Samstag, 28. Juni 2014

Der EuGH und die Deutungshoheit (zu EuGH C-156/13 = Digibet)


Von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein

Urteile des EuGH sollen den Gerichten und Behörden der Mitgliedstaaten die zutreffende Auslegung des Unionsrechts aufzeigen, damit das Unionsrecht richtig angewendet wird. Diese Aufgabe kann der EuGH nur erfüllen, wenn ihm die entscheidungserheblichen Fragen und der zutreffende Kontext vorgelegt werden. Werden dem EuGH – wie mit der Vorlage des BGH vom 24.1.2013 (I ZR 171/10) – lediglich Fragen vorgelegt, die eher akademisch sind und informieren die staatlichen Stellen den Gerichtshof dann nicht hinreichend über die nationale Sach- und Rechtslage, wird der EuGH eine ins Leere gehende Antwort geben, die staatlichen Stellen aber daran erinnern, dass ihnen ungerechtfertigte Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs grundsätzlich verboten sind.

Im Vorlagebeschluss des BGH fehlte jeglicher Nachweis zur Rechtfertigung und zur Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs. Mit einem Übermaß an Selbstbewusstsein unterstellte der BGH die Rechtfertigung mit dem Hinweis auf frühere Urteile. In jenen Urteilen hatte der BGH indes nicht nur seine Vorlagepflicht missachtet. Vielmehr beruhten seine früheren Urteile auf falschen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanzen aus den Jahren 2007 – 2010. Sein Vorlagebeschluss hatte deshalb nichts mit der aktuellen staatlichen Praxis im Bereich der Glücksspiele und Sportwetten zu tun. Die Rechtfertigung und die Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs standen im Vorlagebeschluss des BGH also im luftleeren Raum. Das missfiel nicht nur Digibet, sondern auch dem EuGH.

Zwar hat der EuGH in seinem Urteil vom 12.6.2014 – insoweit ohne Überraschungseffekt – bestätigt, dass eine in der Vergangenheit verfolgte liberale Glücksspielpolitik in einem Bundesland nicht die Kohärenz der aktuell strikteren Politik in den übrigen Ländern in Frage stellt (EuGH, Pressemitteilung Nr. 85/14). Der EuGH hat den BGH aber mit deutlichen Worten daran erinnert, dass erst einmal die Rechtfertigung des staatlichen Eingriffs anhand der Vorgaben des Unionsrechts hätte geprüft werden müssen, was der I. Senat beim BGH – wie der Verfasser in seinen Beiträgen vom 25.1., vom 7.2. und vom 15.3.2013 hervorgehoben hatte – mit bemerkenswerter Lässigkeit versäumt hatte. Weil dieses Versäumnis auch dem EuGH irritierte, hat er sogar im Urteilstenor sowie in seiner Pressemitteilung hervorgehoben, dass der BGH die Prüfung nachholen muss, ob die staatliche Beschränkung allen Anforderungen an die Rechtfertigung und die Verhältnismäßigkeit genügt. Unter Hinweis auf sein Urteil Dickinger und Ömer und die dortigen Verweise betont der EuGH die hohe Messlatte für die Rechtfertigung nationaler Beschränkungen im Bereich des Glücksspiels und der Sportwetten.

Die Entscheidung des EuGH bestätigt also nur die Unionsrechtskonformität der früheren Glücksspiel- und Wettpolitik von Schleswig-Holstein, die weiterhin auf die Lizenzinhaber angewendet wird. Eine in der Vergangenheit liegende liberalere Regelung der Sportwetten und des Glücksspiels in einem einzelnen Bundesland stellt nicht die Kohärenz der aktuellen restriktiven Wett- und Glücksspielpolitik in Frage. Das wussten wir auch vorher.

Die Hoffnung staatlicher Stellen, bei Behörden und Gerichten entstünde größeres Vertrauen in die unionsrechtliche Belastbarkeit des GlüÄndStV, bleibt aber eine Hoffnung. Bemerkenswert fernliegend sind insbesondere Interpretationen des EuGH-Urteils in dem Sinne, dass Glücksspielangebote aus Schleswig-Holstein in den übrigen 15 Bundesländern illegal seien.

Illegal – das ist die wirkliche aber keineswegs neue Erkenntnis aus dem EuGH-Urteil – sind staatlich veranlasste Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die nicht durch zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls gerechtfertigt und nicht in jeder Hinsicht verhältnismäßig sind.


Der BGH muss im Ausgangsverfahren nunmehr die Unterlassungsklage abweisen. Westlotto hat den Nachweis der Rechtfertigung und der Verhältnismäßigkeit seines staatlichen Eingriffes in die Dienstleistungsfreiheit nicht nachgewiesen, schon gar nicht bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsfindung durch den BGH. Vielmehr hat Westlotto schon durch die Inanspruchnahme des Wettbewerbsrechts und durch das Unterlassungs- und Schadensersatzverlangen verdeutlicht, dass es bei dem Eingriff nicht um legitime Ziele des Gemeinwohls geht, sondern um illegitime Ziele fiskalischer Natur (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.6.2013, 8 C 10.12, 12.12 und 17.12). Der I. Senat beim BGH, der sich dieser Erkenntnis unter seinem früheren Vorsitzenden verschlossen hat, wird zudem u.a. prüfen müssen, ob die Kohärenz eines Internetvertriebsverbotes zu verneinen ist, weil mehrere Wettanbieter auf der Grundlage von Erlaubnissen nach dem Gewerberecht des Gesamtstaates DDR bundesweit auch über den Internetvertrieb tätig seien dürfen. Selbst wenn man der – bizarren – These folgt, jene DDR-Erlaubnisse hätten Legitimationswirkung nur jenseits der früheren Demarkationslinie, bleibt fraglich, ob diese Legitimationswirkung die Kohärenz beseitigt.

Ungeachtet der Tatsache, dass der BGH die Unterlassungsklage nicht bestätigen kann, weil er nicht weiß, ob die staatliche Praxis im Zeitpunkt seiner Entscheidung ausnahmsweise die Negation der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigt, müsste er ohnehin erneut zur Auslegung des Kohärenzgebotes im Zusammenhang mit Schleswig-Holstein vorlegen. Der EuGH hat nämlich aufgrund des missverständlichen Vorbringens der deutschen Stellen die Rechtswirklichkeit im nördlichsten Bundesland verkannt. Zwar hatte der BGH im Vorlagebeschluss in Rn. 30 erwähnt, dass das liberale Glücksspielgesetz von Schleswig-Holstein für die dortigen Erlaubnisinhaber sechs Jahre fortgilt und die Legitimationswirkung der Lizenzen verlängert werden kann. Ausweislich seiner Ausführungen in Rn. 36 und 37 hat der EuGH seiner Auslegung des Kohärenzgebotes aber irrig zugrunde gelegt, dass die liberalere Rechtslage zeitlich und räumlich auf Schleswig-Holstein „begrenzt war“. Der EuGH nahm also irrig an, Schleswig-Holstein habe ab dem 8.2.2013 die restriktiveren Regeln des GlüÄndStV angewendet. Diese Annahme ist unzutreffend, weil Artikel 4 des Gesetzes zur Änderung glücksspielrechtlicher Gesetze vom 1.2.2013 (GVOBl. S. 64, 69) bestimmt, dass das Glücksspielgesetz SH – mit einer kleinen Ausnahme – „weiter Anwendung“ für die bereits erteilten 48 Genehmigungen für stationäre oder online-Anbieter findet und damit einen Großteil des aktuellen Sportwetten- und Casinomarktes abdeckt.

Es bleibt die Erkenntnis, dass die Entscheidung des EuGH an der Rechtswirklichkeit vorbeigeht, soweit das Kohärenzgebot konkretisiert wurde. Darauf können die deutschen Stellen nicht stolz sein, denn ihre Irreführung erweist sich als Bumerang. Nunmehr ist der BGH durch den Tenor eines an ihn „persönlich“ gerichteten EuGH-Urteils verpflichtet, die Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit der aktuellen Anwendung eines Internetvertriebsverbotes nach allen Regeln der unionsrechtlichen Kunst zu prüfen. Er wird dabei zu derselben Erkenntnis gelangen, wie das Bundesverwaltungsgericht, das den Bundesländern im Juni 2013 höchstrichterlich bescheinigt hatte, dass sie mit dem Glücksspielstaatsvertrag illegitime Ziele verfolgen.

Einen Ausweg aus diesem vermeintlichen Dilemma bietet eine erneute Vorlage an den EuGH unter Hinweis auf die zutreffende Sach- und Rechtslage in den Bundesländern. Zu dieser Vorlage, die auch die Frage aufwerfen sollte, ob ein im Wettbewerb agierender staatlicher Anbieter, der Unterlassung und Schadensersatz verlangt, zugleich ohne fiskalische Ausrichtung „konsequent“ im Sinne der Oddset-Entscheidung des BVerfG sowie „systematisch und kohärent“ im Sinne von Gambelli auf die Bekämpfung von Suchtgefahren ausgerichtet sein kann, ist der BGH als letzte Instanz ohnehin verpflichtet.

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Mehr:

Bundesgerichtshof muss Verhältnismäßigkeit der deutschen Glücksspielregelung prüfen

PRESSEMITTEILUNG Nr. 85/14 zum EuGH-Urteil vom 12. Juni 2014  (C-156/13; Digibet

Staatliche Lottogesellschaft aufgrund vorsätzlichen Kartellverstoßes zu 11,5 Mio. Euro Schadenersatz verurteilt 
Mit Berufungsurteil vom 09.04.2014 hat der 1. Kartellsenat des Oberlandesgerichts die Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG verurteilt, an eine bundesweit tätige Spielvermittlerin Schadenersatz in Höhe von rund 11,5 Mio. € zu zahlen. Die Beklagte sowie die übrigen Landeslottogesellschaften des Deutschen Lotto- und Totoblocks (DTLB) hätten vorsätzlich in kartellrechtswidriger Weise durch abgestimmtes Verhalten eine Zusammenarbeit mit der Klägerin bei der Spielvermittlung verweigert. Dies sei ein wesentlicher Grund für das Scheitern des - durchaus erfolgversprechenden - Geschäftsmodells der Klägerin gewesen.
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Freitag, 20. Juni 2014

Banken und Bankster - Der Banker - Master of the Universe

Investmentbanker Rainer Voss spricht schonungslos über Banken aus der Innensicht.
Gerade für die Euro-Krise verheißt der Film nichts Gutes.
Schließlich gibt Voss noch einen Ausblick über den weiteren Verlauf der Euro-Krise. Es sei eine klare Linie zu erkennen: Hedgefonds-Manager hätten „das Eis an der schwächsten Stelle angeknackst“: Griechenland. Dann Portugal, Spanien, Italien, immer ein Stück größer. Er beschreibt, wie Fonds die Staaten erpressen können und das auch regelmäßig täten, um Gewinn zu machen. Welches Land kommt als nächstes? „Frankreich“, sagt Voss. Und dann? „Game over.“
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Der Banker - Master of the Universe
Dokumentarfilm
Di, 17. Jun 2014 · 22:55-00:22 · arte
Wiederholung am Do, 3. Juli 2014 · 02:10-03:37 · arte
Mediathek

Zum ersten Mal packt ein ehemals führender Investmentbanker Deutschlands aus. Rainer Voss, der in seiner aktiven Zeit locker mit Millionen hantierte, erzählt aus eigener Anschauung, wie es in der glitzernden Finanzwelt wirklich zugeht, von all ihren Abgründen und Skrupellosigkeiten. Seine Perspektive öffnet dem Zuschauer glasklare Einsichten ins Finanzwesen und erschüttert ihn mit der Erkenntnis, dass die Exzesse der Vergangenheit auch in Zukunft nicht zu vermeiden sein werden. Ein atemberaubendes Psychogramm einer Branche und ihrer Akteure. Der Dokumentarfilm ist für den Deutschen Filmpreis 2014 nominiert.  Rainer Voss war einer der führenden Investmentbanker in Deutschland. Er machte täglich Gewinne in Millionenhöhe. Jetzt sitzt er in einer verlassenen Bank mitten in Frankfurt und redet zum ersten Mal. Öffentlich und ungeschminkt gibt er einen Einblick in die Denkweise und die Mechanismen eines sonst sorgfältig abgeschotteten Systems. Vor dem Zuschauer baut sich Stück für Stück die beängstigende Innenperspektive einer größenwahnsinnigen, quasi-religiösen Parallelwelt hinter verspiegelten Fassaden auf. Rainer Voss berichtet von seinem eigenen Aufstieg in den 80er Jahren, zeitgleich mit den Banken. Er weiß, wie es sich anfühlt, "Master of the Universe" zu sein. Er kennt das Bankensystem von innen, war lange Zeit selbst ein Teil davon. Bis auch ihn die Krise traf. Er wurde entlassen. Rainer Voss betreibt kein wohlfeiles Banken-Bashing. In einem glaubhaften Prozess des Umdenkens hat er all seine damaligen Überzeugungen infrage gestellt. Er weiß heute, dass er selbst als Teil seiner Berufskaste entscheidend zum Entstehen von Krisen beigetragen hat. Jetzt will er Aufklärungsarbeit leisten. Regisseur Marc Bauder beschäftigt sich in seinen Filmen immer wieder intensiv mit der Welt des Geldes. Doch noch nie traf er auf einen so ranghohen Vertreter des Wirtschaftssystems, der derart offen und selbstkritisch mit sich und seiner Branche aufräumt. Auf dem Filmfest von Locarno lief der Film 2013 in der Reihe "Semaine de la Critique" und wurde mit dem Hauptpreis der Jury ausgezeichnet. Der Dokumentarfilm ist für den Deutschen Filmpreis 2014 nominiert.
Herkunft/ Produktionsjahr: Deutschland 2013
Regie: Marc Bauder

s.a.:
Banken Banker Bankster - Der grosse Reibach/Der Tanz der Geier - ARTE Doku (youtube)

SPON Die Banken haben aus der Finanzkrise gelernt?
Ach was! Eine Rede von Jürgen Fitschen, Co-Chef der Deutschen Bank, beweist: Die Arroganz der Finanzindustriellen ist ungebrochen. Wann wehrt sich die Zivilgesellschaft?
Unser System ist die reine Oligarchie
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Unbeirrt: eine Bloggerin und der HSH-Nordbank-Prozess Sie leistet, was kein anderes Medium so intensiv betreibt: Dani Parthum berichtet von jedem Verhandlungstag auf eigenes Risiko. Jetzt braucht sie selbst anwaltliche Hilfe

ZAPP - 04.06.2014 23:20 Uhr 3sat
W-Mo, 23. Jun 14 · 15:00-15:30 · EinsPlus
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Eine Bloggerin und der HSH-Nordbank-Prozess
von Annette Leiterer
Die ehemaligen Vorstände der Bank stehen zurzeit vor Gericht.

