Donnerstag, 9. September 2010

EuGH PM: Urteil Rs. C-64/08 - Strafverfahren gg. Ernst Engelmann

Die Vergabe der Konzessionen an Casinos Austria stand nicht im Einklang mit dem Unionsrecht

Das österreichische Recht sieht ein staatliches Monopol im Bereich der Glücksspiele in der Weise vor, dass die Berechtigung, Glücksspiele zu veranstalten und zu betreiben, grundsätzlich dem Staat vorbehalten ist. Mit dem geltenden Bundesgesetz wird insbesondere der Zweck verfolgt, die Glücksspiele zu regulieren, um ihre Ausübung einzuschränken und dem Staat möglichst hohe Einnahmen aus ihnen zu sichern.

Der Bundesminister für Finanzen kann insgesamt zwölf Konzessionen erteilen, die Wirtschaftsteilnehmer zur Veranstaltung von Glücksspielen und zum Betrieb von Spielbanken berechtigen. Der Konzessionär muss eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Österreich sein und untersteht der Aufsicht des Ministeriums. Die Veranstaltung von Glücksspielen ohne Genehmigung wird strafrechtlich verfolgt.

Inhaberin der zwölf Konzessionen ist derzeit eine einzige Gesellschaft, die Casinos Austria AG. Die Konzessionen wurden ohne vorherige öffentliche Ausschreibung erteilt und erneuert.

Herr Ernst Engelmann, der deutscher Staatsangehöriger ist, betrieb zwei Spielbanken in Österreich, ohne sich vorher bei den österreichischen Behörden um eine Konzession beworben zu haben. Mit einem ersten Urteil wurde er für schuldig erkannt, unerlaubt Glücksspiele veranstaltet zu haben, und zur Zahlung einer Geldstrafe von 2 000 Euro verurteilt. In diesem Zusammenhang hat das Landesgericht Linz, bei dem die Berufung anhängig ist, dem Gerichtshof Fragen nach der Vereinbarkeit der österreichischen Rechtsvorschriften über Glücksspiele mit der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Zunächst stellt der Gerichtshof fest, dass die Verpflichtung der Inhaber von Spielbankkonzessionen, ihren Sitz im Inland zu haben, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt. Diese Verpflichtung diskriminiert nämlich Gesellschaften, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, und hindert diese daran, über eine Agentur, Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung Spielbanken in Österreich zu betreiben.

Hinsichtlich der Möglichkeit, die Beschränkung mit dem Interesse zu rechtfertigen, einer Ausnutzung dieser Tätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen, stellt der Gerichtshof fest, dass der kategorische Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben, als unverhältnismäßig anzusehen ist, da er über das hinausgeht, was zur Bekämpfung der Kriminalität erforderlich ist. Es gibt nämlich mehrere mildere Mittel, die Tätigkeit und die Konten dieser Wirtschaftsteilnehmer zu kontrollieren. Außerdem kann jedes in einem Mitgliedstaat niedergelassene Unternehmen unabhängig vom Wohnsitz seiner Führungskräfte kontrolliert und Sanktionen unterworfen werden. Darüber hinaus steht nichts einer Überprüfung in den Räumlichkeiten der Spielbanken entgegen, um u. a. betrügerischen Handlungen der Betreiber zum Nachteil der Verbraucher vorzubeugen.

Was ferner die Vergabe der Konzessionen betrifft, kann die Begrenzung der Zahl der Konzessionen nach Ansicht des Gerichtshofs mit dem Erfordernis gerechtfertigt werden, die Gelegenheiten zum Spiel einzuschränken. Eine Konzessionsdauer von 15 Jahren kann im Hinblick darauf, dass der Konzessionär ausreichend Zeit benötigt, um seine Investitionen zu amortisieren, ebenfalls gerechtfertigt sein.

Gleichwohl steht es nicht mit der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit im Einklang, dass bei der Vergabe der Konzessionen an die Casinos Austria AG keine Ausschreibung stattgefunden hat. Das Transparenzgebot verpflichtet die konzessionserteilende Stelle, einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherzustellen, der eine Öffnung der Dienstleistungskonzessionen für den Wettbewerb und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt worden sind. Dieses Gebot ist eine zwingende Vorbedingung des Rechts eines Mitgliedstaats, Genehmigungen für den Betrieb von Spielbanken zu erteilen, unabhängig davon, wie die Betreiber ausgewählt werden. Die ohne jede Transparenz erfolgende Vergabe einer Konzession an einen Wirtschaftsteilnehmer, der in dem Mitgliedstaat niedergelassen ist, dem der öffentliche Auftraggeber zugehört, stellt eine Ungleichbehandlung zum Nachteil von in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmern dar, die keine reale Möglichkeit haben, ihr Interesse an der fraglichen Konzession zu bekunden. Eine derartige Ungleichbehandlung verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und stellt eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit dar, die nach dem Unionsrecht verboten ist.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union
veröffentlicht am: 09.09.2010 10:37

