BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)
18. Mai 2021(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs – Art. 56 AEUV – Freier Dienstleistungsverkehr – Beschränkungen – Glücksspiele – Duales System der Organisation des Marktes – Monopol für Lotterien und Spielbanken – Vorherige Bewilligung zum Betrieb von Glücksspielautomaten – Werbepraktiken des Monopolinhabers – Beurteilungskriterien – Verfassungsrechtsprechung, mit der die Vereinbarkeit der nationalen Regelung mit dem Unionsrecht festgestellt wurde“
In der Rechtssache C‑920/19
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) mit Entscheidung vom 6. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Dezember 2019, in dem Verfahren
Fluctus s. r. o.,
Fluentum s. r. o.,
KI
gegen
Landespolizeidirektion Steiermark,
Beteiligte:
Finanzpolizei Team 96,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Kumin sowie der Richter T. von Danwitz und P. G. Xuereb (Berichterstatter),
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Fluctus s. r. o. und der Fluentum s. r. o., vertreten durch Rechtsanwalt P. Ruth,
– von KI, vertreten durch die Rechtsanwälte N. Aquilina und T. Talos,
– der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, F. Koppensteiner und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
– der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaeminck und R. Verbeke, avocats,
– der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. G. Marrone, avvocato dello Stato,
– der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und K. Szíjjártó als Bevollmächtigte,
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, A. Pimenta, M. J. Marques, A. Silva Coelho und P. Barros da Costa als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Malferrari, R. Pethke und L. Armati als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV.
2 Es ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Fluctus s. r. o., der Fluentum s. r. o. und KI auf der einen Seite und der Landespolizeidirektion Steiermark (Österreich) auf der anderen Seite über die Frage, ob Bescheide über die Beschlagnahme von Glücksspielautomaten und Straferkenntnisse wegen Verstoßes gegen die österreichischen Glücksspielvorschriften rechtmäßig sind.
Rechtlicher Rahmen
3 § 2 des Glücksspielgesetzes vom 28. November 1989 (BGBl. Nr. 620/1989) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: Glücksspielgesetz) sieht in seinen Abs. 3 und 4 vor:
„(3) Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten liegt vor, wenn die Entscheidung über das Spielergebnis nicht zentralseitig, sondern durch eine mechanische oder elektronische Vorrichtung im Glücksspielautomaten selbst erfolgt. Der Bundesminister für Finanzen ist ermächtigt, durch Verordnung bau- und spieltechnische Merkmale von Glücksspielautomaten näher zu regeln sowie Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten festzulegen. Glücksspielautomaten gemäß § 5 sind verpflichtend an die Bundesrechenzentrum GmbH elektronisch anzubinden. …
(4) Verbotene Ausspielungen sind Ausspielungen für die eine Konzession oder Bewilligung nach diesem Bundesgesetz nicht erteilt wurde und die nicht vom Glücksspielmonopol des Bundes gemäß § 4 ausgenommen sind.“
4 § 3 („Glücksspielmonopol“) dieses Gesetzes bestimmt:
„Das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ist, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol).“
5 § 4 („Ausnahmen aus dem Glücksspielmonopol“) dieses Gesetzes bestimmt in Abs. 2:
„Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten nach Maßgabe des § 5 unterliegen nicht dem Glücksspielmonopol des Bundes.“
6 § 5 („Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten“) dieses Gesetzes sieht in Abs. 1 Z 1 vor:
„Landesausspielungen mit Glücksspielautomaten sind Ausspielungen nach § 2 Abs. 3 an ortsfesten, öffentlich zugänglichen Betriebsstätten unter Einhaltung ordnungspolitischer Mindestanforderungen an Bewilligungswerber (Abs. 2) sowie besonderer Begleitmaßnahmen der Spielsuchtvorbeugung (Abs. 3 bis 5), der Geldwäschevorbeugung (Abs. 6) und der Aufsicht (Abs. 7)
1. in Automatensalons mit mindestens 10 und höchstens 50 Glücksspielautomaten oder
2. in Einzelaufstellung mit höchstens drei Glücksspielautomaten.“
7 In § 52 („Verwaltungsstrafbestimmungen“) des Glücksspielgesetzes heißt es:
„(1) Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde in den Fällen der Z 1 mit einer Geldstrafe … zu bestrafen,
1. wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen … veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht …;
…
(2) Bei Übertretung des Abs. 1 Z 1 mit bis zu drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen ist für jeden Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenstand eine Geldstrafe … zu verhängen.
