Montag, 17. September 2012

Schadensersatzansprüche gegen zwei bayerische Städte und den Freistaat Bayern

update 18.10.2012:
BGH: Keine Staatshaftungsansprüche für Sportwettenanbieter wegen Europarechtsverstoß
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Streit um Schadenersatz für entgangene Sportwetten-Gewinne vor BGH
Anbieter Digibet klagt gegen zwei bayerische Städte  Weiter zum vollständigen Artikel ...

Urteil zu Schadenersatz für entgangene Sportwetten-Gewinne im Oktober

Der Bundesgerichtshof urteilt erst am 18. Oktober darüber, ob ein privater Anbieter von Sportwetten wegen des früheren Verbots seiner Tätigkeit in Bayern Schadenersatz für entgangene Gewinne verlangen kann. Das teilte der BGH am Freitag in Karlsruhe mit:  



Verkündungstermin: 18. Oktober 2012 (Verhandlungstermin: 20. September 2012)

III ZR 196/11

LG Landshut - 54 O 30/10 – Entscheidung vom 30. November 2010
OLG München - 1 U 392/11 – Entscheidung vom 15. Juli 2011

und

III ZR 197/11

LG Passau - 1 O 1118/09 – Entscheidung vom 04. November 2010
OLG München - 1 U 5279/10 – Entscheidung vom 15. Juli.2011

Die Klägerin beider Verfahren, eine in Gibraltar ansässige Anbieterin von Sportwetten, macht gegen zwei bayerische Städte und den Freistaat Bayern Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung europäischen Rechts geltend.

Sie verfügte über eine Erlaubnis der gibraltarischen Behörden für die Veranstaltung von Sportwetten, die sie in Bayern auch über Wettbüros vertrieb, welche von selbständigen Geschäftsbesorgern geführt wurden. Die beklagten Städte untersagten im Jahr 2005 unter Bezugnahme auf den seinerzeit gültigen Staatsvertrag zum Lotteriewesen den Geschäftsbesorgern die Vermittlung von Sportwetten, weil sie nicht über die erforderliche staatliche Erlaubnis verfügten. Ferner ordneten sie die sofortige Vollziehung ihrer Verfügungen an. Die hiergegen gerichteten Widersprüche und bei den Verwaltungsgerichten angebrachte Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Rechtsbehelfe blieben ohne Erfolg.

Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteilen vom 8. September 2010 das deutsche Sportwettenmonopol für mit der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar erklärt hat, fordert die Klägerin nunmehr Schadensersatz für die aufgrund der Untersagungsverfügungen entgangenen Gewinne.

Das Oberlandesgericht hat einen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch mit der Begründung verneint, es fehle an dem hierfür erforderlichen hinreichend qualifizierten Verstoß der Beklagten gegen europäisches Recht. Bis zu den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union sei die Rechtsfrage, ob das Sportwettenmonopol gegen europäisches Recht verstoße, noch nicht in dem Maße geklärt gewesen, dass die Maßnahmen der Beklagten als offenkundige Verstöße gegen Unionsrecht einzustufen gewesen seien. Deshalb sei ein - in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union entwickelter – unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch nicht gegeben.

Gegen diese Beurteilung richten sich die Revisionen der Klägerin.  
Quelle

Pressemitteilung Nr. 150/2012


Bundesgerichtshof:  Terminhinweise in Sachen III ZR 196/11 für den 20. September 2012 und VI ZR 311/11 für den 2. Oktober 2012
Verhandlungstermin: 20. September 2012

III ZR 196/11
LG Landshut – 54 O 30/10 – Entscheidung vom 30. November 2010
OLG München – 1 U 392/11 – Entscheidung vom 15. Juli 2011
und
III ZR 197/11
LG Passau – 1 O 1118/09 – Entscheidung vom 04. November 2010
OLG München – 1 U 5279/10 – Entscheidung vom 15. Juli.2011

Die Klägerin beider Verfahren, eine in Gibraltar ansässige Anbieterin von Sportwetten, macht gegen zwei bayerische Städte und den Freistaat Bayern Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung europäischen Rechts geltend.

Sie verfügte über eine Erlaubnis der gibraltarischen Behörden für die Veranstaltung von Sportwetten, die sie in Bayern auch über Wettbüros vertrieb, welche von selbständigen Geschäftsbesorgern geführt wurden. Die beklagten Städte untersagten im Jahr 2005 unter Bezugnahme auf den seinerzeit gültigen Staatsvertrag zum Lotteriewesen den Geschäftsbesorgern die Vermittlung von Sportwetten, weil sie nicht über die erforderliche staatliche Erlaubnis verfügten. Ferner ordneten sie die sofortige Vollziehung ihrer Verfügungen an. Die hiergegen gerichteten Widersprüche und bei den Verwaltungsgerichten angebrachte Anträge auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Rechtsbehelfe blieben ohne Erfolg.

Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union mit Urteilen vom 8. September 2010 das deutsche Sportwettenmonopol für mit der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar erklärt hat, fordert die Klägerin nunmehr Schadensersatz für die aufgrund der Untersagungsverfügungen entgangenen Gewinne.
Das Oberlandesgericht hat einen unionsrechtlichen Schadensersatzanspruch mit der Begründung verneint, es fehle an dem hierfür erforderlichen hinreichend qualifizierten Verstoß der Beklagten gegen europäisches Recht. Bis zu den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union sei die Rechtsfrage, ob das Sportwettenmonopol gegen europäisches Recht verstoße, noch nicht in dem Maße geklärt gewesen, dass die Maßnahmen der Beklagten als offenkundige Verstöße gegen Unionsrecht einzustufen gewesen seien. Deshalb sei ein – in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union entwickelter – unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch nicht gegeben.
Gegen diese Beurteilung richten sich die Revisionen der Klägerin.

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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Telefon (0721) 159-5013
Telefax (0721) 159-5501

Univ.-Prof. Dr. jur. Christian Koenig LL.M.:
Kein Ermessensspielraum steht den Landesbehörden dagegen hinsichtlich der Mindestschutzvorgabe der Placanica-Entscheidung des Gerichtshofs zu: "In jedem Fall" dürfen die Behörden gegen nicht zugelassene Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten keine – auf die fehlende Zulassung gestützten – Sanktionen erlassen, bis ein transparentes, diskriminierungsfreies und wettbewerbsoffenes Konzessionsvergabeverfahren durchgeführt worden ist. Verhängen Landesbehörden dem widersprechende Sanktionen, wie insbesondere sofort vollziehbare Untersagungsverfügungen, so verstoßen sie offenkundig und erheblich, also "hinreichend qualifiziert", gegen ihre – subjektiv gerade die Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten schützende – unionsrechtliche Verpflichtung und setzen sich damit der unionsrechtlichen Staatshaftung aus. (s.  Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs)

"Es stehen fiskalische Gründe im Vordergrund und nicht die behauptete Spielsuchteindämmung! - Der GlüStV erreiche nicht das Ziel des Staatsmonopols" (vgl. EuGH, Carmen Media, C-46/08, Rn 71)

In überraschender  Deutlichkeit hat der EuGH klargestellt, dass das deutsche Sportwetten-  und Lotteriemonopol unzulässig ist, und nicht weiter angewandt werden darf.
„Im Übrigen weist der Gerichtshof darauf hin, dass die dieses Monopol betreffende nationale
Regelung, die gegen die Grundfreiheiten der Union verstößt, auch während der Zeit, die
erforderlich ist, um sie mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen, nicht weiter angewandt werden darf."
Quelle: Pressemitteilung Nr: 78/10 des Europäischen Gerichtshofs
Eine Rechtsvorschrift, die einen Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern – sei es auch nur vorübergehend – vom Markt zulässt, könnte nur dann als angemessen betrachtet werden, wenn ein wirksames gerichtliches Verfahren und, falls sich der Ausschluss später als ungerechtfertigt erweisen sollte, Ersatz für den entstandenen Schaden vorgesehen sind. (Rs. C-72/10 und C 77/10 Costa u.a. Rn 81)

Ein Mitgliedstaat begeht einen Verstoß, wenn er die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen nicht erfüllt.

Der Verstoß kann somit in einer Handlung oder einer Unterlassung bestehen. Als Staat einzustehen hat der Mitgliedstaat, der gegen das Unionsrecht verstößt, ungeachtet der staatlichen Stelle, die für die Nichterfüllung verantwortlich ist. 
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Staatshaftung direkt aus Artikel 34 GG
"Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden."

Auch im GlüÄndStV ist erneut keine Schadenersatzpflicht für einen ungerechtfertigten Ausschluß von Marktteilnehmern vorgesehen!
Der BayVGH hat bewiesen, dass die Landesregierung den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts wissentlich mißachtete, obwohl die Staatsregierung die durch den EuGH vorgegebene Rechtslage genau kennt bzw. kennen musste. 

Der BGH hat bereits mit Urteil vom 04.06.2009 - III ZR 144/05 zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch entschieden. (weiter unten)

Es wurde die Rechtswidrigkeit der Monopolregelungen festgestellt, da nicht die behauptete Suchtprävention im Vordergrund stand, sondern die finanziellen Interessen der Länder.
Damit handelte es sich tatsächlich um ein unzulässiges
Finanzmonopol in Form eines Kartells.  weiterlesen 

Nachdem der EuGH die Anwendbarkeit seiner Entscheidungen auf den effet utile 122 stützte, so hat er dieses Begründungsmuster später ergänzt um eine Argumentation, die auf die Treuwidrigkeit des mitgliedstaatlichen Verstosses abstellt.