EuGH: Urteil Rs. C‑64/08 / Strafverfahren gg Ernst Engelmann



PRESSEMITTEILUNG Nr. 20/07
6. März 2007
Urteil des Gerichtshofes in den verbundenen Rechtssachen C-338/04, C-359/04 und C-360/04
Strafverfahren gegen Massimiliano Placanica u. a.
DER GERICHTSHOF ERKLÄRT ES FÜR GEMEINSCHAFTSRECHTSWIDRIG,
DASS IN ITALIEN VERMITTLER, DIE FÜR RECHNUNG AUSLÄNDISCHER
UNTERNEHMEN WETTEN SAMMELN, MIT STRAFE BEDROHT SIND

Ein Mitgliedstaat darf keine Strafe wegen Nichterfüllung einer Verwaltungsformalität
verhängen, deren Erfüllung er unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hat

Nach italienischem Recht darf Glücksspiele nur organisieren und Wetten nur sammeln, wer dafür eine Konzession und polizeiliche Genehmigung besitzt. Für einen Verstoß gegen diese Regelung sieht das italienische Recht Strafen vor, die bis zu drei Jahren Freiheitsentzug reichen können.

Im Jahr 1999 vergaben die zuständigen italienischen Behörden im Wege von Ausschreibungen 1 000 Konzessionen für Wetten auf Sportveranstaltungen und 671 neue Wettkonzessionen für Reitsportveranstaltungen (329 bestehende Konzessionen wurden automatisch verlängert). Diese Konzessionen galten für sechs Jahre und waren für weitere sechs Jahre verlängerbar. Von den Ausschreibungen waren u. a. diejenigen Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen, die die Rechtsform einer Gesellschaft hatten, deren Anteile auf reglementierten Märkten gehandelt wurden.

Eine dieser Gesellschaften war die englische Gesellschaft Stanley International Betting Ltd, die eine entsprechende Lizenz der Stadt Liverpool besaß. Sie gehört zur Unternehmensgruppe der Stanley Leisure plc, eine an der Londoner Börse notierte englische Gesellschaft, die damals im Vereinigten Königreich der größte Buchmacher und der größte Betreiber von Glücksspielhallen war. In Italien ist Stanley durch „Datenübertragungszentren“ (DÜZ) vertreten, die von unabhängigen, aber mit Stanley vertraglich verbundenen Betreibern unterhalten werden. Diese DÜZ stellen den Wettenden Datenübertragungsmöglichkeiten zur Verfügung, mit denen sie auf den Server von Stanley im Vereinigten Königreich zugreifen können.

Die Herren Placanica, Palazzese und Sorricchio sind alle drei Betreiber von DÜZ mit Vertragsbeziehung zu Stanley. Im Jahr 2004 erhob die Staatsanwaltschaft gegen sie in Strafverfahren vor dem Tribunale di Larino und dem Tribunale di Teramo die Beschuldigung, sie sammelten und organisierten Wetten ohne die vorgeschriebene polizeiliche Genehmigung.

Die genannten Gerichte haben dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften daraufhin die Frage vorgelegt, ob die italienischen Rechtsvorschriften über Glücksspiele mit den gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs vereinbar sind.

Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass eine Rechtsvorschrift, die unter Strafandrohung Tätigkeiten im Glücksspielsektor ohne eine vom Staat erteilte Konzession oder polizeiliche Genehmigung verbietet, Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit enthält. Zwar können die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft, die mit Spielen und Wetten einhergehen, solche Beschränkungen rechtfertigen. Die Beschränkungen müssen aber den Anforderungen genügen, die sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben. Der Gerichtshof hat demgemäß die verschiedenen im italienischen Recht vorgeschriebenen Bedingungen für Tätigkeiten im Glücksspielsektor nacheinander geprüft.

Die Konzession

Italien verfolgt im Glücksspielsektor eine expansive Politik, um Spieler, die als solchen verbotenen Tätigkeiten geheimer Spiele und Wetten nachgehen, dazu zu veranlassen, zu genehmigten und reglementierten Tätigkeiten überzuwechseln. Der Gerichtshof erkennt an, dass für die Verwirklichung dieses Zieles die zugelassenen Betreiber eine verlässliche, aber gleichzeitig attraktive Alternative zu einer verbotenen Tätigkeit bereitstellen müssen, was das Angebot einer breiten Palette von Spielen, einen gewissen Werbeumfang und den Einsatz neuer
Vertriebstechniken erfordern kann.

Das Erfordernis einer Konzession wird seitens Italiens mit der Zielsetzung gerechtfertigt, eine Ausbeutung von Glücksspieltätigkeiten zu kriminellen Zwecken zu verhindern. Der Gerichtshof hat insoweit anerkannt, dass ein Konzessionssystem einen wirksamen Mechanismus darstellen kann, um die in diesem Bereich tätigen Betreiber zu kontrollieren.