…“
8 § 56 („Zulässige Werbung“) Abs. 1 dieses Gesetzes sieht vor:
„Die Konzessionäre und Bewilligungsinhaber nach diesem Bundesgesetz haben bei ihren Werbeauftritten einen verantwortungsvollen Maßstab zu wahren. Die Einhaltung dieses verantwortungsvollen Maßstabes ist ausschließlich im Aufsichtswege zu überwachen und nicht dem Klagswege nach §§ 1 ff UWG zugänglich. Abs. 1 Satz 1 stellt kein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB dar.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
9 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass der österreichische Glücksspielmarkt durch ein duales System der Organisation gekennzeichnet ist. Zum einen unterliegen Lotterien und Spielbanken mittels einer dem Monopolinhaber erteilten ausschließlichen Konzession österreichweit einem Monopol. Zum anderen ist der Betrieb von Glücksspielautomaten nach dem Glücksspielgesetz grundsätzlich verboten, kann aber von jedem Land zugelassen werden, sofern die Betreiber dieser Automaten eine vorherige behördliche Bewilligung erhalten.
10 Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, führten Kontrollen, die am 19. Oktober 2016 von Beamten der Finanzpolizei (Österreich) in einem Lokal in Graz (Österreich) durchgeführt wurden, zur vorläufigen Beschlagnahme von acht Glücksspielautomaten, da diese Automaten ohne die erforderliche behördliche Bewilligung betrieben wurden. Nachdem die mutmaßlichen Verwaltungsübertretungen der Landespolizeidirektion Steiermark zur Kenntnis gebracht worden waren, erließ diese am 23. November und am 12. Dezember 2016 Beschlagnahmebescheide gegen Fluctus, die Gesellschaft, die Inhaberin der fraglichen Glücksspielautomaten war, und gegen Fluentum, die Gesellschaft, die Eigentümerin dieser Automaten war. Ebenso verhängte sie am 22. und 29. Januar 2018 gegen KI, den Geschäftsführer dieser Gesellschaften, der als Veranstalter und Unternehmer des Glücksspiels angesehen wurde, mit Straferkenntnissen Geldstrafen in Höhe von insgesamt 480 000 Euro.
11 Gegen die Beschlagnahmebescheide und die Straferkenntnisse wurde Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Österreich) eingebracht.
12 Das vorlegende Gericht hegt an der Vereinbarkeit von Werbepraktiken des Inhabers des Glücksspielmonopols in Österreich mit dem Unionsrecht Zweifel, die seiner Auffassung nach auch ein Teil der nationalen Rechtsprechung und nationalen Lehre hege. Die Casinos Austria AG verfüge über die ausschließliche Konzession für die Durchführung von Casinospielen und die Österreichische Lotterien GmbH über die ausschließliche Konzession für die Veranstaltung von Lotterien, und diese beiden Gesellschaften, die das vorlegende Gericht zusammen als „Monopolisten“ bezeichnet, könnten aufgrund der wechselseitigen Beteiligungsverflechtungen als ein und dieselbe Einheit betrachtet werden.
13 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts folgt aus ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass eine Vorschrift, mit der ein Glückspielmonopol eingeführt wird, mit den von ihr verfolgten Zielen, insbesondere dem Verbraucherschutz, der Betrugsbekämpfung und der Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen, in Einklang stehen müsse, damit sie mit dem Unionsrecht vereinbar sei, und dass diese Forderung nach Kohärenz auch für die vom Inhaber eines Monopols durchgeführte Werbung gelte.
