EuGH-Urteil Hein (C-385/17) vom 13. Dezember 2018
51) Auch wenn die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts das Unionsrecht heranzuziehen, ihre Schranken in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen findet und nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen darf, umfasst das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie nicht vereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2016, DI, C-441/14, EU:C:2016:278, Rn. 32 und 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung)
s.a.. Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht (Zusammenfassung)
Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, über verschiedene Rechtsbehelfe die Schäden zu ersetzen, die dem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 1991, Francovich u. a., C-6/90 und C-9/90, EU:C:1991:428, Rn. 37, sowie vom 24. Juni 2019, Poplawski, C-573/17, EU:C:2019:530, Rn. 56).
Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten zum Ersatz von Schäden verpflichtet sind, die dem Einzelnen durch ihnen zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, gilt auch dann, wenn der fragliche Verstoß in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts besteht (Urteil vom 30. September 2003, Köbler, C-224/01, EU:C:2003:513, Rn. 59).
EuGH-Urteil Haim (C-424/97) vom 4. Juli 2000 s.u.:
Nach der Rn 27 des Urteils Haim muss jeder Mitgliedstaat sicherstellen, dass dem Einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht entstanden ist, gleichgültig, welche staatliche Stelle diesen Verstoß begangen hat und welche Stelle nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats diesen Schadensersatz grundsätzlich zu leisten hat (Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62).
Ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht kann bereits dann vorliegen, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnis nur über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte. (Rn 38)
Ob und in welchem Umfang ein Gestaltungsspielraum vorliegt, bestimmt sich nach Gemeinschaftsrecht und nicht nach nationalem Recht. Insoweit ist ein dem Beamten oder der Stelle, die den Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen haben, gegebenenfalls nach nationalem Recht eingeräumtes Ermessen unbeachtlich. (Rn 40)
„Haftung eines Mitgliedstaats bei Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht - Verstöße, die einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft eines Mitgliedstaats zuzurechnen sind - Voraussetzungen für die Haftung des Mitgliedstaats und einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft dieses Mitgliedstaats - Vereinbarkeit einer sprachlichen Anforderung mit der Niederlassungsfreiheit“
In der Rechtssache C-424/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Landgericht Düsseldorf (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Salomone Haim
gegen
Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Haftung eines Mitgliedstaats und gegebenenfalls einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft dieses Staates für die durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht entstandenen Schäden sowie über die Frage, ob es rechtmäßig ist, wenn die Kassenzulassung eines Zahnarztes,
der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, davon abhängig gemacht wird, daß er eine ausreichende Kenntnis der Sprache des Aufnahmestaats hat,
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten D. A. O. Edward (Berichterstatter), L. Sevón und R. Schintgen sowie der Richter P. J. G. Kapteyn, C. Gulmann, J.-P. Puissochet, G. Hirsch, P. Jann, H. Ragnemalm und M. Wathelet,
Generalanwalt: J. Mischo
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Herrn Haim, vertreten durch Rechtsanwältin H. Ungewitter, Düsseldorf,
- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder, Bundesministerium für Wirtschaft, Ministerialrat A. Dittrich, Bundesministerium der Justiz, und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch Rechtsberaterin A. Samoni-Rantou, Abteilung für Rechtsfragen der Europäischen Gemeinschaften im Außenministerium, sowie S. Vodina und G. Karipsiadis, wissenschaftliche Mitarbeiter in derselben Abteilung, als Bevollmächtigte,
- der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico im Außenministerium, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato P. G. Ferri,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch Ministerialrat E. Brattgård, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Assistant Treasury Solicitor J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand von Barrister E. Sharpston,
- Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Mongin und P. van Nuffel, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, Hamburg,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn Haim, vertreten durch Rechtsanwalt U. Faust, Aachen, der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Nordrhein, vertreten durch Rechtsanwalt B. Bellwinkel, Düsseldorf, der deutschen Regierung, vertreten durch A. Dittrich, der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde, Abteilungsleiter im Außenministerium, als Bevollmächtigten, der griechischen Regierung, vertreten durch A. Samoni-Rantou und G. Karipsiadis, der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad, der französischen Regierung, vertreten durch A. de Bourgoing, Chargé de mission in der Rechtsabteilung des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, der italienischen Regierung, vertreten durch Avvocato dello Stato G. Aiello, der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Kruse, Departementsråd im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch E. Sharpston, und der Kommission, vertreten durch B. Mongin im Beistand von Rechtsanwalt B. Wägenbaur, in der Sitzung vom 9. März 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Mai 1999,
folgendes
Urteil
1. Das Landgericht Düsseldorf hat mit Beschluß vom 8. Dezember 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 1997, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen nach den Voraussetzungen und den Modalitäten für die Begründung der Haftung eines Mitgliedstaats und gegebenenfalls einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft dieses Staates für Schäden, die dem einzelnen durch diesem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, sowie danach, ob es rechtmäßig ist, wenn die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist, davon abhängig gemacht wird, daß er eine ausreichende Kenntnis der Sprache des Aufnahmemitgliedstaats hat, zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Fragen stellen sich im Rahmen einer von Herrn Haim (im folgenden: Kläger) gegen die Kassenzahnärztliche Vereinigung Nordrhein (im folgenden: KVN), eine öffentlich-rechtliche Körperschaft, erhobenen Klage auf Ersatz des Verdienstausfalls, der ihm nach seiner Behauptung dadurch entstanden ist, daß die KVN gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen hat.
Das Gemeinschaftsrecht
3. Nach Artikel 2 der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (ABl. L 233, S. 1) erkennt jeder Mitgliedstaat die in Artikel 3 dieser Richtlinie abschließend aufgeführten Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes, die die anderen Mitgliedstaaten ausstellen, an und verleiht ihnen in seinem Gebiet die gleiche Wirkung in bezug auf die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Zahnarztes wie den von ihm ausgestellten Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen.
4. Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, daß die Begünstigten gegebenenfalls in ihrem Interesse und im Interesse ihrer Patienten die Sprachkenntnisse erwerben, die sie für die Ausübung ihrer Berufstätigkeit im Aufnahmestaat brauchen.“
5. Artikel 20 der Richtlinie 78/686 bestimmt:
„Mitgliedstaaten, die von ihren eigenen Staatsangehörigen für die Zulassung zur Tätigkeit als Kassenzahnarzt die Ableistung einer Vorbereitungszeit verlangen, können diese während eines Zeitraums von acht Jahren von der Bekanntgabe der Richtlinie an auch von den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten verlangen. Die Dauer der Vorbereitungszeit darf jedoch sechs Monate nicht überschreiten.“
Das nationale Recht
6. § 21 der Zulassungsordnung für Kassenzahnärzte (Verordnung vom 28. Mai 1957, BGBl. 1957 I S. 582) in ihrer geänderten Fassung (im folgenden: ZOK) lautet:
„Ungeeignet für die Ausübung der Kassenpraxis ist ein Zahnarzt mit geistigen oder sonstigen in seiner Person liegenden schwerwiegenden Mängeln, insbesondere ein Zahnarzt, der innerhalb der letzten fünf Jahre vor seiner Antragstellung rauschgiftsüchtig oder trunksüchtig war.“
Das Ausgangsverfahren
7. Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und besitzt ein Zahnarztdiplom, das ihm 1946 von der Universität Istanbul (Türkei) erteilt wurde; bis 1980 praktizierte er als niedergelassener Zahnarzt in Istanbul.
8. 1981 erhielt er die Approbation als Zahnarzt in der Bundesrepublik Deutschland, d. h. die Zulassung zur Ausübung seines Berufes im Rahmen einer Privatpraxis.
9. 1982 wurde sein türkisches Diplom von den belgischen Behörden als dem belgischen Zahnarztdiplom gleichwertig anerkannt. Der Kläger arbeitete danach als Zahnarzt mit Kassenzulassung in Brüssel. Er unterbrach diese Tätigkeit dann zwischen November 1991 und August 1992, um in der Zahnarztpraxis seines Sohnes in Deutschland zu arbeiten.
