Samstag, 24. Juli 2021

Haftung eines Mitgliedstaats bei Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht - EuGH Haim (C-424/97) vom 4. Juli 2000


EuGH-Urteil Hein (C-385/17) vom 13. Dezember 2018

51) Auch wenn die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts das Unionsrecht heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen findet und nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen darf, umfasst das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie nicht vereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2016, DI, C-441/14, EU:C:2016:278, Rn. 32 und 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung)

s.a.. Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht (Zusammenfassung)

Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, über verschiedene Rechtsbehelfe die Schäden zu ersetzen, die dem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 1991, Francovich u. a., C-6/90 und C-9/90, EU:C:1991:428, Rn. 37, sowie vom 24. Juni 2019, Poplawski, C-573/17, EU:C:2019:530, Rn. 56).

Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz von Schäden verpflichtet sind, die dem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, gilt auch dann, wenn der fragliche Verstoß in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts besteht (Urteil vom 30. September 2003, Köbler, C-224/01, EU:C:2003:513, Rn. 59).

EuGH-Urteil Haim (C-424/97) vom 4. Juli 2000 s.u.:

Nach der Rn 27 des Urteils Haim muss jeder Mitgliedstaat sicherstellen, dass dem Einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht entstanden ist, gleichgültig, welche staatliche Stelle diesen Verstoß begangen hat und welche Stelle nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats diesen Schadensersatz grundsätzlich zu leisten hat (Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62).

Ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht kann bereits dann vorliegen, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnis nur über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte. (Rn 38) 

Ob und in welchem Umfang ein Gestaltungsspielraum vorliegt, bestimmt sich nach Gemeinschaftsrecht und nicht nach nationalem Recht. Insoweit ist ein dem Beamten oder der Stelle, die den Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen haben, gegebenenfalls nach nationalem Recht eingeräumtes Ermessen unbeachtlich. (Rn 40)

URTEIL DES GERICHTSHOFES

4. Juli 2000 (1)

„Haftung eines Mitgliedstaats bei Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht - Verstöße, die einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft eines Mitgliedstaats zuzurechnen sind - Voraussetzungen für die Haftung des Mitgliedstaats und einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft dieses Mitgliedstaats - Vereinbarkeit einer sprachlichen Anforderung mit der Niederlassungsfreiheit“

In der Rechtssache C-424/97

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Landgericht Düsseldorf (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Salomone Haim

gegen

Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Haftung eines Mitgliedstaats und gegebenenfalls einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft dieses Staates für die durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstandenen Schäden sowie über die Frage, ob es rechtmäßig ist, wenn die Kassenzulassung eines Zahnarztes,

der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, davon abhängig gemacht wird, daß er eine ausreichende Kenntnis der Sprache des Aufnahmestaats hat,

erläßt

DER GERICHTSHOF

unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten D. A. O. Edward (Berichterstatter), L. Sevón und R. Schintgen sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann, H. Ragnemalm und M. Wathelet,

Generalanwalt: J. Mischo

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

-    von Herrn Haim, vertreten durch Rechtsanwältin H. Ungewitter, Düsseldorf,

-    der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder, Bundesministerium für Wirtschaft, Ministerialrat A. Dittrich, Bundesministerium der Justiz, und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,

-    der griechischen Regierung, vertreten durch Rechtsberaterin A. Samoni-Rantou, Abteilung für Rechtsfragen der Europäischen Gemeinschaften im Außenministerium, sowie S. Vodina und G. Karipsiadis, wissenschaftliche Mitarbeiter in derselben Abteilung, als Bevollmächtigte,

-    der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,

-    der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico im Außenministerium, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato P. G. Ferri,

-    der schwedischen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Brattgård, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,

-    der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Assistant Treasury Solicitor J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand von Barrister E. Sharpston,

-    Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Mongin und P. van Nuffel, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, Hamburg,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Haim, vertreten durch Rechtsanwalt U. Faust, Aachen, der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Nordrhein, vertreten durch Rechtsanwalt B. Bellwinkel, Düsseldorf, der deutschen Regierung, vertreten durch A. Dittrich, der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde, Abteilungsleiter im Außenministerium, als Bevollmächtigten, der griechischen Regierung, vertreten durch A. Samoni-Rantou und G. Karipsiadis, der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad, der französischen Regierung, vertreten durch A. de Bourgoing, Chargé de mission in der Rechtsabteilung des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, der italienischen Regierung, vertreten durch Avvocato dello Stato G. Aiello, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse, Departementsråd im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch E. Sharpston, und der Kommission, vertreten durch B. Mongin im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, in der Sitzung vom 9. März 1999,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Mai 1999,

folgendes

Urteil

1.    Das Landgericht Düsseldorf hat mit Beschluß vom 8. Dezember 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 1997, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach den Voraussetzungen und den Modalitäten für die Begründung der Haftung eines Mitgliedstaats und gegebenenfalls einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft dieses Staates für Schäden, die dem einzelnen durch diesem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, sowie danach, ob es rechtmäßig ist, wenn die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, davon abhängig gemacht wird, daß er eine ausreichende Kenntnis der Sprache des Aufnahmemitgliedstaats hat, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.    Diese Fragen stellen sich im Rahmen einer von Herrn Haim (im folgenden: Kläger) gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein (im folgenden: KVN), eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, erhobenen Klage auf Ersatz des Verdienstausfalls, der ihm nach seiner Behauptung dadurch entstanden ist, daß die KVN gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen hat.

Das Gemeinschaftsrecht

3.    Nach Artikel 2 der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (ABl. L 233, S. 1) erkennt jeder Mitgliedstaat die in Artikel 3 dieser Richtlinie abschließend aufgeführten Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes, die die anderen Mitgliedstaaten ausstellen, an und verleiht ihnen in seinem Gebiet die gleiche Wirkung in bezug auf die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Zahnarztes wie den von ihm ausgestellten Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen.

4.    Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, daß die Begünstigten gegebenenfalls in ihrem Interesse und im Interesse ihrer Patienten die Sprachkenntnisse erwerben, die sie für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit im Aufnahmestaat brauchen.“

5.    Artikel 20 der Richtlinie 78/686 bestimmt:

„Mitgliedstaaten, die von ihren eigenen Staatsangehörigen für die Zulassung zur Tätigkeit als Kassenzahnarzt die Ableistung einer Vorbereitungszeit verlangen, können diese während eines Zeitraums von acht Jahren von der Bekanntgabe der Richtlinie an auch von den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten verlangen. Die Dauer der Vorbereitungszeit darf jedoch sechs Monate nicht überschreiten.“

Das nationale Recht

6.    § 21 der Zulassungsordnung für Kassenzahnärzte (Verordnung vom 28. Mai 1957, BGBl. 1957 I S. 582) in ihrer geänderten Fassung (im folgenden: ZOK) lautet:

„Ungeeignet für die Ausübung der Kassenpraxis ist ein Zahnarzt mit geistigen oder sonstigen in seiner Person liegenden schwerwiegenden Mängeln, insbesondere ein Zahnarzt, der innerhalb der letzten fünf Jahre vor seiner Antragstellung rauschgiftsüchtig oder trunksüchtig war.“

Das Ausgangsverfahren

7.    Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und besitzt ein Zahnarztdiplom, das ihm 1946 von der Universität Istanbul (Türkei) erteilt wurde; bis 1980 praktizierte er als niedergelassener Zahnarzt in Istanbul.

8.    1981 erhielt er die Approbation als Zahnarzt in der Bundesrepublik Deutschland, d. h. die Zulassung zur Ausübung seines Berufes im Rahmen einer Privatpraxis.

