Dass in Bayern die Uhren manchmal etwas anders gehen ist ja hinreichend bekannt.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteile vom 15. Juli 1964 – Rs. 6/64 [Costa/E.N.E.L.], Slg. 1964, 1253 [1269 ff.], und vom 9. März 1987 – Rs. 106/77 [Simmenthal] –, EuGHE 1978, 629, Rn. 13 ff.) besteht aus Art. 10 EGV und dem als Struk-turprinzip des Gemeinschaftsrechts entwickelten Grundsatz des „effet utile“ für nationale Gerichte die Pflicht, gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht von sich aus außer Anwendung zu lassen (vgl. zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch BVerfG, Urteile vom 8. April 1987 – 2 BvR 687/85 –, BVerfGE 75, 223 [244 f.] m.w.N., und vom 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 u.a. [Nachtbackverbot] –, BVerfGE 85, 191 [204]).
Hinsichtlich der Nichtanwendung nationaler Gesetze wegen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit ist zwar eine besonders sorgfältige Prüfung und auch Zurückhaltung geboten. Bei hinreichend manifesten Verstößen nationaler Rechtsnormen gegen das Gemeinschaftsrecht sind die nationalen Gerichte zu deren Nichtanwendung jedoch nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. (s. VG Berlin, Urteile VG 35 A 108.07 und 35 A 15.08, so auch VG Freiburg, Urteil vom 16. April 2008 – 1 K 2683/07 –, zitiert nach juris, Rn. 27; Bay. Verwaltungsgerichtshof vom 03.04.2009). Auf diese Bedeutung hat auch der BGH am 14.2.2008 hingewiesen.
Wie wenig die bayerischen Behörden und das VG München von dem Anwendungsvorrang hält, wird klar wenn man sich die Begründung des Ablehnungsbeschlusses vom 9.2.2009 und die Einlassung der Behörde genauer ansieht.
Weder die Behörde noch das VG München ist dem Anwendungsvorrag des Gemeinschaftsrechts trotz Hinweises meiner Anwältin gefolgt. (s. S. 15ff der Klage vom 28.1.2009)
So schreibt die Behörde an das VG München auf Seite 2 unter III.:
„Europarecht steht der Anwendung des Glückspielstaatsvertrages nicht entgegen.
1. Europarecht ist in der vorliegenden Sache schon bereits thematisch überhaupt nicht einschlägig. Denn ein grenzüberschreitender Sachverhalt, der für die Anwendbarkeit von Europarecht unabdingbare Voraussetzung ist, ist hier nicht einmal ansatzweise erkennbar.“
auf Seite 3 steht ferner:
„2. Der Glückspielstaatsvertrag ist mit Europarecht vereinbar.
An der Vereinbarkeit des Glückspielstaatsvertrages mit Europarecht kann ......kein ernsthafter Zweifel mehr bestehen.
Das der Glückspielstaatsvertrag mit Europarecht vereinbar ist, entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs .....“
An der Vereinbarkeit des Glückspielstaatsvertrages mit Europarecht kann ......kein ernsthafter Zweifel mehr bestehen.
Das der Glückspielstaatsvertrag mit Europarecht vereinbar ist, entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs .....“
Diese Behauptungen wurden vom VG München übernommenen und finden sich auf Seite 8:
„Europarecht sei im vorliegenden Fall bereits thematisch nicht einschlägig, da kein grenzüberschreitender Sachverhalt erkennbar sei: Der Antragsteller betreibe das Glücksspiel von Deutschland aus, ihm werde lediglich das Veranstalten des Glücksspiels in Bayern, d.h. gegenüber Spielteilnehmern, die sich zum Zeitpunkt der Spielteilnahme in Bayern aufhalten, untersagt, die Erfüllung dieser Verpflichtung sei auch technisch problemlos möglich. Abgesehen davon sei die Vereinbarkeit des Glückspielstaatsvertrags mit Europarecht in einer Vielzahl verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen, auch des BayVGH, bestätigt worden, hieran könne seit der Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland an die Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 20. Mai 2008 und den Schlussanträgen des Generalanwalts beim EuGH vom 14. Oktober 2008 in der Rechtssache C-42/07 kein ernsthafter Zweifel mehr bestehen.“
und auf Seite 14 des Beschlusses vom 9.2.2009:
„Da dem Antragsteller lediglich die Veranstaltung und Vermittlung des angebotenen Spiels bezogen auf das Gebiet des Freistaats Bayern untersagt wird, ist ein Europarechtsbezug, der zur Unanwendbarkeit des § 4 Abs. 4 GlüStV im konkreten Fall wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht führen könnte nicht gegeben.“
Dass dies so nicht richtig sein kann, ergibt sich daraus, dass die div. deutschen Vorlageverfahren zum GlüStV noch gar nicht in einem Hauptsacheverfahren durch den EuGH behandelt wurden. Bereits am 31.01.2008 war beim Deutschen Lottoverband zu lesen:
"Der Glückspielstaatsvertrag verstößt auf ganzer Linie gegen den EG-Vertrag.
Nur wenige Wochen nach Inkrafttreten hat die EU-Kommission in Brüssel heute den neuen Glücksspielstaatsvertrag in zentralen Punkten als EG-rechtswidrig bezeichnet und das Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Bereits mehrfach, auch während des Gesetzgebungsverfahrens, hatte die EU-Kommission Deutschland mit deutlichen Worten ermahnt. "Die Ministerpräsidenten haben über Monate nicht reagiert. Jetzt wird der Steuerzahler bald die Quittung dafür bekommen", so Faber. Die EU-Kommission lässt keinen Zweifel daran, dass dies die letzte Warnung der Kommission vor der Klageeinreichung in Luxemburg ist". Nun ist es soweit - es finden die ersten Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof statt.
Weitere Veröffentlichungen:
Geplanter Glücksspielstaatsvertrag europarechts- und verfassungswidrig
vom 23.10.2007
Der Glücksspielstaatsvertrag zwischen den 16 deutschen Ländern soll bis zum Jahresende von allen Länderparlamenten ratifiziert werden, damit er fristgerecht nach Ende der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Sportwetten-Urteil vom 28. März 2006 gesetzten Übergangsfrist, den 31. Dezember 2007, in Kraft treten kann. Dieser Zeitraum dürfte allerdings angesichts erheblicher rechtlicher Bedenken und formeller Fehler (nicht erfolgte Notizierung der Ausführungsgesetze an die Europäische Kommission) nicht zu halten sein.
Die Europäische Kommission, die als "Hüterin der Verträge" die Einhaltung des Europarechts zu überwachen hat, hat allerdings in mehreren Schreiben grundlegende Zweifel an zentralen Regelungen geäußert und insbesondere einen Verstoß gegen die Niederlassungs-, Dienstleistungs- und Zahlungsverkehrsfreiheit festgestellt. Die Europäische Kommission kündigte bereits jetzt an, bei Verabschiedung des Vertrags umgehend ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einzuleiten.
EU-Kommissar McCreevy kritisiert deutsches Wettmonopol
Brüssel verfolgt Verletzungsverfahren weiterIn einem Brief an den EVP-Abgeordneten des EU-Parlaments Werner Lange bezweifelt EU-Wettbewerbskommissar Charles McCreevy höchstpersönlich, dass der Glücksspielstaatsvertrag europarechtlich haltbar ist: Die Kommission halte daran fest, "dass die zentralen Beschränkungen der neuen deutschen Rechtsvorschriften möglicherweise unverhältnismäßig und ungerechtfertigt" seien, heißt es in dem Brief, der der WELT vorliegt. Dies gelte insbesondere für das strafrechtliche Verbot von Glücksspielen im Internet.
Glücksspielstaatsvertrag gescheitert? - Europäische Kommission hält Entwurf für europarechtswidrig vom 30.05.2007
Nachdem die Europäische Kommission bereits im März 2007 die vorgesehenen Internet-Regelungen des in Deutschland geplanten Glücksspielstaatsvertrags für europarechtswidrig erklärt hatte (Stellungnahme vom 22. März 2007), kritisierte sie nunmehr auch weitere Vorschriften.
Beeinträchtigung der EG-Wettbewerbsregeln
Die Kommission sieht abschließend auch eine Vertragsverletzung darin, dass durch den geplanten Staatvertrag die EG-Wettbewerbsregeln beeinträchtigt würden. Die Lottogesellschaften seien öffentliche Unternehmen im Sinne von Art. 86 Abs. 1 EG-Vertrag, die den Charakter eines Finanzmonopols hätten (Art. 86 Abs. 2 EG). Vor diesem Hintergrund dürfe Deutschland keine Vorschriften aufrechterhalten oder erlassen, die den Bestimmungen des EG-Vertrags und insbesondere den Wettbewerbsregeln zuwiderliefen. Auch werde die regionale Aufteilung des Marktes fortgeschrieben, die das deutsche Bundeskartellamt in seiner Entscheidung vom 23. August 2006 verurteilt habe.
Schreiben der Kommission vom 04.04.2006 über die Zulässigkeit des Strafrechts, IP/06/436 v. 4. April 2006 und vom 31. Januar 2008 IP/08/119; EuGH-Vorlage - VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 30.01.2008, Az.: 12 A 102/06 Vertragsverletzungsverfahren - freier Dienstleistungsverkehr: Übersicht
Die Schlußanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 26. Januar 2010 bestätigen die bisherige Richtung und lässen die Frage aufkommen, wer denn gegen welche Gesetze und Vorschriften verstößt, wenn fortlaufend höherrangiges Recht wissentlich nicht beachtet wird ?
