Donnerstag, 27. September 2012

Europarechtswidrigkeit der Umsatzbesteuerung von Spielgeräten?

update:
EuGH-Urteil vom 24.10.2013 (Rs. C-440/12)
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Finanzgericht Hamburg befragt den EuGH, ob die Besteuerung der Spielhallenbetreiber den Grundsätzen der Proportionalität und der Abwälzbarkeit entspricht, und nach etwaigen Konsequenzen der Umsatzsteueranrechnung bei den Spielbanken
Das Finanzgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 21.9.2012 (Az. 3 K 104/11) den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung einer Reihe unionsrechtlicher Fragen angerufen, die die Umsatzbesteuerung von Spielgerätebetreibern betrifft.
Die Besteuerung von Spielgeräten ist seit Jahren Gegenstand einer Vielzahl gerichtlicher Verfahren. Wiederholt ging es um die Rechtmäßigkeit von Spielgeräte- und ähnlichen Steuern, die von Städten und Gemeinden als kommunale Steuern in eigener Kompetenz von Spielhallenbetreibern erhoben werden – auch im Verhältnis zu den Spielbankabgaben, die von den Bundesländern geregelt und ausschließlich von staatlich konzessionierten Spielbanken erhoben werden. Für die bundeseinheitlich und seit Mai 2006 auch für die Umsätze mit Geldspielautomaten erhobene Umsatzsteuer legt das Finanzgericht Hamburg nun dem EuGH einen ganzen Katalog von Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vor.
Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens betrieb im Streitjahr 2010 in sieben Spielhallen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern „Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit“ und wurde dort jeweils zu einer kommunalen Aufwand­steuer herangezogen. Für jedes Gerät erfasste sie monatlich den Bestand der Gerätekasse und errechnete auf dieser Grundlage Bruttoeinnahme die Umsatzsteuer, gegen deren Festsetzung sie sodann vor das Finanzgericht Hamburg gezogen ist.
Der 3. Senat des Finanzgerichts Hamburg hält es für fraglich, ob die Erhebung der Umsatzsteuer für Spielgeräte oder jedenfalls die Art ihrer Berechnung mit der vorrangig zu beachtenden Mehrwertsteuersystemrichtlinie der Europäischen Union in Übereinstimmung steht. Dabei hat der 3. Senat zwei Grundsätze des Mehrwertsteuersystems im Blick: Nach dem Proportionalitätsgrundsatz der Richtlinie ist die Steuer genau proportional zum Preis der jeweiligen Gegenstände und Dienstleistungen; nach dem Grundsatz der Abwälzbarkeit ist für die Mehrwertsteuer kennzeichnend, dass sie vom Unternehmer auf den Endverbraucher abgewälzt wird. Das Finanzgericht fragt, ob es richtig ist, den monatlichen Kasseninhalt des Spielgeräts zur Bemessungsgrundlage zu nehmen, ohne zu berücksichtigen, wie viel der einzelne Spieler gewonnen oder verloren hat? Und welche Bedeutung kommt den Regelungen in der deutschen Spielgeräteverordnung für die Frage der Abwälzbarkeit zu, die die Höhe des möglichen Verlustes eines Spielers begrenzen und dem Spielgerätebetreiber damit nicht erlauben, die Umsatzsteuer über einen höheren „Preis“ an den Spieler weiterzureichen?
Der 3. Senat des Finanzgerichts Hamburg problematisiert in seinem Vorabentscheidungsersuchen auch den Umstand, dass in Deutschland zwar inzwischen aufgrund einer Entscheidung des EuGH die Umsätze der mit den Spielhallen im Wettbewerb stehenden Spielbanken mit Glücksspielautomaten umsatzsteuerpflichtig geworden sind, ihre Umsatzsteuerschuld aber betragsgenau auf die von ihnen zu zahlende Spielbankabgabe angerechnet wird.
Mehr am Rande nimmt der Beschluss eine Äußerung des Generalanwalts beim EuGH in einem anderen Glücksspielverfahren zum Anlass, den EuGH zu fragen, ob es das Mehrwertsteuersystem überhaupt erlaubt, auf Glücksspiele Umsatzsteuer und Sonderabgaben, wie etwa eine Spielgerätesteuer, nebeneinander zu erheben.  
Beschluss 3 K 104/11 im Volltext als pdf-Dokument  (s.u.)
Für Rückfragen:
RiFG Matthias Tiemann
Pressesprecher des Finanzgerichts Hamburg
Tel.: 040 - 42843 7726
Fax: 040 - 42843 7777

Quelle


Bernd Hansen Rechtsanwalt in Jesteburg bei Hamburg:

Finanzgericht Hamburg stellt Doppelbesteuerung des Automatenspiels durch Umsatzsteuer und
Vergnügungssteuer in Frage und legt die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vor!!!


Mit Beschluss vom 21.09.2012 (Az. 3 K 104/11) hat das Finanzgericht Hamburg in einem von mir geführten Verfahren entschieden, die Frage der Vereinbarkeit des geltenden Besteuerungssystems im gewerblichen Automatenspiel mit dem Gemeinschaftsrecht dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorzulegen.
In dem Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH werden nun unter anderem die folgenden Fragen einer unionsrechtlichen Prüfung unterzogen:

·         das System der Doppelbesteuerung des Automatenspiels mit Umsatz- und Vergnügungssteuern (Art. 401 i.V.m. Art. 135 Abs. 1 Buchst. i Mehrwertsteuersystemrichtlinie);

·         die Möglichkeit der Anrechnung der Umsatzsteuer auf die Spielbankenabgabe bei den öffentlichen Spielbanken, während die Umsatzsteuer bei den gewerblichen Automatenaufstellern nicht auf die Vergnügungssteuer (bzw. Spielgeräte- oder Spielvergnügungssteuer) angerechnet werden darf (Stichwort: Neutralitätsgrundsatz);

·         die fehlende Abwälzungsmöglichkeit der Steuer aufgrund der Deckelung der Spieleinsätze, der maximalen Verluste und der Kasseneinnahmen durch Vorschriften der Spielverordnung. Dabei geht es auch um die Frage, ob dies eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 15 (Berufsausübungsfreiheit) und Art. 16 (unternehmerische Freiheit) der Charta der Grundrechte der Europäischen Gemeinschaft darstellt;

·         die fehlende Proportionalität zwischen dem Preis der Leistung und der Kasse als Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer (Art. 1 Abs. 2 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie);
Damit wird nicht nur die Frage nach dem Ob und Wie der Rechtmäßigkeit der Umsatzbesteuerung auf den Prüfstand gestellt. Es wird insbesondere auch um die Frage gehen, ob die seit Jahrzehnten bestehende Doppelbesteuerung mit Umsatzsteuer und Vergnügungssteuern mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

Glücksspieländerungstaatsvertrag mit Spielhallengesetzen der Länder
Durch den zum 01. Juli 2012 in Kraft getretenen Glücksspieländerungsstaatsvertrag und dessen Umsetzung in das jeweilige Landesrecht ergeben sich insbesondere für Automatenaufsteller umfangreiche (meist erheblich nachteilig wirkende) Veränderungen. Beispielsweise seien hier nur das Verbot von Mehrfachspielhallen und die neu eingeführten Mindesabstände zwischen Spielhallen zu erwähnen.
Umfangreiche und teilweise schwierig zu beantwortende Rechtsfragen, gerade im Hinblick auf eine mögliche Staatshaftung, tun sich auf:
Was ist mit dem Bestandsschutz für bestehende Spielhallen?
Wie können Eigentümer von Immobilien reagieren, die an Spielhallenbetreiber vermietet haben, wenn die Spielhallenkonzessionen nun eingeschränkt oder gänzlich versagt werden? Ist nicht das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 GG verletzt?
Hier stellt sich für viele Unternehmer die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, auf diese Veränderungen zu reagieren.   Weiter zum vollständigen Artikel ...

update vom 31.12.12
Verstößt die Umsatzbesteuerung von Spielgeräten gegen das Unionsrecht?
KMLZ - Umsatzsteuer Newsletter 12/2012  weiterlesen

Veröffentlichung des UAVD (Auszug)
"Bleibt die Hoffnung, dass dieses Mal vom FG die Fragen richtig und allumfassend gegenüber dem EuGH gestellt werden, damit im 4. Anlauf der EuGH - aufgrund der "misslich" formulierten Vorlagefrage - auch die Fehlbeurteilung in Sachen „Leo Libera“ berichtigen kann und nunmehr schlussendlich bestätigt, dass auf Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspiel mit Geldeinsatz keine „Umsatzsteuer“ erhoben werden kann und gem. der gemeinschaftsrechtlichen Umsatzsteuerbefreiungsrichtlinie (hier Art. 401 in Verbindung mit Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG) gemeinschaftsrechtlich absolut ausgeschlossen ist."  Quelle

Zusammenfassung zur Umsatzsteuerbefreiung von Glücksspielen vom 16.08.12

weiterlesen

DIPLOMARBEIT  Die kommunale Vergnügungssteuer und ihre Gestaltungsmöglichkeiten bei Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit


FINANZGERICHT HAMBURG

Az.: 3 K 104/11
Beschluss des Senats vom 21.09.2012

Rechtskraft: rechtskräftig
Normen: RL 2006/112/EG Erwägungsgrund 4, Ar.t 1 Abs. 2, Art. 73, Art. 135 Abs. 1,Art. 401; UStG § 4 Nr. 9b, § 10 Abs. 1; GewO § 33f; SpielV § 12 Abs. 2, § 13 Abs. 1;Verordnung über die öffentlichen Spielbanken § 6; Hamburgisches Spielbankgesetz§ 3 Abs. 2, SpielbG SH § 4 Abs. 1 Satz 2; SpbG M-V § 7 Abs. 7 Satz 2FGO § 69Abs. 6

Leitsatz: 1. Der Kasseninhalt als Bemessungsgrundlage bei Spielgeräteumsätzen verstößt gegen den Grundsatz der Proportionalität der Mehrwertsteuer. Es ist klärungsbedürftig, ob er gleichwohl eine unionsrechtskonforme Bemessungsgrundlage darstellt.
2. Es ist ungeklärt, ob die Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer Voraussetzung ihrer Erhebung ist, insbesondere bei bruttopreisbegrenzenden Rechtsvorschriften.
3. Es ist wegen des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer zweifelhaft, ob die Umsatzsteuer betragsgenau auf eine nationale, nicht harmonisierte Sonderabgabe angerechnet werden darf.
Überschrift: EuGH-Vorlage zur Umsatzsteuer bei Geldspielgeräten in Spielhallen

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:

1.  Ist Art. 401 (in Verbindung mit Art. 135 Abs. 1 Buchstabe i) der Richtlinie 2006/112/EG  des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem  dahingehend auszulegen, dass Mehrwertsteuer und nationale Sonderabgabe auf Glücksspiele nur alternativ, nicht kumulativ erhoben werden dürfen?

2.  nur falls ja zu 1.:
Falls nach nationalen Vorschriften bei Glücksspielen sowohl Mehrwertsteuer als auch eine Sonderabgabe erhoben wird, führt dies zur Nichterhebung der Mehrwertsteuer oder zur Nichterhebung der Sonderabgabe oder richtet sich die Entscheidung, welche von beiden Abgaben nicht erhoben werden darf, nach nationalem Recht?

3.  Sind Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift oder Praxis entgegenstehen, wonach beim Betrieb von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit der Kasseninhalt („elektronisch gezählte Kasse“) des Geräts nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt wird?

4.  nur falls ja zu 3.:
Wie ist die Bemessungsgrundlage stattdessen zu bestimmen?

5.  Sind Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG dahingehend auszulegen, dass die Erhebung der Mehrwertsteuer voraussetzt, dass der Unternehmer die Mehrwertsteuer auf den Leistungsempfänger abwälzen kann? Ggf. was ist unter Abwälzbarkeit zu verstehen? Gehört zur
Abwälzbarkeit insbesondere die rechtliche Zulässigkeit eines entsprechend höheren Preises für die Ware oder Dienstleistung?

6.  nur falls bei 5. die rechtliche Zulässigkeit eines höheren Preises Voraussetzung ist:
Sind Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und Art. 73 der Richtlinie 2006/112/EG dahingehend auszulegen, dass Vorschriften, die das Entgelt für mehrwertsteuerpflichtige Waren oder Dienstleistungen beschränken, unionsrechtskonform so anzuwenden sind, dass sich das festgesetzte Entgelt nicht einschließlich, sondern zuzüglich Mehrwertsteuer versteht, auch wenn es sich um nationale entgeltregelnde Vorschriften handelt, die dies nach ihrem Wortlaut nicht ausdrücklich vorsehen?

7.  nur falls ja zu. 5., nein zu 6. und nein zu 3.:
Ist in diesem Fall für den gesamten Umsatz der Spielgeräte keine Mehrwertsteuer zu erheben oder nur für den Teil, für den eine Abwälzung nicht möglich ist, und wie ist dieser dann zu bestimmen  -  etwa danach, bei
welchen Umsätzen der Einsatz pro Spiel nicht erhöht werden konnte, oder danach, bei welchen Umsätzen der Kasseninhalt pro Stunde nicht erhöht werden konnte?

8.  Ist Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG dahingehend auszulegen, dass er einer nationalen Regelung einer nicht harmonisierten Abgabe entgegensteht, wonach die geschuldete Mehrwertsteuer betragsgenau bei dieser Abgabe angerechnet wird?

9.  nur falls ja zu 8.:
Führt die Anrechnung der Mehrwertsteuer auf eine nationale, nicht harmonisierte Abgabe  bei den mit dieser Abgabe belegten Unternehmern dazu, dass die Mehrwertsteuer bei ihren Wettbewerbern nicht erhoben werden darf, die zwar nicht dieser, aber einer anderen Sonderabgabe unterworfen sind und bei denen eine solche Anrechnung nicht vorgesehen ist?


Gründe:

A.

Sachverhalt und Streitstand

I.

1.
Die Klägerin betrieb  im Streitjahr  2010  in sieben Spielhallen in den deutschen Bundesländern Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern sog. „Geldspielgeräte  mit Gewinnmöglichkeit“. Durch örtliche Satzungen der jeweiligen Gemeinden in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern bzw. durch Landesgesetz in Hamburg wird eine Vergnügungssteuer oder Spielvergnügungsteuer (kommunale Aufwandsteuer) nach örtlich unterschiedlichen Sätzen und Bemessungsgrundlagen und teilweise mit einem Mindestbetrag oder durch eine Pauschale pro Gerät erhoben (z. B.: Gemeinde Burg (Schleswig-Holstein) 7 % der Kasseneinnahmen; Gemeinde Ratzeburg (Schleswig-Holstein) 12 % der Kasseneinnahmen, seit 2012 mindestens 25 € pro Gerät; Gemeinde Bad Segeberg (Schleswig-Holstein) 10 % der Kasseneinnahmen, hier jedoch abzüglich Mehrwertsteuer („Nettokasse“); Hamburg 5 % der Einsätze; Gemeinde Boltenhagen
(Mecklenburg-Vorpommern) pauschal 110 € pro Gerät und Monat).

2.
An jedem „Geldspielgerät mit Gewinnmöglichkeit“ wurden die Kasseneinnahmen von der Klägerin monatlich aus der Kontrolleinrichtung ausgelesen  (Kasseneinnahmen = Saldo des Kasseninhalts von Monatsanfang und Monatsende = Geldeinwurf minus Geldauswurf plus Entnahmen minus Geräteauffüllungen). Die Jahressumme aller monatlichen Kasseneinnahmen aller ihrer Geldspielgeräte addierte die Klägerin zu 1.018.041,78 €  („Bruttokasse“). Aufgrund des deutschen Mehrwertsteuer-Normalsatzes von 19 % errechnete die Klägerin daraus eine Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer von 855.497,29 € („Nettokasse“, 100/119 von 1.018.041,78 €).

3.
...

Von dem Gesamtbetrag der Umsatzsteuer von 164.334,69 € entfallen somit auf die Umsätze aus dem Betrieb von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit (Geldspielgeräte)162.544,49 € und auf alle anderen Arten von steuerpflichtigen Umsätzen 1.790,20 €.

Ferner erzielte die Klägerin noch 12.539,35 € steuerfreie Umsätze aus Sportwetten.

II.

