Sonntag, 26. Dezember 2010

Die Europäische Kommission prüft im Fall Kellner

Kellner: ....."Es haben zwei Bundesländer (Brandenburg und Bayern) einen Bescheid gesendet, worin die Einstellung der Hausverlosung gefordert wird, in beiden Fällen habe ich dagegen Klage eingereicht, da ich keine Internetverlosung mache, was von diesen Behörden behauptet wird.“ ...... "Ich habe über diese Drangsalierungen die europäische Kommission informiert und diese hat mir schriftlich bestätigt, dass diese Vorgänge jetzt überprüft werden“ Quelle

Hier wurde bereits über Herr Kellner berichtet

RECHT: Andere Länder...
Haus-Lotterie in Tirol und in der Mark
POTSDAM - Dem österreichischen Millionär Karl Rabeder ist gelungen, was seinem Landsmann Franz Josef Kellner bisher versagt blieb. Rabeder hat seine 321-Quadratmeter-Villa in Telfs bei Innsbruck im österreichischen Bundesland Tirol per Lotterie verlost. Jetzt ist eine Bayerin die glückliche neue Besitzerin. weiterlesen

In Anbetracht höchstrichterlicher Urteile dürfte wohl kaum noch zu bestreiten sein, das der deutsche Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) gemeinschafts- und damit auch verfassungswidrig ist.

Aus meiner Sicht beinhaltet die am 8.9.2010 durch den EuGH festgestellte Gemeinschaftswidrigkeit der Monopolgesetzgebung deren Verfassungswidrigkeit, da durch den Solange II-Beschluss des BVerfG, die Überprüfung der Freiheitsgrundrechte dem EuGH obliegt.

Mit den Feststellungen des EuGH verstößt der GlüStV u.a. erneut gegen die Gambelli- und weiterer Rechtssprechung des EuGH, den Kartell- und Monopolregeln der EU sowie gegen das Sportwettenurteil (BVerfGE 115, 276 ff = NJW 2006, 161 ff)

Die Begründung für das Monopol wurde durch den EuGH als unzulässig angesehen, wodurch dieses rechtswidrig geschaffen wurde. Ein Auslandsbezug ist nicht notwendig.

Trotzdem wird gegen den Österreicher Kellner, der europarechtswidrige GlüStV weiter angewandt und in seine Gemeinschaftsgrundrechte eingegriffen, ohne die durch das EG-Recht den Mitgliedstaaten auferlegte Untersuchungs- und die Beweislastpflicht einzuhalten. (EuGH, Rs.C-42/02, Lindman, Slg. 2003, I-13519, Rn. 25 und 26; EuGH, Rs. C-67/98, Zenatti, Schlußanträge von GA Fenelly, Slg. 1999, I-7301, Rn. 29.)

Von österreichischen Anbietern wurden in anderen Fällen den italienischen Behörden die Amtshaftung angedroht und diese sogar angezeigt.

Grundrechte in der Europäischen Union mehr Justiz, Freiheit und Sicherheit
Rechtsprechung zu Art. 49 EG - (Freier Dienstleistungsverkehr) s.u.
mehr zum Europarecht

Wirkungen der Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 8.9.2010
in den Rechtssachen Carmen Media Group Ltd, Markus Stoß u.a. und Kulpa Automatenservice Asperg GmbH u.a. im Hinblick auf den deutschen Glücksspielstaatsvertrag von Univ.-Prof. Dr. iur. Christian Koenig

EU-Kommissar Michel Barnier mahnte bereits unter Verweis auf die jüngste EuGH-Rechtsprechung eine europarechtskonforme Neuregelung des Glücksspielstaatsvertrages an. Der EuGH hatte in seinen Urteilen vom 8. September 2010 zu mehreren Vorlagen deutscher Verwaltungsgerichte die derzeitige Monopolregelung für mit Europarecht nicht vereinbar erklärt. Nach Ansicht des EuGH gibt es in Deutschland keine hinreichende kohärente und systematische Regelung. Quelle

Zu einer eigenen Entscheidung über die Gültigkeit von Gemeinschaftsrecht sind nationale Gerichte - gleich welcher Instanz - nicht befugt. EuGH 22.10.1987, Rs 314/85, Foto-Frost, Slg. 1987, 4199. s.u.a. EuGH-Urteil vom 18. Juli 2007 (AZ: C-119/05)
Das VG Arnsberg spricht in seinem Urteil sogar von einer Missachtung des europäischen Anwendungsvorranges.

Das VG Berlin bestätigt die Europa- und Verfassungswidrigkeit und verweist auf die Entscheidungen des EuGH und des BVerfG. Das BVerfG, stellte in dem Verfahren (1 BvR 1054/01 v. 28.03.2006) fest, dass ein staatliches Monopol nur dann verhältnismäßig ist, wenn es rechtlich so ausgestaltet ist, dass es konkret der Suchtprävention dient, indem es an den legitimen Zielen, insbesondere Suchtbekämpfung und Begrenzung der Wettleidenschaft, rechtlich und faktisch ausgerichtet ist (Rn. 143) und nicht einmal als Nebenziel fiskalische Zwecke verfolgt werden (EuGH C-258/08 [Ladbrokes], Rn. 28). Der Senat hebt an dieser Stelle die Parallelität ausdrücklich hervor: "Insofern laufen die Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts parallel zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben." (BVerfG, a.a.O., Rn. 144) mehr unter