Der Staatsvertrag beschränkt die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit), Art. 14 GG (Eigentum), Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit), Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG (Freiheit der Werbung), Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG (Medienfreiheiten) und aus Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitssatz).
Das Monopol der Bundesländer für Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten und anderen Glücksspielen am Maßstab des Grundgesetzes und des EG-Vertrages Rechtsgutachten zum Entwurf vom 14. Dezember 2006 eines Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland
Prof. Dr. Rupert Scholz
Prof. Dr. Clemens Weidemann
Berlin/Stuttgart, Februar 2007
Zusammengestellt und bearbeitet von
Volker Stiny
Deutsches Sportwettenmonopol vor dem
Europäischen Gerichtshof:
Europäischen Gerichtshof:
SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
YVES BOT
vom 26. Januar 20101(1)
Rechtssache C‑409/06
Winner Wetten GmbH
gegen
Bürgermeisterin der Stadt Bergheim
(Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Köln [Deutschland])
„Glücksspiele
– Sportwetten – Nicht gerechtfertigte Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit – Konflikt zwischen einer innerstaatlichen
Rechtsvorschrift und einer unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsnorm –
Aufgabe des nationalen Gerichts – Verpflichtung, die Anwendung des
Gemeinschaftsrechts sicherzustellen und die innerstaatliche
Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen – Ausnahme“
1. Kann
eine Regelung eines Mitgliedstaats, die für Sportwetten ein
Ausschließlichkeitsrecht vorsieht, um die Verbraucher vor der Gefahr der
Spielsucht zu schützen, es aber nicht ermöglicht, dieses Ziel zu
erreichen, so dass sie gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt, für
eine Übergangszeit aufrechterhalten werden und gegebenenfalls unter
welchen Voraussetzungen und wie lange?
2. Mit
diesen Fragen möchte das Verwaltungsgericht Köln (Deutschland) vom
Gerichtshof wissen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen
von der im Urteil Simmenthal(2)
aufgestellten und in ständiger Rechtsprechung bestätigten Verpflichtung
abgewichen werden kann, wonach der nationale Richter, wenn er sich
einem Konflikt zwischen einer Bestimmung des internen Rechts und einer
unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsnorm gegenübersieht, nach dem
Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die Anwendung der
Gemeinschaftsnorm sicherstellen und sein internes Recht unangewendet
lassen muss.
3. In
den vorliegenden Schlussanträgen werde ich dem Gerichtshof zunächst
vorschlagen, dem vorlegenden Gericht einige Hinweise zu geben, die es
diesem ermöglichen sollen, zu überprüfen, ob seine Prämisse zutrifft,
wonach die fragliche Regelung gegen die Dienstleistungsfreiheit
verstößt.
4. Unter
der Annahme, dass diese Prämisse zutreffend ist, werde ich sodann
darlegen, welche Hindernisse der Anwendung und Aufrechterhaltung einer
gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht verstoßenden
innerstaatlichen Rechtsvorschrift – sei es auch nur für eine
Übergangszeit – grundsätzlich entgegenstehen. Schließlich werde ich
ausführen, aus welchen Gründen von der aus dem Urteil Simmenthal
folgenden Verpflichtung bezüglich der hier in Rede stehenden Regelung
selbst dann nicht abgewichen werden kann, wenn man annimmt, dass eine
solche Abweichung grundsätzlich möglich ist.
I – Rechtlicher Rahmen
5. Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) lautet:
„Alle
Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte
frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund
eines Gesetzes geregelt werden.“
6. § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) sieht vor:
„(1) Die
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die
Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und
Behörden.
(2) … die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts [hat] Gesetzeskraft … wenn das
Bundesverfassungsgericht ein Gesetz als mit dem Grundgesetz vereinbar
oder unvereinbar oder für nichtig erklärt … die Entscheidungsformel
[ist] … im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen …“
7. § 284 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) lautet:
„Wer ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel
veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“
8. Durch
den am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Staatsvertrag zum Lotteriewesen
in Deutschland haben die Länder einen bundesweit einheitlichen Rahmen
für die Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen geschaffen. Aus
§ 5 dieses Vertrags geht hervor, dass die Länder ein ausreichendes
Glücksspielangebot sicherstellen müssen und dass sie diese Aufgabe durch
eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder durch
privatrechtliche Gesellschaften mit einer maßgeblichen Beteiligung der
öffentlichen Hand erfüllen können. Ferner ist nach dieser Vorschrift das
Tätigwerden der Länder auf ihr eigenes Gebiet beschränkt, sofern nicht
eine Zustimmung eines anderen Landes vorliegt.
9. § 1 Abs. 1 des Sportwettengesetzes Nordrhein-Westfalen vom 3. Mai 1955 sieht vor:
„Die
Landesregierung kann Wettunternehmen für sportliche Wettkämpfe
zulassen. Träger des Wettunternehmens kann nur eine juristische Person
des öffentlichen Rechts oder eine juristische Person des privaten Rechts
sein, deren Anteile überwiegend juristischen Personen des öffentlichen
Rechts gehören.
…“
10. Nach
den Angaben der Europäischen Kommission in ihren schriftlichen
Erklärungen hatte zur Zeit der Ereignisse, die dem Ausgangsverfahren
zugrunde liegen, lediglich die Westdeutsche Lotterie GmbH & Co. OHG(3) eine Erlaubnis zur Veranstaltung von Sportwetten im Land Nordrhein-Westfalen(4) erhalten.
11. § 14 Abs. 1 Ordnungsbehördengesetz Nordrhein-Westfalen lautet:
„Die
Ordnungsbehörden können die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im
einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung … abzuwehren.“
II – Ausgangsrechtsstreit und Vorlageentscheidung
12. Die Winner Wetten GmbH(5)
verfügt seit dem 1. Juni 2005 über ein Geschäftslokal in Bergheim im
Land NRW, in dem sie vor allem Oddsetwetten (Buchmacherwetten) für das
Sportwettunternehmen Tipico Co. Ltd(6)
vermittelt. Tipico ist in Malta ansässig und registriert und verfügt
dort über eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten.
13. Mit
Ordnungsverfügung vom 28. Juni 2005 untersagte die Bürgermeisterin der
Stadt Bergheim der WW die weitere Durchführung von Sportwetten, deren
Veranstalter nicht über eine entsprechende Genehmigung des Landes NRW
verfügen, und wies sie darauf hin, dass eine Zuwiderhandlung die
Schließung ihrer Betriebsräume zur Folge haben könne.
14. WW
legte gegen diese Ordnungsverfügung einen Widerspruch ein, den der
Landrat des Rhein-Erft-Kreises am 22. September 2005 zurückwies.
Daraufhin erhob sie gegen die Ordnungsverfügung und die Entscheidung,
mit der ihr Widerspruch zurückgewiesen worden war, Klage beim
Verwaltungsgericht Köln.
15. Im
Rahmen dieser Klage machte WW geltend, das im Land NRW geltende
Sportwettenmonopol verstoße gegen die in Art. 49 EG gewährte
Dienstleistungsfreiheit, wie sie im Urteil vom 6. November 2003,
Gambelli u. a.(7),
ausgelegt worden sei. In diesem Urteil habe der Gerichtshof bestätigt,
dass sich ein im Inland ansässiger Wirtschaftsteilnehmer, der für einen
in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Wettanbieter Wetten vermittle,
auf die Dienstleistungsfreiheit berufen könne. Er habe auch
entschieden, dass ein staatliches Wettmonopol mit dem Gemeinschaftsrecht
nur vereinbar sei, wenn es die Wetttätigkeit kohärent und systematisch
begrenze. Dies sei jedoch in Deutschland wegen der Werbung, die von den
staatlichen Veranstaltern von Sportwetten betrieben werde, nicht der
Fall.
16. In
seinem Vorlagebeschluss führt das Verwaltungsgericht Köln erstens aus,
dass WW tatsächlich gegen die Regelung des Landes NRW verstoßen habe,
indem sie als Vermittlerin für Tipico Sportwetten angeboten habe, obwohl
beide Gesellschaften nicht über eine entsprechende Zulassung verfügt
hätten und eine solche auch nicht hätten erlangen können.
17. Zweitens
verstoße das Sportwettenmonopol des Landes NRW angesichts der vom
Gerichtshof im Urteil Gambelli u. a. dargestellten Voraussetzungen gegen
die Vorschriften des EG-Vertrags über die Niederlassungs- und
Dienstleistungsfreiheit.
18. Das
Verwaltungsgericht Köln verweist hierzu auf das Urteil vom 28. März
2006 und den Beschluss vom 2. August 2006, die das
Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Regelung des Freistaats Bayern
bzw. die des Landes NRW erlassen hat. In diesen Entscheidungen habe das
Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertreten, dass die
Sportwettenmonopole beider Länder einen unverhältnismäßigen Eingriff in
die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit darstellten, da
sie eine effektive Suchtbekämpfung nicht sicherstellten. Zudem habe das
Bundesverfassungsgericht ausgeführt, dass die Vorgaben und Ziele des
Grundgesetzes denen des Gemeinschaftsrechts entsprächen, wie sie im
Urteil Gambelli u. a. dargelegt worden seien.
19. Das
vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, dass das
Bundesverfassungsgericht die bestehende Rechtslage bis zum 31. Dezember
2007 unter der Voraussetzung aufrechterhalten habe, dass das
Sportwettenrecht während dieser Übergangszeit im Einklang mit dem
Grundgesetz neu geregelt werde. Das Bundesverfassungsgericht habe daher
vorgegeben, dass der staatliche Sportwettenveranstalter unverzüglich ein
Mindestmaß an Konsistenz zwischen der tatsächlichen Ausübung seines
Monopols und dem Ziel der Bekämpfung der Spielsucht herzustellen habe.