1.
Die Spielgeräte verfügen neben der Kasse nicht mehr, wie früher, für die Gewinnauszahlung über ein Münzstapelrohr, sondern stattdessen über einen sog. „Hopper“ (Münzspeicher- und -auszahleinheit). Der Hopper verfügt über ein Fach mit 20-Cent-Münzen und über ein Fach mit 2-€-Münzen und wird zu Beginn des Betriebs vom Betreiber gefüllt. Eine typische Befüllung besteht aus 250 Münzen zu 2 € und
250 Münzen zu 20 Cent. Eine Mindestbefüllung ist rechtlich nicht vorgeschrieben.
Die maximale Befüllung hängt von der Geräteausführung ab. Eingeworfene Münzen zu 5 Cent, 10 Cent, 50 Cent und 1 € sowie eingeführte Scheine zu 5 €, 10 €, 20 € und 50 € gelangen immer sofort in die Kasse, deren Bestand elektronisch gezählt wird. Eingeworfene Münzen zu 20 Cent und zu 2 € gelangen in den Hopper, solange dieser nicht voll ist, sonst ebenfalls in die Kasse. Der Betreiber hat auch auf den Bestand des Hoppers jederzeit Zugriff; er kann diesen sowohl weiter auffüllen als auch ganz oder teilweise leeren (wobei der Gerätebetrieb mit leerem Hopper nicht sinnvoll wäre, da dann bereits kleinere Gewinne vom Aufsichtspersonal ausgezahlt werden müssten). Bestandsveränderungen des Hoppers werden jedoch von der Kontrolleinrichtung  registriert und bei der Berechnung der Kasseneinnahme berücksichtigt. Entnahmen aus der elektronisch gezählten Kasse werden nicht registriert.

2.
Die Spielgeräte verfügen über einen Geldspeicher und über einen Punktespeicher. Eingezahltes Geld bewirkt zunächst ein entsprechendes Guthaben im Geldspeicher. Die Umbuchung von Geld in Punkte wird von dem Gerät als Einsatz registriert, die Umbuchung von Punkten in Geld als Gewinn, wobei 1 Cent einem Punkt entspricht.Mit den Punkten kann das Spiel vom Spieler gestartet werden. Der aktuelle Punktestand im Punktespeicher kann vom Spieler jederzeit in einen Geldbetrag im Geldspeicher umgebucht werden, der Bestand im Geldspeicher kann jederzeit ausgezahlt werden.

Die umgangssprachlichen Begriffe von Spiel, Einsatz und Gewinn entsprechen nicht dem in der Spielverordnung und von den Kontrolleinrichtungen der Spielgeräte verwendeten Begriffen.

3.
Die Umbuchung vom Geldspeicher in den Punktespeicher  (= Einsatz) ist doppelt beschränkt, nämlich auf 20 Cent pro 5 Sekunden  (diese Beschränkung allein entspräche 144  € pro Stunde) und auf 80 Euro pro Stunde. Sind die 80 Euro pro Stunde erreicht, kann für den Rest der Stunde nichts weiter vom Geldspeicher in denPunktespeicher umgebucht werden (sog. „Buchungspause“). Sind während dieses Zeitraums einer Buchungspause auch keine Punkte mehr im Punktespeicher, kann für den Rest der Stunde an dem Gerät nicht mehr gespielt werden. Die Veränderungen des Punktestandes im Punktespeicher (d. h. das, was man umgangssprachlich als Spiel, Einsatz, Verlust und Gewinn ansehen würde) unterliegen keinen rechtlichen Regelungen.

III.

Aufgrund der von der Klägerin im Dezember 2011 abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 2010 setzte der Beklagte (das Finanzamt) die Umsatzsteuer 2010 mit Bescheid vom 29.03.2012 auf 94.978,93 € fest. Hiergegen richtet sich die Klage.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Umsatzbesteuerung der Geldspielgeräteumsätze verstoße gegen Unionsrecht, insbesondere gegen die Grundsätze der Proportionalität, der Abwälzbarkeit und der Neutralität der Mehrwertsteuer, und beantragt daher,
den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 29.03.2012 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer von 94.978,93 € auf 1.790,20 € herabgesetzt wird.


Das beklagte Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

Es hält die Besteuerung der Geldspielgeräteumsätze für unionsrechtskonform.

B.

Relevante Rechtsvorschriften

I.

Nationales Recht

1.
Umsatzsteuergesetz (UStG)

§ 1 Steuerbare Umsätze Abs. 1
Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze
1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. …

§ 4 Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen
Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:

9.

b)
Fassung gültig bis 05.05.2006:
die Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind.

Fassung gültig seit 06.05.2006, auch im Streitjahr 2010:
die Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen.

§ 10 Bemessungsgrundlage für Lieferungen, sonstige Leistungen und innergemeinschaftliche Erwerbe
Abs. 1
Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen  … nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer.


2.
Gewerbeordnung

§ 33f Ermächtigung zum Erlass von Durchführungsvorschriften
Abs. 1
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie kann zur Durchführung der §§ 33c, 33d, 33e und 33i im Einvernehmen mit den Bundesministerien des Innern und für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zur Eindämmung der Betätigung des Spieltriebs, zum
Schutze der Allgemeinheit und der Spieler sowie im Interesse des Jugendschutzes

3.
für die Zulassung oder die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung bestimmte Anforderungen an
a)
die Art und Weise des Spielvorganges,
b)
die Art des Gewinnes,
c)
den Höchsteinsatz und den Höchstgewinn,
d)
das Verhältnis der Anzahl der gewonnenen Spiele zur Anzahl der verlorenen Spiele,
e)
das Verhältnis des Einsatzes zum Gewinn bei einer bestimmten Anzahl von Spielen,
f) die Mindestdauer eines Spieles,
g)
die technische Konstruktion und die Kennzeichnung der Spielgeräte,

stellen,



3.
Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit
(Spielverordnung – SpielV)

a)
Fassung gültig bis 31.12.2005
§ 13
Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt darf die Bauart eines Geldspielgeräts nur zulassen, wenn folgende Anforderungen erfüllt sind:

5.Der Einsatz für ein Spiel darf höchstens 0,20 Euro, der Gewinn höchstens 2 Euro betragen.
6.Die durch Berechnung oder Versuche ermittelte Summe der Gewinne muss bei unbeeinflusstem Spielablauf mindestens 60 vom Hundert der durch den jeweils geltenden Umsatzsteuersatz verringerten  Einsätze betragen. Dies gilt entsprechend bei ständiger Betätigung der Risikotaste.


b) 
Fassung gültig seit 01.01.2006 

Zulassung von Spielgeräten
§ 12 Abs. 2
Der Antragsteller hat mit dem Antrag eine schriftliche Erklärung vorzulegen, dass bei dem von ihm zur Prüfung eingereichten Geldspielgerät
a) Gewinne in solcher Höhe ausgezahlt werden, dass bei langfristiger Betrachtung kein höherer Betrag als 33 Euro je Stunde als Kasseninhalt verbleibt,

d) die Möglichkeit vorhanden ist, sämtliche Einsätze, Gewinne und Kasseninhalte für steuerliche Erhebungen zu dokumentieren.


§ 13 Abs. 1
(1) Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt darf die Bauart einesGeldspielgerätes nur zulassen, wenn folgende Anforderungen erfüllt sind:
1.  Die Mindestspieldauer beträgt fünf Sekunden;  dabei darf der Einsatz 0,20 Euro nicht übersteigen und der Gewinn höchstens 2 Euro betragen.
2. Bei einer Verlängerung des Abstandes zwischen zwei Einsatzleistungen über fünf Sekunden hinaus bis zu einer Obergrenze von 75 Sekunden darf der Einsatz um höchstens 0,03 Euro je volle Sekunde erhöht werden; bei einer Verlängerung des Abstandes zwischen zwei Gewinnauszahlungen über fünf Sekunden hinaus bis zu einer Obergrenze von 75 Sekunden darf der Gewinn um höchstens 0,30 Euro je volle Sekunde erhöht werden.  Darüber hinausgehende Erhöhungen von Einsatz und Gewinn sind ausgeschlossen.
3. Die Summe der Verluste (Einsätze abzüglich Gewinne) darf im Verlauf einer Stunde 80 Euro nicht übersteigen.
4. Die Summe der Gewinne abzüglich der Einsätze darf im Verlauf einer Stunde 500 Euro nicht übersteigen.


4. Rechtsvorschriften nicht für Spielhallen,  wie sie von der Klägerin betrieben werden, sondern für Spielbanken:

a) 
„Verordnung über öffentliche Spielbanken“ vom 27.07.1938
§ 6
(1) Der Spielbankunternehmer ist für den Betrieb der Spielbank von den laufenden Steuern des Reichs, die vom Einkommen, vom Vermögen und vom Umsatz erhoben werden, sowie von der Lotteriesteuer und von der Gesellschaftssteuer befreit.
(2) Inwieweit der Spielbankunternehmer für den Betrieb der Spielbank auch von Landes-  und Gemeindesteuern zu befreien ist, bestimmt der Reichsminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Reichsminister des Innern.

b)
Hamburgisches Gesetz über die Zulassung einer öffentlichen Spielbank
§ 3 Abs. 1
Das Spielbankunternehmen hat an die Freie und Hansestadt Hamburg eine Spielbankabgabe in Höhe von 70 vom Hundert der Bruttospielerträge zu entrichten. Zusätzlich hat das Spielbankunternehmen eine Sonderabgabe in Höhe von 20 vom Hundert des Bruttospielertrags zu entrichten. Die zuständige Behörde kann auf Antrag des Spielbankunternehmens die Sonderabgabe  ermäßigen, soweit dem Spielbankunternehmen kein angemessener Gewinn verbleibt.
§ 3 Abs. 2, eingefügt durch Hamburgisches Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Zulassung einer öffentlichen Spielbank vom 30.11.2010, in Kraft rückwirkend ab 06.05.2006
Die tarifliche Spielbankabgabe nach Absatz 1 ermäßigt sich um die nach dem Umsatzsteuergesetz geschuldete und zu entrichtende Umsatzsteuer auf Grund von Umsätzen, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind. Die maßgeblichen Umsatzsteuerfestsetzungen gelten insoweit als Grundlagenbescheide im Sinne des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung …

c)
Spielbankgesetz des Landes Schleswig-Holstein (SpielbG SH) vom 29.12.1995
§ 4 Höhe der Abgaben
Abs. 1 Satz 1 in der Fassung gültig bis 31.10.2010
Die Spielbankabgabe beträgt 50% des Bruttospielertrages.
Abs. 1 Satz 2, eingefügt durch Gesetz zur Änderung des Spielbankgesetzes des Landes Schleswig-Holstein vom 12.04.2007, rückwirkend in Kraft ab 06.05.2006
Auf die Spielbankabgabe wird die nach dem Umsatzsteuergesetz geschuldete und entrichtete Umsatzsteuer aufgrund von Umsätzen, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind, angerechnet.
Abs. 2 in der Fassung gültig bis 31.10.2010
Die Zusatzabgabe beträgt 30 % des Bruttospielertrages. Das Finanzministerium wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Innenministerium durch Rechtsverordnung die Zusatzabgabe zu erhöhen oder zu ermäßigen. Eine Erhöhung ist zulässig, wenn die Bruttospielerträge der Spielbank im Geschäftsjahr den Betrag von zwölf Millionen Euro übersteigen. Die Erhöhung kann entsprechend der Höhe der Bruttospielerträge abgestuft werden; sie darf 8 % der zwölf Millionen Euro übersteigenden Bruttospielerträge nicht überschreiten. Eine Ermäßigung ist zulässig, wenn die Bruttospielerträge der Spielbank im Geschäftsjahr den Betrag von dreieinhalb Millionen Euro nicht erreichen und an der überwiegenden Zahl der Öffnungstage Roulettespiel als Lebendspiel angeboten wird. Die Ermäßigung kann in Abhängigkeit von der Höhe der Bruttospielerträge abgestuft werden und darf 10 % der Bruttospielerträge nicht überschreiten.

d) 
Spielbankgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Spielbankgesetz - SpbG M-V) vom 17. Dezember 2009
§ 7
Spielbankabgabe
(1) Der Betrieb einer Spielbank unterliegt der Spielbankabgabe.
(2) Die Spielbankabgabe beträgt
1.bei einem Bruttospielertrag im Wirtschaftsjahr von bis zu 500 000 Euro 25 Prozent,
2.für den 500 000 Euro im Wirtschaftsjahr übersteigenden Bruttospielertrag bis zueinem Bruttospielertrag von zwei Millionen Euro 30 Prozent,
3.für den zwei Millionen Euro im Wirtschaftsjahr übersteigenden Bruttospielertrag bis zu einem Bruttospielertrag von drei Millionen Euro 40 Prozent,
4.für den drei Millionen Euro im Wirtschaftsjahr übersteigenden Bruttospielertrag bis zu einem Bruttospielertrag von zehn Millionen Euro 60 Prozent und
5.für den zehn Millionen Euro im Wirtschaftsjahr übersteigenden Bruttospielertrag 80 Prozent des Bruttospielertrags.

(7) in der bis 31.12.2006 geltenden Fassung:
Die Spielbankabgabe ist durch Anwendung des gemäß Absatz 2 auf den  Bruttospielertrag getrennt für die einzelnen Spielbanken und Nebenspielbetriebe zu ermitteln.

(7) in der seit 01.01.2007 geltenden Fassung:
Die Spielbankabgabe ist durch Anwendung des gemäß Absatz 2 auf den Bruttospielertrag getrennt für die einzelnen Spielbanken und Nebenspielbetriebe zu ermitteln. Auf die Spielbankabgabe ist die nach dem Umsatzsteuergesetz geschuldete und entrichtete Umsatzsteuer, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt ist, anzurechnen.

II.

Unionsrecht

Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem

Erwägungsgrund 4
Voraussetzung für die Verwirklichung des Ziels, einen Binnenmarkt zu schaffen ist, dass in den Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern angewandt werden, durch die die Wettbewerbsbedingungen nicht verfälscht und der freie Waren- und Dienstleistungsverkehr nicht behindert werden. Es ist daher erforderlich, eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuer im Wege eines Mehrwertsteuersystems  vorzunehmen, um soweit wie möglich die Faktoren auszuschalten, die geeignet sind, die Wettbewerbsbedingungen sowohl auf nationaler Ebene als auch auf Gemeinschaftsebene zu verfälschen.

Art. 1 Abs. 2
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.


Art. 73
Bei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder  einem Dritten erhältoder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen.

Art. 135 Abs. 1
Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

i) Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden;


Art. 401
Unbeschadet anderer gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften hindert diese Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, Abgaben auf Versicherungsverträge, Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern, Grunderwerbsteuern sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen, sofern die Erhebung dieser Steuern, Abgaben und Gebühren im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübertritt verbunden ist.

C.

Begründung der Vorlagefragen

I.

Begründung der ersten und zweiten Vorlagefrage

1.
Auslegungszweifel

Der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache „Leo-Libera“ ausgeführt, dass die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit haben, jedes Glücksspiel entweder einer Sonderabgabe oder der Mehrwertsteuer zu unterwerfen (Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 11.03.2010, Rechtssache C-58/09„Leo-Libera“, Rn. 43 und 44). Der Gerichtshof hat, soweit ersichtlich, dazu bisher nicht Stellung genommen, ist dieser Auffassung also auch nicht entgegen getreten.

In anderen Bereichen außer dem Glücksspiel darf eine nationale Sonderabgabe, so sie sich genügend von der Mehrwertsteuer unterscheidet und daher überhaupt gemäß Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG zulässig ist, immer neben der Mehrwertsteuer erhoben werden. Allein, dass die Erhebung der Mehrwertsteuer bei
Glücksspielen einige zusätzliche Fragen aufwirft (vgl. dazu die nachfolgenden Vorlagefragen), bedeutet aus Sicht des vorlegenden Gerichts nicht, dass eine nationale Sonderabgabe auf dem Feld des Glücksspiels ausnahmsweise nicht parallel, sondern nur anstelle der Mehrwertsteuer erhoben werden darf. Das vorlegende Gericht tendiert daher dazu, die erste Vorlagefrage zu verneinen. Es bleiben allerdings Zweifel aufgrund der in veröffentlichten Schlussanträgen geäußerten Auffassung des Generalanwalts.