Hingegen verfügt der Gerichtshof nicht über hinreichende tatsächliche Angaben für eine Beurteilung der Frage, ob die Begrenzung der Gesamtzahl der Konzessionäre mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. Dabei werden die sich aus dieser Begrenzung ergebenden Hemmnisse für die Dienstleistungsfreiheit nicht bereits dadurch gerechtfertigt, dass die festgelegte Zahl der Konzessionen nach einer spezifischen Schätzung als für das Inland „ausreichend“ erachtet worden war. Der Gerichtshof hat deshalb den vorlegenden Gerichten die Prüfung der Frage aufgegeben, ob die nationale Regelung mit der Begrenzung der im Glücksspielsektor tätigen Betreiber tatsächlich das geltend gemachte Ziel verfolgt, einer Ausbeutung der Tätigkeiten im Glücksspielsektor zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen.

Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass der vollständige Ausschluss von Kapitalgesellschaften von den Ausschreibungen für die Konzessionsvergabe über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist, zu verhindern, dass Betreiber des Glücksspielsektors in kriminelle oder betrügerische Aktivitäten einbezogen werden. Denn für die Kontrolle der Konten und Tätigkeiten der Betreiber stehen auch andere Mittel zur Verfügung, die die Niederlassungsfreiheit oder Dienstleistungsfreiheit weniger beschränken (so etwa die Einholung von Informationen über ihre Vertreter oder Hauptaktionäre). Der Gerichtshof hat ferner darauf hingewiesen, dass die Rechtswidrigkeit des Ausschlusses bestimmter Betreiber von den Ausschreibungen den betreffenden Mitgliedstaat dazu verpflichtet, verfahrensrechtliche Modalitäten vorzusehen, die den sich für die Betreiber aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden Schutz sicherstellen (etwa die Rücknahme und Neuverteilung alter Konzessionen). Derweil darf das Fehlen einer Konzession nicht zum Anlass für Sanktionen gegen die betroffenen Betreiber genommen werden.

Die polizeiliche Genehmigung

Nach dem in Italien angewandten Verfahren setzte die Erteilung einer polizeilichen Genehmigung den Besitz einer Konzession voraus, womit dem polizeilichen Genehmigungsverfahren die gleichen Mängel wie der Konzessionsvergabe anhaften. Das Fehlen einer polizeilichen Genehmigung kann daher nicht Personen zur Last gelegt werden, die sich eine solche Genehmigung deshalb nicht beschaffen konnten, weil ihnen unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht die Gewährung einer Konzession versagt worden war.

Die strafrechtlichen Sanktionen

Grundsätzlich sind für das Strafrecht zwar die Mitgliedstaaten zuständig, jedoch setzt das Gemeinschaftsrecht dieser Zuständigkeit Grenzen. So darf das Strafrecht nicht die vom Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten beeinträchtigen. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bekräftigt, dass ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt oder vereitelt hat. Die Italienische Republik darf daher gegen Personen wie die in den Ausgangsverfahren Beschuldigten keine Strafen wegen der Ausübung einer Tätigkeit des organisierten Sammelns von Wetten ohne Konzession oder polizeiliche Genehmigung verhängen.
Quelle

EuGH, Urteil vom 06.03.2007
Az.: C-338/04; C-359/04; C-360/04 (Placanica)

Leitsatz:

1. Eine nationale Regelung, die die Ausübung von Tätigkeiten des Sammelns, der Annahme, der Bestellung und der Übertragung von Wetten, insbesondere über Sportereignisse, ohne eine von dem betreffenden Mitgliedstaat erteilte Konzession oder polizeiliche Genehmigung verbietet, stellt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nach den Art. 43 EG und 49 EG dar.

2. Es ist Sache der vorlegenden Gerichte, zu prüfen, ob die nationale Regelung, soweit sie die Anzahl der im Glücksspielsektor tätigen Wirtschaftsteilnehmer begrenzt, tatsächlich dem Ziel entspricht, der Ausbeutung von Tätigkeiten in diesem Sektor zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen.

3. Die Art. 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die Wirtschaftsteilnehmer mit der Rechtsform von Kapitalgesellschaften, deren Anteile auf reglementierten Märkten gehandelt werden, vom Glücksspielsektor ausschließt und darüber hinaus im Sinne eines solchen Ausschlusses fortwirkt.

4. Die Art. 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen, die für Personen wie die Beschuldigten der Ausgangsverfahren eine strafrechtliche Sanktion wegen Sammelns von Wetten ohne die nach dem nationalen Recht erforderliche Konzession oder polizeiliche Genehmigung vorsieht, dann entgegenstehen, wenn sich diese Personen diese Konzessionen oder Genehmigungen deshalb nicht beschaffen konnten, weil der betreffende Mitgliedstaat es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt hatte, sie ihnen zu erteilen.