Ausserdem stellte der EuGH am 08.09.2010 fest, dass fiskalische Gründe im Vordergrund stehen und nicht die behauptet die Spielsuchteindämmung! Dadurch handelt es sich in Wahrheit um ein gemeinschaftsrechts- und verfassungswidriges Finanzmonopol, zu dem der Staat nicht berechtigt war. (vgl. Art. 105 Abs. 1, Art. 106 Abs. 1, Art. 108 Abs. 1 GG; BVerfGE 14, 105, 111ff) "Es war und ist ein Fiskal-Monopol. Es dient nicht, wie immer behauptet wird, der Spielsuchtbekämpfung. Der Staat nutzt es allein zur Erzielung von Einkünften." (so Prof. Rupert Scholz, focus 13.09.2010) und unter

Wenn der Staat eine bestimmte (berufliche) Tätigkeit in die Rechtsform des Staatsmonopols überführt, so ist dies entweder als Verwaltungs- oder als Finanzmonopol möglich. Finanzmonopole dienen fiskalischen Zwecken und sind als solche prinzipiell mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Finanzmonopole sind nur insoweit verfassungsmäßig, wie sie im GG über eine ausdrückliche, d. h. verfassungsunmittelbare Rechtfertigung verfügen (vgl. Art. 105 Abs. 1, Art. 106 Abs. 1, Art. 108 Abs. 1 GG). Über diese, schon im Zeitpunkt des Inkrafttretens des GG bestehenden Finanzmonopole hinaus ist der Staat nicht berechtigt, neue oder weitere Finanzmonopole zu begründen. Dies ist unstreitig. (vgl. BVerfGE 14, 105, 111ff.; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 114, 259, 413, 417 m.w.N.)

Die Politik weist laufend auf die fiskalische Bedeutung des staatlichen Sportwetten- und Glücksspielmonopols hin. Mit fiskalischen Gründen darf auch europarechtlich eine Abschottung des deutschen Marktes gerade nicht gerechtfertigt werden. (EuGHE 2003, 13031 [Gambelli], Rn. 69, 72) vgl. (GA Gulmann, Schlussanträge, EuGHE 1994, 1039 [Schindler], Rn. 110). Ein Mitgliedstaat kann somit nicht vorgeben, dass er sich gezwungen sehe, den Zugang seiner Bürger zu Wettangeboten einzuschränken, wenn er sie gleichzeitig dazu ermuntert, an staatlichen Glücksspielen teilzunehmen.

Der Glücksspielstaatsvertrag verstößt auch gegen das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz GG)
”Verstöße gegen das Zitiergebot sind zwar nur ein Formfehler, aber mit gravierenden Folgen. Durch diesen wird jedes Gesetz ungültig. Der Gesetzgeber kann diesen Schaden nur durch eine neue Rechtsnorm heilen.” Zitat von Prof. Rupert Scholz (Staatsrechtler und Politiker) vom 23.04.2010 in AUTO-Bild. weiterlesen Verletzt ein Gesetz ein Freiheitsgrundrecht, so folgt daraus die Nichtigkeit des Gesetzes weil nur so der Grundrechtseingriff zu beheben ist. Die Rechtsfolge ist hier eindeutig.”, Zitat Prof. Heintzen, 2001…
VerwProzR_Rn_659-690
bb. Vereinbarkeit der Rechtsgrundlage mit EU-Recht
a.) Anwendungsvorrang des unmittelbar anwendbaren EU-Rechts
Kommt die Überprüfung einer Vorschrift eines Parlamentsgesetzes in Betracht, haben das streitentscheidende Gericht (und somit der Klausurbearbeiter) neben der Vereinbarkeit der Vorschrift mit höherrangigem nationalen (Verfassungs-)Recht auch deren Vereinbarkeit mit EU-Recht zu untersuchen. Das ergibt sich aus dem grundsätzlichen Anwendungsvorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht
1: Kollidiert eine nationale Vorschrift mit unmittelbar anwendbarem EU-Recht, verliert sie ihre Anwendbarkeit. Handelt es sich bei der dann nicht anwendbaren nationalen Norm um eine Rechtsgrundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts, fehlt es diesem somit dementsprechend an einer dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes gerecht werdenden Rechtsgrundlage. Der Verwaltungsakt ist schon deshalb rechtswidrig.

Das Bundesverfassungsgericht (BvR 1682/07) hat am 1. Dezember 2010 einstimmig beschlossen:

„Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 23. Januar 2007 - 13 Sa 954/06 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.“

„Mit seiner rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).“ Rn 14

„Dazu gehöre, nicht durch Kostenbarrieren von der Verfolgung berechtigter Interessen und geschützter Positionen auf dem Rechtsweg abgehalten zu werden oder zu deren Durchsetzung aussichtslose und zugleich kostenträchtige Gerichtsverfahren führen zu müssen.“ Rn 15

„Justiz hat mit Gerechtigkeit so viel zu tun wie die Landeskirchenverwaltung mit dem lieben Gott“, zitiert Wörz den Schriftsteller und Juristen Herbert Rosendorfer auf seiner Website.
Wollen wir hoffen, das die Rechtsfindung nicht lange dauern möge wie im Fall Wörz.

Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs

acte-clair-Doktrin
des EuGH: Die Maßstäbe des EuGH zur Vorlagepflicht und des BVerfG entsprechen jetzt einander.
Was europarechtswidrig ist, ist auch verfassungswidrig.

