Dienstag, 8. Februar 2011

EuGH bekräftigt: EU-Recht steht über nationalem Recht

update:
Pflicht zur Befolgung der Vorgaben eines übergeordneten Gerichts, EuGH (Rs. C-581/14)
Um die einheitliche und volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu sichern, sind unionsrechtswidrige mitgliedstaatliche Regelungen nicht nur unmittelbar zu beseitigen, sondern dürfen aufgrund des Anwendungsvorrangs auch nicht weiter angewandt werden. (Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit)
 


Nationale Gesetze dürfen sich nicht über EU-Recht hinwegsetzen.
Das Recht der Europäischen Union steht über nationalem Recht. Diesen Grundsatz hat der Europäische Gerichtshof (EuGH), das höchste Gericht der EU, am 18. Juli 2007 in Luxemburg mit einem Urteil in einem Streit über Unternehmensbeihilfen in Italien bekräftigt.
Nationale Gerichte dürfen sich laut dem Richterspruch nicht über EU-Recht hinwegsetzen und müssen gegebenenfalls heimische Gesetze und Vorschriften außer Acht lassen (AZ: C-119/05).
Hintergrund ist eine 1985 von einem italienischen Unternehmen beantragte Beihilfe, die die nationale Behörde - noch vor der maßgeblichen Entscheidung der EU-Kommission - gewährte. 1990 erklärte die Brüsseler Behörde die Beihilfe für unzulässig. Das Unternehmen verklagte daraufhin die italienischen Behörden, um die Subventionen behalten zu können. Gerichte gestanden dem Unternehmen die Beihilfen in Urteilen von 1991 und 1994 zu. Das Verfahren landete dann vor einem italienischen Gericht, dass den EuGH bat, Zuständigkeiten und Befugnisse zu klären.

Der EuGH unterstrich, dass nationale Gerichte zwar das Recht hätten, die Gültigkeit von Rechtsakten der EU prüfen zu lassen.

Sie seien aber nicht befugt, deren Ungültigkeit selbst festzustellen.

Das Unternehmen hätte also die Entscheidung der Kommission gar nicht erst von einem nationalen Gericht prüfen lassen können.
dpa Quelle: http://www.eu-info.de/eugh/
Allein der Europäische Gerichtshof kann über die Auslegung und Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht entscheiden.
Hat ein Gericht eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union letztinstanzlich über eine Sache zu entscheiden, bei der es auf die Anwendung von Gemeinschaftsrecht ankommt, hat es bei Zweifeln der Auslegung oder Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts die entsprechende Frage dem EuGH vorzulegen (Vorlageverpflichtung nach Art. 267 AEUV/ehemals Art. 234 III des EG-Vertrags).
Ist die Antwort durch den EuGH im Hinblick auf dessen bisherige Rechtsprechung jedoch offensichtlich, kann die Frage gar nicht zweifelhaft sein.
Eine Vorlage ist dann weder möglich noch notwendig.
Danach ist ein Vorlageverfahren auch dann nicht durchzuführen, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass kein Raum mehr für vernünftige Zweifel besteht. Die richtige Auslegung der Norm müsste sich also nach der acte clair-Doktrin allen Gerichten in allen Mitgliedstaaten praktisch aufdrängen
Grundlegendes zur Prüfung des Gemeinschaftsrechtes durch nationale Gerichte (pdf-download) 

Das EG-Recht legt den Mitgliedstaaten eine Untersuchungspflicht und die Beweislast auf. (EuGH, Rs.C-42/02, Lindman, Slg. 2003, I-13519, Rn. 25 und 26; EuGH, Rs. C-67/98, Zenatti, Schlußanträge von GA Fenelly, Slg. 1999, I-7301, Rn. 29.)

