Montag, 18. März 2013

EuGH Linneweber/ Akritidis ( C-453/02, C-462/02) v. 17.02.05

Wegen dem Vorabentscheidungsersuchen des FG Hamburg und den Feststellungen des Landesrechnungshofs Rheinland-Pfalz möchte ich erneut auf die Linneweber Entscheidung des EuGH und des BFH hinweisen, die unten in Auszügen angefügt wurden.

Während die Betreiber von Geldspielautomaten oftmals Vergnügungssteuer zahlen, auf die die Umsatzsteuer nicht angerechnet wird, wird die für die Spielbanken anfallende Umsatzsteuer auf die Spielbankenabgabe angerechnet.

Bereits den Schlussanträgen der Generalanwältin vom 8.7.2004 zu Linneweber kann unter der Rn. 24 entnommen werden:

Die deutsche Regierung ist schließlich auch der Ansicht, dass sie zur Mehrwertbesteuerung von Glücksspielen außerhalb öffentlicher Spielbanken berechtigt sei, weil diese Steuer für Glücksspiele in öffentlichen Spielbanken im Wege der Spielbankenabgabe erhoben werde.

Der Landesrechnungshof Rheinland-Pfalz, stellte eine Steuerbefreiung durch die rückwirkende Festsetzung der Spielbankabgabe auf "Null" fest. Da dadurch die darin enthaltene MwSt nicht vom Verbraucher sondern vom Steuerzahler bezahlt wird, wird gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen. (vgl. Keine Abwälzung der Spielbank-Besteuerung auf die Steuerzahler)
Durch die festgestellte Nichteinhaltung der steuerlichen Neutralität verstößt die Bundesrepublik Deutschland noch immer gegen die unmittelbar gültige DurchführungsVO zur Richtlinie 2006/112/EG und begeht damit einen Verstoß gegen den Vertrag im Sinne von Art. 258 AEUV.
Nach EuGH-Rechtsprechung ist der Grundsatz der steuerlichen Neutralität bereits dann verletzt, wenn zwei aus der Sicht des Verbrauchers gleiche oder gleichartige Dienstleistungen, die selben Bedürfnisse des Verbrauchers befriedigen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich behandelt werden. (vgl. u.a. EuGH-Rank, Rn. 41, 75/1ff; FG Baden-Württemberg, 28.11.2012 - 14 K 2883/10). 

Bereits mit der Linneweber/Akritidis-Entscheidung hat der Europäischer Gerichtshof (EuGH) am 17. Februar 2005 festgelegt, dass die Sechste Richtlinie 77/388/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern einer Umsatzbesteuerung des Betriebs von Glücksspielen außerhalb öffentlicher Spielbanken entgegensteht, wenn gleichzeitig der Betrieb solcher Glücksspiele durch öffentliche Spielbanken steuerfrei ist.

Mit Urteil (Linneweber/Akritidis) vom 17.02.2005 (Rs. C-453/02 und 462/02) hat der EuGH zu beiden vorgelegten Fällen entschieden,
dass die Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nummer 9 lit. b) UStG auch auf den Betrieb von Glücksspielen außerhalb öffentlicher Spielbanken auszudehnen ist. Die Umsatzsteuerbefreiung nach der Richtlinie 77/388/EWG sei daher unmittelbar anzuwenden, ohne dass dabei die EU-rechtswidrigen Beschränkungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes zu beachten seien.
Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glückspielen oder Glückspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.  (vgl. Rn 2)


Auszug aus der Entscheidung des EuGH:


In der Rs. Linneweber/ Akritidis ( C-453/02, C-462/02) hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt.

2. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388 hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glücksspielen oder Glücksspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer innerstaatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.

Der Gerichtshof führt wie folgt aus:

20 Außerdem unterliegen, wie der Bundesfinanzhof in seiner Vorlageentscheidung ausgeführt hat, die zugelassenen öffentlichen Spielbanken hinsichtlich der Glücksspiele und Glücksspielgeräte, die sie veranstalten oder betreiben dürfen, keiner Beschränkung.

23 Im Hinblick auf die Beantwortung der so umformulierten Frage ist daran zu erinnern, dass sich aus Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie ergibt, dass die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten grundsätzlich von der Mehrwertsteuer zu befreien ist, wobei die Mitgliedstaaten aber dafür zuständig bleiben, die Bedingungen und Grenzen dieser Befreiung festzulegen (Urteil Fischer, Randnr. 25).

33 Hierzu ist daran zu erinnern, dass sich der Einzelne in Ermangelung fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften berufen kann; er kann sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit sie so geartet sind, dass sie Rechte festlegen, die der Einzelne dem Staat gegenüber geltend machen kann (vgl. u. a. Urteile vom 19. Januar 1982 in der Rechtssache 8/81, Becker, Slg. 1982, 53, Randnr. 25, vom 10. September 2002 in der Rechtssache C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833, Randnr. 51, und vom 20. Mai 2003 in den Rechtssachen C-465/00, C-138/01 und C-139/01, Österreichischer Rundfunk u. a., Slg. 2003, I-4989, Randnr. 98).

