Recht bekommen hat Tipp24 bei der Klage gegen Lotto Bremen, weil das bremische Glücksspielgesetz nicht bei der EU-Kommission notifiziert wurde. Gestützt hat sich das Landgericht Bremen dabei auf ein Urteil des Bundesgerichtshof. Dieser hatte im Jahr 2011 darauf hingewiesen, dass landesgesetzliche Verschärfungen des Glücksspielstaatsvertrags ohne vorheriges EU-Notifizierungsverfahren nicht wirksam umgesetzt werden können.
Außer in Schleswig-Holstein und nun Bremen führen in allen Bundesländern Ausführungsgesetze die Vorschriften des ausgelaufenen Glücksspielstaatsvertrages bis zu einer Neuregelung fort. Da keines dieser Gesetzte notifiziert wurde geht Tipp24 SE (WKN: 784714) nun davon aus, dass sie allesamt europarechtswidrig und damit weitgehend unanwendbar sind. (vue) Quelle
LG Bremen: Internetvermittlung von Lotto bundesweit nicht verboten
Ein Artikel der Rechtsanwälte Dr. Tobias Masing und Dr. Gero Ziegenhorn
Das Landgericht Bremen hat in einem von der Sozietät Redeker Sellner Dahs geführten Rechtsstreit mit Urteil vom 10. Mai 2012 (Az: 9 O 476/12) das Internetverbot des Glücksspielstaatsvertrages für unionsrechtswidrig und unanwendbar erklärt. Es hob hiermit eine einstweilige Verfügung auf, mit der den Verfügungsbeklagten die Vermittlung von Lotto in Bremen verboten worden war. Zur Begründung führt das Landgericht aus:
"Die Verfügungsbeklagte zu 1) hat nicht gegen eine gesetzliche Bestimmung verstoßen, die das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele untersagt. Zwar soll ein solches bis zum 31.12.2011 aus § 4 Abs. 4 GlüStV folgendes Verbot gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 BremGlüStVG als bremisches Landesgesetz fortgelten. Diese Vorschrift kann jedoch nicht angewandt werden, weil das Land Bremen seiner europarechtlichen Notifizierungspflicht nicht nachgekommen ist.
[…] Zwar ist der Glücksspielstaatsvertrag der Kommission am 21. Dezember 2006 notifiziert worden (vgl. BGH a.a.O. Rdnr. 43). Auch die in § 1 BremGlüStVG enthaltene Zustimmung des Landes Bremen zum Glücksspielstaatsvertrag stellt keinen über diesen Vertrag hinausgehenden notifizierungspflichtigen Inhalt dar (BGH a.a.O).
Dies gilt allerdings nicht für § 2 Abs. 3 Satz 1 BremGlüStVG. Diese Vorschrift war nach Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 3 der Informationsrichtlinie notifizierungspflichtig. Danach wird eine erneute Notifizierungspflicht ausgelöst, wenn wesentliche Änderungen vorgenommen werden, die den Anwendungsbereich ändern, den ursprünglichen Zeitpunkt für die Anwendung vorverlegen oder Spezifikationen oder Vorschriften hinzufügen oder verschärfen.
Dies ist hier der Fall, denn § 2 Abs. 3 Satz 1 BremGlüStVG ändert den Anwendungsbereich im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 3 der Informationsrichtlinie.
Mit der im bremischen Landesgesetz angeordneten Fortgeltung über den 31.12.2011 hinaus wird die ursprünglich in § 28 Abs. 1 Satz 1 GlüStV vorgesehene zeitliche Befristung auf den 31.12.2011 geändert, indem eine Fortgeltung über diesen Tag hinaus vorgesehen wird.
Da eine damit gesondert erforderlich gewesene Notifizierung des BremGlüStVG unstreitig unterblieben ist, kann die Vorschrift nicht angewandt werden."
Diese Aussagen lassen sich auf ganz Deutschland erstrecken. Die Rechtslage ist – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins – in allen Ländern identisch. Dort gelten vergleichbare gesetzliche Fortgeltungsanordnungen. Keine hiervon ist bislang notifiziert worden. Dementsprechend ist die Vermittlung und Veranstaltung von Glücksspielen im Internet bundesweit nicht mehr verboten.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Kontakt:
Redeker Sellner Dahs
Rechtsanwälte · Partnerschaftsgesellschaft
Rechtsanwalt Dr. Gero Ziegenhorn
Leipziger Platz 3
10117 Berlin
vgl. BGH I ZR 30/10 vom 28. September 2011, Rdnr. 43 ff
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bb) Der Glücksspielstaatsvertrag ist der Kommission am 21. Dezember 2006 notifiziert worden (vgl. Verwaltungsschreiben der Kommission vom 14. Mai 2007, abgedruckt als Anlage 1 c zum Entwurf des Gesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zum Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland, Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucks. 14/4849). Gemäß Art. 9 Abs. 2 der Informationsrichtlinie durfte Deutschland das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV dann jedenfalls ab 21. Juni 2007 in Kraft setzen, also im Land Bremen auch durch ein ab 1. Januar 2008 wirksames Ausführungsgesetz. Soweit § 1 BremGlüG die Zustimmung des Bundeslands Bremen zum Glücksspielstaatsvertrag enthält, folgt daraus kein über diesen Vertrag hinausgehender notifizierungspflichtiger Inhalt des Ausführungsgesetzes.
