Dienstag, 27. März 2012

OVG Koblenz: Untersagung der Sportwettvermittlung

zumindest bis zum Jahre 2010 rechtswidrig

Von Rechtsanwalt Hans Wolfram Kessler und Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hat aufgrund mündlicher Verhandlung vom 13.03.2012 die Berufung des Landes Rheinland-Pfalz gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße zurückgewiesen. Die ursprüngliche Klage eines Sportwettvermittlers richtete sich gegen eine Ordnungsverfügung der Stadtverwaltung Ludwigshafen aus dem Jahre 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides aus dem Jahr 2007. Das VG Neustadt hatte dieser Klage stattgegeben.

Interessant ist das nunmehrige Berufungsurteil des OVG Koblenz vor allem deshalb, weil eine obergerichtliche Entscheidung zur Rechtslage in Rheinland-Pfalz im Jahr 2010 bisher noch nicht vorlag. Die bisherige Rechtsprechung (OVG Koblenz, Urt. v. 13.04.2011, Az.: 6 A 11131/1) beschränkte sich auf den Zeitraum vor dem 30. Juni 2008. Trotz der nach dieser Entscheidung umgesetzten Änderungen geht das OVG weiter von einer Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Monopolgestaltung in Rheinland-Pfalz aus.

Entscheidungsgegenständlich war die Rechtslage, wie sie heute noch gilt, auch wenn aufgrund der eingetretenen Erledigung die tatsächlichen Gegebenheiten durch das OVG nur bis zum Anfang des Jahres 2010 herangezogen werden konnten. Der Kläger hatte den Wettbetrieb in der Annahmestelle im Februar 2010 endgültig aufgegeben, sodass das Klagebegehren im Wege einer sogenannten Fortsetzungsfeststellungsklage verfolgt werden musste.

Das Oberverwaltungsgericht geht in seiner Entscheidung davon aus, dass im Zeitraum der Untersagung dem Kläger die fehlende glücksspielrechtliche Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten nicht entgegengehalten werden durfte, weil er eine solche Erlaubnis aufgrund des Sportwettmonopols nicht erlangen konnte.  

Dieses Monopol war nach Überzeugung des Gerichts im fraglichen Zeitraum schon aufgrund der Werbung, die seitens der Lotto Rheinland-Pfalz GmbH für die Sportwette Oddset betrieben wurde, sowohl nach europarechtlichen als auch nach verfassungsrechtlichen Maßstäben unzulässig.


Die vom Kläger daneben aufgeworfenen Fragen der Kohärenz der glücksspielrechtlichen Beschränkungen im Übrigen sind deshalb vom OVG unerörtert geblieben.

Soweit der privaten Sportwettvermittlung derzeit erstinstanzlich noch der Erlaubnisvorbehalt entgegengehalten wird, bleibt zu klären, inwieweit die Erlaubnismöglichkeit in Rheinland-Pfalz gemeinschaftsrechtlich hinreichend ausgestaltet ist. Dies erscheint sowohl im Hinblick auf die unzureichenden normativen Vorgaben als auch angesichts der praktischen Ausgestaltung des Verfahrens mehr als zweifelhaft. Gerichtliche Verfahren hierzu sind beim Oberverwaltungsgericht Koblenz bereits anhängig.

Bedeutsam dürfte die aktuelle Entscheidung des OVG auch im Hinblick auf die Aussagen zur Staatshaftung sein. Das Oberverwaltungsgericht hat nochmals ausdrücklich festgestellt, dass ein Rechtsschutzinteresse des Klägers wegen der Möglichkeit von Staatshaftungsansprüchen gegeben ist. Trotz einiger in diesem Bereich inzwischen von Landgerichten getroffener negativer Entscheidungen beharrt das Oberverwaltungsgericht also weiter darauf, dass von "offensichtlicher Aussichtslosigkeit", insbesondere für Ersatzansprüche, die auf verschuldensunabhängiger Haftung gem. § 68 Abs. 1 Satz 2 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes basieren, nicht gesprochen werden kann.