34 Was im Einzelnen Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie betrifft, so geht aus der Rechtsprechung hervor, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten zwar unbestreitbar ein Ermessen bei der Festlegung der Bedingungen für die Anwendung bestimmter darin orgesehener Steuerbefreiungen einräumt, dass aber gleichwohl ein Mitgliedstaat einem Steuerpflichtigen, der in der Lage ist, zu beweisen, dass er steuerrechtlich unter einen Befreiungstatbestand der Sechsten Richtlinie fallt, nicht die Tatsache entgegenhalten kann, dass er die Vorschriften, die die Anwendung eben dieser Steuerbefreiung erleichtern sollen, nicht erlassen hat (Urteil Becker, Randnr. 33).

35 Der Umstand, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie dieses Ermessen der Mitgliedstaaten durch die Klarstellung bestätigt, dass sie für die Feststellung der Bedingungen und Beschränkungen der Steuerbefreiungen für Glücksspiele mit Geldeinsatz zuständig sind, ist nicht geeignet, diese Auslegung in Frage zu stellen. Da diese Glücksspiele nämlich grundsätzlich von der Mehrwertsteuer befreit sind, kann sich jeder, der sie veranstaltet, unmittelbar auf diese Steuerbefreiung berufen, wenn der betreffende Mitgliedstaat auf die Ausübung der ihm durch Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie ausdrücklich zuerkannten Befugnisse verzichtet oder es unterlassen hat, von diesen Befugnissen Gebrauch zu machen.

36 Ferner ist festzustellen, dass das, was für den Fall gilt, dass ein Mitgliedstaat die ihm durch Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie zuerkannten Befugnisse nicht ausgeübt hat, erst recht für den Fall gelten muss, dass ein Mitgliedstaat in Ausübung dieser Befugnisse innerstaatliche Rechtsvorschriften erlassen hat, die mit dieser Richtlinie nicht vereinbar sind.

Zur zeitlichen Wirkung des vorliegenden Urteils

41 Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung durch die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Artikel 234 EG vornimmt, erläutert und verdeutlicht wird, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschriften in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschriften betreffenden Streit vorliegen (vgl. u. a. Urteile vom 11. August 1995 in den Rechtssachen C-367/93 bis C-377/93, Roders u. a., Slg. 1995, I-2229, Randnr. 42, und vom 3. Oktober 2002 in der Rechtssache C-347/00, Barreira Pérez, Slg. 2002, I-8191, Randnr. 44).

42 Der Gerichtshof kann sich nur ausnahmsweise nach dem der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit veranlasst sehen, mit Wirkung für die Betroffenen die Möglichkeit zu beschränken, sich auf die Auslegung einer Bestimmung durch den Gerichtshof zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen (vgl. u. a. Urteile vom 23. Mai 2000 in der Rechtssache C-104/98, Buchner u. a., Slg. 2000, I-3625, Randnr. 39, und Barreira Pérez, Randnr. 45).

44 Zweitens rechtfertigen die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einer Vorabentscheidung für einen Mitgliedstaat ergeben können, für sich allein nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen des betreffenden Urteils (vgl. u. a. Urteile Roders u. a. , Randnr. 48, und Buchner u. a., Randnr. 41).

45 Daher ist die zeitliche Wirkung des vorliegenden Urteils nicht zu beschränken.


Urteil
Schlussanträge der Generalanwältin CHRISTINE STIX-HACKL

EuGH-Startseite

Urteilssuche:

EU-Rechtsprechung nach Datum / nach Nummer


vgl.  United Utilities, C 89/05, Rn. 23:
„Was insbesondere Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele betrifft, so ist festzustellen, dass die Steuerbefreiung, die ihnen zugute kommt, durch praktische Erwägungen veranlasst ist, da sich Glücksspielumsätze schlecht für die Anwendung der Mehrwertsteuer eignen (Urteil vom 29. Mai 2001 in der Rechtssache C-86/99, I – 6823 URTEIL VOM 13. 7. 2006 — RECHTSSACHE C-89/05 Freemans, Slg. 2001, I-4167, Randnr. 30), und nicht, wie es bei bestimmten im sozialen Bereich erbrachten Dienstleistungen von allgemeinem Interesse der Fall ist, durch den Willen, diesen Tätigkeiten eine günstigere mehrwertsteuerliche Behandlung zu gewährleisten.“
Aus der englischen und französischen Sprachfassung des Urteils United Utilities ergibt sich nichts anderes. Urteil