"Ich finde es wichtig darüber zu berichten, weil es unser aller Geld ist." Und mit diesem Geld meint Dani Parthum die Steuermilliarden, die zur Rettung der HSH Nordbank aufgewendet werden mussten. In dem zurzeit laufenden Prozess gegen die ehemaligen Vorstände der Bank geht es um nicht ganz so viel Geld. Der Vorwurf: Bilanzfälschung und schwere Untreue. Seit gut zehn Monaten läuft der Prozess und seitdem sitzt Dani Parthum dabei, wenn verhandelt wird. In ihrem Blog über die deutschen "bad banks" schreibt Parthum ihr eigenes Prozessprotokoll aus eigenem Antrieb und auf eigenes Risiko. Was das bedeutet, weiß sie spätestens seitdem sie im Februar eine Abmahnung und eine Unterlassungserklärung von einem Verteidiger eines der Ex-HSH-Vorstände erhalten hat. Der Verteidiger sah sein Persönlichkeitsrecht verletzt und nahm sich einen bekannten Medienanwalt. Die Bloggerin änderte die betroffenen Stellen in einem Blogeintrag. Dann traten der Medienanwalt und Dani Parthum in Kontakt mit dem für die Journalistin unbefriedigendem Ergebnis, dass der Anwalt danach eine Einstweilige Verfügung gegen sie erwirkte, verbunden mit sehr hohen Kosten.
Mit anwaltlicher Hilfe konnte die Bloggerin einen Teil der Kosten durch einen Kostenwiderspruch nun abwehren, aber für sie bleibt der Eindruck der Einschüchterung: "Ich hatte auch das Gefühl ein bisschen mundtot gemacht zu werden." Das dahinter liegende Problem bringt Parthums Anwalt Jörg Nabert auf den Punkt: "Der Blogger hat in aller Regel weder die wirtschaftlichen Mittel noch die juristischen Erfahrungen, sich gegen solche Angriffe zu verteidigen. Und er hat auch keine Rechtsabteilung, er hat kein Management im Hintergrund, das ihm hilft, wenn so etwas passiert. Wenn also ein wirtschaftlich potenter Angreifer da steht oder ein erfahrener Angreifer da steht, der auf der Klaviatur der Juristerei gut spielen kann, der wird der Bloggerin immer überlegen sein."
Corpsgeist unter Bloggern

Der erfahrende und erfolgreiche Blogger Thomas Knüwer arbeitet heute als Berater in digitalen Fragen. Er meint: "Das rechtliche Risiko für Blogger ist erst einmal überall gleich. Denn es ist ja keineswegs so, dass Blogs, die nichts mit Wirtschaft und Politik zu tun haben, nicht abgemahnt würden. Das kennen wir seit Jahren. Man muss sich mit diesen Risiken durchaus beschäftigen, wenn man kritischer schreibt. Wenn man ein Tagebuch-Blog hat oder hübsch über Mode schreibt, ist das Risiko natürlich geringer. Aber die rechtlichen Grundlagen muss man sich definitiv schaffen." Im Fall des Blogs über die deutschen "bad banks" schätzt er das Risiko aber als besonders hoch ein: "Wir reden hier im Fall von Frau Parthum darüber, dass es ein sehr komplexes Thema ist, bei dem viele Topanwälte rumlaufen. Und die werden eben dafür bezahlt, dass sie Abmahnungen schreiben."

Thomas Knüwer rät Bloggern vor allem zur Vernetzung: "Was wir sehen ist, dass bei solchen Blogs, die sich gut vernetzt haben, im Netz Hilfe bekommen. Also einerseits im Blogverlauf gibt es Leser und Kommentatoren, die sagen, schau genauer hin. Und dann gibt es so etwas wie einen Chorgeist. Also, wenn ich eine Abmahnung bekommen habe, dann spreche ich besser mit einem Anwalt. Wo finde ich den? Im gleichen Biotop, in dem ich selbst schreibe. Wir haben zum Beispiel in Deutschland ganz fantastische Law-Blogs, schreibende Anwälte. Man lernt nicht nur von denen, die kann man auch kontaktieren und die geben dann einem Tipps. Das heißt, auch da ist man wieder vernetzt."

Schließlich sei es so, wenn ein Blog mit hoher Reichweite abgemahnt würde, dass dann auch andere Blogs darüber berichten, was Vorteile bieten kann. Der kleine Sieg von Dani Parthum den Kostenwiderspruch betreffend sieht Thomas Knüwer nicht als Durchbruch: "Wir brauchen, dass sich solche Fragen in höhere Instanzen durcharbeiten, damit wir Grundsatzurteile bekommen. Das hat nur einen Haken: In dem Moment, wo es nur Einzelblogger betrifft, sind die eher bereits, Deals abzuschließen, damit es eben nicht in die höhere Instanz geht und damit nicht teurer geht. Ich fürchte, daran werden wir nicht viel ändern können. Was helfen würde, wäre, wenn sich Rechtsschutzversicherungen überlegen würden, Rechtsschutzversicherungen für Social Media und für Blogs zu entwerfen. Das gibt es meines Wissens noch nicht."
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Donnerstag, 19. Juni 2014

MwStSystRL und ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht

Bundesrechnungshof:
Mehrwertsteuer verstoße in vielen Teilen gegen geltendes EU-Recht
Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Dieter Engels, nennt das Mehrwertsteuer-System nun "zunehmend unübersichtlicher und widersprüchlicher".
Die Europäische Union habe schon mehr als einmal die steuerlichen Absonderlichkeiten in der Bundesrepublik kritisiert. Es drohen hohe Geld-Bußen.
Die Bundesregierung beschäftigt ein Beamtenheer, um diesen Klagen zeitaufwendig zu begegnen.
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EuGH Entscheidungen zum

hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht

Wegen der mehrfachen und langandauernden Verstöße gegen gültiges Gemeinschaftsrecht, hier die unmittelbar gültige Mehrwertsteuerrichtlinie (MwStSystRL), nebst Durchführungsverordnung i. V. mit der fortgesetzten Nichtbeachtung von EuGH-Urteilen wird aus meiner Sicht, hinreichend qualifiziert gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen.
vgl. EuGH, Linneweber/Akritidis; Rs. C-453/02 und 462/02, Rdnr. 2; zur Berufung auf die unmittelbare Wirkung der Mehrwertsteuerrichtlinie

Der EuGH hat bereits mehrfach entschieden, dass ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht offenkundig qualifiziert sei, wenn er trotz des Erlasses eines Urteils, in dem der zur Last gelegte Verstoß festgestellt wird, oder eines Urteils im Vorabentscheidungs-verfahren oder aber einer gefestigten einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes (…) fortbestanden hat“ 
Verbundene Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Rdnr. 57, erneut zitiert in den Rechtssachen C-118/00, Rdnr. 44; C-224/01, Rdnr. 57, C-446/04, Rdnr. 214, C-524/04, Rdnr. 120,  C-446/04, Rdnr. 214, und C-201/05, Rdnr. 123.

Der Bundesdeutsche Gesetzgeber, die Behörden und Gerichte verstießen wegen der unvollständigen Umsetzung und rechtswidrigen Anwendung der RL spätestens seit 1982 gegen das EuGH-Urteil Becker (8/81, Slg. 1982, 53 ) und gegen das Urteil Fischer, vom 11.06.1998, C-283/95, aus dem hervorgeht, dass nach Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten grundsätzlich von der Mehrwertsteuer zu befreien ist
(vgl. EuGH, Becker Rn 32, 34, 39; Linneweber/Akritidis, Rs. C-453/02 und 462/02 Rdnr. 23, 25; Urteil Zimmermann, C-174/11)

Unter Beachtung auf mögliche direkt im Gemeinschaftsrecht selbst begründete Erstattungs- und Staatshaftungsansprüche gewinnt die Grundfreiheitsdogmatik in jüngerer Zeit zunehmende Bedeutung.

Nationale Maßnahmen, sind im Rahmen der "Rechtfertigung" von Grundfreiheitsbeeinträchtigungen an den Grundrechten der EMRK zu messen. (vgl. EuGH, Pfleger Rs. C-390/12, Rn 31ff, EuGH, Åkerberg Fransson, EU:C:2013:105, Rn. 18).

Im Hinblick auf den Harmonisierungsauftrag war nach Ansicht der EuGH Richter der tatbestandlich festgestellte Grundfreiheitsverstoß auch nicht unter Umständen einer Rechtfertigung zugänglich, so daß die betreffende nationale Norm aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht letztendlich unanwendbar wurde. (vgl. Linneweber, C-453/02, Rn 23, 35, 37)

Seit langem ist anerkannt, daß die Erhebung von Abgaben unter Verstoß gegen unmittelbar anwendbares primäres Gemeinschaftsrecht zu einem Erstattungsanspruch führt, der sich aus dem Gemeinschaftsrecht selbst ergibt als eine Folge und eine Ergänzung der Rechte, die den einzelnen durch die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften eingeräumt worden sind.
(vgl. EuGH-Urteil vom 09.11.1983, S.p.A. San Giorgio; Rs. 199/8, Slg. 1983, 3595, 3612; TZ. 122, TANZER in Holoubek/M. Lang, das EuGH-Verfahren in Steuersachen, S. 207, S. 210 ff)

Spätestens seit der Fortführung der "Francovich" - Rechtsprechung (C-6 u. C-9/90) durch die Eintscheidung "Brasserie du Pescheur" (Rs. C-46 u. C-48/93) im März 1996, steht fest, daß die Mitgliedstaaten - zumindest in "hinreichend qualifizierten" Fällen - einer Einstandspflicht unterliegen können für Schäden, die dem einzelnen Marktteilnehmer aus der Anwendung grundfreiheitswidriger nationaler Vorschriften entstehen.

Eine solche unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung hängt nicht davon ab, dass der betroffene Mitgliedstaat bei der Umsetzung der betreffenden Richtlinie absichtlich oder fahrlässig schuldhaft gehandelt hat oder dass eine hinreichend qualifizierte Verletzung von Unionsrecht vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer, C-62/00, Slg. 2002, I-6325, Randnrn. 25 und 27, vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835, Randnr. 103, und vom 10. April 2008, Marks & Spencer, Randnr. 36).

Der Gerichtshof hatte bereits entschieden, dass sich die "Bedingungen" in keiner Weise auf den Inhalt der vorgegebenen Steuerbefreiung erstrecken dürfen, womit sich die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten ausschließlich auf die Zulassung von Glücksspielen beschränkt. (vgl. Becker Rn 32, 34, 39)

Der Geist des Art. 131 dieser Richtlinie verlangt eine korrekte und einfache Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiung (Rn 33, C-58/09, Leo-Libera GmbH; vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2006, Turn- und Sportunion Waldburg, C-246/04, Slg. 2006, I-589, Randnr. 31).

Der EuGH hat auch entschieden, dass die Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat, der zum Zeitpunkt dieser Rechtsverletzung keine gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen hatte und über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, ausreiche, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.
Rechtssache C-5/94, Rdnr. 28,  später erneut zitiert in den verbundenen Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94, Rdnr. 21,sowie den Rechtssachen C-190/94, Rdnr. 25, C-127/95, Rdnr. 109, C-424/97, Rdnr. 38, C-118/00, Rdnr. 38, C-224/01,C-446/04, Rdnr. 212, C-278/05, Rdnr. 71, C-470/03, Rdnr. 81 und C-452/06, Rdnr. 38.

Ob und in welchem Umfang dieser Gestaltungsspielraum vorliege, bestimme sich nach Gemeinschaftsrecht und nicht nach nationalem Recht
Rechtssache C-424/97, Rdnr. 40.

Der Gerichtshof hat in der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt und mithin die Haftung des Staates auslöst, mehrfach direkt Stellung bezogen.
Rechtssache C-392/93, Rdnr. 41, erneut zitiert in den verbundenen Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94, Rdnr. 49, sowie in den Rechtssachen C-319/96, Rdnr. 26, C-118/00, Rdnr. 40, und C-224/01, Rdnr. 101.

In der Rechtssache Dillenkofer vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass, wenn ein Mitglied keine Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie innerhalb der dafür festgesetzten Frist trifft, um das durch diese Richtlinie vorgeschriebene Ziel zu erreichen, dieser Umstand als solcher einen qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt.
Verbundene Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94, Rdnr. 29, erneut aufgegriffen in den Rechtssachen C-319/96, Rdnr. 28, und C-111/97, Rdnr. 21.

Der Gerichtshof argumentiert, dass sich bei Verstoß gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung die Haftung des Staates auf alle seine Organe erstrecke und dies erst recht für die Gemeinschaftsrechtsordnung gelten müsse, da diese für alle staatlichen Instanzen einschließlich der Legislative bindend und das Gemeinschaftsrecht dazu da sei, die Situation des Einzelnen unmittelbar zu regeln.
Verbundene Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Rdnr. 32.
Rechtssache C-302/97, Rdnr. 62.
Rechtssache C-424/97, Rdnr. 27.
Rechtssache C-224/01, Rdnr. 32-35; 53, 55-56.


