
untergerichtlichen Beweiswürdigung zu führen wie der Umstand der
vorbehaltlosen Heranziehung des Glücksspielberichts 2010-2013 des
Bundesministeriums für Finanzen, wenn zudem auf die übrigen, der
Entscheidung des LVwG OÖ zu Grunde gelegten Beweismittel (wie z.B. die Studie des Zentrums für interdisziplinäre Suchtgiftforschung, die Untersuchung „Kleines Glücksspiel – großes Leid?“ von J. Köberl und F. Prettenthaler
und die Belege zur Frage einer nicht bloß maßvollen Werbung) entweder
überhaupt nicht eingegangen wird oder bloß eine kursorische
Auseinandersetzung mit den darauf fußenden Gegenargumenten erfolgt.
3.4.2.1.2.3. Einerseits erkennt der EuGH in ständiger Rechtsprechung jedem Gericht die Kompetenz zu bzw.
verpflichtet er dieses, aus eigenem – und ungeachtet allenfalls
entgegenstehender Entscheidungen nationaler Höchstgerichte –
innerstaatliche Rechtsvorschriften, die dem EU-Recht widersprechen, unangewendet zu lassen (vgl. z.B. EuGH vom 15. Oktober 2015, C‑581/14 = EuGRZ 2015, 660 ff).
Andererseits
liegt auf der Hand, dass bei der praktischen Handhabung einer
derartigen Maxime unschwer – und zudem über einen längeren Zeitraum
andauernde – Situationen entstehen können, in denen zu ein und derselben
Rechtsfrage widersprüchliche gerichtliche Entscheidungen und damit erhebliche Rechtsunsicherheiten existieren, bis die Vereinbarkeit bzw. Unvereinbarkeit der nationalen Normen mit dem Unionsrecht vom hierfür letztkompetenten EuGH verbindlich entschieden ist.
Hält man die Institutionalisierung bzw. das Bestehen einer gleichermaßen zentralen wie exklusiven Zuständigkeit eines nationalen Gerichts (in diesem Sinne z.B.
jüngst wieder das [deutsche] Bundesverfassungsgericht in seinem
Beschluss vom 15. Dezember 2015, 2 BvR 2735/14, RN 43 = EuGRZ 2016, 33
ff) zur (Vor‑)Prüfung der Unionsrechtskompatibilität für damit unvereinbar,
so scheint aber mit der vom EuGH propagierten Maxime unter einem auch
ein nationales Rechtsmittelsystem gefordert zu sein, nach dem jeweils auch den übergeordneten Instanzen die Qualität eines Gerichtes i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art.
47 EGRC zukommen muss. In diesem Sinne sind daher wohl auch die RN 52
bis 55 des bereits mehrfach angeführten EuGH-Urteils vom 30. April 2014,
C‑390/12 (Pfleger) zu verstehen, wonach „das“ – im Sinne von: jedes – „nationale Gericht eine Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen“ muss, „unter
denen eine restriktive Regelung, wie sie in den Ausgangsverfahren in
Rede steht, erlassen worden ist und durchgeführt wird. Im vorliegenden
Fall haben die nationalen Behörden nach Ansicht des vorlegenden Gerichts
nicht nachgewiesen, dass die Kriminalität und/oder die Spielsucht im
präjudiziellen Zeitraum tatsächlich ein erhebliches Problem darstellten.
Das Gericht scheint ferner anzunehmen, dass das wahre Ziel der
fraglichen restriktiven Regelung nicht in der Kriminalitätsbekämpfung
und dem Spielerschutz liegt, sondern in einer bloßen Maximierung der
Staatseinnahmen, obwohl der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass
das Ziel, die Einnahmen der Staatskasse zu maximieren, für sich allein
eine solche Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nicht
rechtfertigen kann ..... Diese Regelung erscheine, so das Gericht,
jedenfalls unverhältnismäßig, da sie nicht geeignet sei, die von der
Rechtsprechung des Gerichtshofs geforderte Kohärenz zu garantieren, und
über das hinausgehe, was zur Erreichung der angeführten Ziele
erforderlich sei. Sollte das vorlegende Gericht bei dieser Auffassung
bleiben, müsste es zu dem Ergebnis kommen, dass die in den
Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung nicht mit dem Unionsrecht
vereinbar ist.“
Dies bedeutet insbesondere, dass auch die übergeordneten Gerichte – um den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Art. 47 EGRC zu entsprechen – entweder jeweils selbst ein faires, insbesondere unmittelbar-kontradiktorisches Verfahren durchführen oder sich – bei einer nur kassatorischen Entscheidungsbefugnis – bloß auf die Entscheidung der Rechtsfrage beschränken müssen.
Unvereinbar
mit einem derartigen System erschiene jedenfalls, dass ohne
eigenständige Sachverhaltsfeststellungen und/oder ohne Durchführung
eines in jeder Beziehung dem Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 EGRC entsprechenden Verfahrens eine Modifikation der Beweiswürdigung des unterinstanzlichen Gerichtes
vorgenommen wird. Denn summarisch betrachtet läge dann nämlich kein den
Ansprüchen dieser europarechtlichen Grundrechtsgewährleistungen
genügendes faires, insbesondere kontradiktorisches Verfahren mehr vor.
Hinzu kommt, dass gerade in Bezug auf Strafverfahren – und damit auch
für solche nach dem GSpG – auch die Garantie des Art.
2 erster Satz des 7.ZPMRK (Rechtsmittel in Strafsachen) ersichtlich von
einer derartigen Grundkonzeption getragen zu sein scheint.
Im
Übrigen geht es dem EuGH – wie aus dessen vorzitierter Judikatur
deutlich wird – nicht primär darum, dass der Gesetzgeber bloß ein in
sich schlüssiges Ziel-Mittel-Schema bzw.
ein systemtheoretisch widerspruchsfreies Formalkonzept von
Eingriffsbefugnissen schafft, sondern auch und vor allem darum, dass
Letztere sowohl faktisch effizient sind als auch hinsichtlich sämtlicher
seiner Facetten – und nicht bloß in Teilbereichen – den aus Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. aus Art. 47 EGRC resultierenden rechtsstaatlichen Anforderungen genügen.
Durch
die im GSpG zum Schutz der Konzessionsinhaber im Einzelnen sowie in
ihrer Gesamtheit normierten behördlichen Eingriffsinstrumentarien
(Betretungsrecht, Auskunftspflicht, Ausübung unmittelbarer
verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, Beschlagnahme,
Einziehung, Verwaltungsstrafe, Verfall, Betriebsschließung) werden
jedoch die potentiellen Interessenten einseitig mit nicht bloß
geringfügigen, sondern massiv nachteiligen Rechtsbeeinträchtigungen
belastet, hinsichtlich welcher ein Rechtsschutz ausnahmslos stets erst ex post möglich und dieser vor dem Hintergrund einer prinzipiellen Beweislastumkehr zudem de facto sowie vor allem auch deshalb nicht strukturell effizient i.S.d. Art. 6 Abs. 1 i.V.m. Art.
13 EMRK erscheint, weil mit den Verwaltungsgerichten formal zwar
Gerichte institutionalisiert wurden, diese jedoch nach den Grundsätzen
eines Behördenverfahrens zu agieren haben.
Insgesamt
führt dies dazu, dass ein potentieller Interessent nicht selten bereits
finanziell schwer beeinträchtigt – wenn nicht de facto sogar gänzlich
ausgebootet – ist, noch bevor die Frage der Unionsrechtskompatibilität
des GSpG-Monopols überhaupt letztverbindlich geklärt wurde.
Angesichts
der weitgehenden Wertneutralität der österreichischen Verfassung mag
die Ansicht, dass die – teilweise über jene der in der für das
gerichtliche Strafverfahren maßgeblichen StPO normierten
hinausreichenden – Eingriffsbefugnisse des GSpG keinen
formalverfassungsrechtlichen Bedenken begegnen (und zwecks Erhöhung der
faktischen Effizienz der Maßnahmen zur Hintanhaltung von Eingriffen in
die Monopolstellung der Konzessionäre eine vergleichsweise Minimierung
des Rechtsschutzstandards, wie er im behördlichen und
verwaltungsgerichtlichen gegenüber dem strafgerichtlichen Verfahren
zweifelsfrei besteht, hingenommen werden muss), allenfalls vertretbar
erscheinen; den aus den materiellrechtlich-rechtsstaatlichen Garantien
der EMRK bzw. der EGRC
resultierenden Anforderungen, insbesondere dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, dürfte eine solche Massierung von
Eingriffsbefugnissen angesichts dessen, dass sich der Spielerschutz
allseits unbestritten bloß auf einen kaum wahrnehmbaren Bruchteil der
Gesamtbevölkerung bezieht, aber weder in ihrer Gesamtheit noch singulär betrachtet genügen.