20. Das
vorlegende Gericht führt jedoch aus, dass die Neuregelung der
tatsächlichen Ausgestaltung des staatlichen Wettmonopols entsprechend
den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht ausreiche, um die
Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht auszuräumen. Die Beseitigung
dieses Verstoßes erfordere eine Änderung der rechtlichen Ausgestaltung
des Monopols. Darüber hinaus dürfe wegen des Anwendungsvorrangs
unmittelbar geltenden Gemeinschaftsrechts nationales Recht, das zu
diesem im Widerspruch stehe, nicht angewendet werden.
21. Um
keine „inakzeptable Gesetzeslücke“ entstehen zu lassen, habe das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen jedoch mit
Beschluss vom 28. Juni 2006 entschieden, die Regelung über Sportwetten
im Land NRW unter den gleichen zeitlichen und materiellen Maßgaben
aufrechtzuerhalten, wie sie das Bundesverfassungsgericht für das
bayerische Gesetz vorgesehen habe.
22. Angesichts
dieser Erwägungen hat das Verwaltungsgericht Köln daher mit Beschluss
vom 21. September 2006 entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem
Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind
Art. 43 EG und 49 EG dahin gehend auszulegen, dass nationale Regelungen
für ein staatliches Sportwettenmonopol, die unzulässige Beschränkungen
der in Art. 43 EG und 49 EG garantierten Niederlassungsfreiheit und
Dienstleistungsfreiheit enthalten, weil sie nicht entsprechend der
Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteil Gambelli u. a.) in kohärenter
und systematischer Weise zur Begrenzung der Wetttätigkeit beitragen,
trotz des grundsätzlichen Anwendungsvorrangs unmittelbar geltenden
Gemeinschaftsrechts ausnahmsweise für eine Übergangszeit weiterhin
angewandt werden dürfen?
2. Bei
Bejahung der Frage 1: Welche Voraussetzungen gelten für die Annahme
einer Ausnahme vom Anwendungsvorrang, und wie ist die Übergangszeit zu
bemessen?
III – Schriftwechsel mit dem vorlegenden Gericht
23. Das
vorlegende Gericht hat am 11. Mai 2007 unaufgefordert ein Schreiben an
den Gerichtshof gesandt, in dem es ausgeführt hat: „Für die Beurteilung
der dem Vorabentscheidungsgesuch zugrunde liegenden Anfechtungsklage
kommt es nach ständiger … Rechtsprechung auf die Sach- und Rechtslage im
Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides (hier: 22. September 2005) an.
Sollten später Änderungen der Sportwettenpraxis – etwa infolge der
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 und
02. August 2006 – eingetreten sein, wären diese für die Beurteilung des
Ausgangsrechtsstreits unerheblich.“
24. Im
Juli 2008 hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht mit einem Ersuchen
um Klarstellung nach Art. 104 § 5 seiner Verfahrensordnung
aufgefordert, mitzuteilen, ob die Vorlagefragen angesichts des Urteils
des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2007 weiterhin für die
Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich seien.
25. In
diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die in
seinem Urteil vom 28. März 2006 vorgesehenen Übergangsmaßnahmen, die es
erlaubten, die im Freistaat Bayern geltende Regelung über Sportwetten
mit bestimmten Maßgaben aufrechtzuerhalten, die Rechtswidrigkeit der vor
dem Urteil vom 28. März 2006 erlassenen Untersagungsverfügungen nicht
ausräumen könnten, so dass diese Verfügungen aufgehoben werden müssten.
26. In
seinem Schreiben vom 8. August 2008 hat das vorlegende Gericht
mitgeteilt, dass eine Beantwortung seiner Vorlagefragen für die
Entscheidung des Rechtsstreits weiterhin erforderlich sei. Das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen habe in einem
Beschluss vom 18. April 2007 die Auffassung vertreten, hinsichtlich der
Rechtmäßigkeit von Verfügungen, mit denen das Anbieten von Sportwetten
untersagt werde, sei auf den Zeitpunkt der zu erlassenden gerichtlichen
Entscheidung abzustellen. Da sich die seit dem 1. Januar 2008 geltende
Rechtslage stark von der vorherigen Rechtslage unterscheide, werde das
vorlegende Gericht für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der
Ordnungsverfügung vom 28. Juni 2005 und der Entscheidung vom
22. September 2005, um die es im Ausgangsverfahren geht, auf den
31. Dezember 2007 abstellen, d. h. auf einen Zeitpunkt, zu dem die alte
gemeinschaftsrechtswidrige Rechtslage weiterhin anzuwenden gewesen sei.
IV – Beurteilung
27. Vor
der Prüfung der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen erscheinen
folgende Anmerkungen erforderlich, die zum einen die Zulässigkeit dieser
Fragen, zum anderen die Prämisse, auf der sie beruhen, betreffen.
A – Zulässigkeit der Vorlagefragen
28. Die
Zulässigkeit der Fragen des vorlegenden Gerichts könnte angesichts des
Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2007 bezweifelt
werden. Sie ist auch von der norwegischen Regierung in Frage gestellt
worden, die vorträgt, die Fragen seien hypothetisch, da die
Unvereinbarkeit der Regelung des Landes NRW mit dem Gemeinschaftsrecht
nicht nachgewiesen sei.
29. Was
den ersten Punkt betrifft, durfte man sich die Frage stellen, ob die im
Ausgangsverfahren angefochtenen Rechtsakte angesichts des oben
genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts aufgehoben werden
mussten und der vorliegende Vorlagebeschluss damit gegenstandslos
geworden ist.
30. Es
ist jedoch festzustellen, dass das vorlegende Gericht in seiner Antwort
vom 8. August 2008 mitgeteilt hat, dass seine Vorlagefragen für die
Entscheidung des Rechtsstreits weiterhin relevant seien. Um über die
Klage des Ausgangsverfahrens zu entscheiden, müsse es auf den
31. Dezember 2007 abstellen, d. h. auf einen Zeitpunkt, zu dem die
Regelung, die WW das Anbieten von Sportwetten für Tipico untersage,
gemäß den vom Bundesverfassungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht
für das Land Nordrhein-Westfalen angeordneten Übergangsmaßnahmen
weiterhin anwendbar gewesen sei.
31. Die
Frage, auf welchen Zeitpunkt das Verwaltungsgericht Köln für die
Entscheidung über die bei ihm anhängige Anfechtungsklage abstellen muss,
und die Bestimmung der Konsequenzen, die hinsichtlich der Verfügungen,
die Gegenstand der Klage des Ausgangsverfahrens sind, aus dem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 22. November 2007 zu ziehen sind, hängen
von den materiellen und prozessualen Regeln des innerstaatlichen Rechts
ab und fallen daher unter die Beurteilungsbefugnis des vorlegenden
Gerichts.
32. Entsprechend
der Aufgabenverteilung zwischen dem nationalen Gericht und dem
Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens und dem Geist der
Zusammenarbeit, der dieses Verfahren bestimmt, ist zur Kenntnis zu
nehmen, dass das Verwaltungsgericht Köln der Ansicht ist, es habe
weiterhin über den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens zu entscheiden,
und dass es seine Fragen aufrechterhält.
33. Da
diese Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen, muss der
Gerichtshof meines Erachtens über sie entscheiden, da nach ständiger
Rechtsprechung in einem Verfahren nach Art. 234 EG nur das nationale
Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen
Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick
auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer
Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die
Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen
hat.(8)
34. Was
den zweiten Punkt angeht, der den Einwand der norwegischen Regierung
betrifft, ist es richtig, dass sich die Fragen, die das vorlegende
Gericht dem Gerichtshof vorgelegt hat, wie die Kommission und die
deutsche Regierung hervorgehoben haben, nur stellen, wenn die Regelung
des Landes NRW über Sportwetten tatsächlich gegen das Gemeinschaftsrecht
verstößt. Mit der Kommission und der deutschen Regierung bin ich zudem
der Auffassung, dass angesichts der Erläuterungen des vorlegenden
Gerichts angezweifelt werden kann, ob es diese Frage zutreffend
beurteilt hat.
35. Dieser
Umstand rechtfertigt es meines Erachtens, dass der Gerichtshof dem
vorlegenden Gericht entsprechend dem Geist der Zusammenarbeit, der das
Vorabentscheidungsverfahren bestimmt, und um ihm sämtliche Hinweise zur
Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die ihm für die Entscheidung
des Rechtsstreits nützlich sein können, Anhaltspunkte gibt, die es ihm
ermöglichen, die Richtigkeit seiner Prämisse zu überprüfen.