14 Das vorlegende Gericht ist aber der Ansicht, dass die offensive Werbepolitik des Glücksspielmonopolisten in Österreich nicht maßvoll und nicht streng auf das beschränkt sei, was für die Lenkung der Verbraucher hin zu kontrollierten Spielenetzwerken notwendig sei. Diese Werbepolitik rege im Gegenteil zu aktiver Teilnahme am Spiel an, indem das Spiel verharmlost werde, ihm ein positives Image verliehen werde, seine Anziehungskraft durch In-Aussicht-Stellen bedeutender Gewinne erhöht werde, neue Zielgruppen zum Spielen angeregt würden und das inhaltliche Angebot laufend ausgedehnt werde. Diese Werbepolitik entspreche daher nicht der Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Werbung im Glücksspielbereich.
15 Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass die Werbeaktivitäten des Inhabers des Glücksspielmonopols in Österreich keiner wirksamen Aufsicht unterlägen, da § 56 Abs. 1 des Glücksspielgesetzes in Bezug auf diese Aktivitäten nur Aufsichtsmaßnahmen vorsehe und eine Kontrolle ihres maßvollen Charakters durch eine Klage auf der Grundlage des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb ausschließe. Außerdem unterliege auch eine Vielzahl von dritten Unternehmen, die in Österreich Glücksspiele anböten, insbesondere im Onlinebereich, keiner wirksamen Aufsicht.
16 Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass das in Österreich eingerichtete Glücksspielmonopol einschließlich seiner Begleitregelungen gegenüber einem Begünstigten der Dienstleistungsfreiheit wie den Beschwerdeführern des Ausgangsverfahrens nicht mehr anwendbar sei.
17 Die drei österreichischen Höchstgerichte hätten jedoch entschieden, dass das Glücksspielgesetz mit dem Unionsrecht vereinbar sei, so dass sich das vorlegende Gericht grundsätzlich an diese Rechtsprechung halten müsse. Daher sei eine Antwort des Gerichtshofs erforderlich, um der Praxis der österreichischen Höchstgerichte, die darin bestehe, das Unionsrecht bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Glücksspielmonopols zu missachten und die Untergerichte daran zu hindern, die Vorgaben der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs anzuwenden, ein Ende zu setzen.
18 In diesem Zusammenhang hat das Landesverwaltungsgericht Steiermark beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art 56 AEUV dahin gehend auszulegen, dass es bei der Würdigung der vom Gerichtshof für den Fall eines staatlichen Glücksspielmonopols in ständiger Rechtsprechung formulierten unzulässigen Werbepraktiken des Konzessionsinhabers darauf ankommt, ob es in einer gesamthaften Betrachtung im relevanten Zeitraum tatsächlich zu einem Wachstum des Glücksspielmarktes gekommen ist oder genügt es schon, dass die Werbung darauf abzielt, zu aktiver Teilnahme am Spiel anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?
2. Ist Art. 56 AEUV weiters dahin gehend auszulegen, dass Werbepraktiken eines Monopolisten im Falle ihres Vorliegens jedenfalls die Kohärenz der Monopolregelung ausschließen oder kann im Falle entsprechender Werbeaktivitäten privater Anbieter von Seiten eines Monopolisten auch zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Ansehen verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen?
3. Ist ein staatliches Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit Art. 56 AEUV anzuwenden hat, aus eigener Entscheidungsbefugnis gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es jede seiner Auffassung nach entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet lässt, selbst wenn in einem verfassungsrechtlichen Verfahren deren Unionsrechtskonformität bestätigt wurde?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
19 Die ungarische, die österreichische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission halten das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, weil die Vorlagefragen, die sich auf die Werbepraktiken der Monopolisten für Spielbanken und Lotterien bezögen, in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit stünden, der die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen betreffe, mit denen der Betrieb von Glücksspielautomaten ohne eine entsprechende Bewilligung geahndet werde.