Eine Kammerentscheidung des BVerfG hat es in sich: Scheinbar als ob es nur Selbstverständliches bestätigen würde, hob es eine Entscheidung des BAG auf, weil dieses durchentschieden hatte, statt dem EuGH vorzulegen (NJW 2010, 1268 m. Anm. Reinhard).
Der EuGH als gesetzlicher Richter i. S. des Art. 101 I 1 GG wird entzogen, „wenn das nationale Gericht eine eigene Lösung entwickelt, die nicht auf die bestehende Rechtsprechung des EuGH zurückgeführt werden kann und auch nicht einer eindeutigen Rechtslage entspricht“. Selbstgestricktes Europarecht durch heimische Gerichte ist damit verfassungswidrig. Wortlautgehorsam gegenüber Luxemburg ist gefragt – nicht Zu-Ende-Denken einer angebrochenen Rechtsprechung, sondern allein die Anwendung des Vorhandenen. Entsprechend darf das nationale Gericht nur selbst entscheiden, wenn die Beantwortung der europarechtlichen Frage „offenkundig“ ist. Davon darf es bei einer unvollständigen EuGH-Rechtsprechung nur dann ausgehen, wenn es überzeugt ist, dass dies auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH so ist. so Prof. Dr. Gregor Thüsing (NJW Editorial 26/2010)

Die verfassungs- und unionsrechtlichen Maßstäbe an die Rechtfertigung eines staatlichen Wettmonopols der 16 Bundesländer entsprechen einander.
- Was Europarechtswidrig ist, ist auch verfassungswidrig -.
(zur "Parallelität" vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01, juris, Rn. 144, BVerfG, 6.7.2010 – 2 BVR 2661/06, Rn. 83 f. Zur Bindungswirkung für Behörden insbesondere: EuGH, 9. 9. 2003 – C-198/01, Slg. 2003, I-8055, Rn. 51)
KARLSRUHE: Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung die Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs auch in arbeitsrechtlichen Fragen bestätigt. Eine Kontrolle europäischer Entscheidungen durch das Verfassungsgericht komme nur in Betracht, wenn die europäischen Institutionen ihre Kompetenzen in schwerwiegender Weise überschritten, heißt es in dem Beschluss der Karlsruher Richter. Geklagt hatte ein Mitarbeiter eines Automobilzulieferers. Zur Befristung seines Arbeitsvertrages war eine Sonderregelung für Arbeitnehmer über 52 Jahre herangezogen worden. Der Europäische Gerichtshof hatte dies als Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung gewertet. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Befristung daraufhin für unwirksam.| 26.08.2010 | 11:00 UTC Quelle

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteile vom 15. Juli 1964 – Rs. 6/64 [Costa/E.N.E.L.], Slg. 1964, 1253 [1269 ff.], und vom 9. März 1987 – Rs. 106/77 [Simmenthal] –, EuGHE 1978, 629, Rn. 13 ff.) besteht aus Art. 10 EGV und dem als Strukturprinzip des Gemeinschaftsrechts entwickelten Grundsatz des „effet utile“ für nationale Gerichte die Pflicht, gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht von sich aus außer Anwendung zu lassen (vgl. zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch BVerfG, Urteile vom 09.06.1971, BVerfGE 31, 145-
2 BvR 225/69 ; 8. April 1987 – 2 BvR 687/85 –, BVerfGE 75, 223 [244 f.] m.w.N., und vom 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 u.a. [Nachtbackverbot] –, BVerfGE 85, 191 [204]).

Hinsichtlich der Nichtanwendung nationaler Gesetze wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ist zwar eine besonders sorgfältige Prüfung und auch Zurückhaltung geboten. Bei hinreichend manifesten Verstößen nationaler Rechtsnormen gegen das Gemeinschaftsrecht sind die nationalen Gerichte zu deren Nichtanwendung jedoch nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. (s. VG Berlin, Urteile VG 35 A 108.07 und 35 A 15.08, so auch VG Freiburg, Urteil vom 16. April 2008 – 1 K 2683/07 –, zitiert nach juris, Rn. 27; Bay. Verwaltungsgerichtshof vom 03.04.2009). Auf diese Bedeutung hat auch der BGH am 14.2.2008 hingewiesen. mehr


-Völkerrecht und Europarecht- Prof. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A./ Verena Lessmann (Universität Bremen)
EuGH, EGMR und BVerfG: Die dritte Gewalt im transnationalen Mehrebenensystem (Auszug) PDF download

II. Das Verhältnis des BVerfG zum EuGH:
Die europäischen Gemeinschaften stellen supranationale Organisationen dar, wobei der Begriff der Supranationalität dazu dienen soll, die Besonderheit der Europäischen Gemeinschaften zu kennzeichnen. 7
Diese Besonderheit ergibt sich daraus, dass die Mitgliedstaaten zur Gründung der Gemeinschaft bestimmte Hoheitsrechte an diese übertragen haben. 8
So wird der Europäischen Union in Gestalt der Europäischen Gemeinschaft (EG) durch Art. 249 EGV die Befugnis zum Erlass von Rechtsnormen zuerkannt, die in den innerstaatlichen Rechtsraum zum Teil unmittelbar hineinwirken.9

Durch die Kompetenzübertragung und die Einräumung einer unmittelbar in den nationalen Rechtsraum einwirkendenden Rechtsetzungsbefugnis, wurde mit der EG eine neue öffentliche Gewalt geschaffen, die gegenüber der Staatsgewalt der einzelnen Mitgliedstaaten selbständig und unabhängig ist. 10
Das Gemeinschaftsrecht ist daher unbestritten als eine eigenständige Rechtsordnung zu betrachten 11, die monistisch in ein Rangverhältnis zum nationalen Recht treten kann.

Ausgangspunkt für die Bestimmung des Verhältnisses von BVerfG und EuGH ist vor diesem Hintergrund das Verhältnis des mitgliedstaatlichen Rechts zum Gemeinschaftsrecht.