Die Revision wurde in dem von der Sozietät Redeker Sellner Dahs geführten Verfahren nicht zugelassen (Az.: 6 A 11163/11 OVG).

Kontakt:
Redeker Sellner Dahs
Rechtsanwälte · Partnerschaftsgesellschaft

Rechtsanwalt Hans Wolfram Kessler
Mozartstr. 10
04107 Leipzig

Rechtsanwalt Dr. Ronald Reichert
Partner und Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Mozartstraße 4-10
53115 Bonn



OVG Rheinland-Pfalz Urteil vom 13.03.2012 (AZ: 6 A 11385/11.OVGpdf-download

Das OVG NRW hat sich mit dem Urteil (4 A 17/08) vom 29.09.2011 ausführlich mit der Werbepraxis der staatlichen Glücksspielanbieter auseinandergesetzt und unter der Rn 49 festgestellt:
"Die Monopolregelung ist schon wegen der Werbepraxis der Monopolträger nicht geeignet, die Verwirklichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele zu erreichen."
Weiter führt das OVG NRW aus, dass der Staat, indem er andere Glücksspielbereiche mit höherem Suchtpotenzial privaten Anbietern überlässt und eine Ausweitung des Marktes betreibt, sich widersprüchlich verhält. Dadurch ist das Monopol europarechtlich nicht zu rechtfertigen. „Auch hat sich am unzulässigen Werbeverhalten der Monopolbetriebe seit dem sog. Sportwettenurteil (BVerfG 115, 276 ff.) bis heute nichts geändert“.
Mit dem gegenwärtigen Werbeverhalten des deutschen Lottoblockes zur Einführung der Internationalen Lotterie „Eurojackpot“ werden die strengen Vorgaben erneut nicht eingehalten. Aggressive Werbung für Glücksspiele lässt sich auch nicht durch die soziale Verwendung der Gewinne rechtfertigen. Der Monopolträger dürfe danach lediglich sachlich informieren, um die Spiellust in legale Bahnen zu lenken. Hiermit seien weder die ständigen Werbekampagnen, die hohe Jackpots in den Vordergrund rückten ("Westlotto informiert: Der Lotto-Jackpot wurde bei der letzten Ziehung nicht geknackt. Deshalb heute im Jackpot .... Mio. Euro"), noch die weiterhin betriebene Image-Werbung ("Lotto hilft…") vereinbar. vgl. u.a. EuGH; BVerwG; OVG NRW s.u.

Rheinland Pfalz
Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz

Pressemitteilung Nr. 2/2012
OVG-Präsident zieht Bilanz für 2011 - Ausblick auf 2012

II.

Die folgenden Verfahren dürften im Jahr 2012 ein breites Interesse der Öffentlichkeit finden:

Sportwettenvermittlung

Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Vereinbarkeit des staatlichen Sportwettenmonopols mit dem Unionsrecht in Zweifel gezogen hat, muss die Frage beantwortet werden, ob in der Vergangenheit für den Bereich des Landes Rheinland-Pfalz die strengen Voraussetzungen erfüllt waren, an die der EuGH und ihm folgend das Bundesverwaltungsgericht die Zulässigkeit des nach landesrechtlichen Regelungen bisher bestehenden Sportwettenmonopols geknüpft hatten. In hierzu anhängigen Berufungsverfahren wenden sich Vermittler von Sportwetten, die bis zum Jahr 2010 tätig waren, gegen Verfügungen, mit denen die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) ihnen den Betrieb ihrer privaten Sportwettenvermittlungen untersagt hatte. Sie beabsichtigen auf der Grundlage der von ihnen angestrebten Entscheidungen Amtshaftungsansprüche gegen das Land Rheinland-Pfalz geltend zu machen (6 A 11163/11.OVG, 6 A 11384/11.OVG und 6 A 11385/11.OVG).  Quelle