3.4.2.1.3.
Und auch wenn alle zuvor aufgezeigten Bedenken nicht durchschlagen
würden, ist schließlich noch zu beachten, dass das mit einem
Konzessionssystem unter Beschränkung der Anzahl der zu vergebenden
Konzessionen betreffend Lotterien und Spielbanken sowie mit einem
(reinen) Bewilligungssystem unter Beschränkung der Anzahl der zu
vergebenden Bewilligungen betreffend Landesausspielungen mit
Glücksspielautomaten kombinierte Glücksspielmonopol des Bundes eine
vergleichsweise gravierendere Beeinträchtigung der
Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV nach sich zieht als ein Konzessionssystem, mit dem dieselben Restriktionen, jedoch keine zahlenmäßigen Beschränkungen der zu vergebenden Konzessionen einhergehen.
3.4.2.1.3.1. In diesem Zusammenhang zeigt die Vielzahl der insbesondere beim LVwG OÖ
anhängigen Verfahren, dass sich das sog. „illegale“
Automatenglücksspiel auf überschaubar wenige interessierte Anbieter
beschränkt. Würden diese einem Konzessionsverfahren unterworfen, das
keine unüberwindliche Hürden (wie v.a.
illusorisch hohe Haftungsbeträge) vorsieht, sondern einen fairen Zugang
ermöglicht, dann wären diese für die Behörden jedenfalls wesentlich
leichter und effizienter zu kontrollieren als in der derzeit
vorherrschenden „Untergrund“-Praxis.
3.4.2.1.3.2.
Freilich ließe sich auch bei einem solcherart ausgestalteten
Zugangssystem eine widerrechtliche Automatenaufstellung nicht völlig
verhindern.
Insofern
würde sich die Situation aber nicht wesentlich abweichend von anderen
Bereichen darstellen, in denen eine unternehmerische Tätigkeit ebenfalls
erst nach vorangehender behördlicher Erlaubniserteilung zulässig ist
(wie z.B. Prostitution).
So
besehen ist aber keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennbar,
weshalb gerade im Bereich des Glücksspielrechts mit den „normalen“
behördlichen Eingriffsbefugnissen, wie diese im FinStrG und/oder in der
BAO vorgesehen sind, nicht auch hier das Auslangen gefunden werden kann
(es sei denn, dass wiederum auf die Intention abgestellt wird, dass den
Inhabern „legaler“ Konzessionen gleichsam zum Ausgleich für ihre hohen
Abgabenverpflichtungen – und die damit verbundene Sicherstellung einer
erheblichen staatlichen Einnahmenquote – eine in jeder Weise ungestörte
Ausübung ihrer Bewilligungen gewährleistet sein muss).
3.4.2.1.3.3.
Ein Effekt dahin, dass dadurch, dass nicht bloß eine limitierte Anzahl,
sondern jeder Bewerber, der die im GSpG normierten strengen
Spielerschutzanforderungen erfüllt, die beantragte Konzession erhält,
das System insgesamt gefährdet wäre oder gar gänzlich wirkungslos würde,
ist somit nicht wirklich ersichtlich, zumal ja zudem zu bedenken ist,
dass auch unter der Ägide des bestehenden Systems der zur Bekämpfung des
vermeintlich illegalen Glücksspiels erforderliche
logistisch-finanzielle Aufwand durchaus nicht unbeträchtlich ist.
Ebenso wenig wären damit – wie der VwGH meint – zwingend (vergleichsweise) noch höhere Staatseinnahmen verbunden.
Zweifelsfrei
würde sich aber ein Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit jedenfalls
als verhältnismäßig weniger gravierend erweisen, wenn dieser derart
vorgenommen würde, dass
* die Anzahl der zu vergebenden Konzessionen nicht zahlenmäßig beschränkt ist
* jedem Interessenten eine reelle Möglichkeit zukommt, eine derartige Bewilligung zum Betrieb von Spielautomaten zu erhalten
* die Aspekte des Spielerschutzes durch strenge Auflagen an die Bewilligungsinhaber sichergestellt werden und
*
Übertretungen der diesbezüglichen Ordnungsvorschriften der
gerichtlichen Strafverfolgung überantwortet werden oder sonst zumindest
die behördlichen Eingriffsbefugnisse an eine vorangehende richterliche
Ermächtigung gebunden werden.
3.4.2.2.
Im Hinblick auf die ihm nach dem Beschluss des EuGH vom
15. Oktober 2015, C-581/14 (= EuGRZ 2015, 660 ff) zukommende
Verpflichtung sieht sich daher das Verwaltungsgericht des Landes
Oberösterreich aus allen diesen Gründen auch aus den vom VwGH
in seinem Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, ins Treffen
geführten Argumenten nicht dazu veranlasst, nunmehr von der
Unionsrechtskonformität der im GSpG normierten Monopolregelung und den
darauf basierenden Eingriffsbefugnissen auszugehen.
3.4.2.3. Dazu kommt im Übrigen noch, dass der VwGH
selbst beginnend mit dem Erkenntnis vom 5. April 2016, Ra 2015/17/0063,
(Beschwerden gegen ein Straferkenntnis wegen einer Übertretung des GSpG
abweisende) Entscheidungen von Landesverwaltungsgerichten aufgehoben
hat, wobei es in diesem VwGH-Erkenntnis wörtlich heißt:
„Das
Landesverwaltungsgericht ist vom Vorliegen eines rein nationalen
Sachverhalts ausgegangen, ohne auf das Vorbringen des Revisionswerbers
einzugehen, wonach die ‚Aufstellerin‘ der Glücksspielgeräte eine
ungarische Gesellschaft sei und der Revisionswerber als deren
‚Supporter‘ sich auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten berufen
könne. Um beurteilen zu können, ob ein rechtlich relevanter
Auslandsbezug vorliegt, wären unter Durchführung eines entsprechenden
Ermittlungsverfahrens Feststellungen zu diesem Vorbringen, also
insbesondere dazu, welche Rolle der ungarischen Gesellschaft im
Zusammenhang mit der Veranstaltung der verbotenen Ausspielungen zukam,
zu treffen gewesen. Auf die Frage, ob die ungarische Gesellschaft in
einem EU-Staat über eine
Konzession zum Betrieb der Glücksspielgeräte verfügte, kommt es –
entgegen den Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis – nicht an, weil
der Glücksspielbereich im Rahmen der Europäischen Union nicht
harmonisiert ist ..... Indem das Landesverwaltungsgericht Tirol die
Rechtslage verkannt und hierzu keine Feststellungen getroffen hat, auf
Grund derer hätte beurteilt werden können, ob das Unionsrecht im
Revisionsfall anzuwenden ist, hat es das angefochtene Erkenntnis mit
Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.“
Gleichartiges
wurde in der Folge beispielsweise auch in den Entscheidungen vom 20.
Juni 2016, Ra 2015/09/0080, und vom selben Tag, Ra 2015/09/0087,
ausgesprochen.
Derartige
Feststellungen können jedoch nur dann von rechtserheblichem Interesse
sein, wenn für den Fall, dass sich ein entsprechender Auslandsbezug
ergibt, jene Bestimmungen des GSpG, die die Durchführung von
Ausspielungen an die Notwendigkeit einer entsprechenden Konzession
binden, nach autonomer Überzeugung des jeweils zu Entscheidung berufenen
Gerichtes wegen Unionsrechtswidrigkeit unangewendet zu bleiben haben;
wäre das GSpG hingegen zweifelsfrei unionsrechtskonform, bedarf es
solcher Feststellungen nicht.