20 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Er kann die Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 26).
21 Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung ist eine dem nationalen Gericht dienliche Auslegung des Unionsrechts nur möglich, wenn dieses die Sach- und Rechtslage, in der sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen, auf denen diese Fragen beruhen, erläutert. Außerdem muss die Vorlageentscheidung die genauen Gründe angeben, aus denen dem nationalen Gericht die Auslegung des Unionsrechts fraglich und die Vorlage einer Vorabentscheidungsfrage an den Gerichtshof erforderlich erscheint (Urteil vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 27).
22 Im vorliegenden Fall beschreibt die Vorlageentscheidung die Rechts- und Sachlage der Ausgangsrechtsstreitigkeiten hinreichend, und die Angaben des vorlegenden Gerichts ermöglichen es, die Reichweite der Vorlagefragen zu bestimmen. Insbesondere ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Fragen im Licht der in der Vorlageentscheidung enthaltenen Erläuterungen, dass das vorlegende Gericht der Ansicht ist, dass die Werbepraktiken des Glücksspielmonopolisten die Kohärenz des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts insgesamt in Frage stellten.
23 Die Einrede der Unzulässigkeit der Vorlagefragen ist daher zurückzuweisen.
24 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen kann, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, wenn eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage mit einer Frage übereinstimmt, über die der Gerichtshof bereits entschieden hat, wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt.
25 Da die Antwort auf die Fragen klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, ist diese Bestimmung in der vorliegenden Rechtssache anzuwenden.
Zur ersten und zur zweiten Frage
26 Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts allein deshalb entgegensteht, weil die Werbepraktiken des Monopolisten für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost wird, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.
27 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung der Glücksspiele zu den Bereichen gehört, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer diesbezüglichen Harmonisierung durch die Europäische Union ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, in diesen Bereichen im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 20).
28 Im Rahmen mit dem AEU-Vertrag vereinbarer Rechtsvorschriften obliegt sodann die Wahl der Bedingungen für die Organisation und die Kontrolle der in der Veranstaltung von und der Teilnahme an Glücks- oder Geldspielen bestehenden Tätigkeiten den nationalen Behörden im Rahmen ihres Ermessens (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 21).
29 Im Bereich der Glücksspiele ist grundsätzlich gesondert für jede mit einer nationalen Rechtsvorschrift auferlegte Beschränkung insbesondere zu prüfen, ob sie geeignet ist, die Verwirklichung des Ziels oder der Ziele zu gewährleisten, die von dem fraglichen Mitgliedstaat geltend gemacht werden, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels oder dieser Ziele erforderlich ist (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 22).
30 Somit kann der Umstand, dass von verschiedenen Arten von Glücksspielen einige einem staatlichen Monopol und andere einer Regelung unterliegen, nach der private Veranstalter eine Bewilligung benötigen, im Hinblick darauf, dass mit Maßnahmen, die – wie das staatliche Monopol – auf den ersten Blick als am restriktivsten und wirkungsvollsten erscheinen, legitime Ziele verfolgt werden, für sich genommen nicht dazu führen, dass diese Maßnahmen ihre Rechtfertigung verlieren. Derart divergierende rechtliche Regelungen ändern nämlich als solche nichts an der Eignung einer solchen Maßnahme zur Verwirklichung des mit seiner Errichtung verfolgten Ziels, Anreize für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 23).
31 Wie der Gerichtshof jedoch bereits entschieden hat, kann sich ein solches duales System der Organisation des Glücksspielmarkts als im Widerspruch zu Art. 56 AEUV stehend erweisen, wenn festgestellt wird, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf andere Glücksspiele als die, die dem staatlichen Monopol unterliegen, eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen, was zur Folge hat, dass das der Errichtung dieses Monopols zugrunde liegende Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, mit ihm nicht mehr wirksam verfolgt werden kann (Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 24).