Oberverwaltungsgericht NRW, (4 A 17/08) vom 29.09.2011
44 Die dadurch bewirkten Beschränkungen der Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit der Klägerin sind unter den gegebenen Umständen aber unverhältnismäßig. Eine Monopolregelung, die auf die Bekämpfung der Spielsucht und den Spielerschutz als zwingende Gründe des Allgemeininteresses gestützt wird, muss ebenso wie ihre Anwendung in der Praxis geeignet sein, die Verwirklichung ihrer Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt. Soweit dagegen die Behörden eines Mitgliedstaats die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen, können sich die Behörden dieses Staates nicht im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, auf die öffentliche Sozialordnung berufen, um Maßnahmen wie die in Rede stehenden zu rechtfertigen. Die Erzielung von Einnahmen zur Finanzierung sozialer Aktivitäten darf nur eine nützliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik sein.
45 Vgl. EuGH, Urteile vom 15. September 2011 - Rs. C-347/09 (Dickinger) -, Rn. 61ff., vom 8. September 2010 - Rs. C 46/08 (Carmen Media) -, Rn. 66, vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01 (Gambelli) -, Slg. I-2003, 13031, Rn. 69; BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 - 8 C 15.09 -, Rn. 76.
49 Die Monopolregelung ist schon wegen der Werbepraxis der Monopolträger nicht geeignet, die Verwirklichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele zu erreichen.
50 Um mit den Zielen des Spielerschutzes und der Verminderung der Gelegenheiten zum Spiel im Einklang zu stehen, darf eine nationale Regelung, mit der ein Monopol im Bereich der Glücksspiele geschaffen wird, nur eine Werbung erlauben, die maßvoll und strikt auf das begrenzt ist, was erforderlich ist, um die Verbraucher zu den genehmigten Spielnetzwerken zu lenken. Eine konsequent am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Spielsucht ausgerichtete Werbung darf nicht zum Wetten auffordern, anreizen oder ermuntern. Die Werbung muss sich auf die Information und Aufklärung über Art und Weise legaler Wettmöglichkeiten beschränken. Dem widersprechen alle Werbemaßnahmen, die von einem noch nicht zum Wetten entschlossenen durchschnittlichen Empfänger der Botschaft als Motivierung zum Wetten zu verstehen sind. Die Anziehungskraft des Wettspiels darf deshalb nicht durch zugkräftige Werbebotschaften erhöht werden, die bedeutende Gewinne in Aussicht stellen. Ausgeschlossen sind damit stimulierende Bezugnahmen auf herausragende Sportereignisse oder die Verknüpfung auch rein informativer Hinweise mit der Ankündigung von Sonderausschüttungen oder anderen höheren oder zusätzlichen Gewinnchancen. Auch eine Aufmachung, die etwa durch befristete Angebote Entscheidungsdruck suggeriert, ist nicht erlaubt. Unzulässig ist ferner jede Form der Image- oder Sympathiewerbung, die über den Hinweis auf die Legalität der Monopolangebote hinaus Sympathien für das Wetten selbst weckt. Der Monopolträger darf die Teilnahme an Wetten nicht als sozialadäquate Unterhaltung darstellen und dem Glücksspiel auch kein positives Image verleihen, indem er - über eine sachliche Information im Sinne einer Rechenschaftslegung ohne Bezug zu konkreten Spielmöglichkeiten hinausgehend - auf eine gemeinnützige Verwendung der erzielten Einnahmen hinweist und so das Wetten zum "Spenden durch Spielen" aufwertet. Gleichzeitige Hinweise auf das Wettrisiko und die Gefahren des Wettens können dazu kein ausreichendes Gegengewicht bilden, weil sie die moralische Aufwertung des Wettens zum positiv zu beurteilenden Verhalten unberührt lassen.
