Mittwoch, 29. August 2018

Glückspielverwaltungsrecht ist nicht gleich Glücksspielstrafrecht

Ein Artikel von Prof. Dr. Marc Liesching 
Die Bundesländer klammern sich an die in der Glücksspielregulierung und -praxis verbliebene, letzte ertragreiche Bastion des Lotteriemonopols. Freilich geht es gerade in diesem Glückspielbereich kaum um Spielsuchtprävention, sondern eher um die Sicherung der Millionengewinne der staatlichen Lotterien. Mit entsprechender Vehemenz geht die staatliche Glücksspielaufsicht der profitierenden Bundesländer gegen unliebsame Glücksspielanbieter im Ausland vor, welche unter EU-Lizenz Wetten auf den Ausgang von Lottoziehungen anbieten. Flankiert werden die Bemühungen zunehmend durch Aussagen von Anwälten und anderen Interessenvertretern der staatlichen Lotterien, dass selbst Teilnahme an und Gewinn bei EU-ausländischen Glücksspielangeboten „beim Staatsanwalt landen“ müssten. Bei allem Verständnis für interessengesteuerte strategische Kommunikation bedarf es eines Abgleichs solcher Aussagen mit den Gegebenheiten und Grundlagen des Glücksspielstrafrechts – auch um Irreführung und Kreditgefährdung zu vermeiden.
Ungeachtet der Irrungen und Wirrungen des deutschen Glückspielrechts mit heterogenen Regulierungsintentionen der Bundesländer und kaum zu überblickender Judikatur zur Unions- und Verfassungsrechtskonformität zeigen die letzten 20 Jahre jedenfalls mit Gewissheit: Sowohl in der Anwendungspraxis als auch hinsichtlich der Auslegungsanforderungen könnten Glücksspielverwaltungsrecht einerseits und Glücksspielstrafrecht andererseits kaum divergenter sein.
1. Dies findet seine Ursache nicht einmal zuerst in gescheiterten Konzessionsverfahren – insbesondere im Sportwettenbereich oder in landesrechtlichen Sonderwegen wie dem schleswig-holsteinischen Glücksspielrecht, sondern zunächst in der Rechtsprechung des EuGH. Hiernach ist eine strafrechtliche Sanktionierung zum Schutze eines Betriebsmonopols für Glücksspiele durch nationale Strafvorschriften unzulässig, wenn dieses Betriebsmonopol – etwa mangels Kohärenz und Systematik – seinerseits nicht mit Europarecht vereinbar ist.
Solange deutsche Verwaltungsgerichte in aktuellen Entscheidungen das deutsche Lotteriemonopol wegen Verstoßes gegen Unionsrecht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten für unanwendbar halten (vgl. VG München, Urt. v. 25.7.2017 – M 16 K 12.1915 unter Verweis auf HessVGH, Beschl. v. 29.5.2017 – 8 B 2744/16), kommt schon deshalb eine Strafbarkeit EU-ausländischer Glücksspielanbieter in Bezug auf Lottoangebote nicht in Betracht.
2. Von den nach dem Staatsanwalt rufenden Staatsmonopolisten und ihren Interessenvertretern kaum in den Blick genommen worden sind zudem die tatbestandlichen Anforderungen an eine Strafbarkeit nach § 284 Abs. 1 StGB, welche namentlich eine „Veranstaltung“ eines Glücksspiels „ohne behördliche Erlaubnis“ voraussetzen. Ist schon angesichts der BGH-Rechtsprechung zum Erfolgsort nach § 9 StGB bei abstrakten Gefährdungsdelikten fraglich, ob im EU-Ausland handelnde Online-Glücksspielanbieter überhaupt in Deutschland „veranstalten“ und deutschem Strafrecht unterfallen, so ist mit Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG zur Kenntnis zu nehmen, dass der Tatbestand nicht das Fehlen einer „inländischen“ behördlichen Erlaubnis, sondern generell eine Absenz einer behördlichen Lizenz voraussetzt. Mag in diesem Zusammenhang auch als geklärt angesehen werden, dass nach dem Glücksspielverwaltungsrecht (insbesondere § 4 Abs. 1 und 4 GlüStV) eine inländische Erlaubnis erforderlich ist, so kommt man im Glücksspielstrafrecht an den erhöhten Anforderungen des Bestimmtheitsgebotes nicht vorbei.
Dies umso mehr, als das deutsche Strafgesetzbuch die Zulänglichkeit von EU-behördlichen Erlaubnissen anderweit ausdrücklich normiert. Beispielsweise sieht das Umweltstrafrecht gerade eine weitgehende Gleichstellung EU-ausländischer Genehmigungen mit deutschen behördlichen Genehmigungen in § 330d Abs. 2 StGB vor. Selbst soweit die Gleichstellung bestimmte Tatbestände wie §§ 324, 325 a und 329 StGB nach dem Wortlaut nicht erfasst, wird überwiegend davon ausgegangen, dass auch ausländische Gestattungsakte (und zwar auch solche von Nicht-EU-Staaten) ein unbefugtes Handeln im strafrechtlichen Sinne ausschließen.
Aus den Gesetzesmaterialien zum Glücksspielstrafrecht der §§ 284-287 StGB ergeben sich keine Hinweise darauf, ob behördliche Genehmigungen anderer EU-Mitgliedstaaten die Strafbarkeit ausschließen sollen oder nicht.
Geht man aufgrund der Weite der Formulierung „ohne behördliche Erlaubnis“ davon aus, dass eine Unklarheit darüber besteht, ob es insoweit auf eine Erlaubnis einer Behörde eines Bundeslandes (z.B. Schleswig-Holstein) für das Landesgebiet, auf eine bundesweit geltende behördliche Erlaubnis oder auf eine von einer Behörde eines EU-Mitgliedstaates erteilte Lizenz ankommt, so verlangt das BVerfG im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG „ein gefestigtes Verständnis eines Tatbestandsmerkmals“, das namentlich durch eine gefestigte Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung gewährleistet (BVerfGE 26, 41, 43 = NJW 1969, 1759; BVerfGE 45, 363, 371 f. = NJW 1977, 1815). Eine solche gefestigte Rechtsprechung ist aber in Bezug auf die Anforderungen an die „behördliche Erlaubnis“ gerade nicht ersichtlich. Insbesondere die strafgerichtliche Rechtsprechung geht z.T. davon aus, dass jedenfalls im Falle der Europarechtswidrigkeit des nationalen deutschen Glücksspielmonopols eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilte Glücksspiellizenz ihre Wirksamkeit auch auf deutschem Gebiet entfaltet und somit die Tätigkeit nicht „ohne behördliche Erlaubnis“ im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB erfolgt (vgl. OLG München NJW 2006, 3588, 3592; OLG München NJW 2008, 3151, 3152 f. u.a. unter Verweis auf die Rspr. des 4. Strafsenat des BGH NJW 2007, 3078, 3081 Rn. 22).
Im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG und der vom BVerfG für die strafgerichtliche Auslegung zu berücksichtigenden Grundsätze darf daher keine extensive Tatbestandserweiterung erfolgen, indem das negative Tatbestandsmerkmal „ohne behördliche Erlaubnis“ über den Wortlaut hinaus auf „innerdeutsche“ behördliche Erlaubnisse beschränkt wird. Dies wäre nach dem BVerfG allenfalls dann im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG verfassungskonform, wenn die Rechtsprechung nach dem Präzisierungsgebot (BVerfG NJW 2010, 3209, 3211) auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm geschaffen hätte. Dies ist in Bezug auf die strafgerichtliche Auslegung des Merkmals „ohne behördliche Erlaubnis“ schon deshalb nicht der Fall, da – wie dargelegt – strafrechtliche Obergerichte EU-Lizenzen zum Teil als hinreichend erachtet und eine Strafbarkeit verneint haben.
So erklärt sich, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden bislang nahezu keine Strafverfahren gegen Glücksspielanbieter mit EU-Lizenz eröffnet haben. Dies gilt auch für solche Online-Anbieter, die mit Lizenz der Behörde eines EU-Mitgliedstaates Wetten auf den Ausgang von Lotterieziehungen anbieten.
3. Ebenso fragwürdig ist die von Interessenvertretern der Staatsmonopolisten geäußerte Behauptung einer vermeintlich klar gegebenen Strafbarkeit von Teilnehmern an Lotto-Glücksspielen unter EU-Lizenz. Teilweise ist von einer Beteiligung am Glücksspiel nach § 285 StGB, teilweise von einer „Geldwäsche“ im Falle einer Gewinnauszahlung die Rede, welche den Staatsanwalt auf den Plan zu rufen geeignet sei.
Auch dies entbehrt in Ansehung der geschilderten Gegebenheiten im Glücksspielstrafrecht jeder Grundlage. Denn die Geldwäsche nach § 261 StGB erfordert eine rechtswidrige Bezugstat. Hierfür sind Verstöße gegen das Glücksspielverwaltungsrecht nicht ausreichend. Es bedarf wiederum eines Vergehens des § 284 Abs. 1 StGB, das aus den geschilderten Gründen von EU-lizenzierten Anbietern de lege lata nicht verwirklicht wird.
4. Je stärker sich Staatsmonopolisten und ihre Interessenvertreter in öffentlichen Äußerungen hierüber hinwegsetzen und je stärker durch ihre öffentliche Aussagen der Eindruck erweckt wird, Online-Lotto-Anbieter unter EU-Lizenz seien „eindeutig“ Straftäter und würden sich – ebenso wie gewinnende Spielteilnehmer – auch der Geldwäsche schuldig machen, umso eher könnten betroffene Anbieter in Erwägung ziehen, ihre hieraus entstehenden Vermögensschäden mit Blick auf Schadensersatzforderungen z.B. bei Vorliegen einer Kreditgefährdung i.S.d. § 824 BGB zu dokumentieren.