Falls der Gerichtshof die erste Frage bejaht, stellt sich die zweite Frage nach den Konsequenzen. Sollte es dafür auf die nationale Rechtslage ankommen, so ist zu erwähnen, dass in der föderalen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland die Mehrwertsteuer aufgrund des Umsatzsteuergesetzes, also eines Bundesgesetzes, erhoben wird, während die Vergnügungssteuer (Spielgerätesteuer) durch Landesgesetz oder durch aufgrund eines Landesgesetzes erlassene kommunale Satzung erhoben wird, und die deutsche Verfassung vorsieht, dass das Bundesrecht dem Landesrecht vorgeht (Art. 31 Grundgesetz), so dass dann die Mehrwertsteuer zu erheben wäre, die Sonderabgabe nicht.

2.
Entscheidungserheblichkeit

Falls der Gerichtshof die erste Frage bejaht und die zweite Frage dahingehend beantwortet, dass die Mehrwertsteuer nicht zu erheben ist, hätte die ausschließlich gegen die Mehrwertsteuer aus den Spielgeräteumsätzen gerichtete Klage schon allein deswegen in vollem Umfang Erfolg, ohne dass es auf die weiteren Vorlagefragen noch ankäme.

II.

Begründung der dritten und vierten Vorlagefrage

1.
Auslegungszweifel

a)
Bereits aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2006/112/EG folgt, dass die Mehrwertsteuer zum Preis der  Dienstleistungen genau proportional sein muss. Der Gerichtshof hat auch wiederholt auf diese Proportionalität hingewiesen (EuGH, Urteil vom 31.03.1992, C-200/90 „Dansk Denkavit und Poulsen Trading“, Slg 1992, I-2217, EuZW 1992, 420, Rn. 11; EuGH, Urteil vom 08.06.1999, C-338/97 „Pelzl“, Slg 1999, I-3119, IStR 1999, 403, EuZW 1999, 692, Rn. 25; EuGH, Urteil vom 11.10.2007, C-283/06 „Kögaz“, Slg 2007, I-8463, UR 2007, 906, Rn. 40). Der Grundsatz der Proportionalität der Mehrwertsteuer (zum Preis) kann daher  als allgemein anerkannte Grundlage des unionsrechtlichen Mehrwertsteuersystems angesehen werden.

b)
Für die 1991 noch mit mechanischer Geldtrennvorrichtung (Münzstapelrohr und Automatenkasse) versehenen Geldspielautomaten hat der Gerichtshof im Urteil „Glawe“ 1994 entschieden, dass bei Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit, die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt sind, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinn an die Spieler ausgezahlt wird, der gesetzlich zwingend festgelegte Teil der Gesamtheit der Spieleinsätze, der den an die Spieler ausgezahlten Gewinnen entspricht, nicht zur Besteuerungsgrundlage gehört, mit der Begründung, über diesen Anteil, der seinerzeit aufgrund gesetzlicher Vorgaben in den Geräten separat von der eigentlichen Automatenkasse gesammelt wurde, könne der Automatenbetreiber tatsächlich nicht verfügen (EuGH, Urteil vom 05.05.1994, C-38/93 „Glawe“, Slg 1994, I-1679, EuZW 1994, 440, Rn. 3, 9, 13, siehe auch EuGH, Urteil vom 17.09.2002, C-498/99 „Town & County Factors“, Slg 2002, I-7173, IStR 2002, 773, DStRE 2002, 352, Rn. 27 bis 30).

Ausgehend von dieser Rechtsprechung hat sich in Deutschland die Praxisherausgebildet, bei Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit nicht die Summe aller Einsätze, sondern (nur) den Kasseninhalt in einem bestimmten Zeitraum (in der Regel pro Kalendermonat) als Besteuerungsgrundlage zugrunde zu legen.

c)
Wird indes der Kasseninhalt als Bemessungsgrundlage herangezogen, geht allerdings die Proportionalität zwischen  dem von dem einzelnen Spieler aufgewendeten Preis und der Mehrwertsteuer verloren. Dies verdeutlicht folgendes – vereinfachende – Beispiel:
In einem Kalendermonat spielen an einem bestimmten Spielgerät nur zwei Spieler, A und B. Spieler A setzt 10 € ein und gewinnt nichts. Später kommt Spieler B, setzt ebenfalls 10 € ein und
a)  Variante a: gewinnt ebenfalls nichts,
b)  Variante b: gewinnt 10 €, die er sich auszahlen lässt,
c)  Variante c: gewinnt 20 €, die er sich auszahlen lässt.
In Variante a betragen die monatlichen Kasseneinnahmen 20 €, in Variante b 10 € und in Variante c 0 €. Es besteht keine Relation zwischen der anfallenden Mehrwertsteuer und dem Einsatz des Spielers A, d. h. dem Preis, den A für das ihm während einer bestimmten Zeit gewährte Spielvergnügen, also die ihm gewährte
Leistung, bezahlt. Würde der Spieler A bei Ende seines Spiels den Automatenbetreiber um die Ausstellung einer Rechnung für die ihm gewährte Leistung bitten, könnte der Betreiber nicht angeben, in welcher Höhe Mehrwertsteuer angefallen  ist, da die Höhe der Mehrwertsteuer erst am Monatsende feststeht und von den weiteren Spielern abhängt, nämlich von deren Einsätzen und Gewinnen sowie davon, ob diese ihre Gewinne (im umgangssprachlichen Sinn) zum Weiterspielen verwenden oder sich auszahlen lassen.

d)
Die Klägerin will hieraus schlussfolgern, dass der Kasseninhalt keine unionsrechtlich zulässige Bemessungsgrundlage ist, weil dies gegen den Grundsatz der Proportionalität verstößt. Da die Summe der Einsätze aber ebenfalls keine unionsrechtlich zulässige Bemessungsgrundlage wäre, weil sie im Sinne des Urteils „Glawe“ eine übermäßige Besteuerung bewirken würde, ist die Klägerin der Meinung, dass die Umsatzsteuer mangels überhaupt denkbarer unionsrechtskonformer Bemessungsgrundlage gar nicht erhoben werden dürfe. Die Klägerin meint, das Glücksspiel mit seiner sehr schnellen Abfolge von Einsatz, Gewinn und ggf.erneutem Einsatz des Gewinns oder aber dessen Auszahlung sei insgesamt für die Mehrwertsteuer nicht geeignet.

e)
Das vorlegende Gericht pflichtet der Klägerin jedenfalls insoweit bei, als die monatliche Kasseneinnahme als Bemessungsgrundlage nicht dem Grundsatz der Proportionalität der Mehrwertsteuer entspricht, jedenfalls dann, wenn – was naheliegt – auf den einzelnen Spieler abgestellt wird und nicht etwa auf die Gesamtheit der im Bemessungszeitraum an dem Gerät spielenden Spieler. Der Grundsatz der Proportionalität bezieht sich nämlich auf die einzelne Leistung, und mehrere verschiedene Spieler stellen unterschiedliche Leistungsempfänger dar, so dasszumindest die einzelnen Spieler jeweils verschiedene einzelne Leistungen vom Spielhallenbetreiber erhalten, unabhängig von der Frage, ob auch das, was der einzelne Spieler vom Betreten bis zum Verlassen der Spielhalle an Spielvergnügen erhält, noch in weitere Einzelleistungen aufzuteilen ist, etwa wenn er das Gerät wechselt.

Das vorlegende Gericht meint jedoch, dass diese Disproportionalität bereits im Urteil „Glawe“ vom Gerichtshof selbst so angelegt worden ist und daher wohl als unionsrechtskonform angesehen werden muss, worauf auch das beklagte Finanzamt hinweist. Außerdem ist zu bedenken, dass, würde man stattdessen auf den Einsatz (Einwurf abzüglich ausgezahltem Gewinn) jedes einzelnen Spielers abstellen und diese Einsätze addieren,  sich  regelmäßig eine höhere Bemessungsgrundlage ergäbe. Denn dann wäre bei einzelnen Spielern, die mindestens so viel gewinnen wie sie eingeworfen haben, der Einsatz 0 €; ein negatives Entgelt und damit eine negative Bemessungsgrundlage ist begrifflich nicht denkbar. Über den Einwurf hinausgehende ausgezahlte Gewinne einzelner Spieler würden so bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage nicht mehr mit den Einsätzen anderer Spieler verrechnet werden. Durch eine zwar disproportionale, aber gegenüber einer denkbaren proportionalen Bemessungsgrundlage niedrigere, ist die Klägerin aber nicht beschwert. Dabei bleibt allerdings unklar, ob der Gerichtshof in den Urteilen „Glawe“ und mittelbar bestätigend in „Town & County Factors“ das Problem der Proportionalität schlicht nicht gesehen hat, es wegen des Ausmaßes der Disproportionalität nicht für erwähnenswert gehalten hat oder ob (und ggf. warum) der Gerichtshof bei Glücksspielen bewusst eine Ausnahme von dem Grundsatz der Proportionalität zulassen bzw. anordnen wollte. So weit ersichtlich hat sich der Gerichtshof zur Frage der Proportionalität bei Glückspielumsätzen bisher noch nicht ausdrücklich geäußert, so dass restliche Zweifel verbleiben.

Dabei ist auch zu bedenken, dass sich die Verhältnisse seit dem Urteil „Glawe“ inzwischen sowohl rechtlich als auch tatsächlich geändert haben:
Rechtlich wurde die bis Ende 2005 geltende Mindestgewinnquote von 60 % abgeschafft. Seit 2006 gibt es stattdessen eine Begrenzung des Einsatzes und des Verlustes pro Zeiteinheit.
Tatsächlich sind an die Stelle der Münzstapelrohre die „Hopper“ getreten, die zwar im Prinzip dieselbe Funktion erfüllen wie seinerzeit die Münzstapelrohre. Jedoch hat der Betreiber auf den Inhalt der Hopper jederzeit rechtmäßig Zugriff.

 2.
Entscheidungserheblichkeit

Falls der Gerichtshof die dritte Frage bejaht und der Klägerin beipflichtet, dass es keine denkbare unionsrechtskonforme Bemessungsgrundlage gibt, hat die Klage in vollem Umfang Erfolg. Falls der Gerichtshof die dritte Frage bejaht, es aber eine unionsrechtskonforme Bemessungsgrundlage gibt, hängt von der Antwort auf die vierte Frage ab, ob und ggf. in welchem Umfang die Klage begründet ist.

III.

Begründung der fünften bis siebten Vorlagefrage

1.
Auslegungszweifel

a)
Der Gerichtshof hatte mehrfach über die Rechtmäßigkeit nationaler Sonderabgaben zu entscheiden, die sich gemäß Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG danach beurteilt, ob die Sonderabgabe den Charakter einer Umsatzsteuer hat, also zur Mehrwertsteuer gleichartig oder verschieden ist. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof wiederholt das Abgrenzungskriterium der Abwälzbarkeit (der Mehrwertsteuer) bzw. der mangelnden oder nicht hinreichenden feststellbaren Abwälzbarkeit (der nationalen Sonderabgabe) herangezogen (EuGH, Urteil vom 08.06.1999, C-338/97 „Pelzl“, Slg 1999, I-3119, IStR 1999, 403, EuZW 1999, 692, Rn. 24; EuGH, Urteil vom 03.10.2006, C-475/03 „Banca Popolare di Cremona“, Slg
2006, I-9373, IStR 2006, 783, EuZW 2007, 87, Rn. 28, 31 und insbesondere 34 und 37). Der Gerichtshof hat dabei ausgeführt, es sei für die Mehrwertsteuer kennzeichnend, dass sie auf den Endverbraucher abgewälzt werde, und die Ungleichartigkeit der in jenen Urteilen zu untersuchenden Sonderabgabe gerade
damit begründet, dass nicht alle Unternehmen die Möglichkeit gehabt haben, die Belastung (mit der Sonderabgabe) in vollem Umfang abzuwälzen.

b)
Aus diesen Formulierungen wird nicht eindeutig klar, ob die Abwälzbarkeit der Umsatzsteuer lediglich ein typisches Merkmal ist, um die Gleichartigkeit anderer Abgaben zu beurteilen, oder ob die Abwälzbarkeit Voraussetzung für die Erhebung der Mehrwertsteuer ist, es sich also nur um eine Mehrwertsteuer im Sinne des Unionsrechts handelt, wenn sie auch im Einzelfall rechtlich und tatsächlich abgewälzt werden kann. Der Gerichtshof hat sich mit der Abwälzung zwar mehrfach im Zusammenhang mit der Rückzahlung rechtswidriger anderer Abgaben auseinandergesetzt (Urteil vom 14.01.1997, C-192/95 „Comateb“, Slg 1997, I-165; Urteil vom 06.09.2011, C-398/09 „Lady &  Kid“, IStR 2011, 889, EuZW 2011, 722, Rn. 18 ff.), aber noch nicht in gleicher Weise mit der Abwälzung der Mehrwertsteuer selbst.

c)
Bestehen Preisbeschränkungen, wie hier durch die Spielverordnung, kann der Unternehmer den Preis der Leistung nicht erhöhen und die Mehrwertsteuer nicht auf den Verbraucher abwälzen, jedenfalls wenn er ohne die Mehrwertsteuer bzw. vor einer Mehrwertsteuersatzerhöhung bereits am oberen Ende der zulässigen Preisspanne kalkuliert. Es ergab sich für die Spielgerätebetreiber daher folgende Entwicklung:

Nach der zum 01.01.2006 neugefassten Spielverordnung war der Geldeinsatz des Spielers auf maximal 0,20 € Einsatz pro fünf Sekunden begrenzt, also auf (0,20 € x 60/5 Sec. x 60 Min. = ) 144 € pro Stunde, von denen aber nicht mehr als maximal 80 € pro Stunde verloren sein durften und von denen bei langfristiger Betrachtung nicht mehr als 33 € pro Stunde dem Betreiber effektiv als Kasseninhalt verbleiben durften. Aufgrund des Urteils „Linneweber“ (EuGH, Urteil vom 17.02.2005, C-453/02 „Linneweber“, Slg 2005, I-1131, DStR 2005, 371, IStR 2005, 200, EuZW 2005, 210) bestand zunächst Umsatzsteuerfreiheit. Ab 06.05.2006 wurde die Umsatzsteuerbefreiung des Glücksspiels aufgehoben, der Mehrwertsteuer - Normalsatz lag bei 16 %, so dass dem Betreiber maximal 68,97 € Kasseninhalt pro Stunde verblieben, wenn er, wovon nach Erkenntnis des vorlegenden Gerichts auszugehen ist, die von der  Spielgeräteverordnung gesetzten Höchstgrenzen jedenfalls in bestimmten Zeiträumen zu seinen Gunsten ausgeschöpft hat. Seit Inkrafttreten der Erhöhung des Mehrwertsteuer - Normalsatzes in Deutschland von 16 % auf 19 % am 01.01.2007 verbleiben dem Betreiber dann maximal 67,23 € Kasseninhalt pro Stunde. Bei etwaigen künftigen Mehrwertsteuersatzerhöhungen wird der dem Betreiber maximal verbleibende Betrag weiter sinken, sofern es wie schon in der Vergangenheit wiederum nicht zu einer Anpassung der dargestellten Preisbeschränkung kommen sollte.

Wenn die Abwälzbarkeit Wesensmerkmal der Mehrwertsteuer ist, könnte dieser Mechanismus dem widersprechen.

d)
Wollte man jedoch die Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer als Voraussetzung ihrer Erhebung fordern in dem Sinn, dass der Unternehmer den Preis der Ware oder Dienstleistung um einen entsprechenden Betrag effektiv erhöhen kann, so ergäben sich vielfach Abgrenzungsprobleme, weil die Abwälzung nicht nur aus rechtlichen, sondern auch aus tatsächlichen Gründen scheitern kann. So kann  etwa der Markt dergestalt gelagert sein, dass der Unternehmer höhere Preise (gegenüber seinen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Endverbrauchskunden) nicht durchsetzen kann; dann kann er die Mehrwertsteuer, insbesondere, aber nicht nur im Falle der Erhöhung des Satzes, nicht auf den Preis aufschlagen. Es kann üblich sein, dass runde Beträge gezahlt werden, etwa kann ein Produkt üblicherweise 1,00 € kosten.
Bei einer Erhöhung des Satzes etwa von 19 % auf 20 % (auf die Bemessungsgrundlage von 0,84 €) ergäbe sich daraus ein Preis von (gerundet) 1,01 €, der aber aus praktischen Gründen oft nicht verlangt werden kann; sei es, weil Kunden nicht dazu bereit wären wegen des Wechselgeldaufwandes, sei es, weil die Bevorratung von Wechselgeld in der Kasse des Unternehmers betriebswirtschaftlich einen unvertretbaren Aufwand erzeugt, oder wenn Produkte an Automaten verkauft werden, deren Mechanismus und Kassenvorrat 1-Cent-Münzen nicht vorsieht.
Ferner werden aus Marketing-Gründen Produkte oft mit Preisen knapp unter der nächsten Dezimalstelle verkauft, etwa für 99,99  €. In diesem Fall ergäbe sich bei einer Erhöhung des Satzes etwa von 19 % auf 20 % (auf die Bemessungsgrundlage von 84,03 €) ein neuer Preis von 100,84 €, den der Unternehmer aber vielleicht aus werbetechnischen Gründen nicht glaubt umsetzen zu sollen. Es  sind daher in der Realität vielfältige Fallgestaltungen denkbar, warum ein Unternehmer die Mehrwertsteuer überhaupt oder im Falle ihrer Erhöhung den Erhöhungsbetrag nicht in dem oben genannten Sinn abwälzen kann, weil er in der Preisgestaltung aus praktischen Gründen nicht frei ist.