9.    1982 wurde sein türkisches Diplom von den belgischen Behörden als dem belgischen Zahnarztdiplom gleichwertig anerkannt. Der Kläger arbeitete danach als Zahnarzt mit Kassenzulassung in Brüssel. Er unterbrach diese Tätigkeit dann zwischen November 1991 und August 1992, um in der Zahnarztpraxis seines Sohnes in Deutschland zu arbeiten.

10.   1988 beantragte der Kläger als Voraussetzung für die spätere Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung bei der KVN seine Eintragung in das Zahnarztregister.

11.   Nach § 3 Absatz 2 ZOK ist für eine solche Eintragung die Ableistung einer mindestens zweijährigen Vorbereitungszeit Voraussetzung. Nach § 3 Absatz 4 ZOK gilt dies jedoch nicht für Zahnärzte, die in einem anderen Mitgliedstaat ein nach dem gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften anerkanntes Diplom erworben haben und zur Berufsausübung zugelassen sind.

12.   Mit Bescheid vom 10. August 1988 lehnte die KVN die Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister ab, weil dieser nicht die zweijährige Vorbereitungszeit nach § 3 ZOK abgeleistet habe. Hiervon könne nicht abgesehen werden, weil der Kläger kein Diplom eines Mitgliedstaats, sondern nur ein Diplom eines Drittstaats besitze, das von einem Mitgliedstaat als dem in diesem Staat erteilten Diplom gleichwertig anerkannt worden sei.

13.   Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte u. a. einen Verstoß gegen den EWG-Vertrag geltend. Den Widerspruch wies die KVN mit Bescheid vom 28. September 1988 zurück, nachdem sie eine Rechtsauskunft bei ihrer Aufsichtsbehörde, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, eingeholt hatte, der ihre Rechtsauffassung bestätigte.

14.   Die gegen den Bescheid der KVN gerichtete Klage wurde vom Sozialgericht Düsseldorf mit Urteil vom 28. März 1990 abgewiesen; die dagegen gerichtete Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 24. Oktober 1990 zurück. Mit Beschluß vom 20. Mai 1992 ersuchte das Bundessozialgericht in der Revisionsinstanz den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 20 der Richtlinie 78/686 und von Artikel 52 EWG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG).

15.   In seinem Urteil vom 9. Februar 1994 in der Rechtssache C-319/92 (Haim, Slg. 1994, I-425; im folgenden: Urteil Haim I) entschied der Gerichtshof, daß Artikel 20 der Richtlinie 78/686 einem Mitgliedstaat nicht verbietet, von einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der keinen in Artikel 3 dieser Richtlinie genannten Befähigungsnachweis besitzt, als Voraussetzung für seine Zulassung als Kassenzahnarzt die Ableistung einer Vorbereitungszeit zu verlangen, auch wenn der Betreffende zur Berufsausübung im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates zugelassen ist, und daß Artikel 20 einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der ein von einem Drittstaat ausgestelltes Diplom besitzt, auch dann nicht von der Ableistung der Vorbereitungszeit befreit, wenn dieses Diplom von einem anderen Mitgliedstaat als einem in Artikel 3 der Richtlinie genannten Diplom gleichwertig anerkannt worden ist. Der Gerichtshof fügte allerdings hinzu, daß die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, aber in beiden Mitgliedstaaten zur Berufsausübung zugelassen worden ist und seinen Beruf auch ausgeübt hat, nach Artikel 52 EWG-Vertrag nicht mit der Begründung, er habe die nach dem Recht des erstgenannten Staates erforderliche Vorbereitungszeit nicht abgeleistet, die Zulassung als Kassenzahnarzt versagen dürfen, ohne zu prüfen, ob und, wenn ja, inwieweit die vom Betroffenen bereits nachgewiesene Erfahrung der nach diesem Recht vorgeschriebenen entspricht.

16.   Auf dieses Urteil hin erhielt der Kläger mit Bescheid vom 4. Januar 1995 seine Eintragung in das Zahnarztregister. Das Verfahren zur Zulassung als Kassenarzt verfolgte er aus Altersgründen nicht weiter.

17.   Der Kläger erhob allerdings beim Landgericht Düsseldorf eine zweite Klage gegen die KVN, mit der er Ersatz des Verdienstausfalls begehrt, der ihm dadurch entstanden sei, daß er seit 1. September 1988 bis Ende 1994 einen geringeren Verdienst gehabt habe als den, der zu erwarten gewesen wäre, wenn er als Kassenzahnarzt in Deutschland tätig gewesen wäre.

18.   Nach Auffassung des Landgerichts Düsseldorf hat die KVN 1988 objektiv rechtswidrig die Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister verweigert, weil sie bei ihrer Entscheidung rechtsirrtümlich die Berufserfahrung des Klägers, die er im Rahmen seiner Kassenzahnarzttätigkeit in Belgien erworben hatte, unberücksichtigt gelassen habe. Sie habe jedoch bei dieser Entscheidung schuldlos gehandelt.

19.   Zum einen habe nämlich § 3 ZOK ein Absehen von der Pflicht zur Ableistung eines zweijährigen Vorbereitungsdienstes mit Rücksicht auf die Berufserfahrung eines Zahnarztes im Ausland nicht vorgesehen.

20.   Zum anderen habe sich die Entscheidung der KVN im Hinblick auf Artikel 52 EG-Vertrag, der die Niederlassungsfreiheit gewährleiste, als fehlerhaft erwiesen. Die Frage, ob und inwieweit die Wahrung der Niederlassungsfreiheit des Klägers eine Berücksichtigung seiner Berufserfahrung geboten habe, sei seinerzeit noch nichtentschieden gewesen. Erst seit dem Urteil des Gerichtshofes vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-340/89 (Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357) sei klar gewesen, daß die Berufserfahrung des Klägers zu berücksichtigen sei.

21.   Das vorlegende Gericht schloß daraus, daß die KVN durch die Ablehnung der Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister im Jahre 1988 nicht schuldhaft im Sinne des deutschen Amtshaftungsrechts gehandelt habe, so daß das innerstaatliche Recht keine Grundlage für seine Schadensersatzklage biete.

22.   Zu prüfen sei jedoch, ob sich ein Anspruch des Klägers gegen die KVN unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten könne, da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes jeder Mitgliedstaat für Schäden hafte, die dem einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstünden, und zwar auch bei administrativem Unrecht.

23.   Was das Vorbringen der KVN angehe, der Kläger hätte, selbst wenn er 1988 in das Zahnarztregister eingetragen worden wäre, nicht die Zulassung zum Kassenzahnarzt erhalten, weil er keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse gehabt habe, sei fraglich, ob die nationalen Behörden die Kassenzulassung einer Person wie des Klägers von sprachlichen Voraussetzungen abhängig machen dürften.

24.   Das Landgericht Düsseldorf hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.    Kann, wenn ein Beamter einer rechtlich selbständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft eines Mitgliedstaats bei der Anwendung nationalen Rechts im Rahmen einer Einzelentscheidung gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstößt, neben der Haftung des Mitgliedstaats auch die Haftung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft gegeben sein?

2.    Wenn ja: Liegt ein qualifizierter Gemeinschaftsverstoß in einem Fall, in dem ein nationaler Beamter entweder gegen Gemeinschaftsrecht verstoßendes nationales Recht angewendet hat oder nationales Recht nicht gemeinschaftsrechtskonform angewendet hat, schon deshalb vor, weil dem Beamten bei seiner Entscheidung kein Ermessen zustand?

3.    Dürfen die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines in diesem Mitgliedstaat approbierten Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen, daß dieser die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmestaat braucht?

Zur ersten Frage

25.   Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob es gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden ist, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist.

