Donnerstag, 13. Oktober 2016

Der Vorrang des EU-Rechts


Der Vorrang des EU-Rechts

Laut dem Grundsatz des Vorrangs hat das EU-Recht ein höheres Gewicht als das Recht der Mitgliedstaaten. Der Grundsatz des Vorrangs gilt für alle EU-Rechtsakte mit verbindlicher Wirkung. Die Mitgliedstaaten dürfen also keine nationale Rechtsvorschrift anwenden, die im Widerspruch zum EU-Recht steht.
Der Grundsatz des Vorrangs gewährleistet, dass das EU-Recht ein höheres Gewicht als das nationale Recht hat. Er ist ein wesentlicher Grundsatz des EU-Rechts. Genau wie der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung ist er nicht in den Verträgen festgelegt, wurde aber vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anerkannt.

50 Jahre unmittelbare Wirkung des Unionsrechts zu gunsten von Bürgern und Unternehmen


Seit dem Urteil Van Gend & Loos von 1963 können sich Einzelpersonen vor den nationalen
Behörden und Gerichten unmittelbar auf das Unionsrecht berufen. s.u.

Definition
Der EuGH hat den Grundsatz des Vorrangs in seinem Urteil vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache Costa gegen Enel anerkannt. In diesem Urteil verkündet der Gerichtshof, dass das von den europäischen Organen verabschiedete Recht in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten übergeht und diese zu seiner Beachtung verpflichtet sind. Das EU-Recht hat also Vorrang vor dem nationalen Recht. Steht eine nationale Rechtsvorschrift im Widerspruch zu einer EU-Rechtsvorschrift, so müssen die Behörden der Mitgliedstaaten die EU-Rechtsvorschrift anwenden. Das nationale Recht wird weder für ungültig erklärt noch außer Kraft gesetzt, es wird lediglich seine verbindliche Wirkung ausgesetzt.
Zu einem späteren Zeitpunkt hat der Gerichtshof präzisiert, dass der Vorrang des EU-Rechts für alle nationalen Rechtsakte gilt, unabhängig davon, ob sie vor oder nach dem EU-Rechtsakt angenommen wurden.
Indem das EU-Recht mehr Gewicht erhält als das nationale Recht, gewährleistet der Grundsatz des Vorrangs einen einheitlichen Schutz der Bürger durch das EU-Recht im gesamten Hoheitsgebiet der EU.

Geltungsbereich des Grundsatzes
Der Vorrang des EU-Rechts über das nationale Recht ist absolut / unumschränkt. Er gilt für alle EU-Rechtsakte, unabhängig davon, ob sie aus dem Primärrecht oder dem abgeleiteten Recht hervorgegangen sind.
Darüber hinaus gilt dieser Grundsatz für alle nationalen Rechtsakte, unabhängig von ihrer Art:
Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Beschlüsse, Rundschreiben usw., ganz gleich ob diese Texte exekutiven oder legislativen Ursprungs des betreffenden Mitgliedstaates sind. Auch die Justiz unterliegt dem Grundsatz des Vorrangs, denn das von ihr geschaffene Recht, die Rechtsprechung, hat das Gemeinschaftsrecht zu achten.
Der Gerichtshof befand, dass die Verfassungen der einzelnen Mitgliedstaaten ebenfalls dem Grundsatz des Vorrangs unterliegen. Somit hat das nationale Gericht dafür zu sorgen, dass Bestimmungen einer Verfassung, die im Widerspruch zum EU-Recht stehen, nicht zur Anwendung kommen.

Für die Achtung des Grundsatzes zuständige Instanzen
Ähnlich wie bei dem Grundsatz der unmittelbaren Wirkung wacht der Europäische Gerichtshof über die ordnungsgemäße Anwendung des Grundsatzes des Vorrangs. Er verhängt durch seine Entscheidungen, die auf den verschiedenen in den Gründungsverträgen vorgesehenen Rechtsmitteln beruhen, insbesondere im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens, Sanktionen gegen Mitgliedstaaten, die dem Grundsatz zuwiderhandeln.