Würde man eine Haftung des Staates ausschließen, sobald der einem nationalen Gericht zur Last gelegte Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht die Auslegung von Rechtsnormen oder eine Sacherhalts- oder Beweiswürdigung beträfe, würde nach Ansicht des Gerichtshofs der Grundsatz der Haftung des Staates ins Leere laufen, denn dies hieße nichts anderes als dass der Einzelne des Schutzes durch ein Gericht beraubt würde, sobald ein letztinstanzliches nationales Gericht einen offenkundigen Fehler bei der Ausübung dieser Tätigkeiten beginge.

Eine nationale Norm, die die Haftung des Staates auf Fälle von Vorsatz oder grob fehlerhaftem Verhalten des Richters begrenze, würde dem Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufen. Er verwies dabei nochmals auf die Haftungsvoraussetzungen, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ableiteten und im Urteil Köbler ausführlich dargestellt worden seien.
Rechtssache C-173/03.
Rechtssache C-224/01.
Rechtssache C-173/03, Rdnrn. 20 und 24, 31, 34, 35, 36, 38, 39, 41, 44; 46.

s.a.: 
EuGH zur Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung
Harz (Rs. 79/83) Slg. 1984, 1921 HV, 29

EuGH zur Rechtssicherheit (Gewissheit des Bürgers über seine Rechte)
TA-Luft (Rs. C-361/88) Slg. 1991, I-2567 HV, 170

Zur Zusammenfassung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht

Direktlink zum Gerichtshof der Europäischen-Union (EuGH)

Breuer untersucht die Justiziabilität mitgliedstaatlicher Gerichtsurteile im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 226 EGV

Zusammenfassung von "Urteile mitgliedstaatlicher Gerichte als möglicher Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 226 EG?" von Dr. Marten Breuer, original erschienen in: EuZW 2004 Heft 7, 199 - 201.

Ausgangslage des Beitrages ist das Urteil des EuGH vom 09.12.2003. Nach Ansicht des Autors handelt es sich entgegen dem äußeren Anschein bei dieser Entscheidung nicht um einen ersten Fall einer Verurteilung eines Mitgliedstaates unmittelbar wegen gerichtlicher Fehlentscheidungen. Das Verfahren habe sich hingegen unmittelbar gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers gerichtet. Grundsätzlich bleibe es der Kommission allerdings möglich, auf einzelne Gerichtsentscheidungen direkt mit dem Vertragsverletzungsverfahren zu reagieren.
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RICHTLINIE 2006/112/EG DES RATES
vom 28. November 2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(ABl. L 347, 11.12.2006, p.1)
vormals (Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern) geregelt.

Die Richtlinie trat gem. Art. 413 am 01.01.2007 in Kraft und war entsp. Art 412 bis 01.01.2008 umzusetzen.
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Mittwoch, 18. Juni 2014

BW: Landesglücksspielgesetz teilweise verfassungswidrig

Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg
Der Staatsgerichtshof ist das baden-württembergische Verfassungsgericht. Er ist ein selbstständiges und unabhängiges Verfassungsorgan. Der Staatsgerichtshof entscheidet über die Auslegung der Landesverfassung und stellt mit seinen Entscheidungen sicher, dass die anderen Staatsorgane die Landesverfassung beachten.

Der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg steht gleichberechtigt neben Landtag und Landesregierung. Seine Entscheidungen, die zum Teil Gesetzeskraft haben, binden die anderen Verfassungsorgane sowie alle Gerichte und Behörden des Landes. Der Staatsgerichtshof entscheidet grundsätzlich nur in Streitigkeiten, die die Verfassung des Landes Baden-Württemberg betreffen.

Kurzfassung:

Verfassungsbeschwerden gegen Landesglücksspielgesetz und Glücksspielstaatsvertrag teilweise erfolgreich

Nach Auffassung des Staatsgerichtshofes ist die in § 29 Abs. 4 Satz 2 und 3 des Glücksspielstaatsvertrages 2011 (GlüStV) und in § 51 Abs. 4 Satz 1 und 2 des Landesglücksspielgesetzes (LGlüG) enthaltene Übergangsregelung mit der Landesverfassung unvereinbar. Der gewählte Stichtag 28.10.2011 genüge nicht der Eigentumsgarantie in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Das Land sei verpflichtet, insoweit bis zum 31.12.2015 eine verfassungskonforme Rechtslage für Baden-Württemberg herzustellen. Die Bestimmungen könnten einstweilen weiter angewandt werden. Dies gelte mit der Maßgabe, dass – soweit die Behörden des Landes den weiteren Betrieb bestehender Spielhallen, für die bis einschließlich 18.11.2011 eine Erlaubnis nach § 33i GewO beantragt und in der Folge erteilt worden ist, bis zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage für Baden-Württemberg nicht unabhängig von der Erfüllung der Anforderungen aus § 41 LGlüG und §§ 24 und 25 GlüStV dulden – eine Entschädigung zu leisten sei.

Zudem trage der Termin für die Stellung eines Antrag auf Erteilung einer Spielhallenerlaubnis für die Zeit nach Ablauf der Übergangsfrist am 30.06.2017 (§ 51 Abs. 4 Satz 3 LGlüG) der Berufsfreiheit konkurrierender Spielhallenbetreiber nicht in angemessener Weise Rechnung. Das Land sei verpflichtet, insoweit bis zum 31.03.2015 eine verfassungskonforme Regelung zu erlassen. Einstweilen sei die Vorschrift weiter anzuwenden.

Die Berufsfreiheit sei auch insoweit verletzt, als für bestehende Spielhallen, die sich in einem Abstand von unter 250 m zueinander befinden, eine Befreiung vom Abstandsgebot anders als für das Verbot verbundener Spielhallen auch bei Vorliegen von Härtegründen nicht möglich sei (§ 51 Abs. 5 Satz 2 LGlüG). Die Vorschrift verletze damit auch das Gleichheitsgebot und sei nichtig.

Die Berufsfreiheit werde auch dadurch verletzt, dass das Landesglücksspielgesetz die Spielhallenbetreiber dazu verpflichte, die Personalien der Gäste mit der zentralen Glücksspiel-Sperrdatei der Länder abzugleichen, obwohl der Glücksspielstaatsvertrag diese Möglichkeit nicht vorsehe (§ 43 Abs. 1 Satz 2 LGlüG). Die entsprechende Vorschrift des Landesglücksspielgesetzes sei nichtig. Soweit die dort vorgeschriebenen Eingangskontrollen dem Jugendschutz dienen, sei die Regelung nach Maßgabe der Urteilsgründe verfassungsgemäß.

Das Verbot, Spielhallen in einem baulichen Verbund zu betreiben (§ 25 Abs. 2 GlüStV und § 42 Abs. 2 LGlüG), sei mit der Landesverfassung vereinbar und gültig.

Das Abstandsgebot zu anderen Spielhallen (§ 42 Abs. 1 LGlüG) verletze die Beschwerdeführerin zu 4 nicht in ihren Grundrechten.

Pressemitteilungen des Staatsgerichtshofes

Verfassungsbeschwerden gegen Landesglücksspielgesetz und Glücksspielstaatsvertrag teilweise erfolgreich

Der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat mit einem heute veröffentlichten Urteil den Verfassungsbeschwerden von fünf Spielhallenbetreibern gegen das Landesglücksspielgesetz und das Zustimmungsgesetz des Landes zum Glücksspielstaatsvertrag teilweise stattgegeben und sie im Übrigen als unzulässig oder unbegründet zurückgewiesen.

Vollständiger Text:

Verfassungsbeschwerden gegen Landesglücksspielgesetz und Glücksspielstaatsvertrag teilweise erfolgreich

Pressemitteilung des Staatsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg vom 18.06.2014


1 VB 15/13 - Urteil vom 17. Juni 2014

Der Staatsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat mit einem heute veröffentlichten Urteil den Verfassungsbeschwerden von fünf Spielhallenbetreibern gegen das Landesglücksspielgesetz und das Zustimmungsgesetz des Landes zum Glücksspielstaatsvertrag teilweise stattgegeben und sie im Übrigen als unzulässig oder unbegründet zurückgewiesen.

I. Zum Inhalt der Entscheidung

Die in § 29 Abs. 4 Satz 2 und 3 des Glücksspielstaatsvertrages 2011 (GlüStV) und in § 51 Abs. 4 Satz 1 und 2 des Landesglücksspielgesetzes (LGlüG) enthaltene Über-gangsregelung ist mit der Landesverfassung unvereinbar. Der gewählte Stichtag 28. Oktober 2011 genügt nicht der Eigentumsgarantie in Verbindung mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Das Land ist verpflichtet, insoweit bis zum 31. Dezember 2015 eine verfassungskonforme Rechtslage für Baden-Württemberg herzustellen. Die Bestimmungen können einstweilen weiter angewandt werden. Dies gilt mit der Maßgabe, dass - soweit die Behörden des Landes den weiteren Betrieb bestehender Spielhallen, für die bis einschließlich 18. November 2011 eine Erlaubnis nach § 33i der Gewerbeordnung (GewO) beantragt und in der Folge erteilt worden ist, bis zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage für Baden-Württemberg nicht unabhängig von der Erfüllung der Anforderungen aus § 41 LGlüG und §§ 24 und 25 GlüStV dulden - eine Entschädigung zu leisten ist.

Zudem trägt der Termin für die Stellung eines Antrag auf Erteilung einer Spielhallenerlaubnis für die Zeit nach Ablauf der Übergangsfrist am 30. Juni 2017 (§ 51 Abs. 4 Satz 3 LGlüG) der Berufsfreiheit konkurrierender Spielhallenbetreiber nicht in angemessener Weise Rechnung. Das Land ist verpflichtet, insoweit bis zum 31. März 2015 eine verfassungskonforme Regelung zu erlassen. Einstweilen ist die Vorschrift weiter anzuwenden.

Die Berufsfreiheit ist auch insoweit verletzt, als für bestehende Spielhallen, die sich in einem Abstand von unter 250 m zueinander befinden, eine Befreiung vom Abstandsgebot anders als für das Verbot verbundener Spielhallen auch bei Vorliegen von Härtegründen nicht möglich ist (§ 51 Abs. 5 Satz 2 LGlüG). Die Vorschrift verletzt damit auch das Gleichheitsgebot und ist nichtig.

Schließlich wird die Berufsfreiheit auch dadurch verletzt, dass das Landesglücksspielgesetz die Spielhallenbetreiber dazu verpflichtet, die Personalien der Gäste mit der zentralen Glücksspiel-Sperrdatei der Länder abzugleichen, obwohl der Glücksspielstaatsvertag diese Möglichkeit nicht vorsieht (§ 43 Abs. 1 Satz 2 LGlüG). Die entsprechende Vorschrift des Landesglücksspielgesetzes ist nichtig. Soweit die dort vorgeschriebenen Eingangskontrollen dem Jugendschutz dienen, ist die Regelung nach Maßgabe der Urteilsgründe verfassungsgemäß.

Das Verbot, Spielhallen in einem baulichen Verbund zu betreiben (§ 25 Abs. 2 GlüStV und § 42 Abs. 2 LGlüG), ist mit der Landesverfassung vereinbar und gültig.

Das Abstandsgebot zu anderen Spielhallen (§ 42 Abs. 1 LGlüG) verletzt die Beschwerdeführerin zu 4 nicht in ihren Grundrechten.

II. Zum Sachverhalt

Die Beschwerdeführerinnen sind Gesellschaften, die in Baden-Württemberg an verschiedenen Standorten Spielhallen betreiben. Aufgrund der angegriffenen Regelungen sehen sie sich gezwungen, zum Teil bereits seit 1. Juli 2013, zum Teil möglicherweise ab 1. Juli 2017, Spielhallen zu schließen. Mit ihren Verfassungsbeschwerden haben sie sich gegen die sie betreffenden Regelungen im Landesglücksspielgesetz und im Zustimmungsgesetz des Landes zum Glücksspielstaatsvertrag 2011 gewandt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Pressemitteilung des Staatsgerichtshofs vom 11. April 2014 verwiesen.

III. Zu den wesentlichen Erwägungen des Staatsgerichtshofs

1. Die Verfassungsbeschwerden sind nur teilweise zulässig. Der Staatsgerichtshof hatte Gelegenheit, erstmals im Plenum zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen der zum 1. April 2013 eingeführten Landesverfassungsbeschwerde Stellung zu nehmen; dazu gehört das Erfordernis der eigenen, gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenheit und die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde.

Unzulässig waren die Verfassungsbeschwerden insbesondere, soweit sie sich gegen das Abstandsgebot zu Kinder- und Jugendeinrichtungen (§ 42 Abs. 3 LGlüG) wandten. Daher war über die Frage der Verhältnismäßigkeit dieser Regelung nicht zu entscheiden. Auch die Verfassungsbeschwerden gegen das Abstandsgebot zu anderen Spielhallen nach § 42 Abs. 1 LGlüG waren nur insoweit zulässig, als dieses dem weiteren Eigenbetrieb bestehender Spielhallen der Beschwerdeführerin zu 4 entgegenstand. Unzulässig waren die Verfassungsbeschwerden des Weiteren, soweit sie sich gegen die Pflicht zur Erstel-lung eines Sozialkonzepts richteten.

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden stand nicht entgegen, dass sie sich teilweise gegen den für das Land bereits verbindlich gewordenen Glücksspielstaatsvertrag der Länder richteten. Auch wenn das Land möglicherweise aufgrund des Grundsatzes der Bundestreue verpflichtet ist, den Staatsvertrag einstweilen weiter anzuwenden, fehlt es nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Denn im Falle der Verfassungswidrigkeit des Staatsvertrages ist das Land verpflichtet, sich um eine einvernehmliche Änderung des Vertrages zu bemühen oder ihn notfalls zu kündigen.