Montag, 13. August 2018

BFH - Berliner Spielgerätesteuer ist verfassungsgemäß

BUNDESFINANZHOF  Urteil vom 25.4.2018, II R 43/15
ECLI:DE:BFH:2018:U.250418.IIR43.15.0

Vergnügungsteuersatz von 20 % des Einspielergebnisses in Berlin verfassungsgemäß

Leitsätze

Der in Berlin für Spielautomaten mit Geldgewinnmöglichkeit seit Januar 2011 geltende Steuersatz von 20 % des Einspielergebnisses ist verfassungsgemäß.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. Juli 2015  6 K 6071/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand
    
I.

1    
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb im Januar und Februar 2011 in Berlin Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit in Spielhallen i.S. des § 33i der Gewerbeordnung (GewO). Sie meldete die Vergnügungsteuer für diese Spielautomaten gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 des Berliner Vergnügungsteuergesetzes (VgStG) vom 20. Oktober 2009 (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin --GVBl Bln-- 2009, 479) mit dem für das Jahr 2010 geltenden Steuersatz von 11 % des Einspielergebnisses an.

2
Das seinerzeit zuständige Finanzamt setzte die Steuer demgegenüber ausgehend von einem Steuersatz von 20 % (§ 5 Abs. 1 Satz 1 VgStG in der für Besteuerungszeiträume ab 2011 geltenden Fassung des Gesetzes vom 15. Dezember 2010, GVBl Bln 2010, 559) für Januar 2011 mit Bescheid vom 22. Februar 2011 auf 250.539,66 EUR und für Februar 2011 mit Bescheid vom 21. März 2011 auf 275.050,02 EUR fest. Die Einsprüche blieben erfolglos.

3    
Das Finanzgericht (FG) wies die auf Anwendung eines Steuersatzes von 11 % gerichtete Klage mit der Begründung ab, die für Besteuerungszeiträume ab 2011 vorgenommene Erhöhung des Steuersatzes auf 20 % sei verfassungsgemäß. Die Gesetzgebungskompetenz ergebe sich aus Art. 105 Abs. 2a Satz 1 des Grundgesetzes (GG). Es handle sich um eine örtliche Aufwandsteuer i.S. dieser Vorschrift. Die Erhöhung des Steuersatzes verstoße weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) noch gegen die Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG). Die Steuer habe auf die Spieler überwälzt werden können. Die Zahl der Spielhallenstandorte und der Spielautomaten in Spielhallen habe sich in den Jahren 2011 bis 2013 nur geringfügig vermindert. Das gesamte Steueraufkommen aus Geldspielautomaten in Spielhallen und an sonstigen Aufstellorten (insbesondere Gaststätten) habe in den Jahren 2009 ca. 12,3 Mio. EUR und 2010 ca. 17,2 Mio. EUR betragen und sich in den folgenden Jahren auf 28,7 Mio. EUR (2011), 36,8 Mio. EUR (2012), 39,3 Mio. EUR (2013) und 39,9 Mio. EUR (2014) erhöht. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2015, 1843 veröffentlicht.

4    
Mit der Revision hält die Klägerin an ihrer Auffassung fest, die Steuer sei nach einem Steuersatz von 11 % festzusetzen. Die ab Januar 2011 vorgenommene Erhöhung des Steuersatzes auf 20 % sei verfassungswidrig.

5    
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, die Vergnügungsteuer für Januar 2011 unter Änderung des Bescheids vom 22. Februar 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2012 auf 137.796,81 EUR und die Vergnügungsteuer für Februar 2011 unter Änderung des Bescheids vom 21. März 2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Januar 2012 auf 151.277,51 EUR festzusetzen.

6    
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das inzwischen zuständig gewordene Finanzamt) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe
    
II.

7    
Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht angenommen, dass die angefochtenen Steuerfestsetzungen rechtmäßig sind.

8    
1. Das Land Berlin erhebt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 VgStG eine Vergnügungsteuer u.a. auf den Aufwand für die Benutzung von Spielautomaten mit Geld- oder Warengewinnmöglichkeit gegen Entgelt in Spielhallen und ähnlichen Unternehmen i.S. des § 33i GewO. Spielautomaten mit Geld- oder Warengewinnmöglichkeit sind gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VgStG Spielgeräte i.S. von § 33c Abs. 1 Satz 1 GewO. Die Steuer schuldet nach § 2 Abs. 1 VgStG das Unternehmen, das die Spielautomaten öffentlich zur Benutzung gegen Entgelt aufstellt. Besteuerungszeitraum für die Vergnügungsteuer ist gemäß § 4 VgStG der Kalendermonat.

9    
Die Steuer für den in § 1 Abs. 1 VgStG bezeichneten Aufwand beträgt je Spielautomat und angefangenen Kalendermonat für Spielautomaten mit manipulationssicherem Zählwerk (§ 5 Abs. 1 Satz 2 VgStG) mit Geldgewinnmöglichkeit nach § 5 Abs. 1 Satz 1 VgStG in der für Besteuerungszeiträume ab dem Jahr 2011 geltenden Fassung 20 % des Einspielergebnisses. Einspielergebnis ist gemäß § 5 Abs. 3 VgStG der Betrag der elektronisch gezählten Bruttokasse. Diese errechnet sich aus der elektronisch gezählten Kasse zuzüglich Röhrenentnahme, abzüglich Röhrenauffüllung, Falschgeld, Prüftestgeld und Fehlgeld.

10
2. Die Vergnügungsteuer für Spielautomaten mit manipulationssicherem Zählwerk mit Geldgewinnmöglichkeit war in den Besteuerungszeiträumen Januar und Februar 2011 mit dem dafür bestimmten Steuersatz von 20 % des Einspielergebnisses sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach verfassungsgemäß.

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a) Die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers für das Vergnügungsteuergesetz ergibt sich aus Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG. Bei der Vergnügungsteuer handelt es sich dem Typus nach um eine örtliche Aufwandsteuer i.S. dieser Vorschrift.