36. Zudem
darf der Umstand, dass das vorlegende Gericht seine Prämisse angesichts
dieser Hinweise zurücknehmen könnte, den Gerichtshof nicht dazu
veranlassen, die Fragen des vorlegenden Gerichts für unzulässig zu
erklären und ihre Beantwortung abzulehnen. Zwar ist die genannte
Prämisse nach gegenwärtiger Aktenlage umstritten, das nationale Gericht
kann sie jedoch auch bestätigen, da die Frage, ob die Regelung des
Landes NRW so konzipiert wurde und konkret umgesetzt wird, dass ihre
Schutzziele in kohärenter und systematischer Weise erreicht werden,
letztlich auf einer Beurteilung beruht, die in dessen Zuständigkeit
fallen.(9)
37. Nach
ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof die Beantwortung einer
Vorlagefrage, die die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betrifft, nur
unter außergewöhnlichen Umständen ablehnen, wenn diese Auslegung
offensichtlich für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht
relevant ist, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der
Gerichtshof nicht über ausreichende tatsächliche und rechtliche Angaben
verfügt, um dem vorlegenden Gericht eine Antwort zu geben, die für die
Entscheidung dieses Rechtsstreits sachdienlich ist.(10)
38. Diese Ablehnungsgründe greifen im vorliegenden Fall nicht ein.
39. Das
vorlegende Gericht, nach dessen Ansicht die Regelung über Sportwetten,
auf deren Grundlage die vor ihm angefochtenen Rechtsakte erlassen
wurden, gegen die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit
verstößt, möchte nämlich wissen, ob und gegebenenfalls unter welchen
Voraussetzungen von der nach dem Grundsatz des Vorrangs des
Gemeinschaftsrechts bestehenden Verpflichtung, diese Regelung
unangewendet zu lassen und die betreffenden Rechtsakte aufzuheben,
abgewichen werden kann. Es legt dem Gerichtshof diese Frage vor, weil
das Bundesverfassungsgericht und das Oberverwaltungsgericht der
Auffassung waren, diese Regelung müsse aufrechterhalten werden, obwohl
sie gegen das Grundgesetz verstoße.
40. Meines
Erachtens verfügt der Gerichtshof über genügend tatsächliche und
rechtliche Angaben, um diese Frage zu beantworten. Der Umstand, dass die
Prämisse, die der Frage zugrunde liegt, auf der Beurteilung durch den
nationalen Richter beruht und von diesem bestätigt werden kann, zeigt
darüber hinaus, dass diese Frage weder im Rahmen eines rein
hypothetischen Problems gestellt wurde noch für die Entscheidung des
Ausgangsrechtsstreits offensichtlich unerheblich ist.
41. Ich bin daher der Auffassung, dass die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen zulässig sind.
B – Prämisse des vorlegenden Gerichts, wonach die Regelung des Landes NRW gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt
42. Nach
Ansicht des vorlegenden Gerichts verstößt die Regelung des Landes NRW
über Sportwetten gegen die Dienstleistungsfreiheit wie sie im Urteil
Gambelli u. a. ausgelegt wurde, da staatlich zugelassene nationale
Einrichtungen zur Teilnahme an solchen Wetten ermutigten, so dass diese
Regelung eine effektive Suchtbekämpfung nicht sicherstelle. Die
Änderungen, die WestLotto den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
entsprechend an der tatsächlichen Ausgestaltung ihrer Tätigkeit
vorgenommen habe, könne an der Unvereinbarkeit mit dem
Gemeinschaftsrecht nichts ändern, da deren Beseitigung auch Änderungen
der rechtlichen Ausgestaltung des Monopols erfordere.
43. Die
Schritte der rechtlichen Argumentation, mit der das vorlegende Gericht
zu dem Schluss gelangt, die in Rede stehende Regelung sei mit dem
Gemeinschaftsrecht unvereinbar, erscheinen unangreifbar.
44. Aus
dem Urteil Gambelli lässt sich nämlich herleiten, dass sich WW, die als
Vermittlerin für ein in Malta ansässiges Unternehmen Sportwetten
anbietet, auf die Bestimmungen des Art. 49 EG berufen kann.(11)
Darüber hinaus teile ich die Auffassung der Kommission, wonach sich WW
nur auf die Bestimmungen des Vertrags über die Dienstleistungsfreiheit
und nicht auf diejenigen über die Niederlassungsfreiheit berufen kann,
da es sich um eine Gesellschaft deutschen Rechts handelt, die ihre
Tätigkeit in Deutschland ausübt.
45. Im
Übrigen ist unstreitig, dass eine nationale Regelung wie die des Landes
NRW, die es verbietet, in diesem Land Sportwetten anzubieten, die von
einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen veranstaltet
werden, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt.
46. Eine
solche Beschränkung kann zwar durch den Schutz der öffentlichen Ordnung
oder einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie den Schutz der
Verbraucher vor Anreizen zu überhöhten Ausgaben für das Spielen
gerechtfertigt sein, muss jedoch in einem angemessenen Verhältnis zu
diesem Ziel stehen, was voraussetzt, dass dieses kohärent und
systematisch verfolgt wird.(12)
Im Urteil Gambelli u. a. hat der Gerichtshof entschieden, dass diese
Voraussetzung nicht erfüllt sei, wenn ein Mitgliedstaat eine restriktive
Regelung im Bereich der Glücksspiele einzig zu dem Zweck erlassen habe,
die Verbraucher gegen die Gefahren überhöhter Ausgaben zu schützen,
tatsächlich jedoch eine Politik verfolge, mit der für die Verbraucher
starke Anreize zur Teilnahme an diesen Spielen geschaffen würden.(13)
47. Schließlich
ist es – wie ich bereits ausgeführt habe – Sache des nationalen
Richters, zu beurteilen, ob die fragliche Regelung konkret in
Übereinstimmung mit den verfolgten Zielen umgesetzt wurde.
48. Dagegen
kann die Schlussfolgerung, zu der das vorlegende Gericht gelangt ist,
in Anbetracht der beiden folgenden Erwägungen in Frage gestellt werden.
49. Erstens
kann, wie die norwegische Regierung geltend gemacht hat, zumindest
angesichts der Präzisierungen, die in der Rechtsprechung nach dem Urteil
Gambelli u. a erfolgt sind, nicht ausgeschlossen werden, dass die
Voraussetzungen, die das Grundgesetz vorsieht, strenger sind als
diejenigen, die das Gemeinschaftsrecht vorschreibt.
50. So hat der Gerichtshof im Urteil vom 6. März 2007, Placanica u. a.(14),
entschieden, dass die zugelassenen Betreiber, wenn die Regelung eines
Mitgliedstaats im Bereich der Glücksspiele den Zweck verfolge, die
Glücksspieltätigkeiten in kontrollierbare Bahnen zu lenken, um ihrer
Ausnutzung zu kriminellen Zwecken vorzubeugen, eine verlässliche und
zugleich attraktive Alternative zur verbotenen Tätigkeit bereitstellen
müssten, was als solches das Angebot einer breiten Palette von Spielen,
einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken mit
sich bringen könne.(15)
51. Gegenwärtig
ist der Gerichtshof in den schwebenden Verfahren Sporting Exchange
(C‑203/08) und Ladbrokes Betting & Gaming und Ladbrokes
International (C‑258/08) mit der Regelung eines Mitgliedstaats befasst,
nach der Glücksspiele einem Monopolsystem unterstellt sind, um die
Verbraucher vor der Spielsucht zu schützen und zugleich die Kriminalität
zu bekämpfen.
52. Ich
habe dem Gerichtshof vorgeschlagen, zu entscheiden, dass die den
Inhabern ausschließlicher Rechte für den Betrieb von Glücksspielen in
dem betreffenden Mitgliedstaat eingeräumte Befugnis, ihr Angebot durch
die Einführung neuer Spiele und durch Werbung attraktiver zu machen, als
solche nicht inkohärent in Ansehung der von diesem Mitgliedstaat
verfolgten Ziele in ihrer Gesamtheit ist. In diesen Fällen kommt es
darauf an, dass die Einführung neuer Spiele und die Werbung vom
Mitgliedstaat streng kontrolliert und begrenzt werden, um ebenfalls mit
der Verfolgung des Ziels des Schutzes der Verbraucher vor der Spielsucht
vereinbar zu sein.
53. Da
das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Zielen konkret schwer zu
finden ist, habe ich dem Gerichtshof auch vorgeschlagen, den
Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum zuzugestehen. Ob die
fragliche Regelung in ihren konkreten Modalitäten der Anwendung durch
die zuständigen Behörden und den oder die Inhaber des ausschließlichen
Rechts, Glücksspiele anzubieten, diese Ziele kohärent und systematisch
verfolgt, muss sich aus der Beurteilung der konkreten Folgen dieser
Regelung durch den nationalen Richter ergeben.
54. Mit
anderen Worten zeigt die Tatsache, dass der oder die Inhaber des
Rechts, Glücksspiele anzubieten, in einem Mitgliedstaat Werbung betreibt
oder betreiben, der die Ausübung dieser Tätigkeit eingeschränkt hat, um
die Verbraucher vor überhöhten Ausgaben und der Gefahr der Abhängigkeit
zu schützen, nicht notwendigerweise, dass eine Missachtung der
Bedingung vorliegt, wonach die Ziele kohärent und systematisch verfolgt
werden müssen, und damit auch nicht, dass die betreffende Regelung gegen
das Gemeinschaftsrecht verstößt. Der nationale Richter muss die
Gesamtheit der Ziele der fraglichen Regelung berücksichtigen und ihre
konkreten Folgen für die Verbraucher unter Berücksichtigung des weiten
Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten in diesem Bereich würdigen.
55. Zweitens
hat das vorlegende Gericht nicht erläutert, warum die rechtliche
Ausgestaltung der Tätigkeit des Inhabers des Rechts, Sportwetten
anzubieten, gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen soll, so dass die
Änderungen, die WestLotto in Umsetzung der Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich ihrer Tätigkeit vorgenommen habe,
diese Unvereinbarkeit nicht beseitigen könnten.
56. Schließlich
ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof gegenwärtig mit mehreren
Vorlagefragen in den verbundenen Rechtssachen Stoß u. a.(16)
befasst ist, bei denen es gerade darum geht, ob die in den Ländern
Baden-Württemberg und Hessen geltende Regelung über Sportwetten, die
große Ähnlichkeit mit der im Land NRW geltenden Regelung aufweist, mit
dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.
