Ein Beitrag von Rechtsanwalt Rolf Karpenstein
In einem von den Rechtsanwälten T. Bartholmes und R. Karpenstein gemeinschaftlich geführten Staatshaftungsverfahren eines unionsrechtswidrig in seiner wettwirtschaftlichen Betätigung behinderten Wettvermittlers hat der Staatshaftungssenat beim Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 26.02.2015 (III ZR 333/13) die Revision gegen ein Urteil des OLG Hamm vom 14.06.2013 (berichtigt durch Beschluss vom 29.11.2013, Az. I 11 U 89/11) zugelassen.
Das OLG Hamm hatte die Staatshaftungsklage gegen eine Stadt und ihren Oberbürgermeister zunächst mit dem Ehrgeiz, den Staat von berechtigten Ansprüchen des Bürgers freizuhalten, anschließend mit der Begründung abgewiesen, die Stadt und ihr handelnder Oberbürgermeister hafteten nicht, weil sie vom Land angewiesen worden seien. Liege eine den Oberbürgermeister bindende Weisung eines Beamten des Landes vor, hafte nur das Land, weil – so das OLG Hamm – mit der Weisung „ein Teil der Zuständigkeit und der Amtspflichten auf die anweisende Behörde übergeht und es damit zugleich bei der nach außen handelnden (angewiesenen) Behörde an einer objektiv amtspflichtwidrigen Handlung fehlt.“ Kurz gesagt: Nur der „Anstifter“, nicht der „Angestiftete“ haftet. Eine traditionelle Art deutscher Gerichte, berechtigte Ansprüche des Bürgers reflexartig abzuwehren. Nunmehr muss sich der BGH grundlegend mit dieser Tradition befassen.
In der Nichtzulassungsbeschwerde wurde – wie schon vor dem OLG Hamm – u.a. geltend gemacht, dass diese Haftungsverlagerung in der Form eines Verschiebebahnhofs zum einen mit der eindeutigen Gesetzeslage nach dem OBG, zum anderen mit dem Grundsatz unvereinbar ist, dass auch ein angestifteter Oberbürgermeister die höherrangige Verbotsnorm des Art. 56 AEUV beachten muss, und zwar auch dann, wenn diese Verbotsnorm mit der Weisung seines Vorgesetzten kollidiert. Für die Erinnerungen weckende These, die Weisung des Vorgesetzten führe dazu, dass der handelnde Amtswalter nicht amtspflichtwidrig agiere, ist im modernen Unionsrecht kein Raum. Die Beachtung des Unionsrechts ist, das drängte sich im 21. Jahrhundert auch dem OLG Hamm auf, eine Amtspflicht, sowohl für einen Oberbürgermeister als auch für ein Oberlandesgericht – Weisung hin, Weisung her.
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weitere Informationen:
Europäisches Wettbewerbs- und Kartellrecht
Gemäß Artikel 106 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (ex-Artikel 86 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) unterliegen öffentliche Unternehmen denselben Wettbewerbsregeln wie Privatunternehmen. Gemäß Artikel 345 AEUV (ex-Artikel 295 EGV) lässt der Vertrag die Eigentumsordnung in den EU-Ländern unberührt. Es darf also bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln keine unbegründete Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen getroffen werden.
Transparenzvorschriften der Union
Richtlinie 2006/111/EG der Kommission vom 16. November 2006
Finanzielle Transparenz zwischen den EU-Ländern, den öffentlichen Unternehmen und anderen Unternehmen
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Richtlinie über Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Kartellrecht verabschiedet
Die Richtlinie wird dazu beitragen, dass Bürger und Unternehmen Schadensersatz verlangen können, wenn sie Opfer eines Kartellverstoßes (z. B. Kartell oder Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) sind.