2. Die Verfassungsbeschwerde sind - soweit sie zulässig sind - nur teilweise begründet.

a) Die angegriffenen Regelungen wurden formell verfassungsgemäß erlassen, insbesondere war das Land Baden-Württemberg zum Erlass der beanstandeten Regelungen zuständig. Die genannten Regelungen sind von der Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Spielhallen) gedeckt.

b) Das Verbot, Spielhallen in einem baulichen Verbund zu betreiben (§ 42 Abs. 2 LGlüG und § 25 Abs. 2 GlüStV), verletzt nicht die Grundrechte der Beschwerdeführerinnen. Es ist zur Bekämpfung der Glücksspielsucht, zum Jugend- und Spielerschutz und zum Schutz vor Folge- und Begleitkriminalität gerechtfertigt. Der Spielhallenmarkt ist in den letzten Jahren deutlich expandiert. Hiermit ging auch eine erheblich gesteigerte Nutzung von Geldspielautomaten einher. In der Vergangenheit wurde durch das Phänomen der Verbundspielhallen die Intention des Bundesgesetzgebers unterlaufen, mit Hilfe der Spielverordnung die maximale Anzahl der Geldspielgeräte pro Standort auf die Höchstzahl von zwölf zu begrenzen.

c) Das von einer Beschwerdeführerin und nur teilweise in zulässiger Weise angegriffene Abstandsgebot zu anderen Spielhallen (§ 42 Abs. 1 LGlüG) sowie die Härtefallregelung in § 51 Abs. 5 Satz 1 LGlüG verletzen diese nicht in ihren Grundrechten.

Soweit diese dem weiteren Betrieb bestehender Spielhallen eine Grenze setzen, handelt es sich um einen verhältnismäßigen und daher gerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit. Das Abstandsgebot soll Spielern die Möglichkeit eröffnen, einen inneren Abstand vom gerade beendeten Spiel zu finden. Zudem soll es die Dichte an Spielhallen verringern.

Die Regelungen haben auch keine wesentlichen Fragen offen gelassen. Dies gilt auch, soweit geltend gemacht wird, die Vorschriften enthielten keinen Maßstab, um eine ab dem 1. Juli 2017 bestehende Konkurrenz zwischen mehreren Spielhallenbetreibern zu lösen. Den verfassungsrechtlichen Vorgaben genügende Maßstäbe lassen sich dem angegriffenen Gesetz durch Auslegung entnehmen.

d) Die Berufsfreiheit und der allgemeine Gleichheitssatz werden dagegen durch § 51 Abs. 5 Satz 2 LGlüG verletzt, der eine Befreiung bestehender Spielhallen vom Abstandsgebot selbst beim Vorliegen von Härtegründen ausschließt, wenn ein Mindestabstand von 250 m unterschritten wird. Insoweit liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung vor, weil von dem Verbot, Spielhallen in einem zusammenhängenden Gebäudekomplex zu betreiben (§ 42 Abs. 2 LGlüG) eine Befreiung aus Härtegründen möglich ist.

e) Die Übergangsvorschrift in § 51 Abs. 4 Satz 3 LGlüG verletzt ebenfalls die Berufs-freiheit. Diese Regelung führt zu erheblichen Unsicherheiten im Hinblick auf die Berufsausübung, weil konkurrierende Spielhallenbetreiber gegebenenfalls erst kurz vor dem Eingreifen der neuen landesrechtlichen Erlaubnispflicht am 30. Juni 2017 erfahren werden, ob sie in ihren Spielhallen den Betrieb fortsetzen können. Die Betroffenen haben keine belastbare Entscheidungsgrundlage für Dispositionen und müssen möglicherweise abrupt den Betrieb einstellen.

f) Die Einlasskontrollen mit Personalienfeststellung zum Zwecke des Jugendschutzes (§ 43 Abs. 1 Satz 2 LGlüG) sind nach Maßgabe der Entscheidungsgründe verfassungsgemäß. Der Vorschrift lässt sich im Wege der Auslegung keine Verpflichtung entnehmen, auch in Fällen, in denen bereits durch eine bloße Sichtkontrolle zweifelsfrei erkennbar ist, dass der Besucher volljährig ist, die Personalien festzustellen. Bei einer gegenteiligen Auslegung wäre die Vorschrift schikanös und nicht erforderlich.

g) Die Pflicht aus § 43 Abs. 1 Satz 2 LGlüG zum Abgleich der Personalien der Gäste mit der zentral geführten Glücksspiel-Sperrdatei nach § 23 GlüStV ist verfassungs-widrig. Der Glücksspielstaatsvertrag sieht einen Zugriff der Spielhallenbetreiber auf die zentrale Sperrdatei nicht vor. § 2 Abs. 3 GlüStV bestimmt, dass das in § 23 in Verbindung mit § 8 GlüStV geregelte übergreifende bundesweite Sperrsystem auf Spielhallen nicht anwendbar ist. Der Staatsvertrag kann auch nicht so ausgelegt werden, dass er einen Zugriff auf die zentrale Sperrdatei zuließe. Denn eine solche Auslegung würde zu einem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestim-mung der gesperrten Spieler führen. Das Gebot der Normenklarheit verlangt, dass der Gesetzgeber den Zweck einer Informationserhebung bereichsspezifisch und präzise bestimmt. § 43 Abs. 1 Satz 2 LGlüG greift somit ins Leere und verpflichtet die Spielhallenbetreiber zu rechtlich Unmöglichem.

Dementsprechend hat außer Baden-Württemberg kein Land für Spielhallen eine Pflicht zum Abgleich mit der zentralen Sperrdatei normiert.

h) Die Dauer der Übergangsfristen in § 29 Abs. 4 Satz 2 und 3 GlüStV und § 51 Abs. 4 Satz 1 und 2 LGlüG für die Anwendung des neuen landesrechtlichen Erlaubniserfordernisses auf bestehende Spielhallen von einem Jahr beziehungsweise fünf Jahren nach Inkrafttreten des Glückspielstaatsvertrages ist verfassungsgemäß.

i) Der in diesen Bestimmungen gewählte Stichtag trägt jedoch der Eigentumsgarantie und dem Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht hinreichend Rechnung. Für das Eingreifen der kurzen oder langen Entscheidungsfrist ist nach den genannten Regelungen entscheidend, ob vor oder nach dem 28. Oktober 2011 eine Erlaubnis nach § 33i GewO erteilt wurde. Damit wird an einen Zeitpunkt angeknüpft, zu dem das Vertrauen der Spielhallenbetreiber auf den Fortbestand des geltenden Rechts noch schutzwürdig war.

Am 28. Oktober 2011 beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz über den Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages in nicht öffentlicher Sitzung. Auf den Fortbestand des § 33i GewO konnte erst nach Veröffentlichung des dort beschlossenen Entwurfs in einer Landtagsdrucksache - jedenfalls nach der Veröffentlichung der entsprechenden Landtagsdrucksache in Baden-Württemberg am 18. November 2011 - nicht mehr vertraut werden. Allein nach diesem Zeitpunkt getätigte Investitionen beruhen nicht mehr auf schutzwürdigem Vertrauen.

Für die Frage des Vertrauensschutzes ist es von entscheidender Bedeutung, wann ein Regelungsentwurf, mit dessen Inkrafttreten ernsthaft gerechnet werden muss, von amtlicher Seite erstmals hinreichend konkret öffentlich bekannt gemacht wurde. Daher kann es auch nicht entscheidend darauf ankommen, ob und inwieweit Vorhaben zur Änderung des Glücksspielwesens bis zur Veröffentlichung des am 28. Oktober 2011 beschlossenen Entwurfs in Internetforen oder in der Presse disku-tiert wurden. Bloße rechtspolitische Diskussionen in der Presse, in Internet-Medien oder gar Internet-Foren reichen nicht aus, um einen Vertrauensschutz der Rechtsunterworfenen zu zerstören.

Zwar kann grundsätzlich zur Verhinderung sogenannter Ankündigungseffekte auch auf einen Zeitpunkt abgestellt werden, in dem das Vertrauen noch nicht zweifelsfrei erschüttert war. Jedoch muss auch ein solcher Stichtag noch verhältnismäßig und sachlich vertretbar sein. Dies ist hier nicht der Fall. Die Erwirkung von Vorratserlaubnissen ist bereits wegen der Besonderheiten des Verfahrens der Erteilung einer Spielhallenerlaubnis weitgehend ausgeschlossen. Üblicherweise wird die Spielhallenerlaubnis nach § 33i GewO erst nach Abschluss der Umbauarbeiten erteilt, weil erst zu diesem Zeitpunkt verlässlich die Einhaltung der Vorschriften der Spielverordnung und des Spielhallenrechts beurteilt werden kann.
Zudem ist auch das Abstellen auf die behördliche Erlaubniserteilung nach § 33i GewO als Zeitpunkt für die Zerstörung des Vertrauensschutzes für die betroffenen Spielhallenbetreiber unzumutbar. Es wird dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verfahrensfairness nicht gerecht. Der Zeitpunkt der Erlaubniserteilung lag in der Hand der zuständigen Behörden. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Erreichung des mit der Neuregelung verfolgten Ziels, nämlich die Bekämpfung der Glückspielsucht, durch ein Abstellen auf einen früheren Zeitpunkt als die Erlaubniserteilung erheblich erschwert worden wäre.

Das Land ist verpflichtet, insoweit bis 31. Dezember 2015 eine verfassungskonforme Rechtslage für Baden-Württemberg herzustellen. Es ist möglicherweise aufgrund des bundesverfassungsrechtlichen Grundsatzes der Bundestreue verpflichtet, § 29 Abs. 4 Satz 2 und 3 GlüStV weiter anzuwenden, obwohl ein Verstoß gegen die Landesverfassung vorliegt. Das Land ist daher zunächst verpflichtet, zu versuchen, mit den übrigen Ländern eine verfassungskonforme Änderung des Glücksspielstaatsvertrages zu erreichen oder sich um eine Entlassung aus dem Vertrag zu bemühen und ihn, wenn dies erfolglos bleiben sollte, mit sofortiger Wirkung außerordentlich zu kündigen. Für den Fall, dass die Übergangsregelung für Baden-Württemberg auf diese Weise nicht verfassungskonform gestaltet werden kann, muss der Landesgesetzgeber für diejenigen Spielhallenbetreiber, für welche die Übergangsregelung zu ändern wäre, eine angemessene Entschädigungsregelung schaffen, um den Eingriff in die Eigentumsgarantie auszugleichen.

Wegen der wohl aufgrund von vorrangigem Bundesrecht bestehenden Anwendungspflicht hinsichtlich § 29 Abs. 4 Satz 2 und 3 GlüStV ist die vorüberge-hende weitere Anwendung von Art. 1 des Zustimmungsgesetzes in Verbindung mit § 29 Abs. 4 Satz 2 und 3 GlüStV und § 51 Abs. 4 Satz 1 und 2 LGlüG anzuordnen. Dies ist mit der Maßgabe zu verbinden, dass eine Entschädigung zu leisten ist. Die Pflicht zur Entschädigungsleistung gilt nicht, soweit die Behörden des Landes den weiteren Betrieb bestehender Spielhallen, für die bis einschließlich 18. November 2011 eine Erlaubnis nach § 33i GewO beantragt und in der Folge erteilt worden ist, bis zur Herstellung einer verfassungskonformen Rechtslage für Baden-Württemberg unabhängig von der Erfüllung der Anforderungen aus § 41 LGlüG und §§ 24 und 25 GlüStV dulden.

Für die einstweilige Duldung ist es entsprechend den bisher vor den Verwaltungsgerichten vergleichsweise geschlossenen Regelungen ausreichend, wenn Untersagungen nach § 15 Abs. 2 GewO nicht verfügt oder jedenfalls nicht vollstreckt und der Weiterbetrieb nicht als Ordnungswidrigkeit nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 LGlüG verfolgt wird. Bezüglich dieser Akte steht den Behörden des Landes ein Ermessen zu. Hier kann berücksichtigt werden, dass die genannten Übergangsvorschriften die Landesverfassung verletzen.
Soweit im Einzelfall eine einstweilige Duldung bis zur Herstellung eines verfassungskonformen Zustandes nicht erfolgt, ist Entschädigung zu leisten, für deren Höhe die Grundsätze des enteignenden Eingriffs heranzuziehen sind. 
Quelle: PM des Staatsgerichtshofs BW 

Staatsgerichtshof Baden-Württemberg: Landesglücksspielgesetz teilweise verfassungswidrig
Teilerfolg für baden-württembergische Automatenunternehmer

Der Staatsgerichtshof Baden-Württemberg hat am 17.06.2014 über mehrere Verfassungsbeschwerden, die sich gegen die Regelungen des Landesglückspielgesetzes Baden-Württemberg (LGLüG) sowie gegen den Glücksspielstaatsvertrag 2012 (GlüStV) betreffend gewerbliche Spielhallen richteten, sein Urteil gesprochen. Aus Sicht der Automatenwirtschaft zeigt sich, dass das LGlüG als auch der GlüStV 2012 mit einer “heißen Nadel gestrickt worden sind”, so der Vorsitzende des Baden-Württembergischen Automatenverbands und Klageführender, Michael Mühleck. Mehrere Punkte sind verfassungswidrig, ungültig oder bedürfen einer qualifizierten Nachbesserung im Sinne der gewerblichen Automatenwirtschaft.

Auf Grund des Urteils wird das Land Baden-Württemberg in mehreren Punkten verpflichtet, eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage herzustellen. Dies betrifft u. a. die dort vorgenommene Stichtagsregelung zum 28.10.2011, die nicht mit der Eigentumsgarantie in Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes genügt. Hier sind zusätzlich für den Fall bereits vollzogener Verwaltungshandlungen sogar Entschädigungen zu leisten, so der Staatgerichtshof in seinem gestrigen Urteil.