57. Das
vorlegende Gericht könnte daher auch veranlasst werden, seine Prämisse
auf die Urteile hin zu überprüfen, die in diesen vom Gerichtshof
parallel zum vorliegenden Verfahren behandelten Rechtssachen ergehen
werden.
58. Folglich
wäre es meines Erachtens zweckmäßig, dem vorlegenden Gericht vor der
Prüfung der Vorlagefragen folgende Hinweise zu der Prämisse zu erteilen,
die diesen Fragen zugrunde liegt:
– Eine
Regelung eines Mitgliedstaats, die die Veranstaltung von Sportwetten zu
dem Zweck einschränkt, vom Vertrag erfasste oder von der Rechtsprechung
als berechtigt angesehene Interessen zu schützen, muss, um mit dem
Gemeinschaftsrecht vereinbar zu sein, ihre Ziele kohärent und
systematisch verfolgen.
– Der
nationale Richter muss überprüfen, ob diese Bedingung erfüllt ist, und
dabei die Gesamtheit der Ziele der fraglichen Regelung berücksichtigen
und ihre konkreten Folgen für die Verbraucher unter Berücksichtigung des
weiten Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten in diesem Bereich
würdigen.
– Das vorlegende Gericht
kann gegebenenfalls auch die Hinweise berücksichtigen, die in dem Urteil
erteilt werden, das in den verbundenen Rechtssachen Stoß u. a. ergehen
wird.
C – Materielle Prüfung
59. Im
Rahmen der Prüfung der Fragen des vorlegenden Gerichts ist von der
Prämisse auszugehen, dass die in Rede stehende Regelung eine nicht
gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, da
sie nicht dazu beiträgt, die Wetttätigkeiten in kohärenter und
systematischer Weise zu begrenzen.
60. Das
vorlegende Gericht ist zu Recht der Ansicht, dass es diese Regelung
wegen des Konflikts zwischen seinen nationalen Vorschriften und einer
unmittelbar anwendbaren Bestimmung des Gemeinschaftsrechts(17) unangewandt lassen muss.
61. Nach
dem Standpunkt, den der Gerichtshof im Urteil Simmenthal eingenommen
hat und der später durch eine ständige Rechtsprechung bestätigt wurde,
ist das innerstaatliche Gericht im Fall eines Konflikts zwischen einer
innerstaatlichen Rechtsvorschrift und einer Norm des Gemeinschaftsrechts
gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Norm Sorge zu tragen, indem
es die innerstaatliche Vorschrift erforderlichenfalls – auch wenn sie
später erlassen wurde – aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewandt
lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Vorschrift auf
gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes
verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste.(18)
62. Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob von dieser Verpflichtung abgewichen werden kann.
63. Es
fragt daher, ob ein Gericht eines Mitgliedstaats seine nationale
Regelung über Sportwetten ausnahms- und übergangsweise weiter anwenden
darf, obwohl diese Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit darstellt, weil sie nicht dazu beiträgt, die
Wetttätigkeiten in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen.
64. Das
vorlegende Gericht führt aus, dass es dem Gerichtshof diese Frage
vorlege, weil das Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen den Vorrang des Gemeinschaftsrechts in seinem
Beschluss vom 28. Juni 2006 vorübergehend ausgeschlossen habe, um keine
„inakzeptable Gesetzeslücke“ entstehen zu lassen. Nach diesem Beschluss
blieben die streitigen Bestimmungen des Gesetzes über Sportwetten daher
trotz des Verstoßes gegen Art. 49 EG unter den gleichen zeitlichen und
materiellen Maßgaben, wie sie das Bundesverfassungsgericht für die
bayerischen Vorschriften im Hinblick auf die in Art. 12 GG geregelte
Berufsfreiheit vorgesehen habe, vorläufig anwendbar.
65. Aus
seinen Erläuterungen ergibt sich auch, dass das
Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 2. August 2006 die gleichen
Übergangsmaßnahmen hinsichtlich der Regelung des Landes NRW getroffen
hat.
66. Diese
Ausführungen können dahin verstanden werden, dass das vorlegende Gericht
wissen möchte, ob von der im Urteil Simmenthal aufgestellten
Verpflichtung aus zwei unterschiedlichen Gründen abgewichen werden darf,
nämlich zum einen wegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
die streitige Regelung bis zum 31. Dezember 2007 aufrechtzuerhalten,
und zum anderen wegen der Notwendigkeit, eine Gesetzeslücke zu
vermeiden, die für die Verbraucher im Land NRW nachteilig sein könnte.
67. Die
Antwort auf die Vorlagefrage lässt sich, was die Auswirkung der
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts betrifft, sehr klar aus dem
Urteil Filipiak herleiten.
68. In
jener Rechtssache sah sich der Gerichtshof einer Situation gegenüber,
in der eine Regelung eines Mitgliedstaats im Bereich der
Einkommensteuer, die sich als mit der Niederlassungs- und der
Dienstleistungsfreiheit unvereinbar erwies, vom Verfassungsgericht des
betreffenden Mitgliedstaats für mit der Verfassung diese Staates
unvereinbar erklärt worden war. Das Verfassungsgericht hatte jedoch den
Zeitpunkt, zu dem die betreffenden Vorschriften ihre Geltungskraft
verlieren würden, hinausgeschoben.
69. Der
nationale Richter, bei dem ein Rechtsstreit zwischen der
Finanzverwaltung und einem Steuerpflichtigen, der eines dieser
Freizügigkeitsrechte ausgeübt hatte, anhängig war, fragte den
Gerichtshof, ob der Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts ihn
verpflichte, die betreffende Regelung trotz der Verlängerung ihrer
Geltungskraft durch das Verfassungsgericht unangewandt zu lassen.
70. Der
Gerichtshof hat daran erinnert, wie ein Konflikt zwischen einer
Bestimmung des innerstaatlichen Rechts und einer unmittelbar anwendbaren
Vorschrift des Gemeinschaftsrechts vom nationalen Gericht zu lösen ist.
Nach dem Urteil Simmenthal wird dieser Konflikt dadurch gelöst, dass
das nationale Gericht das Gemeinschaftsrecht anwendet und die
entgegenstehende nationale Vorschrift unangewandt lässt, und nicht
dadurch, dass es die Nichtigkeit der nationalen Vorschrift feststellt,
was in die Zuständigkeit der Behörden und Gerichte des jeweiligen
Mitgliedstaats fällt.(19)
71. Er
hat ausgeführt, dass der Umstand, dass das Verfassungsgericht den
Zeitpunkt, zu dem die streitigen nationalen Vorschriften ihre
Geltungskraft verlören, verschoben habe, das nationale Gericht nicht
daran hindere, diese Vorschriften in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit
gemäß dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts unangewandt zu
lassen.(20)
72. Mit
anderen Worten müssen die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit und die
der Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht ihre Wirkungen entfalten
können, ohne miteinander in Widerspruch zu geraten. So, wie sich die
Aufgabe des nationalen Richters nach dem Urteil Simmenthal auf Konflikte
zwischen einer Gemeinschaftsnorm und einer innerstaatlichen
Rechtsvorschrift beschränkt, überlagert eine Entscheidung des
Verfassungsgerichts, mit der die aus der Unvereinbarkeit der nationalen
Rechtsvorschrift mit der Verfassung zu ziehenden Konsequenzen zeitlich
hinausgeschoben werden, nicht die Pflicht des nationalen Richters, den
Vorrang des Gemeinschaftsrechts immer dann sicherzustellen, wenn er sich
einem derartigen Konflikt gegenübersieht.
73. Daraus
folgt, dass im vorliegenden Fall der Umstand, dass die streitige
Regelung auch gegen das Grundgesetz verstößt und dass das
Bundesverfassungsgericht entschieden hat, sie für eine Übergangszeit
aufrechtzuerhalten, in keiner Weise die Verpflichtung des vorlegenden
Gerichts mindert, die Regelung in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit
unangewandt zu lassen, wenn es der Auffassung ist, sie verstoße gegen
Art. 49 EG.
74. Nach
dem Urteil Simmenthal muss das vorlegende Gericht die streitige
Regelung daher unangewandt lassen, soweit sie einem
Dienstleistungserbringer wie WW, der sich auf Art. 49 EG berufen kann,
entgegengehalten wird. Dagegen steht diese Rechtsprechung keineswegs
einer weiteren Anwendung der Regelung auf in Drittstaaten ansässige
Anbieter von Sportwetten entgegen, die sich nicht auf die
Dienstleistungs- oder die Niederlassungsfreiheit berufen können.
75. Die
Prüfung der Frage im Hinblick auf den zweiten vom vorlegenden Gericht
angeführten Grund führt mich zur Würdigung der Frage, ob die streitige
Regelung, obwohl sie gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt, so
lange aufrechterhalten werden kann, bis die zuständigen Behörden eine
neue Regelung erlassen, die mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.
76. Eine
solche Aufrechterhaltung hätte den Zweck, zu verhindern, dass während
dieser Frist eine Gesetzeslücke entsteht, die es allen Anbietern von
Sportwetten, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind,
erlauben würde, den Verbrauchern im Land NRW ihre Wetten anzubieten,
ohne dass andere Regulierungsmaßnahmen bestünden als die in ihrem
Herkunftsstaat geltenden.
77. Die
Aufrechterhaltung der streitigen Regelung hätte also nicht nur zur
Folge, dass das nationale Gericht sie im Rahmen des bei ihm anhängigen
Rechtsstreits anwenden dürfte, sondern auch, dass es sämtlichen
nationalen Behörden einschließlich der Gerichte erlaubt wäre, sie
während der gesamten so zu bestimmenden Übergangszeit weiterhin
anzuwenden.