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Der EuGH gibt zur Schadenersatzpflicht und zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vor:
„Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nach ständiger Rechtsprechung ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist und auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden ist, und dass die Gerichte der Mitgliedstaaten insoweit in Anwendung des in Art. 10 EG niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit den Schutz der Rechte zu gewährleisten haben, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen (Urteil vom 13. März 2007, Unibet, C-432/05, Slg. 2007, I-2271, Randnrn. 37 und 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).“Schadenersatzpflicht nach Unionsrecht
(Urteil (C-409/06) vom 8. September 2010; Rn 58)
............Eine Rechtsvorschrift, die einen Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern – sei es auch nur vorübergehend – vom Markt zulässt, könnte nur dann als angemessen betrachtet werden, wenn ein wirksames gerichtliches Verfahren und, falls sich der Ausschluss später als ungerechtfertigt erweisen sollte, Ersatz für den entstandenen Schaden vorgesehen sind. (EuGH: Urteil Rs. C-72/10 und C 77/10 Costa u.a.; Rn 81)Rechtsprechung zur Staatshaftung nach Unionsrecht
Wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes
Zum Grundsatz der Staatshaftung aus dem EuGH-Urteil v. 30.09.2003, Rs. C-224/01 - Köbler / Österreich
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass der Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, aus dem Wesen des EG-Vertrags folgt.
Der Gerichtshof argumentiert, dass sich bei Verstoß gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung die Haftung des Staates auf alle seine Organe erstrecke und dies erst recht für die Gemeinschaftsrechtsordnung gelten müsse, da diese für alle staatlichen Instanzen einschließlich der Legislative bindend und das Gemeinschaftsrecht dazu da sei, die Situation des Einzelnen unmittelbar zu regeln (37). Er verweist auf die besondere Verantwortung, die letztinstanzlichen Gerichten beim Schutz der Interessen der Einzelnen zukomme, und beruft sich dabei insbesondere auf Artikel 234 Absatz 3 EG-Vertrag (38).
Der Gerichtshof hat deshalb für Recht erkannt, dass eine Haftung der Mitgliedstaaten auch dann möglich ist, wenn der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht in einer Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts
begründet ist.
Zu den Haftungsvoraussetzungen erklärte der Gerichtshof mit Blick auf die besondere Funktion der Judikative, dass „der Staat für eine solche gemeinschaftsrechtswidrige Entscheidung nur in dem Ausnahmefall [haftet], dass das Gericht offenkundig gegen das geltende Recht verstoßen hat“ (39).
Den im Urteil Brasserie du Pêcheur und Factortame genannten Kriterien für die Feststellung eines offenkundigen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht fügt der Gerichtshof ein weiteres Kriterium hinzu, nämlich die Verletzung der Vorlagepflicht nach Artikel 234 Absatz 3 EG-Vertrag durch das fragliche Gericht (40). weiterlesen
Das Primärrecht gilt in allen Mitgliedstaaten unmittelbar und genießt gegenüber dem nationalen Recht Anwendungsvorrang, d.h. in unionsrechtlich geregelten Bereichen werden nationale Regelungen (einschließlich Strafbestimmungen) verdrängt. Steht eine Norm des mitgliedstaatlichen Rechts im Widerspruch zu einer Norm des Unionsrechts, so darf die mitgliedstaatliche Behörde/Gericht die mitgliedstaatliche Norm nicht anwenden.
Der Fall muß anhand der unionsrechtlichen Regelung entschieden werden.
Rechtsprechung des BVerfGE zum Anwendungsvorrang
vgl. BVerfGE 75, 223 - Kloppenburg-Beschluß - 2 BvR 687/85, Rn. 61
vgl. BVerfGE 75, 223 - Kloppenburg-Beschluß - 2 BvR 687/85, Rn. 61
Eine Anwendung von gegen das verfassungsrechtlich verankerte Unionsrecht verstoßenden Gesetze und / oder Verordnungen kommt gemäß Art. 1 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 1. Abs. 2 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 97 Abs. 1 GG weder für die vollziehende Gewalt noch die Gerichte in Frage.