26.   Die Haftung für Schäden, die dem einzelnen durch einer staatlichen Stelle zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, stellt einen Grundsatz dar, der aus dem Wesen des Vertrages folgt (vgl. Urteile vom 19. November 1991 in den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 35, vom 5. März 1996 in den Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 31, vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38, vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 24, und vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20, und vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-127/95, Norbrook Laboratories, Slg. 1998, I-1531, Randnr. 106).

27.   Wie alle Regierungen, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, und die Kommission im Kern vorgetragen haben und wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, muß jeder Mitgliedstaat sicherstellen, daß dem einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht entstanden ist, gleichgültig, welche staatliche Stelle diesen Verstoß begangen hat und welche Stelle nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats diesen Schadensersatz grundsätzlich zu leisten hat (Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62).

28.   Die Mitgliedstaaten können sich dieser Haftung mithin nicht dadurch entziehen, daß sie auf die interne Verteilung der Zuständigkeiten und der Haftung auf Körperschaften verweisen, die nach ihrer Rechtsordnung bestehen, oder daß sie geltend machen, der staatlichen Stelle, die den Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht begangen habe, hätten nicht die erforderlichen Befugnisse, Kenntnisse oder Mittel zur Verfügung gestanden.

29.   Aus der in den Randnummern 26 und 27 dieses Urteils zitierten Rechtsprechung ergibt sich indessen nicht, daß der Mitgliedstaat seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nur erfüllt, wenn er selbst den Ersatz der dem einzelnen durch gemeinschaftsrechtswidrige innerstaatliche Maßnahmen entstandenen Schäden sicherstellt.

30.   Für bundesstaatlich aufgebaute Mitgliedstaaten hat der Gerichtshof nämlich bereits entschieden, daß ein solcher Mitgliedstaat seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen auch erfüllen kann, wenn nicht der Gesamtstaat den Ersatz der einemeinzelnen durch gemeinschaftsrechtswidrige innerstaatliche Maßnahmen entstandenen Schäden sicherstellt, sofern die innerstaatlichen Verfahrensregelungen einen wirksamen Schutz der Rechte ermöglichen, die dem einzelnen aufgrund Gemeinschaftsrechts zustehen, und die Geltendmachung dieser Rechte nicht gegenüber derjenigen solcher Rechte erschwert ist, die dem einzelnen nach innerstaatlichem Recht zustehen (Urteil Konle, Randnrn. 63 f.).

31.   Dies gilt auch für die Mitgliedstaaten, in denen - unabhängig davon, ob sie bundesstaatlich aufgebaut sind oder nicht - bestimmte Gesetzgebungs- oder Verwaltungsaufgaben dezentralisiert von Gebietskörperschaften mit einer gewissen Autonomie oder von anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, die vom Staat rechtlich verschieden sind, wahrgenommen werden. In diesen Mitgliedstaaten können die Schäden, die dem einzelnen durch innerstaatliche Maßnahmen entstanden sind, die eine öffentlich-rechtliche Einrichtung unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffen hat, daher von dieser ersetzt werden.

32.   Gemeinschaftsrechtlich ist es auch nicht zu beanstanden, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist.

33.   Nach ständiger Rechtsprechung hat der Staat vorbehaltlich des Anspruchs auf Entschädigung, der bei Erfüllung der Voraussetzungen für die Haftung eines Mitgliedstaats für einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht seine Grundlage unmittelbar im Gemeinschaftsrecht hat, die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im nationalen Schadensersatzrecht festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Rechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen, und nicht so ausgestaltet sein dürfen, daß sie die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteile Francovich u. a., Randnrn. 41 bis 43, und Norbrook Laboratories, Randnr. 111).

34.   Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß es gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist

Zur zweiten Frage

35.   Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob in einem Fall, in dem ein nationaler Beamter entweder gegen Gemeinschaftsrecht verstoßendes nationales Recht angewendet oder nationales Recht nicht gemeinschaftsrechtskonform angewendet hat, ein qualifizierter Verstoß im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes schon deshalb vorliegt, weil dem Beamten bei seiner Entscheidung kein Ermessen zustand.

36.   Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht hervor, daß ein Mitgliedstaat Schäden, die dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, unter drei Voraussetzungen zu ersetzen hat: Die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang. Die Beurteilung dieser Voraussetzungen hängt von der jeweiligen Fallgestaltung ab (Urteil Norbrook Laboratories, Randnr. 107).

37.   Diese drei Voraussetzungen müssen sowohl erfüllt sein, wenn die Schäden, deren Ersatz begehrt wird, auf eine Untätigkeit des Mitgliedstaats zurückgehen, z. B. bei der Nichtumsetzung einer Gemeinschaftsrichtlinie, als auch dann, wenn sie auf den Erlaß eines gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßenden Gesetzgebungs- oder Verwaltungsakts zurückgehen, unabhängig davon, ob dieser vom Mitgliedstaat selbst oder von einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung erlassen wurde, die vom Staat rechtlich unabhängig ist.

38.   Was speziell die zweite dieser Voraussetzungen angeht, hat der Gerichtshof bereits entschieden, daß ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnis die Grenzen offenkundig und erheblich überschritten hat, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind (vgl. Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 55, British Telecommunications, Randnr. 42, und Dillenkofer u. a., Randnr. 25), und daß die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat, der zum Zeitpunkt dieser Rechtsverletzung nur über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, ausreichen kann, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen (vgl. Urteile Hedley Lomas, Randnr. 28, und Norbrook Laboratories, Randnr. 109).

39.   Insoweit ist zu beachten, daß die Verpflichtung zum Ersatz der dem einzelnen entstandenen Schäden nicht von einer an den Verschuldensbegriff geknüpften Voraussetzung abhängig gemacht werden kann, die über den hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinausgeht (Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 79).

40.   Der in Randnummer 38 des vorliegenden Urteils erwähnte Gestaltungsspielraum ist derjenige des betreffenden Mitgliedstaats. Ob und in welchem Umfang er vorliegt, bestimmt sich nach Gemeinschaftsrecht und nicht nach nationalem Recht. Insoweit ist ein dem Beamten oder der Stelle, die den Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen haben, gegebenenfalls nach nationalem Recht eingeräumtes Ermessen unbeachtlich.

41.   Aus den in Randnummer 38 zitierten Urteilen ergibt sich ferner, daß eine bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat ein hinreichend qualifizierter Verstoß sein kann, aber nicht sein muß.

42.   Um festzustellen, ob eine solche Verletzung des Gemeinschaftsrechts einen hinreichend qualifizierten Verstoß darstellt, muß das mit einer Schadensersatzklage befaßte nationale Gericht alle Gesichtspunkte berücksichtigen, die für den ihm vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind.

43.   Zu diesen Gesichtspunkten gehören u. a. das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen bzw. zugefügt wurde oder nicht, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, daß das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen hat, daß nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt oder aufrechterhalten wurden (vgl. Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 56, zu den Voraussetzungen für die Begründung der Haftung des Staates wegen gemeinschaftsrechtswidriger Handlungen und Unterlassungen des nationalen Gesetzgebers).

44.   Die Anwendung dieser Kriterien auf den vorliegenden Fall obliegt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes grundsätzlich den nationalen Gerichten (Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 58), die dabei die vom Gerichtshof entwickelten Leitlinien zu beachten haben (Urteil Konle, Randnr. 58).

45.   Hierzu ist festzustellen, daß es sich bei der betreffenden Vorschrift des Gemeinschaftsrechts um eine Vertragsbestimmung handelt, die seit dem - lange vor dem streiterheblichen Zeitpunkt eingetretenen - Ablauf der im Vertrag vorgesehenen Übergangszeit unmittelbar anwendbar ist.