Auch die Fristsetzung der Antragsstellung für eine Spielhallenerlaubnis (28.02.2017) für die Zeit nach Ablauf der Übergangsfristen im Juni 2017 trägt der Berufsfreiheit miteinander im Wettbewerb stehender Spielhallenbetreiber nicht in angemessener Weise Rechnung. Auch hier hat der Staatsgerichtshof das Land verpflichtet, für Verfassungskonformität zu sorgen.

Verletzt wird die Berufsfreiheit und der allgemeine Gleichheitsgrundsatz durch die Übergangsregelung, welche eine Befreiung bestehender Spielhallen vom Abstandsgebot (anders als für das Verbot verbundener Spielhallen) selbst beim Vorliegen von Härtefällen ausschließt, wenn ein Mindestabstand von 250m unterschritten wird. Der Staatsgerichtshof hat diese Vorschrift für nichtig befunden!

Den geforderten Zugriff auf eine zentrale Spielersperrdatei hält der Staatsgerichtshof für verfassungswidrig. Der GlüStV sieht einen Zugriff von Spielhallenbetreibern auf eine zentrale Sperrdatei nicht vor. Hingegen hat das LGlüG Baden-Württemberg die Spielhallenbetreiber gleichwohl zu einem solchen Datenabgleich verpflichtet und damit die von der Verfassung des Landes Baden-Württemberg garantierte Berufsfreiheit verletzt. Nur die Personalienfeststellung zum Zwecke des Jugendschutzes ist, so der Staatsgerichtshof, verfassungsgemäß.

Das Urteil zeigt, dass in einem ersten Schritt sowohl die Bedenken und Proteste, als auch die legitimen Anliegen der in der organisierten Unternehmen weder unbegründet noch unbotmäßig waren. VieImehr hat das Land seine Hausaufgaben nicht erledigt. Im Sinne eines fairen Wettbewerbs und einer dem jugend- und spielerschutzorientierten Gesetzgebung sollte mit Augenmaß und Verstand und nicht mit politischem Kalkül agiert werden, so Mühleck weiter.

Die Automatenwirtschaft hat in den vergangenen Jahren unter anderem mehr als 14.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bundesweit in der Früherkennung pathologischen Spielverhaltens in Zusammenarbeit mit Trägern der freien Wohlfahrtspflege geschult und setzt erfolgreich in allen 16 Bundesländern Sozialkonzepte zur Vermeidung übermäßigen Spiels um. In diesem Zusammenhang sei abschließend darauf verwiesen, dass eine überbordende Verbotsmentalität noch nie erfolgreich gewesen ist. Sinnvoll sind nur aufeinander abgestimmte Vorschriften im Sinne von Spieler- und Verbraucherschutz letztendlich zum Erfolg führen können, so Mühleck abschließend: “Wir fordern die Landespolitiker zu einem fairen Dialog auf, um gemeinsam an der Neuformulierung der Grundlage des gewerblichen Glückspiels zu arbeiten und den Spieler- und Jugendschutz weiter erfolgreich zu befördern.”

Quelle: AWI Automaten-Wirtschaftsverbände-Info GmbH


Deutsche Automatenwirtschaft – Georg Stecker zum Urteil aus Baden-Württemberg
In einer ersten Stellungnahme kommentiert Georg Stecker, Sprecher des Vorstandes des Dachverbandes “Die Deutsche Automatenwirtschaft”, das heute bekannt gewordene Urteil des Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg zur Glücksspielgesetzgebung des Landes:

“Das Urteil des Staatsgerichtshofs rückt aus unserer Sicht einige Fehlentwicklungen in der Gesetzgebung des Landes Baden-Württemberg wieder gerade, die sich aus der hitzigen politischen Diskussion um das gewerbliche Automatenspiel ergeben hatten. Unternehmen der Automatenwirtschaft haben hier um ihre Grundrechte auf Berufsfreiheit und Eigentum gekämpft und Recht bekommen. Das Gericht verpflichtet den Landesgesetzgeber dazu, die im Urteil gerügten Regelungen durch verfassungskonforme Vorschriften zu ersetzen. Sollte dies mit Blick auf die Bindungswirkung des Glücksspieländerungsstaatsvertrages nicht möglich sein, legt das Gericht der Landesregierung sogar nahe, den Glücksspielstaatsvertrag mit dem anderen Bundesländern zu kündigen. Damit gewinnt das Urteil des Staatsgerichtshofs eine grundlegende Bedeutung, die weit über die Landesgrenzen von Baden-Württemberg hinausweist.

Wir dürfen gespannt sein, wie andere Gerichte und insbesondere das Bundesverfassungsgericht die Rechtsprechung des Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg aufgreifen und noch ergänzen werden. Dieses Urteils hätte es nicht bedurft, wenn alle Beteiligten mit dem notwendigen Sachverstand, dem gebotenen Augenmaß und dem ebenso unverzichtbaren Verantwortungsbewusstsein an einer sozialverträglichen Regelung des Automatenspiels mitgewirkt hätten. Wir sind bereit, unseren Beitrag dazu zu leisten.”
Quelle: AWI Automaten-Wirtschaftsverbände-Info GmbH / Die Deutsche Automatenwirtschaft e.V.

s.a.
AWI Automaten-Wirtschaftsverbände-Info


Hintergrund

Staatsgerichtshof BW: Spielhallenbetreiber beklagen Enteignung
Spielhallen wehren sich gegen Gesetz
Staatsgerichtshof verhandelt Klagen der Automatenbranche.
Ist das Landesglücksspielgesetz verfassungswidrig?
Der baden-württembergische Staatsgerichtshof hat am Montag die Beschwerden von fünf Spielhallenbetreibern verhandelt – und wird nicht vor Juni entscheiden.
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Mündliche Verhandlung in Baden-Württemberg
Verfassungsbeschwerden vor Gerichtshof
Das Landesglücksspielgesetz Baden-Württemberg wird von fünf Verfassungsbeschwerden in Frage gestellt, die am 28. April zur mündlichen Verhandlung kommen.
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Automaten-Verband geht gegen Glücksspielgesetz vor
Die baden-württembergische Automatenwirtschaft lässt das neue Glücksspielgesetz des Landes vor dem Staatsgerichtshof überprüfen.
Es seien Beschwerden gegen das Gesetz eingereicht worden, erklärte der Verbandsvorsitzende Michael Mühleck in Stuttgart. „Wir wollen weiterleben und nicht unsere Betriebe schließen. Mit dem Gesetz ist die Branche zum Abschuss freigegeben.“ Das Land will den Angaben zufolge mit der Regelung gegen den Wildwuchs bei Spielhallen vorgehen. Laut Staatsgerichtshof sind bislang zwei Verfahren anhängig. Unklar blieb zunächst, bis wann mit einer Entscheidung zu rechnen ist.
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Drei Verfassungsbeschwerden vor dem Staatsgerichtshof Stuttgart sind noch offen
Drei der derzeit noch in Stuttgart anhängigen Verfassungsbeschwerden betreffen das neue Glücksspielgesetz.
Hier sehen sich Spielhallenbesitzer in ihren Rechten verletzt.
Über diese Beschwerden wird voraussichtlich Anfang 2014 mündlich verhandelt.
Bürger tun sich schwer mit Verfassungsbeschwerden
Die Erfolgsquote von Verfassungsbeschwerden am bayerischen Verfassungsgerichtshof liegt bei 2,32 Prozent.weiterlesen

Verfassungsbeschwerde gegen Vorschriften des Landesglücksspielgesetzes beim Staatsgerichtshof Baden-Württemberg eingereicht

Beim Staatsgerichtshof Baden-Württemberg ist eine Verfassungsbeschwerde gegen einzelne Vorschriften des Landesglücksspielgesetzes eingereicht. Insbesondere sollen §§ 2 Abs. 1 S. 1, 41 Abs. 1 S. 1 und S. 3, 41 Abs. 4 LGlüG (Erlaubnispflicht nebst Übergangsbestimmungen) für verfassungswidrig und nichtig erklärt werden, ebenso §§ 41 Abs. 2 Nr. 2, 42 Abs. 1, 51 Abs. 5 S. 1 u. 2 LGlüG (Abstandsgebot zu anderen Spielhallen nebst Härtefallklausel) wie auch §§ 41 Abs. 2 Nr. 2, 42 Abs. 2, 51 Abs. 5 S. 1 und 2 LGlüG (Verbot von Mehrfachkonzessionen nebst Härtefallklausel) wie auch §§ 41 Abs. 2 Nr. 2, 42 Abs. 3, 51 Abs. 5 S. 5 LGlüG (Abstandsgebot zu Kindern- und Jugendeinrichtungen) und schließlich §§ 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 lit.d und e), 7, 41 Abs. 3 Hs. 1 und Hs. 2 Nr. 3, 43 Abs. 2, 51 Abs. 6 LGlüG (Sozialkonzept nebst Informations- und Aufklärungspflichten sowie Übergangsbestimmungen) wie das LGlüG insgesamt für verfassungswidrig und nichtig zu erklären.
Wann der Staatsgerichtshof hierzu seine Entscheidung fällen wird, ist abzuwarten.
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Mollath unterstützt Volksbegehren für unabhängige Justiz

Zum Ende der Veranstaltung warb FDP-Generalsekretär Daniel Föst für das Volksbegehren für eine unabhängige Justiz in Bayern:

„Anders als in den meisten Bundesländern werden Richter in Bayern allein durch die Regierung bestimmt“, so Föst.
„Das widerspricht der Gewaltenteilung und gefährdet die Unabhängigkeit der Justiz.“
Zudem  führe die in Bayern übliche Verquickung von Staatsanwalts- und Richterlaufbahnen zu einer ungesunden Nähe zwischen Gerichten und  Strafverfolgungsbehörden.
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Bayerische Justiz - Der gute Ruf ist weg
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AG Hamburg: Server des Verteidigers Dr. Strate werden nicht beschlagnahmt
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Unfehlbare Richter?
Bayerns Justiz in der Vertrauenskrise

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CSU'schen Staatsmachtkomplex aufbrechen
"Dass der CSU-Politiker Gauweiler im Zusammenhang mit einem Verfahren gegen seinen Parteifreund Schottdorf bei den Behörden interveniert, ist ein bemerkenswerter Vorgang, aber Teil des Systems CSU", kritisierte FDP-Generalsekretär Daniel Föst.
Die jahrzehntelange  Herrschaft der CSU in Bayern habe zu engen Verflechtungen zwischen Partei, Staat und Justiz geführt, "die zum Missbrauch geradezu einladen".
In Bayern würden die Grenzen zwischen den Gewalten immer wieder verschwimmen, sagte Föst. Es werde Zeit, den "CSU'schen Staatsmachtkomplex" Schritt um Schritt aufzubrechen.

Ein wichtiger Schritt dazu sei es, den Einfluss parteipolitisch dominierter Ministerien auf die Gerichte zurückdrängen: "Derzeit entscheidet die Staatsregierung über Anstellung und Beförderung von Richtern", erklärte der FDP-Politiker. Das Verfahren sei intransparent und begünsigt Parteibuchwirtschaft. Die Verquickung von Staatsanwalts- und Richterlaufbahnen führe zudem zu einer ungesunden Nähe zwischen Gerichten und  Strafverfolgungsbehörden.

"Das zu ändern ist Ziel unseres Volksbegehrens 'Für eine unabhängige Justiz in Bayern'", so Föst. "Wir wollen diesen CSU-Staatsmachtkomplex nach und nach in ein modernes, demokratisches bayerisches Gemeinwesen verwandeln."
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Gustl Mollath will seine Unschuld beweisen
Ab dem 7. Juli wird er gemeinsam mit seinem Verteidiger Gerhard Strate im Wiederaufnahmeverfahren vor dem Landgericht Regensburg für seine Version der Geschichte kämpfen: Danach wollte Mollath, verheiratet mit einer Bankerin, Schwarzgeldschiebereien in Millionenhöhe aufdecken, in die seine Frau verwickelt gewesen sei.

Er wandte sich an die Justiz, doch man erklärte ihn für verrückt, warf ihm vor, er habe Autoreifen auf teils lebensgefährdende Weise zerstochen und seine Frau geschlagen und gewürgt bis zur Bewusstlosigkeit. Das Gericht glaubte ihr, wegen Schuldunfähigkeit sprachen die Richter Mollath frei und wiesen ihn in die forensische Psychiatrie ein. Dort blieb er, weil man ihn für eine Gefahr für die Allgemeinheit hielt, siebeneinhalb Jahre lang.
Unstrittig ist aus heutiger Sicht: Mollath war unverhältnismäßig lange in der Psychiatrie untergebracht. Das Urteil gegen ihn steckt voller Faktenfehler, das Verfahren war schlampig geführt, Mollaths Grundrechte wurden verletzt.
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Der Fall Mollath, ein Fall für die Rechtswissenschaft?
Die neue Hauptverhandlung gegen Gustl Mollath – Ausblicke
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Für eine unabhängige Justiz im Freistaat
Mollath sieht seinen Fall als Beispiel des Machtmissbrauchs durch Staat und Justiz. Als erster im Saal setzte er seinen Namen auf die Unterschriftenliste für die Zulassung des Volksbegehrens, das unabhängige Richter in Bayern fordert. So sollen Richterwahlausschüsse eingeführt und dadurch der Einfluss parteipolitisch dominierter Ministerien auf Richterkarrieren zurückgedrängt werden. Die Ausschüsse sollen sich aus Richtern, Vertretern der Rechtsanwaltskammern und demokratisch legitimierten Landtagsabgeordneten zusammensetzen.

Anschließend bekräftigte FDP-Landesgeneralsekretär Daniel Föst die Forderungen nach einer unabhängigen Justiz in Bayern. Anders als in den meisten Bundesländern bestimme im Freistaat allein die Regierung über die Ernennung der Richter. "Das widerspricht der Gewaltenteilung und gefährdet die Unabhängigkeit der Justiz", stellte Föst klar. Zudem führe die in Bayern übliche Verquickung von Staatsanwalts- und Richterlaufbahnen zu einer ungesunden Nähe zwischen Gerichten und  Strafverfolgungsbehörden.
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Homepage des Volksbegehrens
Für eine unabhängige Justiz in Bayern

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SPON: Systemfehler
Von Hipp, Dietmar und Neumann, Conny
Die bayerische Justiz sorgt für Schlagzeilen - und für ungewöhnlich viele fragwürdige Urteile. Strafverteidiger kritisieren: Die Nähe von Richtern und Staatsanwälten sei zu groß, die Kontrolle durch den Bundesgerichtshof zu lasch.