Eine anderslautende Rechtsprechung erfüllt den Tatbestand der Rechtsbeugung gemäß § 339 StGB.
EuGH - Rechtsprechung zum Anwendungsvorrang
Mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen ist nämlich jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis unvereinbar, die dadurch zu einer Schwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führt, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden (EuGH Rs. Fransson, C-617/10, Randnr. 45, 46, Urteil Melki und Abdeli, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
EuGH - Rechtsprechung zum Anwendungsvorrang
Mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen ist nämlich jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis unvereinbar, die dadurch zu einer Schwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führt, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden (EuGH Rs. Fransson, C-617/10, Randnr. 45, 46, Urteil Melki und Abdeli, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach Art. 4 Abs, 3 S. 3 EUV sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, das Unionsrecht, inbegriffen die Grundfreiheiten, zu wahren. Um die einheitliche und volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu sichern, sind unionsrechtswidrige mitgliedstaatliche Regelungen nicht nur unmittelbar zu beseitigen, sondern dürfen aufgrund des Anwendungsvorrangs auch nicht weiter angewendet werden.
(vgl. EuGH, Rs. C-409/06, Winner Wetten, Slg. 2010, I-8015, Rn. 53-69)
Demnach müssen die nationalen Behörden und Gerichte die Vorschriften, die mit dem Unionsrecht unvereinbar sind, unangewandt lassen.
Rechtsprechung des BFH zum Anwendungsvorrang
Es ist alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften "auszuschalten", die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden (EuGH-Urteil vom 26. Februar 2013 C-617/10, Fransson, Neue Juristische Wochenschrift 2013, 1415, Rdnr. 45 f). (BFH Urteil vom 24.10.2013, V R 17/13)
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Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Charta
3. Nach Art. 15 Abs. 2 der Charta haben alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger die Freiheit, in jedem Mitgliedstaat Arbeit zu suchen, zu arbeiten, sich niederzulassen oder Dienstleistungen zu erbringen. Nach Art. 16 wird die unternehmerische Freiheit nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt. Art. 17 garantiert das Recht, rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben; das Eigentum darf nur entzogen werden, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt, in einem Gesetz vorgesehen ist und eine angemessene Entschädigung geleistet wird. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.
4. Gemäß Art. 47 muss jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht haben, bei einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Art. 50 bestimmt, dass niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf.
5. Nach Art. 51 Abs. 1 gilt die Charta für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
6. Art. 56 AEUV verbietet Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind.
7. Solche Beschränkungen können zugelassen werden, wenn insoweit eine ausdrückliche Ausnahme nach Art. 52 Abs. 1 AEUV gilt, der aufgrund von Art. 62 AEUV auf die Erbringung von Dienstleistungen Anwendung findet.
Quelle: Schlussanträge zur Rs. Pfleger (C-390/12)
Quelle: Schlussanträge zur Rs. Pfleger (C-390/12)
Zur Anwendbarkeit der Charta führt der EuGH in der Rs. Pfleger aus
Erweist sich eine nationale Regelung als geeignet, die Ausübung einer oder mehrerer durch den Vertrag garantierter Grundfreiheiten zu beschränken, können nach dieser Rechtsprechung die im Unionsrecht vorgesehenen Ausnahmen somit für die betreffende Regelung nur insoweit als Rechtfertigung dieser Beschränkung gelten, als den Grundrechten, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat, Genüge getan wird. Diese Verpflichtung zur Beachtung der Grundrechte fällt offensichtlich in den Geltungsbereich des Unionsrechts und folglich der Charta. Nimmt ein Mitgliedstaat im Unionsrecht vorgesehene Ausnahmen in Anspruch, um eine Beschränkung einer durch den Vertrag garantierten Grundfreiheit zu rechtfertigen, muss dies daher, wie die Generalanwältin in Nr. 46 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, als „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta angesehen werden.