32 Ebenso kann das Ziel der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und der Bekämpfung der Spielsucht, das der Einführung eines Systems der vorherigen Bewilligung für den Betrieb von Glücksspielautomaten zugrunde lag, gefährdet werden, wenn die zuständigen Behörden eine Politik verfolgen, die zur Teilnahme an Glücksspielen, die dem staatlichen Monopol unterliegen, anregt.
33 Im vorliegenden Fall beruft sich die österreichische Regierung zur Rechtfertigung des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts auf Gründe der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit sowie auf zwingende Gründe des Verbraucherschutzes, der Verhinderung der Spielsucht und der Betrugsvorbeugung.
34 Solche Gründe können Beschränkungen von Glücksspieltätigkeiten sowohl in Gestalt der Regelung über das staatliche Monopol bei bestimmten Arten von Glücksspielen als auch in Gestalt der Regelung, wonach für die Veranstaltung anderer Arten von Glücksspielen eine vorherige Bewilligung erforderlich ist, rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2018, Sporting Odds, C‑3/17, EU:C:2018:130, Rn. 26).
35 Das vorlegende Gericht führt jedoch aus, die Werbepraktiken der Konzessionäre für Spielbanken- und Lotteriespiele förderten eine verstärkte Teilnahme an diesen Spielen, die den erklärten Zielen des Verbraucherschutzes und der Verhinderung der Spielsucht zuwiderlaufe. Es fügt hinzu, dass nach Ansicht der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens das Hauptziel der nationalen Rechtsvorschriften in Wirklichkeit darin bestehe, die Haushaltseinnahmen zu erhöhen, die durch die auf Spielbanken erhobenen Abgaben erzielt würden.
36 Hierzu ist festzustellen, dass eine Ausweitung der Geschäftstätigkeit eines mit ausschließlichen Rechten im Glücksspielbereich ausgestatteten Anbieters sowie eine wesentliche Steigerung der Einnahmen, die er damit erzielt, besondere Aufmerksamkeit bei der Prüfung des kohärenten und systematischen Charakters der fraglichen Regelung und somit ihrer Geeignetheit für die Verfolgung der von der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten Ziele erfordern. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass die Finanzierung gemeinnütziger Tätigkeiten mit den Einnahmen aus Glücksspielen nicht das eigentliche Ziel einer in diesem Sektor betriebenen restriktiven Politik sein darf, sondern nur als eine nützliche Nebenfolge angesehen werden kann (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 61).
37 Ein Mitgliedstaat kann sich daher nicht erfolgreich auf Gründe der öffentlichen Ordnung berufen, die sich auf die Notwendigkeit einer Verminderung der Spielgelegenheiten beziehen, wenn die Behörden dieses Mitgliedstaats die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Glücksspielen teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 62).
38 Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass eine Politik der kontrollierten Expansion von Glücksspieltätigkeiten mit dem Ziel im Einklang stehen kann, sie in kontrollierbare Bahnen zu lenken, indem Spielern, die verbotenen geheimen Spiel- oder Wetttätigkeiten nachgehen, ein Anreiz gegeben wird, zu erlaubten und geregelten Tätigkeiten überzugehen. Eine solche Politik kann nämlich sowohl mit dem Ziel, die Ausnutzung von Glücksspieltätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken zu verhindern, als auch mit dem Ziel der Vermeidung von Anreizen für übermäßige Spielausgaben und der Bekämpfung der Spielsucht im Einklang stehen, indem die Verbraucher zu dem Angebot des Inhabers des staatlichen Monopols gelenkt werden, bei dem davon ausgegangen werden kann, dass es frei von kriminellen Elementen und darauf ausgelegt ist, die Verbraucher besser vor übermäßigen Ausgaben und vor Spielsucht zu schützen (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 63).