Aus Sicht des vorlegenden Gerichts spricht daher einiges dafür, eine so verstandene Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer nicht als Voraussetzung ihrer Erhebung anzusehen. Allerdings hat sich der Gerichtshof bisher dazu, soweit ersichtlich, nicht ausdrücklich geäußert, so dass Zweifel, gerade für den Fall einer Preisbegrenzung aufgrund rechtlicher Regelungen, verbleiben.

e)
Falls der Gerichtshof auf die fünfte Vorlagefrage  antwortet, dass die Erhebung der Mehrwertsteuer die Möglichkeit ihrer Abwälzung voraussetzt, benötigt das vorlegende Gericht eine nähere Bestimmung,  was denn unter „Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer“ zu verstehen ist. Falls nur die rechtliche, nicht aber die tatsächliche Möglichkeit der Erhöhung des Preises für die Erhebung der Mehrwertsteuer notwendig sein sollte, könnte dem dadurch Genüge getan werden, dass gegebenenfalls den Preis regelnde bzw. begrenzende Vorschriften im Zweifel immer so angewendet werden, dass die Preisregelung die  Mehrwertsteuer nicht einschließt, sondern die Mehrwertsteuer hinzuzurechnen ist; hierauf zielt die sechste Vorlagefrage ab. 

Im Übrigen möchte das vorlegende Gericht mit der siebten Vorlagefrage wissen, welche Konsequenzen sich gegebenenfalls aus dem Erfordernis der Abwälzbarkeit einerseits und den den Preis begrenzenden Vorschriften der Spielverordnung andererseits ergeben.

2.
Entscheidungserheblichkeit

Wird die fünfte Vorlagefrage nach dem Erfordernis der Abwälzbarkeit verneint  oder aber zusammen mit der sechsten Vorlagefrage bejaht, war die Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer entweder nicht erforderlich oder aber gegeben, so dass die Klage unter dem Gesichtspunkt der Abwälzbarkeit keinen Erfolg hat. Wird  die sechste Vorlagefrage aber verneint, hat die Klage mindestens teilweise Erfolg, dessen Umfang sich aus der Antwort auf die siebte Vorlagefrage ergibt.

IV.

Begründung der achten und neunten Vorlagefrage

1.
Auslegungszweifel bei der achten Frage

a)
In Deutschland bestehen grundsätzlich zwei rechtliche Regime für Glücksspiele.

Zum einen gibt es öffentliche Spielbanken (Spielcasinos), die neben dem klassischen Spiel wie Roulette, Black Jack und Poker auch das Automatenspiel anbieten.
Spielbankbetreiber bedürfen einer Konzession, die Gründung ist nicht frei. Die Einsätze (und Gewinne) sind im Prinzip unbegrenzt (nämlich nicht durch Rechtsvorschriften, sondern nur durch die Spielregeln der Spielbank selbst begrenzt), weswegen es sich hier um Glücksspiel im eigentlichen Sinne handelt. Spielbanken waren ursprünglich (vgl. Verordnung über die öffentlichen Spielbanken vom 27.07.1938) von allen üblichen Steuern, wie Einkommensteuer und Umsatzsteuer, befreit, mussten jedoch eine spezielle Spielbankabgabe zahlen, die darauf ausgelegt war, den Gewinn weitgehend abzuschöpfen. Dem Spielbankbetreiber sollte nur ein angemessener Unternehmerlohn verbleiben.

Die Gründung von Spielhallen ist demgegenüber grundsätzlich frei, wenn auch behördlich überwacht und rechtlich reglementiert. Die Geräte sind hier durch einen rechtlich vorgeschriebenen maximalen Einsatz, maximalen Verlust und maximalen Gewinn begrenzt. Es handelt sich daher vom Ansatz des deutschen Gesetzes her nicht um Glücksspiel, sondern um Unterhaltungsspiel (wenn auch mit Gewinnmöglichkeit). Die Spielhallenbetreiber zahlen alle üblichen Steuern und in der Regel eine örtliche Sonderabgabe (Vergnügungssteuer).

Gemäß § 4 Nr. 9b des deutschen Umsatzsteuergesetzes in der Fassung gültig bis 05.05.2006 waren, ausgehend von diesem Grundkonzept, die Spielbankbetreiber von der Umsatzsteuer befreit, die Spielhallenbetreiber nicht.

b)
Bereits im Urteil „Fischer“ von 1998 hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer auch für die verschiedenen Anbieter von Glücksspiel gilt (EuGH, Urteil vom 11.06.1998, C-283/95 „Fischer“, Slg 1998, I-3369, IStR 1998, 399, EuZW 1998, 637, DStRE 1998, 490, Rn. 27).

Mit Urteil vom 17.02.2005 in der Sache „Linneweber“ hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass die unterschiedliche Behandlung von Spielbankbetreibern und Spielhallenbetreibern in Bezug auf die Umsatzsteuer unionsrechtswidrig ist (EuGH, Urteil vom 17.02.2005, C-453/02 „Linneweber“, Slg 2005, I-1131, DStR 2005, 371, IStR 2005, 200, EuZW 2005, 210, Rn. 24-26). Er hat die Mitgliedsstaaten verpflichtet, den Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu beachten, und ausgeführt, dieser Grundsatz verbiete es insbesondere, gleichartige und deshalb miteinander im Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Für die Feststellung der Gleichartigkeit der Tätigkeit ist die Identität des Unternehmers belanglos, es kommt allein auf die Vergleichbarkeit der betreffenden Tätigkeiten selbst an.

c)
In der Folge hatte der deutsche Gesetzgeber die Wahl, entweder sowohl für Spielbankbetreiber als auch für Spielhallenbetreiber gleichermaßen die Umsatzsteuerfreiheit oder gleichermaßen die Umsatzsteuerpflicht anzuordnen. Der Bundesgesetzgeber hat sich für die Umsatzsteuerpflicht für beide entschieden, indem er die frühere Umsatzsteuerbefreiung für die Spielbanken gestrichen hat (§ 4 Nr. 9b UStG in der Fassung gültig seit 06.05.2006).

In der Folge wurde allerdings die für die Spielbanken jetzt anfallende Umsatzsteuer von den Finanzverwaltungen der Länder auf die von den Spielbanken zu leistende Spielbankabgabe angerechnet, und zwar zunächst nicht allgemein sichtbar durch Verwaltungsanweisungen und später aufgrund rückwirkend in Kraft getretener Gesetzesänderungen.

d)
Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass wenn eine nationale Sonderabgabe gemäß Art. 401 der Richtlinie 2006/112/EG zulässig ist, es grundsätzlich aus unionsrechtlicher Sicht im Belieben des nationalen Gesetzgebers steht, eine solche Sonderabgabe (wie hier die Spielbankabgabe für die Spielbankbetreiber) einzuführen, hinsichtlich Bemessungsgrundlage oder Satz zu ändern, zu erhöhen oder herabzusetzen oder die Erhebung der Sonderabgabe ganz zu beenden. Es kann dem nationalen Gesetzgeber daher auch nicht verwehrt werden, eine Änderung im Mehrwertsteuerrecht (wie hier die Abschaffung der Umsatzsteuerfreiheit für Spielbanken) zum Anlass zu nehmen, eine nationale Sonderabgabe zu ändern. 

e)
Sicherlich unproblematisch und zweifelsfrei wäre es, die Änderung bei der Mehrwertsteuer zum Anlass zu nehmen, die nationale Abgabe hinsichtlich Bemessungsgrundlage oder Steuersatz zu senken. 

Möglicherweise anders zu beurteilen ist es jedoch, wenn stattdessen die gewünschte Herabsetzung der nationalen Abgabe gerade durch betragsgenaue Anrechnung der geschuldeten Mehrwertsteuer bewirkt wird, jedenfalls sofern die Mehrwertsteuer  – wovon nach Erkenntnis des vorlegenden Gerichts auszugehen ist – nicht höher ist als die nationale Abgabe.  

Zu bedenken ist z. B., dass für die Schuldner der nationalen Abgabe, hier die Spielbankenbetreiber, infolgedessen keinerlei Notwendigkeit besteht, bei den ihnen gegenüber erbrachten Umsätzen, die den Glücksspielbetrieb betreffen, für das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung Sorge zu tragen. Fehlt die Rechnung oder ist sie nicht ordnungsgemäß, können sie zwar, wie alle anderen Unternehmer auch, die Vorsteuer nicht abziehen, da aber die dadurch höhere Umsatzsteuerschuld auf die Spielbankabgabe angerechnet wird, hat dies für sie keine wirtschaftliche Auswirkung. Beispielsweise haben auch Erhöhungen des Umsatzsteuersatzes keine Wirkung, weil die dadurch bei gleichbleibender Bemessungsgrundlage höhere Umsatzsteuer bei der Spielbankabgabe betragsgenau angerechnet wird. Zwar soll die Mehrwertsteuer den Unternehmer auch gar nicht treffen, sondern letztlich den Endverbraucher. Allerdings besteht für Unternehmer im Allgemeinen aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Notwendigkeit, sich um eine Abwälzung der Mehrwertsteuer auf den Kunden zu bemühen, anderenfalls der Unternehmer die Mehrwertsteuer wirtschaftlich selbst tragen müsste. Solche wirtschaftlichen Notwendigkeiten und Obliegenheiten entfallen aber bei betragsgenauer Anrechnung der Mehrwertsteuer auf eine nationale, nicht harmonisierte Sonderabgabe und bewirken faktisch, dass diese Umsätze gegenüber den Umsätzen anderer Wettbewerber begünstigt werden. Auch wenn es insoweit in formeller Hinsicht  nur um die Fragen der Festsetzung einer nationalen Sonderabgabe geht, also um einen aus Perspektive der Mehrwertsteuer irrelevanten Vorgang,  so könnte wegen der praktischen Auswirkungen doch der Neutralitätsgrundsatz der Mehrwertsteuer berührt sein.

f)
Eine betragsgenaue Anrechnung der Umsatzsteuer auf eine nationale, nicht harmonisierte Abgabe könnte auch die Möglichkeit zur Umgehung des steuerlichen Neutralitätsgrundsatzes eröffnen: Will ein Mitgliedsstaat eine Gruppe mit Mehrwertsteuer belasten, eine zweite Gruppe nicht, und darf er diesen Unterschied bei der Mehrwertsteuer direkt aber nicht machen, weil aus Sicht des Unionsrechts beide Gruppen gleichartige Leistungen erbringen, so dass der Neutralitätsgrundsatz eine Ungleichbehandlung verbietet, könnte der Mitgliedsstaat für beide Gruppen eine nationale, der Umsatzsteuer nicht vergleichbare Sonderabgabe einführen und bei der einen Gruppe die Anrechnung der Mehrwertsteuer auf die Sonderabgabe anordnen, bei der anderen Gruppe hingegen nicht. Damit wäre im Ergebnis erreicht, was direkt bei Blick  allein  auf die Mehrwertsteuer unionsrechtswidrig wäre. Es ist allerdings klarstellend darauf hinzuweisen, dass ein solcher Fall hier nicht vorliegt, weil zwar bei der einen Gruppe, den Spielbankbetreibern, die zu zahlenden Mehrwertsteuer auf die Sonderabgabe, nämlich die Spielbankabgabe, angerechnet wird, die andere Gruppe, die Spielhallenbetreiber, aber gar nicht mit dieser Sonderabgabe belastet wird.

g)
Dabei verkennt das vorlegende Gericht nicht, dass sich die Spielbankabgabe für die Spielbanken und die Spielvergnügungssteuer für die Spielhallen in mancherlei Hinsicht unterscheiden und auch einen unterschiedlichen Zweck verfolgen. Dass solche Unterschiede es jedoch rechtfertigen können, dass eine Anrechnung der Mehrwertsteuer nur bei der Spielbankabgabe erfolgt, hält das vorlegende Gericht nicht für selbstverständlich. Denn wie der Gerichtshof bereits ausgeführt hat, darf bei der Anwendung des Mehrwertsteuersystems, und auch die Anrechnung der Mehrwertsteuer bei einer anderen Abgabe könnte als Anwendung des Mehrwertsteuersystems betrachtet werden, nicht danach unterschieden werden, ob andere, nicht harmonisierte Abgaben bestehen, da  dann das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verfälscht würde (so schon EuGH, Urteil vom 11.06.1998, C-283/95 „Fischer“, Slg 1998, I-3369, IStR 1998, 399, EuZW 1998, 637, DStRE 1998, 490, Rn.  30), daher auch nicht, welcher Art die andere Abgabe ist oder welchen Zweck sie verfolgt (vgl. auch EuGH, Urteil vom 06.09.2011, C-398/09 „Lady & Kid“, IStR 2011, 889, EuZW 2011, 722, Rn. 22: ein Antrag auf Erstattung einer rechtswidrigen Abgabe kann nicht deshalb abgelehnt werden, weil diese Abgabe wirtschaftlich mit der Aufhebung einer zulässigen Abgabe in entsprechender Höhe verrechnet worden ist).

h)
Das vorlegende Gericht misst in insofern dem Umstand, dass im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland die Umsatzsteuer durch Bundesrecht, jedoch die Spielbankabgabe für die Spielbanken und die Spielvergnügungsteuer für die Spielhallen durch oder aufgrund Landesrecht erhoben wird, keine Bedeutung zu. Aus Sicht des Unionsrechts ist das gesamte nationale Recht eines Mitgliedsstaats einheitlich zu beurteilen. Welche Teileinheit eines Mitgliedsstaats die Anrechnung der geschuldeten Mehrwertsteuer auf andere, nicht harmonisierte Abgaben anordnet, kann daher für die Beantwortung der Frage nicht von Relevanz sein.

2.
Auslegungszweifel bei der neunten Frage

Sollte die achte Vorlagefrage vom Gerichtshof bejaht werden, so wären weiter die Konsequenzen zu prüfen.

a)
Auf den ersten Blick liegt es nahe, dass die Anrechnung der Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe rechtswidrig wäre, die Spielbanken also die bisher insoweit zu Unrecht nicht erhobene Spielbankabgabe nachentrichten müssten. Der Gerichtshof hat bereits dargelegt, dass es keine Gleichheit im Unrecht gibt, sich also niemand zu seinem Vorteil auf eine zugunsten eines anderen begangene Rechtsverletzung berufen kann (EuGH, Urteil vom 10.11.2011, C-259/10 „Rank Group“, UR 2012, 104, Rn. 62 f.).
Das vorlegende Gericht tendiert daher zu der Einschätzung, dass sich die Spielhallenbetreiber, wie die Klägerin, bei der Festsetzung ihrer Umsatzsteuerschuld nicht darauf berufen können, dass bei den Spielbankbetreibern Umsatzsteuer zu Unrecht anderweitig angerechnet worden ist, worauf auch das Finanzamt hinweist.
Sie hätten möglicherweise einen Anspruch gegen das Finanzamt, für die Nachentrichtung der Differenz bei der Spielbankabgabe durch die Spielbankbetreiber Sorge zu tragen aufgrund des Konkurrenzverhältnisses, vielleicht hätte dies alles aber für sie auch gar keine Auswirkung.

b)
Andererseits ist durch den Gerichtshof anerkannt, dass bei einer direkten neutralitätsgrundsatzwidrigen Differenzierung bei der Umsatzsteuer der benachteiligte Unternehmer sich unmittelbar auf die Richtlinie berufen kann mit der Wirkung der Umsatzsteuerfreiheit  (EuGH, Urteil vom 17.02.2005, C-453/02 „Linneweber“, Slg 2005, I-1131, DStR 2005, 371, IStR 2005, 200, EuZW 2005, 210, Rn. 33-38).

