Donnerstag, 10. Februar 2011

BVerwG: Urteil v. 24.11.2010 - Rien ne va plus:

Bundesverwaltungsgericht verfügt faktisches Werbeverbot für den Deutschen Lotto- und Totoblock

- Bundesverwaltungsgericht: Wenn Glücksspielmonopol mit Suchtbekämpfung begründet wird, ist Sympathie- und Imagewerbung des Lottoblocks verboten

- Kohärenz des gesamten deutschen Glücksspielrechts muss geprüft werden

- Staatliche Lottogesellschaften werden durch verschärftes Werbeverbot weitere dramatische Umsatzeinbußen erleiden

Hamburg, 10. Februar 2010 – Es ist ein herber Schlag aus Leipzig für die Verfechter des "gemeinwohlorientierten Staatsvertragsmodells": Ein Glücksspielmonopol, das dem Deutschen Lotto- und Totoblock (DTLB) Sympathie- und Imagewerbung ("Lotto tut Gutes") ermöglicht, ist laut dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) europarechtswidrig.

Gestern hat das BVerwG eine grundlegende Entscheidung zum deutschen Glücksspielrecht begründet (BVerwG 8 C.15.09). Bereits am 24. November 2010 hatte es entschieden, dass die Verbote privater Glücksspielvermittler nur gerechtfertigt werden können, wenn das vom Gesetzgeber im Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) gewählte Ziel der Spielsuchtbekämpfung tatsächlich und rechtlich kohärent verfolgt wird, und die Sache zur erneuten Aufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Nun muss das bayerische Gericht aufklären, ob das Ziel der Suchtbekämpfung im deutschen Glücksspielrecht tatsächlich konsequent verfolgt oder ob es nicht durch liberale Regelungen in anderen, gefährlicheren Glücksspielsektoren – insbesondere im Bereich der Casinos, Pferdewetten und Automaten – konterkariert wird.

Nach der gestern veröffentlichten Urteilsbegründung wird dabei auch die Werbung für Lotto und Lotterien in den Blick genommen. Nach dem Urteil liegt eine Inkohärenz - mit der Folge einer Verfassungswidrigkeit und Europarechtswidrigkeit - bereits dann vor, wenn Werbung für Glücksspiel zugleich positive Inhalte (Image- oder Sympathie-Werbung) transportiert und so geeignet ist, zum Glücksspiel anzureizen, gleichgültig, ob dies beabsichtigt ist oder nicht. Hinweise auf die "guten Zwecke" der monopolisierten Glücksspiele sind mit einem solchen Gesetzeskonzept unvereinbar. Das BVerwG lässt keinen Zweifel daran, dass die Monopolisten ihre bisherige Werbepraxis einstellen müssen, wollen sie nicht ihr Monopol gefährden: "Bei einer unzulässigen Werbepraxis des Monopolträgers entfällt schon die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufswahlfreiheit, ohne dass es auf das Vorliegen weiterer Verstöße gegen das Erfordernis konsequenter Ausrichtung am Ziel der Suchtbekämpfung ankäme." Verboten sind den staatlichen Blockgesellschaften "alle Werbemaßnahmen, die von einem noch nicht zum Wetten entschlossenen durchschnittlichen Empfänger der Botschaft als Motivierung zum Wetten zu verstehen sind. Mit der gegenwärtigen Monopolbegründung unvereinbar ist laut BVerwG die Idee eines "Spendens durch Spielen". Im gleichen Atemzug verwirft das höchste deutsche Verwaltungsgericht auch die naheliegenden Einwände der Monopolverteidiger: "Gleichzeitige Hinweise auf das Wettrisiko und die Gefahren des Wettens können dazu kein ausreichendes Gegengewicht bilden."

An diesen Maßstäben scheitern das Werbeverhalten der Lottogesellschaften und der GlüStV insgesamt. Werbung des DLTB im derzeitigen Monopolsystem ist danach faktisch ausgeschlossen: Erlaubt ist nur noch der "Hinweis auf eine legale Möglichkeit, einen vorhandenen Entschluss zum Wetten umzusetzen".
Offen ließ das Gericht, ob das Glücksspielrecht überhaupt konsequent an dem Ziel der Suchtbekämpfung ausgerichtet ist. Dies konnte es als Revisionsgericht nicht entscheiden. Die Tatsachenfeststellungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reichten dafür nicht aus. Vor Anwendung der Verbote des GlüStV hätte der Bayerische VGH klären müssen, ob die Werbepraxis der Lotterien diesen Anforderungen generell genügt. Er hätte auch klären müssen, ob auch im Bereich der gefährlicheren Glücksspiele wie Pferdewetten, Casinos und Automaten eine konsistente Suchtbekämpfung betrieben wird. Eine Kohärenz sei nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr anzunehmen, wenn eine Expansion anderer Glücksspielarten betrieben oder staatlich geduldet werde.
Werbebeschränkungen haben den staatlichen Lotteriegesellschaften in den vergangenen Monaten bereits ein sattes Umsatzminus beschert. Insgesamt werden sie bis Ende dieses Jahres in Folge des GlüStV rund sechs Milliarden Euro weniger einnehmen. Und das, obwohl sie sich bislang immer wieder über die Verbote hinweggesetzt und beispielsweise mit der Verwendung von Lottogeldern für den guten Zweck geworben hatten. Jetzt drohen den Lottogesellschaften noch höhere Einbußen und weitere Eingriffe in den Vertrieb durch die Annahmestellen.

