Prüfung von AGB im Mahnverfahren
„Richtlinie 93/13/EWG – Verbraucherverträge – Missbräuchliche Verzugszinsklausel – Mahnverfahren – Befugnisse des nationalen Gerichts“
Banco Español de Crédito SA ./. Joaquín Calderón Camino
OLG Hamburg
Wer als Betreiber einer Spielbank mit einem Spielsüchtigen eine Spielsperre vereinbart, sollte auch die Einhaltung kontrollieren. Ansonsten muss er damit rechnen, dass er für die Spielschulden aufkommen muss.
Dieses Urteil steht im Einklang mit dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 15.12.2005 (Az. III ZR 65/05).
Demzufolge besteht eine Schutzpflicht des Betreibers einer Spielbank gegenüber dem Spieler jedenfalls dann, wenn die Spielsperre auf Grundlage seines Antrags verhängt worden ist. Dieser Haftung kann sich der Betreiber nicht ohne Weiteres durch Verbotsschilder im Spielsaal oder AGB-Klauseln entziehen. weiterlesen
BGH: Casino Baden-Baden verurteilt
Die Spielbank Baden-Baden muss voraussichtlich rund 270 000 Euro Spielschulden eines Spielsüchtigen bezahlen. Dies entschied der BGH in einem Grundsatzurteil am 20.10.2011 weiterlesen
A-Spielerschutz auch für EU-Bürger
Ein Südtiroler verzockte 200.000 € und will das Geld zurück. Die Casinos hätten ihn vor sich selbst schützen müssen. weiterlesen
VG Magdeburg: Spielbank-Lizenzentzug ist rechtens
Die Spielautomaten sind still, die Roulettekugel rollt nicht mehr, die Spieltische verstauben: seit einem Jahr sind die Spielbanken in Halle (Saale), Magdeburg und Wernigerode geschlossen. Im Januar hatte das Innenministerium von Sachsen-Anhalt schließlich dem insolventen Betreiber die Lizenz entzogen. weiterlesen
Spielbanken Sachsen-Anhalt: Konzessionsvergabe – diesmal richtig!
Der Bundesverband privater Spielbanken in Deutschland (BupriS) begrüßt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 10. Mai, dass eine Spielbankkonzession unverkäuflich ist und von der Aufsichtsbehörde auch im Insolvenzfall eingezogen werden kann. weiterlesen
EuGH: Prüfung von AGB im Mahnverfahren
Nach § 688 ZPO kann ein Zahlungsanspruch durch Mahnbescheid (und späteren Vollstreckungsbescheid) geltend gemacht werden. In Deutschland sind dabei keine näheren Angaben zur Begründung des Anspruchs (insbesondere nicht die Vorlage des Vertrages) erforderlich, § 690 ZPO. Anders ist dies in Spanien - dort ist (ähnlich einem deutschen Urkundsprozess) erforderlich, dass Bestehen und Höhe der Schuld durch "Dokumente in welcher Form, Art oder Verkörperung auch immer" (§ 812 I Ley de Enjuiciamiento Civil) belegt wird. Im Mahnverfahren besteht jedoch keine Möglichkeit, Klauseln für nichtig zu erklären - dies ist erst im streitigen Verfahren (nach Widerspruch) möglich.Der EuGH sah darin einen Verstoß gegen Europarecht:
Sobald ein Gericht die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen kenne, müsse es auch die Wirksamkeit der Klauseln prüfen. Soweit also (wie in Spanien) bereits Unterlagen vorlägen, müsse das Gericht diese auch von Amts wegen prüfen. Ansonsten bestünde "eine nicht zu vernachlässigende Gefahr", dass die Verbraucher den Widerspruch nicht erheben (wegen kurzer Fristen, der drohenden Prozesskosten, Unkenntnis über die Rechte, etc.).
Auch eine andere Schwäche des spanischen Rechts wurde im Verfahren aufgedeckt: Während nach § 306 Abs. 2 BGB die Unwirksamkeit einer Klausel zur Anwendung des Gesetzesrechts führt, sah das spanische Zivilrecht (Art. 83 Decreto Legislativo 1/2007) vor, dass der nichtige Vertragsteil nach Maßgabe des Art. 1258 [des spanischen Zivilgesetzbuchs] und dem Grundsatz von Treu und Glauben angepasst wird. Art. 1258 entspricht dabei grob § 242 BGB, so dass vereinbart gilt, was sich aus Treu und Glauben, der Verkehrssitte sowie der Natur des Schuldverhältnisses ergibt. Das Gericht konnte also im Rahmen ergänzender Vertragsauslegung die Lücke frei schließen. Der EuGH lehnte eine solche Regelung ab, da sie den Abschreckungseffekt der Nichtigkeit beseitige. Eine "geltungserhaltende Reduktion" sei unzulässig - vielmehr seien AGB zugunsten des Verbrauchers stets und umfassend für unwirksam zu erklären und nicht zu ersetzen.