Ferner hat der Gerichtshof ausgesprochen, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität von einem Steuerpflichtigen gegen eine Bestimmung des nationalen Rechts oder ihre Anwendung, die diesem Grundsatz zuwiderläuft,  geltend gemacht werden kann, ferner, dass es grundsätzlich Sache des vorlegenden Gerichts ist, aus Verstößen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung etwaige Konsequenzen für die Vergangenheit zu ziehen, und dass das nationale Gericht grundsätzlich anzuordnen hat, dass die von dem Wirtschaftsteilnehmer, der diskriminiert wurde, erhobene Mehrwertsteuer vollständig zurückgezahlt wird, damit der Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung behoben wird, es sei denn, dass nach dem nationalen Recht andere Möglichkeiten bestehen, diesen Verstoß auszugleichen (EuGH, Urteil vom 10.04.2008, C-309/06 „Marks und Spencer“, Slg 2008, I-2283, IStR 2008, 592, DStRE 2008, 1395, Rn. 34, 60 und 62).

Würde man in der Anrechnung der Mehrwertsteuer bei nur einer Gruppe von miteinander konkurrierenden, jeweils mit nicht harmonisierten Abgaben belasteten Glückspielanbietern aber eine versteckte Diskriminierung bei der Mehrwertsteuer sehen, so erscheint somit immerhin denkbar, dass auch in diesem Fall die Unternehmer der anderen, benachteiligten Gruppe sich unmittelbar auf die Richtlinie berufen können mit der Folge ihrer eigenen Umsatzsteuerfreiheit. Aus Sicht des vorlegenden Gerichts verbleiben daher restliche Zweifel.

2.
Entscheidungserheblichkeit

Falls der Gerichtshof sowohl die achte als auch die neunte Vorlagefrage bejaht, hätte die Klage schon allein deswegen im vollen Umfang Erfolg. D.

Verfahrensfragen

1.
Die Vorlage der Fragen an den Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung beruht auf Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).

2.
Die Aussetzung des Verfahrens des vorlegenden Gerichts fußt auf der entsprechenden Anwendung von § 74 FGO.

3.
Der Beschluss ergeht in der für Urteile vorgesehenen Besetzung mit drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern (vgl. FG Bremen Beschluss vom 2. Februar 1999, 2 95 032 K 2, EFG 1999, 721, ZfZ 1999, 161, Juris Rn. 36, 37; Bundesverwaltungsgericht Beschluss vom 31. März 2008, 10 C 32/07, HFR 2008, 1087).

4.
Die Unzulässigkeit der Beschwerde folgt aus der entsprechenden Anwendung von §128 Abs. 2 FGO (BFH Beschluss vom 27. Januar 1981, VII B 56/80, BFHE 132, 217,BStBl II 1981, 324; Urteil vom 2. April 1996, VII R 119/94, BFHE 180, 231, EuZW1996, 668; FG Hamburg Beschluss vom 22. April 1999, II 23/97, Juris Rn. 380).

Quelle:
Beschluss 3 K 104/11 im Volltext als pdf-Dokument
(Fassung vom 02.10.2012)

Stand: 5.10.2012

    


Mittwoch, 26. September 2012

Änderungen der Landesspielhallengesetze und des Glücksspielstaatsvertrages

mit hoher Wahrscheinlichkeit grundgesetzwidrig und landesverfassungswidrig - auch Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und EU-Recht sehr fraglich

Auf entsprechende Anfragen von Spielhallenbetreibern aus unterschiedlichen Bundesländern hat eine erste von Rechtsanwalt Dr. Lipinski vorgenommene Prüfung ergeben, dass die wichtigsten Änderungen der einschlägigen Landesspielhallengesetze und des neuen Glücksspielstaatsvertrages grundgesetz- und landesverfassungswidrig sind. „Die rechtlichen Bedenken sind äußerst zahlreich; sie reichen u.a. von der Frage, ob der jeweilige Landesgesetzgeber für gewisse Regelungen überhaupt zuständig ist bis zur Frage der Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen“ erläutert Rechtsanwalt Dr. Lipinski. Damit nicht genug, bestehen auch „erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit der neuen Landesspielhallengesetze mit Europarecht und der Europäischen Menschenrechtskonvention.“

Rechtsanwalt Dr. Lipinski empfiehlt in entsprechenden verwaltungsgerichtlichen Prozessen, Vorlageanträge nach Art. 100 GG zu stellen. Auf diese Weise kann erreicht werden, dass die einschlägigen Bestimmungen relativ schnell dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt werden. Zusätzlich sollte, je nach Bundes- land, auch eine Vorlage des Landesspielhallengesetzes an das jeweilige Landesverfassungsgericht beantragt werden. Bayerischen Spielhallenbetreibern ist zusätzlich zu empfehlen, eine Popularklage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof einzureichen.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass die entsprechenden Verbände bislang noch nicht im Interesse ihrer Mitglieder aktiv geworden sind. Es sieht wohl so aus, als „ob Spielhallenbetreiber, Eigentümer, Mieter und Vermieter insoweit auf sich allein gestellt bleiben werden“, erläutert Rechtsanwalt Dr. Lipinski.

Pressevertretern steht Rechtsanwalt Dr. Lipinski für etwaige Rückfragen ab 21.09.2012 zur Verfügung.

Heidelberg, den 18.09.2012

Rechtsanwalt Dr. Uwe Lipinski
Quelle

Dienstag, 25. September 2012

EuGH-Generalanwalt: Griechisches Wettmonopol europarechtswidrig

Griechisches Wettmonopol nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts europarechtswidrig

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Der EuGH-Generalanwalt Ján Mazák hat am 20. September 2012 seine Schlußanträge zum griechischen Wettmonopol vorgelegt (verbundene Rs. C-186/11 – Stanleybet u.a. und C-209/11 – Sportingbet). Nach griechischem Recht hat das Unternehmen Organismos prognostikon agonon podosfairou AE, besser bekannt unter der Abkürzung OPAP, das ausschließliche Recht zur Veranstaltung von Glücksspielen. Entgegen diesem bis zum Jahr 2020 geltenden Monopol hatten mehrere britische Glücksspielunternehmen in Griechenland Konzessionen beantragt und gegen die Ablehnung geklagt. In der ersten Rechtssache waren dies Stanleybet International Ltd., William Hill Organisation Ltd und William Hill plc, in der zweiten der britische Buchmacher Sportingbet plc.

OPAP war zunächst ein Staatsunternehmen, ist aber seit mehreren Jahren börsennotiert. Der griechische Staat gab im Rahmen des Gangs an die Athener Börse zunächst 49% ab und reduzierte seinen Anteil dann auf 34%. Auch dieser Anteil soll zur Reduzierung der Staatsschulden verkauft werden. OPAP ist auch im Ausland tätig und betreibt mehr als 200 Büros im EU-Mitgliedstaat Zypern.

Das oberste Verwaltungsgericht Griechenlands, der Staatsrat (Simvoulio tis Epikrateias), hielt das Monopol für eine nicht kohärente und systematische Regelung und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) daher mehrere Fragen vor. Zur Vorbereitung des Urteils des EuGH hat der zuständige Generalanwalt die Rechtslage in den eingangs erwähnten Schlussanträgen gewürdigt.

Nach Ansicht des EuGH-Generalanwalts stellt die griechische Regelung eine Einschränkung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit dar (jetzt geregelt in Art. 49 AEUV und Art. 56 AEUV), da in anderen Mitgliedstaaten ansässige Anbieter in Griechenland keine Glücksspiele anbieten und hierzu Niederlassungen gründen können. Zwar sind die Verringerung der Gelegenheit zum Spiel und die Bekämpfung der Kriminalität (Kontrolle der Wirtschaftsteilnehmer) vom EuGH als Rechtfertigungsgründe im Glücksspielbereich anerkannt (Rn. 43). Eine nationale Regelung ist allerdings nur dann geeignet, wenn das angeführte Ziel auch in kohärenter und systematischer Weise erreicht wird.

Hierzu sind u.a. die konkreten Anwendungsmodalitäten dahin zu überprüfen; ob die restriktive Regelung „tatsächlich dem Anliegen entspricht, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen“ (Rn. 48). Nach Ansicht des Generalanwalts steht die vom vorlegenden Gericht dargestellte expansive Geschäftspolitik und das verstärkte Angebot von Glücksspielen „offenkundig im Widerspruch zu dem angeführten Ziel der Verminderung der Gelegenheiten zum Spiel in Griechenland“ (Rn. 51).

Um die Spieltätigkeit in kontrollierbare Bahnen zu lenken, kann nach der Rechtsprechung des EuGH zwar „Werbung in einem gewissen Umfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken“ zulässig sein (Rn. 55). Allerdings kann „eine Politik der Expansion von Glücksspielen nur dann als kohärent angesehen werden, wenn die kriminellen und betrügerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Glücksspiel in Griechenland tatsächlich ein Problem erheblichen Umfangs darstellen, dem eine Ausweitung der zugelassenen und regulierten Tätigkeiten abhelfen könnte” (Rn. 57). Außerdem muss das Monopol „mit der Schaffung eines normativen Rahmens einhergehen, mit dem sich gewährleisten lässt, dass der Inhaber des Monopols tatsächlich in der Lage sein wird, das festgelegte Ziel mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieses Ziels quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist und einer strikten behördlichen Kontrolle unterliegt, in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen“ (Rn. 58). Hierzu ist eine strikte Kontrolle des Monopolanbieters und dessen Glücksspielangebots erforderlich: „Aus den strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit des betreffenden Monopols folgt erstens, dass eine vom Monopolinhaber betriebene Expansionspolitik, die u. a. durch eine Ausweitung des Angebots von Glücksspielen und durch Werbung für diese Glücksspiele gekennzeichnet ist, maßvoll und eng auf das begrenzt bleiben muss, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken, und zweitens, dass das Glücksspielangebot einer strikten Kontrolle unterliegen muss.“ (Rn. 59)

Nach Einschätzung des Generalanwalts unterliegen die Tätigkeiten der OPAP jedoch weder einer strikten behördlichen Kontrolle noch werden sie durch den für sie geltenden normativen Rahmen wirksam begrenzt. Insoweit könne das vorlegende Gericht entsprechend seinem Vorlagebeschluss „durchaus zu dem Ergebnis gelangen, dass der Zweck des streitgegenständlichen Monopols nicht in einer kontrollierten Expansion im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs gesehen werden kann“ (Rn. 61)

In einer weiteren Vorlagefrage wollte der griechische Staatsrat wissen, „ob es die nationalen Behörden während eines Übergangszeitraums unterlassen dürfen, über Anträge auf Erteilung von Konzessionen im Glücksspielsektor zu entscheiden“ (Rn. 63) Hierzu verweist der Generalanwalt auf das Winner Wetten-Urteil des EuGH, nach dem eine inkohärente nationale Reglung „nicht für eine Übergangszeit weiter angewandt werden darf“ (Rn. 66). Es bestehe „kein Raum für die Annahme, dass die streitige nationale Regelung während einer Übergangszeit weiterhin angewandt werden darf, sofern das vorlegende Gericht diese restriktive Regelung anhand der Kriterien, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur systematischen und kohärenten Natur der restriktiven Maßnahme ergeben, für mit den Art. 49 AEUV und 56 AEUV unvereinbar hält.“ (Rn. 69)  Quelle

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EU-Kommission: Vertragsverletzungen
Öffentliche Konsultation zum Online-Gücksspiel im Binnenmarkt

Verstöße: Jeder Mitgliedstaat ist für die Durchführung (fristgerechte Umsetzung, Konformität und ordnungsgemäße Anwendung) des Unionsrechts im Rahmen seiner innerstaatlichen Rechtsordnung verantwortlich. Gemäß den Verträgen wacht die Europäische Kommission über die ordnungsgemäße Anwendung des Unionsrechts.   mehr zum Unionsrecht



Klage, eingereicht am 2. März 2012 - Hellenische Republik/Kommission
(Rechtssache T-105/12)
Verfahrenssprache: Griechisch
Parteien
Klägerin: Hellenische Republik (Prozessbevollmächtigte: K. Samoni und N. Dafniou)
Beklagte: Europäische Kommission
Anträge
Die Klägerin beantragt,
der Nichtigkeitsklage stattzugeben,
den angefochtenen Beschluss der Kommission für nichtig zu erklären,
der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Klagegründe und wesentliche Argumente
Die Hellenische Republik begehrt mit ihrer Klage (nach Art. 263 AEUV) die Nichtigerklärung des Beschlusses Nr. 1472708 der Kommission vom 3. Januar 2012 über die Fortzahlung des Zwangsgelds in Höhe von 31 536 Euro pro Tag des Verzugs bei der Umsetzung der Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-65/05 nachzukommen, durch die Hellenische Republik, soweit damit die Zahlung dieses Zwangsgelds ab dem 22. August 2011 verlangt wird. Mit diesem Beschluss wird die Hellenische Republik aufgefordert, 4 825 008 Euro als Zwangsgeld für den Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis zum 30. November 2011 zu zahlen, da sie nach Ansicht der Kommission die Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-65/05 und sodann dem zweiten Urteil dieses Gerichtshofs in der Rechtssache C-109/08 nachzukommen, offenbar nicht getroffen hat.
Zur Stützung ihrer Klage macht die Klägerin die folgenden Klagegründe geltend:
1.    Beurteilungsfehler der Kommission hinsichtlich der Frage, ob die Hellenische Republik die Maßnahmen, die erforderlich sind, um dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union nachzukommen, erlassen hat
Die Kommission habe die Maßnahmen, die die Hellenische Republik getroffen habe, um dem Urteil des Gerichtshofs nachzukommen, falsch beurteilt und ausgelegt. Mit der Annahme des Gesetzes 4002/2011, durch das die streitigen Artikel des Gesetzes 3037/2002 entsprechend der Anordnung im Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C-65/05 aufgehoben würden, habe die Hellenische Republik alle zur Durchführung dieses Urteils erforderlichen Maßnahmen getroffen.
2.    Befugnisüberschreitung durch die Kommission
Die Kommission habe die Grenzen ihres Auftrags als Hüterin des Vertrags überschritten, da sie sich nicht, wie es ihr oblegen hätte, mit der mehr oder weniger offenkundigen Durchführung der Anpassungsmaßnahmen begnügt habe. Außerdem sei sie über die Urteile des Gerichtshofs hinausgegangen, da die Hellenische Republik diesen vollständig nachgekommen sei.
3.    Fehlende Begründung seitens der Kommission
Die Kommission habe den von der Hellenischen Republik angefochtenen Beschluss nicht begründet und nicht klar ausgeführt, aus welchen Gründen sie die Fortzahlung des Zwangsgelds für den Zeitraum nach der Annahme des Gesetzes 4002/2011, also vom 22. August 2011 bis zum 30. November 2011, verlange.
Die Hellenische Republik wendet sich gegen diesen zusätzlichen Betrag, weil sie mit der Veröffentlichung des fraglichen Gesetzes den Urteilen des Gerichtshofs vollständig nachgekommen worden sei.
4.    Falsche Rechtsgrundlage
Die Kommission hätte, wenn sie meine, die Hellenische Republik habe das Gesetz 4002/2011 nicht ordnungsgemäß angewandt, von Art. 258 AEUV Gebrauch machen und ein neues Vertragsverletzungsverfahren in die Wege leiten müssen, nicht aber die Fortzahlung des Zwangsgelds verlangen dürfen.  Quelle





Donnerstag, 20. September 2012

Schleswig-Holstein: Anhörung des Landtags

Aufhebung des Glücksspielgesetzes
von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG

Nach dem Willen der sog. „Dänen-Ampel“, der Koalition aus SPD, Grünen und dem SSW, soll das Land Schleswig-Holstein dem bislang in 14 Ländern geltenden neuen Glücksspielstaatvertrag beitreten. Der Innen- und Rechtsausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtags berät daher derzeit einen Gesetzesentwurf zum Beitritt zu diesem Staatsvertrag sowie den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung glücksspielrechtlicher Gesetze. Letzterer Entwurf sieht in Artikel 4 eine weitgehende Aufhebung des Glücksspielgesetzes vor, wobei dieses weiter Anwendung finden soll, „soweit auf seiner Grundlage bereits Genehmigungen erteilt worden sind.“

Zu diesen Gesetzesentwürfen kann bis zum 5. Oktober 2012 schriftlich Stellung genommen werden. Für den 31. Oktober 2012 ist ab 10:00 Uhr eine ganztägige mündliche Anhörung zu den Vorlagen geplant. Diese sollen im Übrigen der Europäischen Kommission notifiziert werden.
Kontakt:
Arendts Rechtsanwälte
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Wolfgang Kubicki: Die Haltung der Landesregierung ist an Lächerlichkeit nicht zu überbieten!

