In einem durch die Kanzlei Bongers geführten Verfahren hatte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten mit Urteil vom 1. April 2011 einen Sportwettvermittler, der Sportwetten an ein privatrechtlich lizenziertes Unternehmen in einem anderen europäischen Mitgliedsstaat vermittelte, vom Tatvorwurf des § 284 StGB freigesprochen.
Gegen dieses Urteil hatte die Staatsanwaltschaft Berlin Berufung eingelegt. Der Vorgang war schon deshalb äußerst denkwürdig, als die Staatsanwalt selbst noch im Termin beim Amtsgericht ebenfalls einen Freispruch zu Gunsten des Angeklagten beantragt hatte. Ungeachtet dessen ist im vorliegenden Fall dann Berufung durch die Staatsanwaltschaft eingelegt worden.
In einem nunmehr anberaumten Termin zur Durchführung einer Hauptverhandlung vor der Berufungskammer des Landgerichts Berlin - AZ (571) 281/61 Js 2031/10 Ns - hat diese das Urteil des Amtsgerichts bestätigt und den Freispruch zu Gunsten des Angeklagten neuerlich bekräftigt.
Das Gericht hat in seiner Urteilsbegründung insbesondere darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH und zahlreicher Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte erhebliche europarechtliche Bedenken an der Gemeinschaftskonformität des Glücksspielstaatsvertrages bestünden.
Ergänzend hat es in der mündlichen Urteilsbegründung sodann darauf hingewiesen, dass sich der Betroffene jedenfalls ungeachtet der gemeinschaftsrechtlichen Bedenken auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen könne. Die Rechtslage sei derart unüberschaubar, weil seit Jahren unterschiedliche Gerichte unterschiedliche Rechtsauffassungen zu dieser Thematik vertreten haben, dass es einem normalen Bürger kaum zumutbar sei, von einem unzulässigen Verhalten auszugehen. Dies gelte insbesondere dann, wenn der Angeschuldigte - wie im konkreten Fall - sich hat umfassend über die Rechtslage von einem Rechtsanwalt beraten lassen, wobei der Angeklagte sich auch über verschiedene Internetseiten selbst über die Rechtslage informiert hatte, bevor er die Tätigkeit aufgenommen hat. Im konkreten Einzelfall hielt das Gericht es ferner für erheblich, dass der Angeklagte zwar eine Untersagungsverfügung seitens der zuständigen Aufsichtsbehörde in Berlin erhalten habe, er hiergegen aber nicht nur Widerspruch und Klage erhoben hatte, sondern überdies ein Eilantrag an das Verwaltungsgericht Berlin gestellt worden ist. Im Rahmen dieses Eilverfahrens hatte das Verwaltungsgericht Berlin einen so genannten richterlichen Hinweis erteilt, wonach die Behörde gebeten wurde, auf Vollstreckungsmaßnahmen zu verzichten. Unter Hinweis auf diesen so genannten richterlichen Hinweis hatte der Angeklagte die Vermittlungstätigkeit zunächst fortgesetzt, insbesondere im streitgegenständlichen Tatzeitraum. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte zu einem späteren Zeitpunkt dann dem Eilantrag erstinstanzlich stattgegeben, so dass der Angeklagte die Tätigkeit auch weiterführen konnte. Vor dem Hintergrund dieses verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens und der darin erteilten Hinweise ging das Gericht zutreffend davon aus, dass man in einem solchen Fall, in dem unter verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten eine Tätigkeit zunächst weitergeführt und durch Behörden geduldet wird, nicht auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten abgestellt werden könne.
Damit liegt eine erste Berufungsentscheidung des Landgerichts vor, nachdem bereits drei verschiedene Richter beim Amtsgericht Tiergarten die jeweiligen Sportwettvermittler vom Tatvorwurf des § 284 StGB freigesprochen bzw. Anklagen nicht zur Hauptverhandlung zugelassen hatten.
Die Staatsanwaltschaft kann gegen das Urteil noch Revision einlegen.
Kontakt:
Rechtsanwaltskanzlei Bongers
Rechtsanwalt Guido Bongers
Ludwigstr. 12
D - 61348 Bad Homburg
vgl. EuGH Rs.: C‑347/09 vom 15. September 2011 - Strafverfahren gegen Jochen Dickinger, Franz Ömer
Klare Worte findet der EuGH auch hinsichtlich der Strafbarkeit von Glücksspielunternehmen und Kunden: Solange es in einem Mitgliedstaat keine europarechtskonforme Regelung gibt, kann der "Verstoß eines Wirtschaftsteilnehmers gegen eine in einem Mitgliedstaat erlassene Monopolregelung im Glücksspielbereich nicht zu strafrechtlichen Sanktionen führen". (Rn.: 43)
Laut Europarecht ist ein nationales Glücksspielmonopol nur dann zulässig, wenn es Anforderungen des Allgemeininteresses gerecht wird. Die Republik Österreich begründet das Monopol mit der Verhinderung von Kriminalität sowie dem Schutz der Bürger vor übermäßigen Spielausgaben. bet-at-home.com setzt dem entgegen, dass die Geschäftspolitik der derzeitigen Konzessionärin Österreichische Lotterien GmbH - ein Tochterunternehmen der Casinos Austria AG - auf Einnahmenmaximierung abziele und damit den Zielen des Verbraucher- und Spielerschutzes, die das Monopol rechtfertigen, widerspräche.
"Die Beweislast liegt hier aufseiten der Republik Österreich.", so Prof. Dr. Franz Leidenmühler, Vorstand des Instituts für Europarecht an der Johannes Kepler Universität Linz. " weiter lesen
EuGH-Urteil im Verfahren bet-at-home.com: Österreichisches Glücksspielmonopol schwankt weiter lesen
vgl. EuGH Rs. C-64/08 vom 9. September 2010 - Strafverfahren gegen Ernst Engelmann
Bezirksgericht Zell am See spricht Casinobetreiber Ernst Engelmann frei
s. a. LG Bochum verneint Verbotsgesetzcharakter des § 284 StGB
Zur Anwendbarkeit des § 284 StGB seit Geltung des Glücksspielstaatsvertrages
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