Das Bundesverwaltungsgericht fordert nämlich von den Lotteriegesellschaften zusätzlich eine aktive Suchtprävention, die über das Bereithalten von Informationsmaterial hinausgeht und eine "angebotsimmanente Aufklärung, Früherkennung und Förderung der Motivation zur Verhaltensänderung, etwa durch die Möglichkeit einer Selbstsperre", vorsieht.

Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes vom 8. September 2010 hat somit nun auch das BVerwG entschieden, dass Regelungen schon dann, wenn sie der Zielverfolgung der Suchtbekämpfung widersprechen und faktisch zu einer geduldeten Expansion von Glücksspielen führten, die Inkohärenz und Unionsrechtswidrigkeit zur Folge hätten.

Der Deutsche Lottoverband (DLV) appelliert an die Ministerpräsidenten, die im März über die Zukunft des Glücksspielstaatsvertrages beraten, sich bei Lotterien von der Suchtbekämpfung als wesentliche Begründung des Lotterieveranstaltungsmonopols zu verabschieden.

Der gesetzgeberische Ansatz, das Lotterieveranstaltungsmonopol mit der Suchtbekämpfung zu begründen und hieran formal ausrichten und sichern zu wollen, ist mit dem aktuellen, höchstrichterlichen Urteil endgültig gescheitert. Die Regelungen für Lotterien wie Lotto und Klassenlotterien lassen sich mit diesem zentralen Regelungsansatz nicht mehr halten. Die durch die "Suchtargumentation" zwangsläufig folgenden Beschränkungen, wie sie das Bundesverwaltungsgericht aufgezeigt hat, verbieten den bisherigen Vertrieb staatlicher Lotterien als harmloses Freizeitvergnügen zur Förderung guter Zwecke.

Die zentrale Suchtargumentation ist bei Lotterien eine Sackgasse. Eine aktuelle wissenschaftliche Studie belegt empirisch, dass es keine Lotto-Sucht gibt. Die Studie von Prof. Dr. Heino Stöver (Direktor des Instituts für Suchtforschung der Fachhochschule Frankfurt/Main) wurde kürzlich anlässlich einer Befragung des Verwaltungsgerichtes Halle erstellt. Das Gericht hatte rund 100 Suchtkliniken sowie sämtliche Betreuungsgerichte in der Bundesrepublik Deutschland zur Spielsucht-Bedeutung von Lotterien wie "Lotto 6aus49" befragt. "Es gibt andere Gründe, wie Betrugs- und Manipulationsgefahren, die das Lotterieveranstaltungsmonopol sichern und gleichzeitig den Vertrieb von Lotterien im Wettbewerb erlauben", so Norman Faber, Präsident des DLV.

Das wurde nicht nur verfassungs- und europarechtlich, sondern auch ökonomisch und fiskalisch begutachtet. Nach einer aktuellen Untersuchung der Universität Hannover könnten die Länder dann allein mit ihren Lotterien zusätzliche Netto-Einnahmen von mindestens zehn Mrd. Euro bis 2016 generieren (jährlich 2,8 Mrd. Euro netto ab 2016). Auch Breitensport, Wohlfahrt und Kultur dürften wieder aufatmen. Für gemeinnützige Projekte hätten die Bundesländer dann jährlich bis zu 1 Mrd. Euro mehr im Lotto-Topf. Durch den aktuellen Umsatzrückgang in Folge des GlüStV hingegen stehen den Ländern derzeit jährlich rund 400 Millionen Euro weniger Fördermittel zur Verfügung.

Hochgerechnet auf den Jahresumsatz summiert sich das Minus auf mehr als 1 Milliarde Euro, das bedeutet 400 Millionen Euro weniger Fördermittel für Sport, Wohlfahrt und Kultur.

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