46.   Als der deutsche Gesetzgeber § 3 ZOK erließ und die KVN sodann die Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister ablehnte, hatte der Gerichtshof jedoch noch nicht das Urteil Vlassopoulou erlassen, in dessen Randnummer 16 er erstmals entschied, daß ein Mitgliedstaat, bei dem die Zulassung zu einem Beruf beantragt wird, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation abhängt, die Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, die der Betroffene erworben hat, um den gleichen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, in der Weise zu berücksichtigen hat, daß er die durch diese Diplome bescheinigten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleicht.

47.   Gemäß diesem Grundsatz entschied der Gerichtshof in Randnummer 29 des Urteils Haim I, daß die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, der aber in beiden Mitgliedstaaten zur Berufsausübung zugelassen worden ist und seinen Beruf auch ausgeübt hat, nach Artikel 52 EG-Vertrag nicht mit der Begründung, er habe die nach dem Recht des erstgenannten Staates erforderliche Vorbereitungszeit nicht abgeleistet, die Zulassung als Kassenzahnarzt versagen dürfen, ohne zu prüfen, ob und, wenn ja, inwieweit die vom Betroffenen bereits nachgewiesene Erfahrung der nach diesem Recht vorgeschriebenen entspricht.

48.   Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand der in den Randnummern 43 bis 47 des vorliegenden Urteils gegebenen Kriterien und Hinweise zu prüfen, ob im Ausgangsrechtsstreit ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt.

49.   Auf die zweite Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß bei der Prüfung, ob ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes vorliegt, der Gestaltungsspielraum zu berücksichtigen ist, über den der betreffende Mitgliedstaat verfügt. Das Bestehen und der Umfang dieses Gestaltungsspielraums sind anhand des Gemeinschaftsrechts und nicht anhand des nationalen Rechts zu bestimmen.

Zur dritten Frage

50.   Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassen und approbiert ist, aber kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen dürfen, daß dieser Zahnarzt die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat braucht.

51.   Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnten derartige sprachliche Anforderungen gegen Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 und gegen Artikel 52 EG-Vertrag verstoßen.

52.   Zu Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 ist festzustellen, daß die in dieser Richtlinie aufgestellten Vorschriften über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes nicht für Diplome gelten, die in einem Drittstaat erworben wurden, selbst wenn sie von einem anderen Mitgliedstaat als gleichwertig anerkannt wurden (vgl. Urteil vom 9. Februar 1994 in der Rechtssache C-154/93, Tawil-Albertini, Slg. 1994, I-451, Randnr. 13).

53.   Da das Diplom des Klägers von einem Drittstaat erteilt wurde, fällt es, obwohl es von einem anderen Mitgliedstaat als einem in Artikel 3 der Richtlinie 78/668 genannten Diplom gleichwertig anerkannt wurde, nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie.

54.   Folglich braucht nicht geprüft zu werden, ob es in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens gegen Artikel 18 Absatz 3 dieser Richtlinie verstößt, wenn als Voraussetzung für die Kassenzulassung Sprachkenntnisse verlangt werden.

55.   Der Kläger hat sich unmittelbar auf Artikel 52 EG-Vertrag berufen und geltend gemacht, § 21 ZOK könne nicht die Forderung nach Sprachkenntnissen rechtfertigen, wie sie von ihm im Ausgangsverfahren verlangt worden seien. Nach dieser Vorschrift sei ein Zahnarzt mit geistigen oder sonstigen in seiner Person liegenden schwerwiegenden Mängeln, insbesondere ein Zahnarzt, der innerhalb der letzten fünfJahre vor Stellung seines Antrag auf Zulassung rauschgiftsüchtig oder trunksüchtig gewesen sei, ungeeignet für die Ausübung der Kassenpraxis. Die beispielhaften Aufzählungen in dieser Vorschrift zeigten klar, daß hiermit keine unzureichenden Sprachkenntnisse gemeint seien oder gemeint sein könnten.

56.   Zwar besagt § 21 ZOK seinem Wortlaut nach nichts über Sprachkenntnisse des Betroffenen, doch steht es dem Gerichtshof nicht zu, sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zur Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift zu äußern, insbesondere nicht zu der Frage, auf welche Arten von Mängeln sich eine nationale Vorschrift wie § 21 ZOK bezieht.

57.   Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten einschränken, nur unter vier Voraussetzungen zulässig: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. u. a. Urteile vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37, und Urteil vom 9. März 1999 in der Rechtssache C-212/97, Centros, Slg. I-1999, I-1459, Randnr. 34).

58.   Zwar ist es im Rahmen der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gemeinschafts- und den nationalen Gerichten grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen in der bei ihm anhängigen Rechtssache erfüllt sind, doch kann der Gerichtshof in seiner Entscheidung auf ein Vorabentscheidungsersuchen gegebenenfalls Klarstellungen vornehmen, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben.

59.   Die Gewährleistung der Verständigung des Zahnarztes mit seinen Patienten sowie mit den Verwaltungsbehörden und Berufsorganisationen stellt insoweit, wie der Generalanwalt in den Randnummern 105 bis 113 seiner Schlußanträge ausführt, einen zwingenden Grund des allgemeinen Interesses dar, der es rechtfertigt, die Kassenzulassung eines Zahnarztes von sprachlichen Voraussetzungen abhängig zu machen. Sowohl das Gespräch mit den Patienten als auch die Einhaltung der im Aufnahmemitgliedstaat für Zahnärzte geltenden Berufsregeln und Rechtsvorschriften wie auch die Erfüllung der administrativen Aufgaben verlangen nämlich eine angemessene Kenntnis der Sprache dieses Staates.

60.   Zu beachten ist jedoch, daß sprachliche Anforderungen, die gewährleisten sollen, daß sich der Zahnarzt mit seinen Patienten, deren Muttersprache die Sprache des betreffenden Mitgliedstaats ist, sowie mit den Verwaltungsbehörden und den Berufsorganisationen dieses Staates angemessen verständigen kann, nicht über das zur Erreichung dieses Zieles Erforderliche hinausgehen dürfen. Es liegt im Interesse der Patienten, deren Muttersprache nicht die Amtssprache ist, daß es eine gewisse Zahl von Zahnärzten gibt, die sich mit ihnen auch in ihrer eigenen Sprache verständigen können.

61.   Auf die dritte Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassen und approbiert ist, aber kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen dürfen, daß dieser Zahnarzt die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat braucht.

Kosten

62.   Die Auslagen der deutschen, der dänischen, der griechischen, der spanischen, der französischen, der italienischen und der schwedischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Landgericht Düsseldorf mit Beschluß vom 8. Dezember 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1.    Es ist gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist.

2.    Bei der Prüfung, ob ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes vorliegt, ist der Gestaltungsspielraum zu berücksichtigen, über den der betreffende Mitgliedstaat verfügt. Das Bestehen und der Umfang dieses Gestaltungsspielraums sind anhand des Gemeinschaftsrechts und nicht anhand des nationalen Rechts zu bestimmen.

3.    Die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats dürfen die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassen und approbiert ist, aber kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen, daß dieser Zahnarzt die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat braucht.

Rodríguez Iglesias        Edward            Sevón            Schintgen

Kapteyn            Gulmann            Puissochet        Hirsch

Jann        Ragnemalm        Wathelet

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 4. Juli 2000.

Der Kanzler                                                                    Der Präsident

R. Grass                                                                         G. C. Rodríguez Iglesias

1: Verfahrenssprache: Deutsch.