10. 1988 beantragte der Kläger als Voraussetzung für die spätere Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung bei der KVN seine Eintragung in das Zahnarztregister.
11. Nach § 3 Absatz 2 ZOK ist für eine solche Eintragung die Ableistung einer mindestens zweijährigen Vorbereitungszeit Voraussetzung. Nach § 3 Absatz 4 ZOK gilt dies jedoch nicht für Zahnärzte, die in einem anderen Mitgliedstaat ein nach dem gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften anerkanntes Diplom erworben haben und zur Berufsausübung zugelassen sind.
12. Mit Bescheid vom 10. August 1988 lehnte die KVN die Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister ab, weil dieser nicht die zweijährige Vorbereitungszeit nach § 3 ZOK abgeleistet habe. Hiervon könne nicht abgesehen werden, weil der Kläger kein Diplom eines Mitgliedstaats, sondern nur ein Diplom eines Drittstaats besitze, das von einem Mitgliedstaat als dem in diesem Staat erteilten Diplom gleichwertig anerkannt worden sei.
13. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und machte u. a. einen Verstoß gegen den EWG-Vertrag geltend. Den Widerspruch wies die KVN mit Bescheid vom 28. September 1988 zurück, nachdem sie eine Rechtsauskunft bei ihrer Aufsichtsbehörde, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, eingeholt hatte, der ihre Rechtsauffassung bestätigte.
14. Die gegen den Bescheid der KVN gerichtete Klage wurde vom Sozialgericht Düsseldorf mit Urteil vom 28. März 1990 abgewiesen; die dagegen gerichtete Berufung des Klägers wies das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 24. Oktober 1990 zurück. Mit Beschluß vom 20. Mai 1992 ersuchte das Bundessozialgericht in der Revisionsinstanz den Gerichtshof um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 20 der Richtlinie 78/686 und von Artikel 52 EWG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG).
15. In seinem Urteil vom 9. Februar 1994 in der Rechtssache C-319/92 (Haim, Slg. 1994, I-425; im folgenden: Urteil Haim I) entschied der Gerichtshof, daß Artikel 20 der Richtlinie 78/686 einem Mitgliedstaat nicht verbietet, von einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der keinen in Artikel 3 dieser Richtlinie genannten Befähigungsnachweis besitzt, als Voraussetzung für seine Zulassung als Kassenzahnarzt die Ableistung einer Vorbereitungszeit zu verlangen, auch wenn der Betreffende zur Berufsausübung im Hoheitsgebiet des erstgenannten Staates zugelassen ist, und daß Artikel 20 einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der ein von einem Drittstaat ausgestelltes Diplom besitzt, auch dann nicht von der Ableistung der Vorbereitungszeit befreit, wenn dieses Diplom von einem anderen Mitgliedstaat als einem in Artikel 3 der Richtlinie genannten Diplom gleichwertig anerkannt worden ist. Der Gerichtshof fügte allerdings hinzu, daß die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, aber in beiden Mitgliedstaaten zur Berufsausübung zugelassen worden ist und seinen Beruf auch ausgeübt hat, nach Artikel 52 EWG-Vertrag nicht mit der Begründung, er habe die nach dem Recht des erstgenannten Staates erforderliche Vorbereitungszeit nicht abgeleistet, die Zulassung als Kassenzahnarzt versagen dürfen, ohne zu prüfen, ob und, wenn ja, inwieweit die vom Betroffenen bereits nachgewiesene Erfahrung der nach diesem Recht vorgeschriebenen entspricht.
16. Auf dieses Urteil hin erhielt der Kläger mit Bescheid vom 4. Januar 1995 seine Eintragung in das Zahnarztregister. Das Verfahren zur Zulassung als Kassenarzt verfolgte er aus Altersgründen nicht weiter.