Spektakuläre Wiederaufnahmen gibt es in allen Bundesländern, doch offenbar besonders häufig gibt es sie in Bayern: Seit dem Jahr 2000 wurden gut ein Dutzend Wiederaufnahmeverfahren in der Bundesrepublik bekannt, etwa die Hälfte bezog sich auf bayerische Fälle (siehe Grafik Seite 46 ). Der bekannte Strafverteidiger Michael Rosenthal aus Karlsruhe sagt: "Die erschütterndsten Fälle kommen aus Bayern." Ein hoher Richter erklärt: "Das Risiko, als Angeklagter unter die Räder zu kommen, ist in Bayern strukturell größer als in anderen Bundesländern." Und der Münchner Strafverteidiger Ulrich Ziegert konstatiert: Es sei "der Rechtskultur nicht zuträglich", dass in Bayern eine besondere Nähe zwischen Staatsanwälten und Richtern herrsche.
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Der gemeinnützige Verein Justiz-Opfer e.V. in Gründung             
Freiheit und Gerechtigkeit für Opfer der Politik, Justiz, Gutachter und Psychiatrien
Hilfe für Opfer von Willkür durch Politik, Behörden, Justiz, Gutachter und Psychiatrien mit Aufdeckung von Struktur- und Systemdefiziten in der Bundesrepublik Deutschland

Fallbeispiele zum Thema Willkür, Befangenheit, Rechtsbeugung, Pressefreiheit
Informationen über Opfer von Willkür bei Behörden, Justiz, Polizei, Psychiatrien in der BRD

HRR-Strafrecht.de ist ein Service der Hamburger Anwaltskanzlei Strate und Ventzke.
Die vollständige strafrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und ausgewählte Urteile und Beschlüsse u.a. des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und weiterer Gerichte.




Ärzte-Betrugsverfahren - Landtag erwägt eine Soko Justiz

Auf der Augsburger Staatsanwaltschaft lastet ein schwerer Verdacht: Hat sie womöglich in Kauf genommen, dass betrügerische Ärzte durch Verjährung davonkommen? Die Opposition will das durch einen Untersuchungsausschuss klären lassen. Die wichtigsten Fragen im Fall Schottdorf.
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Ärzte-Betrugsverfahren - ein neuer (alter) Justiz-Skandal?
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Bayerische Justiz - Der gute Ruf ist weg
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Fall Schottdorf: Gauweilers Empfehlungen an die Polizei

Der CSU-Politiker und Rechtsanwalt Peter Gauweiler legte dem Chef des Landeskriminalamts im Fall Schottdorf Ermittlungen gegen einen Beamten nahe.
Die Freien Wähler im Landtag sehen darin den Verdacht politischer Einflussnahme.
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Untersuchungsausschuss im Landtag

Langwierige Aufklärung im Fall Schottdorf

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Offene Fragen gibt es viele - eine davon ist mögliche politische Einflussnahme.

Schottdorf hatte Geld an die CSU gespendet, später nahm er sich den früheren Justizminister Hermann Leeb (CSU) und den heutigen CSU-Vize Peter Gauweiler als Anwälte.
Aufklären wollen Freie Wähler und Grüne auch, warum es im Laufe der Ermittlungen zu heftigen Zerwürfnissen und juristischen Auseinandersetzungen zwischen Staatsanwälten und Polizisten des Landeskriminalamts kam - bis hin zu Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte.
„Das stinkt einfach extrem politisch“
, sagte der Grünen-Abgeordnete Sepp Dürr.

Und die Opposition will wissen, was die frühere Justizministerin Beate Merk (CSU) von den Ermittlungen wusste, ob sie sich einmischte und ob sie möglicherweise Landtagsanfragen unvollständig oder falsch beantwortete.
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Geschäft mit Nebeneinkünften

Wenn die Deutschen ihre Abgeordneten in den Bundestag wählen, erwarten sie vor allem eines: Die Politiker sollen sich mit voller Kraft für ihre Wähler einsetzen. Doch bei manchen Parlamentariern ist das nicht mehr als ein frommer Wunsch. Sie gehen lieber lukrativen Nebentätigkeiten nach, als sich auf ihr Mandat zu konzentrieren.

Wie stark sich manche Bundestagsabgeordnete ihren Nebengeschäften widmen, zeigt eine aktuelle Analyse der Internetplattform Abgeordnetenwatch.de.

1 Million Euro seit der Bundestagswahl: Gauweiler veröffentlicht neue Nebeneinkünfte

Seit November hat der Abgeordnete Peter Gauweiler an keiner namentlichen Abstimmung teilgenommen, auch sonst ist er im Bundestag wenig aktiv. Um einiges ernster nimmt der CSU-Politiker seine Nebentätigkeit: Bereits in den ersten Monaten der Legislaturperiode hat er als Anwalt rund 1 Million Euro nebenher verdient - wahrscheinlich sogar sehr viel mehr.
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Ungeklärt ist bislang aber die Rechtsfrage, ob Schottdorfs Verstöße gegen die Gebührenordnung Betrug - und damit strafbar - waren.

Der BGH musste nach erfolgreichen Verfassungsbeschwerden seine Rechtsprechung ändern.

Ergänzung folgt

Donnerstag, 12. Juni 2014

Bundesgerichtshof muss Verhältnismäßigkeit der deutschen Glücksspielregelung prüfen


Am 30. April 2014  entschied der EuGH zur Verhältnismäßigkeit ......
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Der EuGH spielt den Ball zurück

Markus Maul, Präsident VEWU

Der EuGH hatte erneut die glückspielrechtlichen Regelungen in Deutschland zu beurteilen. In seinem Urteil vom heutigen Tag weist der Gerichtshof erstens darauf hin, „dass das Verbot, in Deutschland Glücksspiele zu veranstalten und zu bewerben, eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, die jedoch durch Ziele des Allgemeinwohls wie die in der deutschen Regelung genannten gerechtfertigt sein kann. Der Gerichtshof stellt zweitens fest, dass, selbst wenn man annehmen wollte, dass die weniger strenge Regelung von Schleswig-Holstein die Kohärenz der Verbotspolitik der übrigen Länder habe beeinträchtigen können, *die Anwendung dieser liberalen Regelung zeitlich auf weniger als 14 Monate und räumlich auf ein Bundesland begrenzt war.*“ „Somit stellt aus Sicht des EuGH das vorübergehende Vorliegen weniger strenger Vorschriften im Land Schleswig-Holstein die Eignung der in den anderen Ländern geltenden Beschränkungen zur Erreichung der verfolgten Ziele des Allgemeinwohls nicht ernsthaft in Frage.“
Der Gerichtshof hat von daher entschieden „dass die deutsche Regelung im Bereich der Glücksspiele in Bezug auf die mit ihr verfolgten Ziele des Allgemeininteresses verhältnismäßig und infolgedessen mit dem freien Dienstleistungsverkehr vereinbar sein kann. Der Bundesgerichtshof hat allerdings zu prüfen, ob die in Rede stehende Regelung allen sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt.“ (Zitate: Pressemitteilung des EuGH Rechtssache C-156/13 – Digibet Ltd und Gert Albers/Westdeutsche Lotterie, Hervorh. d. Verf.).

„Natürlich haben wir auf deutlichere Worte aus Luxemburg gehofft. Der EuGH stellt jedoch klar, dass er es grundsätzlich als inkohärent und europarechtswidrig ansieht, wenn in einem Mitgliedstaat verschiedene hohe Regulierungsmaßstäbe herrschen. Außerdem weist er im Hinblick auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit, die die deutschen Gerichte vorzunehmen haben, deutlich auf seine bisherige Rechtsprechung hin.

Zur Beurteilung der momentanen Rechtslage in Deutschland muss man sich folgendes vor Augen führen: Die Konzessionen, die Schleswig-Holstein 2011 vergeben hat, waren nicht nur 14 Monate gültig, sondern bis heute bieten zahlreiche Unternehmen, aufgrund dieser Lizenzen online Sportwetten, Casino und Poker an. Und zwar streng geprüft, überwacht und steuerpflichtig. Die Lizenzen sehen eine Laufzeit bis 2016 vor und es besteht ein Verlängerungsanspruch. Das begrenzte Konzessionsmodell der anderen 15 Bundesländer hingegen steckt in der Sackgasse und hat seit Mitte 2012 bis heute noch keine einzige Konzession hervorgebracht. Davon, dass der EuGH diesem E-15-Konzessionsmodell eine Absolution erteilt hätte, kann also keine Rede sein.“ kommentiert Markus Maul, Präsident des Verbandes Europäischer Wettunternehmer – VEWU.

„Der EuGH hat den Ball zurückgespielt. Im Ergebnis muss die deutsche Politik jetzt erkennen, dass der Weg, den Gelb/Schwarz damals in Schleswig-Holstein gegangen sind, der einzig richtige ist. Nur durch ein Lizenzverfahren, das höchsten Ansprüchen in puncto Sicherheit, Spielerschutz und Prävention genügt, kann der unregulierte Markt ausgetrocknet werden und nur so kann der Spieler zu seriösen Anbietern geführt werden, die in Deutschland Steuern zahlen. Die Anzahl der Konzessionen willkürlich zu beschränken und das Angebot an Glücks- und Unterhaltungsspielen an der Nachfrage vorbei zu regulieren, ist nicht nur rechtlich zum Scheitern verurteilt, es verletzt auch den Schutzauftrag, den der Gesetzgeber für sich in Anspruch nimmt. Im Online-Poker z. B. stellt Deutschland weltweit den zweitgrößten Markt dar. Durch das Verbot von Online-Poker im Glückspieländerungsstaatsvertrag werden die Spieler unkontrollierten Anbietern überlassen. Bei ihnen bestehen keine Verpflichtungen für Präventionsmaßnahmen, deutsche Behörden überwachen nicht deren Spielbetrieb und im schlimmsten Fall kann der Spieler seinen Gewinn nicht einklagen, weil der Anbieter in der Karibik sitzt. Von den Steuereinahmen, die dem deutschen Fiskus entgehen, ganz abgesehen.“ sagt Markus Maul.

„Ich habe mich gefreut und es macht Hoffnung, dass der der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Rasmus Andresen, in seiner Pressemitteilung zum Urteil des EuGH erklärt hat, dass die Grünen die Evaluation des Staatsvertrags dazu nutzen wollen, beim Online-Glücksspiel zu einer liberaleren realitätsnahen Lösung zu kommen. Dabei betonte Andresen: „Das Komplettverbot im Onlinebereich ist und bleibt falsch.“ Davon bin auch ich überzeugt!“ so Markus Maul abschließend.

Kontakt:
Verband Europäischer Wettunternehmer
Repräsentanzbüro Deutschland
Marschtorstr. 28a
29451 Dannenberg
Telefon: 05861-985390
Telefax: 05861-986150
E-Mail: info@vewu.com


Quelle: Verband Europäischer Wettunternehmer (VEWU)


Glücksspiel: Evaluation des Staatsvertrages ist notwendig
Zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zum Glücksspiel sagt der stellv. Fraktionsvorsitzende von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Rasmus Andresen:

Das EuGH-Urteil macht deutlich, dass nur dank der zeitlichen Begrenzung von 14 Monaten, die Kohärenz beim Glücksspiel nicht gefährdet war. Wir Grüne stehen für eine bundesweit einheitliche Lösung. Egomanische schwarz-gelbe Ausreißer waren strategisch unklug und helfen in der Sache nicht weiter.

Der Preis für eine einheitliche Regelung ist aber zurzeit im Bereich des Online-Glücksspiels eine realitätsferne Lösung. Diese werden auf Dauer nicht durchtragen. Wir Grüne wollen deshalb die Evaluation des Staatsvertrags dazu nutzen, beim Online-Glücksspiel zu einer liberaleren realitätsnahen Lösung zu kommen. Das Komplettverbot im Onlinebereich ist und bleibt falsch.

Quelle: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Schleswig-Holstein


Bundesgerichtshof muss Verhältnismäßigkeit der deutschen Glücksspielregelung prüfen
Probleme des Glücksspielstaatsvertrags bleiben bestehen
Schleswig-Holsteinisches Regulierungsmodell bestätigt
Unsichere Zukunft für bundesweites Sportwetten-Lizenzvergabeverfahren
Glücksspielstaatsvertrag muss grundlegend reformiert werden
Der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) begrüßt das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshof im Verfahren Digibet und Albers (C-156/13). Zwar löst der Richterspruch nicht die bestehenden faktischen Probleme auf dem Sportwettenmarkt. Doch soll der Glücksspielstaatsvertrag nun vom Bundesgerichtshof auf seine Verhältnismäßigkeit überprüft werden, weil er eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt.

Mathias Dahms, Präsident des DSWV, kommentiert:

„Es ist offenkundig, dass die Restriktionen des Staatsvertrags unverhältnismäßig sind. Beispielsweise ist die begrenzte Anzahl der Sportwettlizenzen nicht objektiv zu rechtfertigen.“

Mit seiner Entscheidung bestätigt der Gerichtshof zudem das Schleswig-Holsteinische Glücksspielgesetz, das auch nach Auffassung der EU-Kommission europarechtlich unproblematisch ist.