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cc) Zwar können Verschärfungen des Entwurfs einer technischen Vorschrift nach Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 3 der Informationsrichtlinie eine erneute Notifizierungspflicht auslösen. Das bremische Ausführungsgesetz zum Glücksspielstaatsvertrag enthält aber keine Verschärfung des ohnehin bereits umfassenden und von den Marktteilnehmern zu beachtenden Internetverbots gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV. Insbesondere ist weder der Bestimmung über Sportwetten in § 16 noch dem Ordnungswidrigkeitenkatalog in § 22 BremGlüG eine solche Verschärfung zu entnehmen.
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Es kann dahinstehen, ob für die Ausführungsgesetze der Länder zum Glücksspielstaatsvertrag unter anderen Gesichtspunkten eine gesonderte Notifizierungspflicht bestand.
vgl. BGH I ZR 92/09 vom 28. September 2011 Rdnr. 35 ff
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aa) Gemäß Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (nachfolgend: Informationsrichtlinie) haben die Mitgliedstaaten jeden Entwurf einer technischen Vorschrift unverzüglich der Europäischen Kommission zu übermitteln.
Zweck der Notifizierung ist es, durch eine vorbeugende Kontrolle der Kommission den freien Warenverkehr im Binnenmarkt zu schützen (vgl. EuGH, Urteil vom 30. April 1996 - C-194/94, Slg. 1996, I-2201 = EuZW 1996, 379 Rn. 40 f., 51 - CIA Security International/Signalson; Erwägungsgründe 4 und 7 der Informationsrichtlinie). Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht führt zur Unanwendbarkeit der betreffenden technischen Vorschriften, so dass sie Einzelnen nicht entgegengehalten werden können (EuGH aaO Rn. 54).
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bb) Der Glücksspielstaatsvertrag ist der Kommission am 21. Dezember 2006 notifiziert worden (vgl. Verwaltungsschreiben der Kommission vom 14. Mai 2007, abgedruckt als Anlage 1 c zum Entwurf des Gesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zum Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland, Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucks. 14/4849). Gemäß Art. 9 Abs. 2 der Informationsrichtlinie durfte Deutschland das Internetverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV dann jedenfalls ab 21. Juni 2007 in Kraft setzen, also im Land Hessen auch durch ein ab 1. Januar 2008 geltendes Ausführungsgesetz. Soweit § 1 HessGlüSpG die Zustimmung des Bundeslands Hessen zum Glücksspielstaatsvertrag enthält, folgt daraus kein über diesen Vertrag hinausgehender notifizierungspflichtiger Inhalt des Ausführungsgesetzes.
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cc) Zwar können Verschärfungen des Entwurfs einer technischen Vorschrift nach Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 3 der Informationsrichtlinie eine erneute Notifizierungspflicht auslösen. Das Hessische Glücksspielgesetz enthält aber keine Verschärfung des ohnehin bereits umfassenden und von den Marktteilnehmern zu beachtenden Internetverbots gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV. Insbesondere ist weder den Erlaubnisvoraussetzungen des § 9 noch dem Ordnungswidrigkeitenkatalog des § 17 HessGlüSpG eine solche Verschärfung zu entnehmen.
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Es kann dahinstehen, ob für die Ausführungsgesetze der Länder zum Glücksspielstaatsvertrag unter anderen Gesichtspunkten eine gesonderte Notifizierungspflicht bestand.
vgl. BGH I ZR 165/07 vom 18. November 2010, Rdnr. 43
"Diese Feststellungen waren auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen keine Gesetzgebungskompetenz für alle Glücksspielarten hat. Die interne Zuständigkeitsverteilung innerhalb eines Mitgliedstaats kann ihn nicht davon entbinden, seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Vielmehr haben Bund und Länder gemeinsam ihre Pflichten zu erfüllen (vgl. EuGH, RiW 2010, 719 Rn. 69 f. - Carmen Media Group)."
69 Was den
Umstand betrifft, dass die verschiedenen Glücksspiele zum Teil in die
Zuständigkeit der Länder und zum Teil in die des Bundes fallen, ist
darauf hinzuweisen, dass sich ein Mitgliedstaat nach ständiger
Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen, Übungen oder Umstände seiner
internen Rechtsordnung berufen kann, um die Nichteinhaltung seiner aus
dem Unionsrecht folgenden Verpflichtungen zu rechtfertigen. Die interne
Zuständigkeitsverteilung innerhalb eines Mitgliedstaats, namentlich
zwischen zentralen, regionalen und lokalen Behörden, kann ihn u. a.
nicht davon entbinden, den genannten Verpflichtungen nachzukommen (vgl.
in diesem Sinne u. a. Urteil vom 13. September 2001,
Kommission/Spanien, C‑417/99, Slg. 2001, I‑6015, Randnr. 37).
70 Dementsprechend müssen, auch wenn das Unionsrecht einer internen
Zuständigkeitsverteilung, nach der für bestimmte Glücksspiele die
Länder zuständig sind und für andere der Bund, nicht entgegensteht, in
einem solchen Fall die Behörden des betreffenden Bundeslandes und die
Bundesbehörden gleichwohl gemeinsam die Verpflichtung der
Bundesrepublik Deutschland erfüllen, nicht gegen Art. 49 EG zu
verstoßen. Soweit die Beachtung dieser Bestimmung es erfordert, müssen
diese verschiedenen Behörden dabei folglich die Ausübung ihrer
jeweiligen Zuständigkeiten koordinieren.