17. Der Kläger erhob allerdings beim Landgericht Düsseldorf eine zweite Klage gegen die KVN, mit der er Ersatz des Verdienstausfalls begehrt, der ihm dadurch entstanden sei, daß er seit 1. September 1988 bis Ende 1994 einen geringeren Verdienst gehabt habe als den, der zu erwarten gewesen wäre, wenn er als Kassenzahnarzt in Deutschland tätig gewesen wäre.
18. Nach Auffassung des Landgerichts Düsseldorf hat die KVN 1988 objektiv rechtswidrig die Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister verweigert, weil sie bei ihrer Entscheidung rechtsirrtümlich die Berufserfahrung des Klägers, die er im Rahmen seiner Kassenzahnarzttätigkeit in Belgien erworben hatte, unberücksichtigt gelassen habe. Sie habe jedoch bei dieser Entscheidung schuldlos gehandelt.
19. Zum einen habe nämlich § 3 ZOK ein Absehen von der Pflicht zur Ableistung eines zweijährigen Vorbereitungsdienstes mit Rücksicht auf die Berufserfahrung eines Zahnarztes im Ausland nicht vorgesehen.
20. Zum anderen habe sich die Entscheidung der KVN im Hinblick auf Artikel 52 EG-Vertrag, der die Niederlassungsfreiheit gewährleiste, als fehlerhaft erwiesen. Die Frage, ob und inwieweit die Wahrung der Niederlassungsfreiheit des Klägers eine Berücksichtigung seiner Berufserfahrung geboten habe, sei seinerzeit noch nichtentschieden gewesen. Erst seit dem Urteil des Gerichtshofes vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-340/89 (Vlassopoulou, Slg. 1991, I-2357) sei klar gewesen, daß die Berufserfahrung des Klägers zu berücksichtigen sei.
21. Das vorlegende Gericht schloß daraus, daß die KVN durch die Ablehnung der Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister im Jahre 1988 nicht schuldhaft im Sinne des deutschen Amtshaftungsrechts gehandelt habe, so daß das innerstaatliche Recht keine Grundlage für seine Schadensersatzklage biete.
22. Zu prüfen sei jedoch, ob sich ein Anspruch des Klägers gegen die KVN unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten könne, da nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes jeder Mitgliedstaat für Schäden hafte, die dem einzelnen durch dem Staat zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstünden, und zwar auch bei administrativem Unrecht.
23. Was das Vorbringen der KVN angehe, der Kläger hätte, selbst wenn er 1988 in das Zahnarztregister eingetragen worden wäre, nicht die Zulassung zum Kassenzahnarzt erhalten, weil er keine ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse gehabt habe, sei fraglich, ob die nationalen Behörden die Kassenzulassung einer Person wie des Klägers von sprachlichen Voraussetzungen abhängig machen dürften.
24. Das Landgericht Düsseldorf hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann, wenn ein Beamter einer rechtlich selbständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft eines Mitgliedstaats bei der Anwendung nationalen Rechts im Rahmen einer Einzelentscheidung gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstößt, neben der Haftung des Mitgliedstaats auch die Haftung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft gegeben sein?
2. Wenn ja: Liegt ein qualifizierter Gemeinschaftsverstoß in einem Fall, in dem ein nationaler Beamter entweder gegen Gemeinschaftsrecht verstoßendes nationales Recht angewendet hat oder nationales Recht nicht gemeinschaftsrechtskonform angewendet hat, schon deshalb vor, weil dem Beamten bei seiner Entscheidung kein Ermessen zustand?
3. Dürfen die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines in diesem Mitgliedstaat approbierten Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen, daß dieser die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmestaat braucht?
Zur ersten Frage
25. Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob es gemeinschaftsrechtlich zu beanstanden ist, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist.
26. Die Haftung für Schäden, die dem einzelnen durch einer staatlichen Stelle zurechenbare Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, stellt einen Grundsatz dar, der aus dem Wesen des Vertrages folgt (vgl. Urteile vom 19. November 1991 in den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 35, vom 5. März 1996 in den Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Brasserie du pêcheur und Factortame, Slg. 1996, I-1029, Randnr. 31, vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38, vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 24, und vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20, und vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-127/95, Norbrook Laboratories, Slg. 1998, I-1531, Randnr. 106).