12
aa) Nach Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Die örtliche Vergnügungsteuer gehört zu den herkömmlichen örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 4. Februar 2009  1 BvL 8/05, BVerfGE 123, 1, unter C.I.1.a).

13
Die Vergnügungsteuer knüpft an die gewerbliche Veranstaltung von Automatenspielen an. Steuerschuldner ist das Unternehmen, das die Spielautomaten öffentlich zur Benutzung gegen Entgelt aufstellt und somit das Vergnügen veranstaltet. Eigentliches Steuergut ist gleichwohl der Vergnügungsaufwand des einzelnen Spielers, weil die Steuer darauf abzielt, die mit der Einkommens- und Vermögensverwendung für das Vergnügen zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu belasten (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Dezember 2011 II R 51/10, BFH/NV 2012, 790, Rz 39).

14    
bb) Aufwandsteuern sind wie die Verbrauchsteuern im Regelfall indirekte Steuern, bei denen Steuerschuldner und Steuerträger  --d.h. die (natürliche oder juristische) Person, die die Steuerlast im wirtschaftlichen Ergebnis trägt-- nicht identisch sind. Vielmehr ist die Steuer auf Abwälzung auf den Steuerträger angelegt, mit der Folge, dass die Unternehmer als Steuerschuldner von der Steuerlast wirtschaftlich ent- und die privaten Steuerträger wirtschaftlich belastet werden. Die Aufwandsteuern sollen wie die Verbrauchsteuern die in der privaten Einkommens- und Vermögensverwendung zu Tage tretende steuerliche Leistungsfähigkeit des Endverbrauchers abschöpfen (BVerfG-Beschluss vom 13. April 2017  2 BvL 6/13, BVerfGE 145, 171, Rz 118 f., m.w.N.).

15
cc) Es entspricht dem herkömmlichen Bild der Vergnügungsteuer, dass sie nicht bei dem Nutzer der Einrichtung oder Veranstaltung, dessen Aufwand besteuert werden soll, sondern beim Einrichtungsbetreiber oder Veranstalter als indirekte Steuer erhoben wird (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 29. Juni 2017  9 C 7.16, BVerwGE 159, 216, Rz 15, m.w.N.). Dies gilt auch für eine Spielgerätesteuer, deren herkömmlichem Bild es entspricht, dass sie steuertechnisch vom Geräteaufsteller erhoben und sodann auf den Konsumenten als Steuerträger überwälzt wird (BVerfG-Kammerbeschluss vom 1. März 1997  2 BvR 1599/89, juris, unter B.II.1.a, m.w.N.). Die Steuer ist somit auf eine Überwälzbarkeit der Steuerlast vom Steuerschuldner auf den Steuerträger "angelegt". Dadurch unterscheidet sich die Vergnügungsteuer maßgeblich von der Kernbrennstoffsteuer, die als Bundessteuer neu eingeführt worden war und vom BVerfG mit Beschluss in BVerfGE 145, 171, für verfassungswidrig erklärt wurde, weil sie in mehrfacher Hinsicht nicht dem Typus einer Verbrauchsteuer i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 2 GG entsprach (Rz 134 ff. des Beschlusses).

16
dd) Nach Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG dürfen örtliche Aufwandsteuern bundesgesetzlich geregelten Steuern nicht gleichartig sein. Dieses Gleichartigkeitsverbot erfasst jedoch nicht die herkömmlichen örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, selbst wenn diese dieselbe Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ausschöpfen wie Bundessteuern. Andernfalls wären die Länder an der Regelung solcher Steuern schon im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung gehindert; Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG würde deshalb entgegen der erkennbaren Intention des Verfassungsgebers leerlaufen.

17
Die herkömmlichen örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern gelten demnach als nicht mit bundesrechtlich geregelten Steuern gleichartig i.S. des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG (BVerfG-Beschlüsse vom 4. Juni 1975  2 BvL 16/73, BVerfGE 40, 52; vom 4. Juni 1975  2 BvR 824/74, BVerfGE 40, 56; vom 23. März 1977  2 BvR 812/74, BVerfGE 44, 216, und vom 26. Februar 1985  2 BvL 14/84, BVerfGE 69, 174).

18    
Zu diesen herkömmlichen Kommunalsteuern gehört auch die Vergnügungsteuer (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 40, 52, und BVerfGE 40, 56; BVerfG-Kammerbeschluss vom 1. März 1997  2 BvR 1599/89, juris, unter B.II.1.b bb), und zwar auch, wenn ihre Ausgestaltung verändert und fortentwickelt wird (BVerfG-Kammerbeschluss vom 1. März 1997  2 BvR 1599/89, juris, unter B.II.2.). Veränderungen im Maßstab und in der absoluten Höhe berühren den Charakter als herkömmliche Aufwandsteuer danach nicht (Beschluss des Oberverwaltungsgerichts --OVG-- für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Januar 2018  14 A 595/17, juris, Rz 29). Dies gilt insbesondere, wenn der bisherige Steuermaßstab wie etwa der Stückzahlmaßstab bei Gewinnspielgeräten mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr vereinbar ist und daher durch einen anderen Steuermaßstab ersetzt werden muss, der einen bestimmten Vergnügungsaufwand wenigstens wahrscheinlich macht (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 123, 1, unter C.II., und vom 12. Februar 2014  1 BvL 11, 14/10, BVerfGE 135, 238; BVerwG-Urteil vom 13. April 2005  10 C 5.04, BVerwGE 123, 218).

19
ee) Für die Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers nach Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG ist es unerheblich, ob die Steuer in ihrer konkreten Ausgestaltung insbesondere hinsichtlich des Besteuerungsmaßstabs und der Frage ihrer Abwälzbarkeit auf die Spieler den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 123, 1, unter C.I.; BFH-Urteil in BFH/NV 2012, 790, Rz 37, m.w.N.). Die Kompetenznormen des GG enthalten keine Aussage zu diesen materiellen Fragen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 171, Rz 127, m.w.N.; BVerwG-Urteile vom 14. Oktober 2015  9 C 22.14, BVerwGE 153, 116, Rz 11, und in BVerwGE 159, 216, Rz 13, m.w.N.).

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ff) Mit einer örtlichen Aufwandsteuer i.S. des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG dürfen auch Lenkungswirkungen mitverfolgt werden, mag die Lenkung Haupt- oder Nebenzweck sein. Einer zur Steuergesetzgebungskompetenz hinzutretenden Sachkompetenz bedarf es dafür nicht. Erst dann, wenn die steuerliche Lenkung nach Gewicht und Auswirkung einer verbindlichen Verhaltensregel nahekommt, die Finanzierungsfunktion der Steuer also durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt wird, indem der steuerpflichtige Vorgang unmöglich gemacht wird, bietet die Besteuerungskompetenz keine ausreichende Rechtsgrundlage (BVerwG-Urteil vom 15. Oktober 2014  9 C 8.13, BVerwGE 150, 225, Rz 18, 23, m.w.N.).

21
Dies gilt auch für eine Vergnügungsteuer auf Spielautomaten. Mit ihr dürfen Lenkungszwecke, namentlich in Gestalt einer Eindämmung der Spielsucht, verfolgt werden. Der Gesetzgeber darf durch die spezifische Ausgestaltung eines mit Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich zu vereinbarenden Steuermaßstabs für eine Verwirklichung des Lenkungsziels sorgen (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 123, 1, unter C.II.2.b cc, m.w.N.). Er darf den Lenkungszweck der Steuer deutlicher in den Vordergrund rücken und den Finanzierungszweck zurücktreten lassen (BVerfG-Kammerbeschluss vom 1. März 1997  2 BvR 1599/89, juris, unter B.II.2.a).