Zur Beantwortung der Kleinen Anfrage durch das Innenministerium zum Thema ,,Poker als Glücksspiel” (Drs. 18/152, siehe Anhang) erklärt der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Wolfgang Kubicki:

Die Landesregierung versinkt im Bereich des Glücksspielrechtes immer mehr im Strudel ihrer nicht-umsetzbaren Ankündigungen, sodass immer nebulöser wird, wo die politische Führung des Landes bei diesem Thema steht. In der Beantwortung meiner Kleinen Anfrage zum Thema ‘Poker als Glücksspiel’ wirkt dieses fortgesetzte Mäandern mittlerweile hochnotpeinlich.

Wenn der Innenminister hier zuerst unter Bezugnahme auf ein Urteil des Bundesfinanzhofes erklärt, dass es sich bei Poker zwar ,,nicht um ein ‘reines’ Glücksspiel (…) handelt”, aber um ein solches ,,bei dem über eine gewisse Dauer letztlich der gewinnt, der über die besseren Fertigkeiten verfügt”, dann ist das eine Sache. Wenn er dann in der Beantwortung derselben Frage zugleich aber folgendes feststellt:

,,Überwiegt das Zufallselement, liegt Glücksspiel vor (so z.B. Poker, wie es sich auch aus o.g. Rechtsprechung ergibt)”, dann kann man von einer konsistenten rechtlichen Position der Landesregierung nicht einmal mehr ansatzweise sprechen.

Schlimmer noch: Die Landesregierung nimmt es offenbar ohne Wimpernzucken hin, dass die Einheit der Rechtsordnung nach ihrer Definition nicht gewahrt wird, denn, so der Innenminister, die steuerrechtliche Betrachtung lasse ,,keinen Rückschluss auf die glücksspielrechtliche Einordnung zu”. Das bedeutet, das Innenministerium handelt je nach Definitionsbereich nach anderen rechtlichen Kriterien. Es sieht daher so aus, als wenn die Landesregierung wegen Unfähigkeit zu Klagen gegen sich selbst aufruft. Diese Haltung ist an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten.”

Susann Wilke, Pressesprecherin, v.i.S.d.P., FDP-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag,
Landeshaus, 24171 Kiel, Postfach 7121, Telefon: 0431 / 988 1488, Telefax: 0431 / 988 1497,
E-Mail: susann.wilke@fdp.ltsh.de, Internet: http://www.fdp-sh.de

FDP-Landtagsfraktion Schleswig-Holstein




Dauerstreit um staatliche Wettlizenzen

Der Glücksspielstaatsvertrag treibt Blüten: Private Sportwettenanbieter können sich um Konzessionen bemühen - doch das Verfahren ist verworren. Einer spricht sogar von einem Skandal.
Brisanterweise entscheiden in dem Verfahren nun also genau die Rechtsanwälte mit, die seit Jahren für die staatlichen Lotto- und Sportwettenanbieter arbeiten und in juristischen Auseinandersetzungen gegen private Wettfirmen vorgehen. „Das ist ein Skandal“, sagt der Vertreter einer der nichtstaatlichen Bewerber. Er will seinen Namen aus Furcht vor negativen Konsequenzen in dem Auswahlverfahren nicht nennen.  Weiter zum vollständigen Artikel ...    

Ende der Einreichfrist für deutsche Lizenzanträge
Am Mittwoch, dem 12. September 2012 um 10:00 endet die Einreichfrist für Anträge auf eine Sportwett Konzession bei der Köllner Kanzlei CBH Rechtsanwälte.  Weiter zum vollständigen Artikel ...

Sportwetten-Konzessionierungsverfahren in Deutschland: Teilnahmefrist verlängert  weiterlesen

WELT ONLINE - Der Staat kann nicht ohne Glücksspiel
Mit einem neuen Gesetz wollte die Politik den Markt für private Anbieter öffnen.
Doch es könnte ganz anders kommen - Nach Informationen der "Welt" plant die Politik massive Werbebeschränkungen, die allem voran die privaten Glücksspielanbieter auf die Barrikaden bringen.  Weiter zum vollständigen Artikel ... 

Verstoß gegen Glücksspiel-Staatsvertrag?
Strafanzeige gegen Hertha BSC Berlin

Berlin (RPO). Das Landeskriminalamt Berlin hat ein Ermittlungsverfahren wegen möglicher Verstöße des Zweitligisten Hertha BSC gegen den Glücksspiel-Staatsvertrag eingeleitet.
Der Verein soll nach Polizeiangaben illegal mit dem österreichischen Sportwetten-Anbieter "cashpoint" auf Werbebanden im Olympiastadion und auf der Vereins-Webseite geworben haben.  Weiter zum vollständigen Artikel ...   In diesem Zusammenhang möchte ich auf das aktuelle Urteil des BayVGH vom 26.6.12 hinweisen, mit dem das Internetwerbeverbot als unionsrechtlich unzulässige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV angesehen wurde. (Urteil vom 26. Juni 2012, Az. 10 BV 09.2259). weiterlesen

Mit Einschränkungen-Sponsoring durch Sportwettanbieter nun erlaubt
Man hatte sich in letzter Zeit schon an die regelmäßigen Rüffel der Medienwächter für die Sender für das illegale Sponsoring von Sendungen durch Sportwettanbieter gewöhnt. Künftig ist es unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Es hatte schon etwas von "Und täglich grüßt das Murmeltier", wenn die Medienwächter nach ihrer turnusmäßigen Sitzung wieder und wieder das Sponsoring von Sport-Sendungen durch Sportwettanbieter rügten. Die Sender beriefen sich dabei auf die EuGH-Rechtsprechung zum deutschen Glücksspiel-Staatsvertrag und argumentierten, dass das darin formulierte Werbeverbot nicht angewendet werden könne.  Weiter zum vollständigen Artikel ...
Klassische Werbung für Sportwetten-Anbieter bleibt aber auch weiterhin verboten. Die ZAK
untersagte deshalb dem Sender Sport1 erneut die Ausstrahlung von Sportwetten-Werbung. Sport1 strahlt in seinem Programm schon länger unrechtmäßig Werbung für Wettanbieter aus.  Weiter zum vollständigen Artikel ...   

Glück im Spiel, Pech fürs Geld - 1,6 Millionen Euro Einnahmen für Dresden 

Die bunten Spielautomaten locken mit schnellen Gewinnen. Für manchen werden sie zur Sucht.
Schrill, bunt und mit Aussicht auf den großen Gewinn - wenn an Spielautomaten die Münzen klimpern, klingeln nicht nur bei den Betreibern die Kassen. Auch die Stadt verdient kräftig mit. Nach ersten Schätzungen will Dresden rund 1,6 Millionen Euro an...  Weiter zum vollständigen Artikel ...

Glücksspiel - Ärger um Wettbüros
S-Süd - Eine Adresse ist den Bezirksbeiräten von Süd sofort eingefallen, als es in der Sitzung am Dienstagabend um die Frage von ungenehmigten Wettbüros im Bezirk ging. Für die Böblinger Straße erwarten die Bezirksbeiräte nicht, dass die Betreiber eine baurechtliche Konzession haben. Diese würde das Baurechtsamt nämlich schon im Vorgriff auf die bald gültige Vergnügungsstättenverordnung nicht genehmigen.
Weiter zum vollständigen Artikel ...

Game Over
40.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen leiden unter Spielsucht.  Weiter zum vollständigen Artikel ...

Spielhallen: Auflagen werden strenger
Strengere Auflagen für Spielhallen sieht der Entwurf des Landes für das neue Glücksspielgesetz vor. Für Spielhallenbesitzer hat dies weitreichende Folgen, aus Sicht der Suchthilfe im Ostalbkreis ist dies jedoch ein Schritt in die richtige Richtung.  Weiter zum vollständigen Artikel ...   

Schärferes Vorgehen
Zahl der Glücksspiel-Süchtigen steigt
"Ich spiel' nur ein bisschen," verharmlosen Glücksspieler ihre Sucht. Doch die Abhängigkeit vom Daddel-Automaten kann ganze Familien ins Unglück stürzen. Laut Wohlfahrts-Liga ist die Tendenz steigend. Weiter zum vollständigen Artikel ...   

Das Finanzamt will die Poker-Millionen  weiterlesen
Zockerei um Poker-Steuern
Die Spieler siegen entweder vor Gericht – oder sie wandern ab ins Ausland, wo die Rechtslage eindeutig ist  Weiter zum vollständigen Artikel ... 
Steuer-Streit
Deutschland verzockt sich mit seinen Pokerspielern

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Saarbrücken: Durchsuchungen bei Saartoto
Am Mittwoch hat es Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft bei Saartoto und in den Privatanwesen von Ex-Geschäftsführer Schreier, Geschäftsführer Burkert und Projektsteuerer Marx gegegeben.
Nach SR-Informationen geht es um den Verdacht der Untreue im Zusammenhang mit zwei Verträgen für den umstrittenen Projektsteuerer Marx, der auch am Bau des Vierten Pavillons beteiligt war.  Weiter zum vollständigen Artikel ...

DIE STAATLICHE LOTTOGESELLSCHAFT KAM FINANZIELLEN VERPFLICHTUNGEN NICHT NACH  Santo Domingo: Konto-Beschlagnahmung der staatlichen Lottogesellschaft   Weiter zum vollständigen Artikel ...





Montag, 17. September 2012

Schadensersatzansprüche gegen zwei bayerische Städte und den Freistaat Bayern

update 18.10.2012:
BGH: Keine Staatshaftungsansprüche für Sportwettenanbieter wegen Europarechtsverstoß
___________________________

Streit um Schadenersatz für entgangene Sportwetten-Gewinne vor BGH
Anbieter Digibet klagt gegen zwei bayerische Städte  Weiter zum vollständigen Artikel ...

Urteil zu Schadenersatz für entgangene Sportwetten-Gewinne im Oktober

Der Bundesgerichtshof urteilt erst am 18. Oktober darüber, ob ein privater Anbieter von Sportwetten wegen des früheren Verbots seiner Tätigkeit in Bayern Schadenersatz für entgangene Gewinne verlangen kann. Das teilte der BGH am Freitag in Karlsruhe mit:  



Verkündungstermin: 18. Oktober 2012 (Verhandlungstermin: 20. September 2012)

III ZR 196/11

LG Landshut - 54 O 30/10 – Entscheidung vom 30. November 2010
OLG München - 1 U 392/11 – Entscheidung vom 15. Juli 2011

und

III ZR 197/11

LG Passau - 1 O 1118/09 – Entscheidung vom 04. November 2010
OLG München - 1 U 5279/10 – Entscheidung vom 15. Juli.2011

Die Klägerin beider Verfahren, eine in Gibraltar ansässige Anbieterin von Sportwetten, macht gegen zwei bayerische Städte und den Freistaat Bayern Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung europäischen Rechts geltend.

Sie verfügte über eine Erlaubnis der gibraltarischen Behörden für die Veranstaltung von Sportwetten, die sie in Bayern auch über Wettbüros vertrieb, welche von selbständigen Geschäftsbesorgern geführt wurden. Die beklagten Städte untersagten im Jahr 2005 unter Bezugnahme auf den seinerzeit gültigen Staatsvertrag zum Lotteriewesen den Geschäftsbesorgern die Vermittlung von Sportwetten, weil sie nicht über die erforderliche staatliche Erlaubnis verfügten. Ferner ordneten sie die sofortige Vollziehung ihrer Verfügungen an. Die hiergegen gerichteten Widersprüche und bei den Verwaltungsgerichten angebrachte Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Rechtsbehelfe blieben ohne Erfolg.

Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteilen vom 8. September 2010 das deutsche Sportwettenmonopol für mit der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar erklärt hat, fordert die Klägerin nunmehr Schadensersatz für die aufgrund der Untersagungsverfügungen entgangenen Gewinne.

Das Oberlandesgericht hat einen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch mit der Begründung verneint, es fehle an dem hierfür erforderlichen hinreichend qualifizierten Verstoß der Beklagten gegen europäisches Recht. Bis zu den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union sei die Rechtsfrage, ob das Sportwettenmonopol gegen europäisches Recht verstoße, noch nicht in dem Maße geklärt gewesen, dass die Maßnahmen der Beklagten als offenkundige Verstöße gegen Unionsrecht einzustufen gewesen seien. Deshalb sei ein - in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union entwickelter – unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch nicht gegeben.

Gegen diese Beurteilung richten sich die Revisionen der Klägerin.  
Quelle

Pressemitteilung Nr. 150/2012


Bundesgerichtshof:  Terminhinweise in Sachen III ZR 196/11 für den 20. September 2012 und VI ZR 311/11 für den 2. Oktober 2012
Verhandlungstermin: 20. September 2012

III ZR 196/11
LG Landshut – 54 O 30/10 – Entscheidung vom 30. November 2010
OLG München – 1 U 392/11 – Entscheidung vom 15. Juli 2011
und
III ZR 197/11
LG Passau – 1 O 1118/09 – Entscheidung vom 04. November 2010
OLG München – 1 U 5279/10 – Entscheidung vom 15. Juli.2011

Die Klägerin beider Verfahren, eine in Gibraltar ansässige Anbieterin von Sportwetten, macht gegen zwei bayerische Städte und den Freistaat Bayern Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung europäischen Rechts geltend.

Sie verfügte über eine Erlaubnis der gibraltarischen Behörden für die Veranstaltung von Sportwetten, die sie in Bayern auch über Wettbüros vertrieb, welche von selbständigen Geschäftsbesorgern geführt wurden. Die beklagten Städte untersagten im Jahr 2005 unter Bezugnahme auf den seinerzeit gültigen Staatsvertrag zum Lotteriewesen den Geschäftsbesorgern die Vermittlung von Sportwetten, weil sie nicht über die erforderliche staatliche Erlaubnis verfügten. Ferner ordneten sie die sofortige Vollziehung ihrer Verfügungen an. Die hiergegen gerichteten Widersprüche und bei den Verwaltungsgerichten angebrachte Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Rechtsbehelfe blieben ohne Erfolg.

Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteilen vom 8. September 2010 das deutsche Sportwettenmonopol für mit der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar erklärt hat, fordert die Klägerin nunmehr Schadensersatz für die aufgrund der Untersagungsverfügungen entgangenen Gewinne.
Das Oberlandesgericht hat einen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch mit der Begründung verneint, es fehle an dem hierfür erforderlichen hinreichend qualifizierten Verstoß der Beklagten gegen europäisches Recht. Bis zu den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union sei die Rechtsfrage, ob das Sportwettenmonopol gegen europäisches Recht verstoße, noch nicht in dem Maße geklärt gewesen, dass die Maßnahmen der Beklagten als offenkundige Verstöße gegen Unionsrecht einzustufen gewesen seien. Deshalb sei ein – in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union entwickelter – unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch nicht gegeben.
Gegen diese Beurteilung richten sich die Revisionen der Klägerin.

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
76125 Karlsruhe
Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Univ.-Prof. Dr. jur. Christian Koenig LL.M.:
Kein Ermessensspielraum steht den Landesbehörden dagegen hinsichtlich der Mindestschutzvorgabe der Placanica-Entscheidung des Gerichtshofs zu: "In jedem Fall" dürfen die Behörden gegen nicht zugelassene Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten keine – auf die fehlende Zulassung gestützten – Sanktionen erlassen, bis ein transparentes, diskriminierungsfreies und wettbewerbsoffenes Konzessionsvergabeverfahren durchgeführt worden ist. Verhängen Landesbehörden dem widersprechende Sanktionen, wie insbesondere sofort vollziehbare Untersagungsverfügungen, so verstoßen sie offenkundig und erheblich, also "hinreichend qualifiziert", gegen ihre – subjektiv gerade die Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten schützende – unionsrechtliche Verpflichtung und setzen sich damit der unionsrechtlichen Staatshaftung aus. (s.  Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs)

"Es stehen fiskalische Gründe im Vordergrund und nicht die behauptete Spielsuchteindämmung! - Der GlüStV erreiche nicht das Ziel des Staatsmonopols" (vgl. EuGH, Carmen Media, C-46/08, Rn 71)

In überraschender  Deutlichkeit hat der EuGH klargestellt, dass das deutsche Sportwetten-  und Lotteriemonopol unzulässig ist, und nicht weiter angewandt werden darf.
„Im Übrigen weist der Gerichtshof darauf hin, dass die dieses Monopol betreffende nationale
Regelung, die gegen die Grundfreiheiten der Union verstößt, auch während der Zeit, die
erforderlich ist, um sie mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen, nicht weiter angewandt werden darf."
Quelle: Pressemitteilung Nr: 78/10 des Europäischen Gerichtshofs
Eine Rechtsvorschrift, die einen Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern – sei es auch nur vorübergehend – vom Markt zulässt, könnte nur dann als angemessen betrachtet werden, wenn ein wirksames gerichtliches Verfahren und, falls sich der Ausschluss später als ungerechtfertigt erweisen sollte, Ersatz für den entstandenen Schaden vorgesehen sind. (Rs. C-72/10 und C 77/10 Costa u.a. Rn 81)

Ein Mitgliedstaat begeht einen Verstoß, wenn er die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen nicht erfüllt.