Quelle
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
14. Juni 2012(*)
„Richtlinie
93/13/EWG – Verbraucherverträge – Missbräuchliche Verzugszinsklausel –
Mahnverfahren – Befugnisse des nationalen Gerichts“
In der Rechtssache C‑618/10
betreffend
ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der
Audiencia Provincial de Barcelona (Spanien) mit Entscheidung vom 29.
November 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Dezember 2010, in dem
Verfahren
Banco Español de Crédito SA
gegen
Joaquín Calderón Camino
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter
Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano (Berichterstatter), der
Richter M. Safjan, M. Ilešič und E. Levits sowie der Richterin M.
Berger,
Generalanwältin: V. Trstenjak,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Dezember 2011,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Banco Español de Crédito SA, vertreten durch A. Herrador Muñoz, V. Betancor Sánchez und R. Rivero Sáez, abogados,
– der spanischen Regierung, vertreten durch S. Centeno Huerta als Bevollmächtigte,
– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Kemper und T. Henze als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Owsiany‑Homung und E. Gippini Fournier als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 14. Februar 2012
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung
– von
Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über
missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. L 95, S. 29),
– von
Art. 2 der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der
Verbraucherinteressen (ABl. L 110, S. 30),
– der
Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines
Europäischen Mahnverfahrens (ABl. L 399 S. 1),
– des
Art. 5 Abs. 1 Buchst. l und m sowie der Art. 6, 7 und 10 Abs. 2
Buchst. l der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur
Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. L 133, S. 66) und
– des
Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im
binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und
Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der
Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen
Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)
(ABl. L 149, S. 22).
2 Das
Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Banco
Español de Crédito SA (im Folgenden: Banesto) und Herrn Calderón Camino
wegen der Zahlung von Beträgen, die in Erfüllung eines zwischen den
Parteien geschlossenen Verbraucherkreditvertrags geschuldet werden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 87/102/EWG
3 Art.
6 der Richtlinie 87/102/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur
Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten
über den Verbraucherkredit (ABl. 1987, L 42, S. 48) sah vor:
„(1) Unbeschadet
der Ausnahmeregelung gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe e) ist der
Verbraucher im Falle eines Vertrages zwischen ihm und einem Kredit- oder
Finanzinstitut über die Gewährung eines Kredits in Form eines
Überziehungskredits auf einem laufenden Konto, außer einem
Kreditkartenkonto, vor Vertragsabschluss oder zum Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses zu informieren:
– über die etwaige Höchstgrenze des Kreditbetrags;
– über
den Jahreszins und die bei Abschluss des Vertrages in Rechnung
gestellten Kosten sowie darüber, unter welchen Voraussetzungen diese
geändert werden können;
– über die Modalitäten einer Beendigung des Vertragsverhältnisses.
Diese Informationen sind schriftlich zu bestätigen.
(2) Ferner
ist der Verbraucher während der Laufzeit des Vertrages über jede
Änderung des Jahreszinses und der in Rechnung gestellten Kosten im
Augenblick ihres Eintretens zu unterrichten. Diese Unterrichtung kann in
Form eines Kontoauszuges oder in einer anderen für die Mitgliedstaaten
annehmbaren Formen erfolgen.
(3) In
Mitgliedstaaten, in denen stillschweigend akzeptierte Kontoüberziehungen
zulässig sind, trägt der betreffende Mitgliedstaat dafür Sorge, dass
der Verbraucher vom Jahreszins und den in Rechnung gestellten Kosten
sowie allen diesbezüglichen Änderungen unterrichtet wird, wenn ein Konto
länger als drei Monate überzogen wird.“
4 Art. 7 dieser Richtlinie lautete:
„Die
Mitgliedstaaten legen für den Fall des Kredits zum Erwerb einer Ware
die Bedingungen fest, unter denen die Ware zurückgenommen werden kann,
insbesondere für Fälle, in denen der Verbraucher seine Einwilligung
nicht erteilt hat. Sie tragen ferner dafür Sorge, dass in den Fällen, in
denen der Kreditgeber die Ware wieder an sich nimmt, die Abrechnung
zwischen den Parteien in der Weise erfolgt, dass die Rücknahme nicht zu
einer unberechtigten Bereicherung führt.“
Richtlinie 93/13
5 Im zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 heißt es:
„Beim
derzeitigen Stand der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften kommt
allerdings nur eine teilweise Harmonisierung in Betracht. So gilt diese
Richtlinie insbesondere nur für Vertragsklauseln, die nicht einzeln
ausgehandelt wurden. Den Mitgliedstaaten muss es freigestellt sein, dem
Verbraucher unter Beachtung des Vertrags einen besseren Schutz durch
strengere einzelstaatliche Vorschriften als den in dieser Richtlinie
enthaltenen Vorschriften zu gewähren.“
6 Der 21. Erwägungsgrund dieser Richtlinie lautet:
„Die
Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass in von einem
Gewerbetreibenden mit Verbrauchern abgeschlossenen Verträgen keine
missbräuchlichen Klauseln verwendet werden. Wenn derartige Klauseln
trotzdem verwendet werden, müssen sie für den Verbraucher unverbindlich
sein; die verbleibenden Klauseln müssen jedoch weiterhin gelten und der
Vertrag im Übrigen auf der Grundlage dieser Klauseln für beide Teile
verbindlich sein, sofern ein solches Fortbestehen ohne die
missbräuchlichen Klauseln möglich ist.“
7 Im 24. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es:
„Die
Gerichte oder Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten müssen über
angemessene und wirksame Mittel verfügen, damit der Verwendung
missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen ein Ende gesetzt
wird“.