51 Vgl. EuGH, Urteile vom 15. September 2011 - Rs. C-347/09 (Dickinger) -, Rn. 68f., vom 30. Juni 2011 - Rs. C-212/08 (Zeturf Ltd./Premier ministre) -, und vom 8. September 2010 - Rs. C 316/07 u.a. (Stoß u.a.) -, Rn. 103ff.; BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -, juris Rn. 136; BVerwG, Urteile vom 24. November 2010 - 8 C 15.09 -, Rn. 46ff. und 77, und vom 1. Juni 2011 - 8 C 2.10 -, Rn. 33ff.
52 Diesen Anforderungen, die den Begriff der Werbung weit einschränken, wird zwar der normative Rahmen des § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV, § 4 Abs. 1 Nr. 2 GlüStV AG NRW - bei entsprechender unions- und verfassungskonformer Auslegung - gerecht, nicht aber die systematisch zum Wetten anreizende Werbepraxis der Monopolträger.
53 Dabei ist wegen der unionsrechtlichen Perspektive nicht allein entscheidend, ob in Nordrhein-Westfalen systematisch unzulässig geworben wird. Vielmehr ist die ganze Bundesrepublik und damit die Werbung auch der Monopolträger in den anderen Bundesländern in den Blick zu nehmen. Denn die interne Zuständigkeitsverteilung innerhalb eines Mitgliedstaats kann ihn nicht davon entbinden, seiner Verpflichtung zur Herstellung der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit nachzukommen.
54 Vgl. EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - Rs. C 46/08 (Carmen Media) -, Rn. 69, 71; für die bundesweite Betrachtung bei der Werbung auch OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 8. Juni 2011 - 1 B 31.08 -, juris, Rn. 11; vgl. in diesem Zusammenhang auch Pagenkopf, Glücksspielrechtliche Variationen, NVwZ 2011, 513, 516.
55 Ferner führt nicht nur eine unzulässige Werbung für staatliche Sportwetten zur Unionsrechtswidrigkeit des Sportwettenmonopols. Vielmehr ist ausgehend von den obigen Kohärenzmaßstäben die Werbepraxis der staatlichen Monopolträger insgesamt in den Blick zu nehmen, die neben den Oddset-Sportwetten weitere Produkte wie etwa Lotto "6 aus 49" anbieten.
56 Vgl. insbesondere EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - Rs. 316/07 u.a. (Stoß u.a.) -, Rn. 99.
57 Dies ist im Übrigen auch wegen der von den staatlichen Landeslotterieunternehmen verfolgten sogenannten Dachmarkenstrategie geboten, die die Vermarktung der Dachmarke Lotto in den Mittelpunkt der Werbeaktivitäten stellt und mit der Verwendung dieser Dachmarke letztlich für alle vom Deutschen Lotto- und Totoblock vertriebenen Produkte wirbt.
58 Die Werbeaktivitäten der staatlichen Glücksspielanbieter beschränken sich nach wie vor nicht auf die Information und Aufklärung, um Spiellust wirksam in rechtmäßige Bahnen zu lenken, sondern sind darauf gerichtet, auch bis dahin Unentschlossene zum Spiel anzuregen. Es liegen insoweit auch nicht nur vereinzelte Vollzugsmängel vor, sondern es besteht ein strukturelles Umsetzungsdefizit.
59 Das zeigt sich bereits in den aktuellen, für die Anbieter verbindlichen Werberichtlinien der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder (Stand 23. Mai 2011), die den vorstehend geschilderten Anforderungen nicht genügen. Danach wird unter 5.2.1.d. Imagewerbung unter Hinweis auf das Urteil des bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Dezember 2008 - VGH 10 BV 07.558 - allgemein für zulässig erachtet. Gerade dieses Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch wegen des zu weit gefassten Begriffs zulässiger Werbung - und damit wegen Verfehlung der verfassungs- und unionsrechtlichen Anforderungen - aufgehoben.
60 BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 - 8 C 15.09 -.