Rs. Pfleger (C-390/12) Rn 36
Schlussanträge Rs Pfleger (C-390/12)
Rn 46 Es ist daher davon auszugehen, dass ein Mitgliedstaat „bei der Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 handelt, wenn er eine Ausnahme von einer Grundfreiheit einführt. Folglich findet die Charta Anwendung. Da die in den Ausgangsverfahren hier in Rede stehende nationale Maßnahme in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt und mit ihr deshalb das Recht der Union „durchgeführt“ wird, ist sie im Licht der Charta auszulegen.
Rn 44 Der Gerichtshof hat bereits ausgeführt, dass die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehörten, deren Wahrung er zu sichern habe, und dass keine Maßnahmen als rechtens anerkannt werden könnten, die mit diesen Grundrechten unvereinbar seien(14). Falle eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, habe der Gerichtshof, wenn er im Vorabentscheidungsverfahren angerufen werde, dem vorlegenden Gericht alle Auslegungskriterien an die Hand zu geben, die es benötige, um die Vereinbarkeit dieser Regelung mit den Grundrechten beurteilen zu können, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe(15). Insbesondere wenn ein Mitgliedstaat sich auf Art. 66 EWG-Vertrag in Verbindung mit Art. 56 EWG-Vertrag (jetzt Art. 62 AEUV in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 AEUV) berufe, um eine nationale Regelung zu rechtfertigen, die geeignet sei, die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu behindern, sei diese Rechtfertigung im Licht der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen.
Nur wenn die nationale Regelung im Einklang mit den Grundrechten stehe, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern habe und zu denen auch das in Art. 10 EMRK verbürgte Recht gehöre, könne sie als Ausnahme von der Dienstleistungsfreiheit zugelassen werden.
Rn 45 Dem Urteil ERT lässt sich somit entnehmen, dass eine Maßnahme, die ein Mitgliedstaat als Ausnahme von einer durch den AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheit erlässt, in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Die Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen eine Ausnahme von der unionsrechtlich verbürgten Grundfreiheit vorzusehen, ist den Mitgliedstaaten vorbehalten und im Unionsrecht auch anerkannt; die Ausübung dieser Befugnis unterliegt jedoch den unionsrechtlichen Voraussetzungen. Prüft ein Gericht – sei es ein nationales Gericht oder der Gerichtshof –, ob für eine die Ausübung der Grundfreiheit behindernde nationale Regelung eine im Vertrag vorgesehene Ausnahme gilt (und die Regelung daher zulässig ist), wird diese Prüfung anhand des Unionsrechts und der daraus hergeleiteten Kriterien durchgeführt und nicht nach nationalem Recht und seinen Maßstäben. So ergeben sich z. B. sowohl die Auslegungsregel, dass solche Ausnahmen eng auszulegen sind, als auch die Voraussetzung, dass eine prima facie zulässige Ausnahme verhältnismäßig sein muss, aus dem Unionsrecht selbst. Da eine nationale Ausnahmeregelung nur dann zulässig ist, wenn die entsprechenden unionsrechtlichen Kriterien erfüllt sind (andernfalls hat die im Vertrag verankerte Freiheit Vorrang), fällt folglich die Ausnahmeregelung selbst in den Geltungsbereich des Unionsrechts. Meiner Meinung nach ist dies die notwendige Konsequenz sowohl der bekannten Systematik des Vertrags (geschütztes Recht, Ausnahme von diesem Recht in begrenzten Fällen) als auch der Aufnahme des Urteils ERT in die Erläuterung zu Art. 51 der Charta.
Eine Verbotsverfügung ist als unverhältnismäßig anzusehen, wenn diese über das hinausgeht, was zur Bekämpfung einer möglichen Spielsucht erforderlich ist.
(vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Gambelli u. a., C-243/01, Slg. 2003, I-13031, Randnr. 74, vom 6. März 2007, Placanica u. a., C-338/04, C-359/04 und C-360/04, Slg. 2007, I-1891, Randnr. 62, und Kommission/Spanien, Randnr. 39). s.a.: Urteil des Gerichtshofs Rs. C-64/08 - Strafverfahren gg. Ernst Engelmann und Placanica u. a. (C-338/04, C-359/04 und C-360/04), siehe auch Pressemitteilung Nr. 20/2007 (ganz unten)
Staatliches Handeln genügt, wenn es subjektive Rechte der Bürger beeinträchtigt, nur dann dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn es geeignet, erforderlich und im Einzelfall angemessen ist, um den verfolgten öffentlichen Zwecken zum Erfolg zu verhelfen. Zweck und Mittel müssen in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen (BVerfGE 65,1 [54]; 76,.1 [51]; 92, 262 [273]).
Nationale Regelungen, die die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (Art. 43 und 49 EG) beschränken, sind nur unter vier Voraussetzungen zulässig:
- Sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden,
- sie müssten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen,
- sie müssen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein und
- sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Das BVerwG bestätigte diese Vorgaben am 01.06.2011 (Az: 8 C 2.10)
Rn. 40 Der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV und der Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten an private Wettanbieter - auch - in anderen Mitgliedstaaten stellen eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung dieser Freiheit dar. Derartige staatliche Maßnahmen müssen vier Voraussetzungen erfüllen, um mit Unionsrecht in Einklang zu stehen: Sie müssen mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar, nach Art. 62 i.V.m. Art. 51 AEUV (Ausübung öffentlicher Gewalt), Art. 52 AEUV (öffentliche Ordnung; Sicherheit; Gesundheit) oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten; ferner dürfen sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.
Rn 45 Zum anderen darf die in Rede stehende Regelung nicht durch die Politik in anderen Glücksspielsektoren konterkariert werden.
Rn. 46 Das Ziel, die Spielsucht zu bekämpfen und den Spieltrieb von Verbrauchern in kontrollierte legale Bereiche zu lenken, kann nur dann in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, wenn der Monopolträger darauf verzichtet, die Wettbereitschaft zu fördern.
Der Gleichheitssatz, das Verbot einer Widersprüchlichkeit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit gelten als immanente Bestandteile eines jeden Rechts.
Auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaften ist der Gleichheitssatz in den Art. 18 Absatz 1 und Art. 157 des AEU-Vertrags verankert. Zudem enthält Titel III der EU-Grundrechtecharta („Gleichheit“) mehrere Artikel (insbesondere Art. 20) zur Gewährleistung des Gleichheitssatzes.
Der Träger eines öffentlichen Amtes ist wegen seiner besonderen Macht- und Vertrauensstellung zur unparteiischen Wahrnehmung der ihm übertragenen hoheitlichen und öffentlich-rechtlichen Aufgaben verpflichtet. Ihm obliegt eine besondere Sorgfalts- und Neutralitätspflicht. Entsprechend dieser regelmäßigen beruflichen Aufgabe von Amtsträgern im Sinne der öffentlichen und rechtlichen Ordnung ergibt sich eine besondere Gefährdung für Handlungen, die im rechtlichen Sinn in einem weiten Spektrum von der Fahrlässigkeit bis zur Selbstjustiz liegen können.
Neben der Dienstleistungsfreiheit und der - selbstverständlichen - Beachtung der Standards der EU-Grundrechte-Charta (insbesondere Art. 1 bis 4, 47 bis 50) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (insbesondere Art. 1 bis 3, 6 und 7) wird darauf zu achten sein, dass die allgemeine Handlungsfreiheit der EU-Bürger nicht durch eine einseitig an der Durchsetzung der (wirtschaftlichen) Grundfreiheiten ausgerichtete Gesetzgebung unangemessen eingeschränkt wird.