Insgesamt folgt daraus, dass der VwGH
in dieser Entscheidung zumindest implizit von der Möglichkeit einer
Unionsrechtswidrigkeit des GSpG-Monopols ausgeht, weil ansonsten eine
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wegen Rechtswidrigkeit (und
nicht bloß wegen eines ergebnisrelevanten Verfahrensfehlers) keinen Sinn ergeben hätte.
Damit
setzt sich diese – zeitlich später und in nahezu identischer
personeller Besetzung ergangene – Entscheidung aber in einen gewissen
inhaltlichen Widerspruch zu dem zuvor dargestellten Erkenntnis des VwGH vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022.
3.4.3. Auch der Verfassungsgerichtshof
geht in seinem Erkenntnis vom 15. Oktober 2016, E 945/2016, von der
Unionsrechtskonformität des im GSpG geregelten Monopolsystems aus.
Da der VfGH
dieser Entscheidung jedoch keine eigenständigen Argumente zu Grunde
gelegt, sondern vielmehr in weiten Teilen die Begründung des VwGH-Erkenntnisses vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, bzw.
der landesverwaltungsgerichtlichen Anlassverfahren inhaltlich
übernommen hat; dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes im Übrigen
nicht zu entnehmen ist, auf welche Faktenbasis seine Annahme, dass der
OGH bloß „isoliert konkrete Werbetätigkeiten einzelner Konzessionäre“ betrachte, „ohne
eine gesamthafte Würdigung aller Auswirkungen auf dem Glücksspielmarkt
im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union
vorzunehmen“ (RN 50), gegründet ist; und hinsichtlich der mangelnden Gerichtsförmigkeit des Verfahrens i.S.d. Art. 6 EMRK bzw. i.S.d. Art. 47 EGRC dieselben Bedenken wie in Bezug auf das bezogene VwGH-Erkenntnis
vom 16. März 2016, R0 2015/17/0022, bestehen, kann – um unnötige
Wiederholungen zu vermeiden – im Übrigen auf die vorstehenden
Ausführungen unter III.3.4.2. verwiesen werden.
Im Ergebnis bildet daher nach Auffassung des erkennenden Richters des LVwG OÖ auch das Erkenntnis des VfGH vom 15. Oktober 2016, E 945/2016, keine Veranlassung, von seinem bisher bezogenen Rechtsstandpunkt abzurücken.
3.4.4. Gesamtwürdigung
3.4.4.1. Um den Anforderungen des
Art. 56 AEUV zu entsprechen, müsste insgesamt besehen
mindestens einer der in der Judikatur des EuGH anerkannten, einen
Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit rechtfertigenden zwingenden
Gründe des Allgemeininteresses (Spielerschutz, Kriminalitätsbekämpfung,
effektive und systematische Verringerung der Anreize und Gelegenheiten
zum Spiel o.Ä.) jene Ziele, die in ungerechtfertigter Weise mit den Eingriffsbefugnissen einhergehen,
tatsächlich und eindeutig überwiegen.
Angesichts dieses Prüfungsmaßstabes ergibt sich nach Überzeugung des erkennenden Richters des LVwG
OÖ allerdings, dass
das in den §§ 3 ff GSpG normierte System des Glücksspielmonopols deshalb in Art. 56 AEUV keine Deckung findet und somit dem Unionsrecht widerspricht, weil dieses einerseits
tatsächlich nicht auf einem durch die Rechtsprechung des EuGH anerkannten
zwingenden Grund des Allgemeininteresses –
wie etwa dem Verbraucherschutz (in Form des Spielerschutzes und der
Suchtvorbeugung) oder der Kriminalitätsbekämpfung und der
Kriminalitäts-, insbesondere Betrugsprävention, oder der effektiven und
systematischen Verringerung der Anreize und Gelegenheiten zum Spiel –
basiert, sondern
de facto primär der Sicherung einer verlässlich kalkulierbaren Quote an Staatseinnahmen (in Höhe von 0,4% der jährlichen Gesamteinnahmen des Bundes) dient sowie andererseits – und unabhängig davon –
auch die konkrete Ausgestaltung des Monopolsystems (Privatisierung
durch Übertragung der zwar sowohl strengen Antrittsvoraussetzungen als
auch einer rigiden staatlichen Kontrolle unterliegenden
Ausübungsbefugnisse nicht auf eine unbeschränkte, sondern – im Sinne
einer Bedarfsprüfung – auf eine bloß limitierte Anzahl von
Konzessionären) und die den staatlichen Behörden zur Abwehr von
Beeinträchtigungen dieses Monopols gesetzlich übertragenen
Eingriffsermächtigungen (Betretungs-, Einschau-, Informations- und
Überprüfungsrechte; vorläufige und/oder endgültige Beschlagnahme,
Einziehung und nachfolgende Vernichtung der Eingriffsgegenstände;
Verwaltungsstrafe; Betriebsschließung) insbesondere
mangels der gänzlich fehlenden Bindung an eine vorhergehende richterliche Ermächtigung jeweils unverhältnismäßig sind.
Denn:
* Dass in Österreich
64.000 Personen spielsüchtig sind, hat sich als eine
bloße Mutmaßung erwiesen;
* Gleiches gilt für die
nicht näher verifizierbare Behauptung, dass in Österreich eine dazu affine
Kriminalität vorherrscht;
*
Selbst wenn man die diesbezüglich ins Treffen geführten, statistisch
hochgerechneten Zahlen als vorbehaltlos zutreffend unterstellen würde,
ließe sich
angesichts deren Geringfügigkeit keine sachliche Rechtfertigung für den gegenwärtig zu konstatierenden
legistischen und administrativen Aufwand finden;
* Und selbst wenn eine solche bestünde, würde sich dennoch das
konkret institutionalisierte System schon als solches als
unverhältnismäßig
erweisen, weil sich die Intentionen eines effizienten Spielerschutzes
und einer effizienten Kriminalitätsvorbeugung jedenfalls auch im Wege
einer
zahlenmäßig nicht beschränkten Konzessionsvergabe erreichen ließen;
* Schließlich lässt sich auch
keine sachliche Rechtfertigung dafür finden, weshalb
über die bspw. bereits im FinStrG und in der BAO enthaltenen Berechtigungen hinaus im GSpG
behördliche Maßnahmen vorgesehen und auch tatsächlich erforderlich
sind, die bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem die
Unionsrechtskompatibilität des im GSpG normierten Monopolsystems noch
gar nicht verbindlich festgestellt ist, jeweils
ohne eine vorangehende richterliche Ermächtigung massive Eingriffe in die Grundrechtssphäre von potentiellen Interessenten für eine Konzession – wie
z.B. Beschlagnahmen, Verwaltungsstrafen, Verfall, Einziehungen, Betriebsschließungen – ermöglichen.
3.4.3.2. Mit diesem Resultat soll
keineswegs eine – erst recht keine vollständigen –
Liberalisierung des Glücksspielmarktes propagiert werden; weil aber Österreich ein
Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist, muss aus rechtlicher Sicht nachdrücklich betont werden, dass sich
jegliche Beschränkung des Glücksspielangebotes –
insbesondere in Gestalt eines (Quasi‑)Monopolsystems –
stets nur im Rahmen der von EuGH-Judikatur abgesteckten Grenzen des Art. 56 AEUV bewegen kann.
4. Entscheidung
4.1.
Widerspricht eine innerstaatliche Regelung dem Unionsrecht, so hat
diese nach ständiger Rechtsprechung des EuGH faktisch unangewendet zu
bleiben. Dieser Grundsatz ist von jedem staatlichen Organ auf jeder
Ebene des Verfahrens unmittelbar zu beachten
.
Konkret bedeutet dies insbesondere, „
dass
der Verstoß eines Wirtschaftsteilnehmers gegen eine Regelung im
Glücksspielbereich nicht zu Sanktionen führen kann, wenn diese Regelung
mit Art. 56 AEUV nicht vereinbar ist“ (vgl. EuGH vom 30. April 2014, C‑390/12 [Pfleger,
EU:C:2014:281], RN 64,
m.w.N.).
4.2.
Daraus resultiert für den vorliegenden Fall, dass die Bestrafung des
Beschwerdeführers wegen des Verdachtes einer Übertretung des § 52
Abs.