78. Um
die Bedeutung der untersuchten Problematik zu bemessen, ist auch daran
zu erinnern, dass die fragliche Regelung nach der Prämisse des
vorlegenden Gerichts eine wirksame Bekämpfung der Spielsucht nicht
ermöglicht. Mit anderen Worten bewirkt die Regelung dieser Prämisse
zufolge, dass Anbietern, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen
sind, verboten wird, Verbrauchern im Land NRW Sportwetten anzubieten;
sie ist danach aber ungeeignet, die Verbraucher vor einem übermäßigen
Anreiz zu solchen Wetten seitens des zugelassenen Veranstalters zu
schützen.
79. Mehrere
Mitgliedstaaten, die sich am vorliegenden Verfahren beteiligt haben,
haben geltend gemacht, dass die streitige Regelung des Landes NRW bis
zum Erlass eines mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang stehenden
Gesetzes anwendbar bleiben solle. Sie haben diesen Standpunkt auf
mehrere Argumente gestützt, die kurz wie folgt zusammengefasst werden
können.
80. Zum
einen könnten die Wirkungen eines Gemeinschaftsakts, der entweder im
Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens über die Gültigkeit oder in
dem einer Nichtigkeitsklage für rechtswidrig erklärt worden sei, auf der
Grundlage von Art. 231 Abs. 2 EG zur Wahrung der Rechtssicherheit und
zur Vermeidung einer Gesetzeslücke, die die mit diesem Akt verfolgten
Ziele beeinträchtige, fortgelten.
81. Zum
anderen laufe der Ausschluss jeglicher Möglichkeit einer Übergangszeit
dem Ermessensspielraum zuwider, der den Mitgliedstaaten in Bezug auf den
Schutz der Sozialordnung und ihrer Bürger vor den mit Glücksspielen
verbundenen Gefahren eingeräumt sei.
82. Schließlich
ergebe sich die Zulässigkeit einer Übergangszeit auch aus den
Bestimmungen des Art. 228 Abs. 2 EG, wonach einem Mitgliedstaat, der
einem Urteil des Gerichtshofs, mit dem ein Verstoß gegen seine
Verpflichtungen festgestellt worden sei, nicht nachgekommen sei, vor der
Einleitung eines erneuten Vertragsverletzungsverfahrens eine mit
Gründen versehene Stellungnahme übermittelt werden müsse, was bewirke,
dass ihm noch eine allerletzte Frist gewährt werde.
83. Im
Gegensatz zu diesen Mitgliedstaaten bin ich der Ansicht, dass dem
vorlegenden Gericht nicht gestattet werden sollte, eine Regelung
anzuwenden, wenn es ihre Unvereinbarkeit mit Art. 49 EG festgestellt
hat.
84. Ich
stütze meinen Standpunkt auf folgende Argumente. Zum einen würde die –
sei es auch nur übergangsweise – Aufrechterhaltung dieser Regelung
grundsätzlich den Vorrang des Gemeinschaftsrechts und den Anspruch auf
effektiven Rechtsschutz beeinträchtigen. Zum anderen wäre eine
Abweichung von der im Urteil Simmenthal aufgestellten Verpflichtung
selbst unter der Annahme, dass sie unter außergewöhnlichen Umständen in
Betracht gezogen werden könnte, nicht möglich, wenn die streitige
Regelung wie im vorliegenden Fall zur Erreichung ihrer Ziele ungeeignet
ist und sich die Gründe, aus denen sie gegen das Gemeinschaftsrecht
verstößt, aus einem Vorabentscheidungsurteil ergeben, das mehr als 18
Monate vor Erlass der im Ausgangsverfahren angefochtenen Rechtsakte
ergangen ist.
1. Grundsätzliche Hindernisse
85. Einleitend
ist darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit, die Auswirkungen des
Gemeinschaftsrechts auf das Recht der Mitgliedstaaten zeitlich
hinauszuschieben, bisher nur anerkannt worden ist, soweit es um die
Vergangenheit ging.
86. So erkennt der Gerichtshof seit dem Urteil Defrenne(21)
an, dass von der Rückwirkung eines Urteils, das auf ein
Auslegungsersuchen hin ergangen ist, unter außergewöhnlichen Umständen
abgewichen werden kann, wenn die Rückwirkung schwerwiegende
wirtschaftliche Auswirkungen auf Rechtsverhältnisse hätte, die
gutgläubig aufgrund der Ungewissheit über die tatsächliche Tragweite des
Gemeinschaftsrechts eingegangen worden waren.(22)
87. Zudem
verpflichtet das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten nach ständiger
Rechtsprechung entsprechend dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht,
bestands- oder rechtskräftig gewordene Verwaltungsakte oder gerichtliche
Entscheidungen in Frage zu stellen.(23)
88. Bisher
ist der nationale Richter nur in dem Fall, dass ein Akt des
Sekundärrechts vor ihm ernsthaft angefochten wird und dass dieser Akt
Gegenstand einer Prüfung durch den Gerichtshof ist, berechtigt, die
Wirkungen einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts in die Zukunft
hinauszuschieben. Darüber hinaus muss der Kläger schwerwiegende Gründe
für seine Nichtigkeitseinrede vorgebracht haben und die Notwendigkeit,
die Anwendung des fraglichen Rechtsakts bis zur Entscheidung des
Gerichtshofs auszusetzen, vor dem nationalen Richter nachgewiesen haben.
89. Dieses
Beispiel ist jedoch für die hier zu untersuchende Frage nicht relevant,
da es sich auf eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts bezieht, deren
Rechtmäßigkeit ernsthaft bestritten und gerade geprüft wird.
90. Zwar
ist die Möglichkeit, dass die Wirkungen einer Rechtsvorschrift
fortgelten, obwohl diese gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt, in
Art. 231 Abs. 2 EG für den Fall, dass eine Verordnung im Rahmen einer
Direktklage für nichtig erklärt worden ist, ausdrücklich vorgesehen.
91. Ebenso
ist unstreitig, dass der Gemeinschaftsrichter diese Vorschrift auf
sämtliche sekundäre Rechtsakte ausgeweitet hat und dass sie auch im
Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren über die Gültigkeit angewandt
wird. Daher kann der Gemeinschaftsrichter, wenn er im Rahmen einer
direkten Nichtigkeitsklage oder eines Vorabentscheidungsverfahrens über
die Gültigkeit feststellt, dass ein Akt des sekundären
Gemeinschaftsrechts rechtswidrig ist und für nichtig erklärt werden
muss, vorsehen, dass dieser Rechtsakt entweder bis zum Inkrafttreten des
Akts, der an seiner Stelle erlassen werden soll, oder während der
Dauer, die der Gemeinschaftsrichter bestimmt, weiterhin bestimmte
Wirkungen hervorruft.(24)
92. Die
Anwendung der genannten Bestimmung beruht auf Gründen der
Rechtssicherheit. Es soll verhindert werden, dass rechtliche
Situationen, die vor Erlass des Urteils entstanden sind, wieder in Frage
gestellt werden, oder dass die Nichtigerklärung des betreffenden
Rechtsakts eine Gesetzeslücke entstehen lässt, die die Ziele dieses
Rechtsakts gefährden könnte.
93. So
hat der Gerichtshof in neuerer Zeit im Urteil vom 3. September 2008,
Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission(25), nach der Feststellung, dass die Verordnung(26),
die u. a. das Einfrieren der Gelder des Klägers vorsah, unter Verstoß
gegen mehrere Grundrechte des Klägers erlassen worden und für nichtig zu
erklären gewesen sei, entschieden, die Wirkungen dieser Verordnung für
einen Zeitraum von drei Monaten ab der Verkündung des Urteils
aufrechtzuerhalten, um dem Rat der Europäischen Union zu ermöglichen,
diese Verstöße zu heilen.(27)
94. Im
Gegensatz zu den Mitgliedstaaten, die sich am vorliegenden Verfahren
beteiligt haben, bin ich der Ansicht, dass der Übertragung der in
Art. 231 Abs. 2 EG vorgesehenen Möglichkeit auf Vorschriften des
innerstaatlichen Rechts, die gegen eine unmittelbar anwendbare Norm des
Gemeinschaftsrechts verstoßen, grundsätzliche Hindernisse
entgegenstehen, die schwer zu überwinden sind.
95. Bei
der Prüfung der Gründe, auf die der Gerichtshof die Definition der
Aufgabe gestützt hat, die dem nationalen Gericht zukommt, wenn es sich
einem Konflikt zwischen diesen beiden Kategorien von Normen
gegenübersieht, stelle ich fest, dass er folgende Punkte festgehalten
hat.
96. Erstens
müsse eine unmittelbar anwendbare Bestimmung des Gemeinschaftsrechts
ihre volle Wirkung einheitlich in sämtlichen Mitgliedstaaten vom
Zeitpunkt ihres Inkrafttretens und während der gesamten Dauer ihrer
Gültigkeit entfalten, da sie eine unmittelbare Quelle von Rechten und
Pflichten für alle diejenigen darstelle, die sie betreffe, einerlei, ob
es sich um die Mitgliedstaaten oder um Einzelpersonen handele.(28)
97. Zweitens
hätten die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts
nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts zur Folge, dass
allein durch ihr Inkrafttreten jede entgegenstehende Bestimmung des
nationalen Rechts ohne Weiteres unanwendbar werde.(29)
98. Drittens
wäre die praktische Wirksamkeit des Art. 234 EG gemindert, wenn das
nationale Gericht daran gehindert wäre, das Gemeinschaftsrecht
unmittelbar entsprechend dem in dem Vorabentscheidungsverfahren
erlassenen Urteil anzuwenden.