27. Wie alle Regierungen, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, und die Kommission im Kern vorgetragen haben und wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt, muß jeder Mitgliedstaat sicherstellen, daß dem einzelnen der Schaden ersetzt wird, der ihm durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht entstanden ist, gleichgültig, welche staatliche Stelle diesen Verstoß begangen hat und welche Stelle nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats diesen Schadensersatz grundsätzlich zu leisten hat (Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62).
28. Die Mitgliedstaaten können sich dieser Haftung mithin nicht dadurch entziehen, daß sie auf die interne Verteilung der Zuständigkeiten und der Haftung auf Körperschaften verweisen, die nach ihrer Rechtsordnung bestehen, oder daß sie geltend machen, der staatlichen Stelle, die den Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht begangen habe, hätten nicht die erforderlichen Befugnisse, Kenntnisse oder Mittel zur Verfügung gestanden.
29. Aus der in den Randnummern 26 und 27 dieses Urteils zitierten Rechtsprechung ergibt sich indessen nicht, daß der Mitgliedstaat seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nur erfüllt, wenn er selbst den Ersatz der dem einzelnen durch gemeinschaftsrechtswidrige innerstaatliche Maßnahmen entstandenen Schäden sicherstellt.
30. Für bundesstaatlich aufgebaute Mitgliedstaaten hat der Gerichtshof nämlich bereits entschieden, daß ein solcher Mitgliedstaat seine gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen auch erfüllen kann, wenn nicht der Gesamtstaat den Ersatz der einemeinzelnen durch gemeinschaftsrechtswidrige innerstaatliche Maßnahmen entstandenen Schäden sicherstellt, sofern die innerstaatlichen Verfahrensregelungen einen wirksamen Schutz der Rechte ermöglichen, die dem einzelnen aufgrund Gemeinschaftsrechts zustehen, und die Geltendmachung dieser Rechte nicht gegenüber derjenigen solcher Rechte erschwert ist, die dem einzelnen nach innerstaatlichem Recht zustehen (Urteil Konle, Randnrn. 63 f.).
31. Dies gilt auch für die Mitgliedstaaten, in denen - unabhängig davon, ob sie bundesstaatlich aufgebaut sind oder nicht - bestimmte Gesetzgebungs- oder Verwaltungsaufgaben dezentralisiert von Gebietskörperschaften mit einer gewissen Autonomie oder von anderen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, die vom Staat rechtlich verschieden sind, wahrgenommen werden. In diesen Mitgliedstaaten können die Schäden, die dem einzelnen durch innerstaatliche Maßnahmen entstanden sind, die eine öffentlich-rechtliche Einrichtung unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffen hat, daher von dieser ersetzt werden.
32. Gemeinschaftsrechtlich ist es auch nicht zu beanstanden, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist.
33. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Staat vorbehaltlich des Anspruchs auf Entschädigung, der bei Erfüllung der Voraussetzungen für die Haftung eines Mitgliedstaats für einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht seine Grundlage unmittelbar im Gemeinschaftsrecht hat, die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben, wobei die im nationalen Schadensersatzrecht festgelegten Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Rechtsbehelfen, die nur nationales Recht betreffen, und nicht so ausgestaltet sein dürfen, daß sie die Erlangung der Entschädigung praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Urteile Francovich u. a., Randnrn. 41 bis 43, und Norbrook Laboratories, Randnr. 111).
34. Somit ist auf die erste Frage zu antworten, daß es gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist
Zur zweiten Frage
35. Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob in einem Fall, in dem ein nationaler Beamter entweder gegen Gemeinschaftsrecht verstoßendes nationales Recht angewendet oder nationales Recht nicht gemeinschaftsrechtskonform angewendet hat, ein qualifizierter Verstoß im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes schon deshalb vorliegt, weil dem Beamten bei seiner Entscheidung kein Ermessen zustand.
36. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht hervor, daß ein Mitgliedstaat Schäden, die dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind, unter drei Voraussetzungen zu ersetzen hat: Die Rechtsnorm, gegen die verstoßen worden ist, bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert, und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang. Die Beurteilung dieser Voraussetzungen hängt von der jeweiligen Fallgestaltung ab (Urteil Norbrook Laboratories, Randnr. 107).
37. Diese drei Voraussetzungen müssen sowohl erfüllt sein, wenn die Schäden, deren Ersatz begehrt wird, auf eine Untätigkeit des Mitgliedstaats zurückgehen, z. B. bei der Nichtumsetzung einer Gemeinschaftsrichtlinie, als auch dann, wenn sie auf den Erlaß eines gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßenden Gesetzgebungs- oder Verwaltungsakts zurückgehen, unabhängig davon, ob dieser vom Mitgliedstaat selbst oder von einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung erlassen wurde, die vom Staat rechtlich unabhängig ist.
38. Was speziell die zweite dieser Voraussetzungen angeht, hat der Gerichtshof bereits entschieden, daß ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnis die Grenzen offenkundig und erheblich überschritten hat, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind (vgl. Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 55, British Telecommunications, Randnr. 42, und Dillenkofer u. a., Randnr. 25), und daß die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat, der zum Zeitpunkt dieser Rechtsverletzung nur über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, ausreichen kann, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen (vgl. Urteile Hedley Lomas, Randnr. 28, und Norbrook Laboratories, Randnr. 109).
39. Insoweit ist zu beachten, daß die Verpflichtung zum Ersatz der dem einzelnen entstandenen Schäden nicht von einer an den Verschuldensbegriff geknüpften Voraussetzung abhängig gemacht werden kann, die über den hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinausgeht (Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 79).
40. Der in Randnummer 38 des vorliegenden Urteils erwähnte Gestaltungsspielraum ist derjenige des betreffenden Mitgliedstaats. Ob und in welchem Umfang er vorliegt, bestimmt sich nach Gemeinschaftsrecht und nicht nach nationalem Recht. Insoweit ist ein dem Beamten oder der Stelle, die den Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht begangen haben, gegebenenfalls nach nationalem Recht eingeräumtes Ermessen unbeachtlich.
41. Aus den in Randnummer 38 zitierten Urteilen ergibt sich ferner, daß eine bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat ein hinreichend qualifizierter Verstoß sein kann, aber nicht sein muß.
42. Um festzustellen, ob eine solche Verletzung des Gemeinschaftsrechts einen hinreichend qualifizierten Verstoß darstellt, muß das mit einer Schadensersatzklage befaßte nationale Gericht alle Gesichtspunkte berücksichtigen, die für den ihm vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind.
43. Zu diesen Gesichtspunkten gehören u. a. das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen bzw. zugefügt wurde oder nicht, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, daß das Verhalten eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen hat, daß nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt oder aufrechterhalten wurden (vgl. Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 56, zu den Voraussetzungen für die Begründung der Haftung des Staates wegen gemeinschaftsrechtswidriger Handlungen und Unterlassungen des nationalen Gesetzgebers).
44. Die Anwendung dieser Kriterien auf den vorliegenden Fall obliegt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes grundsätzlich den nationalen Gerichten (Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 58), die dabei die vom Gerichtshof entwickelten Leitlinien zu beachten haben (Urteil Konle, Randnr. 58).
45. Hierzu ist festzustellen, daß es sich bei der betreffenden Vorschrift des Gemeinschaftsrechts um eine Vertragsbestimmung handelt, die seit dem - lange vor dem streiterheblichen Zeitpunkt eingetretenen - Ablauf der im Vertrag vorgesehenen Übergangszeit unmittelbar anwendbar ist.