Hervorhebungen durch mich

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS JEAN MISCHO vom 19. Mai 1999 
Quelle: https://curia.europa.eu/


s.a.. Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht (Zusammenfassung)









EuGH -Beschluss vom 18. Mai 2021 (C-920/18) Fluctus, Fluentum


BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

18. Mai 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Art. 56 AEUV – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiele – Duales System der Organisation des Marktes – Monopol für Lotterien und Spielbanken – Vorherige Bewilligung zum Betrieb von Glücksspielautomaten – Werbepraktiken des Monopolinhabers – Beurteilungskriterien – Verfassungsrechtsprechung, mit der die Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht festgestellt wurde“

In der Rechtssache C‑920/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) mit Entscheidung vom 6. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Dezember 2019, in dem Verfahren

Fluctus s. r. o.,

Fluentum s. r. o.,

KI

gegen

Landespolizeidirektion Steiermark,

Beteiligte:

Finanzpolizei Team 96,

erlässt


DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin sowie der Richter T. von Danwitz und P. G. Xuereb (Berichterstatter),

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Fluctus s. r. o. und der Fluentum s. r. o., vertreten durch Rechtsanwalt P. Ruth,

–        von KI, vertreten durch die Rechtsanwälte N. Aquilina und T. Talos,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, F. Koppensteiner und J. Schmoll als Bevollmächtigte,

–        der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaeminck und R. Verbeke, avocats,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. G. Marrone, avvocato dello Stato,

–        der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, A. Pimenta, M. J. Marques, A. Silva Coelho und P. Barros da Costa als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Malferrari, R. Pethke und L. Armati als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV.

2        Es ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Fluctus s. r. o., der Fluentum s. r. o. und KI auf der einen Seite und der Landespolizeidirektion Steiermark (Österreich) auf der anderen Seite über die Frage, ob Bescheide über die Beschlagnahme von Glücksspielautomaten und Straferkenntnisse wegen Verstoßes gegen die österreichischen Glücksspielvorschriften rechtmäßig sind.

 Rechtlicher Rahmen

3        § 2 des Glücksspielgesetzes vom 28. November 1989 (BGBl. Nr. 620/1989) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Glücksspielgesetz) sieht in seinen Abs. 3 und 4 vor:

„(3)      Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten liegt vor, wenn die Entscheidung über das Spielergebnis nicht zentralseitig, sondern durch eine mechanische oder elektronische Vorrichtung im Glücksspielautomaten selbst erfolgt. Der Bundesminister für Finanzen ist ermächtigt, durch Verordnung bau- und spieltechnische Merkmale von Glücksspielautomaten näher zu regeln sowie Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten festzulegen. Glücksspielautomaten gemäß § 5 sind verpflichtend an die Bundesrechenzentrum GmbH elektronisch anzubinden. …

(4)      Verbotene Ausspielungen sind Ausspielungen für die eine Konzession oder Bewilligung nach diesem Bundesgesetz nicht erteilt wurde und die nicht vom Glücksspielmonopol des Bundes gemäß § 4 ausgenommen sind.“

4        § 3 („Glücksspielmonopol“) dieses Gesetzes bestimmt:

„Das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ist, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol).“

5        § 4 („Ausnahmen aus dem Glücksspielmonopol“) dieses Gesetzes bestimmt in Abs. 2:

„Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten nach Maßgabe des § 5 unterliegen nicht dem Glücksspielmonopol des Bundes.“

6        § 5 („Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten“) dieses Gesetzes sieht in Abs. 1 Z 1 vor:

„Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten sind Ausspielungen nach § 2 Abs. 3 an ortsfesten, öffentlich zugänglichen Betriebsstätten unter Einhaltung ordnungspolitischer Mindestanforderungen an Bewilligungswerber (Abs. 2) sowie besonderer Begleitmaßnahmen der Spielsuchtvorbeugung (Abs. 3 bis 5), der Geldwäschevorbeugung (Abs. 6) und der Aufsicht (Abs. 7)

1.      in Automatensalons mit mindestens 10 und höchstens 50 Glücksspielautomaten oder

2.      in Einzelaufstellung mit höchstens drei Glücksspielautomaten.“

7        In § 52 („Verwaltungsstrafbestimmungen“) des Glücksspielgesetzes heißt es:

„(1)      Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde in den Fällen der Z 1 mit einer Geldstrafe … zu bestrafen,

1.      wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen … veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht …;

(2) Bei Übertretung des Abs. 1 Z 1 mit bis zu drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen ist für jeden Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand eine Geldstrafe … zu verhängen.

…“

8        § 56 („Zulässige Werbung“) Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:

„Die Konzessionäre und Bewilligungsinhaber nach diesem Bundesgesetz haben bei ihren Werbeauftritten einen verantwortungsvollen Maßstab zu wahren. Die Einhaltung dieses verantwortungsvollen Maßstabes ist ausschließlich im Aufsichtswege zu überwachen und nicht dem Klagswege nach §§ 1 ff UWG zugänglich. Abs. 1 Satz 1 stellt kein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB dar.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9        Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass der österreichische Glücksspielmarkt durch ein duales System der Organisation gekennzeichnet ist. Zum einen unterliegen Lotterien und Spielbanken mittels einer dem Monopolinhaber erteilten ausschließlichen Konzession österreichweit einem Monopol. Zum anderen ist der Betrieb von Glücksspielautomaten nach dem Glücksspielgesetz grundsätzlich verboten, kann aber von jedem Land zugelassen werden, sofern die Betreiber dieser Automaten eine vorherige behördliche Bewilligung erhalten.

10      Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, führten Kontrollen, die am 19. Oktober 2016 von Beamten der Finanzpolizei (Österreich) in einem Lokal in Graz (Österreich) durchgeführt wurden, zur vorläufigen Beschlagnahme von acht Glücksspielautomaten, da diese Automaten ohne die erforderliche behördliche Bewilligung betrieben wurden. Nachdem die mutmaßlichen Verwaltungsübertretungen der Landespolizeidirektion Steiermark zur Kenntnis gebracht worden waren, erließ diese am 23. November und am 12. Dezember 2016 Beschlagnahmebescheide gegen Fluctus, die Gesellschaft, die Inhaberin der fraglichen Glücksspielautomaten war, und gegen Fluentum, die Gesellschaft, die Eigentümerin dieser Automaten war. Ebenso verhängte sie am 22. und 29. Januar 2018 gegen KI, den Geschäftsführer dieser Gesellschaften, der als Veranstalter und Unternehmer des Glücksspiels angesehen wurde, mit Straferkenntnissen Geldstrafen in Höhe von insgesamt 480 000 Euro.

11      Gegen die Beschlagnahmebescheide und die Straferkenntnisse wurde Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) eingebracht.

12      Das vorlegende Gericht hegt an der Vereinbarkeit von Werbepraktiken des Inhabers des Glücksspielmonopols in Österreich mit dem Unionsrecht Zweifel, die seiner Auffassung nach auch ein Teil der nationalen Rechtsprechung und nationalen Lehre hege. Die Casinos Austria AG verfüge über die ausschließliche Konzession für die Durchführung von Casinospielen und die Österreichische Lotterien GmbH über die ausschließliche Konzession für die Veranstaltung von Lotterien, und diese beiden Gesellschaften, die das vorlegende Gericht zusammen als „Monopolisten“ bezeichnet, könnten aufgrund der wechselseitigen Beteiligungsverflechtungen als ein und dieselbe Einheit betrachtet werden.

13      Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts folgt aus ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine Vorschrift, mit der ein Glückspielmonopol eingeführt wird, mit den von ihr verfolgten Zielen, insbesondere dem Verbraucherschutz, der Betrugsbekämpfung und der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen, in Einklang stehen müsse, damit sie mit dem Unionsrecht vereinbar sei, und dass diese Forderung nach Kohärenz auch für die vom Inhaber eines Monopols durchgeführte Werbung gelte.