99. Der
Gerichtshof hat daraus den Schluss gezogen, dass jede Bestimmung einer
nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder
Rechtsprechungspraxis mit den in der Natur des Gemeinschaftsrechts
liegenden Erfordernissen unvereinbar wäre, die dadurch zu einer
Abschwächung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts führen würde, dass
dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis
abgesprochen werde, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles
Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften
auszuschalten, die unter Umständen – sei es auch nur vorübergehend – ein
Hindernis für die volle Wirksamkeit der Gemeinschaftsnormen bildeten.(30)
100. Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Urteil Factortame u. a.(31)
entschieden, dass die Anforderungen der Wirksamkeit und der
einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts dem nationalen Gericht
die Befugnis verliehen, eine als mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar
angesehene Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts auszusetzen, um die
durch den Vertrag gewährten Rechte vorläufig zu garantieren, auch wenn
ihm sein nationales Recht dies nicht erlaube.
101. Es
ist offenkundig, dass die wirksame und einheitliche Anwendung des
Gemeinschaftsrechts und damit der Grundsatz des Vorrangs des
Gemeinschaftsrechts selbst beeinträchtigt würden, ließe man zu, dass
eine Vorschrift des innerstaatlichen Rechts, die gegen eine unmittelbar
anwendbare Vorschrift des Gemeinschaftsrechts verstößt, weiter anwendbar
bliebe.
102. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass es nach dem Urteil Costa(32)
„eine Gefahr für die Verwirklichung der … Ziele des Vertrags bedeuten
und dem Verbot des [Art. 12 EG]“, der jede Diskriminierung aus Gründen
der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des Vertrags verbietet,
„widersprechende Diskriminierungen zur Folge haben [würde], wenn das
Gemeinschaftsrecht je nach der nachträglichen innerstaatlichen
Gesetzgebung von einem Staat zum anderen verschiedene Geltung haben
könnte“.(33)
103. Würde
das nationale Gericht eine innerstaatliche Rechtsvorschrift anwenden,
obwohl der Kläger die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem
Gemeinschaftsrecht zu Recht bestritten hat, würde damit auch das Recht
auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz in Abrede gestellt und die
praktische Wirksamkeit des Art. 234 EG beeinträchtigt.
104. Nach
ständiger Rechtsprechung ist der Grundsatz des effektiven gerichtlichen
Rechtsschutzes ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, der
sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten
ergibt und in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom
unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte
und Grundfreiheiten verankert ist; er ist im Übrigen auch in Art. 47 der
am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der
Europäischen Union bekräftigt worden.(34)
105. Die
praktische Wirksamkeit des Art. 234 EG in Verbindung mit der
unmittelbaren Wirkung der Rechte aus den Verkehrsfreiheiten soll es dem
Einzelnen gerade ermöglichen, sich gegen eine Rechtsvorschrift eines
Mitgliedstaats zu wenden und zu erreichen, dass sie auf ihn nicht
angewandt wird, wenn sie gegen eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts
wie eine Verkehrsgrundfreiheit verstößt.
106. Wenn
ich daher die Rechtsprechung zur zeitlichen Begrenzung der Rückwirkung
eines Vorabentscheidungsurteils untersuche, stelle ich fest, dass der
Gerichtshof bestrebt war, den Schutz der Rechtssicherheit für zuvor
gutgläubig geschaffene rechtliche Situationen mit dem Recht auf
wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu vereinbaren, indem er zugunsten
von Personen, die vor der Verkündung seines Urteils eine gerichtliche
Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt hatten,
eine Ausnahme von der Nichtrückwirkung des Urteils vorgesehen hat.
107. Der Gerichtshof hat diese Rechtsprechung sowohl in seinen Auslegungsurteilen(35) als auch im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren, in denen er eine Gemeinschaftsnorm für ungültig erklärt hat(36), angewandt.
108. Wendete
man die streitige Regelung im Ausgangsrechtsstreit gegenüber WW an, was
eine Abweisung ihrer Klage als unbegründet zur Folge hätte, würde dies
bewirken, ihr den wirksamen gerichtlichen Schutz der Rechte zu versagen,
die ihr unmittelbar durch die Vertragsbestimmungen über die
Dienstleistungsfreiheit verliehen werden.
109. Das
Grundrecht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz und der Grundsatz
des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts stellen daher meines Erachtens
schwer zu überwindende Hindernisse dar, die der Möglichkeit
entgegenstehen, eine Ausnahme von der im Urteil Simmenthal aufgestellten
Verpflichtung vorzusehen.
110. Selbst
unter der Annahme, dass eine derartige Ausnahme nach einer Abwägung des
durch die innerstaatliche Rechtsvorschrift geschützten Interesses mit
den durch die Bestimmung des Gemeinschaftsrechts gewährten Rechten, die
mit der Abwägung vergleichbar wäre, die der Gerichtshof im Urteil Kadi
und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission zwischen dem
Schutz von Grundrechten und der Bekämpfung des Terrorismus vorgenommen
hat, in Betracht gezogen werden könnte, ist sie meines Erachtens unter
den Umständen des vorliegenden Falls aus folgenden Gründen nicht
zulässig.
2. Zusätzliche, speziell im vorliegenden Fall bestehende Hindernisse
111. Meiner
Ansicht nach stehen zwei Hindernisse der Möglichkeit entgegen, eine
nationale Rechtsvorschrift wie die in Rede stehende Regelung
aufrechtzuerhalten, obwohl sie gegen das Gemeinschaftsrecht verstößt.
112. Das
erste besteht darin, dass diese Regelung nach der Prämisse des
vorlegenden Gerichts nicht dazu beiträgt, die Wetttätigkeiten kohärent
und systematisch einzuschränken. Mit anderen Worten bewirkt diese
Regelung, dass in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Veranstaltern
von Sportwetten verboten wird, ihre Wetten Verbrauchern im Land NRW
anzubieten, schützt diese Verbraucher aber nicht vor einem übermäßigen
Anreiz zum Glücksspiel seitens des zugelassenen Veranstalters.
113. Das
Argument, die fragliche Regelung müsse aufrechterhalten werden, um eine
Gesetzeslücke zu vermeiden, kann daher nicht durchgreifen, da diese
Regelung selbst ungeeignet ist, die Verbraucher zu schützen. Nach der
Prämisse des vorlegenden Gerichts stellt sie in Wirklichkeit lediglich
eine diskriminierende oder zumindest protektionistische Maßnahme dar.
114. Das
zweite Hindernis besteht darin, dass die streitige Regelung nach dieser
Prämisse angesichts der Kriterien, die der Gerichtshof im Urteil
Gambelli u. a. aufgestellt hat, das mehr als 18 Monate vor dem Erlass
der mit der Klage im Ausgangsverfahren angefochtenen Verfügungen
ergangen ist, gegen die Dienstleistungsfreiheit verstößt.
115. Begrenzt
der Gerichtshof die Rückwirkung seiner Urteile zeitlich, ist er
bestrebt, diese Abweichung von der wirksamen Anwendung des
Gemeinschaftsrechts mit dem Erfordernis in Einklang zu bringen, eine
einheitliche Auslegung dieses Rechts in sämtlichen Mitgliedstaaten
sicherzustellen. Zum einen kann nach ständiger Rechtsprechung nur der
Gerichtshof selbst über diese Begrenzung entscheiden.(37)
116. Zum
anderen – dieser zweite Punkt ist hier entscheidend – kann sich die
zeitliche Einschränkung der Wirkungen nur aus dem Urteil ergeben, in dem
die Gemeinschaftsnorm ausgelegt wird. Daher kann eine solche
Einschränkung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nur in dem
Urteil selbst vorgenommen werden, in dem über die erbetene Auslegung
entschieden wird.(38)
117. Diese
Bedingung ist aus folgendem Grund zwingend. Die zeitliche Wirkung der
vom Gerichtshof auf ein Vorabentscheidungsersuchen hin vorgenommenen
Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts muss sich notwendig
nach einem einheitlichen Zeitpunkt bestimmen. Insoweit stellt der
Grundsatz, dass eine Beschränkung nur in dem Urteil selbst erfolgen
kann, in dem über die erbetene Auslegung entschieden wird, die
Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten und der Einzelnen in Ansehung des
Gemeinschaftsrechts sicher und erfüllt damit die Anforderungen, die sich
aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit ergeben.(39)
118. Stellt
der Gerichtshof in einem Vorabentscheidungsurteil fest, dass sich seine
Auslegung des Gemeinschaftsrechts aus einem seiner früheren Urteile
herleitet, in denen er die Wirkungen des Gemeinschaftsrechts zeitlich
nicht beschränkt hat, können die zeitlichen Wirkungen des zweiten
Urteils daher dem Gerichtshof zufolge nicht beschränkt werden.(40)
119. Eine
Abweichung vom Urteil Simmenthal im vorliegenden Fall zuzulassen,
stünde damit im Widerspruch zu der oben genannten Rechtsprechung.
Darüber hinaus würde dies die Mitgliedstaaten von ihrer aus der
Loyalitätspflicht nach Art. 10 EG folgenden Verpflichtung befreien, ihre
Rechtsvorschriften ständig und schnellstmöglich an die
Gemeinschaftsrechtsprechung anzupassen, ohne abzuwarten, dass ihre
Rechtsvorschriften selbst im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens
oder eines Vertragsverletzungsverfahrens angefochten werden.