Es ist ebenfalls Aufgabe des nationalen Gerichts, für die Achtung des Grundsatzes des Vorrangs zu sorgen. So kann es gegebenenfalls von einem Vorabentscheidungsverfahren Gebrauch machen, sollten hinsichtlich der Anwendung dieses Grundsatzes Zweifel bestehen. In seinem Urteil vom 19. Juni 1990 (Factortame) führte der Gerichtshof an, dass ein nationales Gericht im Rahmen einer Vorlagefrage zur Gültigkeit einer nationalen Norm umgehend die Anwendung dieser Norm so lange auszusetzen hat, bis der Gerichtshof eine Lösung empfohlen und das Gericht in der Sache geurteilt hat.
Letzte Änderung: 01.10.2010


Herrschaft des Rechts:
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH)


Die Europäische Union beruht auf Verträgen, die Staaten freiwillig untereinander geschlossen haben. Sie erlauben es der EU, Gesetze zu erlassen, die in allen Mitgliedsstaaten gelten und umgesetzt werden müssen: Das Europarecht. Es hat Vorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten. Das europäische Gemeinschaftsrecht zu schützen, ist Aufgabe des Gerichtshofes der Europäischen Union (auch EuGH genannt). Er entscheidet über Klagen von Mitgliedstaaten, Organen, natürlichen Personen oder Unternehmen (juristischen Personen).

Die Struktur der Gerichtsbarkeit

Mit dem Vertrag von Lissabon wurden veränderte Bezeichnungen aufgenommen.  Danach bezeichnet der "Gerichtshof der Europäischen Union" die Gesamtstruktur der Gerichtsbarkeit der Europäischen Union. Oberstes Organ der Gerichtsbarkeit ist fortan der "Gerichtshof". Das Gericht erster Instanz ist nun das "Gericht", während die dem Gericht beigeordneten Kammern, die der Bewältigung der Fülle von Klagen eingesetzt wurden, "Fachgerichte" genannt werden.

Aufgaben des Gerichtshofs

Der Gerichtshof ist das höchste Gericht der EU. Er sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge. Die Urteile des Gerichtshofes gelten in allen Ländern der EU und können von keinem nationalen Gericht angetastet werden. Der Gerichtshof wahrt auch die Grundrechte des Bürgers gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaft und seiner Organe und schützt ihn gegen Missbrauch der öffentlichen Gewalt.
Der Gerichtshof entscheidet beispielsweise aufgrund einer Klage (eines Mitgliedsstaates, eines EU-Organs, im zweiten Rechtszug auch eines Unternehmens oder eines Bürgers), ob in einem Einzelfall gegen EU-Recht verstoßen wurde ("Anwendung der Verträge"). Er entscheidet aber auch endgültig, wie strittige Texte in den Verträgen zu verstehen sind ("Auslegung der Verträge"). Der Gerichtshof gestaltet dadurch europäisches Recht fort und stellt sicher, dass das Gemeinschaftsrecht in allen EU-Ländern gleich ausgelegt wird. Damit kommt dem Europäischen Gerichtshof eine bedeutende Rolle in der Fortentwicklung der europäischen Integration zu.

Organisation

Der Gerichtshof, der seinen Sitz in Luxemburg hat, besteht aus 28 Mitgliedern, je einem Mitglied aus jedem EU-Land, die von acht Generalanwälten unterstützt werden. Nicht immer kommen alle 28 Richter (Tagung im Plenum) zusammen, um über einen Streitfall in der EU zu entscheiden. Damit die Effizienz des Gerichtshofes nicht leidet, werden Rechtssachen meist in einer "Großen Kammer" mit 15 Richtern oder durch "Kammern" mit drei oder fünf Richtern entschieden.

Schon 1989 wurde dem Europäischen Gerichtshof ein Gericht Erster Instanz beigeordnet, um den Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger zu verbessern. Das "Gericht" (der früher Gericht Erster Instanz genannt wurde) besteht ebenfalls aus mindestens einem Richter je Mitgliedstaat. Es ist insbesondere zuständig für Klagen von Privatpersonen und für Rechtssachen im Zusammenhang mit unfairem Wettbewerb zwischen Unternehmen.

Besetzung der Ämter


Richter und Generalanwälte werden von einem Ausschuss nach ihrer Gewähr für Unabhängigkeit und hervorragender Befähigung für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt. Der Ausschuss setzt sich aus sieben Persönlichkeiten zusammen, die aus dem Kreis ehemaliger Mitglieder des Gerichtshofs und des Gerichts, der Mitglieder der höchsten einzelstaatlichen Gerichte und der Juristen von anerkannt hervorragender Befähigung ausgewählt werden. Einer der Ausschussmitglieder wird vom Europäischen Parlament vorgeschlagen. Arbeitsweise und Beschlussfassung des Ausschusses wird auf Initiative des Präsidenten des Gerichtshofs vom Rat festgelegt.  Der Präsident des Gerichtshofes wird von den Richtern für eine dreijährige Amtszeit gewählt. Er kann wiedergewählt werden.