39 Um das Ziel, die Spieltätigkeiten in kontrollierbare Bahnen zu lenken, zu erreichen, müssen die zugelassenen Anbieter eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zu den nicht geregelten Tätigkeiten bereitstellen, was an und für sich das Anbieten einer breiten Palette von Spielen, Werbung in einem gewissen Umfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken beinhalten kann (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 64).
40 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, in Anbetracht der Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu prüfen, ob die Geschäftspolitik des Inhabers des Monopols sowohl hinsichtlich des Umfangs der Werbung als auch hinsichtlich der Schaffung neuer Spiele als Teil einer Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor zur wirksamen Lenkung der Spiellust in rechtmäßige Bahnen angesehen werden kann (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 65).
41 Insbesondere im Rahmen dieser Prüfung hat das vorlegende Gericht u. a. zu untersuchen, ob im entscheidungserheblichen Zeitraum die kriminellen und betrügerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Spielen und die Spielsucht in Österreich ein Problem waren und eine Ausweitung der zugelassenen und geregelten Tätigkeiten geeignet war, diesem Problem abzuhelfen (vgl. entsprechend Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 66).
42 Aber da das Ziel, die Verbraucher vor der Spielsucht zu schützen, grundsätzlich schwer mit einer Politik der Expansion von Glücksspielen, die insbesondere durch die Schaffung neuer Spiele und die Werbung für sie gekennzeichnet ist, vereinbar ist, kann eine solche Politik nur dann als kohärent angesehen werden, wenn die rechtswidrigen Tätigkeiten einen erheblichen Umfang haben und die erlassenen Maßnahmen darauf abzielen, die Spiellust der Verbraucher in rechtmäßige Bahnen zu lenken (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 67).
43 Jedenfalls muss die vom Inhaber eines staatlichen Monopols eventuell durchgeführte Werbung maßvoll und eng auf das begrenzt bleiben, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken. Die Werbung darf hingegen nicht darauf abzielen, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden, etwa indem das Spiel verharmlost, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 68).
44 Insbesondere ist zu unterscheiden zwischen Strategien des Monopolinhabers, die nur die potenziellen Kunden über die Existenz der Produkte informieren und durch Lenkung der Spieler in kontrollierte Bahnen einen geordneten Zugang zu Glücksspielen sicherstellen sollen, und Strategien, die zu aktiver Teilnahme an Glücksspielen auffordern und anregen. Zu unterscheiden ist also zwischen einer restriktiven Geschäftspolitik, die nur den vorhandenen Markt für den Monopolinhaber gewinnen oder die Kunden an ihn binden soll, und einer expansionistischen Geschäftspolitik, die auf das Wachstum des gesamten Marktes für Spieltätigkeiten abzielt (Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 69).
45 Im vorliegenden Fall stellt sich das vorlegende Gericht insbesondere die Frage, ob es für den Nachweis der Inkohärenz eines dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts ausreicht, festzustellen, dass die Werbung des Monopolinhabers darauf abzielt, den natürlichen Spieltrieb der Verbraucher dadurch zu fördern, dass sie zu aktiver Teilnahme am Spiel angeregt werden – etwa indem das Spiel verharmlost oder ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird – oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht wird, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen.
46 Insoweit ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung, dass die nationalen Gerichte im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven Maßnahme im Bereich der Glücksspiele eine Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen müssen, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird, und im Rahmen dieser Würdigung insbesondere zu prüfen haben, ob die nationalen Vorschriften tatsächlich dem Anliegen entsprechen, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, die Tätigkeiten in diesem Bereich zu begrenzen und die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität systematisch und kohärent zu bekämpfen. (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 2014, Pfleger u. a., C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 39, 41, 47 bis 49, sowie vom 14. Juni 2017, Online Games u. a., C‑685/15, EU:C:2017:452, Rn. 49 bis 52). Der Ansatz des nationalen Gerichts darf im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht statisch sein, sondern muss dynamisch sein, so dass es die Entwicklung der Umstände nach dem Erlass der betreffenden Regelung berücksichtigen muss (Urteil vom 14. Juni 2017, Online Games u. a., C‑685/15, EU:C:2017:452, Rn. 53).