22
Mit der Erhöhung des Steuersatzes auf 20 % des Einspielergebnisses ab dem Jahr 2011 ist die Finanzierungsfunktion der Steuer nicht durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter verdrängt worden. Eine solche Verdrängung lässt sich weder den Feststellungen des FG entnehmen noch bringt dies die Klägerin substantiiert vor. Dass der steuerpflichtige Vorgang nicht unmöglich gemacht wurde, ergibt sich bereits daraus, dass sich nach den vom FG getroffenen Feststellungen (§ 118 Abs. 2 FGO) in den Jahren 2011 bis 2013 die Zahl der Spielhallenstandorte und der Spielautomaten in Spielhallen nur geringfügig vermindert und das Steueraufkommen deutlich erhöht hat. Der Senat von Berlin beabsichtigte mit der Erhöhung des Steuersatzes auf 20 % des Einspielergebnisses nicht, die Finanzierungsfunktion der Steuer durch eine Verwaltungsfunktion mit Verbotscharakter zu verdrängen, und hat dies tatsächlich auch nicht bewirkt. Er hat vielmehr in der Vorlage zur Beschlussfassung über den Entwurf des Gesetzes vom 15. Dezember 2010 u.a. ausgeführt, durch die Erhöhung des Steuersatzes werde das Aufkommen der Vergnügungsteuer erhöht, ohne dass dies zu einer Übermaßbesteuerung führe und die Ausübung des Berufs des Spielgeräteaufstellers unmöglich gemacht werde (Drucks des Abgeordnetenhauses vom 9. November 2010  16/3616, Vorblatt Teil B. und Begründung).

23
Da die Spielautomatenaufsteller und nicht die Spieler die Steuer schulden, knüpft die Vergnügungsteuer an das Einspielergebnis an und wirkt sich nur mittelbar (durch Abwälzung) auf die Spieler aus. Zur Verfassungswidrigkeit der maßgebenden Vorschriften führt dies nicht.

24    
b) Die in § 5 Abs. 1 Satz 1 VgStG vorgesehene Heranziehung des Einspielergebnisses als Bemessungsgrundlage der Steuer ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Maßstab des Einspielergebnisses weist einen ausreichenden Bezug zu dem Vergnügungsaufwand des einzelnen Spielers auf. Der hohe Aufwand des viel Spielenden schlägt sich in höheren Einspielergebnissen des Aufstellers nieder und führt folglich zu einer entsprechend höheren Besteuerung. Somit korrespondiert das Einspielergebnis mit dem Vergnügungsaufwand der Spieler. Es ist daher als zulässiger Maßstab anerkannt (BVerwG-Urteile in BVerwGE 153, 116, Rz 12, m.w.N., und in BVerwGE 159, 216, Rz 54, m.w.N.).

25    
c) Der in § 5 Abs. 1 Satz 1 VgStG für die Zeit ab dem Jahr 2011 bestimmte Steuersatz von 20 % des Einspielergebnisses ist mit den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 ggf. i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) vereinbar.

26    
aa) Eine am Gleichheitssatz ausgerichtete, gerechte Zuteilung der Steuerlast bei indirekten Aufwandsteuern erfordert, dass die Steuer jedenfalls im Ergebnis von demjenigen aufgebracht wird, der den von der Steuer erfassten Aufwand betreibt. Nur wenn sie dessen hierin zum Ausdruck kommende Leistungsfähigkeit als den eigentlichen Gegenstand der Besteuerung zu erreichen vermag, kann die indirekte Erhebung der Steuer bei einem Dritten wie etwa dem Halter der Spielgeräte vor dem Grundsatz der gerechten Lastenverteilung Bestand haben. Es genügt dabei die kalkulatorische Abwälzbarkeit in dem Sinn, dass der Steuerpflichtige den von ihm zu zahlenden Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzen und hiernach die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen treffen kann (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 123, 1, unter C.II.1.c und C.II.3.; BFH-Urteile in BFH/NV 2012, 790, Rz 60; vom 15. Juli 2015 II R 32/14, BFHE 250, 427, BStBl II 2015, 1031, Rz 34, und vom 15. Juli 2015 II R 33/14, BFHE 250, 449, BStBl II 2016, 126, Rz 33, jeweils m.w.N.). Es ist nicht notwendig, dass die Möglichkeit einer Abwälzung in jedem Einzelfall besteht; auch eine rechtliche Gewähr dafür, dass dem Unternehmer eine Abwälzung tatsächlich gelingt, ist nicht erforderlich (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 171, Rz 124, m.w.N.; BVerwG-Urteil in BVerwGE 153, 116, Rz 33). Die Voraussetzung einer kalkulatorischen Abwälzbarkeit ist zumindest so lange gegeben, wie der Umsatz nicht nur den Steuerbetrag und die sonstigen notwendigen Kosten deckt, sondern in der Regel sogar noch Gewinn abwirft (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 145, 171, Rz 125, m.w.N.).

27    
Die Überwälzung der Steuerlast muss allerdings rechtlich und tatsächlich möglich sein. Ausgeschlossen wäre eine solche Überwälzbarkeit im Fall einer Vergnügungsteuer für Spielautomaten etwa dann, wenn sich der Steuerbetrag zusammen mit den sonstigen notwendigen Kosten für den Betrieb der Geräte nicht mehr aus dem Spielereinsatz decken ließe und daher die Veranstalter zur Zahlung der Steuer ihre Gewinne aus anderen rentablen Betriebssparten verwenden müssten (sogenannte schräge Überwälzung; vgl. BVerwG-Urteile in BVerwGE 153, 116, Rz 34, und in BVerwGE 159, 216, Rz 44, m.w.N.).

28
bb) Ein Eingriff in die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 ggf. i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG) liegt vor, wenn die Steuer ihrer objektiven Gestaltung und Höhe nach es in aller Regel unmöglich macht, den angestrebten Beruf ganz oder teilweise zur wirtschaftlichen Grundlage der Lebensführung zu machen. Einer kommunalen Steuer kommt danach eine erdrosselnde Wirkung zu, wenn mit der Ausübung des in Rede stehenden Berufs in der Gemeinde infolge dieser Steuer nach Abzug der notwendigen Aufwendungen kein angemessener Reingewinn erzielt werden kann. Der Betrachtung ist nicht der einzelne, sondern ein durchschnittlicher Betreiber im Gemeindegebiet zugrunde zu legen. Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet keinen Bestandsschutz für die Fortsetzung einer unwirtschaftlichen Betriebsführung.

29    
cc) Die Frage, ob die Steuer nicht auf die Spieler überwälzt werden kann, sondern erdrosselnd wirkt, muss nicht allein auf der Grundlage betriebswirtschaftlicher und steuerlicher Daten von Unternehmen im Geltungsbereich der maßgebenden Rechtsvorschriften beurteilt werden. Vielmehr kann auch der Entwicklung der Anzahl der entsprechenden Betriebe im Gemeindegebiet und der dort aufgestellten Spielgeräte seit Erlass der Vorschriften indizielle Bedeutung zukommen (BVerwG-Urteil in BVerwGE 153, 116, Rz 20; BVerwG-Beschluss vom 10. August 2017  9 B 68.16, juris, Rz 32; jeweils m.w.N.). Es ist nicht erkennbar, weshalb ein wirtschaftlich denkender Unternehmer Spielgeräte über längere Zeit weiterbetreiben sollte, wenn es ihm wegen der Höhe der zu entrichtenden Vergnügungsteuer nicht möglich wäre, Gewinn zu erzielen (Beschluss des OVG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Januar 2018  14 A 595/17, juris, Rz 40). Für eine erdrosselnde Wirkung spricht eine erkennbare Tendenz zum Absterben der Branche (BVerwG-Urteil in BVerwGE 159, 216, Rz 42).