Der Verstoß kann somit in einer Handlung oder einer Unterlassung bestehen. Als Staat einzustehen hat der Mitgliedstaat, der gegen das Unionsrecht verstößt, ungeachtet der staatlichen Stelle, die für die Nichterfüllung verantwortlich ist. 
weiterlesen

Staatshaftung direkt aus Artikel 34 GG
"Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden."

Auch im GlüÄndStV ist erneut keine Schadenersatzpflicht für einen ungerechtfertigten Ausschluß von Marktteilnehmern vorgesehen!
Der BayVGH hat bewiesen, dass die Landesregierung den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts wissentlich mißachtete, obwohl die Staatsregierung die durch den EuGH vorgegebene Rechtslage genau kennt bzw. kennen musste. 

Der BGH hat bereits mit Urteil vom 04.06.2009 - III ZR 144/05 zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch entschieden. (weiter unten)

Es wurde die Rechtswidrigkeit der Monopolregelungen festgestellt, da nicht die behauptete Suchtprävention im Vordergrund stand, sondern die finanziellen Interessen der Länder.
Damit handelte es sich tatsächlich um ein unzulässiges
Finanzmonopol in Form eines Kartells.  weiterlesen 

Nachdem der EuGH die Anwendbarkeit seiner Entscheidungen auf den effet utile 122 stützte, so hat er dieses Begründungsmuster später ergänzt um eine Argumentation, die auf die Treuwidrigkeit des mitgliedstaatlichen Verstosses abstellt.

Die unmittelbare Anwendung der Richtlinie soll verhindern, dass der Mitgliedstaat aus seiner
Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts Nutzen zieht. 123  

122  EuGH  Urt. v 3.12.1974 Rs 41/74  van Duyn, Slg.  1974, 1337ff. (1348, Tz. 12)
123  EuGH, Urt. v. 5.4.1979 Rs. 148/78 Ratti, Slg. 1979, 1629 ff. (1642, Tz.22)


Quelle:  Verwaltungsvertrag und Gesetz: eine vergleichende Untersuchung  ...   von Elke Gurlit (S. 82/122-123) s.a. Normsetzungsautorität und Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts s. S 83ff

EuGH bekräftigt: EU-Recht steht über nationalem Recht

Obgleich das Bonner Grundgesetz sich von allen früheren Verfassungen in Deutschland unterscheidet, indem es nicht nur mittelbar wirken will, sondern unmittelbar durch die Aufnahme der Freiheitsgrundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat und seine Institutionen zugunsten jedes einzelnen Bürgers, sich damit ausdrücklich die Kraft zulegt, selbst ein Gesetz zu sein und zwar ein Gesetz besonderen Ranges und eigener Art, wird sowohl vom Gesetzgeber als auch der vollziehenden Gewalt und Recht sprechenden Gewalt so gehandelt, als ob es die Bindewirkung an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gemäß Art. 1 GG für die Träger öffentlicher Gewalt nicht gäbe.

In Deutschland scheint das Verwaltungsrecht mehr zu zählen als das Grundgesetz und das Unionsrecht.

Zur Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung.
BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04

Zur Bindungswirkung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für innerstaatliche Gerichte; Verhältnis von Grundgesetz und Völkerrecht
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.08.2007 - 9 B 14.07

EU-Binnenmarktkommissar fordert Deutschland zur europarechtskonformen Neuregelung des Glücksspielmarktes auf

VG Berlin verschafft EU Anwendungsvorrang weiterhin Geltung

Rückblick

Nationale Regelungen, die - wie das in Frage stehende Sportwettenmonopol - die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (Art. 43 und 49 EG) beschränken, sind nur unter vier Voraussetzungen zulässig:
  • Sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden,
  • sie müssten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen,
  • sie müssen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein und
  • sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Vgl. dazu: EuGH vom 23.10.1997 - C-189/95 (Lexezius) - Rdnr. 42, Urteil vom 26.10.2006 - C-65/05 - Rdnr. 49 und Urteil vom 05.06.2007 - C-170/04 (Rosengren)-.
Wenn die Zahl der Wirtschaftsteilnehmer beschränkt wird mit dem Ziel, die Gelegenheit zum Glücksspiel zu vermindern, muss die Beschränkung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in jedem Fall dem Anliegen gerecht werden, die Gelegenheiten zum Spiel wirklich zu vermindern und die Tätigkeiten in diesem Bereich kohärent und systematisch zu begrenzen.
EuGH, Urteil vom 06.03.2007 - C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Plancanica u.a.) - Rdnr. 58. 
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 ist das Glücksspiel-Monopol nur dann zulässig und gesetzeskonform, wenn der Staat die Spielsucht seiner Bürger glaubhaft bekämpft, diese Sucht so weit wie möglich eindämmt und ihr Einhalt gebietet.
(s. EuGH-Generalanwalt Ján Mazák: Schlußanträge vom 20. September 2012)

Mit dem Sportwettenurteil vom 28.03.2006 (1 BvR 1054/01), stellte das BVerfG die Verfassungswidrigkeit der alten Monopolregelung (Staatslotteriegesetz vom 29.4.99) fest und zeigte auf, unter welchen engen Bedingungen ein Monopol überhaupt zulässig wäre. (vgl. 1 BvR 223/05, 1 BvR 2320/00, 1 BvR 928/08, 1 BvR 2410/08, 2 BvR 1496/05)

Das BVerfG wies mit seinen Entscheidungen seit 2005 (1 BvR 223/05) auf die Beachtung des Gemeinschaftsrecht (3) und auf den Nachweis einer Notwendigkeit eines Monopols hin.

Bereits seit 2006 hält die Europäische Kommission die deutschen Regelungen für europarechtswidrig - Einschlägige Maßnahmen müssen jedoch mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, d. h. notwendig, angemessen und nicht diskriminierend sein. Die Europäische Kommission hatte mit mehreren Schreiben in den Jahren 2006, 2007 und 2008 den Glückspielstaatsvertrag abgelehnt und ein Vertragsverletzungsverfahren angedroht. Das Kohärenzerfordernis wurde lange von Deutschland ignoriert. Die Verfassungs- und Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Glücksspielstaatsvertrages wurde bereits in den Jahren 2008 durch eine Vielzahl deutscher Verwaltungsgerichte bestätigt. In div. Gutachten und mehrfach durch die EU-Kommission wurden die Bundesländer auf die Unionsrechtswidrigkeit des Entwurfs 2008 hingewiesen. Nach Überzeugung des Generalanwalts Paolo Mengozzi in der Rs. Markus Stoß u.a. der hierzu auf das Sportwetten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 verweist, war die damalige Regelung europarechtswidrig, wodurch die Entscheidungen des EUGH absehbar waren.

Ohne die Bedenken auszuräumen und ohne einen belastbaren Nachweis für die Notwendigkeit des Monopols vorzulegen, wurde der GlüStV 2008 durch die Bundesländer verabschiedet.

Neben den sieben EuGH-Verfahren gegen Deutschland wurden durch die EU-Kommission zwei  Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Kernaussagen des EuGH zur Rechtfertigungsprüfung bei der Einschränkung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit.

Der EuGH hat mit seinen Entscheidungen vom 08.09.2010 erneute Verstöße gegen das Sportwettenurteil und damit neben der Unionsrechts- (3) eine Verfassungswidrigkeit festgestellt. Aus meiner Sicht wurde damit die verschuldensunabhängige Staatshaftung ausgelöst. (vgl. Rechtssache T-105/12; Hellenische Republik/Kommission wegen einer Zwangsgeldzahlung)

Rechtsprechung zur Staatshaftung nach Unionsrecht
Wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes
Zum Grundsatz der Staatshaftung
aus dem EuGH-Urteil v. 30.09.2003, Rs. C-224/01 - Köbler / Österreich
30. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass der Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, aus dem Wesen des EG-Vertrags folgt (Urteile vom 19. November 1991 in den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 35, Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 31, vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38, vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 24, vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94 und C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20, vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-127/95, Norbrook Laboratories, Slg. 1998, I-1531, Randnr. 106, und Haim, Randnr. 26).
31. Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass dieser Grundsatz für jeden Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht unabhängig davon gilt, welches mitgliedstaatliche Organ durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen hat (Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 32, vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62, und Haim, Randnr. 27).

Rechtsprechung zur Haftung des Staates

Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht
1991 hat der Gerichtshof in der Rechtssache Francovich den Grundsatz geprägt, wonach „die Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden verpflichtet sind, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, die diesen Staaten zuzurechnen sind“.
Überblick über die Rechtsauffassung des Gerichtshofs   (pdf-download)

EU-Kommission Vertragsverletzungen
Öffentliche Konsultation zum Online-Gücksspiel im Binnenmarkt

OVG Rheinland-Pfalz: Zur verschuldensunabhängigen Haftung

zum Vergleich:
Schadensersatz für Atomausstieg
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Amtshaftung der gesetzlichen Krankenkasse für falsche Leistungszusagen ihrer Mitarbeiter
Urteil des OLG Karlsruhe vom 18.12.2012 (12 U 105/12)
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Allgemeines Verwaltungsrecht - Verfassungsrechtliche Grundlagen
Amtshaftung - gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch
Beiträge zum Europarecht - Vertrauensschutz im europäischen Verwaltungsverfahren

Nichtige oder “Nicht-Entscheidungen” von bundesdeutschen Behörden und Gerichten existieren nicht, sie müssen deshalb deklaratorisch im Wege der Folgenbeseitigung zwecks Rückabwicklung wegen Grundrechteverletzung gemäß Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 3 und 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG aufgehoben werden, ansonsten ist die Bundesrepublik Deutschland kein Rechtsstaat westlicher Prägung. Quelle

von Günter Plath (Richter i.R.)
Das deutsche Kostenrecht folgt insgesamt dem Verursacherprinzip. Das Verursacherprinzip (engl. polluter pays principle) besagt, dass Kosten, die als Folge eines bestimmten Tuns oder Unterlassens entstehen, dem Verursacher zuzurechnen sind.
Mit dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes am 23.05.1949 wurden die drei Gewalten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Freiheitsgrundrechte als sie unmittelbar geltendes Recht gebunden. Gemäß Art 1 Abs. 2 GG sind die Freiheitsgrundrechte unverletzlichlich.
Von diesem Tage an haben nach dem Verursacherprinzip der Gesetzgeber, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung bei Grundrechteverletzungen im Wege der Folgenbeseitigung durch Rückabwicklung in jedem Fall auch die vollen Kosten des Verfahrens einschließlich der Nebenkosten zu tragen.
Billigkeitserwägungen dürfen keine Rolle spielen, da gemäß Art. 1 Abs. 3 und 2 GG Grundrechteverletzungen verboten sind.    Weiter zum vollständigen Artikel ...

Grundsätzlich dürfte die Nichtigkeit eines Gesetzes auf Grund eines Verstoßes gegen Unionsrecht, wie auch gegen das Grundgesetz wohl die höchste Kategorie eines besonders schwerwiegenden Fehlers darstellen. Das Unionsrecht ist neben dem Grundgesetz die höchste gesetzliche Norm unseres Staates.

Nachdem die Vorgehensweise der landeseigenen Aufsichtsbehörden gegen höheres Recht verstieß und damit rechtswidrig war, wurde mit unzulässigen Maßnahmen in eine zulässige wirtschaftliche Tätigkeit eingegriffen und Schaden verursacht. Die Bundesländer sind deshalb in die Pflicht zu nehmen.

Gerhart Baum Bundesinnenminister a.D.: "...Mich beunruhigt, dass wir heute also Verfassungsverstösse haben von Leuten, die auf die Verfassung vereidigt sind."

Belastbare Nachweise für eine Notwendigkeit eines Glücksspielmonopols wurden bislang nicht vorgelegt (1). Erst kürzlich wurde erneut festgestellt, dass die Landesbehörden nicht unabhängig und neutral sind (vgl. BVerfG (1 BvR 1054/01), Rn 151 f) und die landeseigenen Glücksspielbetriebe nicht ausreichend überwachen (1, 2). Diese Begünstigung ist rechtswidrig.(vgl. u.a. BayVGH, 10 BV 09.2259; BayVGH 10 BV 10.2665 / M 22 K 07.3782)

1) EuGH: Der Staat muss detailliert nachweisen, dass Monopole erforderlich sind und diese streng überwachen. (C-347/09 Dickinger/Ömer Rn 57,  C-212/08 Zeturf Rn 47, 48, 54, Stoß u. a., Rn. 71, 83; Ladbrokes)

2) Zeturf, C-212/08, Rn 58. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, muss eine so restriktive Maßnahme wie die Schaffung eines Monopols mit der Errichtung eines normativen Rahmens einhergehen, mit dem sich gewährleisten lässt, dass der Inhaber des Monopols tatsächlich in der Lage sein wird, das festgelegte Ziel mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieses Ziels quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist und einer strikten behördlichen Kontrolle unterliegt, in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen (Urteil Stoß u. a., Randnr. 83).


3) Das Unionsrecht[Anm 3] grenzt sich vom Völkerrecht (und dem dazu gehörenden Europarecht im weiteren Sinne) insbesondere durch zwei Eigenarten ab, die sein Verhältnis zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten betreffen: seine teilweise unmittelbare Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten ohne nationalen Umsetzungsakt und den Vorrang des Unionsrechts vor dem mitgliedstaatlichen Recht. Unionsrecht ist[7] eine supranationale Rechtsordnung eigener Art, die als überstaatliches, aber nicht als gewöhnliches Völkerrecht zu klassifizieren ist. Der korrekte Begriff seit dem Lissabonvertrag ist dementsprechend Unionsrecht, während Gemeinschaftsrecht nur noch historischen Wert hat.  Quelle

Das Völkerrecht, dass gemäß Art. 25 GG dem Bundesrecht im Rang vorgeht, müssen die bundesdeutschen Gerichte entsprechend Art. 20 Abs. 3 GG in jedem Fall berücksichtigen.
Allgemein lässt sich jedoch sagen, dass die innerstaatliche Anwendung von Völkerrecht eigentlich in allen Rechtsordnungen eine bestimmt genug formulierte Norm voraussetzt, die nicht nur an Staaten adressiert ist. Solche Normen werden als self-executing bezeichnet (nach richtiger Auffassung ist dieser Begriff jedoch dem jeweiligen nationalen Recht, nicht dem Völkerrecht zuzuordnen). In Deutschland sind gemäß Art. 25 S. 1 Grundgesetz Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsprinzipien unmittelbar anwendbar und stehen über den Bundesgesetzen.

mehr zur  Rechtsstaatlichkeit im Glücksspielwesen
Glückspielmonopol (GlüStV) unzulässig ! 


Ausserdem verstieß der GlüStV gegen das Zitiergebot Art. 19,1,2, GG einem absoluten Rechtsbefehl der keiner Auslegung zugänglich ist. Nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
"Verstöße gegen das Zitiergebot sind zwar nur ein Formfehler, aber mit gravierenden Folgen. Durch diesen wird jedes Gesetz ungültig. Der Gesetzgeber kann diesen Schaden nur durch eine neue Rechtsnorm heilen.” Zitat von Prof. Rupert Scholz
Verkehrsminister Ramsauer hat am 13. April 2010 über alle Nachrichtensendungen verkündet in dem er zum Verkehrsschilder-Chaos wörtlich sagte:  “Die Novelle ist wegen eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich verankerte Zitiergebot nichtig.”