47 Erstens kann, wie die österreichische Regierung vorgebracht hat, nicht jedem Werbeinhalt per se eine zu übermäßigen Spielausgaben verleitende Wirkung unterstellt werden. Es ist daher zu prüfen, ob der Umfang der Werbung eng auf das begrenzt bleibt, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den kontrollierten Spielenetzwerken zu lenken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 68), was eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Geschäftsstrategie des Monopolinhabers durch das vorlegende Gericht im Hinblick auf alle relevanten Umstände und keine isolierte Prüfung einer individuellen Werbung impliziert.
48 Zweitens hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung, ob das Monopol tatsächlich in der Lage sein wird, die geltend gemachten Ziele in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen, die vom Inhaber des Monopols verfolgte Geschäftspolitik nicht der einzige relevante Gesichtspunkt ist (vgl. entsprechend Urteile vom 30. Juni 2011, Zeturf, C‑212/08, EU:C:2011:437, Rn. 63, sowie vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 57 und 58).
49 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich zum einen, dass die Werbepraktiken des Monopolinhabers, die Teil seiner Geschäftspolitik sind, und die staatliche Kontrolle der Tätigkeiten des Monopolinhabers nur einige der Gesichtspunkte sind, die das vorlegende Gericht im Rahmen seiner umfassenden und dynamischen Beurteilung des Vorliegens einer staatlichen Politik, die darauf abzielt, zur Teilnahme an dem Monopol unterliegenden Glücksspielen zu ermuntern, berücksichtigen muss. Zum anderen ist für die Feststellung einer etwaigen Inkohärenz des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts im Hinblick auf Art. 56 AEUV noch nachzuweisen, dass die Anreizpolitik für dem Monopol unterliegende Glücksspiele solche Ausmaße annimmt, dass die Ziele, die der Einführung des Systems der vorherigen Bewilligung für den Betrieb von Glücksspielautomaten zugrunde liegen, nicht mehr wirksam verfolgt werden können.
50 Zu den anderen Gesichtspunkten, die für die Beurteilung der Kohärenz des dualen Systems der Organisation des Glücksspielmarkts neben der Geschäftsstrategie des Monopolinhabers und der staatlichen Kontrolle seiner Tätigkeiten relevant sind, gehören u. a. die Ausweitung seiner Geschäftstätigkeit und die Werbepraktiken etwaiger privater Wirtschaftsteilnehmer.
51 Hierzu ist nur festzustellen, dass eine Ausweitung der Geschäftstätigkeit des Inhabers des Glücksspielmonopols zwar besondere Aufmerksamkeit bei der Prüfung des kohärenten und systematischen Charakters der fraglichen Regelung erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 61), eine solche Ausweitung sich aber auch ebenso gut, worauf im Wesentlichen die ungarische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen hinweist, aus einer Lenkung der illegalen Tätigkeiten hin zu den kontrollierten Spielenetzen ergeben könnte.
52 Da zudem eine Politik der Expansion von Glücksspielen nur dann als kohärent angesehen werden kann, wenn die rechtswidrigen Tätigkeiten einen erheblichen Umfang haben und die erlassenen Maßnahmen darauf abzielen, die Spiellust der Verbraucher in rechtmäßige Bahnen zu lenken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 67), sind Umstände wie aggressive Werbemaßnahmen privater Anbieter zugunsten rechtswidriger Aktivitäten oder die Heranziehung neuer Medien wie des Internets durch private Anbieter zu berücksichtigen.
53 Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts nicht allein deshalb entgegensteht, weil die Werbepraktiken des Monopolisten für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost wird, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.
Zur dritten Frage
54 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er ein Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet, eine gegen Art. 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, und zwar auch dann, wenn ein höheres Gericht diese Bestimmung als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.