Die unmittelbare Anwendung der Richtlinie soll verhindern, dass der Mitgliedstaat aus seiner
Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts Nutzen zieht. 123  

122  EuGH  Urt. v 3.12.1974 Rs 41/74  van Duyn, Slg.  1974, 1337ff. (1348, Tz. 12)
123  EuGH, Urt. v. 5.4.1979 Rs. 148/78 Ratti, Slg. 1979, 1629 ff. (1642, Tz.22)


Quelle:  Verwaltungsvertrag und Gesetz: eine vergleichende Untersuchung  ...   von Elke Gurlit (S. 82/122-123) s.a. Normsetzungsautorität und Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts s. S 83ff

EuGH bekräftigt: EU-Recht steht über nationalem Recht

Obgleich das Bonner Grundgesetz sich von allen früheren Verfassungen in Deutschland unterscheidet, indem es nicht nur mittelbar wirken will, sondern unmittelbar durch die Aufnahme der Freiheitsgrundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat und seine Institutionen zugunsten jedes einzelnen Bürgers, sich damit ausdrücklich die Kraft zulegt, selbst ein Gesetz zu sein und zwar ein Gesetz besonderen Ranges und eigener Art, wird sowohl vom Gesetzgeber als auch der vollziehenden Gewalt und Recht sprechenden Gewalt so gehandelt, als ob es die Bindewirkung an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gemäß Art. 1 GG für die Träger öffentlicher Gewalt nicht gäbe.

In Deutschland scheint das Verwaltungsrecht mehr zu zählen als das Grundgesetz und das Unionsrecht.

Zur Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung.
BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04

Zur Bindungswirkung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für innerstaatliche Gerichte; Verhältnis von Grundgesetz und Völkerrecht
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.08.2007 - 9 B 14.07

EU-Binnenmarktkommissar fordert Deutschland zur europarechtskonformen Neuregelung des Glücksspielmarktes auf

VG Berlin verschafft EU Anwendungsvorrang weiterhin Geltung

Rückblick

Nationale Regelungen, die - wie das in Frage stehende Sportwettenmonopol - die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (Art. 43 und 49 EG) beschränken, sind nur unter vier Voraussetzungen zulässig:
  • Sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden,
  • sie müssten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen,
  • sie müssen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein und
  • sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Vgl. dazu: EuGH vom 23.10.1997 - C-189/95 (Lexezius) - Rdnr. 42, Urteil vom 26.10.2006 - C-65/05 - Rdnr. 49 und Urteil vom 05.06.2007 - C-170/04 (Rosengren)-.
Wenn die Zahl der Wirtschaftsteilnehmer beschränkt wird mit dem Ziel, die Gelegenheit zum Glücksspiel zu vermindern, muss die Beschränkung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit in jedem Fall dem Anliegen gerecht werden, die Gelegenheiten zum Spiel wirklich zu vermindern und die Tätigkeiten in diesem Bereich kohärent und systematisch zu begrenzen.
EuGH, Urteil vom 06.03.2007 - C-338/04, C-359/04 und C-360/04 (Plancanica u.a.) - Rdnr. 58. 
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 ist das Glücksspiel-Monopol nur dann zulässig und gesetzeskonform, wenn der Staat die Spielsucht seiner Bürger glaubhaft bekämpft, diese Sucht so weit wie möglich eindämmt und ihr Einhalt gebietet.
(s. EuGH-Generalanwalt Ján Mazák: Schlußanträge vom 20. September 2012)

Mit dem Sportwettenurteil vom 28.03.2006 (1 BvR 1054/01), stellte das BVerfG die Verfassungswidrigkeit der alten Monopolregelung (Staatslotteriegesetz vom 29.4.99) fest und zeigte auf, unter welchen engen Bedingungen ein Monopol überhaupt zulässig wäre. (vgl. 1 BvR 223/05, 1 BvR 2320/00, 1 BvR 928/08, 1 BvR 2410/08, 2 BvR 1496/05)

Das BVerfG wies mit seinen Entscheidungen seit 2005 (1 BvR 223/05) auf die Beachtung des Gemeinschaftsrecht (3) und auf den Nachweis einer Notwendigkeit eines Monopols hin.

Bereits seit 2006 hält die Europäische Kommission die deutschen Regelungen für europarechtswidrig - Einschlägige Maßnahmen müssen jedoch mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, d. h. notwendig, angemessen und nicht diskriminierend sein. Die Europäische Kommission hatte mit mehreren Schreiben in den Jahren 2006, 2007 und 2008 den Glückspielstaatsvertrag abgelehnt und ein Vertragsverletzungsverfahren angedroht. Das Kohärenzerfordernis wurde lange von Deutschland ignoriert. Die Verfassungs- und Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Glücksspielstaatsvertrages wurde bereits in den Jahren 2008 durch eine Vielzahl deutscher Verwaltungsgerichte bestätigt. In div. Gutachten und mehrfach durch die EU-Kommission wurden die Bundesländer auf die Unionsrechtswidrigkeit des Entwurfs 2008 hingewiesen. Nach Überzeugung des Generalanwalts Paolo Mengozzi in der Rs. Markus Stoß u.a. der hierzu auf das Sportwetten-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 verweist, war die damalige Regelung europarechtswidrig, wodurch die Entscheidungen des EUGH absehbar waren.

Ohne die Bedenken auszuräumen und ohne einen belastbaren Nachweis für die Notwendigkeit des Monopols vorzulegen, wurde der GlüStV 2008 durch die Bundesländer verabschiedet.

Neben den sieben EuGH-Verfahren gegen Deutschland wurden durch die EU-Kommission zwei  Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Kernaussagen des EuGH zur Rechtfertigungsprüfung bei der Einschränkung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit.