1 Z. 1 viertes Tatbild GSpG ausgeschlossen ist, weil sich diese
Eingriffsnorm rechtssystematisch als eine auf der
Glücksspielmonopolregelung des GSpG fußende und mit dieser in einem
untrennbaren Zusammenhang stehende Bestimmung darstellt.
Sohin
war der vorliegenden Beschwerde gemäß § 50 VwGVG stattzugeben, das
angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das
Verwaltungsstrafverfahren nach § 38 VwGVG i.V.
m. § 45
Abs. 1 Z. 1 VStG einzustellen.
4.3. Von einem – aus Gründen der Rechtskraft zwar nicht gehinderten (vgl.
z.B. EuGH vom 15. Oktober 2015, C-581/14 [Naderhirn – ECLI:
EU:C:2015:707], RN 28
)
– neuerlichen Ersuchen um Vorabentscheidung an den Gerichtshof der
Europäischen Union war im gegenständlichen Fall deshalb abzusehen, weil
der EuGH in seinem Urteil vom 30. April 2014, C‑390/12 (Pfleger – ECLI:
EU:C:2014:281),
bereits explizit klargestellt hat (vgl. RN 47), dass die Frage der
Unionsrechtskonformität des im GSpG verankerten Monopolsystems davon
abhängt, ob sich Letzteres insgesamt als kohärent erweist, wobei diese
Kohärenzprüfung nicht dem EuGH, sondern den jeweils zur Vollziehung des
GSpG berufenen nationalen Behörden und Gerichten obliegt.
4.4. Bei diesem Verfahrensergebnis hat d
er
Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 9 VwGVG weder einen Kostenbeitrag für
das Strafverfahren vor der belangten Behörde noch einen Beitrag zu den
Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht des Landes
Oberösterreich zu leisten.
IV.
Revision an den Verwaltungsgerichtshof
Gegen
dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig, weil im
gegenständlichen Verfahren keine im innerstaatlichen Recht wurzelnde bzw. in die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes fallende Rechtsfrage, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, zu lösen war.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen
dieses Erkenntnis kann eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof
erhoben werden. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag
der Zustellung des Erkenntnisses – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen
– durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abzufassen und
einzubringen. Für die Beschwerde ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu
entrichten.
Gegen dieses Erkenntnis kann
innerhalb derselben Frist auch eine außerordentliche Revision an den
Verwaltungsgerichtshof erhoben werden, die – von gesetzlichen Ausnahmen
abgesehen – durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abzufassen und
beim Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich einzubringen ist; die
Eingabegebühr von 240 Euro ist hingegen unmittelbar an den
Verwaltungsgerichtshof zu entrichten.
Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich
Dr. G r o f
LVwG-411652/5/Gf/Mu vom 22. Dezember 2016
Erkenntnis
Normen:
Art. 18 AEUV
Art. 56 AEUV
Art. 267 AEUV
Art. 6
Abs. 1 EMRK
Art. 21 EGRC
Art. 47 EGRC
§ 3 GSpG
§ 4 GSpG
§ 5 GSpG
§ 52 GSpG
Rechtssätze:
*
Wie bereits in den hg. Erkenntnissen vom 8.8.2016, LVwG-4115067, und
vom 24.6.2015, LVwG-410600, ausführlich begründet, erweist sich das in
den §§ 3 ff GSpG normierte Monopolsystem wegen Inkohärenz als
unionsrechtswidrig: Denn einerseits basiert die gesetzliche Regelung de
facto nicht auf einem durch die Rechtsprechung des EuGH anerkannten
zwingenden Grund des Allgemeininteresses – wie etwa dem
Verbraucherschutz (in Form des Spielerschutzes und der Suchtvorbeugung)
oder der Kriminalitätsbekämpfung und der Kriminalitäts-, insbesondere
Betrugsprävention, oder der effektiven und systematischen Verringerung
der Anreize und Gelegenheiten zum Spiel –, sondern tatsächlich dient
diese primär der Sicherung einer verlässlich kalkulierbaren Quote an
Staatseinnahmen (in Höhe von 0,4% der jährlichen Gesamteinnahmen des
Bundes); andererseits – und unabhängig davon – erweist sich auch die
konkrete Ausgestaltung des Monopolsystems (Privatisierung durch
Übertragung der zwar sowohl strengen Antrittsvoraussetzungen als auch
einer rigiden staatlichen Kontrolle unterliegenden Ausübungsbefugnisse
nicht auf eine unbeschränkte, sondern – im Sinne einer Bedarfsprüfung –
auf eine bloß limitierte Anzahl von Konzessionären) und die den
staatlichen Behörden zur Abwehr von Beeinträchtigungen dieses Monopols
gesetzlich übertragenen Eingriffsermächtigungen (Betretungs-, Einschau-,
Informations- und Überprüfungsrechte; vorläufige und/oder endgültige
Beschlagnahme, Einziehung und nachfolgende Vernichtung der
Eingriffsgegenstände; Verwaltungsstrafe; Betriebsschließung)
insbesondere mangels der gänzlich fehlenden Bindung an eine
vorhergehende richterliche Ermächtigung jeweils als unverhältnismäßig;
*
Dies ergibt sich vornehmlich daraus, dass der Ausgangspunkt, dass in
Österreich 64.000 Personen spielsüchtig seien, auf einer bloße Mutmaßung
fußt; Gleiches gilt für die nicht näher verifizierbare Behauptung, dass
in Österreich eine dazu affine Kriminalität vorherrsche; auch wenn man
die diesbezüglich ins Treffen geführten, statistisch hochgerechneten
Zahlen als vorbehaltlos zutreffend unterstellen würde, ließe sich
angesichts deren Geringfügigkeit keine sachliche Rechtfertigung für den
gegenwärtig zu konstatierenden legistischen und administrativen Aufwand
finden; und selbst wenn eine solche bestünde, würde sich dennoch das
konkret institutionalisierte System schon als solches als
unverhältnismäßig erweisen, weil sich die Intentionen eines effizienten
Spielerschutzes und/oder einer effizienten Kriminalitätsvorbeugung
jedenfalls auch im Wege einer zahlenmäßig nicht beschränkten
Konzessionsvergabe erreichen ließen. Schließlich lässt sich auch keine
sachliche Rechtfertigung dafür finden, weshalb über die bspw. bereits im
FinStrG und in der BAO enthaltenen Berechtigungen hinaus im GSpG
behördliche Maßnahmen vorgesehen und auch tatsächlich erforderlich sein
sollen, die bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem die
Unionsrechtskompatibilität des im GSpG normierten Monopolsystems noch
gar nicht verbindlich festgestellt ist, jeweils ohne eine vorangehende
richterliche Ermächtigung massive Eingriffe in die Grundrechtssphäre von
potentiellen Interessenten für eine Konzession – wie
z.B. Beschlagnahmen, Verwaltungsstrafen, Verfall, Einziehungen, Betriebsschließungen – ermöglichen;
* An dieser Einschätzung vermögen auch die Erkenntnisse des
VfGH vom 15.10.2016, E 945/2016, und des vom 16.3.2016, Ro 2015/17/0022, nichts zu ändern, weil diese
v.a.
wegen jeweils eingeschränkter Kognitionsbefugnis und Nichtvornahme
einer autonomen Beweisaufnahme und Beweiswürdigung auf keinem
gerichtsförmigen Verfahrens
i.S.d. Art. 6 EMRK
bzw. i.S.d. Art. 47 EGRC basieren;
*
Widerspricht eine innerstaatliche Regelung dem Unionsrecht, so hat
diese nach ständiger Rechtsprechung des EuGH faktisch unangewendet zu
bleiben. Dieser Grundsatz ist von jedem staatlichen Organ auf jeder
Ebene des Verfahrens unmittelbar von Amts wegen zu beachten. Konkret
bedeutet dies insbesondere, „
dass der Verstoß eines
Wirtschaftsteilnehmers gegen eine Regelung im Glücksspielbereich nicht
zu Sanktionen führen kann, wenn diese Regelung mit Art. 56 AEUV nicht vereinbar ist“ (vgl. EuGH vom 30. April 2014, C 390/12 [Pfleger,
EU:C:2014:281], RN 64,
m.w.N.).