Vereinbarkeit der Rechtsgrundlage mit EU-Recht Anwendungsvorrang des unmittelbar anwendbaren EU-Rechts
Kommt die Überprüfung einer Vorschrift eines Parlamentsgesetzes in Betracht, haben das streitentscheidende Gericht neben der Vereinbarkeit der Vorschrift mit höherrangigem nationalen (Verfassungs-)Recht auch deren Vereinbarkeit mit EU-Recht zu untersuchen.
Das ergibt sich aus dem grundsätzlichen Anwendungsvorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht
1: Kollidiert eine nationale Vorschrift mit unmittelbar anwendbarem EU-Recht, verliert sie ihre Anwendbarkeit. Handelt es sich bei der dann nicht anwendbaren nationalen Norm um eine Rechtsgrundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts, fehlt es diesem somit dementsprechend an einer dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes gerecht werdenden Rechtsgrundlage.
Der Verwaltungsakt ist schon deshalb rechtswidrig.
VerwProzR_Rn_659-690
Das Bundesverfassungsgericht (BvR 1682/07) hat am 1. Dezember 2010 einstimmig beschlossen:
„Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 23. Januar 2007 - 13 Sa 954/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.“

„Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).“ Rn 14

„Dazu gehöre, nicht durch Kostenbarrieren von der Verfolgung berechtigter Interessen und geschützter Positionen auf dem Rechtsweg abgehalten zu werden oder zu deren Durchsetzung aussichtslose und zugleich kostenträchtige Gerichtsverfahren führen zu müssen.“ Rn 15
Der Glückspielstaatsvertrag (GlüStV) ist bereits am 8.9.2010 vor dem EuGH gescheitert !
Durch die Feststellungen des EuGH vom 8.9.2010, verstößt der GlüStV gegen die EG-rechtlichen Anforderungen an Glücksspiel-Monopole und wurde rechtswidrig errichtet. (Urteile des EuGH - Schindler vom 24.03.1994, C-275/92; Läärä vom 21.9.1999, C-124/97; Zenatti vom 21.10.1999, C-67/98; Anomar vom 11.9.2003, C-6/01; Gambelli vom 6.11.2003, C-243/01; Lindman vom 13.11.2003, C-42/02; Placanica, Palazzese und Sorricchio vom 6.3.2007, verbundene Rechtssachen C-338/04, C-359/04 und C-360/04. Siehe auch Urteile: EFTA-Entscheidungen vom 14.03.2007, Rs. E-1/06 und 30.05.2007, Rs. E-3/06 in Sachen Esa / Nordwegen und Ladbrokes, Comm. vs. Italien vom 26.4.1994, C-272/91; Familiapress vom 26.6.1997, C-368/95; Hartlauer, C-169/07, Slg. 2009, I-0000, Rn.55 vom 10. März 2009).

Es bedurfte einer systematischen und kohärenten Glücksspielpolitik, wie der EuGH sie in der Rechtssache Gambelli eingefordert hat - also eines "Vollmaßes" an Kohärenz für die Glücksspielpolitik insgesamt, also die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Regelung. Sowie die volle Konsistenz, also die Einhaltung der Rechtstreue durch die Monopolbetriebe, bereits für die alte Rechtslage. Diese Anforderungen gelten selbstverständlich fort und müssen durch die neue bzw. zukünftige Rechtslage eingehalten werden. Eine Abweichung führt zur Willkür und ist gemeinschaftswidrig ! Seit 1999 gab es keine rechtskonforme Regelung in Deutschland.
VG Berlin verschafft EU Anwendungsvorrang weiterhin Geltung
Da der EuGH für alle Mitgliedstaaten verbindlich das Recht der Europäischen Union [Anmerkung 1] auslegt, gilt die Norm des Recht der Europäischen Union, so wie sie durch die im Urteil verkündete Auslegung zu verstehen ist, für alle Mitgliedstaaten und − in der Regel − ex tunc, d. h. rückwirkend. Anders formuliert: Der EuGH stellt fest, wie eine Vorschrift des Recht der Europäischen Union immer schon und von allen hätte verstanden werden müssen. Quelle1, Vor dem Vertrag von Lissabon bezog sich diese Befugnis auf das Gemeinschaftsrecht.
Der Vertrag von Lissabon und der Fortgang der europäischen Integration
Prof. Dr. Thomas von Danwitz, D.I.A.P. (ENA, Paris),
Richter am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg/Köln
Auszug
Nach dem Vertrag von Lissabon erstrecken sich die Zuständigkeiten des Gerichtshofs auf sämtliche Tätigkeitsfelder der Union.