Der EuGH hat mit seinen Entscheidungen vom 08.09.2010 erneute Verstöße gegen das Sportwettenurteil und damit neben der Unionsrechts- (3) eine Verfassungswidrigkeit festgestellt. Aus meiner Sicht wurde damit die verschuldensunabhängige Staatshaftung ausgelöst. (vgl. Rechtssache T-105/12; Hellenische Republik/Kommission wegen einer Zwangsgeldzahlung)

Rechtsprechung zur Staatshaftung nach Unionsrecht
Wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes
Zum Grundsatz der Staatshaftung
aus dem EuGH-Urteil v. 30.09.2003, Rs. C-224/01 - Köbler / Österreich
30. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass der Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, aus dem Wesen des EG-Vertrags folgt (Urteile vom 19. November 1991 in den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 35, Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 31, vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38, vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 24, vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94 und C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20, vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-127/95, Norbrook Laboratories, Slg. 1998, I-1531, Randnr. 106, und Haim, Randnr. 26).
31. Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass dieser Grundsatz für jeden Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht unabhängig davon gilt, welches mitgliedstaatliche Organ durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen hat (Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 32, vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62, und Haim, Randnr. 27).

Rechtsprechung zur Haftung des Staates

Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht
1991 hat der Gerichtshof in der Rechtssache Francovich den Grundsatz geprägt, wonach „die Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden verpflichtet sind, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, die diesen Staaten zuzurechnen sind“.
Überblick über die Rechtsauffassung des Gerichtshofs   (pdf-download)

EU-Kommission Vertragsverletzungen
Öffentliche Konsultation zum Online-Gücksspiel im Binnenmarkt

OVG Rheinland-Pfalz: Zur verschuldensunabhängigen Haftung

zum Vergleich:
Schadensersatz für Atomausstieg
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Amtshaftung der gesetzlichen Krankenkasse für falsche Leistungszusagen ihrer Mitarbeiter
Urteil des OLG Karlsruhe vom 18.12.2012 (12 U 105/12)
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Allgemeines Verwaltungsrecht - Verfassungsrechtliche Grundlagen
Amtshaftung - gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch
Beiträge zum Europarecht - Vertrauensschutz im europäischen Verwaltungsverfahren

Nichtige oder “Nicht-Entscheidungen” von bundesdeutschen Behörden und Gerichten existieren nicht, sie müssen deshalb deklaratorisch im Wege der Folgenbeseitigung zwecks Rückabwicklung wegen Grundrechteverletzung gemäß Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 3 und 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG aufgehoben werden, ansonsten ist die Bundesrepublik Deutschland kein Rechtsstaat westlicher Prägung. Quelle

von Günter Plath (Richter i.R.)
Das deutsche Kostenrecht folgt insgesamt dem Verursacherprinzip. Das Verursacherprinzip (engl. polluter pays principle) besagt, dass Kosten, die als Folge eines bestimmten Tuns oder Unterlassens entstehen, dem Verursacher zuzurechnen sind.
Mit dem Inkrafttreten des Bonner Grundgesetzes am 23.05.1949 wurden die drei Gewalten gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die Freiheitsgrundrechte als sie unmittelbar geltendes Recht gebunden. Gemäß Art 1 Abs. 2 GG sind die Freiheitsgrundrechte unverletzlichlich.
Von diesem Tage an haben nach dem Verursacherprinzip der Gesetzgeber, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung bei Grundrechteverletzungen im Wege der Folgenbeseitigung durch Rückabwicklung in jedem Fall auch die vollen Kosten des Verfahrens einschließlich der Nebenkosten zu tragen.
Billigkeitserwägungen dürfen keine Rolle spielen, da gemäß Art. 1 Abs. 3 und 2 GG Grundrechteverletzungen verboten sind.    Weiter zum vollständigen Artikel ...

Grundsätzlich dürfte die Nichtigkeit eines Gesetzes auf Grund eines Verstoßes gegen Unionsrecht, wie auch gegen das Grundgesetz wohl die höchste Kategorie eines besonders schwerwiegenden Fehlers darstellen. Das Unionsrecht ist neben dem Grundgesetz die höchste gesetzliche Norm unseres Staates.

Nachdem die Vorgehensweise der landeseigenen Aufsichtsbehörden gegen höheres Recht verstieß und damit rechtswidrig war, wurde mit unzulässigen Maßnahmen in eine zulässige wirtschaftliche Tätigkeit eingegriffen und Schaden verursacht. Die Bundesländer sind deshalb in die Pflicht zu nehmen.

Gerhart Baum Bundesinnenminister a.D.: "...Mich beunruhigt, dass wir heute also Verfassungsverstösse haben von Leuten, die auf die Verfassung vereidigt sind."