Daraus resultiert für den vorliegenden Fall, dass die Bestrafung der
Bf. wegen des Verdachtes einer Übertretung des § 52
Abs.
1 Z. 1 viertes Tatbild GSpG ausgeschlossen ist, weil sich diese
Eingriffsnorm rechtssystematisch als eine auf der
Glücksspielmonopolregelung des GSpG fußende und mit dieser in einem
untrennbaren Zusammenhang stehende Bestimmung darstellt;
* Von einem – aus Gründen der Rechtskraft zwar nicht gehinderten (vgl.
z.B.
EuGH vom 15. Oktober 2015, C 581/14 [Naderhirn], RN 28 ) – neuerlichen
Ersuchen um Vorabentscheidung an den Gerichtshof der Europäischen Union
war im gegenständlichen Fall deshalb abzusehen, weil der EuGH in seinem
Urteil vom 30. April 2014, C 390/12 (Pfleger), bereits explizit
klargestellt hat (vgl. RN 47), dass die Frage der
Unionsrechtskonformität des im GSpG verankerten Monopolsystems davon
abhängt, ob sich Letzteres insgesamt als kohärent erweist, wobei diese
Kohärenzprüfung nicht dem EuGH, sondern den jeweils zur Vollziehung des
GSpG berufenen nationalen Behörden und Gerichten obliegt.
Schlagworte:
Glücksspielmonopol;
Unionsrechtskompatibilität; Kohärenzprüfung; Amtswegigkeit;
Bindungswirkung; gerichtsförmiges Verfahren; eingeschränkte
Kognitionsbefugnis; autonome Beweisaufnahme; autonome Beweiswürdigung;
EuGH;
VfGH;
VwGH
[1] Auch abrufbar unter http://www.lvwg-ooe.gv.at/383.htm.
[2] Abrufbar unter http://www.lvwg-ooe.gv.at/383.htm.
[3] Abrufbar unter: www.bmf.gv.at/steuern/gluecksspiel-spielerschutz/in-oesterreich/Gluecksspiel-Bericht-2010-2013.html.
[4] Auch abrufbar unter http://www.lvwg-ooe.gv.at/383.htm.
[5]
Vgl. in diesem Sinne auch die parlamentarische Anfragebeantwortung des
Bundesministeriums für Inneres vom 21. November 2014, 2405/AB zu 2559/J
(25. GP).
[6] Vgl. www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/III/III_00131/fname_380250.pdf
[7] Abrufbar unter: www.isd-hamburg.de/dl/Repraesentativbefragung_2015_Bericht_final.pdf.
[8] Projektleitung: Jens Kalke und Friedrich Martin Wurst; weitere Mitglieder des Projektteams: Sven Buth und Natasha Thon.
[9]
Nach der Version IV des Diagnostischen und Statistischen Manuals
Psychischer Störungen wurde das pathologische Spielen noch als „Störung
der Impulskontrolle“ klassifiziert, während ein solches Verhalten seit
der im Jahr 2013 erschienenen Version DSM-5 unter
Übernahme der früheren Kriterien (ausgenommen jenes der „illegalen
Handlungen“) nunmehr als „Glücksspielstörung“ („gambling disorder“)
bezeichnet und als erste (und einzige) stoffungebundene
Sucht zu den Suchtstörungen gezählt wird; eine „leichte
Glücksspielstörung“ liegt danach bei Erfüllung von 4 bis 5 Kriterien,
eine „mittlere Glücksspielstörung“ bei Erfüllung von 6 bis 7 Kriterien
und eine „schwere Glücksspielstörung“ bei Erfüllung von 8 bis 9 (von
insgesamt 9) Kriterien innerhalb von 12 Monaten vor (vgl. näher Institut
Suchprävention pro mente Oberösterreich, Factsheet Sucht – Abhängigkeit
und Substanzkonsum, Version 2.4 vom 17. Juni 2016, S. 38).
[10] Vgl. näher: www.isd-hamburg.de.
[11]
Wodurch der Aspekt einer Neutralität und Unabhängigkeit dieser
Institution schon von vornherein relativiert wird (vgl. insbesondere S. 7
dieser Studie: „Unterstützt wurde die Untersuchung von der Casinos Austria AG und der Österreichische Lotterien GmbH,
die durch eine finanzielle Förderung an die Gesellschaft zur
Erforschung nicht stoffgebundener Abhängigkeiten [GES] die Realisierung
dieser Studie möglich gemacht haben. Die GES ist Zuwendungsgeber und
Vertragspartner für das ISD. Ein der GES zugeordneter Beirat hat die
Untersuchung inhaltlich begleitet.“ [Hervorhebungen nicht im Original]).
[12] Vgl. www.ots.at/presseaussendung/OTS_20150408_OTS0039.
[13] Vgl. auch https://service.bmf.gv.at/budget/akthh/2014/201412FH_ug16.htm.
[14] Wobei in diesem Zusammenhang nicht nur eine große Reichweite garantierende Medien – v.a. TV, Rundfunk (vgl. z.B. „Ö3-Glückskeks“), e‑papers, Internet (vgl. z.B. „Damentag
in allen Casinos: ..... Für nur 23 Euro erhalten Sie Begrüßungsjetons
im Wert von 25 Euro und Ihr Gewinnticket für die Verlosung des
Tagespreises“, www.casinos.at/de/casinos-austria/eventkalender?edui=4&estx=damentag), Printmedien (vgl. z.B. „Lotterien-Tag:
Österreichs Lotterien öffnen Türen zum Tiergarten Schönbrunn: ..... Wer
mit einer Spielquittung oder einem Los der Österreichischen Lotterien
zu einem der drei Eingänge kommt, erhält freien Eintritt .....“, Der
Standard vom 21. Juli 2014, S. 17; Stadt-Blatt Innsbruck vom 18. März
2015 mit aufgeklebtem 10-Euro-Gutschein-Jeton für das Casino Innsbruck)
und Social Medias (vgl. z.B. „Jackpot
Cafe – Mega-Million-Jackpot – Täglich ab 11:00 Uhr – Keine
Bekleidungsvorschriften – Spielen ab 1 Cent – vom 1. bis 14. April 2016“
via facebook) –, sondern auch alle anderen Formen von Werbeträgern –
wie eine Garnitur der Wiener U-Bahn oder Plakatwände, aber auch
Lokalzeitungen (vgl. z.B. „Lotterien-Tag im Kunsthistorischen Museum – mit dem Lottoschein am Freitag, dem 31. Oktober, kostenlos zu Diego Velazquez“, Neue Vorarlberger Tageszeitung vom 30. Oktober 2014, S. 33) und weniger auflagenstarke Printmedien (vgl. z.B. „Mit
Anteilsschein mehr Chancen zu gewinnen – Neu bei Lotto und
EuroMillionen: Geringer Einsatz, eine Vielzahl an Tipps und somit
erhöhte Gewinnchancen“, Katholisches Kirchenblatt Vorarlberg vom 16. Dezember 2014, S. 22) benützt werden.
[15]
Siehe insbesondere nochmals Institut Suchprävention pro mente
Oberösterreich, Factsheet Sucht – Abhängigkeit und Substanzkonsum,
Version 2.4 vom 17. Juni 2016, S. 3: „Wie alle statistischen
Materialien sind auch die hier vorgestellten Zahlen selbst kein Spiegel
der Realität. Sie sind vielmehr durch Konstruktionsprozesse entstanden
und im Umgang damit ist Vorsicht geboten. ..... Wahrscheinlichkeiten
beziehen sich auf konstruierte gesellschaftliche Gruppen, bei denen
bestimmte Merkmale gehäuft beobachtet werden können.
Wahrscheinlichkeiten beziffern die Häufigkeit eines Ereignisses in einer
fiktiven Kohorte, in einer Grundgesamtheit. ..... Wahrscheinlichkeiten
beziehen sich jedoch per definitionem nicht auf eine konkrete Person,
sondern auf einen konstruierten Kasus (einen Idealtypus); ..... . Der
Schluss auf kausale Merkmale (Wahrscheinlichkeiten) der aggregierten
Gruppe begründet kein Kausalmodell im Sinne der Newton‘schen Physik.“
[16] Wenn der VwGH in diesem Zusammenhang in seinem Erkenntnis vom 15. Dezember 2015, Ro 2014/17/0121, anführt, dass er die vom LVwG OÖ
in dessen Erkenntnis vom 30. April 2014, LVwG-410287, vertretene
Rechtsansicht, dass gegen die Geltung des Amtswegigkeitsprinzips in
einem gerichtlichen Strafverfahren verfassungsrechtliche Bedenken im
Hinblick auf Art. 90 Abs. 2 B-VG, Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art.