30
dd) Das Erdrosselungsverbot und das Gebot der kalkulatorischen Überwälzbarkeit haben zwar unterschiedliche Rechtsgrundlagen, führen aber zu einer im Ergebnis identischen Begrenzung der verfassungsrechtlich zulässigen Höhe der Steuer (BVerwG-Urteil in BVerwGE 153, 116, Rz 35).

31
ee) Die Bekämpfung der Spielsucht und weiterer negativer Begleiterscheinungen des Spielbetriebs stellt ein legitimes Ziel für die Berufsfreiheit einschränkende Regelungen dar. Spielsucht kann zu schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen, ihre Familien und die Gemeinschaft führen (BVerfG-Beschluss vom 7. März 2017  1 BvR 1314/12 u.a., BVerfGE 145, 20, Rz 122, 133).

32
Wird mit der Steuererhebung auch ein Lenkungszweck wie etwa die Eindämmung der Wett- oder Spielleidenschaft der Bevölkerung verfolgt, wie es auch bei der Erhöhung des Steuersatzes auf 20 % des Einspielergebnisses der Fall war (Drucks des Abgeordnetenhauses vom 9. November 2010  16/3616, Vorblatt Teil A. und Begründung Allgemeiner Teil), ist Art. 12 Abs. 1 GG selbst dann nicht verletzt, wenn die Steuererhebung nicht geeignet ist, diesen Zweck zu erreichen. Denn die Steuer rechtfertigt sich --unbeschadet eines Lenkungszwecks-- allein schon aus der Absicht, Einnahmen zu erzielen (BVerwG-Urteil in BVerwGE 159, 216, Rz 42).

33
ff) Die Berliner Vergnügungsteuer auf Spielautomaten mit manipulationssicherem Zählwerk (§ 5 Abs. 1 Satz 2 VgStG) mit Geldgewinnmöglichkeit entsprach in den Besteuerungszeiträumen Januar und Februar 2011 diesen Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Sie war auf Überwälzung auf die Spieler angelegt und hatte keine erdrosselnde Wirkung. Dass die Steuer in diesen Zeiträumen nicht kalkulatorisch auf die Spieler überwälzbar gewesen sei, hat weder das FG festgestellt noch bringt dies die Klägerin konkret vor. Eine Tendenz zum Absterben der Branche der Betreiber von Spielgeräten in Berlin war ausweislich der vom FG festgestellten Entwicklung der Zahl der Spielhallenstandorte und der Spielautomaten sowie der ebenfalls festgestellten laufenden deutlichen Erhöhung des Steueraufkommens nicht erkennbar. Unter diesen Umständen begründet es auch keinen Verfassungsverstoß, dass die Erhöhung des Steuersatzes bereits zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist und die Klägerin kurzfristig nicht auf die Erhöhung reagieren konnte. Auf die bei der Klägerin konkret bestehenden Verhältnisse kommt es nicht an. Maßgeblich ist die generelle Möglichkeit, die Steuer kalkulatorisch abzuwälzen. Unerheblich ist, ob die Erhöhung des Steuersatzes geeignet ist, der Spielleidenschaft der Spieler entgegenzuwirken.

34
Ein zur Verfassungswidrigkeit führender additiver Grundrechtseingriff lag im Januar und Februar 2011 nicht vor. Das Spielhallengesetz Berlin vom 20. Mai 2011 (GVBl Bln 2011, 223) muss bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Vergnügungsteuergesetzes in diesen Besteuerungszeiträumen schon deshalb unberücksichtigt bleiben, weil es nach seinem § 10 erst am Tage nach der Verkündung in Kraft getreten ist und zudem in seinem § 8 für bereits bestehende Spielhallen Übergangsbestimmungen vorsieht. Es wirkt somit nicht auf Januar und Februar 2011 zurück. Davon abgesehen lässt sich den vom FG getroffenen Feststellungen zur Entwicklung der Zahl der Spielhallenstandorte und der Spielautomaten sowie des Steueraufkommens nach Inkrafttreten des Spielhallengesetzes entnehmen, dass die Vergnügungsteuer auch in diesem Zeitraum weder eine erdrosselnde Wirkung hatte noch ihre kalkulatorische Überwälzung auf die Spieler ausgeschlossen war.

35
Ein Steuersatz von 20 % auf das Einspielergebnis von Spielautomaten mit Geldgewinnmöglichkeit wird in der Rechtsprechung soweit ersichtlich allgemein als verfassungsgemäß angesehen (Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 20. Juli 2017  2 S 1671/16, juris, Rz 43, 45; des OVG Lüneburg vom 5. Dezember 2017  9 KN 208/16, juris, Rz 25 ff., und vom 5. Dezember 2017  9 KN 226/16, juris, Rz 53, 70, 82, 92 ff., m.w.N., sowie des Verwaltungsgerichts Neustadt (Weinstraße) vom 6. Dezember 2017  1 K 418/17.NW, juris, Rz 23 ff.).

36
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO, die Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung auf § 90 Abs. 2 FGO.

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BFH zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen

BFH zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen
Beschluss vom 25.4.2018   IX B 21/18


Der Bundesfinanzhof (BFH) zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015. Er hat daher mit Beschluss vom 25. April 2018 IX B 21/18 in einem summarischen Verfahren Aussetzung der Vollziehung (AdV) gewährt. Die Entscheidung ist zu §§ 233a, 238 der Abgabenordnung (AO) ergangen. Danach betragen die Zinsen für jeden Monat einhalb Prozent einer nachzuzahlenden oder zu erstattenden Steuer. Allein bei der steuerlichen Betriebsprüfung vereinnahmte der Fiskus im Bereich der Zinsen nach § 233a AO in den letzten Jahren mehr als 2 Mrd €.

Im Streitfall setzte das Finanzamt (FA) die von den Antragstellern für das Jahr 2009 zu entrichtende Einkommensteuer zunächst auf 159.139 € fest. Im Anschluss an eine Außenprüfung änderte das FA am 13. November 2017 die Einkommensteuerfestsetzung auf 2.143.939 €. Nachzuzahlen war eine Steuer von 1.984.800 €. Das FA verlangte zudem in dem mit der Steuerfestsetzung verbundenen Zinsbescheid für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 Nachzahlungszinsen in Höhe von 240.831 €. Die Antragsteller begehren die AdV des Zinsbescheids, da die Höhe der Zinsen von einhalb Prozent für jeden Monat verfassungswidrig sei. Das FA und das Finanzgericht lehnten dies ab.

Demgegenüber hat der BFH dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang ausgesetzt. Nach dem Beschluss des BFH bestehen im Hinblick auf die Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO. Der BFH begründet dies mit der realitätsfernen Bemessung des Zinssatzes, die den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletze. Der gesetzlich festgelegte Zinssatz überschreite den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität erheblich, da sich im Streitzeitraum ein niedriges Marktzinsniveaus strukturell und nachhaltig verfestigt habe.

Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe bestehe bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht. Auf Grund der auf moderner Datenverarbeitungstechnik gestützten Automation in der Steuerverwaltung könnten Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S. des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht mehr entgegenstehen. Für die Höhe des Zinssatzes fehle es an einer Begründung. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht bestehe darin, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhalte, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen könne. Dieses Ziel sei wegen des strukturellen Niedrigzinsniveaus im typischen Fall für den Streitzeitraum nicht erreichbar und trage damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.

Es bestünden überdies schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Übermaßverbot entspreche. Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirke in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung.

Der Gesetzgeber sei im Übrigen von Verfassungs wegen gehalten zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zu der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelten gesetzlichen Höhe von Nachzahlungszinsen auch bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus aufrechtzuerhalten sei oder die Zinshöhe herabgesetzt werden müsse. Dies habe er selbst auch erkannt, aber gleichwohl bis heute nichts getan, obwohl er vergleichbare Zinsregelungen in der Abgabenordnung und im Handelsgesetzbuch dahin gehend geändert habe.