Belastbare Nachweise für eine Notwendigkeit eines Glücksspielmonopols wurden bislang nicht vorgelegt (1). Erst kürzlich wurde erneut festgestellt, dass die Landesbehörden nicht unabhängig und neutral sind (vgl. BVerfG (1 BvR 1054/01), Rn 151 f) und die landeseigenen Glücksspielbetriebe nicht ausreichend überwachen (1, 2). Diese Begünstigung ist rechtswidrig.(vgl. u.a. BayVGH, 10 BV 09.2259; BayVGH 10 BV 10.2665 / M 22 K 07.3782)

1) EuGH: Der Staat muss detailliert nachweisen, dass Monopole erforderlich sind und diese streng überwachen. (C-347/09 Dickinger/Ömer Rn 57,  C-212/08 Zeturf Rn 47, 48, 54, Stoß u. a., Rn. 71, 83; Ladbrokes)

2) Zeturf, C-212/08, Rn 58. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, muss eine so restriktive Maßnahme wie die Schaffung eines Monopols mit der Errichtung eines normativen Rahmens einhergehen, mit dem sich gewährleisten lässt, dass der Inhaber des Monopols tatsächlich in der Lage sein wird, das festgelegte Ziel mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieses Ziels quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist und einer strikten behördlichen Kontrolle unterliegt, in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen (Urteil Stoß u. a., Randnr. 83).


3) Das Unionsrecht[Anm 3] grenzt sich vom Völkerrecht (und dem dazu gehörenden Europarecht im weiteren Sinne) insbesondere durch zwei Eigenarten ab, die sein Verhältnis zum nationalen Recht der Mitgliedstaaten betreffen: seine teilweise unmittelbare Anwendbarkeit in den Mitgliedstaaten ohne nationalen Umsetzungsakt und den Vorrang des Unionsrechts vor dem mitgliedstaatlichen Recht. Unionsrecht ist[7] eine supranationale Rechtsordnung eigener Art, die als überstaatliches, aber nicht als gewöhnliches Völkerrecht zu klassifizieren ist. Der korrekte Begriff seit dem Lissabonvertrag ist dementsprechend Unionsrecht, während Gemeinschaftsrecht nur noch historischen Wert hat.  Quelle

Das Völkerrecht, dass gemäß Art. 25 GG dem Bundesrecht im Rang vorgeht, müssen die bundesdeutschen Gerichte entsprechend Art. 20 Abs. 3 GG in jedem Fall berücksichtigen.
Allgemein lässt sich jedoch sagen, dass die innerstaatliche Anwendung von Völkerrecht eigentlich in allen Rechtsordnungen eine bestimmt genug formulierte Norm voraussetzt, die nicht nur an Staaten adressiert ist. Solche Normen werden als self-executing bezeichnet (nach richtiger Auffassung ist dieser Begriff jedoch dem jeweiligen nationalen Recht, nicht dem Völkerrecht zuzuordnen). In Deutschland sind gemäß Art. 25 S. 1 Grundgesetz Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsprinzipien unmittelbar anwendbar und stehen über den Bundesgesetzen.

mehr zur  Rechtsstaatlichkeit im Glücksspielwesen
Glückspielmonopol (GlüStV) unzulässig ! 


Ausserdem verstieß der GlüStV gegen das Zitiergebot Art. 19,1,2, GG einem absoluten Rechtsbefehl der keiner Auslegung zugänglich ist. Nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 muss das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
"Verstöße gegen das Zitiergebot sind zwar nur ein Formfehler, aber mit gravierenden Folgen. Durch diesen wird jedes Gesetz ungültig. Der Gesetzgeber kann diesen Schaden nur durch eine neue Rechtsnorm heilen.” Zitat von Prof. Rupert Scholz
Verkehrsminister Ramsauer hat am 13. April 2010 über alle Nachrichtensendungen verkündet in dem er zum Verkehrsschilder-Chaos wörtlich sagte:  “Die Novelle ist wegen eines Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich verankerte Zitiergebot nichtig.”


Rechtsgutachten

Staatshaftung für Verletzungen der Dienstleistungsfreiheit aufgrund des Sportwetten-Monopols der deutschen Bundesländer 


vgl.:
Staatshaftung für fehlerhafte Aufsicht im Bereich des Kapitalmarkts
Staatshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht gegenüber Bankeinlegern?
Staatshaftung fur fehlerhafte. Banken- und. Versicherungsaufsicht im Europaischen Binnenmarkt. • Nomos Verlagsgesellschaft. Baden-Baden


BMJ: Staatshaftungsrecht; Öffentliches Dienstrecht; Zivildienst- und Wehrrecht


Haftung der Behörde wegen Produktwarnung im Lebensmittelrecht (hier: Teigwaren)
GG Art. 34; BGB §§ 254,823, 824, 839; LMBG §§ 8, 17; Teigwaren-VO § 3; BadWürttPG §§ 1, 3, 5; BadWürttPressG § 4


1. Vor der mit schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbundenen öffentlichen Nennung von Herstellern und Bezeichnung ihrer Produkte als verdorben ist ein besonders hohes Maß an Sorgfalt aufzuwenden, um den Sachverhalt so vollständig wie möglich zu ermitteln und auf diesen das Recht richtig anzuwenden. 