BVerwG (8 C 2.10) vom 1.6.2011

Rn. 34 Sie darf auf die Legalität und Seriosität des Monopolangebots hinweisen, aber nach ihrem Aussagegehalt nicht zum Wetten motivieren. Die zulässige Kanalisierung der Wettleidenschaft rechtfertigt nur, bereits zum Wetten Entschlossene zum Monopolangebot hin zu lenken, nicht jedoch, noch Unentschlossene zur Teilnahme an Wetten anzureizen oder zu ermuntern (Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 48).
Rn. 46 Das Ziel, die Spielsucht zu bekämpfen und den Spieltrieb von Verbrauchern in kontrollierte legale Bereiche zu lenken, kann nur dann in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, wenn der Monopolträger darauf verzichtet, die Wettbereitschaft zu fördern. Er darf dem Wetten kein positives Image verleihen, indem er auf eine gemeinnützige Verwendung der erzielten Einnahmen hinweist, und die Anziehungskraft des Wettspiels nicht durch zugkräftige Werbebotschaften erhöhen, die bedeutende Gewinne in Aussicht stellen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 103) oder sonst eine zum Wetten stimulierende Aussage treffen. Werbung, die über eine Information und Aufklärung bezüglich legaler Möglichkeiten zum Sportwetten hinausgeht und einzelne Sportereignisse mit der Möglichkeit zusätzlicher oder höherer Gewinne verknüpft, wirkt dieser Zielsetzung entgegen. Wie gezeigt (oben 3. b. bb.), wird das Berufungsurteil diesen Anforderungen nicht gerecht.
Rn. 53 a) Bei verfassungskonformer Auslegung des § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV, die keine anlassbezogene Werbung des Monopolträgers mit Hinweisen auf zusätzliche Gewinne und eine gemeinnützige Verwendung der Wetteinnahmen zulässt, kommt es darauf an, inwieweit eine danach unzulässige Werbung in Baden-Württemberg seit dem 1. Januar 2009 tatsächlich betrieben und von den Überwachungsbehörden nicht konsequent verfolgt und unterbunden wird. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - bislang keine Feststellungen getroffen.

EuGH
Der EuGH betont, dass die Mitgliedstaaten sich nicht auf das legitime Ziel der Suchtbekämpfung (als Teil der öffentlichen Sozialordnung) berufen können, wenn sie „die Verbraucher dazu anreizen und ermuntern, an Glücksspielen teilzunehmen, damit der Staatskasse Einnahmen zufließen“ (EuGHE 2003, 13031 [Gambelli], Rn. 69, 72). 

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH zählen die Einnahmeinteressen des Staates nicht zu den in den Art. 45 EG und 46 EG angeführten Gründen und bilden keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, der zur Rechtfertigung einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit oder des freien Dienstleistungsverkehrs durch ein Monopol angeführt werden kann. Zeturf (Rs C-212/08) Rn 52ff, Dickinger (Rs C-347/09) Rn 61.

Dazu hat der EuGH entschieden, dass die nationalen Gerichte bundesweit zu prüfen haben, ob die staatlichen Kontrollen über die Tätigkeit des Monopolinhabers gewährleisten können, dass dieser tatsächlich in der Lage ist, die geltend gemachten Ziele in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen. Dabei ist es vollkommen unerheblich, in welchem Bundesland Verstöße festgestellt werden, da diese durch den EuGH allen Partnern des Kartells (Deutscher Lotto- und Totoblocks - DLTB) angelastet werden. Auf die bundesdeutsche Zuständigkeitsverteilung zwischen Landes- und Bundesrecht kommt es hierbei nach dem Carmen-Media-Urteil des EuGH nicht an. (vgl. EuGH Rs.: C-347/09 Dickinger, Rn. 54, 57, 58, 61, in diesem Sinne Urteile vom 3. Juni 2010, Ladbrokes Betting & Gaming und Ladbrokes International, C-258/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 37, und Stoß u. a., Rn. 83; s.a. 1 BvR 2410/08 v. 20.03.09 Rn.14,24,29,46)

Die wissentliche und vorsätzliche Duldung von Rechtsverstößen der Monopolbetriebe durch die Aufsichtsbehörden stellen somit selbstständige Rechtsverstöße dar, weil auch staatliche Monopole wirksam von staatlicher Seite beaufsichtigt werden müssen!