Finanzamt Gladbeck ./. Linneweber Edith       (Abschrift)


Bundesfinanzhof
AZ: V R 7/02


IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

Finanzamt Gladbeck,
Beklagter und Revisionskläger

gegen

Edith Linneweber, Schermbecker Str. 36, 46284 Dorsten,
Klägerin und Revisionsbeklagte, Prozessbevollmächtigte: Steuerberaterin Elke Schnürer c/o
Schnürer & Partner Steuerberatungsgesellschaft, Lippstr. 3, 45721 Haltern

Wegen Umsatzsteuer 1997 und 1998

Hat der V-Senat mit Wirkung des Vorsitzenden Richters

Am Bundesfinanzhof
des Richters                        Dr. Wagner
der Richterin                        Dr. Klenk
des Richters                        Dr. Martin
des Richters                        Dr. Lange und
des Richters                        Dr. Heidner

in der Sitzung vom 12. Mai 2005 durch Gerichtsbescheid

für Recht erkannt:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 26. Oktober 2001     5 K 4280/00  U   wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Dieser Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird innerhalb eines Monats nach seiner Zustellung mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.
Auch für den Antrag auf mündliche Verhandlung besteht Vertretungszwang. Zur Vertretung der Beteiligten vor dem Bundesfinanzhof berechtigt sind Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer; ferner Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschafts-prüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie zur geschäfts-mäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugte Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der in dem vorherigen Halbsatz aufgeführten Berufungsangehörigen tätig werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

G r ü n d e :

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres im Jahre 1999 verstorbenen Ehemannes (des Steuerpflichtigen). Dieser stellte Geldspielautomaten und Unterhaltungsgeräte in Gaststätten und in ihm gehörenden Spielhallen zur entgeltlichen Nutzung bereit. Der Steuerpflichtige und die Klägerin erklärten für 1997 und 1998 steuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug in Höhe von 225.000 DM  (1997) und 270.175 DM (1998). Demgegenüber vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt – FA-) in den Umsatzsteuerbescheiden für 1997 und 1998 vom 3. März bzw. 13. März 2000 die Auffassung, die Einnahmen aus dem Betrieb der Geldspielgeräte seien nicht nach § 4 Nr. 9 Buchsta. B des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) steuerfrei,, da sie weder der Rennwett- oder Lotteriesteuer unterlägen noch von einer zugelassenen öffentlichen Spielbank ausgeführt wurden.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kam in Fortführung der Grundsätze des Urteils des Gerichtshofes der europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 11. Juni 1998 Rs. C-283/95 – Karlheinz Fischer -  Slg. 1998, I-3369, Internat. Steuerrecht – IstR – 1998, 399 Rand-NBr. 29) zum Ergebnis, Umsätze mit Geldspielgeräten seien nach Art. 13 Teil B Buchst. F der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) von der Umsatzsteuer befreit; der Unternehmer könne sich insoweit unmittelbar auf diese Vorschrift berufen.

Gegen das Urteil des FG, das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 501 veröffentlicht ist, wendet sich das FA mit der vorliegenden Revision. Es meint, bei den in den Spielbanken aufgestellten Geldspielautomaten seien die Einsätze und Gewinnmöglichkeiten wesentlich höher als bei den ausserhalb der Spielbanken erlaubten Geldspielautomaten. Die vom FG angenommene Wettbewerbssituation bestehe deshalb nicht. Mit Beschluss vom 6. November 2002 (BFHE 200, 149) hatte der Senat das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt und dem EuGH gem. Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG) folgende Fragen zur Auslegung der Richtlinie 77/388/EWG vorgelegt:

„1. Ist Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat die Veranstaltung eines Glückspiels mit Geldeinsatz nicht der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glückspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist?

2. Verbietet Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG einem Mitgliedsstaat, den Betrieb eines Geldspielautomaten bereits dann der Mehrwertsteuer zu unterwerfen, wenn der Betrieb eines Geldspielautomaten durch eine zugelassene öffentliche Spielbank steuerfrei ist, oder muss zusätzlich feststehen, dass die ausserhalb der Spielbanken betriebenen Glückspiel-automaten in wesentlichen Punkten, wie z.B. beim Höchsteinsatz und beim Höchstgewinn, mit den Geldspielautomaten in den Spielbanken vergleichbar sind ?

3. Kann sich der Automatenaufsteller auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen ?“

Der EuGH hat die Sache mit der Rs. C-462/02 verbunden und mit Urteil vom 17. Februar 2005 Rs. C-453/02 – Edith Linneweber – und C-462/02 – Savvas Akritidis – (Umsatzsteuer-Rundschau—UR—2005, 194 mit Anm. Birk/Jahn-dorf, Deutsches Steuerrecht – DStR—2005, 371 mit Anm. Zugmaier, IStR 2005, 200 mit Anm. Dziadkowski, Europäische Zeitschrift für Wirtschaft – EuZW—2005, 210 mit Anm. Tym/Heckeler) geantwortet:

„1. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG … ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glückspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt.

2. Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG hat unmittelbare Wirkung in dem Sinne, dass sich ein Veranstalter oder Betreiber von Glückspielen oder Glückspielgeräten vor den nationalen Gerichten darauf berufen kann, um die Anwendung mit dieser Bestimmung unvereinbarer inner-staatlicher Rechtsvorschriften zu verhindern.“

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
                       
II.

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass sich die Klägerin auf die Steuerbefreiung ihrer Spielautomatenumsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen kann.

1.Der Ehemann der Klägerin hat als Automatenaufsteller Umsätze i.S. des § Abs. 1 Nr. 1 UStG gegenüber den Spielern ausgeführt.

2. Diese Umsätze waren nicht nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG steuerfrei. Nach dieser Vorschrift sind die Umsätze, die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz (RennwLottG) fallen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind, steuerfrei.

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt, da die streitigen Umsätze nicht unter das RennwLottG fallen und der Ehemann der Klägerin keine öffentliche Spielbank betrieb.

3. Die Klägerin kann sich jedoch auf die Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen.

Nach dieser Bestimmung befreien die Mitgliedsstaaten Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz „unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden“ und die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der Befreiungen sowie zu Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer.

a)     Wie der EuGH in der vorliegenden Sache entschieden hat, ist Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG“ dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach die Veranstaltung oder der Betrieb von Glückspielen und Glückspielgeräten aller Art in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei ist, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirtschaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt“.

Eine derartige nationale Rechtsvorschrift ist § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG. Nach ihr sind die Umsätze der öffentlichen Spielbanken, die durch den Betrieb der Spiel-bank bedingt sind, und damit auch die Umsätze aus dem Betrieb von Glückspielgeräten in zugelassenen öffentlichen Spielbanken steuerfrei, während diese Steuerbefreiung für die Ausübung der gleichen Tätigkeit durch Wirt-schaftsteilnehmer, die nicht Spielbankbetreiber sind, nicht gilt. Die Vorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG macht die Steuerbefreiung der von ihr erfassten Spielumsätze von der Identität des Veranstalters oder Betreibers der Glückspiele oder Glückspielgeräte abhängig und ist deshalb nach Auffassung des EuGH unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen  Neutralität mit Art. 13 Teil B Buchst. F der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar (vgl. RandNr. 24 ff., 29 und 30 des EuGH-Urteils).

Der Frage, ob die außerhalb der Spielbanken betriebenen Glücksspielautomaten in einzelnen Punkten, wie z.B. beim Höchsteinsatz und Höchstgewinn oder beim Verhältnis der Spieleinsätze zu den Ausschüttungsbeträgen, mit den Geldspielautomaten in den Spielbanken vergleichbar sind, hat der EuGH daher keine Bedeutung beigemessen.

Ebenso wenig hindert der Umstand, dass die Spielbanken einer auf der Grundlage ihrer Spielerträge berechneten Spielbankabgabe unterliegen, dass der Betrieb von Glücksspielgeräten in zugelassenen öffentlichen Spielbanken und außerhalb dieser Spielbanken, „die Ausübung der gleichen Tätigkeit“ darstellt (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1998, I-3369, IStR 1998, 399 RandNr. 29).

b) Da § 4 Nr. 9 Buchst. B UStG mit der Bestimmung des Art. 13 Teil B Buchst. F der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar ist, kann sich die Klägerin in dem Sinne auf diese  -inhaltlich unbedingte und hinreichend genaue -  Bestimmung berufen, dass die Vorschrift des § 4 Nr. 9 buchst. B UStG keine Anwendung findet.

4.Der Senat entscheidet gemäß § 121 Satz 1, § 90 a Abs. 1 FGO durch Gerichtsbescheid. Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

Dr. Wagner            Dr. Klenk                Dr. Martin
        Dr. Lange            Dr. Heidner

Ausgefertigt
München, den 16.06.05

s.a.:
jurion  (bearbeitet mit Querverweisen)
BFH-Entscheidungen (Simons & Moll-Simons GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft)


IP/10/1251
Brüssel, den 30. September 2010
Direkte Steuern: Kommission verlangt vom Vereinigten Königreich, die Erstattung von unter
Verstoß gegen EU-Recht gezahlten Steuern zu gewährleisten
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Im Hinblick auf das Vorabentscheidungsverfahren Rs. C-440/12, möchte ich auf das BFH-Urteil vom 16.09.2010, (V R 57/09) hinweisen.

Aus der Besprechung des Urteils:
 "Fehlerhafte Umsetzung von EU-Richtlinien und die Bestandskraft von Steuerbescheiden"weiterlesen