120. Nach
alledem schlage ich daher vor, dem vorlegenden Gericht zu antworten,
dass ein Gericht eines Mitgliedstaats seine nationale Regelung über
Sportwetten nicht ausnahms- und übergangsweise weiter anwenden darf,
wenn diese Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit darstellt, weil sie nicht in kohärenter und
systematischer Weise zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt.
121. Da
ich vorschlage, die Frage, ob von der im Urteil Simmenthal
aufgestellten Verpflichtung abgewichen werden kann, zu verneinen,
erscheint eine Prüfung der zweiten Vorlagefrage, die sich auf die
Bedingungen einer solchen Abweichung bezieht, nicht erforderlich.
V – Ergebnis
122. Angesichts
der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die
Vorlagefragen des Verwaltungsgerichts Köln wie folgt zu beantworten:
Eine
Regelung eines Mitgliedstaats, die die Veranstaltung von Sportwetten zu
dem Zweck einschränkt, vom EG-Vertrag erfasste oder von der
Rechtsprechung als berechtigt angesehene Interessen zu verteidigen,
muss, um mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang zu stehen, ihre Ziele in
kohärenter und systematischer Weise verfolgen.
Das
nationale Gericht muss überprüfen, ob diese Bedingung erfüllt ist, und
dabei die Gesamtheit der Ziele der fraglichen Regelung berücksichtigen
und ihre konkreten Auswirkungen auf die Verbraucher unter
Berücksichtigung des weiten Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten in
diesem Bereich beurteilen.
Das vorlegende
Gericht wird auch gegebenenfalls die Hinweise berücksichtigen können,
die im Urteil in den verbundenen Rechtssachen Stoß u. a. (C‑316/07,
C‑358/07 bis C‑360/07, C‑409/07 und C‑410/07) enthalten sein werden.
Ein
Gericht eines Mitgliedstaats darf seine nationale Regelung über
Sportwetten nicht ausnahms- und übergangsweise weiter anwenden, wenn
diese Regelung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit darstellt, weil sie nicht in kohärenter und
systematischer Weise zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt.
1 – Originalsprache: Französisch.
2 – Urteil vom 9. März 1978 (106/77, Slg. 1978, 629).
3 – Im Folgenden: WestLotto.
4 – Im Folgenden: Land NRW.
5 – Im Folgenden: WW.
6 – Im Folgenden: Tipico.
7 – C‑243/01, Slg. 2003, I‑13031.
8 –
Vgl. aus neuerer Zeit Urteil vom 19. November 2009, Filipiak (C‑314/08,
noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 40).
9 – Urteile vom 21. Oktober 1999, Zenatti (C‑67/98, Slg. 1999, I‑7289, Randnr. 37), und Gambelli u. a. (Randnr. 66).
10 – Urteil Filipiak (Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
11 – Urteil Gambelli u. a. (Randnr. 58).
12 – Ebd. (Randnr. 67).
13 – Ebd. (Randnr. 69).
14 – C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, Slg. 2007, I‑1891.
15 – Randnr. 55.
16 – C‑316/07, C‑358/07 bis C‑360/07, C‑409/07 und C‑410/07.
17 –
Die unmittelbare Anwendbarkeit der Bestimmungen des Vertrags über die
Dienstleistungsfreiheit wurde im Urteil vom 3. Dezember 1974, van
Binsbergen (33/74, Slg. 1974, 1299), anerkannt.
18 – Urteile Simmenthal (Randnr. 24) und Filipiak (Randnr. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).
19 – Urteil Filipiak (Randnr. 82).
20 – Ebd. (Randnr. 84).
21 – Urteil vom 8. April 1976 (43/75, Slg. 1976, 455).
22 – Vgl. u. a. Urteil vom 11. August 1995, Roders u. a. (C‑367/93 bis C 377/93, Slg. 1995, I‑2229, Randnr. 43).
23 –
Urteile vom 16. März 2006, Kapferer (C‑234/04, Slg. 2006, I‑2585,
Randnr. 24), und vom 19. September 2006, i-21 Germany und Arcor
(C‑392/04 und C‑422/04, Slg. 2006, I‑8559, Randnr. 51).
24 –
Urteile vom 15. Oktober 1980, Providence agricole de la Champagne
(4/79, Slg. 1980, 2823, Randnrn. 45 und 46), vom 5. Juli 1995,
Parlament/Rat (C‑21/94, Slg. 1995, I‑1827, Randnrn. 29 bis 32), und vom
3. September 2009, Parlament/Rat (C‑166/07, noch nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 72 bis 75).
25 – C‑402/05 P und C‑415/05 P, Slg. 2008, I‑6351.
26 –
Es handelte sich um die Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27.
Mai 2002 über die Anwendung bestimmter spezifischer restriktiver
Maßnahmen gegen bestimmte Personen und Organisationen, die mit Osama bin
Laden, dem Al-Qaida-Netzwerk und den Taliban in Verbindung stehen, und
zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 467/2001 des Rates über das Verbot
der Ausfuhr bestimmter Waren und Dienstleistungen nach Afghanistan,
über die Ausweitung des Flugverbots und des Einfrierens von Geldern und
anderen Finanzmitteln betreffend die Taliban von Afghanistan (ABl.
L 139, S. 9).
27 – Randnrn. 373 ff.
28 – Urteil Simmenthal (Randnrn. 14 und 15).
29 – Ebd. (Randnr. 17).
30 – Ebd. (Randnrn. 22 und 23).
31 – Urteil vom 19. Juni 1990 (C‑213/89, Slg. 1990, I‑2433).
32 – Urteil vom 15. Juli 1964 (6/64, Slg. 1964, 1253).
33 – Ebd., S. 1270.
34 –
(ABl. C 364, S. 1). Vgl. Urteil Kadi und Al Barakaat International
Foundation/Rat und Kommission (Randnr. 335 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
35 –
Vgl. u. a. Urteil vom 4. Mai 1999, Sürül (C‑262/96, Slg. 1999, I‑2685),
mit dem der Gerichtshof entschieden hat, dass die unmittelbare Wirkung
des Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom
19. September 1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen
Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die
türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige (ABl. 1983,
L 110, S. 60) wegen der Ungewissheiten, die hinsichtlich der Tragweite
dieser Bestimmung bestanden hätten und der Gefahr, dass die Systeme der
sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten erschüttert würden, nicht zur
Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass des
Urteils geltend gemacht werden könne, soweit die Betroffenen nicht vor
diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen
Rechtsbehelf eingelegt hätten (Randnrn. 112 und 113).
36–
In den Randnrn. 25 bis 27 des Urteils vom 26. April 1994, Roquette
Frères (C‑228/92, Slg. 1994, I‑1445), führt der Gerichtshof aus:
„… der Gerichtshof [kann], wenn er von der Möglichkeit Gebrauch macht,
die Wirkung der Feststellung der Ungültigkeit einer
Gemeinschaftsverordnung im Vorabentscheidungsverfahren für die
Vergangenheit zu begrenzen, bestimmen, ob eine Ausnahme von dieser
Begrenzung der zeitlichen Wirkung seines Urteils zugunsten der Partei
des Ausgangsverfahrens vorgesehen werden kann, die die Klage vor dem
nationalen Gericht gegen die nationale Maßnahme zur Durchführung der
Verordnung erhoben hat, oder ob im Gegenteil auch für diese Partei eine
nur in die Zukunft wirkende Feststellung der Ungültigkeit der Verordnung
in angemessener Weise Abhilfe schafft (vgl. Randnr. 18 des Urteils [vom
27. Februar 1985], Société des produits de maïs [112/83, Slg. 1985,
719]).
Im Fall einer Partei, die wie
die Klägerin des Ausgangsverfahrens vor dem nationalen Gericht einen auf
der Grundlage einer ungültigen Gemeinschaftsverordnung erlassenen
Bescheid über die Erhebung von Währungsausgleichsbeträgen angefochten
hat, hätte eine solche Begrenzung der Wirkungen der Ungültigerklärung im
Vorabentscheidungsverfahren für die Vergangenheit zur Folge, dass
dieses nationale Gericht die Klage gegen den streitigen
Erhebungsbescheid abweisen würde, obwohl die Verordnung, auf deren
Grundlage dieser Bescheid erlassen wurde, vom Gerichtshof im Rahmen
desselben Verfahrens für ungültig erklärt worden ist.
Ein Marktteilnehmer wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens sähe sich
damit des Anspruchs auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz bei einem
Verstoß der Organe gegen die Rechtmäßigkeit des Gemeinschaftshandelns
beraubt, und die praktische Wirksamkeit des [Art. 234 EG] würde dadurch
beeinträchtigt.“
37 –
Urteil vom 8. Februar 1996, FMC u. a. (C‑212/94, Slg. 1996, I‑389,
Randnr. 56). Aus dem grundlegenden Erfordernis, dass das
Gemeinschaftsrecht in allen Fällen einheitlich anzuwenden ist, folgt
nach Ansicht des Gerichtshofs, dass es allein seine Sache ist, darüber
zu entscheiden, ob die Geltung der von ihm vorgenommenen Auslegung in
zeitlicher Hinsicht eingeschränkt werden soll (Urteil vom 27. März 1980,
Denkavit italiana, 61/79, Slg. 1980, 1205, Randnr. 18).
38 – Urteil vom 6. März 2007, Meilicke u. a. (C‑292/04, Slg. 2007, I‑1835, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 – Ebd. (Randnr. 37).
40 – Ebd. (Randnrn. 38 bis 41).