Mit einer "unrichtigen Rechtsanwendung" und "Begünstigung" verstoßen die Aufsichtsbehörden somit selbst gegen höheres Recht. Bislang wurden von den Aufsichtsbehörden keine Verfahren gegen den Deutschen Lotto- und Totoblock  wegen des Verstoßes gegen den GlüStV eingeleitet. Andererseits zeigen aber zahlreiche Verurteilungen durch Zivilgerichte, dass offenkundig Verstöße von staatlichen Anbietern vorkommen. Dies lässt den Schluss zu, dass die Aufsichtsbehörden die Rechtsverstöße der staatlichen Monopolbetriebe dulden und damit wissentlich und vorsätzlich gegen unionsrechtliche Vorgaben verstoßen.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH sind die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann erfüllt, wenn die Beschränkungen die „Gelegenheiten zum Spiel wirklich vermindern“ (EuGHE 2003, 13031 [Gambelli], Rn. 67; EuGHE 2007, 1891 [Placanica], Rn. 53 m.w.N.; so auch Europäische Kommission, Aufforderungsschreiben vom 10. April 2006 zur Einleitung des Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2003/4350, S. 5 und vom 31.01.2008 zur Einleitung des Vertragsverletzungsverfahren Nr. 2007/4866, ZfWG 2/2008 S 32 ff. Anlage K 1 – K 7)

Das BVerfG, stellte in dem Verfahren (1 BvR 1054/01), fest, dass ein staatliches Monopol nur dann verhältnismäßig ist, wenn es rechtlich so ausgestaltet ist, dass es konkret der Suchtprävention dient.

Die Beweislast für eine Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit der durch das Glücksspielmonopol bedingten Freiheitsbeschränkungen liegt beim Mitgliedstaat, der detailliert nachweisen muss, dass Monopole erforderlich sind. Dabei haben die Gerichte genau die Prüfung einer Notwendigkeit für ein Monopol vorzunehmen, und der Staat hat "alle Umstände darzulegen, anhand deren sich das Gericht vergewissern kann, dass die Maßnahme tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen genügt." Demnach haben die Gerichte zu prüfen, ob für die Bekämpfung einer angeblichen Lottosucht die Einführung eines Monopols „tatsächlich“ erforderlich ist. (u.a. EuGH Rs. Zeturf  Rs C-212/08 Rn 47, 62, EuGH Rs Dickinger  C-347/09 Rn 50, Rn 54, 57, 58; vgl. OVG NRW Az. 4 A 17/08 UA S. 38)

Mit der sofortigen Vollziehung von Untersagungsbescheiden wird diese Verpflichtung unterlaufen, da dadurch der belastete Grundrechtsträger gezwungen wird, nachzuweisen, dass die Maßnahmen der Behörden rechtswidrig sind. Diese Verfahrensweise der erzwungenen Umkehr der Beweislast, widerspricht den verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen, nach denen grundsätzlich der Staat und somit die Behörden den Beweis für die Erforderlich-  und Verhältnismäßigkeit der Freiheitsbeschränkungen sowie der Grundrechtseinschränkung erbringen müssen.  Damit stellt die sofortige Vollziehung einen selbständigen Verstoß gegen EG-Recht dar! (s.a. EuGH, Zeturf  Rs C-212/08, Rs. C-42/02, Urt. v. 12.11.2003, Slg. 2003, I-13519, Rn 25, 26 – Lindman; Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 20 Abs. 3 GG,  Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 14 GG und Art. 6, Art. 7 EMRK sowie  Art. 47ff. GRCh)

Das Bundesverfassungsgericht (1 BvR 230/09) entschied am 25.2.2010:
Der EuGH als gesetzlicher Richter i. S. des Art. 101 I 1 GG wird entzogen, „wenn das nationale Gericht eine eigene Lösung entwickelt, die nicht auf die bestehende Rechtsprechung des EuGH zurückgeführt werden kann und auch nicht einer eindeutigen Rechtslage entspricht“. Selbstgestricktes Europarecht durch heimische Gerichte ist damit verfassungswidrig. Entsprechend darf das nationale Gericht nur selbst entscheiden, wenn die Beantwortung der europarechtlichen Frage „offenkundig“ ist. Davon darf es bei einer unvollständigen EuGH-Rechtsprechung nur dann ausgehen, wenn es überzeugt ist, dass dies auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH so ist. so Prof. Dr. Gregor Thüsing (NJW Editorial 26/2010)