Der Weg zum EuGH

Der EG-Vertrag beschreibt verschiedene Wege (Klagearten und Verfahren), über die eine Rechtssache vor den Europäischen Gerichtshof kommen kann:

  • Vorabentscheidungen: Wenn ein nationales Gericht in einem Prozess Europarecht beachten muss, das stets Vorrang vor nationalem Recht hat, kann es vom Europäischen Gerichtshof eine Vorabentscheidung verlangen. Diese Entscheidung ist dann für das nationale Gericht in dem betreffenden Fall bindend. Nationale Gerichte letzter Instanz sind sogar verpflichtet, beim Europäischen Gerichtshof Vorabentscheidungen einzuholen. Das gewährleistet, dass Europarecht in allen EU-Ländern und von allen Gerichten einheitlich ausgelegt und angewendet wird. Das ist für eine Rechtsgemeinschaft von herausragender Bedeutung.
  • Klage wegen Vertragsverletzung: Dieses Verfahren prüft, ob ein Mitgliedsstaat seinen gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, ob es beispielsweise ein EU-Gesetz korrekt umgesetzt hat. Solch eine Klage kann entweder von der Kommission erhoben werden oder von einem Mitgliedstaat. Stellt der Gerichtshof fest, dass ein Mitgliedsstaat gemeinschaftsrechtliche Pflichten verletzt hat, muss der verurteilte Staat seine Rechtslage anpassen. Tut er das nicht, kann er zur Zahlung einer Geldbuße gezwungen werden.
  • Nichtigkeitsklage: Mit der Nichtigkeitsklage beantragt der Kläger die Nichtigerklärung einer Handlung eines Organs (Verordnung, Richtlinie, Entscheidung). Die Einreichung einer Nichtigkeitsklage gegen Handlungen europäischer Organe wird seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon in vollem Umfang für sog. nicht-priviligierte Kläger - juristische und natürliche Personen - möglich. Zuständig für solche Klagen im ersten Rechtszug ist das Gericht. Der Gerichtshof ist zuständig für Klagen des Rechnungshofs, der Europäischen Zentralbank und des Ausschusses der Regionen, die auf die Wahrung ihrer Rechte abzielen.
  • Untätigkeitsklage: Unterlässt es das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Rat, die Kommission, die Europäische Zentralbank sowie andere Einrichtungen und Institutionen der Europäischen Union einen Beschluss zu fassen, obwohl eine vertragliche Verpflichtung dazu besteht, können andere EU-Organe oder Mitgliedsstaaten Klage wegen Untätigkeit erheben. Neu ist mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, dass die Untätigkeitsklage nun auch für den Europäischen Rat sowie andere Institutionen und Einrichtungen der Europäischen Union gilt.
  • Schadensersatzklage: Der Europäische Gerichtshof entscheidet auch, ob die Gemeinschaft für einen Schaden aufkommen muss, den ihre Organe oder deren Mitarbeiter in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursacht haben.
  • Berufung auf die Grundrechtecharta: Die Grundrechtecharta steht den anderen Verträgen der EU mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages fortan rechtlich gleich. Das bedeutet, dass die EU-Bürger (mit Ausnahme von Großbritannien und Polen, für die die Grundrechte nicht verbindlich gelten) sich in Zukunft vor dem Gerichtshof auf dieses Dokument berufen können.

Mehr Informationen
Internetseite des Europäischen Gerichtshofes


Grundprinzipien des europäischen Rechts
Insbesondere: Unmittelbare Anwendbarkeit und Vorrangprinzip

s.a.:
EuGH bekräftigt: EU-Recht steht über nationalem Recht

Pflicht zur Befolgung der Vorgaben eines übergeordneten Gerichts, EuGH (Rs. C-581/14)
Um die einheitliche und volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu sichern, sind unionsrechtswidrige mitgliedstaatliche Regelungen nicht nur unmittelbar zu beseitigen, sondern dürfen aufgrund des Anwendungsvorrangs auch nicht weiter angewandt werden. (Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit)
 

Nationale Gesetze dürfen sich nicht über EU-Recht hinwegsetzen.

Der Gerichtshof begeht den 50. Jahrestag des Urteils Van Gend en Loos
Am 13. Mai 2013 hat am Sitz des Gerichtshofs in Luxemburg zur Feier des 50. Jahrestags des am 5. Februar 1963 verkündeten Urteils „Van Gend en Loos" ein Tag der Reflexion stattgefunden.Bei dieser Veranstaltung wurde untersucht, inwiefern das Urteil sowohl Quelle als auch Leitbild der Grundsätze ist, die das konstitutionelle Gebäude der Union geformt haben, und welche Möglichkeiten sich daraus für die künftige Entwicklung der europäischen Konstruktion ergeben.