Der EuGH hat 1964 in seiner Costa/ ENEL- Entscheidung den Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor jeder innerstaatlichen Rechtsnorm festgestellt.12
Als Argumente führte er die Eigenständigkeit des Gemeinschaftsrechts und die Notwendigkeit der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten an. Neuerdings macht der EuGH noch deutlicher, dass er eine verstärkte Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts anstrebt.13
So hat er dem Grunde nach anerkannt, dass europarechtswidrige Mitgliedstaatsurteile einen Haftungsanspruch auslösen.

Das BVerfG differenziert dagegen bei der Beurteilung der Vorrangfrage danach, ob eine Kollision des Gemeinschaftsrechts mit einfachem Gesetzesrecht oder mit Verfassungsrecht vorliegt. Dabei hat es den Anwendungsvorrang gegenüber einfachem Gesetzesrecht uneingeschränkt anerkannt, da nur so die dem Bürger von der Gemeinschaft eingeräumten subjektiven Rechte verwirklicht werden können. 14
Infolge dessen kommt den deutschen Fachgerichten eine Nichtanwendungskompetenz gegenüber gemeinschaftsrechtswidrigen nationalen Gesetzen zu. 15
Bezüglich der Kollision von unmittelbar anwendbarem sekundärem Gemeinschaftsrecht – also „europäischem Verwaltungsrecht“ – mit nationalem Verfassungsrecht unterliege der Anwendungsvorrang jedoch grundgesetzlichen Grenzen.

Seit dem Solange-II-Beschluss aus dem Jahr 1986 ist das BVerfG der Auffassung, dass das Gemeinschaftsrecht nun einen dem GG vergleichbaren Grundrechtsschutz jedenfalls generell vorsieht. 18
Materiellrechtliche Folge dieser Rechtsprechung ist, dass Gemeinschaftsrechtsakte nicht mehr anhand der Grundrechte des GG überprüft, sondern an den Gemeinschaftsgrundrechten gemessen werden sollen. Es ist daher festzustellen, dass dem Gemeinschaftsrecht – dessen einheitliche Anwendung damit gewahrt wird – ein Anwendungsvorrang vor jeder innerstaatlichen Norm zukommt, sofern die Integrationsgrenzen des GG nicht überschritten werden.
Aus der Anerkennung des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts folgen neben der materiellrechtlichen Auswirkung auch nicht unerhebliche verfassungsprozessuale Konsequenzen, die das BVerfG mit dem Begriff Kooperationsverhältnis umschreibt.19
Dabei habe der EuGH den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der EG zu garantieren, so dass das BVerfG sich auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards beschränken könne.20
Der EuGH sei daher auch für den Grundrechtsschutz der Bürger der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Akten der deutschen öffentlichen Gewalt, die aufgrund von Sekundärrecht ergehen, zuständig.21

7 Vgl. Herdegen, Europarecht, § 6 Rn. 8 ff.; Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, § 3 Rn. 115 ff.
8 Dies ist in Deutschland zunächst über die Integrationsklausel des Art. 24 I GG möglich gewesen und seit 1992
bezüglich der Europäischen Union ausdrücklich in Art. 23 GG vorgesehen.
9 So gilt gemäß Art. 249 EGV die Verordnung unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, ohne dass es einer nationalen
Umsetzungsmaßnahme bedarf.
10 BVerfGE 22, 293 (296); 31, 145 (174); EuGHE 1964, 1259 (1269); Herdegen, Europarecht, § 11 Rn. 19.
11 BVerfGE 31, 145 (173 f.).
12 EuGHE 1964, 1259 (1269 f.); diese Rechtsprechung hat der EuGH in seiner Judikatur zur internationalen
Handelsgesellschaft bestätigt, EuGHE 1970, 1125 (1135).
13 Ausführlich zur diesbezüglichen neueren Rechtsprechung Haltern, VerwArch 2005, 311 ff.
14 BVerfGE 31, 145 (173 f.).
15 BVerfGE 31,145 (174 f.).
16 BVerfGE 37, 271 (279); 73, 339 (375 f.).
17 BVerfGE 73, 339 (376).
18 BVerfGE 73, 339 (378 f.); 89, 155 (174 f.); 102, 147 (162 f.), zum Zeitpunkt der Solange-I-Entscheidung
(BVerfGE 37, 271 f.) bestand aus der Sicht des BVerfG auf Gemeinschaftsebene noch kein ausreichender
Grundrechtsschutz, insbesondere hat der EuGH erst 1969 intensiv damit begonnen, die Gemeinschaftsgrund-
rechte als ungeschriebene Rechtsprinzipien zu entwickeln; vgl. Oppermann, Europarecht, 2005, § 6 Rn. 33.
19 BVerfGE 89, 155 (175).
20 BVerfGE 89, 155 (175).
21 BVerfGE 89, 155 (175); 102, 147 (163).



Das Europarecht ist überstaatliches Recht in Europa.
Aufgrund der Bedeutung des ungeschriebenen Primärrechts ist die Rolle des Europäischen Gerichtshofs für die Entwicklung des Europarechts kaum zu überschätzen. Formell gesehen ist er in oberster Instanz zuständig für die Überprüfung von Rechtsakten des Sekundärrechts am Primärrecht und die Überprüfung des Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten am Europarecht (Primär- und Sekundärrecht). Verfahren können insbesondere von den Organen der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten, den Gerichten der Mitgliedstaaten oder Einzelpersonen eingeleitet werden.
Der Europäische Gerichtshof hat sich bei der Erfüllung dieser Aufgabe in vielen Fällen aber nicht auf eine Auslegung des Primärrechts beschränkt, sondern im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einen wesentlichen Beitrag zur Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaften geleistet. Als Beispiele mögen die Rechtsprechung zur gemeinschaftlichen Rechtsordnung als Rechtsordnung sui generis (Van Gend & Loos), zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht (Costa/ENEL) und zur Entwicklung gemeinschaftlicher Grundrechte (Stauder) gelten. Diese und andere Fälle üben maßgeblichen Einfluss auf die Eigenart des Europarechts aus. Diese große Bedeutung der Rechtsprechung rechtfertigt es, zumindest in gewissen Bereichen von einer Case-law-Rechtsordnung zu sprechen.
Einige in der Rechtsprechung entwickelte Grundsätze haben bei späteren Vertragsänderungen Eingang in das kodifizierte Primärrecht gefunden. So wurden etwa die vom Europarecht anerkannten Grundrechte inzwischen in der EU-Grundrechtecharta verschriftlicht und mit dem Vertrag von Lissabon über Art. 6 Abs. 2 EU-Vertrag in das Primärrecht aufgenommen.