47 EGRC bestehen, nicht nachvollziehen könne, so ist zwar zuzugestehen,
dass in der hg. Entscheidung nicht dezidiert zum Ausdruck gebracht
wurde, dass das Amtswegigkeitsprinzip im Anwendungsbereich des
Verwaltungs(straf-)verfahrens den Charakter eines Inquisitionsprinzips
annimmt und daher auch synonym in diesem Sinn zu verstehen ist;
allerdings wird diese Ansicht der Sache nach einhellig (wenngleich
gelegentlich euphemistisch umschrieben) schon seit dem Inkrafttreten der
Verwaltungsverfahrensgesetze vertreten (vgl. z.B. A. Langer, Verwaltungs-Strafrecht und Strafverfahren [1926], 25; Ernst C. Hellbling, Kommentar zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen, Bd. II [1954], S. 3), sodass dem LVwG OÖ
eine gesonderte Betonung dieses Umstandes entbehrlich erschien. Dessen
ungeachtet dürfte es aber keinem Zweifel unterliegen, dass die
Fortgeltung der Inquisitionsmaxime auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (allenfalls mit Art. 90 Abs. 2 B‑VG [so der VwGH
im Erkenntnis vom 15. Dezember 2014, Zl. Ro 2014/17/0121], jedenfalls
aber) nicht mit den europäischen Grundrechtsgewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. des Art. 47 EGRC vereinbar ist.
[17]
Vgl. jüngst auch BVerfG vom 16.12.2014, 1 BvR 2142/11 (= EuGRZ 2015,
239 ff), zur Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter bei
Missachtung der Letztentscheidungskompetenz.
[18]
Bedenklich insoweit BVerfG vom 16.12.2014, 1 BvR 2142/11 (= EuGRZ 2015,
239 ff), RN 43; eine derartige Auffassung lässt sich nur mit der
Behauptung des Bestehens eines sog. „integrationsfesten
Verfassungskerns“ begründen.
[19] Vgl. z.B. EuGH vom 30. Juni 2016, C-634/15 (Sokoll-Seebacher II, EU:C:2016:510),
RN 19; wird die Stellung eines Vorlageantrages ohne zureichende
Begründung unterlassen, liegt – gewissermaßen als Ausgleich dafür, dass
das Unionsrecht keine Individualbeschwerdebefugnis an den EuGH kennt –
eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK vor (vgl. jüngst EGMR vom 23. Mai 2016, 17502/07, RN 109 ff).
[20] Zu – eng beschränkten – Ausnahmekonstellationen vgl. jüngst EuGH vom 28. Juli 2016, C-379/15 (Association France Nature Environnement, EU:C:2016/603), RN 40 ff.
[21] Abrufbar unter http://www.lvwg-ooe.gv.at/383.htm.
[22] Vgl. näher den Evaluierungsbericht 2010-2014 des BMF, III-131 BlgNR, 25. GP, S. 37 ff.
[23] Vgl. Arthur Schroers und Christoph Lagemann,
in: Jens Kalke – Sven Buth – Moritz Rosenkranz – Christian Schütze –
Harald Oechsler – Uwe Verthein, Glücksspiel und Spielerschutz in
Österreich – Empirische Erkenntnisse zum Spielverhalten der Bevölkerung
und zur Prävention der Glücksspielsucht, Lambertus-Verlag, Freiburg
i.Br., 2011, S. 16.
[24] Vgl. Arthur Schroers und Christoph Lagemann,
in: Jens Kalke – Sven Buth – Moritz Rosenkranz – Christian Schütze –
Harald Oechsler – Uwe Verthein, Glücksspiel und Spielerschutz in
Österreich – Empirische Erkenntnisse zum Spielverhalten der Bevölkerung
und zur Prävention der Glücksspielsucht, Lambertus-Verlag, Freiburg
i.Br., 2011, S. 12.
[25]
Vgl. dazu auch den Jahresbericht 2015 des Vereines „(Wiener)
Spielsuchthilfe“ (downloadbar unter:
http://www.spielsuchthilfe.at/pdf/spielsuchthilfe-jahresbericht-2015.pdf),
S. 92 f .
[26]
Dass die Anzahl der pathologisch Spielsüchtigen jene der bloß
verhaltensauffälligen Spieler überwiegt, ist kaum verwunderlich, wenn
man bedenkt, dass (vgl. dazu Sven Buth, in: Kalke u.a.,
Glücksspiel und Spielerschutz, S. 161) eine Verhaltensauffälligkeit
vorliegt, wenn 3 oder 4 von insgesamt 10 DSM-IV-Kriterien erfüllt sind,
ein pathologisches Spielverhalten aber bereits dann gegeben ist, wenn
von den verbleibenden 6 DSM-IV-Kriterien bloß 1 weiteres hinzutritt,
sodass insgesamt (bloß) 5 DSM-IV-Kriterien erfüllt sind.
[27] Vgl. Sven Buth,
in: Jens Kalke – Sven Buth – Moritz Rosenkranz – Christian Schütze –
Harald Oechsler – Uwe Verthein, Glücksspiel und Spielerschutz in
Österreich – Empirische Erkenntnisse zum Spielverhalten der Bevölkerung
und zur Prävention der Glücksspielsucht, Lambertus-Verlag, Freiburg
i.Br., 2011, S. 161.
[28] Abrufbar unter: http://www.praevention.at/seiten/index.php/nav.5/view.26/level.2/
[29] Internetadresse: www.praevention.at/seiten/index.php/nav.2/view.2/level.1/
[30] Vgl. Sven Buth,
in: Jens Kalke – Sven Buth – Moritz Rosenkranz – Christian Schütze –
Harald Oechsler – Uwe Verthein, Glücksspiel und Spielerschutz in
Österreich – Empirische Erkenntnisse zum Spielverhalten der Bevölkerung
und zur Prävention der Glücksspielsucht, Lambertus-Verlag, Freiburg
i.Br., 2011, S. 143 f.
[31] Auch der Autor der im Glücksspielbericht 2010-2013 des BMF bezogenen Studie bemerkt in diesem Zusammenhang selbst (vgl. Sven Buth, Repräsentativbefragung der Bevölkerung, in: Jens Kalke u.a. [Hrsg.], Glücksspiel und Spielerschutz in Österreich, Lambertus-Verlag, Freiburg i. Br. 2011, S. 162): „Trotz
komplexer Verfahren der Stichprobenauswahl und den Möglichkeiten einer
nachträglichen Gewichtung stellen die Ergebnisse von
Repräsentativbefragungen immer nur eine Schätzung der tatsächlichen Verhältnisse dar. Die in der oberen Tabelle 6.8 abgetragenen Anteile problematischen und pathologischen Spielens sind somit als (Punkt‑)Schätzungen der wahren Problemprävalenzen zu begreifen. Statistisch lässt sich ein Intervall berechnen, in welchem sich mit einer zuvor definierten Sicherheit – meistens 95 Prozent oder 99 Prozent – der wahre Wert befinden muss. Der obere und untere Wert dieses so genannten Konfidenzintervalls ist in Bezug auf das Ausmaß der vorhandenen Spielprobleme in Tabelle 6.9 dargestellt. Ein problematisches Spielverhalten zeigen demnach in Österreich zwischen 0,27 Prozent und 0,59 Prozent der Bevölkerung. Hochgerechnet auf die in Österreich lebenden Personen im Alter von 14 bis 65 Jahren sind dies zwischen 15.700 und 34.500 Betroffene. Das Konfidenzintervall des Anteils des Spielsüchtigen variiert zwischen 0,46 Prozent und 0,86 Prozent. Absolut zeigen somit zwischen 26.900 und 50.200 ÖsterreicherInnen ein pathologisches Spielverhalten“ (Hervorhebungen nicht im Original), sodass demnach das Gesamtintervall an problematischen und pathologischen Spielern zwischen 42.600 und 84.700 Personen läge und die Zahl von 64.000 somit einen ungefähren Mittelwert zwischen – allerdings zuvor autonom definierten – Sicherheitsgrenzen verkörpert.
