Mit dem Beschluss (1 BvR 895/16) vom 08. September 2020 bestätigte das BVerfG erneut den Anwendungsvorrang:
Wenn Deutschland zwingendes EU-Recht (das der EuGH übrigens schon für rechtmäßig hielt) umsetzt, gibt es keine Überprüfung mehr am Maßstab deutscher Grundrechte.
Zur Begründung hat die Kammer im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Überprüfung dieser Regelungen am Maßstab der deutschen Grundrechte nicht in Betracht kommt, weil sie zwingendes Unionsrecht umsetzen.
Der EuGH gab auch mit seinem Urteil (C-424/19) vom 16. Juli 2020 unmissverständlich vor, dass aus unionsrechtswidrigen Entscheidungen keine Rechtskraft erwächst und die Wirksamkeit der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht behindert werden darf.
Mit dem aktuellen Beschluss (2 BvR 1161/19) vom 4. März 2021 entschied das BVerfG erneut, dass der EuGH in unionsrechtlichen Fragen das letzte Wort hat und der Bundesfinanzhof gegen den Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstieß und damit das Recht auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtete.
Das BVerfG führt unter der Rn. 23ff aus:
23) 2. Die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergebe sich daraus, dass der Bundesfinanzhof seiner aus Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgenden Pflicht, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen, nicht nachgekommen sei.
24) Die Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV hätten im (letztinstanzlichen) Revisionsverfahren vorgelegen. Das Bundesverfassungsgericht behandele zwar nicht jede Verletzung der Vorlagepflicht als einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern prüfe nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheine und offensichtlich unhaltbar sei. Dies sei unter anderem dann der Fall, wenn das Gericht offenkundig einschlägige Rechtsprechung des EuGH nicht auswerte, ohne die Gründe für seine Entscheidung über die Vorlagepflicht anzugeben, oder wenn es bewusst von der Rechtsprechung des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweiche und gleichwohl nicht vorlege. Das Gericht müsse etwaige einschlägige Rechtsprechung auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren.
Damit verstößt der BFH nach Ansicht des BVerfG auch noch seit des Inkrafttretens des des Vertrags von Lissabon, der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft” mit der zum 1. Dezember 2009 die neue Europäische Union geschaffen und die EU-Grundrechtecharta rechtsverbindlich wurde (Art. 6 Abs. 1 EU-Vertrag, an die alle EU-Länder gebunden sind), noch immer gegen die Verträge. (vgl. u.a. BFH Urteil, V R 17/13, EuGH C-617/10, Fransson, EuGH-Pfleger, (C-390/12)
Damit hat das BVerfG erneut festgestellt, dass der BFH seine eigenmächtige Auslegung des harmonisierten Mehrwertsteuerrechts seit dem Kloppenburg-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 687/85) vom 8. April 1987 nicht geändert hat.