55 Das vorlegende Gericht führt zur Begründung dieser Frage aus, dass der Verwaltungsgerichtshof (Österreich), der Verfassungsgerichtshof (Österreich) und der Oberste Gerichtshof (Österreich) durch im Jahr 2016 ergangene Entscheidungen entschieden hätten, dass das Glücksspielgesetz unionsrechtskonform sei, so dass die österreichischen Gerichte keine echte unabhängige Kontrolle der Kohärenz der einschlägigen österreichischen Regelung mehr durchführten.
56 Das vorlegende Gericht fragt sich daher, ob es zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 56 AEUV die zuvor von den österreichischen Höchstgerichten erlassenen Entscheidungen außer Acht zu lassen habe.
57 Insoweit ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung zum einen, dass jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs‑, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis, die dadurch zu einer Abschwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften beiseitezulassen, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der unmittelbar geltenden Normen des Unionsrechts bilden, mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen unvereinbar ist (Urteil vom 4. Dezember 2018, Minister for Justice and Equality und Commissioner of An Garda Síochána, C‑378/17, EU:C:2018:979, Rn. 36).
58 Zum anderen verpflichtet das Unionsrecht, wenn die Erwägungen eines nationalen Gerichts offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprechen, ein anderes nationales Gericht, das nach dem innerstaatlichen Recht vorbehaltlos an die Auslegung des Unionsrechts durch das erstgenannte Gericht gebunden ist, die innerstaatliche Rechtsvorschrift, die von ihm verlangt, sich an die vom erstgenannten Gericht herangezogene Auslegung des Unionsrechts zu halten, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet zu lassen. Dies wäre u. a. dann der Fall, wenn ein nationales Gericht aufgrund einer solchen innerstaatlichen Rechtsvorschrift, an die es gebunden ist, daran gehindert wäre, in den bei ihm anhängigen Rechtssachen dem Umstand, dass eine nationale Vorschrift nach einem Urteil des Gerichtshofs als unionsrechtswidrig anzusehen ist, angemessen Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass der Vorrang des Unionsrechts ordnungsgemäß gewährleistet wird, indem es alle hierfür erforderlichen Maßnahmen ergreift (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 15. Oktober 2015, Naderhirn, C‑581/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:707, Rn. 35 und 36, vom 7. Juni 2018, Filippi u. a., C‑589/16, EU:C:2018:417, Rn. 35 und 36, sowie vom 4. April 2019, DP und Finanzamt Linz [Österreichische Glücksspielgesetzgebung], C‑545/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:286, Rn. 29).
59 Dies gilt umso mehr, als im Fall der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven Maßnahme im Bereich des Glücksspiels, wie in der Antwort auf die erste und die zweite Vorlagefrage ausgeführt, der Ansatz des nationalen Gerichts nicht statisch, sondern dynamisch sein muss, da dieses Gericht die Entwicklung der nach dem Erlass dieser Regelung eingetretenen Umstände berücksichtigen muss.
60 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts dahin auszulegen ist, dass er ein Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet, eine gegen Art. 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, und zwar auch dann, wenn ein höheres Gericht eben dieses Mitgliedstaats diese Bestimmung als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.
Kosten
61 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einem dualen System der Organisation des Glücksspielmarkts nicht allein deshalb entgegensteht, weil die Werbepraktiken des Monopolisten für Lotterien und Spielbanken darauf abzielen, zu aktiver Teilnahme an den Spielen anzuregen, etwa indem das Spiel verharmlost wird, ihm wegen der Verwendung der Einnahmen für im Allgemeininteresse liegende Aktivitäten ein positives Image verliehen wird oder seine Anziehungskraft durch zugkräftige Werbebotschaften, die bedeutende Gewinne verführerisch in Aussicht stellen, erhöht wird.
2. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er ein Gericht eines Mitgliedstaats verpflichtet, eine gegen Art. 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, und zwar auch dann, wenn ein höheres Gericht eben dieses Mitgliedstaats diese Bestimmung als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen hat.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch
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