Bundesfinanzhof
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Quelle


BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 25.4.2018, IX B 21/18
ECLI:DE:BFH:2018:BA.250418.IXB21.18.0


Aussetzung der Vollziehung: Verfassungsmäßigkeit der Höhe von Nachzahlungszinsen i.S. von § 233a i.V.m. § 238 AO - strukturelles und verfestigtes Niedrigzinsniveau

Leitsätze

Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung begegnet die in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO geregelte Höhe von Nachzahlungszinsen von einhalb Prozent für jeden vollen Monat jedenfalls ab dem Verzinsungszeitraum 2015 schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln.

Tenor


Auf die Beschwerde der Antragsteller werden der Beschluss des Finanzgerichts Köln vom 29. Januar 2018  15 V 3279/17 und der ablehnende Bescheid des Antragsgegners vom 19. Dezember 2017 aufgehoben.

Die Vollziehung des Zinsbescheids zur Einkommensteuer 2009 vom 13. November 2017 wird ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung oder anderweitiger Erledigung des Einspruchsverfahrens ausgesetzt.

Die Kosten des gesamten Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Tatbestand
    
I.

1
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) werden als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In ihrem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2009 vom 15. Juni 2011 wurde die Einkommensteuer auf 159.139 EUR festgesetzt. Im Anschluss an eine Außenprüfung erließ der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) unter dem Datum vom 13. November 2017 einen auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) gestützten geänderten Einkommensteuerbescheid für 2009, in dem es unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens erstmals einen Veräußerungsgewinn nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 4.417.740 EUR der Besteuerung zugrunde legte und eine Einkommensteuer in Höhe von 2.143.939 EUR festsetzte. Die Zahllast für die Antragsteller betrug 1.984.800 EUR.

2    
Für die Veranlagungszeiträume 2013 bis 2015 ergingen korrespondierend zugunsten der Antragsteller geänderte Einkommensteuerfestsetzungen, in denen zuvor bei den Einkünften aus Kapitalvermögen angesetzte Einnahmen von 8,8 Mio. EUR im Veranlagungszeitraum 2013, von 800.000 EUR im Veranlagungszeitraum 2014 und von 400.000 EUR im Veranlagungszeitraum 2015 nicht mehr berücksichtigt wurden.

3    
In dem mit der Steuerfestsetzung 2009 verbundenen Zinsbescheid vom 13. November 2017 setzte das FA unter Berücksichtigung der zunächst in den Veranlagungszeiträumen 2013 bis 2015 versteuerten Kapitaleinkünfte Zinsen in Höhe von 240.831 EUR fest.

4    
Diese wurden wie folgt berechnet:

Erstattungszinsen
           
- vom 1. April 2011 bis 16. November 2017
           
39,5 v.H. x 159.100 EUR (abgerundet)    -62.844,50 EUR

Nachzahlungszinsen
           
- vom 1. April 2015 bis 16. November 2017
           
15,5 v.H. x 1.746.250 EUR (abgerundet) =
           
270.668,75 EUR
           
- vom 1. April 2016 bis 16. November 2017
           
9,5 v.H. x 318.150 EUR (abgerundet) =
           
30.224,25 EUR
           
- vom 1. April 2017 bis 16. November 2017
           
3,5 v.H. x 79.500 EUR (abgerundet) =
           
2.782,50 EUR                                       303.675,50 EUR

Summe                                                 240.831,00 EUR
                       
5    
Die Antragsteller legten sowohl gegen den Einkommensteuer- als auch gegen den Zinsbescheid vom 13. November 2017 Einsprüche ein, über die das FA noch nicht entschieden hat. Sie haben dem Ruhen des Einspruchsverfahrens gegen die Zinsfestsetzung wegen eines beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Verfahrens (1 BvR 2237/14) zugestimmt.

6    
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2017 beantragten die Antragsteller die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Zinsbescheids zur Einkommensteuer für 2009. Zur Begründung führten sie insbesondere aus, die Höhe der Zinsen nach § 238 AO von einhalb Prozent für jeden Monat sei verfassungswidrig.

7    
Das FA lehnte die AdV mit Schreiben vom 19. Dezember 2017 ab. Mit ihrem hiergegen gerichteten gerichtlichen Antrag hielten die Antragsteller ihr auf die Zinsen beschränktes Aussetzungsbegehren aufrecht.

8    
Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag ab. Es führte zur Begründung aus, die von den Antragstellern dargelegten verfassungsrechtlichen Zweifel an dem in § 238 AO geregelten Zinssatz geböten keine AdV. Das öffentliche Vollzugsinteresse sowie das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung seien jedenfalls höher zu gewichten als ein mit Verweis auf anhängige Verfahren begründetes Aussetzungsinteresse.

9    
Mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde, der das FG nicht abgeholfen hat, verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter und beantragen,

unter Aufhebung der ablehnenden Entscheidung des Antragsgegners vom 19. Dezember 2017 und des Beschlusses des FG vom 29. Januar 2018 die Vollziehung des Bescheids über die Zinsen zur Einkommensteuer 2009 vom 13. November 2017 auszusetzen,

und, soweit AdV gewährt wird, die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag aufzuheben.

10    
Das FA beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe
    
II.

11    
Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Antragsstattgabe. Die Vollziehung des Zinsbescheids wird ausgesetzt.

12
   
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes u.a. dann ganz oder teilweise auszusetzen, wenn --worüber im vorliegenden Verfahren allein gestritten wird-- ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen.

13
a) Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben den für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. September 2017 IX S 17/17, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2017, 1118, Rz 20, m.w.N.). Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (ständige Rechtsprechung, z.B. BVerfG-Urteil vom 21. Februar 1961  1 BvR 314/60, BVerfGE 12, 180, BStBl I 1961, 63, unter B.II.; BFH-Beschlüsse vom 5. März 2001 IX B 90/00, BFHE 195, 205, BStBl II 2001, 405; vom 22. Dezember 2003 IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367). Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so hat es gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Das dem BVerfG vorbehaltene Verwerfungsmonopol hat zur Folge, dass das Fachgericht Folgerungen aus der (von ihm angenommenen) Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes im Hauptsacheverfahren erst nach deren Feststellung durch das BVerfG ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird (vgl. BVerfG-Beschluss vom 24. Juni 1992  1 BvR 1028/91, BVerfGE 86, 382, unter B.II.2.b; BFH-Beschluss in BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367).

14
b) Einwendungen gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Zinshöhe betreffen die Rechtmäßigkeit der Zinsfestsetzung und sind damit verfahrensrechtlich gegen diese geltend zu machen (z.B. BFH-Beschluss vom 31. Mai 2017 I R 77/15, BFH/NV 2017, 1409, unter II.2.b, m.w.N.).

15
2. Nach diesen Maßstäben ist die AdV in dem von den Antragstellern beantragten Umfang zu gewähren. Die angegriffene Zinshöhe in § 233a AO i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO begegnet durch ihre realitätsferne Bemessung mit Blick auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (s. unter a) und das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Übermaßverbot (s. unter b) für den hier in Rede stehenden Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln.

16
a) Es bestehen schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob die Zinshöhe von einhalb Prozent für jeden Monat (§ 238 Abs. 1 Satz 1 AO) mit dem allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar ist (s.a. Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom 16. Februar 2017, WD 4 - 3000 - 011/17, S. 11, m.w.N.).

17
aa) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Steuergesetze müssen, um für die Massenvorgänge des Wirtschaftslebens praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, regelmäßig typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falles vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die steuerlichen Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen (vgl. z.B. BVerfG-Urteil vom 20. April 2004  1 BvR 1748/99, 1 BvR 905/00, BVerfGE 110, 274; BVerfG-Beschluss vom 15. Januar 2008  1 BvL 2/04, BVerfGE 120, 1, unter C.I.2.a aa). Außerdem darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (vgl. z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 7. Oktober 1969  2 BvR 555/67, BVerfGE 27, 142, und in BVerfGE 120, 1; vom 12. Oktober 2010  1 BvL 12/07, BVerfGE 127, 224; zum Erfordernis der realitätsgerechten Bemessung des steuerlichen Belastungsgrunds s. zuletzt BVerfG-Urteile vom 10. April 2018  1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, juris, unter B.IV.1.c).