46. Als der deutsche Gesetzgeber § 3 ZOK erließ und die KVN sodann die Eintragung des Klägers in das Zahnarztregister ablehnte, hatte der Gerichtshof jedoch noch nicht das Urteil Vlassopoulou erlassen, in dessen Randnummer 16 er erstmals entschied, daß ein Mitgliedstaat, bei dem die Zulassung zu einem Beruf beantragt wird, dessen Aufnahme nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation abhängt, die Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise, die der Betroffene erworben hat, um den gleichen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, in der Weise zu berücksichtigen hat, daß er die durch diese Diplome bescheinigten Fachkenntnisse mit den nach nationalem Recht vorgeschriebenen Kenntnissen und Fähigkeiten vergleicht.
47. Gemäß diesem Grundsatz entschied der Gerichtshof in Randnummer 29 des Urteils Haim I, daß die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, der aber in beiden Mitgliedstaaten zur Berufsausübung zugelassen worden ist und seinen Beruf auch ausgeübt hat, nach Artikel 52 EG-Vertrag nicht mit der Begründung, er habe die nach dem Recht des erstgenannten Staates erforderliche Vorbereitungszeit nicht abgeleistet, die Zulassung als Kassenzahnarzt versagen dürfen, ohne zu prüfen, ob und, wenn ja, inwieweit die vom Betroffenen bereits nachgewiesene Erfahrung der nach diesem Recht vorgeschriebenen entspricht.
48. Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand der in den Randnummern 43 bis 47 des vorliegenden Urteils gegebenen Kriterien und Hinweise zu prüfen, ob im Ausgangsrechtsstreit ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegt.
49. Auf die zweite Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß bei der Prüfung, ob ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes vorliegt, der Gestaltungsspielraum zu berücksichtigen ist, über den der betreffende Mitgliedstaat verfügt. Das Bestehen und der Umfang dieses Gestaltungsspielraums sind anhand des Gemeinschaftsrechts und nicht anhand des nationalen Rechts zu bestimmen.
Zur dritten Frage
50. Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassen und approbiert ist, aber kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen dürfen, daß dieser Zahnarzt die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat braucht.
51. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnten derartige sprachliche Anforderungen gegen Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 und gegen Artikel 52 EG-Vertrag verstoßen.
52. Zu Artikel 18 Absatz 3 der Richtlinie 78/686 ist festzustellen, daß die in dieser Richtlinie aufgestellten Vorschriften über die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes nicht für Diplome gelten, die in einem Drittstaat erworben wurden, selbst wenn sie von einem anderen Mitgliedstaat als gleichwertig anerkannt wurden (vgl. Urteil vom 9. Februar 1994 in der Rechtssache C-154/93, Tawil-Albertini, Slg. 1994, I-451, Randnr. 13).
53. Da das Diplom des Klägers von einem Drittstaat erteilt wurde, fällt es, obwohl es von einem anderen Mitgliedstaat als einem in Artikel 3 der Richtlinie 78/668 genannten Diplom gleichwertig anerkannt wurde, nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie.
54. Folglich braucht nicht geprüft zu werden, ob es in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens gegen Artikel 18 Absatz 3 dieser Richtlinie verstößt, wenn als Voraussetzung für die Kassenzulassung Sprachkenntnisse verlangt werden.
55. Der Kläger hat sich unmittelbar auf Artikel 52 EG-Vertrag berufen und geltend gemacht, § 21 ZOK könne nicht die Forderung nach Sprachkenntnissen rechtfertigen, wie sie von ihm im Ausgangsverfahren verlangt worden seien. Nach dieser Vorschrift sei ein Zahnarzt mit geistigen oder sonstigen in seiner Person liegenden schwerwiegenden Mängeln, insbesondere ein Zahnarzt, der innerhalb der letzten fünfJahre vor Stellung seines Antrag auf Zulassung rauschgiftsüchtig oder trunksüchtig gewesen sei, ungeeignet für die Ausübung der Kassenpraxis. Die beispielhaften Aufzählungen in dieser Vorschrift zeigten klar, daß hiermit keine unzureichenden Sprachkenntnisse gemeint seien oder gemeint sein könnten.
56. Zwar besagt § 21 ZOK seinem Wortlaut nach nichts über Sprachkenntnisse des Betroffenen, doch steht es dem Gerichtshof nicht zu, sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zur Auslegung einer nationalen Rechtsvorschrift zu äußern, insbesondere nicht zu der Frage, auf welche Arten von Mängeln sich eine nationale Vorschrift wie § 21 ZOK bezieht.
57. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten einschränken, nur unter vier Voraussetzungen zulässig: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. u. a. Urteile vom 30. November 1995 in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37, und Urteil vom 9. März 1999 in der Rechtssache C-212/97, Centros, Slg. I-1999, I-1459, Randnr. 34).
58. Zwar ist es im Rahmen der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gemeinschafts- und den nationalen Gerichten grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen in der bei ihm anhängigen Rechtssache erfüllt sind, doch kann der Gerichtshof in seiner Entscheidung auf ein Vorabentscheidungsersuchen gegebenenfalls Klarstellungen vornehmen, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben.
59. Die Gewährleistung der Verständigung des Zahnarztes mit seinen Patienten sowie mit den Verwaltungsbehörden und Berufsorganisationen stellt insoweit, wie der Generalanwalt in den Randnummern 105 bis 113 seiner Schlußanträge ausführt, einen zwingenden Grund des allgemeinen Interesses dar, der es rechtfertigt, die Kassenzulassung eines Zahnarztes von sprachlichen Voraussetzungen abhängig zu machen. Sowohl das Gespräch mit den Patienten als auch die Einhaltung der im Aufnahmemitgliedstaat für Zahnärzte geltenden Berufsregeln und Rechtsvorschriften wie auch die Erfüllung der administrativen Aufgaben verlangen nämlich eine angemessene Kenntnis der Sprache dieses Staates.
60. Zu beachten ist jedoch, daß sprachliche Anforderungen, die gewährleisten sollen, daß sich der Zahnarzt mit seinen Patienten, deren Muttersprache die Sprache des betreffenden Mitgliedstaats ist, sowie mit den Verwaltungsbehörden und den Berufsorganisationen dieses Staates angemessen verständigen kann, nicht über das zur Erreichung dieses Zieles Erforderliche hinausgehen dürfen. Es liegt im Interesse der Patienten, deren Muttersprache nicht die Amtssprache ist, daß es eine gewisse Zahl von Zahnärzten gibt, die sich mit ihnen auch in ihrer eigenen Sprache verständigen können.
61. Auf die dritte Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassen und approbiert ist, aber kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686 genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen dürfen, daß dieser Zahnarzt die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat braucht.
Kosten
62. Die Auslagen der deutschen, der dänischen, der griechischen, der spanischen, der französischen, der italienischen und der schwedischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Landgericht Düsseldorf mit Beschluß vom 8. Dezember 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Es ist gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Haftung einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch von ihr unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht getroffene Maßnahmen entstanden ist, neben derjenigen des Mitgliedstaats selbst gegeben ist.
2. Bei der Prüfung, ob ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes vorliegt, ist der Gestaltungsspielraum zu berücksichtigen, über den der betreffende Mitgliedstaat verfügt. Das Bestehen und der Umfang dieses Gestaltungsspielraums sind anhand des Gemeinschaftsrechts und nicht anhand des nationalen Rechts zu bestimmen.
3. Die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats dürfen die Kassenzulassung eines Zahnarztes, der Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaats ist und der im erstgenannten Mitgliedstaat niedergelassen und approbiert ist, aber kein in Artikel 3 der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr genanntes Diplom besitzt, davon abhängig machen, daß dieser Zahnarzt die Sprachkenntnisse hat, die er für die Ausübung seiner Berufstätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat braucht.
Rodríguez Iglesias Edward Sevón Schintgen
Kapteyn Gulmann Puissochet Hirsch
Jann Ragnemalm Wathelet
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 4. Juli 2000.
Der Kanzler Der Präsident
R. Grass G. C. Rodríguez Iglesias
1: Verfahrenssprache: Deutsch.
Hervorhebungen durch mich
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS JEAN MISCHO vom 19. Mai 1999
Quelle: https://curia.europa.eu/
s.a.. Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht (Zusammenfassung)