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteile vom 15. Juli 1964 – Rs. 6/64 [Costa/E.N.E.L.], Slg. 1964, 1253 [1269 ff.], und vom 9. März 1987 – Rs. 106/77 [Simmenthal] –, EuGHE 1978, 629, Rn. 13 ff.) besteht aus Art. 10 EGV und dem als Strukturprinzip des Gemeinschaftsrechts entwickelten Grundsatz des „effet utile“ für nationale Gerichte die Pflicht, gemeinschaftsrechtswidriges nationales Recht von sich aus außer Anwendung zu lassen (vgl. zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch BVerfG, Urteile vom 09.06.1971, BVerfGE 31, 145-2 BvR 225/69 ; 8. April 1987 – 2 BvR 687/85 –, BVerfGE 75, 223 [244 f.] m.w.N., und vom 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 u.a. [Nachtbackverbot] –, BVerfGE 85, 191 [204]; VG Berlin, Urteile VG 35 A 108.07 und 35 A 15.08, so auch VG Freiburg, Urteil vom 16. April 2008 – 1 K 2683/07 –, zitiert nach juris, Rn. 27; Bay. VGH vom 03.04.2009/12.01.2012, BGH vom 14.2.2008) Quelle u.a.

Kollidiert eine nationale Vorschrift mit unmittelbar anwendbarem EU-Recht, verliert sie ihre Anwendbarkeit. Handelt es sich bei der dann nicht anwendbaren nationalen Norm um eine Rechtsgrundlage für den Erlass eines Verwaltungsakts, fehlt es diesem somit dementsprechend an einer dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes gerecht werdenden Rechtsgrundlage. Der Verwaltungsakt ist schon deshalb rechtswidrig. (VerwProzR_Rn_659-690-Prof. Dr. jur. Rolf Schmidt)

Fehlt es der Grundverfügung an einer wirksamen notwendigen Grundlage des Verwaltungszwangs durch Gemeinschaftsrechtswidrigkeit, so stellt sich der "Vollstreckungsexzess" als rechtswidrige und schuldhafte unerlaubte Handlung i.S.d. §§ 823 ff BGB dar. (vgl. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG, BvR 1682/07 Rn 14).

Das Bundesverfassungsgericht stellte am 1.12.2010 fest:
Rn 15  „Dazu gehöre, nicht durch Kostenbarrieren von der Verfolgung berechtigter Interessen und geschützter Positionen auf dem Rechtsweg abgehalten zu werden oder zu deren Durchsetzung aussichtslose und zugleich kostenträchtige Gerichtsverfahren führen zu müssen.“
Rn 18 1. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. zum effektiven Rechtsschutz im Zivilprozess: BVerfGE 85, 337 <345>; 88, 118; 97, 169 <185>; BVerfGK 6, 206 <209 f.>; vgl. zur Beeinträchtigung des effektiven Rechtsschutzes durch Verfahrenskosten: BVerfGE 11, 139 <143>; 50, 217 <231>; 54, 39 <41>; 85, 337 <347>; zu Ausschlussfristen: BVerfGK 4, 137 <141>) bereits entschieden.
Rn 24 Auch der Richter muss die Tragweite des Grundrechts auf einen effektiven Rechtsschutz beachten. Er hat das Verfahrensrecht so auszulegen und anzuwenden, dass er mit diesen Grundsätzen nicht in Widerspruch gerät (vgl. BVerfGE 88, 118 <125>). Diese Grundsätze kommen auch dann zur Anwendung, wenn sich aus der Auslegung und Anwendung einer materiellrechtlich wirkenden Ausschlussfrist Rückwirkungen auf die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen ergeben (BVerfGK 4, 137 <141>). Quelle