Der Reformvertrag von Lissabon nimmt noch einmal eine beträchtliche Erweiterung der Zuständigkeiten der Europäischen Union vor, so dass der europäischen Regelungsgewalt kein zentraler Politikbereich mehr verschlossen bleibt. Mit dieser Ausweitung des politischen Aktionsradius der Europäischen Union geht – gleichsam im Gegenzug – eine deutliche Akzentuierung der rechtlichen Grenzen der Zuständigkeiten der Europäischen Union einher. Durch den Vertrag von Lissabon wird die Charta der Grundrechte der europäischen Union über einen Verweis in Artikel 6 Abs. 1 EU mit primärrechtlicher Geltungskraft ausgestattet.

Antrittsvorlesung Prof. Günter Verheugen Europa-Universität Viadrina Frankfurt/O

Vertrag von Amsterdam zur Gründung der EG
Die Kommission hat seit Jahren mit mehreren Schreiben die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts angemahnt. Schreiben vom 04.04.2006, IP/06/436 v. 4. April 2006 und vom 31. Januar 2008 IP/08/119; EuGH-Vorlage - VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.01.2008, Az.: 12 A 102/06 Vertragsverletzungsverfahren - freier Dienstleistungsverkehr: Übersicht, Schlußanträge der Generalanwälte ab Jan. 2010 in diesem Blog.
EDZ – ArchiDok Volltext-Datenbank mit Direktzugriff auf die archivierten EU-Onlinepublikationen
EuGH - Rechtsprechungsübersicht mit Volltextsuche
Pressemitteilungen
des EuGH
mehr zum Europarecht und unter: Wie beantwortet die rechtswissenschaftliche Lehre die entscheidenden Fragen nach den Urteilen des EuGH vom 8. September 2010?
Pressemitteilung zum Urteil des EuGH - AZ.: C-338/04, C-359/04, C-360/04 Plancanica
Auswirkungen des Placanica-Urteils auf Deutschland
EFTA Gerichtshof, Urteil vom 30.05.2007 – Rs 3/06 Ladbrokes
Erläuterungen zum Entwurf des neuen Glücksspielstaatsvertrags vom 14.12.2006
Entwurf des neuen Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 14.12.2006
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.08.2007, AZ: 9 B 14.07
Bindungswirkung von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für innerstaatliche Gerichte; Verhältnis von Grundgesetz und Völkerrecht

BVerfG, Beschl. v. 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04

Fundstelle:Originaldokument auf der Webseite des BVerfG: rs20041014_2bvr148104.html
s. dazu auch die
Pressemeldung des BVerfG Nr. 92/2004 vom 19.10.2004

Amtl. Leitsätze:
1. Zur Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gehört die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Sowohl die fehlende Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Gerichtshofs als auch deren gegen vorrangiges Recht verstoßende schematische "Vollstreckung" können gegen Grundrechte in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verstoßen.
2. Bei der Berücksichtigung von Entscheidungen des Gerichtshofs haben die staatlichen Organe die Auswirkungen auf die nationale Rechtsordnung in ihre Rechtsanwendung einzubeziehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich bei dem einschlägigen nationalen Recht um ein ausbalanciertes Teilsystem des innerstaatlichen Rechts handelt, das verschiedene Grundrechtspositionen miteinander zum Ausgleich bringen will.




EU-Justizpolitik nach dem Vertrag von Lissabon
Leitlinien für die EU-Justizpolitik  doc. download

FRAGENKATALOG EUROPARECHT PROF. FEIK    doc. download