EU-Justizpolitik nach dem Vertrag von Lissabon, S.6
EuGH: Stigmatisierung der Betroffenen gibt Rechtsschutzinteresse
Die Unionsrichter bestätigten mit Urteil vom 28.5.2013 (Rs. C-239/12 P) ihre ständige Rechtsprechung und das Rechtsschutzinteresse des Bürgers an der richterlichen Bestätigung der Rechtswidrigkeit behördlichen Handelns weiterlesen
Bereits im September 2008 hat der EuGH in seinem Urteil Kadi (v. 03.09.2008, Az. C-402/05) festgestellt, dass Rat und Kommission bei der Erstellung der EU-Terrorlisten die Entscheidungen des Sanktionskomitees nicht einfach übernehmen dürfen, sondern auch an die Unionsgrundrechte gebunden sind.
Das bedeutet vor allem, dass rechtliches Gehör gewährt werden muss. Quelle
Richtlinienkonforme Auslegung:
Im Zuge einer immer stärker werdenden Europäisierung des Rechts basieren viele Rechtsvorschriften auf einer EU-Richtlinie bzw. EU-Verordnung. Die nationalen Gerichte sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH aufgrund des Umsetzungsgebots gemäß Art. 288 AEUV verpflichtet, zur Durchführung einer EU-Richtlinie erlassene Gesetze unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihnen das nationale Recht einräumt, im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen
(BGH 09.04.2002 - XI ZR 91/99).
s.a.:
LG Kleve: Entschädigung für ordnungsbehördliche Wettbüroschließung weiterlesen
OLG Koblenz: Ordnungsbehörde rechtskräftig zu Entschädigungszahlung an Wettvermittler verurteilt
weiterlesen
Bedeutsam dürfte die Entscheidung des OVG (Az.: 6 A 11163/11) auch im Hinblick auf die Aussagen zur Staatshaftung sein. Das Oberverwaltungsgericht hat nochmals ausdrücklich festgestellt, dass ein Rechtsschutzinteresse des Klägers wegen der Möglichkeit von Staatshaftungsansprüchen gegeben ist. Trotz einiger in diesem Bereich inzwischen von Landgerichten getroffener negativer Entscheidungen beharrt das Oberverwaltungsgericht also weiter darauf, dass von "offensichtlicher Aussichtslosigkeit", insbesondere für Ersatzansprüche, die auf verschuldensunabhängiger Haftung gem. § 68 Abs. 1 Satz 2 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes basieren, nicht gesprochen werden kann. weiterlesen
1) EuGH: Der Staat muss detailliert nachweisen, dass Monopole erforderlich sind und diese streng überwachen. (C-347/09 Dickinger/Ömer Rn 57, C-212/08 Zeturf Rn 47, 48, 54, Stoß u. a., Rn. 71, 83; Ladbrokes)
2) Zeturf, C-212/08, Rn 58. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, muss eine so restriktive Maßnahme wie die Schaffung eines Monopols mit der Errichtung eines normativen Rahmens einhergehen, mit dem sich gewährleisten lässt, dass der Inhaber des Monopols tatsächlich in der Lage sein wird, das festgelegte Ziel mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieses Ziels quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist und einer strikten behördlichen Kontrolle unterliegt, in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen (Urteil Stoß u. a., Randnr. 83).
Dass die staatlichen Glücksspielanbieter nicht wirksam kontrolliert, und die Rechtsverstöße durch die Aufsichtsbehörden nicht geahndet werden, ist kein Geheimnis. Insofern begünstigen die Aufsichtsbehörden die staatlichen Monopolbetriebe und verstoßen damit selbst gegen höheres Recht.
Aus den Urteilen des EuGH vom 8.9.2010, mehreren Urteilen des BGH, und den Urteilen des BVerwG vom 24.11.2010 und dem Sportwetten-Urteil vom 28.03.2006 des BVerfG geht hervor, dass die staatliche Praxis seit langem auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, die legitimen Ziele nur vorgeschoben werden, und die fiskalischen Gründe im Vordergrund stehen. (vgl. Fischer, 57. Aufl. § 284 Rn 2a).