Rechtsgutachten

Staatshaftung für Verletzungen der Dienstleistungsfreiheit aufgrund des Sportwetten-Monopols der deutschen Bundesländer 


vgl.:
Staatshaftung für fehlerhafte Aufsicht im Bereich des Kapitalmarkts
Staatshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht gegenüber Bankeinlegern?
Staatshaftung fur fehlerhafte. Banken- und. Versicherungsaufsicht im Europaischen Binnenmarkt. • Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden


BMJ: Staatshaftungsrecht; Öffentliches Dienstrecht; Zivildienst- und Wehrrecht


Haftung der Behörde wegen Produktwarnung im Lebensmittelrecht (hier: Teigwaren)
GG Art. 34; BGB §§ 254,823, 824, 839; LMBG §§ 8, 17; Teigwaren-VO § 3; BadWürttPG §§ 1, 3, 5; BadWürttPressG § 4


1. Vor der mit schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbundenen öffentlichen Nennung von Herstellern und Bezeichnung ihrer Produkte als verdorben ist ein besonders hohes Maß an Sorgfalt aufzuwenden, um den Sachverhalt so vollständig wie möglich zu ermitteln und auf diesen das Recht richtig anzuwenden. 


2. Zu den Voraussetzungen eines Schadensersatz- und Entschädigungsanspruchs wegen Amtspflichtverletzung bei einer Produktwarnung (Leitsätze der Redaktion)

OLG Stuttgart, Urt. v 21.3.1990 - 1 U 132/89

Mit ihrer Klage macht die Kl. geltend, durch die Verbreitung der Pressemitteilung in den Medien habe sie erhebliche Umsatzeinbußen erlitten; der dadurch verursachte Schaden betrage 43,2055 Mio. DM. Diesen habe ihr das Land Baden-Württemberg wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung und wegen enteignungsgleichen Eingriffs durch in seinem Dienste stehende Amtsträger zu ersetzen. Das LG Stuttgart (NJW 1989, 2257) gab der Klage dem Grunde nach statt. Die Berufung des bekl. Landes blieb ohne Erfolg.

...5. Regierungsvizepräsident Dr. K, der die Herausgabe der Presseerklärung vom 15.08.1985 veranlaßte, trifft ein Verschulden. Erteilt eine Behörde eine Auskunft - und dazu rechnet auch eine Pressemitteilung - , kommt es nicht auf den reinen Wortlaut der Auskunft an, sondern auf den Eindruck, den eine solche zur Veröffentlichung in der Presse bestimmte Auskunft bei den Kreisen hervorruft, an welche sich die Presse wendet (BGHZ 27, 338 (341) = NJW 1959, 35 = LM § 839 (Fi) BGB Nr. 7). Bei der Prüfung, ob und welche Wirkung die Veröffentlichung der Beanstandungen der Produkte der Kl. zusammen mit der wegen Verwendung von Bruteiern und Pharmaeiern beanstandeten Produkte anderer Hersteller und dem Inhalt der Presseerklärung hervorrufen würde, hätte sich Regierungsvizepräsident Dr. K sagen müssen, daß der Durchschnittsverbraucher den ober ausführlich dargestellten Unterschied nicht erkenne würde.
Darüber hinaus hat Regierungspräsident Dr. K fahrlässig gehandelt, indem er am 19.08.1985 beim Interview mit dem SWF, in der Fernsehsendung "heute" des ZDF und in der Landesschau der ARD die Beanstandungen gegenüber Produkten der Kl. aufrecht erhielt, obschon ihm zu diesem Zeitpunkt die Nachträge zu dem oben genannten Gutachten bekann waren.

....III. Die Kl. hat die Entstehung des Schadens nicht i. S. des § 254 I BGB mitverursacht; denn das sie von der bevorstehenden Veröffentlichung der sie betreffenden Beanstandungen keine Kenntnis hatte, konnte sie, wie das LG zutreffend ausgeführt hat, die Amtspflichtverletzung nicht verhindern.

IV. Ob die Klage auch unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs dem Grunde nach gerechtfertigt ist, wie das LG ausgeführt hat, kann offen bleiben, weil Ansprüche auf dieser Grundlage nicht weitergehen als aus Amtspflichtverletzung.

Quelle: NJW 1990, Heft 42, 2690



Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
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BGH-Pressemitteilung: Nr. 170/2012 vom 11.10.2012

Terminhinweis in Sachen III ZR 293/11 für den 25. Oktober 2012

Verhandlungstermin: 25. Oktober 2012

III ZR 293/11

LG Mosbach - Urteil vom 18. März 2011 - 1 O 211/10

OLG Karlsruhe - Urteil vom 15. November 2011 - 12 U 85/11

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung aufgrund nicht durchgeführter BSE-Tests.

Die Klägerin, ein Mühlenbetrieb, produziert durch ihr ungarisches Tochterunternehmen Vogelfutter. Dieses enthält Rindertalg, den die Klägerin bei der Streithelferin zu 1 und diese wiederum bei der Streithelferin zu 2, einem Schlachthof, bezieht. Bei diesem unterhält das zuständige Veterinäramt eine Fleischhygienestelle, die unter anderem BSE-Tests durchführt. Im Schlachthof wird eine Software benutzt, die die Streithelferin zu 3 programmiert hat. Im Rahmen des Schlachtablaufs gleicht ein Schlachthofmitarbeiter die Ohrmarke der Rinder mit dem Rinderpass ab, scannt den Pass und teilt eine Schlachtnummer zu. Die hierbei eingesetzte Software verarbeitet die zuvor eingescannten Daten des Passes, teilt die Tiere Altersklassen zu und markiert die testpflichtigen Tiere mit "T". Die eingescannten Daten einschließlich des Geburtsdatums und der Altersklasse werden auf einen Bildschirm in die Fleischhygienestelle übertragen und dort von einem Veterinär eingesehen. Dieser stellt sodann die testpflichtigen Tiere fest und gibt Anweisung zur Entnahme einer Probe. Die Proben werden danach von dem Veterinär mit einem Barcode versehen und an ein Untersuchungslabor geschickt. Dieses wertet die Proben aus und gibt das Ergebnis an die bundesweite sogenannte HIT-Datei (Herkunftssicherungs- und Informationssystem Tiere) weiter. Bei dieser werden die vom Labor übermittelten Untersuchungsergebnisse mit den vom Schlachthof gelieferten Daten zusammengeführt und überprüft, ob Proben in ausreichendem Umfang entnommen wurden. 

Bis zum 31. Dezember 2008 mussten nach der Verordnung zur fleischhygienerechtlichen Untersuchung von geschlachteten Rindern auf BSE (BSE-Untersuchungsverordnung) solche Tiere auf BSE kontrolliert werden, die zum Zeitpunkt der Schlachtung über 30 Monate alt waren. Ab 1. Januar 2009 bestand die Testpflicht für im Inland geborene und gehaltene Rinder nur noch, wenn sie älter als 48 Monate waren. In der Zeit vom 12. bis 21. Januar 2009 schlachtete die Streithelferin zu 2 unter anderem sieben Rinder, die älter als 48 Monate waren. Aufgrund eines Systemfehlers, der auftrat, weil  die Geburtsdaten dieser Tiere per Hand eingegeben worden waren, wurden die Rinder der Altersklasse 3 zugeordnet und daher nicht mit "T" markiert. Obwohl eine Testpflicht auf BSE bestand, ordnete der Veterinär eine Probeentnahme nicht an. Das Veterinäramt erteilte Negativtestate und hob die Beschlagnahme der Tiere auf. Den aus den Schlachtungen - pro Tag ca. 200 - stammenden Rindertalg lieferte die Streithelferin zu 2 an die Streithelferin zu 1 und diese auf Veranlassung der Klägerin an deren Tochterfirma, die ihn unter Verwendung weiterer Zutaten zumindest teilweise zu Meisenknödeln verarbeitete. Nachdem der Fehler bei der Altersklassenzuordnung festgestellt worden war, mussten 98 Tonnen Meisenknödel vernichtet werden. 

Die Klägerin hat das beklagte Land auf Schadensersatz aus Amtshaftung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die auf Zahlung von mehr als 100.000 € gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Das Oberlandesgericht ist davon ausgegangen, dass die für das beklagte Land tätigen Bediensteten des Veterinäramts zwar fahrlässig ihre Amtspflichten bei der Auswahl der auf BSE zu testenden Rinder verletzt und dadurch das Fleisch sowie die sonstigen Nebenprodukte der geschlachteten Tiere freigegeben hätten, obwohl die aufgrund des Alters vorgeschriebenen Laboruntersuchungen nicht vorgenommen worden seien. Es habe sich insoweit jedoch nicht um Pflichten gehandelt, die der Klägerin gegenüber bestanden hätten. Die im Zusammenhang mit der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von BSE-Tests bestehenden Amtspflichten dienten in erster Linie dem Gesundheitsschutz von Mensch und Tier. Zwar sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass drittgerichtete Amtspflichten auch im Verhältnis zu den Unternehmern bestehen könnten, die die Schlachtungen selbst durchführten. Es sei aber nicht gerechtfertigt, die Schutzrichtung der Amtspflichten auch auf Unternehmer auszuweiten, die mit den Tierprodukten lediglich als Weiterverarbeiter oder Händler in Berührung kämen. 

Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

*§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB

Haftung bei Amtspflichtverletzung

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

** Art. 34 Satz 1 GG

Haftung bei Amtspflichtverletzung

Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 188/2012
Zur Amtshaftung aufgrund nicht durchgeführter
BSE-Tests an Rindern in einem Schlachthof

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die den Veterinärbehörden im Zusammenhang mit der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von BSE-Tests an Rindern in einem Schlachthof obliegenden Amtspflichten grundsätzlich keine drittgerichtete Schutzwirkung zugunsten der Unternehmen entfalten, die vom Schlachthof - oder einem "Zwischenlieferanten" - Schlachtprodukte kaufen, um diese weiter zu veräußern oder zu verarbeiten. Soweit die Veterinärbehörde allerdings einen Abnehmer über das Ergebnis ihrer Untersuchung unterrichtet und die bereits bei diesem befindliche, bis zum Vorliegen des Untersuchungsergebnisses sichergestellte Ware freigibt, schafft sie dadurch einen unmittelbaren Vertrauenstatbestand für die ordnungsgemäße Durchführung der BSE-Tests und haftet dem Abnehmer auf Ersatz seines Vertrauensschaden.
Die Klägerin im Verfahren III ZR 151/12 betreibt eine Fettschmelze. Dazu bezieht sie Schlachtfette von einem Schlachthof und verarbeitet diese weiter. Im Schlachthof unterhält das Veterinäramt eine Fleischhygienestelle, die unter anderem BSE-Tests durchführt. Solche waren ab 1. Januar 2009 für im Inland geborene und gehaltene Rinder vorgeschrieben, soweit diese älter als 48 Monate waren. In der Zeit vom 12. bis 21. Januar 2009 wurden im Schlachthof unter anderem sieben Rinder geschlachtet, die altersgemäß auf BSE hätten untersucht werden müssen, versehentlich aber nicht untersucht wurden. Das aus den Schlachtungen der jeweiligen Tage stammende Rohfett lieferte der Schlachthof an die Klägerin auf Sicherungsschein, d.h. zur Verwahrung bis zur Aufhebung der Beschlagnahme. Zwischen dem 12./13. und 21./22. Januar 2009 erstellten das Veterinäramt im Rahmen sogenannter Begleitscheine fünf Ergebnismitteilungen, wonach die durchgeführten Untersuchungen auf BSE negativ verlaufen seien und die Beschlagnahme der bereits an die Klägerin ausgelieferten Rohware aufgehoben werde. Hierüber informierte das Veterinäramt auch die Klägerin. Die Klägerin verarbeitete das Rohfett und verkaufte es teilweise weiter, so unter anderem an die Klägerin im Verfahren III ZR 293/11. Nachdem der Fehler festgestellt worden war, mussten die Fettprodukte vernichtet werden.
Die Klagen auf Schadensersatz - die Klägerin im Verfahren III ZR 151/12 hat neben eigenen Schäden auch Schäden anderer Abnehmer aus abgetretenem Recht geltend gemacht - haben in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Der III. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin im Verfahren III ZR 293/11 zurückgewiesen. Im Verfahren III ZR 151/12 hat der III. Zivilsenat unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Berufungsurteil, soweit die dortige Klägerin eigene Schäden geltend gemacht hat, aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen:
Zur Begründung hat der III. Zivilsenat ausgeführt, dass Amtshaftungsansprüche nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB*, Art. 34 Satz 1 GG** die Verletzung einer gerade einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht voraussetzen. Die rechtlichen Bestimmungen über die Durchführung von BSE-Tests dienen aber dem Gesundheitsschutz; ihnen lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die hier betroffenen wirtschaftlichen Interessen der Klägerinnen geschützt werden sollen.
Zwar sind nach der Rechtsprechung des Senats die bei der Durchführung einer BSE-Untersuchung bestehenden Amtspflichten im Verhältnis zum betroffenen Schlachtbetrieb drittbezogen und kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, wenn ein Schlachthofbetreiber durch Fehler der zuständigen Behörden unmittelbar an der (gewinnbringenden) Verwertung seines Eigentums gehindert wird.
Im vorliegenden Fall ist Streitgegenstand aber der Schaden von in der weiteren Abnehmer- und Verarbeitungskette stehenden Unternehmen. Insoweit besteht grundsätzlich keine Drittwirkung; die einschlägigen Amtspflichten schützen nicht die individuellen Vermögensinteressen dieser Gruppe am Absatz von Tierprodukten zum Zwecke der Gewinnerzielung.
Die Haftung des Staates würde ansonsten - obwohl drittbezogen nur Amtspflichten sind, bei denen in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist - konturlos und wäre letztlich nur noch eine Frage der Kausalität. Allein der Umstand, dass jemand durch eine Amtspflichtverletzung kausal geschädigt wird, genügt aber nicht, um ihn als Dritten anzusehen. Insbesondere bei denjenigen, die in ihren eigenen Interessen erst als Folge ihrer schuldrechtlichen Beziehungen zu den unmittelbar von der Ausübung der Amtspflicht betroffenen Personen und Unternehmen berührt werden, kann regelmäßig keine Drittwirkung zuerkannt werden; denn grundsätzlich hat es der geschützte Dritte nicht in der Hand, durch den Abschluss von Verträgen den Schutzbereich der ihm gegenüber obliegenden Amtspflichten auf den Vertragspartner zu erstrecken. Auch wären vorliegend die potentiellen Schäden und die damit verbundenen Haftungsrisiken kaum absehbar und ausufernd, da die Verarbeitung selbst geringer Mengen von verkehrsunfähigen Fleischbestandteilen oder Nebenprodukten dazu führen kann, dass große Mengen der mit Hilfe dieser Stoffe hergestellten End- oder Fertigprodukte unbrauchbar werden.
Die Freigabe des Schlachtfleisches stellt nicht generell eine geschützte Verlässlichkeitsgrundlage für wirtschaftliche Dispositionen dar. Insoweit stellt sich die Situation allerdings bei der Klägerin im Verfahren III ZR 151/12 anders dar. Die Auslegung der in den Begleitscheinen enthaltenen Ergebnismitteilungen ergibt, dass die hiervon erfassten Rohfettlieferungen von Rindern stammen, bei deren Schlachtung die Vorgaben der BSE-Verordnung eingehalten worden sind. Die Klägerin, bei der sich zum Zeitpunkt der Mitteilungen die fraglichen Rohfette tatsächlich befunden haben und aufgrund der ausgesprochenen vorläufigen Sicherstellungen auch nur befinden durften, konnte als Adressat dieser Mitteilungen auf deren Richtigkeit vertrauen und entsprechend wirtschaftlich disponieren; insoweit ist sie auch als geschützte Dritte im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen.
Urteile vom 8. November 2012 - III ZR 293/11 und III ZR 151/12
LG Mosbach - Urteile vom 18. März 2011 - 1 O 211/10 und vom 19. August 2011 - 1 O 15/11
OLG Karlsruhe - Urteile vom 15. November 2011 - 12 U 85/11 und vom 3. Mai 2012 - 12 U 149/11
*§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB
Haftung bei Amtspflichtverletzung
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
** Art. 34 Satz 1 GG
Haftung bei Amtspflichtverletzung
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.
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Quelle: Pressemitteilung Nr. 188/12 vom 8.11.2012
 
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