Im Hinblick auf die dynamische Entwicklung der EG und der neu geschaffenen Europäischen Union, sowie der Rechtsfortbildung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH), war eine dem Artikel 79 Grundgesetz Rechnung tragende Ermächtigungsgrundlage geboten. So steht das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBL. I 2086) im engem Zusammenhang mit der Ratifikation des Vertrages über die Europäische Union (auch als Vertrag von Maastricht bezeichnet), welcher am 1. November 1993 in Kraft getreten ist.

Seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon wird das Recht der Europäischen Union als Unionsrecht bezeichnet[1][Anm 2] Das Recht der mit der EU institutionell verbundenen, rechtlich aber weiterhin eigenständigen Europäischen Atomgemeinschaft steht jedoch gleichberechtigt neben dem Unionsrecht.
Der Europäische Gerichtshof spricht wegen der funktionellen Ähnlichkeit des Primärrechts mit nationalen Verfassungen auch von der „Verfassungsurkunde der Gemeinschaft“.

Rechtsverbindlichkeit der EU-Grundrechtecharta
Der Schutz der Grundrechte in der Europäischen Union ist durch Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union primärrechtlich verankert. Organe der Union und der Mitgliedstaaten haben in Anwendung des Unionsrechts die sich daraus ergebenden Grundrechte einzuhalten. Die vom ersten Europäischen Konvent erarbeitete Charta der Grundrechte der Europäischen Union kodifiziert erstmals die durch das Unionsrecht gewährten Grundrechte. Das Dokument ist mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon seit 1. Dezember 2009 rechtsverbindlich.

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) bzw. Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten enthält einen Katalog von Grundrechten und Menschenrechten (Konvention Nr. 005 des Europarats). Über ihre Umsetzung wacht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg.

Anwendungsvorrang
Einer höherrangigen Rechtsnorm kommt gegenüber einer niederrangigen Rechtsnorm Anwendungsvorrang zu, wenn sie statt ihr anzuwenden ist. Die Geltung der verdrängten Rechtsnorm bleibt für solche Fälle bestehen, in denen sie nicht mit der höherrangigen Rechtsnorm kollidiert.
Beispiele:

* Unionsrecht vor mitgliedstaatlichem (nationalem) Recht
* Verfassung vor Gesetz
* besondere Vorschrift vor allgemeiner Vorschrift (lex specialis derogat legi generali)

Der Anwendungsvorrang ist vom Geltungsvorrang abzugrenzen.

Zur Zuständigkeit des EuGH
Nach Art. 234 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) ist der Europäische Gerichtshof ausschließlich zuständig zur Auslegung europäischen Rechtes, nicht aber zur Auslegung des nationalen Rechtes der Mitgliedstaaten.
Der Europäische Gerichtshof entschied, dass eine Vorlage und damit das Verfahren nach Art. 177 EGV (seit dem Vertrag von Amsterdam Art. 234 EGV) zulässig war. Er ging hierbei davon aus, dass der Zweck dieser Regelung im EGV die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und dem Europäischen Gerichtshof sei.
Insbesondere sei es Zweck des Art. 234 (ex-177) EGV eine einheitliche Anwendung europarechtlicher Vorschriften sicherzustellen, unabhängig davon, aus welchen Gründen diese zur Anwendung kämen.

Die beiden wichtigsten Europäischen Gerichte sind der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und der Europäischen Menschenrechtsgerichsthof (EGMR). Die Rechtsprechung des EuGH legt besonderen Wert auf den "effet utile". Bei Unklarheiten bei der Auslegung von EU-Recht ist ausschlaggebend, bei welcher Auslegung das EU-Recht seine größtmögliche Wirksamkeit entfalten kann. Und Widersprüche zwischen EU-Recht und nationalem Recht müssen so aufgelöst werden, dass das EU-Recht weder in Wirkung noch in der Durchsetzung unzulässig beeinträchtigt wird. Auch der Rechtsprechung des EGMR kann man einen "effet utile" nicht absprechen, wenn es darum geht, den Menschenrechten Durchschlagskraft zu verleihen. Europäische Gerichte und ihre Rechtsprechung

Die Quellen des Gemeinschaftsrechts

Haftung der Mitgliedstaaten für fehlerhafte Umsetzung und Anwendung von Gemeinschaftsrecht
Factortame (1990): Vorläufiger Rechtsschutz zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts

Rechtsprechung zur Staatshaftung nach Unionsrecht
1. Leitentscheidung Francovich (1991): gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung der Mitgliedstaaten für die Nichtumsetzung von Richtlinien
2. Leitentscheidung Brasserie du Pêcheur/Factortame (1996): gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung für die Verletzung von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht
• Rechtfertigung der richterrechtl. Einführung der Staatshaftung aus der Aufgabe der Sicherung der "Wahrung des Rechts" nach Art. 164 (heute 220) EGV
• Bestimmung der Haftungsvoraussetzungen analog zu Art. 215 II (heute 288 II) EGV nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind
• insbes. Haftung nur bei hinreichend qualifiziertem Verstoß; dafür Haftung auch ohne Verschulden
• Haftung auch für legislatives Unrecht
• angemessener Umfang der Entschädigung (grds. auch entgangener Gewinn)
3. Weitere wichtige Entscheidungen
a) British Telecommunications (1996): Haftung auch für fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien
b) Dillenkofer (1996): zu den Haftungsvoraussetzungen des hinreichend qualifizierten Verstoßes und der Verleihung subj. Rechte (Verb. Rs. C-178/94 u.a., Dillenkofer, Slg. 1996, I-4845, Nr. 23 ff)
c) Hedley Lomas (1996): Haftung auch für gemeinschaftsrechtswidrige Verwaltungspraxis (Rs. C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Nr. 28)
d) Köbler (2003): Haftung auch für höchstrichterliche Entscheidungen
• typische Effet-utile-Rspr.
Quelle: DAS RECHT DER EU UND SEINE DURCHSETZUNG IN DEN MITGLIEDSTAATEN

Wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes
Zum Grundsatz der Staatshaftung
aus dem EuGH-Urteil v. 30.09.2003, Rs. C-224/01 - Köbler / Österreich
30. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass der Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, aus dem Wesen des EG-Vertrags folgt (Urteile vom 19. November 1991 in den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Randnr. 35, Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 31, vom 26. März 1996 in der Rechtssache C-392/93, British Telecommunications, Slg. 1996, I-1631, Randnr. 38, vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 24, vom 8. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-178/94, C-179/94 und C-188/94 bis C-190/94, Dillenkofer u. a., Slg. 1996, I-4845, Randnr. 20, vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-127/95, Norbrook Laboratories, Slg. 1998, I-1531, Randnr. 106, und Haim, Randnr. 26).

31. Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass dieser Grundsatz für jeden Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Gemeinschaftsrecht unabhängig davon gilt, welches mitgliedstaatliche Organ durch sein Handeln oder Unterlassen den Verstoß begangen hat (Urteile Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 32, vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 62, und Haim, Randnr. 27).

32. Im Völkerrecht wird der Staat, dessen Haftung wegen Verstoßes gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung ausgelöst wird, als Einheit betrachtet, ohne dass danach unterschieden würde, ob der schadensverursachende Verstoß der Legislative, der Judikative oder der Exekutive zuzurechnen ist. Dasselbe muss erst recht in der Gemeinschaftsrechtsordnung gelten, da alle staatlichen Instanzen einschließlich der Legislative bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die vom Gemeinschaftsrecht vorgeschriebenen Normen, die die Situation des Einzelnen unmittelbar regeln, zu beachten haben (Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 34).

33. In Anbetracht der entscheidenden Rolle, die die Judikative beim Schutz der dem Einzelnen aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen zustehenden Rechte spielt, wäre die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen beeinträchtigt und der Schutz der durch sie begründeten Rechte gemindert, wenn der Einzelne unter bestimmten Voraussetzungen dann keine Entschädigung erlangen könnte, wenn seine Rechte durch einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht verletzt werden, der einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts eines Mitgliedstaats zuzurechnen ist.

34. Hierbei ist von Belang, dass ein letztinstanzliches Gericht definitionsgemäß die letzte Instanz ist, vor der der Einzelne die ihm aufgrund des Gemeinschaftsrechts zustehenden Rechte geltend machen kann. Da eine durch eine rechtskräftige Entscheidung eines solchen Gerichts erfolgte Verletzung dieser Rechte regelmäßig nicht rückgängig gemacht werden kann, darf dem Einzelnen nicht die Befugnis genommen werden, den Staat haftbar zu machen, um auf diesem Wege den gerichtlichen Schutz seiner Rechte zu erlangen.

35. Im Übrigen ist ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, insbesondere deshalb nach Artikel 234 EG zur Anrufung des Gerichtshofes verpflichtet, um zu verhindern, dass dem Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehene Rechte verletzt werden.

36. Demnach verlangt der Schutz der Rechte des Einzelnen, der sich auf das Gemeinschaftsrecht beruft, zwingend, dass diesem das Recht zustehen muss, vor einem nationalen Gericht den Ersatz des Schadens zu verlangen, der auf die Verletzung seiner Rechte durch eine Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts zurückzuführen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Brasserie du pêcheur und Factortame, Randnr. 35).

37. Einige Regierungen, die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens Erklärungen eingereicht haben, haben geltend gemacht, dass der Grundsatz der Haftung des Staates für Schäden, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, nicht auf Entscheidungen eines nationalen letztinstanzlichen Gerichts Anwendung finden könne. Sie haben sich u. a. auf den Grundsatz der Rechtssicherheit, insbesondere die Rechtskraft, auf die richterliche Unabhängigkeit und Autorität sowie auf das Fehlen eines für die Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten über die Staatshaftung aufgrund solcher Entscheidungen zuständigen Gerichts berufen.

38. Hierzu ist festzustellen, dass die Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft nicht zu bestreiten ist (Urteil Eco Swiss, Randnr. 46). Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können.