18
bb) Der gesetzlich festgelegte Zinssatz gemäß § 238 Abs. 1 Satz 1 AO überschreitet für den hier in Rede stehenden Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 angesichts der zu dieser Zeit bereits eingetretenen strukturellen und nachhaltigen Verfestigung des niedrigen Marktzinsniveaus den angemessenen Rahmen der wirtschaftlichen Realität in erheblichem Maße. Das Niedrigzinsniveau stellt sich jedenfalls für den Streitzeitraum nicht mehr als vorübergehende, volkswirtschaftstypische Erscheinung verbunden mit den typischen zyklischen Zinsschwankungen dar, sondern ist struktureller und nachhaltiger Natur (vgl. Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2014 vom 25. November 2014, S. 8, 13, 30, 38, 39, 56, die bereits von "seit Jahren anhaltender Niedrigzinsphase" spricht). Der Annahme eines verfestigten Niedrigzinsniveaus kann dabei nicht entgegengehalten werden, dass bei Kreditkartenkrediten für private Haushalte Zinssätze von rund 14 v.H. oder bei Girokontenüberziehungen Zinssätze von rund 9 v.H. anfallen (so aber BFH-Urteil vom 9. November 2017 III R 10/16, BFHE 260, 9, Rz 35 f.: "Bandbreite von 0,15 % bis 14,70 %"); denn es handelt sich insoweit um Sonderfaktoren, die nicht als Referenzwerte für ein realitätsgerechtes Leitbild geeignet sind.

19
cc) Eine sachliche Rechtfertigung für die gesetzliche Zinshöhe besteht bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht.

20
(1) Der Gesetzgeber hat bei der Einführung der seit dem Jahr 1961 unveränderten Zinshöhe von einhalb Prozent für jeden Monat durch § 5 Abs. 1 des Steuersäumnisgesetzes vom 13. Juli 1961 (BGBl I 1961, 981, 994 f.) die Typisierung des Zinssatzes mit dem Interesse an Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung begründet (BTDrucks 3/2573, S. 33, zu Art. 11, Allgemeines und wiederholend in BTDrucks 8/1410, S. 13; BTDrucks 11/2157, S. 194). Solche Erwägungen können allerdings für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 angesichts des gänzlich veränderten technischen Umfelds und des Einsatzes moderner Datenverarbeitungstechnik bei einer Anpassung der Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S. des § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) nicht mehr tragend sein (s. bereits BFH-Urteil vom 1. Juli 2014 IX R 31/13, BFHE 246, 193, BStBl II 2014, 925, Rz 16). Dies wird beispielhaft durch Regelungen wie in Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b Doppelbuchst. dd des Kommunalabgabengesetzes Bayern (KAG BY) bestätigt. Diese von der bayerischen Kommunalverwaltung --welche in ihrer Größe kaum an die Finanzverwaltung heranreichen dürfte-- anzuwendende Norm ist durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 11. März 2014 (GVBl, S. 70) mit Wirkung ab dem 1. April 2014 dahingehend geändert worden, dass für den im Anwendungsbereich des KAG BY heranzuziehenden Zinssatz insoweit nicht mehr § 238 Abs. 1 Satz 1 AO maßgebend ist, sondern die Höhe der Zinsen zwei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB jährlich beträgt.

21
Dies belegt, dass die Praktikabilität oder die Verwaltungsvereinfachung nicht mehr einen realitätsfernen Zinssatz rechtfertigen, wenn es bei den Kommunalabgaben eines Bundeslandes für vergleichbare Zinsfestsetzungen möglich ist, einen realitätsgerechteren Zinssatz als Bezugsgröße zu wählen.

22
(2) Für die Höhe des Zinssatzes in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO fehlt es überhaupt an einer nachvollziehbaren Begründung (gleicher Ansicht Seer/Klemke, ifst-Schrift Nr. 490 (2013), 43, 45).

23
(3) Auch der Telos der Verzinsung rechtfertigt die gesetzliche Zinshöhe nicht. Der Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens z.T. abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Nichtentrichtung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht "an sich" dem Steuergläubiger zusteht. Dem Ziel würde Rechnung getragen, wenn für den Steuerpflichtigen zumindest die Möglichkeit besteht, die zu zahlenden Zinsen durch Anlage der nicht gezahlten Steuerbeträge oder durch die Ersparnis von Aufwendungen auch tatsächlich zu erzielen. Diese Möglichkeit war aber wegen der strukturellen Niedrigzinsphase im typischen Fall für den hier in Rede stehenden Zeitraum nahezu ausgeschlossen (vgl. Ortheil, Betriebs-Berater 2015, 675, 676; Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom 16. Februar 2017, WD 4 - 3000 - 011/17, S. 10: "nicht realistisch"). Der Zweck der Verzinsung war für den Streitzeitraum nicht oder kaum erreichbar und trägt damit die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe nicht.

24    
Ebenso erscheint für den Streitzeitraum ein potentieller Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen konnte, angesichts des sehr niedrigen und teilweise sogar negative Zinssätze ausweisenden Refinanzierungsniveaus am Kapitalmarkt nahezu ausgeschlossen.

25    
Eine kurzfristige "Fremdfinanzierung" durch den Fiskus --in Gestalt einer Erhöhung der Neuverschuldung-- ist für den Bund schon seit einigen Jahren praktisch zum "Nulltarif" zu haben. In gleicher Weise würde eine kurzfristige Anlage von seitens des Steuerpflichtigen geschuldeten, haushaltsmäßig aber nicht benötigten Geldforderungen für den Fiskus keinen Zinsertrag erbringen, der eine Zinshöhe von einhalb Prozent für jeden Monat des Zinslaufs rechtfertigen könnte.

26
dd) Anders als das FG meint, ergibt sich eine andere rechtliche Beurteilung nicht aus der regelmäßig zitierten Kammerentscheidung des BVerfG (Beschluss vom 3. September 2009  1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115).

27
(1) Im Streitfall ist die gesetzliche Zinshöhe für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 zu beurteilen. In jener Entscheidung des BVerfG ging es demgegenüber um die Festsetzung von Nachzahlungszinsen für die Zinszahlungszeiträume von 2003 bis 2006, in denen kein strukturell verfestigtes Niedrigzinsniveau eingetreten war.

28
(2) Dem Beschluss des BVerfG lag darüber hinaus eine für Zinsfestsetzungen atypische Sachverhaltskonstellation zugrunde. Die Zinsfestsetzung beruhte auf einer fehlerhaft unterbliebenen Auswertung eines Grundlagenbescheids, die zunächst zu einer erheblichen Steuererstattung führte. Nachdem das Finanzamt die unterlassene Auswertung des Grundlagenbescheids erkannt hatte, erließ es einen geänderten Einkommensteuerbescheid, der zur Rückzahlung der Steuererstattung führte. In jener Fallkonstellation war die unzutreffende Steuerfestsetzung für den betroffenen und zudem fachkundigen Steuerpflichtigen ohne Weiteres erkennbar; die Zinsfestsetzung hätte daher durch einen Hinweis an das Festsetzungsfinanzamt auf die fehlerhaft unterlassene Umsetzung des Grundlagenbescheids vermieden werden können.

29
(3) Wie bereits unter II.2.a cc (1) dargelegt, können angesichts der auf moderner Datenverarbeitung gestützten Automation in der Steuerverwaltung auch Erwägungen wie Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung einer Anpassung der Zinshöhe an den jeweiligen Marktzinssatz oder an den Basiszinssatz i.S. des § 247 BGB nicht mehr entgegenstehen.