Wolfram Kessler, Vizepräsident des DSWV, sagt:

„Das Urteil stärkt den Schleswig-Holsteinischen Sonderweg. Dessen Koexistenz neben dem Glücksspielstaatsvertrag wurde nun höchstrichterlich bestätigt. Zudem wird die Rechtmäßigkeit der 48 bestehenden Sportwetten- und Casinolizenzen bekräftigt.“

Das Land Schleswig-Holstein hatte sich 2012 nicht am Glücksspielstaatsvertrag beteiligt und stattdessen ein eigenes Glücksspielgesetz erlassen. Schleswig-Holstein war bereits zuvor von der Europäischen Kommission im Rahmen des sogenannten Notifizierungsverfahrens bestätigt worden, dass sein Glücksspielgesetz europarechtskonform sei.

Im Gegensatz dazu wurde der Glücksspielstaatsvertrag der übrigen Bundesländer von den Brüsseler Wettbewerbshütern in einer „Detailed Opinion“ mehrfach beanstandet. Die Länder wurden verpflichtet, spätestens im Juli 2014 einen Evaluierungsbericht in Brüssel vorzulegen.

Es ist jedoch fraglich, ob die Bundesländer der EU-Kommission überhaupt einen inhaltlich substantiellen Bericht vorlegen können: Das Vergabeverfahren für Sportwettlizenzen zieht sich seit zwei Jahren hin, ohne dass eine einzige Lizenz erteilt worden wäre.

Dirk Quermann, Vizepräsident des DSWV, kommentiert:

„Ein Ende dieses intransparenten Verwaltungsverfahrens ist nicht in Sicht. Man muss ernsthaft hinterfragen, ob auf Grundlage des aktuellen Staatsvertrags jemals eine rechtsgültige Lizenz erteilt wird. Daran ändert auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs nichts.“

Wie problembehaftet der Glücksspielstaatsvertrag tatsächlich ist, zeigt sich daran, dass selbst staatliche Glücksspielunternehmen juristische Schritte gegen das Regelwerk ergreifen. Lotto Hessen klagte gegen die Werberichtlinie des Staatsvertrags. Auch das staatseigene Sportwettenunternehmen ODS Oddset führte einen Rechtsstreit gegen das zuständige Hessische Innenministerium, um eine Lizenz zu erlangen.

In Anbetracht der Schwierigkeiten mit dem Glücksspielstaatsvertrag und der höchstrichterlichen Zustimmung zum Modell Schleswig-Holstein, sollte ernsthaft darüber nachgedacht werden, den Staatsvertrag grundlegend zu reformieren.

Mathias Dahms kommentiert:

„Wir bemühen uns seit Jahren um bundesweite Lizenzen und wollen unseren Teil dazu beitragen, dass in Deutschland endlich ein attraktiver, rechtssicherer und wettbewerbsorientierter Sportwettmarkt entsteht, von dem auch der deutsche Sport profitieren kann. Wir appellieren an die Länder nun den Glücksspielstaatsvertrag nach dem Vorbild des Schleswig-Holsteinischen Modells zu überarbeiten.“

Über den DSWV
Der Deutsche Sportwettenverband ist ein Zusammenschluss von zehn führenden deutschen und europäischen Sportwettenanbietern, der sich für eine rechtskonforme und wettbewerbsorientierte staatliche Regulierung und Kontrolle des deutschen Sportwettmarktes einsetzt.

Quelle: Deutscher Sportwettenverband e.V. i. Gr.



Hans-Jörn Arp und Wolfgang Kubicki zum Urteil des EuGH: Die Länder haben sich geirrt. Die Vorwürfe gegen das Glücksspielmodell aus Schleswig-Holstein sind unbegründet

Nach dem heutigen (12. Juni 2014) Urteil des Europäischen Gerichtshofes (Rechtssache C-156/13) über den deutschen Glücksspielstaatsvertrag haben der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Hans-Jörn Arp, und der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki die 16 Bundesländer aufgefordert, noch in diesem Sommer einen neuen Vertrag nach dem Modell Schleswig-Holsteins vorzulegen:

„Der Europäische Gerichtshof hat heute festgestellt, dass der Sonderweg Schleswig-Holsteins keinen Einfluss auf den Glücksspielstaatsvertrag hat. Sämtliche Vorwürfe gegen das erfolgreiche schleswig-holsteinische Regulierungsmodell sind damit entkräftet“, so Arp.

CDU und FDP in Schleswig-Holstein seien bis hin zu persönlichen Anfeindungen von den anderen Ländern massiv für den Weg einer pragmatischen Glücksspielregulierung kritisiert worden. Der EuGH habe heute bestätigt, dass die Vorwürfe gegen Schleswig-Holstein völlig gegenstandslos waren und 2011 völlig zu Recht der Weg einer eigenständigen, pragmatischen Glücksspielregulierung gegangen wurde.

Durch die heutige Entscheidung sei ebenfalls klar, dass der vorschnelle und unüberlegte Beitritt der Koalition aus SPD, Grünen und SSW zum Glücksspielstaatsvertrag der anderen Länder falsch war.

“Das heißt auch: Mit dem Beitritt hat Schleswig-Holstein fast 200 Millionen Euro Einnahmen aus Sportwetten an die anderen Bundesländer verschenkt. Dieses Geld hätten wir für Infrastruktur, Lehrer und Sportstätten jetzt gut brauchen können”, so Arp.

Die Länder seien mit ihrem Glücksspielstaatsvertrag krachend gescheitert. Nach zwei Jahren sei bislang keine einzige Lizenz für Sportwetten vergeben worden.

Wolfgang Kubicki hierzu: „Die EU-Kommission hat Bedenken angemeldet und dem Vertrag sowieso nur unter Auflagen zugestimmt, die nächsten Vorlagefragen aus Deutschland liegen schon beim EuGH. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die EU-Ebene den Vertrag endgültig kippt. Die Ministerpräsidenten müssen endlich Vernunft annehmen und den Weg für eine pragmatische und nachhaltige Glücksspielregulierung frei machen.“

Der heutige Auftakt der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien mache das Scheitern des Glücksspielstaatsvertrages noch einmal besonders deutlich: „Fußballbegeisterte in ganz Deutschland wetten im Internet. Erfolgreich reguliert ist das bisher nur in Schleswig-Holstein. Wenn es nicht zu einer grundsätzlichen Neuregelung kommt, ist das auch bei der nächsten WM noch so. Das ist völlig weltfremd und hilft nur dem grauen Markt,“ so Arp.


EuGH: Urteil in der Rs. C-156/13 Digibet


PRESSEMITTEILUNG Nr. 85/14
Luxemburg, den 12. Juni 2014
Urteil in der Rechtssache C-156/13

__________________________________________________


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
12. Juni 2014(*)
„Vorabentscheidungsersuchen – Freier Dienstleistungsverkehr – Art. 56 AEUV – Glücksspiele – Regelung, die Verbote für Glücksspiele im Internet vorsieht, die in einem Gliedstaat eines Mitgliedstaats für einen begrenzten Zeitraum nicht gegolten haben – Kohärenz – Verhältnismäßigkeit“
In der Rechtssache C‑156/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 24. Januar 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 28. März 2013, in dem Verfahren
Digibet Ltd,
Gert Albers
gegen
Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund, A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. April 2014,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
–        der Digibet Ltd und von Herrn Albers, vertreten durch die Rechtsanwälte R. Reichert und U. Karpenstein sowie durch R. A. Jacchia, avvocato,
–        der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG, vertreten durch die Rechtsanwälte M. Hecker, M. Ruttig und M. Pagenkopf,
–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
–        der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck, M. Jacobs und C. Pochet als Bevollmächtigte sowie durch R. Verbeke, advocaat,
–        der maltesischen Regierung, vertreten durch A. Buhagiar als Bevollmächtigte,
–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, P. de Sousa Inês und A. Silva Coelho als Bevollmächtigte,
–        der Europäischen Kommission, vertreten durch F. W. Bulst, I. V. Rogalski und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 56 AEUV.

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Digibet Ltd (im Folgenden: Digibet) und Herrn Albers einerseits und der Westdeutschen Lotterie GmbH & Co. OHG (im Folgenden: Westdeutsche Lotterie) andererseits wegen des Verbots des Glücksspielangebots von Digibet im Internet.

 Deutsches Recht

3        Gemäß den Art. 70 und 72 des deutschen Grundgesetzes fällt die Gesetzgebung im Bereich der Glücksspiele in die Zuständigkeit der Länder.

4        Die 16 Länder schlossen daher 2008 einen Staatsvertrag zum Glücksspielwesen (Glücksspielstaatsvertrag, im Folgenden: GlüStV 2008), mit dem sie gemeinsame Regeln in diesem Bereich festlegten. Dieser Vertrag sollte ab dem 1. Januar 2008 vier Jahre lang gelten, so dass das Ende seiner Laufzeit auf den 31. Dezember 2011 festgesetzt war.

5        Auf den GlüStV 2008 folgte 2012 der Glücksspieländerungsstaatsvertrag (im Folgenden: GlüStV 2012), der am 1. Juli 2012 in Kraft trat. Dieser Vertrag wurde zunächst von allen Ländern außer Schleswig-Holstein ratifiziert.

6        Zur Liberalisierung des Glücksspielrechts hatte das Land Schleswig-Holstein nämlich am 20. Oktober 2011 ein Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels (GVOBl. Schl.-H. S. 280, im Folgenden: GlSpielG SH) verabschiedet, das am 1. Januar 2012 in Kraft trat.

7        Anders als § 5 Abs. 3 GlüStV 2008 lässt § 26 GlSpielG SH Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen oder im Internet grundsätzlich zu.

8        Nach dem GlSpielG SH sind das Veranstalten und das Vermitteln von Glücksspielen im Internet nicht mehr verboten. Sie bedürfen zwar weiterhin der Genehmigung der zuständigen Landesbehörde, die Genehmigung für den Vertrieb öffentlicher Wetten ist aber bei Vorliegen bestimmter objektiver Voraussetzungen jedem Bürger und jeder juristischen Person in der Europäischen Union zu erteilen.

9        In allen übrigen Ländern sind nach § 4 Abs. 4 und § 5 Abs. 3 Satz 1 GlüStV 2012 das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet sowie die Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, im Internet sowie über Telekommunikationsanlagen grundsätzlich weiterhin verboten. Nach diesem Vertrag kann die Verwendung des Internets zu diesen Zwecken nämlich nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen für Lotterien und Sportwetten erlaubt werden, um eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspielangebot bereitzustellen und der Entwicklung und Ausbreitung dieser Art von Spielen entgegenzuwirken.

10      Die in Schleswig-Holstein geltende weniger strenge Glücksspielregelung endete am 9. Februar 2013 mit dem Beitritt dieses Landes zum GlüStV 2012, dessen gemeinsame Vorschriften die Vorschriften des GlSpielG SH ersetzten. Unter der Geltung des GlSpielG SH hatte das Land Schleswig-Holstein jedoch eine Reihe von Genehmigungen an Anbieter für das Angebot von Glücksspielen im Internet erteilt, die auch nach der Aufhebung des GlSpielG SH während einer Übergangszeit weiter gelten.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      Die Westdeutsche Lotterie ist die staatliche Lottogesellschaft von Nordrhein-Westfalen. Digibet, eine Gesellschaft mit Sitz in Gibraltar, bietet auf der Internetseite „digibet.com“ in deutscher Sprache Glücksspiele und Sportwetten gegen Geldeinsatz an. Sie ist Inhaberin einer in Gibraltar erteilten Spiellizenz. Herr Albers ist Geschäftsführer von Digibet.

12      Die Westdeutsche Lotterie hält das Angebot von Digibet wegen Verstoßes gegen bestimmte glücksspielrechtliche Bestimmungen für wettbewerbswidrig. Auf die Klage der Westdeutschen Lotterie verurteilte das Landgericht Köln Digibet und Herrn Albers mit Urteil vom 22. Oktober 2009 u. a. dazu, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs über das Internet in Deutschland befindlichen Personen die Möglichkeit anzubieten, Glücksspiele gegen Entgelt einzugehen.

13      Das von Digibet und Herrn Albers mit der Berufung befasste Oberlandesgericht Köln wies diese mit Urteil vom 3. September 2010 zurück und bestätigte das im ersten Rechtszug ergangene Urteil.

14      Digibet und Herr Albers legten gegen dieses Urteil Revision beim vorlegenden Gericht ein und beantragten die vollständige Abweisung der ursprünglichen Unterlassungsklage der Westdeutschen Lotterie.

15      Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs kann aufgrund der seit dem 1. Januar 2012 im Land Schleswig-Holstein eingetretenen Rechtsänderungen nicht ausgeschlossen werden, dass die Revision im Hinblick auf einen Verstoß gegen die unionsrechtliche Dienstleistungsfreiheit Erfolg haben könnte. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs seien Ausnahmen und Einschränkungen zu einer die Glücksspieltätigkeit beschränkenden Regelung dahin gehend einer Kohärenzprüfung zu unterziehen, ob sie die Eignung dieser Regelung zur Verfolgung legitimer Allgemeininteressen beeinträchtigten (vgl. Urteil Carmen Media Group, C‑46/08, EU:C:2010:505, Rn. 106 ff.). Vor diesem Hintergrund könnte eine gegenüber den übrigen Bundesländern unterschiedliche Rechtslage in einem Bundesland dazu führen, dass die Vertriebs- und Werbebeschränkungen im Internet für Glücksspiele in den anderen Bundesländern wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht unanwendbar seien, so dass für ein Verbot der Online-Vermittlung und -Veranstaltung von Glücksspielen keine Grundlage mehr bestünde.

16      Gleichwohl erschiene es unangemessen und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar, wenn alle übrigen Bundesländer ihr vom Unionsrecht anerkanntes Recht, selbst zu beurteilen, ob es erforderlich sei, bestimmte Glücksspieltätigkeiten vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genüge, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollen vorzusehen (vgl. Urteil Carmen Media Group, EU:C:2010:505, Rn. 58), schon deshalb nicht ausüben könnten, weil ein einzelnes Bundesland eine abweichende Regelung einführen wolle. Dabei sei zu beachten, dass in einer bundesstaatlichen Verfassung ein Bundesland weder vom Bund noch von den anderen Bundesländern gezwungen werden könne, eine bestimmte Regelung in einem der Kompetenz der Länder unterliegenden Bereich zu treffen.