39. Die Anerkennung des Grundsatzes der Staatshaftung für Entscheidungen letztinstanzlicher Gerichte stellt jedoch die Rechtskraft einer solchen Entscheidung nicht in Frage. Ein Verfahren zur Feststellung der Haftung des Staates hat nicht denselben Gegenstand und nicht zwangsläufig dieselben Parteien wie das Verfahren, das zur rechtskräftigen Entscheidung geführt hat. Obsiegt nämlich der Kläger mit einer Haftungsklage gegen den Staat, so erlangt er dessen Verurteilung zum Ersatz des entstandenen Schadens, aber nicht zwangsläufig die Aufhebung der Rechtskraft der Gerichtsentscheidung, die den Schaden verursacht hat. Jedenfalls verlangt der der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnende Grundsatz der Staatshaftung eine solche Entschädigung, nicht aber die Abänderung der schadensbegründenden Gerichtsentscheidung.


Fazit:
Die aus meiner Sicht unionswidrige Schaffung des GlüStV als Staatsmonopol der 16 Bundesländer in Form eines Kartells führt zur Verfassungswidrigkeit, da den Rechtsgrundsätzen und Normen des Gemeinschaftsrechts, insbesonders aus den bereits bekannten Urteilen des EuGH nicht nachgekommen wurde. Auf die Europarechtswidrigkeit hat EU-Kommission mehrfach hingewiesen.
Mit der Annahme eines Falles durch den EuGH wird das Bundesverfassungsgericht nicht mehr tätig da die Wahrung der Grundfreiheiten dann durch den EuGH erfolgt. Die am 8.9.2010 festgestellte Europarechtswidrigkeit beinhaltet gleichzeitig die Verfassungswidrigkeit.
(s. Solange-Beschluß 1986 s. o.)

Der Europäische Gerichtshof: Ein europäisches "Verfassungsgericht"
Fazit: Im Vergleich zu innerstaatlichen Gerichtsbarkeiten nimmt der EuGH Kompetenzen als Verfassungsgericht, Verwaltungsgericht, Zivilgericht, Dienst- Disziplinargericht wahr.

Grundlegendes zur Prüfung des Gemeinschaftsrechtes durch nationale Gerichte. Grundsätzlich genießt das primäre Gemeinschaftsrecht einen Anwendungsvorrang. (pdf-download)

Bereits mit dem Harlauer-Urteil des EuGH, bestätigt durch die Urteile vom 8.9.2010, unterliegt die Bewertung der Kohärenz und Konsistenz nunmehr der Definitionsmacht des EuGH und nicht mehr den unterschiedlichen Vorstellungen der bundesdeutschen Gerichte. Folglich sind bei der Auslegung die vom Gerichtshof entwickelten Maßstäbe der "vollständigen Kohärenz" zugrunde zu legen.

Die gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung nationaler Rechtsnormen ergibt sich aus der Pflicht zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts aus Art. 10 EGV und – wenn es um die Umsetzung von Richtlinien geht – zusätzlich aus Art. 249 III EGV.
Gebunden sind durch dieses Interpretationsgebot alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten, also auch Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden.

Die Mitgliedstaaten sind zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts verpflichtet (Art. 10 I EGV) und müssen alle Maßnahmen unterlassen, welche die Verwirklichung der Ziele des EGV gefährden könnten (Art. 10 II EGV)

Dienstleistungsfreiheit
Einige Aufsichtsbehörden sind noch immer der Ansicht, dass die europäischen Grundfreiheiten weiter eingeschränkt werden können und widersprechen damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. (s. Rechtsfolgen, Prof. Dr. Koenig in timelaw 4/10; I,2 )
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften reicht es für die Einschlägigkeit der europäischen Grundfreiheit der Dienstleistungs-freiheit aus, dass die Dienstleistung selbst die Grenze überschreitet, ohne dass Leistungserbringer oder -empfänger die Grenze überschreiten; hierbei handelt es sich um eine sogenannte Korrespondenzdienstleistung. Dies wurde unter anderem für Fernseh- und Hörfunksendungen angenommen (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 1974 – Rs. 155/73 - Sacchi –, EuGHE 1974, 409, Rdn. 7 f.). In einem weiteren Urteil vom 10. Mai 1995 (– C-384/93 –Alpine Investments –, EuGHE 1995, I-1141 Rdn. 22) führte der EuGH aus: „Folglich ist …. zu antworten, dass Art. 59 EWG-Vertrag (nun Art. 49 EG-Vertrag) dahin auszulegen ist, dass er Dienstleistungen erfasst, die ein Leistungserbringer potentiellen Leistungsempfängern, die in anderen Mitgliedsstaaten ansässig sind, telefonisch anbietet und die er ohne Ortswechsel von einem Mitgliedsstaat aus erbringt, in dem er ansässig ist." In dem genannten Fall ging es um ein Unternehmen, das mit potentiellen Kapitalanlegern ohne vorherige Anmeldung Kontakt aufnahm, um diese zum Abschluss von Warenterminverträgen zu bewegen. In der rechtlichen Wertung ist kein Unterschied zwischen einer telefonischen Kontaktaufnahme oder einer solchen Möglichkeit mittels Internet zu erkennen, solange die Möglichkeit besteht, von einem anderen Mitgliedsstaat hierauf zuzugreifen. Diesem Ansatz entspricht es, dass der EuGH festgestellt hat, dass Art. 49 EG-Vertrag keine Anwendung findet, wenn die wesentlichen Elemente der fraglichen Betätigung sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedsstaates hinausweisen (EuGH, Urteil vom 18. März 1980 – Rs. 52/79 - Debauve –, EuGHE 1980, 833 Rdn. 9).
Ein grenzüberschreitender Bezug ist demgegenüber grundsätzlich immer dann gegeben, wenn die betreffende wirtschaftliche Tätigkeit die innergemeinschaftlichen Grenzen überschreitet, überschritten hat oder überschreiten soll (Pache, in: Schulze/Zuleeg, Europarecht, § 10 Rdn. 13 m.w.N.).
Hierfür hat der Europäische Gerichtshof bereits nicht selten Spuren eines grenz-überschreitenden Elements ausreichen lassen (Pache, a.a.O., § 10 Rdn. 15 m.w.N.). Im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit genügt etwa, dass eine nationale Maßnahme in einem hypothetischen Fall Auswirkungen auf den inner-gemein-schaftlichen Handel haben könnte (vgl. Pache, a.a.O., § 10 Rdn. 15 Fn. 39). Für die Dienstleistungs-freiheit mag dies vom Gerichtshof enger beurteilt werden, aber auch hier genügt das Vorhandensein zumindest irgendeines Merkmals einer wirtschaftlich relevanten Betätigung über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinaus, wobei so gut wie jede handelsrechtliche Regelung der Mitgliedstaaten das Potential hat, den Marktzugang zu beschränken und damit den Anwendungsbereich der europa-rechtlichen Grund-freiheiten zu eröffnen (vgl. Pache, a.a.O., § 10 Rdn. 15; s.a. Lach, Umgekehrte Diskriminierung im Gemeinschaftsrecht, 2008, S. 131 ff., 399 f. [Thesen 22-26]).