2. Zu den Voraussetzungen eines Schadensersatz- und Entschädigungsanspruchs wegen Amtspflichtverletzung bei einer Produktwarnung (Leitsätze der Redaktion)

OLG Stuttgart, Urt. v 21.3.1990 - 1 U 132/89

Mit ihrer Klage macht die Kl. geltend, durch die Verbreitung der Pressemitteilung in den Medien habe sie erhebliche Umsatzeinbußen erlitten; der dadurch verursachte Schaden betrage 43,2055 Mio. DM. Diesen habe ihr das Land Baden-Württemberg wegen schuldhafter Amtspflichtverletzung und wegen enteignungsgleichen Eingriffs durch in seinem Dienste stehende Amtsträger zu ersetzen. Das LG Stuttgart (NJW 1989, 2257) gab der Klage dem Grunde nach statt. Die Berufung des bekl. Landes blieb ohne Erfolg.

...5. Regierungsvizepräsident Dr. K, der die Herausgabe der Presseerklärung vom 15.08.1985 veranlaßte, trifft ein Verschulden. Erteilt eine Behörde eine Auskunft - und dazu rechnet auch eine Pressemitteilung - , kommt es nicht auf den reinen Wortlaut der Auskunft an, sondern auf den Eindruck, den eine solche zur Veröffentlichung in der Presse bestimmte Auskunft bei den Kreisen hervorruft, an welche sich die Presse wendet (BGHZ 27, 338 (341) = NJW 1959, 35 = LM § 839 (Fi) BGB Nr. 7). Bei der Prüfung, ob und welche Wirkung die Veröffentlichung der Beanstandungen der Produkte der Kl. zusammen mit der wegen Verwendung von Bruteiern und Pharmaeiern beanstandeten Produkte anderer Hersteller und dem Inhalt der Presseerklärung hervorrufen würde, hätte sich Regierungsvizepräsident Dr. K sagen müssen, daß der Durchschnittsverbraucher den ober ausführlich dargestellten Unterschied nicht erkenne würde.
Darüber hinaus hat Regierungspräsident Dr. K fahrlässig gehandelt, indem er am 19.08.1985 beim Interview mit dem SWF, in der Fernsehsendung "heute" des ZDF und in der Landesschau der ARD die Beanstandungen gegenüber Produkten der Kl. aufrecht erhielt, obschon ihm zu diesem Zeitpunkt die Nachträge zu dem oben genannten Gutachten bekann waren.

....III. Die Kl. hat die Entstehung des Schadens nicht i. S. des § 254 I BGB mitverursacht; denn das sie von der bevorstehenden Veröffentlichung der sie betreffenden Beanstandungen keine Kenntnis hatte, konnte sie, wie das LG zutreffend ausgeführt hat, die Amtspflichtverletzung nicht verhindern.

IV. Ob die Klage auch unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs dem Grunde nach gerechtfertigt ist, wie das LG ausgeführt hat, kann offen bleiben, weil Ansprüche auf dieser Grundlage nicht weitergehen als aus Amtspflichtverletzung.

Quelle: NJW 1990, Heft 42, 2690



Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
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BGH-Pressemitteilung: Nr. 170/2012 vom 11.10.2012

Terminhinweis in Sachen III ZR 293/11 für den 25. Oktober 2012

Verhandlungstermin: 25. Oktober 2012

III ZR 293/11

LG Mosbach - Urteil vom 18. März 2011 - 1 O 211/10

OLG Karlsruhe - Urteil vom 15. November 2011 - 12 U 85/11

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus Amtshaftung aufgrund nicht durchgeführter BSE-Tests.

Die Klägerin, ein Mühlenbetrieb, produziert durch ihr ungarisches Tochterunternehmen Vogelfutter. Dieses enthält Rindertalg, den die Klägerin bei der Streithelferin zu 1 und diese wiederum bei der Streithelferin zu 2, einem Schlachthof, bezieht. Bei diesem unterhält das zuständige Veterinäramt eine Fleischhygienestelle, die unter anderem BSE-Tests durchführt. Im Schlachthof wird eine Software benutzt, die die Streithelferin zu 3 programmiert hat. Im Rahmen des Schlachtablaufs gleicht ein Schlachthofmitarbeiter die Ohrmarke der Rinder mit dem Rinderpass ab, scannt den Pass und teilt eine Schlachtnummer zu. Die hierbei eingesetzte Software verarbeitet die zuvor eingescannten Daten des Passes, teilt die Tiere Altersklassen zu und markiert die testpflichtigen Tiere mit "T". Die eingescannten Daten einschließlich des Geburtsdatums und der Altersklasse werden auf einen Bildschirm in die Fleischhygienestelle übertragen und dort von einem Veterinär eingesehen. Dieser stellt sodann die testpflichtigen Tiere fest und gibt Anweisung zur Entnahme einer Probe. Die Proben werden danach von dem Veterinär mit einem Barcode versehen und an ein Untersuchungslabor geschickt. Dieses wertet die Proben aus und gibt das Ergebnis an die bundesweite sogenannte HIT-Datei (Herkunftssicherungs- und Informationssystem Tiere) weiter. Bei dieser werden die vom Labor übermittelten Untersuchungsergebnisse mit den vom Schlachthof gelieferten Daten zusammengeführt und überprüft, ob Proben in ausreichendem Umfang entnommen wurden. 