14      Das vorlegende Gericht ist aber der Ansicht, dass die offensive Werbepolitik des Glücksspielmonopolisten in Österreich nicht maßvoll und nicht streng auf das beschränkt sei, was für die Lenkung der Verbraucher hin zu kontrollierten Spielenetzwerken notwendig sei. Diese Werbepolitik rege im Gegenteil zu aktiver Teilnahme am Spiel an, indem das Spiel verharmlost werde, ihm ein positives Image verliehen werde, seine Anziehungskraft durch In-Aussicht-Stellen bedeutender Gewinne erhöht werde, neue Zielgruppen zum Spielen angeregt würden und das inhaltliche Angebot laufend ausgedehnt werde. Diese Werbepolitik entspreche daher nicht der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Werbung im Glücksspielbereich.

15      Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass die Werbeaktivitäten des Inhabers des Glücksspielmonopols in Österreich keiner wirksamen Aufsicht unterlägen, da § 56 Abs. 1 des Glücksspielgesetzes in Bezug auf diese Aktivitäten nur Aufsichtsmaßnahmen vorsehe und eine Kontrolle ihres maßvollen Charakters durch eine Klage auf der Grundlage des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ausschließe. Außerdem unterliege auch eine Vielzahl von dritten Unternehmen, die in Österreich Glücksspiele anböten, insbesondere im Onlinebereich, keiner wirksamen Aufsicht.

16      Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass das in Österreich eingerichtete Glücksspielmonopol einschließlich seiner Begleitregelungen gegenüber einem Begünstigten der Dienstleistungsfreiheit wie den Beschwerdeführern des Ausgangsverfahrens nicht mehr anwendbar sei.

17      Die drei österreichischen Höchstgerichte hätten jedoch entschieden, dass das Glücksspielgesetz mit dem Unionsrecht vereinbar sei, so dass sich das vorlegende Gericht grundsätzlich an diese Rechtsprechung halten müsse. Daher sei eine Antwort des Gerichtshofs erforderlich, um der Praxis der österreichischen Höchstgerichte, die darin bestehe, das Unionsrecht bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Glücksspielmonopols zu missachten und die Untergerichte daran zu hindern, die Vorgaben der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs anzuwenden, ein Ende zu setzen.

18      In diesem Zusammenhang hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art 56 AEUV dahin gehend auszulegen, dass es bei der Würdigung der vom Gerichtshof für den Fall eines staatlichen Glücksspielmonopols in ständiger Rechtsprechung formulierten unzulässigen Werbepraktiken des Konzessionsinhabers darauf ankommt, ob es in einer gesamthaften Betrachtung im relevanten Zeitraum tatsächlich zu einem Wachstum des Glücksspielmarktes gekommen ist oder genügt es schon, dass die Werbung darauf abzielt, zu aktiver Teilnahme am Spiel anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?

2.      Ist Art. 56 AEUV weiters dahin gehend auszulegen, dass Werbepraktiken eines Monopolisten im Falle ihres Vorliegens jedenfalls die Kohärenz der Monopolregelung ausschließen oder kann im Falle entsprechender Werbeaktivitäten privater Anbieter von Seiten eines Monopolisten auch zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Ansehen verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?

3.      Ist ein staatliches Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit Art. 56 AEUV anzuwenden hat, aus eigener Entscheidungsbefugnis gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es jede seiner Auffassung nach entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt, selbst wenn in einem verfassungsrechtlichen Verfahren deren Unionsrechtskonformität bestätigt wurde?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit

19      Die ungarische, die österreichische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission halten das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, weil die Vorlagefragen, die sich auf die Werbepraktiken der Monopolisten für Spielbanken und Lotterien bezögen, in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit stünden, der die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen betreffe, mit denen der Betrieb von Glücksspielautomaten ohne eine entsprechende Bewilligung geahndet werde.

20      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Er kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 26).

21      Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung ist eine dem nationalen Gericht dienliche Auslegung des Unionsrechts nur möglich, wenn dieses die Sach- und Rechtslage, in der sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese Fragen beruhen, erläutert. Außerdem muss die Vorlageentscheidung die genauen Gründe angeben, aus denen dem nationalen Gericht die Auslegung des Unionsrechts fraglich und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof erforderlich erscheint (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 27).

22      Im vorliegenden Fall beschreibt die Vorlageentscheidung die Rechts- und Sachlage der Ausgangsrechtsstreitigkeiten hinreichend, und die Angaben des vorlegenden Gerichts ermöglichen es, die Reichweite der Vorlagefragen zu bestimmen. Insbesondere ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Fragen im Licht der in der Vorlageentscheidung enthaltenen Erläuterungen, dass das vorlegende Gericht der Ansicht ist, dass die Werbepraktiken des Glücksspielmonopolisten die Kohärenz des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts insgesamt in Frage stellten.

23      Die Einrede der Unzulässigkeit der Vorlagefragen ist daher zurückzuweisen.

24      Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen kann, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, wenn eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die der Gerichtshof bereits entschieden hat, wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt.

25      Da die Antwort auf die Fragen klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, ist diese Bestimmung in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.

 Zur ersten und zur zweiten Frage

26      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts allein deshalb entgegensteht, weil die Werbepraktiken des Monopolisten für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost wird, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.

27      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung der Glücksspiele zu den Bereichen gehört, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer diesbezüglichen Harmonisierung durch die Europäische Union ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, in diesen Bereichen im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 20).

28      Im Rahmen mit dem AEU-Vertrag vereinbarer Rechtsvorschriften obliegt sodann die Wahl der Bedingungen für die Organisation und die Kontrolle der in der Veranstaltung von und der Teilnahme an Glücks- oder Geldspielen bestehenden Tätigkeiten den nationalen Behörden im Rahmen ihres Ermessens (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 21).

29      Im Bereich der Glücksspiele ist grundsätzlich gesondert für jede mit einer nationalen Rechtsvorschrift auferlegte Beschränkung insbesondere zu prüfen, ob sie geeignet ist, die Verwirklichung des Ziels oder der Ziele zu gewährleisten, die von dem fraglichen Mitgliedstaat geltend gemacht werden, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels oder dieser Ziele erforderlich ist (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 22).

30      Somit kann der Umstand, dass von verschiedenen Arten von Glücksspielen einige einem staatlichen Monopol und andere einer Regelung unterliegen, nach der private Veranstalter eine Bewilligung benötigen, im Hinblick darauf, dass mit Maßnahmen, die – wie das staatliche Monopol – auf den ersten Blick als am restriktivsten und wirkungsvollsten erscheinen, legitime Ziele verfolgt werden, für sich genommen nicht dazu führen, dass diese Maßnahmen ihre Rechtfertigung verlieren. Derart divergierende rechtliche Regelungen ändern nämlich als solche nichts an der Eignung einer solchen Maßnahme zur Verwirklichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 23).

31      Wie der Gerichtshof jedoch bereits entschieden hat, kann sich ein solches duales System der Organisation des Glücksspielmarkts als im Widerspruch zu Art. 56 AEUV stehend erweisen, wenn festgestellt wird, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele als die, die dem staatlichen Monopol unterliegen, eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, was zur Folge hat, dass das der Errichtung dieses Monopols zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, mit ihm nicht mehr wirksam verfolgt werden kann (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 24).

32      Ebenso kann das Ziel der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und der Bekämpfung der Spielsucht, das der Einführung eines Systems der vorherigen Bewilligung für den Betrieb von Glücksspielautomaten zugrunde lag, gefährdet werden, wenn die zuständigen Behörden eine Politik verfolgen, die zur Teilnahme an Glücksspielen, die dem staatlichen Monopol unterliegen, anregt.

33      Im vorliegenden Fall beruft sich die österreichische Regierung zur Rechtfertigung des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts auf Gründe der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit sowie auf zwingende Gründe des Verbraucherschutzes, der Verhinderung der Spielsucht und der Betrugsvorbeugung.