[32] Downloadbar unter: http://www.spielsuchthilfe.at/pdf/spielsuchthilfe-jahresbericht-2015.pdf; vgl. insbesondere S. 40 ff., S. 47 ff und S. 54.
[33]
Vgl. dazu insbesondere auch die Feststellung des Instituts
„Suchprävention pro mente Oberösterreich“ im Factsheet Sucht -
Abhängigkeit und Substanzkonsum, Version 2.4 vom 17. Juni 2016, S. 3
(Hervorhebungen nicht im Original): „Die Begriffe Abhängigkeit,
Sucht, problematischer Konsum, Missbrauch, aktueller Konsum,
Lebenszeitprävalenz des Konsums, Lebenszeitprävalenz der Abhängigkeit
beziehen sich auf jeweils unterschiedliche Sachverhalte und es ist wichtig sich im Umgang mit epidemiologischen Prävalenzzahlen die Differenz der Begriffe ins Gedächtnis zu rufen. ..... Wie alle statistischen Materialien sind auch die hier vorgestellten Zahlen selbst kein Spiegel der Realität. Sie sind vielmehr durch Konstruktionsprozesse entstanden und im Umgang damit ist Vorsicht geboten.
..... Der bekannte Spruch: ‚Vertraue keiner Statistik, die Du nicht
selbst gefälscht hast‘, bezieht sich auf diese Abstraktionsleistung bei
der Erstellung von Statistiken. Statistiken entstehen auf dem Boden von
gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Konventionen und Erzählungen
und oft genug wird man auf Zahlentraditionen stoßen, deren rationale
Begründung ausgedünnt, wenn nicht verloren ist. ..... Ebenso ist vor dem Rückschluss von statistischen Wahrscheinlichkeiten auf Kausalitäten zu warnen.
Wahrscheinlichkeiten beziehen sich auf konstruierte gesellschaftliche
Gruppen bei denen bestimmte Merkmale gehäuft beobachtet werden können.
Wahrscheinlichkeiten beziffern die Häufigkeit eines Ereignisses in einer
fiktiven Kohorte, in einer Grundgesamtheit. Wahrscheinlichkeiten beziehen sich jedoch per definitionem nicht auf eine konkrete Person, sondern auf einen konstruierten Kasus (einen Idealtypus); ..... . Der Schluss auf kausale Merkmale (Wahrscheinlichkeiten) der aggregierten Gruppe begründet kein Kausalmodell im Sinne der Newton‘schen Physik.“
[34] Vgl. dazu z.B. den „Jahresbericht 2015“ des Vereines „(Wiener) Spielsuchthilfe“, S. 14 (downloadbar unter: http://www.spielsuchthilfe.at/pdf/spielsuchthilfe-jahresbericht-2015.pdf); Gegenteiliges geht auch aus dem Evaluierungsbericht 2010-2014 des BMF (III-131 BlgNR, 25. GP) nicht hervor.
[35] Abrufbar unter: www.isd-hamburg.de/dl/Repraesentativbefragung_2015_Bericht_final.pdf.
[36] Projektleitung: Jens Kalke und Friedrich Martin Wurst; weitere Mitglieder des Projektteams: Sven Buth und Natasha Thon.
[37] Vgl. näher: www.isd-hamburg.de.
[38]
Wodurch der Aspekt einer Neutralität und Unabhängigkeit dieser
Institution schon von vornherein relativiert wird (vgl. insbesondere S. 7
dieser Studie: „Unterstützt wurde die Untersuchung von der Casinos Austria AG und der Österreichische Lotterien GmbH,
die durch eine finanzielle Förderung an die Gesellschaft zur
Erforschung nicht stoffgebundener Abhängigkeiten [GES] die Realisierung
dieser Studie möglich gemacht haben. Die GES ist Zuwendungsgeber und
Vertragspartner für das ISD. Ein der GES zugeordneter Beirat hat die
Untersuchung inhaltlich begleitet.“ [Hervorhebungen nicht im Original]).
[39] Vgl. https://www.bmf.gv.at/steuern/gluecksspiel-spielerschutz/in-oesterreich/Gluecksspiel-Bericht-2010-2013.html
[40] Und im Jahr 2014 weitere 625 (vgl. den Evaluierungsbericht 2010-2014, III-131 BlgNR, 25. GP, S. 43).
[41]
Nämlich: 5 Verurteilungen im Jahr 2013 (vgl. Statistik Austria,
Gerichtliche Kriminalstatistik 2014, S. 59), 2 Verurteilungen im Jahr
2012 (vgl. Statistik Austria, Gerichtliche Kriminalstatistik, 2013, S.
63) und 11 Verurteilungen im Jahr 2011 (vgl. Statistik Austria,
Gerichtliche Kriminalstatistik, 2013, S. 112, jeweils unter www.statistik.at/web_de/services/publikationen/6/index.html?id=6&listid=6&detail=625 downloadbar).
[42] Vgl. Judith Köberl – Franz Prettenthaler,
Kleines Glücksspiel – Großes Leid: Empirische Untersuchungen zu den
sozialen Kosten des Glücksspiels in der Steiermark (Schriftenreihe des
Institutes für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research,
Bd. 10), Leykam-Verlag, Graz 2009.
[43] Vgl. Judith Köberl – Franz Prettenthaler,
Kleines Glücksspiel – Großes Leid: Empirische Untersuchungen zu den
sozialen Kosten des Glücksspiels in der Steiermark (Schriftenreihe des
Institutes für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research,
Bd. 10), Leykam-Verlag, Graz 2009, S. 108 ff (insbes. S. 112) und
S. 172.
[44] Selbst wenn man noch jene Fälle, in denen Glücksspielsucht auch als Teilmotiv fungierte (vgl. Judith Köberl – Franz Prettenthaler,
Kleines Glücksspiel – Großes Leid: Empirische Untersuchungen zu den
sozialen Kosten des Glücksspiels in der Steiermark [Schriftenreihe des
Institutes für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research,
Bd. 10], Leykam-Verlag, Graz 2009, S. 112) hinzurechnet, ergibt dies
insgesamt bloß 25 Fälle von glücksspielmotivierter
Beschaffungskriminalität im Sprengel des OLG Graz in einem Zeitraum von
18 Monaten (Gesamtjahr 2006 und erstes Halbjahr 2007); statistisch
hochgerechnet würde dies in allen 4 OLG-Sprengeln – und damit
österreichweit – eine (fiktive) Anzahl von lediglich 66,7 Fällen jährlicher Beschaffungskriminalität ergeben.
[45] Vgl. den Evaluierungsbericht 2010-2014 des BMF, III-131 BlgNR, 25. GP, S. 25 ff, insbesondere 27 f.
[46] Also zwischen drei bis fünf Jahren (vgl. z.B.
Wirtschaftskammern Österreichs – Gründerservice [Hrsg.], Das verflixte
dritte Jahr und weitere praktische Tipps für die Nachgründungsphase,
Wien 2015 [https://www.gruenderservice.at/Content.Node/gruenden/Broschueren/verflixte3jahr_2015.pdf], S. 7).
[47]
Im Bundesland Oberösterreich wurden die Konzessionen für die sog.
„Landesausspielungen“ im Jahr 2013 rechtskräftig vergeben; vgl. im
Übrigen auch FN 101.
[48] Vgl. auch: https://service.bmf.gv.at/budget/akthh/2014/201412FH_ug16.htm.
[49] Siehe zur Novelle BGBl I 111/2010 auch 981 BlgNR, 24. GP, insbes. S. 148 ("Die
Höhe der Gebühren in Zusammenhang mit der Antragstellung und der
Konzessionserteilung ergeben sich aus der Notwendigkeit zur Durchführung
aufwändiger Konzessionierungsverfahren. ..... Zudem besteht auf Grund
der Ertragskraft der glücksspielrechtlichen Konzessionen ein hohes
Interesse der Konzessionswerber an der Erteilung einer Konzession, in
deren Licht die Höhe der Gebühren keinesfalls unangemessen ist.").