30
(4) Auch das Argument, die Vollverzinsung wirke "gleichermaßen zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen" (BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2009, 2115), ist nicht geeignet, die realitätsferne Zinshöhe des § 238 AO zu rechtfertigen. Denn der Zinssatz für Erstattungsansprüche ist mit Blick auf das strukturelle Niedrigzinsniveau während des Streitzeitraums in gleicher Weise als nicht realitätsgerecht anzusehen.

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b) Es bestehen bei der gebotenen summarischen Prüfung überdies schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob der Zinssatz dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Übermaßverbot entspricht.

32    
aa) Die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wirkt in Zeiten eines strukturellen Niedrigzinsniveaus wie ein sanktionierender, rechtsgrundloser Zuschlag auf die Steuerfestsetzung. Die Belastung des Steuerpflichtigen wird im Einzelfall noch dadurch verschärft, dass mit dem Gesetz zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz 1999) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601) die bis dahin geltende zeitliche Begrenzung des Zinslaufs auf maximal vier Jahre (§ 233a Abs. 2 Satz 3 AO a.F., eingeführt durch das Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093, zuletzt i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997 vom 20. Dezember 1996, BGBl I 1996, 2049) aufgehoben worden ist; seitdem gibt es keine gesetzlich bestimmte Höchstdauer für den Zinslauf mehr. Die Abschaffung der Vier-Jahres-Grenze rechtfertigte der Gesetzgeber seinerzeit mit den Erwägungen der Steuergerechtigkeit und der Vereinfachung der Zinsberechnung; Steuerpflichtige sollten die relative Zinsbelastung nicht mehr durch Verzögerungen des Ablaufs einer Außenprüfung vermindern können (BTDrucks 14/1514, S. 48). In einem strukturell niedrigen Zinsumfeld wirkt der unbefristete Zinslauf für den Steuerpflichtigen weiter verschärfend. Dessen Belastung wird umso größer, je später die Steuer festgesetzt wird. Eine teilweise Kompensation durch eine steuerliche Abzugsmöglichkeit der Nachzahlungszinsen tritt nicht ein. Die Nachzahlungszinsen zur Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer führen zu nicht abzugsfähigen Ausgaben oder Aufwendungen (vgl. § 12 Nr. 3 EStG, § 10 Nr. 2 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG--, § 4 Abs. 5b EStG).

33
Der Eintritt der Verzinsung und die Dauer des Zinslaufs waren im Streitfall für die betroffenen Antragsteller auch nicht vermeidbar. Die Länge des Zinslaufs hing von für die Antragsteller nicht oder kaum beeinflussbaren Faktoren ab, insbesondere den Beginn und die Dauer der Außenprüfung sowie die Auswertung von deren Ergebnissen.

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bb) Eine sachliche Rechtfertigung für die nicht realitätsgerechte Belastung besteht bei summarischer Prüfung nicht. Insbesondere geht der Zweck der Verzinsungspflicht, potentielle Liquiditäts- oder Zinsvorteile abzuschöpfen (vgl. BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2009, 2115), für den Streitzeitraum ins Leere (s. bereits unter II.2.a cc (3)).

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3. Anders als das FG meint, haben die Antragsteller auch ein berechtigtes Interesse an der AdV des angefochtenen Zinsbescheids. Im Streitfall fällt die Interessenabwägung zugunsten der Antragsteller aus.

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a) Zum einen gehen die schwerwiegenden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden gesetzlichen Regelung über das Maß an Zweifeln hinaus, welches üblicherweise von der Rechtsprechung für die Gewährung der AdV für erforderlich angesehen wird. Zum anderen ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass eine AdV im Streitfall das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung berühren könnte; vielmehr ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die Notwendigkeit einer Anpassung der Zinshöhe bekannt ist.

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b) So hat der Senat bereits mit seinem Urteil vom 1. Juli 2014 (in BFHE 246, 193, BStBl II 2014, 925, Rz 21) für Verzinsungszeiträume nach dem 21. März 2011 darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber bei dauerhafter Verfestigung des Niedrigzinsniveaus von Verfassungs wegen gehalten ist zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung zur gesetzlichen Zinshöhe auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist.

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Ein Hinweis dafür, dass der Gesetzgeber selbst mit Blick auf die nicht mehr realitätsgerechte gesetzliche Zinshöhe ein gesetzgeberisches Handeln als notwendig angesehen hat, folgt im Übrigen aus der --nach Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO) erstmals für nach dem 31. Dezember 2018 einzureichende Steuererklärungen geltenden-- Regelung für die Bemessung von Verspätungszuschlägen gemäß § 152 Abs. 5 AO i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens (StModernG) vom 18. Juli 2016 (BGBl I 2016, 1679). Diese legt nach § 152 Abs. 5 Satz 2 AO bei jährlich zu veranlagenden Steuern einen typisierten Zuschlag von 0,25 Prozent der festgesetzten Steuer je angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung zugrunde. Zu den jährlich zu veranlagenden Steuern gehören die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer, die auch der Verzinsung nach § 233a AO i.V.m. § 238 AO unterfallen. Im Rahmen der vorbereitenden Überlegungen zur Neuregelung des § 152 AO durch das StModernG war zunächst erwogen worden, die Höhe des Verspätungszuschlags für diese Steuern an der Höhe der Zinsen nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO mit einhalb Prozent für jeden angefangenen Monat zu bemessen. Angesichts der als zweifelhaft angesehenen Höhe einer solchen Pauschalierung wurde jedoch davon Abstand genommen und zur Vermeidung verfassungsrechtlicher Zweifel für die Bemessung des Verspätungszuschlags eine Pauschalierung von 0,25 Prozent je angefangenen Monat zugrunde gelegt.

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Aufgrund des verfestigten Niedrigzinsniveaus hat der Gesetzgeber zudem bereits den Abzinsungssatz von Rückstellungen für Altersversorgungsverpflichtungen in der Handelsbilanz geändert (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 38. Aufl., § 253 Rz 7). Für die Berechnung dieses Abzinsungssatzes war auf den durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen sieben Jahre abzustellen (§ 253 Abs. 2 Satz 1 des Handelsgesetzbuchs --HGB-- a.F.). Da durch das nachhaltig niedrige Zinsniveau der maßgebende Durchschnittszinssatz stark sank, benötigten die Unternehmen für die Absicherung der zugesagten Altersversorgung eine wesentlich höhere Rückstellung. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie und zur Änderung handelsrechtlicher Vorschriften vom 11. März 2016 (BGBl I 2016, 396) wurde dieser Nachteil im Niedrigzinsumfeld abgemildert und der Betrachtungszeitraum für die Berechnung des Durchschnittszinssatzes im Rahmen des § 253 Abs. 2 HGB insoweit von sieben auf zehn Jahre verlängert. Die Änderung war erstmals im Jahresabschluss für nach dem 31. Dezember 2015 endende Geschäftsjahre anzuwenden (Art. 75 Abs. 6 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch --HGBEG--). Darüber hinaus bestand ein Wahlrecht, wonach die Neuberechnung der Abzinsung bereits für ein Geschäftsjahr angewandt werden konnte, das nach dem 31. Dezember 2014 beginnt und vor dem 1. Januar 2016 endete (Art. 75 Abs. 7 HGBEG).

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c) Nach alledem ist angesichts der erheblichen Höhe der Zinszahlung dem Interesse der Antragsteller an einer AdV des angefochtenen Zinsbescheids Vorrang zu geben.

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4. Die Vollziehung wird mit der Maßgabe aufgehoben, dass in der Vergangenheit entstandene Säumniszuschläge entfallen (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 1993 VII R 37/92, BFH/NV 1994, 4; BFH-Beschlüsse vom 10. Dezember 1986 I B 121/86, BFHE 149, 6, BStBl II 1987, 389; vom 6. September 1989 II B 33/89, BFH/NV 1990, 670).

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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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