34      Solche Gründe können Beschränkungen von Glücksspieltätigkeiten sowohl in Gestalt der Regelung über das staatliche Monopol bei bestimmten Arten von Glücksspielen als auch in Gestalt der Regelung, wonach für die Veranstaltung anderer Arten von Glücksspielen eine vorherige Bewilligung erforderlich ist, rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 26).

35      Das vorlegende Gericht führt jedoch aus, die Werbepraktiken der Konzessionäre für Spielbanken- und Lotteriespiele förderten eine verstärkte Teilnahme an diesen Spielen, die den erklärten Zielen des Verbraucherschutzes und der Verhinderung der Spielsucht zuwiderlaufe. Es fügt hinzu, dass nach Ansicht der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens das Hauptziel der nationalen Rechtsvorschriften in Wirklichkeit darin bestehe, die Haushaltseinnahmen zu erhöhen, die durch die auf Spielbanken erhobenen Abgaben erzielt würden.

36      Hierzu ist festzustellen, dass eine Ausweitung der Geschäftstätigkeit eines mit ausschließlichen Rechten im Glücksspielbereich ausgestatteten Anbieters sowie eine wesentliche Steigerung der Einnahmen, die er damit erzielt, besondere Aufmerksamkeit bei der Prüfung des kohärenten und systematischen Charakters der fraglichen Regelung und somit ihrer Geeignetheit für die Verfolgung der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Ziele erfordern. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass die Finanzierung gemeinnütziger Tätigkeiten mit den Einnahmen aus Glücksspielen nicht das eigentliche Ziel einer in diesem Sektor betriebenen restriktiven Politik sein darf, sondern nur als eine nützliche Nebenfolge angesehen werden kann (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 61).

37      Ein Mitgliedstaat kann sich daher nicht erfolgreich auf Gründe der öffentlichen Ordnung berufen, die sich auf die Notwendigkeit einer Verminderung der Spielgelegenheiten beziehen, wenn die Behörden dieses Mitgliedstaats die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Glücksspielen teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 62).

38      Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass eine Politik der kontrollierten Expansion von Glücksspieltätigkeiten mit dem Ziel im Einklang stehen kann, sie in kontrollierbare Bahnen zu lenken, indem Spielern, die verbotenen geheimen Spiel- oder Wetttätigkeiten nachgehen, ein Anreiz gegeben wird, zu erlaubten und geregelten Tätigkeiten überzugehen. Eine solche Politik kann nämlich sowohl mit dem Ziel, die Ausnutzung von Glücksspieltätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken zu verhindern, als auch mit dem Ziel der Vermeidung von Anreizen für übermäßige Spielausgaben und der Bekämpfung der Spielsucht im Einklang stehen, indem die Verbraucher zu dem Angebot des Inhabers des staatlichen Monopols gelenkt werden, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass es frei von kriminellen Elementen und darauf ausgelegt ist, die Verbraucher besser vor übermäßigen Ausgaben und vor Spielsucht zu schützen (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 63).

39      Um das Ziel, die Spieltätigkeiten in kontrollierbare Bahnen zu lenken, zu erreichen, müssen die zugelassenen Anbieter eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zu den nicht geregelten Tätigkeiten bereitstellen, was an und für sich das Anbieten einer breiten Palette von Spielen, Werbung in einem gewissen Umfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken beinhalten kann (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 64).

40      Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, in Anbetracht der Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob die Geschäftspolitik des Inhabers des Monopols sowohl hinsichtlich des Umfangs der Werbung als auch hinsichtlich der Schaffung neuer Spiele als Teil einer Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor zur wirksamen Lenkung der Spiellust in rechtmäßige Bahnen angesehen werden kann (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 65).

41      Insbesondere im Rahmen dieser Prüfung hat das vorlegende Gericht u. a. zu untersuchen, ob im entscheidungserheblichen Zeitraum die kriminellen und betrügerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Spielen und die Spielsucht in Österreich ein Problem waren und eine Ausweitung der zugelassenen und geregelten Tätigkeiten geeignet war, diesem Problem abzuhelfen (vgl. entsprechend Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 66).

42      Aber da das Ziel, die Verbraucher vor der Spielsucht zu schützen, grundsätzlich schwer mit einer Politik der Expansion von Glücksspielen, die insbesondere durch die Schaffung neuer Spiele und die Werbung für sie gekennzeichnet ist, vereinbar ist, kann eine solche Politik nur dann als kohärent angesehen werden, wenn die rechtswidrigen Tätigkeiten einen erheblichen Umfang haben und die erlassenen Maßnahmen darauf abzielen, die Spiellust der Verbraucher in rechtmäßige Bahnen zu lenken (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 67).

43      Jedenfalls muss die vom Inhaber eines staatlichen Monopols eventuell durchgeführte Werbung maßvoll und eng auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken. Die Werbung darf hingegen nicht darauf abzielen, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 68).

44      Insbesondere ist zu unterscheiden zwischen Strategien des Monopolinhabers, die nur die potenziellen Kunden über die Existenz der Produkte informieren und durch Lenkung der Spieler in kontrollierte Bahnen einen geordneten Zugang zu Glücksspielen sicherstellen sollen, und Strategien, die zu aktiver Teilnahme an Glücksspielen auffordern und anregen. Zu unterscheiden ist also zwischen einer restriktiven Geschäftspolitik, die nur den vorhandenen Markt für den Monopolinhaber gewinnen oder die Kunden an ihn binden soll, und einer expansionistischen Geschäftspolitik, die auf das Wachstum des gesamten Marktes für Spieltätigkeiten abzielt (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 69).

45      Im vorliegenden Fall stellt sich das vorlegende Gericht insbesondere die Frage, ob es für den Nachweis der Inkohärenz eines dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts ausreicht, festzustellen, dass die Werbung des Monopolinhabers darauf abzielt, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden – etwa indem das Spiel verharmlost oder ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird – oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen.

46      Insoweit ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung, dass die nationalen Gerichte im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven Maßnahme im Bereich der Glücksspiele eine Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen müssen, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, und im Rahmen dieser Würdigung insbesondere zu prüfen haben, ob die nationalen Vorschriften tatsächlich dem Anliegen entsprechen, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, die Tätigkeiten in diesem Bereich zu begrenzen und die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität systematisch und kohärent zu bekämpfen. (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 39, 41, 47 bis 49, sowie vom 14. Juni 2017, Online Games u. a., C‑685/15, EU:C:2017:452, Rn. 49 bis 52). Der Ansatz des nationalen Gerichts darf im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht statisch sein, sondern muss dynamisch sein, so dass es die Entwicklung der Umstände nach dem Erlass der betreffenden Regelung berücksichtigen muss (Urteil vom 14. Juni 2017, Online Games u. a., C‑685/15, EU:C:2017:452, Rn. 53).

47      Erstens kann, wie die österreichische Regierung vorgebracht hat, nicht jedem Werbeinhalt per se eine zu übermäßigen Spielausgaben verleitende Wirkung unterstellt werden. Es ist daher zu prüfen, ob der Umfang der Werbung eng auf das begrenzt bleibt, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 68), was eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Geschäftsstrategie des Monopolinhabers durch das vorlegende Gericht im Hinblick auf alle relevanten Umstände und keine isolierte Prüfung einer individuellen Werbung impliziert.

48      Zweitens hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung, ob das Monopol tatsächlich in der Lage sein wird, die geltend gemachten Ziele in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen, die vom Inhaber des Monopols verfolgte Geschäftspolitik nicht der einzige relevante Gesichtspunkt ist (vgl. entsprechend Urteile vom 30. Juni 2011, Zeturf, C‑212/08, EU:C:2011:437, Rn. 63, sowie vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 57 und 58).