Bis zum 31. Dezember 2008 mussten nach der Verordnung zur fleischhygienerechtlichen Untersuchung von geschlachteten Rindern auf BSE (BSE-Untersuchungsverordnung) solche Tiere auf BSE kontrolliert werden, die zum Zeitpunkt der Schlachtung über 30 Monate alt waren. Ab 1. Januar 2009 bestand die Testpflicht für im Inland geborene und gehaltene Rinder nur noch, wenn sie älter als 48 Monate waren. In der Zeit vom 12. bis 21. Januar 2009 schlachtete die Streithelferin zu 2 unter anderem sieben Rinder, die älter als 48 Monate waren. Aufgrund eines Systemfehlers, der auftrat, weil  die Geburtsdaten dieser Tiere per Hand eingegeben worden waren, wurden die Rinder der Altersklasse 3 zugeordnet und daher nicht mit "T" markiert. Obwohl eine Testpflicht auf BSE bestand, ordnete der Veterinär eine Probeentnahme nicht an. Das Veterinäramt erteilte Negativtestate und hob die Beschlagnahme der Tiere auf. Den aus den Schlachtungen - pro Tag ca. 200 - stammenden Rindertalg lieferte die Streithelferin zu 2 an die Streithelferin zu 1 und diese auf Veranlassung der Klägerin an deren Tochterfirma, die ihn unter Verwendung weiterer Zutaten zumindest teilweise zu Meisenknödeln verarbeitete. Nachdem der Fehler bei der Altersklassenzuordnung festgestellt worden war, mussten 98 Tonnen Meisenknödel vernichtet werden. 

Die Klägerin hat das beklagte Land auf Schadensersatz aus Amtshaftung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die auf Zahlung von mehr als 100.000 € gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Das Oberlandesgericht ist davon ausgegangen, dass die für das beklagte Land tätigen Bediensteten des Veterinäramts zwar fahrlässig ihre Amtspflichten bei der Auswahl der auf BSE zu testenden Rinder verletzt und dadurch das Fleisch sowie die sonstigen Nebenprodukte der geschlachteten Tiere freigegeben hätten, obwohl die aufgrund des Alters vorgeschriebenen Laboruntersuchungen nicht vorgenommen worden seien. Es habe sich insoweit jedoch nicht um Pflichten gehandelt, die der Klägerin gegenüber bestanden hätten. Die im Zusammenhang mit der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von BSE-Tests bestehenden Amtspflichten dienten in erster Linie dem Gesundheitsschutz von Mensch und Tier. Zwar sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass drittgerichtete Amtspflichten auch im Verhältnis zu den Unternehmern bestehen könnten, die die Schlachtungen selbst durchführten. Es sei aber nicht gerechtfertigt, die Schutzrichtung der Amtspflichten auch auf Unternehmer auszuweiten, die mit den Tierprodukten lediglich als Weiterverarbeiter oder Händler in Berührung kämen. 

Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin.

*§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB

Haftung bei Amtspflichtverletzung

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

** Art. 34 Satz 1 GG

Haftung bei Amtspflichtverletzung

Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.

Pressestelle des Bundesgerichtshofs
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Bundesgerichtshof

Mitteilung der Pressestelle


Nr. 188/2012
Zur Amtshaftung aufgrund nicht durchgeführter
BSE-Tests an Rindern in einem Schlachthof