17      Schließlich sei zu berücksichtigen, dass sich in nicht harmonisierten Sektoren wie dem Glücksspielwesen die praktische Auswirkung einer durch Unterschiede zwischen den Ländern eines Bundesstaats eventuell bewirkten Inkohärenz für den Binnenmarkt nicht von möglicherweise abweichenden Regelungen unterscheiden dürfe, die zwischen kleineren und größeren Mitgliedstaaten bestünden und unionsrechtlich hinzunehmen seien.

18      Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.       Stellt es eine inkohärente Beschränkung des Glücksspielsektors dar,

–        wenn einerseits in einem als Bundesstaat verfassten Mitgliedstaat die Veranstaltung und die Vermittlung öffentlicher Glücksspiele im Internet nach dem in der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer geltenden Recht grundsätzlich verboten ist und – ohne Rechtsanspruch – nur für Lotterien und Sportwetten ausnahmsweise erlaubt werden kann, um eine geeignete Alternative zum illegalen Glücksspielangebot bereitzustellen sowie dessen Entwicklung und Ausbreitung entgegenzuwirken,

–        wenn andererseits in einem Bundesland dieses Mitgliedstaats nach dem dort geltenden Recht unter näher bestimmten objektiven Voraussetzungen jedem Unionsbürger und jeder diesem gleichgestellten juristischen Person eine Genehmigung für den Vertrieb von Sportwetten im Internet erteilt werden muss und dadurch die Eignung der im übrigen Bundesgebiet geltenden Beschränkung des Glücksspielvertriebs im Internet zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls beeinträchtigt werden kann?

2.      Kommt es für die Antwort auf die erste Frage darauf an, ob die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls aufhebt oder erheblich beeinträchtigt?

Falls die erste Frage bejaht wird:

3.      Wird die Inkohärenz dadurch beseitigt, dass das Bundesland mit der abweichenden Regelung die in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels übernimmt, auch wenn die bisherigen, großzügigeren Regelungen des Internetglücksspiels in diesem Bundesland hinsichtlich der dort bereits erteilten Konzessionen noch für eine mehrjährige Übergangszeit fortgelten, weil diese Genehmigungen nicht oder nur gegen für das Bundesland schwer tragbare Entschädigungszahlungen widerrufen werden könnten?

4.      Kommt es für die Antwort auf die dritte Frage darauf an, ob während der mehrjährigen Übergangszeit die Eignung der in den übrigen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt wird?

 Zu den Vorlagefragen

19      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach Erlass der Vorlageentscheidung das Land Schleswig-Holstein dem GlüStV 2012 beigetreten ist und das GlSpielG SH mit Wirkung vom 8. Februar 2013 aufgehoben, dabei aber vorgesehen hat, dass die bereits erteilten Genehmigungen für eine Übergangszeit fortgelten.

20      Unter Berücksichtigung dessen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen Fragen, die gemeinsam zu behandeln sind, wissen möchte, ob Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer der Mehrheit der Gliedstaaten eines föderal strukturierten Mitgliedstaats gemeinsamen Regelung entgegensteht, die die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen im Internet grundsätzlich verbietet, während ein einzelner Gliedstaat für einen begrenzten Zeitraum neben den restriktiven Rechtsvorschriften der übrigen Gliedstaaten bestehende weniger strenge Rechtsvorschriften beibehalten und Anbietern Genehmigungen für das Angebot von Glücksspielen im Internet erteilt hat, die nach der Aufhebung der weniger strengen Regelung für eine Übergangszeit fortgelten.

21      Es steht fest, dass eine mitgliedstaatliche Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die Werbung für Glücksspiele im Internet sowie deren Veranstaltung und Vermittlung grundsätzlich verbietet, eine Beschränkung des in Art. 56 AEUV verbürgten freien Dienstleistungsverkehrs darstellt (vgl. Urteil Stoß u. a., C‑316/07, C‑358/07 bis C‑360/07, C‑409/07 und C‑410/07, EU:C:2010:504, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Zu prüfen ist allerdings, ob eine solche Beschränkung im Rahmen der Ausnahmeregelungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit, die in den nach Art. 62 AEUV auch auf dem Gebiet des freien Dienstleistungsverkehrs anwendbaren Art. 51 AEUV und 52 AEUV ausdrücklich vorgesehen sind, zulässig oder gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. Urteile Garkalns, C‑470/11, EU:C:2012:505, Rn. 35, und Stanleybet International u. a., C‑186/11 und C‑209/11, EU:C:2013:33, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      So können nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs Beschränkungen der Glücksspieltätigkeiten durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen gerechtfertigt sein (vgl. Urteile Garkalns, EU:C:2012:505, Rn. 39, und Stanleybet International u. a., EU:C:2013:33, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Der Gerichtshof hat insoweit wiederholt entschieden, dass die Regelung der Glücksspiele zu den Bereichen gehört, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. In Ermangelung einer Harmonisierung des betreffenden Gebiets durch die Union ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, in diesen Bereichen im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben (Urteile Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, C‑42/07, EU:C:2009:519, Rn. 57, und Stanleybet International u. a., EU:C:2013:33, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung), wobei für die Klärung der Frage, welche Ziele mit den nationalen Rechtsvorschriften tatsächlich verfolgt werden, im Rahmen einer Rechtssache, mit der der Gerichtshof nach Art. 267 AEUV befasst worden ist, das vorlegende Gericht zuständig ist (Urteile Dickinger und Ömer, C‑347/09, EU:C:2011:582, Rn. 51, und Stanleybet International u. a., EU:C:2013:33, Rn. 26).

25      Im vorliegenden Fall stellt das vorlegende Gericht keine Fragen, die die Rechtfertigung der in Rede stehenden Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs betreffen.

26      Es stellt dem Gerichtshof jedoch eine Frage zu dem Erfordernis, dass die von den Mitgliedstaaten auferlegten Beschränkungen die in der Rechtsprechung insoweit aufgestellten Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung erfüllen müssen, und insbesondere zur Voraussetzung, dass eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Erreichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. Urteil Stanleybet International u. a., EU:C:2013:33, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Das vorlegende Gericht möchte somit wissen, ob die Verhältnismäßigkeit und Kohärenz der gesamten im Ausgangsverfahren in Rede stehenden restriktiven Regelung dadurch in Frage gestellt wird, dass allein im Land Schleswig-Holstein für einen begrenzten Zeitraum eine weniger strenge Regelung gilt.

28      Digibet und Herr Albers wie auch die maltesische Regierung tragen vor, die mangelnde Kohärenz der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden deutschen Regelung lasse sich insbesondere aus den Rn. 69 und 70 des Urteils Carmen Media Group (EU:C:2010:505) ableiten, wonach die Behörden des betreffenden Bundeslands und die Bundesbehörden gemeinsam der Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, nicht gegen Art. 56 AEUV zu verstoßen, nachzukommen hätten, so dass sie dabei die Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten koordinieren müssten.

29      Ferner berufen sie sich unter Bezugnahme auf die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland auf Rn. 61 des Urteils Winner Wetten (C‑409/06, EU:C:2010:503), nach der es nicht zugelassen werden könne, dass Vorschriften des nationalen Rechts, auch wenn sie Verfassungsrang hätten, die einheitliche Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigten.

30      Die Westdeutsche Lotterie, die deutsche, die belgische und die portugiesische Regierung sowie die Kommission sind dagegen der Ansicht, dass die erste Frage zu verneinen sei und der GlüStV 2012 unter den Umständen des Ausgangsverfahrens keine unverhältnismäßige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstelle.

31      Insoweit ist zunächst auf den besonderen Charakter des Bereichs der Glücksspiele hinzuweisen, wo im Gegensatz zur Einführung eines freien und unverfälschten Wettbewerbs auf einem traditionellen Markt die Betreibung eines derartigen Wettbewerbs auf dem sehr spezifischen Markt für Glücksspiele, d. h. zwischen mehreren Veranstaltern, die die gleichen Glücksspiele betreiben dürfen, insofern nachteilige Folgen haben könnte, als diese Veranstalter versucht wären, einander an Einfallsreichtum zu übertreffen, um ihr Angebot attraktiver als das ihrer Wettbewerber zu machen, so dass für die Verbraucher die mit dem Spiel verbundenen Ausgaben und die Gefahr der Spielsucht erhöht würden (vgl. Urteil Stanleybet International u. a., EU:C:2013:33, Rn. 45).

32      Aus diesem Grund und aus den in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Gründen verfügen die staatlichen Stellen in dem besonderen Bereich der Veranstaltung von Glücksspielen über ein weites Ermessen bei der Festlegung der Anforderungen, die sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben, und – sofern die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bestehenden Anforderungen im Übrigen erfüllt sind – ist es Sache jedes Mitgliedstaats, zu beurteilen, ob es im Zusammenhang mit den von ihm verfolgten legitimen Zielen erforderlich ist, Spiel- und Wetttätigkeiten vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollformen vorzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteile Dickinger und Ömer, EU:C:2011:582, Rn. 99, und Stanleybet International u. a., EU:C:2013:33, Rn. 44).

33      Sodann ist darauf hinzuweisen, dass sich, wenn Vertrags- oder Verordnungsbestimmungen den Mitgliedstaaten zum Zweck der Anwendung des Unionsrechts Befugnisse verleihen oder Pflichten auferlegen, die Antwort auf die Frage, in welcher Weise die Ausübung dieser Befugnisse und die Erfüllung dieser Pflichten bestimmten innerstaatlichen Organen übertragen werden kann, allein nach dem Verfassungssystem der einzelnen Mitgliedstaaten bestimmt (Urteil Horvath, C‑428/07, EU:C:2009:458, Rn. 49). Der Gerichtshof hat im Übrigen bereits entschieden, dass in einem Staat wie der Bundesrepublik Deutschland der Gesetzgeber die Auffassung vertreten darf, dass es im Interesse aller Betroffenen Sache der Länder und nicht des Bundes ist, bestimmte Vorschriften zu erlassen (vgl. in diesem Sinne Urteil Fuchs und Köhler, C‑159/10 und C‑160/10, EU:C:2011:508, Rn. 55).

34      Im vorliegenden Fall kann die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Ländern nicht in Frage gestellt werden, da sie unter dem Schutz von Art. 4 Abs. 2 EUV steht, nach dem die Union verpflichtet ist, die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt.

35      Zudem unterscheiden sich die Umstände der vorliegenden Rechtssache von denen der dem Urteil Carmen Media Group (EU:C:2010:505) zugrunde liegenden Rechtssache, da es im Ausgangsverfahren nicht um das Verhältnis und die etwaige Pflicht zur vertikalen Koordinierung zwischen den Behörden des betroffenen Bundeslands und den Bundesbehörden geht, sondern um das horizontale Verhältnis zwischen den Bundesländern mit eigenen Gesetzgebungsbefugnissen im Rahmen eines föderal strukturierten Mitgliedstaats.

36      Selbst wenn man schließlich annehmen wollte, dass die Kohärenz der in Rede stehenden Regelung insgesamt möglicherweise durch die Regelung eines Bundeslands, die weniger streng ist als die in den anderen Bundesländern geltende, beeinträchtigt werden kann, ist festzustellen, dass eine solche etwaige Beeinträchtigung der Kohärenz unter den Umständen des Ausgangsverfahrens zeitlich und räumlich auf ein Bundesland begrenzt war. Es lässt sich somit nicht die Auffassung vertreten, dass die abweichende Rechtslage in einem Bundesland die Eignung der in den anderen Bundesländern geltenden Beschränkungen des Glücksspiels zur Erreichung der mit ihnen verfolgten legitimen Ziele des Allgemeinwohls erheblich beeinträchtigt.

37      Wie nämlich u. a. aus den schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung und der Westdeutschen Lotterie hervorgeht, war die vom Land Schleswig-Holstein im Bereich der Glücksspiele verabschiedete weniger strenge Regelung vom 1. Januar 2012 bis 8. Februar 2013 in Kraft. Danach hat Schleswig-Holstein die restriktiveren Regeln des bereits in den anderen Ländern in Kraft befindlichen GlüStV 2012 angewandt.

38      Unter diesen Umständen kann die in den Rn. 28 und 29 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung nicht dahin ausgelegt werden, dass die 15 anderen Länder das Verbraucherschutzniveau zu übernehmen hatten, das allein in Schleswig-Holstein für einen begrenzten Zeitraum galt.

39      Daraus folgt, dass die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Glücksspielregelung den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügen kann.

40      Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht unter Berücksichtigung der Hinweise des Gerichtshofs zu prüfen hat, ob die durch den betreffenden Mitgliedstaat auferlegten Beschränkungen den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebenden Anforderungen an ihre Verhältnismäßigkeit genügen (vgl. Urteil Dickinger und Ömer, EU:C:2011:582, Rn. 50).

41      Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer der Mehrheit der Gliedstaaten eines föderal strukturierten Mitgliedstaats gemeinsamen Regelung, die die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen im Internet grundsätzlich verbietet, während ein einzelner Gliedstaat für einen begrenzten Zeitraum neben den restriktiven Rechtsvorschriften der übrigen Gliedstaaten bestehende weniger strenge Rechtsvorschriften beibehalten hat, dann nicht entgegensteht, wenn diese gemeinsame Regelung den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.

 Kosten

42      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer der Mehrheit der Gliedstaaten eines föderal strukturierten Mitgliedstaats gemeinsamen Regelung, die die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen im Internet grundsätzlich verbietet, während ein einzelner Gliedstaat für einen begrenzten Zeitraum neben den restriktiven Rechtsvorschriften der übrigen Gliedstaaten bestehende weniger strenge Rechtsvorschriften beibehalten hat, dann nicht entgegensteht, wenn diese gemeinsame Regelung den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit genügt, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.
Unterschriften

Verfahrenssprache: Deutsch.