49      Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich zum einen, dass die Werbepraktiken des Monopolinhabers, die Teil seiner Geschäftspolitik sind, und die staatliche Kontrolle der Tätigkeiten des Monopolinhabers nur einige der Gesichtspunkte sind, die das vorlegende Gericht im Rahmen seiner umfassenden und dynamischen Beurteilung des Vorliegens einer staatlichen Politik, die darauf abzielt, zur Teilnahme an dem Monopol unterliegenden Glücksspielen zu ermuntern, berücksichtigen muss. Zum anderen ist für die Feststellung einer etwaigen Inkohärenz des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts im Hinblick auf Art. 56 AEUV noch nachzuweisen, dass die Anreizpolitik für dem Monopol unterliegende Glücksspiele solche Ausmaße annimmt, dass die Ziele, die der Einführung des Systems der vorherigen Bewilligung für den Betrieb von Glücksspielautomaten zugrunde liegen, nicht mehr wirksam verfolgt werden können.

50      Zu den anderen Gesichtspunkten, die für die Beurteilung der Kohärenz des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts neben der Geschäftsstrategie des Monopolinhabers und der staatlichen Kontrolle seiner Tätigkeiten relevant sind, gehören u. a. die Ausweitung seiner Geschäftstätigkeit und die Werbepraktiken etwaiger privater Wirtschaftsteilnehmer.

51      Hierzu ist nur festzustellen, dass eine Ausweitung der Geschäftstätigkeit des Inhabers des Glücksspielmonopols zwar besondere Aufmerksamkeit bei der Prüfung des kohärenten und systematischen Charakters der fraglichen Regelung erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 61), eine solche Ausweitung sich aber auch ebenso gut, worauf im Wesentlichen die ungarische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen hinweist, aus einer Lenkung der illegalen Tätigkeiten hin zu den kontrollierten Spielenetzen ergeben könnte.

52      Da zudem eine Politik der Expansion von Glücksspielen nur dann als kohärent angesehen werden kann, wenn die rechtswidrigen Tätigkeiten einen erheblichen Umfang haben und die erlassenen Maßnahmen darauf abzielen, die Spiellust der Verbraucher in rechtmäßige Bahnen zu lenken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 67), sind Umstände wie aggressive Werbemaßnahmen privater Anbieter zugunsten rechtswidriger Aktivitäten oder die Heranziehung neuer Medien wie des Internets durch private Anbieter zu berücksichtigen.

53      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts nicht allein deshalb entgegensteht, weil die Werbepraktiken des Monopolisten für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost wird, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.

 Zur dritten Frage

54      Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er ein Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet, eine gegen Art. 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, und zwar auch dann, wenn ein höheres Gericht diese Bestimmung als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.

55      Das vorlegende Gericht führt zur Begründung dieser Frage aus, dass der Verwaltungsgerichtshof (Österreich), der Verfassungsgerichtshof (Österreich) und der Oberste Gerichtshof (Österreich) durch im Jahr 2016 ergangene Entscheidungen entschieden hätten, dass das Glücksspielgesetz unionsrechtskonform sei, so dass die österreichischen Gerichte keine echte unabhängige Kontrolle der Kohärenz der einschlägigen österreichischen Regelung mehr durchführten.

56      Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob es zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 56 AEUV die zuvor von den österreichischen Höchstgerichten erlassenen Entscheidungen außer Acht zu lassen habe.

57      Insoweit ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung zum einen, dass jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs‑, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beiseitezulassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der unmittelbar geltenden Normen des Unionsrechts bilden, mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar ist (Urteil vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána, C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 36).

58      Zum anderen verpflichtet das Unionsrecht, wenn die Erwägungen eines nationalen Gerichts offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprechen, ein anderes nationales Gericht, das nach dem innerstaatlichen Recht vorbehaltlos an die Auslegung des Unionsrechts durch das erstgenannte Gericht gebunden ist, die innerstaatliche Rechtsvorschrift, die von ihm verlangt, sich an die vom erstgenannten Gericht herangezogene Auslegung des Unionsrechts zu halten, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen. Dies wäre u. a. dann der Fall, wenn ein nationales Gericht aufgrund einer solchen innerstaatlichen Rechtsvorschrift, an die es gebunden ist, daran gehindert wäre, in den bei ihm anhängigen Rechtssachen dem Umstand, dass eine nationale Vorschrift nach einem Urteil des Gerichtshofs als unionsrechtswidrig anzusehen ist, angemessen Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass der Vorrang des Unionsrechts ordnungsgemäß gewährleistet wird, indem es alle hierfür erforderlichen Maßnahmen ergreift (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 15. Oktober 2015, Naderhirn, C‑581/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:707, Rn. 35 und 36, vom 7. Juni 2018, Filippi u. a., C‑589/16, EU:C:2018:417, Rn. 35 und 36, sowie vom 4. April 2019, DP und Finanzamt Linz [Österreichische Glücksspielgesetzgebung], C‑545/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:286, Rn. 29).

59      Dies gilt umso mehr, als im Fall der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven Maßnahme im Bereich des Glücksspiels, wie in der Antwort auf die erste und die zweite Vorlagefrage ausgeführt, der Ansatz des nationalen Gerichts nicht statisch, sondern dynamisch sein muss, da dieses Gericht die Entwicklung der nach dem Erlass dieser Regelung eingetretenen Umstände berücksichtigen muss.

60      Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er ein Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet, eine gegen Art. 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, und zwar auch dann, wenn ein höheres Gericht eben dieses Mitgliedstaats diese Bestimmung als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.

 Kosten

61      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts nicht allein deshalb entgegensteht, weil die Werbepraktiken des Monopolisten für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost wird, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.

2.      Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er ein Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet, eine gegen Art. 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, und zwar auch dann, wenn ein höheres Gericht eben dieses Mitgliedstaats diese Bestimmung als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.

Unterschriften



Antrag 

Vorabentscheidungsersuchen des Landesverwaltungsgerichts Steiermark (Österreich) eingereicht am 16. Dezember 2019 - Fluctus s.r.o. u.a.

(Rechtssache C-920/19)
Verfahrenssprache: Deutsch
Vorlegendes Gericht
Landesverwaltungsgericht Steiermark
Parteien des Ausgangsverfahrens
Beschwerdeführer: Fluctus s.r.o., Fluentum s.r.o., KI
Belangte Behörde: Landespolizeidirektion Steiermark
Mitbeteiligte Partei: Finanzpolizei Team 96 für das Finanzamt Deutschlandsberg Leibnitz Voitsberg

Vorlagefragen

Ist Art 56 AEUV dahingehend auszulegen, dass es bei der Würdigung der vom Gerichtshof der Europäischen Union für den Fall eines staatlichen Glücksspielmonopols in ständiger Rechtsprechung formulierten unzulässigen Werbepraktiken des Konzessionsinhabers darauf ankommt, ob es in einer gesamthaften Betrachtung im relevanten Zeitraum tatsächlich zu einem Wachstum des Glücksspielmarktes gekommen ist oder genügt es schon, dass die Werbung darauf abzielt, zu aktiver Teilnahme am Spiel anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?

Ist Art 56 AEUV weiters dahingehend auszulegen, dass Werbepraktiken eines Monopolisten im Falles ihres Vorliegens jedenfalls die Kohärenz der Monopolregelung ausschließen oder kann im Falle entsprechender Werbeaktivitäten privater Anbieter von Seiten eines Monopolisten auch zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Ansehen verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?

Ist ein staatliches Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit Art 56 AEUV anzuwenden hat, aus eigener Entscheidungsbefugnis gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es jede seiner Auffassung nach entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt, selbst wenn in einem verfassungsrechtlichen Verfahren deren Unionsrechtskonformität bestätigt wurde?

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Vorabentscheidungsersuchen (Fluctus Fluentum) EuGH C-920_19
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Quelle: https://curia.europa.eu/