Wichtigstes Kriterium für die Feststellung eines grenzüberschreitenden Sachverhalts ist daneben die Ansässigkeit der an der Dienstleistung Beteiligten in verschiedenen Mitgliedstaaten (Kluth, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, 3. Auflage 2007, Art. 49, 50 EGV Rdn. 8). So hat der Europäische Gerichtshof etwa einen über den nationalen Rahmen hinausweisenden Aspekt schon darin erkannt, dass ein Sportler an einem Wettkampf in einem anderen Mitgliedstaat teilnimmt / teilnehmen will als demjenigen, in dem er wohnt (EuGH, Urteil vom 11. April 2000, C-51/96 u.a. - Deliège –, EuGHE 2000, I-2549 Rdn. 58). Diese Maßstäbe des Europäischen Gerichtshofes zugrundegelegt, ist auch für den vorliegenden Sachverhalt der Anwendungsbereich des Art. 49 EGV eröffnet. Bereits am 7. Juli 2008 wies das VG Berlin (Az. VG 35 A 108.07) in der vielbeachteten Urteilsbegründung auf Seite 75 ff. auf die Dienstleistungsfreiheit hin. mehr zum VG Berlin

Durch den Gleichheitsgrundsatz sind inländische Anbieter den Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten gleichzustellen. Zum Europarecht betonte der Senat am 8.11.2005 in Karlsruhe, da sich die Berufsfreiheit länderübergreifend auswirke, seien die europarechtlichen Erwägungen bei der zu fällenden Entscheidung mit zu berücksichtigen. Eine andere Beurteilung würde über den "Umweg" des Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz) gegen das sogenannte Willkürgebot verstoßen. Quelle Gleiches ergibt sich aus den Gemeinschaftsgrundrechten (vgl. Kapitel III Gleichheit, Art. 20ff Charta der Grundrechte) (vgl. VG Stuttgart Urteil vom 14.02.2011)
Gebot der Inländergleichbehandlung (vgl. Kluth in: Calließ/Ruffert, Art. 50 Rn 36) Die Regelungen müssen unterschiedslos anwendbar sein, d. h. diese gelten in gleicher Weise und mit den gleichen Kriterien für in Deutschland ansässige Wirtschaftsteilnehmer wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten (EuGH-Gambelli Rn. 70; s.u.a. Art. 9 EUV Gleichheit, Unionsbürgerschaft)
Die Reichweite der Grundrechte wird aus der Charta nicht unmittelbar ersichtlich. Diese geht bezüglich der Gewährung von Schutzrechten teilweise über das deutsche Grundgesetz hinaus. Ihre Grenzen ergeben sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, auf die verwiesen wird. Quelle
Schutz der Grundrechte in der EU nach dem Vertrag von Lissabon. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Analysen 8/08 vom 20. Februar 2008. mehr

Da für Deutsche die Möglichkeit besteht an der in Österreich angebotenen öffentlichen Hausverlosung teilzunehmen, ist unzweifelhaft eine Grenzüberschreitung gegeben. Die Bundesdeutschen Behörden bestätigen dies durch ihre Verfügung. Diese Grundrechtseinschränkung der Dienstleistungsfreiheit ist nach den Feststellungen des EuGH nicht erst seit dem 8.9.2010 unzulässig. (vgl. EuGH, Urteil vom 29.04.1999 Az. C-224/97 – Ciola, Urteil vom 24. März 1994 Az. C-275/92 - Schindler; EuGHE 1994, I-1039, Rdn. 39 ff. - Ergebnisse: EuGH-Rechtsprechung zur Dienstleistungsfreiheit)

Das Bundesverwaltungsgericht (8 C 14.09 und 8 C 15.09) bestätigte mit seinem Beschluss vom 24.11.2010, in Anlehnung an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (Sportwettenurteil) und des EuGH, dass zur Wirksamkeit des GlüStV die Gesamtkohärenz, also eine widerspruchsfreie Gesamtregelung für den gesamten Glücksspielbereich gegeben sein muß.

Es bedurfte einer systematischen und kohärenten Glücksspielpolitik, wie der EuGH sie in der Rechtssache Gambelli eingefordert hat - also eines "Vollmaßes" an Konsistenz bereits für die alte und natürlich auch für die neue/zukünftige Rechtslage. Die Gesamtkohärenz muß zu jeder Zeit gewahrt werden. Eine Abweichung von diesem Rechtsgrundsatz führt zur Willkür und ist unionsrechtswidrig !

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Die gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung

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update: 11.08.11