Dienstag, 14. Februar 2017

Schlussanträge Rs C-591/15 GBGA Vereinigtes Königreich und Gibraltar


Gerichtshof der Europäischen Union
PRESSEMITTEILUNG Nr. 4/17
Luxemburg, den 19. Januar 2017
Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache C-591/15
The Queen, auf Antrag von:
The Gibraltar Betting and Gaming Association Limited /
Commissioners for Her Majesty's Revenue and Customs
Her Majesty's Treasury

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Nach Ansicht von Generalanwalt Szpunar sind das Vereinigte Königreich und Gibraltar für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs ein einziger Mitgliedstaat

Die  Gibraltar Betting and Gaming Association („GBGA“)  ist ein Wirtschaftsverband, dessen Mitglieder vor allem Glücksspielanbieter mit Sitz in  Gibraltar  sind, die Fernglücksspieldienstleistungen an Kunden innerhalb und außerhalb des Vereinigten Königreichs erbringen.

Im Jahr 2014 erließ das Vereinigte Königreich eine neue Steuerregelung für bestimmte Glücksspielabgaben. Danach haben Glücksspielanbieter für alle Fernglücksspieleinsätze, die Verbraucher des Vereinigten Königreichs bei ihnen  tätigen, eine Glücksspielabgabe  ungeachtet der Steuer zu entrichten, die sie  in  dem Hoheitsgebiet zahlen, unter dessen Zuständigkeit sie fallen. Diese neue Steuerregelung ersetzte die bis dahin geltende Steuerregelung, wonach nur im Vereinigten Königreich ansässige Glücksspielanbieter Glücksspielabgaben auf ihre Bruttogewinne aus an Kunden weltweit erbrachten Glücksspieldienstleistungen zu entrichten hatten.

GBGA focht diese neue Steuerregelung vor dem High Court von England und Wales an, weil sie in der Abgabe einen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union sieht. Die (im Ausgangsverfahren  beklagte) Königliche Finanz- und Zollbehörde macht geltend, dass sich GBGA nicht auf unionsrechtliche Rechtspositionen berufen könne, da die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Gibraltar und dem Vereinigten Königreich nicht vom Unionsrecht erfasst werde. Jedenfalls könne in der neuen Regelung, da es sich um eine unterschiedslos anwendbare steuerliche Maßnahme handle, keine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs gesehen werden.  

Der High Court möchte vom Gerichtshof wissen, ob  für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs Gibraltar und das Vereinigte Königreich so zu behandeln sind, als wären sie Teile eines einzigen Mitgliedstaats, oder ob Gibraltar im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit den Verfassungsstatus eines gegenüber dem Vereinigten Königreich gesonderten Gebiets hat, so dass die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Gibraltar und dem Vereinigten Königreich als Handel innerhalb der Union zu behandeln ist.

In seinen Schlussanträgen von heute vertritt Generalanwalt Maciej Szpunar die Auffassung, dass Gibraltar und das Vereinigte Königreich für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs als eins zu behandeln sind.

Zunächst äußert der Generalanwalt die Ansicht, dass die Verträge, während aus ihnen klar hervorgeht, dass das Unionsrecht auf Gibraltar Anwendung findet,  nichts zu dem Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und  Gibraltar  sagen, wenn es um die Anwendung der Grundfreiheiten geht.

In Ansehung der Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt der Generalanwalt fest, dass es das Vereinigte Königreich und nicht Gibraltar ist, das mit der Ratifizierung der Verträge Verpflichtungen gegenüber den Mitgliedstaaten eingegangen ist. Deshalb werden Vertragsverletzungsverfahren in Bezug auf Gibraltar denkrichtig gegen das Vereinigte Königreich angestrengt, und Gibraltar kann Vertragsverletzungsverfahren nicht selbst einleiten. Käme die Dienstleistungsfreiheit zwischen dem Vereinigten Königreich und Gibraltar zur Anwendung, würde dies nach Ansicht des Generalanwalts befremdlicherweise bedeuten, dass das Vereinigte Königreich eine Verpflichtung gegenüber sich selbst einginge.  Der Generalanwalt  gelangt zu dem Ergebnis, dass die Anwendung des Unionsrechts auf Gibraltar  keine neuen oder zusätzlichen Rechte im Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und Gibraltar schafft, die zu denjenigen hinzukämen,  die sich aus dem Verfassungsrecht beider ergeben.  Dementsprechend können  Gibraltar  und das Vereinigte Königreich für die Zwecke des freien Dienstleistungsverkehrs  nichts anderes als  ein einziger Mitgliedstaat sein.

Sodann äußert der Generalanwalt für den Fall, dass der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass  die Dienstleistungsfreiheit auf den Handel zwischen Gibraltar  und dem Vereinigten Königreich Anwendung findet, die Auffassung, dass diese Freiheit durch die neue Steuerregelung nicht beschränkt wird.  Mit der neuen Steuerregelung werden inländische Glücksspielabgaben auferlegt, die für alle Dienstleistungserbringer unterschiedslos gelten.

Schließlich geht der Generalanwalt für den Fall, dass der Gerichtshof anders als er einen rein innerstaatlichen Sachverhalt verneinen und eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im vorliegenden Fall bejahen sollte, knapp darauf ein, ob eine solche Beschränkung gerechtfertigt wäre. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass es Sache des vorlegenden Gerichts wäre, festzustellen, ob die Fernglücksspielabgabe zur Erreichung der vom Vereinigten Königreich geltend gemachten Ziele, nämlich  der  Herstellung gleicher Bedingungen für inländische und für ausländische Unternehmen  und  der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen steuerlichen Kontrolle über den Glücksspielmarkt durch das Vereinigte Königreich, geeignet und erforderlich ist.

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HINWEIS:  Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Aufgabe des Generalanwalts ist es, dem Gerichtshof in völliger Unabhängigkeit einen Entscheidungsvorschlag für die betreffende Rechtssache zu unterbreiten. Die Richter des Gerichtshofs treten nunmehr in die Beratung ein.
Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

Quelle