[50] Abrufbar unter: http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20150408_OTS0039.
[51] In den Jahren 2010 bis 2013 beliefen sich die Einnahmen des Bundes im Jahresdurchschnitt auf ca.
121,411 Milliarden Euro (vgl. Statistik Austria, Gebarungsübersichten
2013 [2014], S. 18 [downloadbar unter:
www.statistik.at/web_de/services/publikationen/19/index.html), sodass
der aus den Glücksspielabgaben resultierende Anteil ca. 0,4% der Gesamteinnahmen beträgt.
[52] Gebühren von 10.000 Euro für die Antragstellung und von 100.000 Euro im Falle der Erteilung einer Konzession, wie diese in § 59a Abs.
1 Z. 1 und 2 GSpG vorgesehen sind, finden in der gesamten übrigen
Rechtsordnung – soweit ersichtlich – keine adäquate Entsprechung.
[53] Gleiches gilt im Übrigen auch für jene Länder, in denen Ausspielungen gemäß § 5 GSpG zulässig sind; vgl. z.B. für Oberösterreich Blg 327/2011 zu den Wortprotokollen des Oö. Landtags, 27. GP, insbes. S. 2 ff und 12 f.
[54]
Zum weder in der EGRC noch in der EMRK explizit positivierten, in
Verbindung mit einzelnen Grundrechtsgewährleistungen jedoch aus dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgeleiteten sog. „Richtervorbehalt“
vgl. im Zusammenhang mit Art. 7 EGRC z.B. EuGH vom 8. April 2014, C-293/12 (Digital Rights Ireland, EU:C:2014:238), RN 62, im Zusammenhang mit Art. 8 EMRK bspw. EGMR vom 2. September 2010, 35623/05, RN 71, bzw. vom 25. März 1998, 23224/94, RN 72, sowie im Zusammenhang mit § 3 HausRG etwa VfSlg 6553/1971, S. 737 f (m.w.N.); zum Begriff vgl. näher W. Berka, Die Grundrechte, Wien 1999, RN 257, und J. Hengstschläger – D. Leeb, Grundrechte, 2. Aufl., Wien 2013, RN 1/56.
[55] Dieser Antrag wurde vom VfGH
mit Beschluss vom 15. Oktober 2016, G 103/2016, aus formellen Gründen
zurückgewiesen; seiner verfassungsmäßigen Verpflichtung, einen
neuerlichen, nunmehr den Anforderungen des Art. 140 B‑VG entsprechenden
Antrag einzubringen, ist der OGH bislang nicht nachgekommen.
[56] Abrufbar unter http://www.lvwg-ooe.gv.at/383.htm.
[57] Vgl. z.B. (Hervorhebungen jeweils nicht im Original) RN 98 („Der
Verwaltungsgerichtshof hegt sohin insgesamt keine Zweifel daran, dass
mit der Einführung der Regelung über die Landesausspielungen mit
Glücksspielautomaten in § 5 GSpG eine Verbesserung des Spielerschutzes
beabsichtigt und erreicht wurde.“), RN 117 („Durch die
Festlegung eines normativen Rahmens und einer damit einhergehenden
strikten behördlichen Kontrolle wird Sorge dafür getragen, dass die
Ziele tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden.“) und RN 122 („Es
wurde bereits dargelegt, dass im GSpG die angestrebten Ziele des
Spielerschutzes, der Spielsuchtbekämpfung, der Verringerung der
Beschaffungskriminalität sowie der Verhinderung von kriminellen
Handlungen gegenüber Spielern in kohärenter und systematischer Weise
verfolgt werden. Diese Ziele können nicht bloß als Vorwand für die Beibehaltung der Monopolregelung bzw. einer Einnahmenmaximierung angesehen werden.“).
[58] Symptomatisch dafür etwa RN 108, wo aus dem Umstand, „dass
Spielsucht und Kriminalität ..... in Österreich im betrachteten
Zeitraum seit 2010 keine überdurchschnittlich maßgeblichen oder
gesamtgesellschaftlich relevanten Probleme darstellten“ der Schluss gezogen wird, dass dieser Effekt nur daraus resultieren könne, dass „die
Beschränkung der Möglichkeit der Teilnahme an Glücksspielen durch ein
Monopolsystem, das mit einem Konzessionssystem kombiniert wurde, bereits
seit langer Zeit (beginnend im 18. Jahrhundert) bestand“, wodurch „eindrucksvoll belegt“ wird, „dass
das vom österreichischen Gesetzgeber seit langer Zeit gewählte System
zur Beschränkung der Möglichkeiten, in Österreich an Glücksspielen
teilzunehmen, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele des
Spielerschutzes, sowie der Bekämpfung von Spielsucht und Kriminalität im
Zusammenhang mit Glücksspielen erreichte.“. Auf den daraus resultierenden Widerspruch zur Argumentation in RN 78 (vgl. ebenso RN 99, RN 103 und 106), wo der VwGH
jeweils selbst davon ausgeht, dass illegales Glücksspiel ein
permanentes Problem verkörpert, dem durch ständige Novellierungen des
GSpG begegnet werden muss („So wird in den Gesetzesmaterialien
ausgeführt, es hätten sich in der Zeit vor dieser Novelle illegale
Automatenkasinos ausgebreitet, die in keinerlei Hinsicht Schutz für das
Spielerpublikum böten: Weder könne der Bund die illegal aufgestellten Glücksspielautomaten
beaufsichtigen, noch hätten die Betreiber oder Aufsteller eine
Verantwortung gegenüber dem Spieler. Schon zum Schutz des
Spielerpublikums seien rasch durchgreifende Maßnahmen erforderlich [vgl ErläutRV 17. GP, BlgNr 1067, 21].“), und in RN 109 („Die
zentralen Probleme in Österreich im Bereich des Glücksspieles in den
letzten Jahren lagen nicht primär im Anstieg der Anzahl der
Spielsüchtigen und der Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspielen,
sondern vielmehr darin, dass die von Anbietern, die über keine
Konzession oder Bewilligung verfügten, bereitgestellten Gelegenheiten an
zahlreichen [neuen] Glücksspielen auch über neue Technologien
[Online-Glücksspiel] teilzunehmen, stark zunahmen; mit anderen Worten:
Man war mit einer immensen Ausweitung des illegalen Glücksspiels
konfrontiert. Dieser Umstand ist schon aus den vom
Landesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den nach dem GSpG
erfolgten Bestrafungen, Beschlagnahmen und Einziehungen ersichtlich.“; Hervorhebungen jeweils nicht im Original) sei hingewiesen.
[59] Vgl. in diesem Sinne Ch. Grabenwarter – K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 6. Aufl. (2016), 571, RN 171.
[60]
Selbst wenn man die hochgerechnete Zahl von 64.000 spielsüchtigen
Personen als vorbehaltlos zutreffend unterstellen würde, entspräche dies
lediglich einem Anteil von ca. 1/133 an der österreichischen Gesamtbevölkerung.
[61] Vgl. z.B. VwGH vom 20. Oktober 2015, Ra 2014/09/0028, m.w.N.; s.a. P. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit (1983), 173.
[62] Vgl. jüngst EuGH vom 11. September 2014, C-112/13 (EU:C:2014:2195), RN 36, und vom 4. Juni 2015, C-5/14 (Kernkraftwerke Lippe-Ems; EU:C:2015:354), RN 32.
[63] Siehe auch Franz Leidenmühler, Kohärenz im österreichischen Glücksspielrecht? - Wertungswidersprüche und Judikaturdivergenzen, MR 2016 (in Druck); Cornelia Lanser, In dubio pro Vorlagepflicht, ecolex 2016, 1030 ff; Alfred Grof,
Monopolkompetenz des EuGH in Fragen der Vereinbarkeit von
innerstaatlichem Recht mit Unionsrecht vs.
Kompatibilitätsprüfungsmonopol nationaler Höchstgerichte:
Grundbedingungen für ein Harmonisierungsmodell, SPRW 2016, 110 und 116; ders,
Unionsrechtskompatibilität: Keine Bindung an Höchstgerichte – insb
nicht bei Judikaturdivergenz (zB Glücksspielmonopol)?!, ecolex 2016,
739.