Die Konferenz wurde von einem Komitee unter Vorsitz des Kammerpräsidenten A. Tizzano organisiert, dem die Generalanwältin J. Kokott und die Richterin S. Prechal angehörten, und richtete sich an alle juristischen Berufe und die akademische Welt der Europäischen Union. Arbeitssprachen waren Französisch und Englisch.
Quelle

Gerichtshof der Europäischen Union
PRESSEMITTEILUNG Nr. 56/13
Luxemburg, den 7. Mai 2013

Presse und Information
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50 Jahre unmittelbare Wirkung des Unionsrechts zu gunsten von Bürgern und Unternehmen

Seit dem Urteil Van Gend & Loos von 1963 können sich Einzelpersonen vor den nationalen
Behörden und Gerichten unmittelbar auf das Unionsrecht berufen

Am 5. Februar 1963 verkündete der Gerichtshof das Urteil Van Gend & Loos 1, mit dem er eine von einem niederländischen Gericht, der Tariefcommissie, zur Vorabentscheidung vorgelegte  Frage beantwortete. Dieses Gericht hatte über einen  Rechtsstreit zwischen dem niederländischen Transportunternehmen Van  Gend & Loos und der niederländischen  Finanzverwaltung wegen Zöllen zu entscheiden, die das Unternehmen bei der Einfuhr von Waren aus Deutschland in  die Niederlande entrichten musste. Das Transportunternehmen machte geltend, dass der angewandte Zoll gegen die Regelung des EWG-Vertrags verstoße, wonach die Mitgliedstaaten  in  ihren
gegenseitigen  Handelsbeziehungen die Zölle nicht erhöhen durften. Die Finanzverwaltung war dagegen der Ansicht, dass sich das Unternehmen nicht auf diese Regelung berufen  könne, weil sie nur eine Verpflichtung gegenüber den anderen Mitgliedstaaten schaffe.

In seinem Urteil stellte der Gerichtshof mit dem Grundsatz der unmittelbaren Wirkung („effet direct“) einen der tragenden Grundsätze des Rechts der Europäischen Union auf. Nach diesem Grundsatz schafft das Unionsrecht nicht nur gegenseitige Verpflichtungen zwischen den Mitgliedstaaten, sondern erzeugt zugunsten der Bürger und Unternehmen unmittelbare Wirkungen, indem es ihnen individuelle Rechte verleiht, die die nationalen Behörden und Gerichte zu beachten haben.

Um an die Verkündung dieses Urteils zu erinnern, veranstaltet der Gerichtshof am 13.Mai  2013 eine Konferenz. Im Rahmen dieser Konferenz, zu der sich Vertreter aller juristischen Berufe und der Wissenschaft online  anmelden konnten, werden die Teilnehmer den Inhalt des Urteils, seine Auswirkungen und die Perspektiven der damit begründeten Rechtsprechung erörtern 2. Im Geist der Öffnung gegenüber der externen rechtswissenschaftlichen Welt, wie er bereits in dem vom Gerichtshof aus Anlass seines 60jährigen Bestehens  im Dezember 2012 veröffentlichten Werk zum Ausdruck gekommen ist, werden die Erörterungen im Rahmen der Konferenz durch mehrere Beiträge externer Persönlichkeiten eingeleitet.

Erstmals in der Geschichte des Gerichtshofs wird die Öffentlichkeit die Erörterungen live auf seiner Website (www.curia.europa.eu) verfolgen können. Dies zeugt von dem einzigartigen Charakter dieses Ereignisses  und  der Bedeutung, die der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung  für jeden Bürger und jedes Unternehmen in der Union hat.

Das Programm der Konferenz kann durch Anklicken des folgenden Bildes abgerufen werden.
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1 Urteil des Gerichtshofs vom 5.Februar 1963, Van Gend & Loos/Niederländische Finanzverwaltung (26/62). 
2 Zur Ankündigung dieser Konferenz und zu näheren Angaben vgl. die Pressemitteilung Nr. 10/13
Quelle (pdf-download)



s.a.: Die unmittelbare Anwendbarkeit ist eine Rechtsfigur des Europarechts, die es Einzelpersonen ermöglicht, deren unmittelbar betroffene Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg einzuklagen (Art. 288 AEUV).
Quelle: wikipedia