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass die den Veterinärbehörden im Zusammenhang mit der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung von BSE-Tests an Rindern in einem Schlachthof obliegenden Amtspflichten grundsätzlich keine drittgerichtete Schutzwirkung zugunsten der Unternehmen entfalten, die vom Schlachthof - oder einem "Zwischenlieferanten" - Schlachtprodukte kaufen, um diese weiter zu veräußern oder zu verarbeiten. Soweit die Veterinärbehörde allerdings einen Abnehmer über das Ergebnis ihrer Untersuchung unterrichtet und die bereits bei diesem befindliche, bis zum Vorliegen des Untersuchungsergebnisses sichergestellte Ware freigibt, schafft sie dadurch einen unmittelbaren Vertrauenstatbestand für die ordnungsgemäße Durchführung der BSE-Tests und haftet dem Abnehmer auf Ersatz seines Vertrauensschaden.
Die Klägerin im Verfahren III ZR 151/12 betreibt eine Fettschmelze. Dazu bezieht sie Schlachtfette von einem Schlachthof und verarbeitet diese weiter. Im Schlachthof unterhält das Veterinäramt eine Fleischhygienestelle, die unter anderem BSE-Tests durchführt. Solche waren ab 1. Januar 2009 für im Inland geborene und gehaltene Rinder vorgeschrieben, soweit diese älter als 48 Monate waren. In der Zeit vom 12. bis 21. Januar 2009 wurden im Schlachthof unter anderem sieben Rinder geschlachtet, die altersgemäß auf BSE hätten untersucht werden müssen, versehentlich aber nicht untersucht wurden. Das aus den Schlachtungen der jeweiligen Tage stammende Rohfett lieferte der Schlachthof an die Klägerin auf Sicherungsschein, d.h. zur Verwahrung bis zur Aufhebung der Beschlagnahme. Zwischen dem 12./13. und 21./22. Januar 2009 erstellten das Veterinäramt im Rahmen sogenannter Begleitscheine fünf Ergebnismitteilungen, wonach die durchgeführten Untersuchungen auf BSE negativ verlaufen seien und die Beschlagnahme der bereits an die Klägerin ausgelieferten Rohware aufgehoben werde. Hierüber informierte das Veterinäramt auch die Klägerin. Die Klägerin verarbeitete das Rohfett und verkaufte es teilweise weiter, so unter anderem an die Klägerin im Verfahren III ZR 293/11. Nachdem der Fehler festgestellt worden war, mussten die Fettprodukte vernichtet werden.
Die Klagen auf Schadensersatz - die Klägerin im Verfahren III ZR 151/12 hat neben eigenen Schäden auch Schäden anderer Abnehmer aus abgetretenem Recht geltend gemacht - haben in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Der III. Zivilsenat hat die Revision der Klägerin im Verfahren III ZR 293/11 zurückgewiesen. Im Verfahren III ZR 151/12 hat der III. Zivilsenat unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Berufungsurteil, soweit die dortige Klägerin eigene Schäden geltend gemacht hat, aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen:
Zur Begründung hat der III. Zivilsenat ausgeführt, dass Amtshaftungsansprüche nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB*, Art. 34 Satz 1 GG** die Verletzung einer gerade einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht voraussetzen. Die rechtlichen Bestimmungen über die Durchführung von BSE-Tests dienen aber dem Gesundheitsschutz; ihnen lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die hier betroffenen wirtschaftlichen Interessen der Klägerinnen geschützt werden sollen.
Zwar sind nach der Rechtsprechung des Senats die bei der Durchführung einer BSE-Untersuchung bestehenden Amtspflichten im Verhältnis zum betroffenen Schlachtbetrieb drittbezogen und kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, wenn ein Schlachthofbetreiber durch Fehler der zuständigen Behörden unmittelbar an der (gewinnbringenden) Verwertung seines Eigentums gehindert wird.
Im vorliegenden Fall ist Streitgegenstand aber der Schaden von in der weiteren Abnehmer- und Verarbeitungskette stehenden Unternehmen. Insoweit besteht grundsätzlich keine Drittwirkung; die einschlägigen Amtspflichten schützen nicht die individuellen Vermögensinteressen dieser Gruppe am Absatz von Tierprodukten zum Zwecke der Gewinnerzielung.
Die Haftung des Staates würde ansonsten - obwohl drittbezogen nur Amtspflichten sind, bei denen in qualifizierter und zugleich individualisierbarer Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist - konturlos und wäre letztlich nur noch eine Frage der Kausalität. Allein der Umstand, dass jemand durch eine Amtspflichtverletzung kausal geschädigt wird, genügt aber nicht, um ihn als Dritten anzusehen. Insbesondere bei denjenigen, die in ihren eigenen Interessen erst als Folge ihrer schuldrechtlichen Beziehungen zu den unmittelbar von der Ausübung der Amtspflicht betroffenen Personen und Unternehmen berührt werden, kann regelmäßig keine Drittwirkung zuerkannt werden; denn grundsätzlich hat es der geschützte Dritte nicht in der Hand, durch den Abschluss von Verträgen den Schutzbereich der ihm gegenüber obliegenden Amtspflichten auf den Vertragspartner zu erstrecken. Auch wären vorliegend die potentiellen Schäden und die damit verbundenen Haftungsrisiken kaum absehbar und ausufernd, da die Verarbeitung selbst geringer Mengen von verkehrsunfähigen Fleischbestandteilen oder Nebenprodukten dazu führen kann, dass große Mengen der mit Hilfe dieser Stoffe hergestellten End- oder Fertigprodukte unbrauchbar werden.
Die Freigabe des Schlachtfleisches stellt nicht generell eine geschützte Verlässlichkeitsgrundlage für wirtschaftliche Dispositionen dar. Insoweit stellt sich die Situation allerdings bei der Klägerin im Verfahren III ZR 151/12 anders dar. Die Auslegung der in den Begleitscheinen enthaltenen Ergebnismitteilungen ergibt, dass die hiervon erfassten Rohfettlieferungen von Rindern stammen, bei deren Schlachtung die Vorgaben der BSE-Verordnung eingehalten worden sind. Die Klägerin, bei der sich zum Zeitpunkt der Mitteilungen die fraglichen Rohfette tatsächlich befunden haben und aufgrund der ausgesprochenen vorläufigen Sicherstellungen auch nur befinden durften, konnte als Adressat dieser Mitteilungen auf deren Richtigkeit vertrauen und entsprechend wirtschaftlich disponieren; insoweit ist sie auch als geschützte Dritte im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen.
Urteile vom 8. November 2012 - III ZR 293/11 und III ZR 151/12
LG Mosbach - Urteile vom 18. März 2011 - 1 O 211/10 und vom 19. August 2011 - 1 O 15/11
OLG Karlsruhe - Urteile vom 15. November 2011 - 12 U 85/11 und vom 3. Mai 2012 - 12 U 149/11
*§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB
Haftung bei Amtspflichtverletzung
(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
** Art. 34 Satz 1 GG
Haftung bei Amtspflichtverletzung
Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht.
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Quelle: Pressemitteilung Nr. 188/12 vom 8.11.2012
 
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