Der Staat weitet seine Spielangebote weiter aus, auch im Internet, und subventioniert seine Spielbanken. Mit der Ausweitung des Glücksspielangebotes wird die Notwendigkeit eines Monopols/Oligopols konterkariert! (vgl. EuGH-Entscheidungen u.a. C-212/08 Zeturf, Rn 54, 59, 66; C-347/09 Dickinger/Ömer Rn 62, 67)
Bereits das VG Berlin (VG 35 L 395.10) hat ab Seite Seite 9 eine unvollständige Auflistung der Vergehen der staatlichen Lottogesellschaften vorgenommen. BVerwG: Die Werbepraxis deutet darauf hin, dass das Monopol tatsächlich nicht der Suchtbekämpfung, sondern anderen, insbesondere fiskalischen Zwecken diente.“ Urteil vom 20. Juni 2013 (8 C 10.12)
Was die Glücksspielwerbung betrifft, so wies die Generalanwältin darauf hin, dass Werbung, die zum Spiel anrege, mit dem Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus - womit das staatliche Glücksspielmonopol begründet ist - offenkundig unvereinbar sei. Derartige Werbung würde nicht auf einen bestimmten Anbieter, sondern auf das Wachstum des gesamten Marktes abzielen und sei somit als expansionistische Geschäftspolitik zu verstehen. Schlussanträge in der Rs. C-390/12 (Robert Pfleger)
Die Aufsichtsbehörden, die entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 28.03.2006, Rn 151 f. – zit. nach juris) neutral und ”mit ausreichend Distanz zu den fiskalischen Interessen des Staates” eingerichtet werden sollten, gibt es demnach faktisch nicht.
Es wird daher zu prüfen sein, ob durch das Unterlassen der Verfolgung von Rechtsverstößen der Monopolbetriebe, neben der Amtspflichtverletzung, u.a. eine Straftat im Amt (Begünstigung) vorliegen könnte, und gegen § 24 Verwaltungsverfahrensgesetz, gegen § 839 BGB (Haftung für die Amtspflichtverletzung i. V. m. Art. 34 GG) sowie gegen das Gemeinschafts- und Beamtenrecht insbesondere gegen das Europäische Wettbewerbs- und Kartellrecht verstoßen wird.
Im Art. 3 Abs. 1 des Bonner Grundgesetzes steht:
”Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.”
Und in der Grundrechtecharta der Europäischen Union vom 01.12.2009 heißt es im Art. 20 verbindlich: ”Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich.”
Etwas ausführlicher noch klingt es im Art. 7 UN – Resolution 217 a vom 10.12.1948, dort heißt es bis heute ebenfalls verbindlich: ”Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung.”
Die Schadenersatzpflicht gebietet, die Wiederherstellung eines früheren realen Zustandes. S. 31 (4.)
Quelle: Die Bestimmtheit und Offenheit der Rechtssprache: Vortrag gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 29. April 1987 von Prof. Dr. Paul Kirchhof
Stadt Oberhausen will Rechtssicherheit bei Spielhallen
Die Stadt konnte über die Vergnügungssteuer davon profitieren und 2013 stolze 4,7 Millionen Euro einnehmen.
Durch neue Bestimmungen im Glücksspielstaatsvertrag ist die Verwaltung jedoch gezwungen, Konzessionen einzuziehen und das Glücksspiel in der Stadt einzudämmen.
”Wir wollen zunächst eine Rechtssicherheit haben und warten darum auf Antworten aus dem nordrhein-westfälischen Innenministerium”, so Stadtsprecher Rainer SuhrWeiter zum vollständigen Artikel ...
Suchtgefahren im Verhältnis zum Rauchen oder Autofahren:
zwischen 100.000 und 200.000 Tote durch rauchen
250.000 Infektionen im Krankenhaus
60.000 Tote durch Behandlungsfehler im Krankenhaus
3.000 Tote im Straßenverkehr
4.000 Tote im Haushalt
s. Unfallstatistik