8 Art. 6 der Richtlinie 93/13 bestimmt:
„(1) Die
Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen,
die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den
Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in
ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor,
dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend
bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“
(2) Die
Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit der
Verbraucher den durch diese Richtlinie gewährten Schutz nicht verliert,
wenn das Recht eines Drittlands als das auf den Vertrag anzuwendende
Recht gewählt wurde und der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem
Gebiet der Mitgliedstaaten aufweist.“
9 Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:
„Die
Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der
gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel
vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch
einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern
schließt, ein Ende gesetzt wird.“
10 Art. 8 der Richtlinie bestimmt:
„Die
Mitgliedstaaten können auf dem durch diese Richtlinie geregelten Gebiet
mit dem [EG‑]Vertrag vereinbare strengere Bestimmungen erlassen, um ein
höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu gewährleisten.“
Richtlinie 2005/29
11 Art. 11 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2005/29 sieht vor:
„(1) Die
Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Verbraucher sicher, dass
geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer
Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung dieser Richtlinie
durchzusetzen.
…
(2) Im
Rahmen der in Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften übertragen die
Mitgliedstaaten den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse, die
sie ermächtigen, in Fällen, in denen sie diese Maßnahmen unter
Berücksichtigung aller betroffenen Interessen und insbesondere des
öffentlichen Interesses für erforderlich halten,
a) die
Einstellung der unlauteren Geschäftspraktiken anzuordnen oder ein
geeignetes gerichtliches Verfahren zur Anordnung der Einstellung der
betreffenden unlauteren Geschäftspraxis einzuleiten,
oder
b) falls
die unlautere Geschäftspraxis noch nicht angewandt wurde, ihre
Anwendung jedoch bevorsteht, diese Praxis zu verbieten oder ein
geeignetes gerichtliches Verfahren zur Anordnung des Verbots dieser
Praxis einzuleiten,
auch wenn kein
tatsächlicher Verlust oder Schaden bzw. Vorsatz oder Fahrlässigkeit
seitens des Gewerbetreibenden nachweisbar ist.
Die
Mitgliedstaaten sehen ferner vor, dass die in Unterabsatz 1 genannten
Maßnahmen im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens mit
– vorläufiger Wirkung
oder
– endgültiger Wirkung
getroffen
werden können, wobei jedem Mitgliedstaat vorbehalten bleibt zu
entscheiden, welche dieser beiden Möglichkeiten gewählt wird.
…“
Verordnung Nr. 1896/2006
12 Im zehnten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1896/2006 heißt es:
„Das
durch diese Verordnung geschaffene Verfahren sollte eine zusätzliche
und fakultative Alternative für den Antragsteller darstellen, dem es
nach wie vor freisteht, sich für die im nationalen Recht vorgesehenen
Verfahren zu entscheiden. Durch diese Verordnung sollen mithin die nach
nationalem Recht vorgesehenen Mechanismen zur Beitreibung unbestrittener
Forderungen weder ersetzt noch harmonisiert werden.“
13 Art. 1 der Verordnung Nr. 1896/2006 sieht vor:
„(1) Diese Verordnung hat Folgendes zum Ziel:
a) Vereinfachung
und Beschleunigung der grenzüberschreitenden Verfahren im Zusammenhang
mit unbestrittenen Geldforderungen und Verringerung der Verfahrenskosten
durch Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens,
und
b) Ermöglichung
des freien Verkehrs Europäischer Zahlungsbefehle in den Mitgliedstaaten
durch Festlegung von Mindestvorschriften, bei deren Einhaltung die
Zwischenverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat, die bisher für die
Anerkennung und Vollstreckung erforderlich waren, entfallen.
(2) Diese
Verordnung stellt es dem Antragsteller frei, eine Forderung im Sinne
von Artikel 4 im Wege eines anderen Verfahrens nach dem Recht eines
Mitgliedstaats oder nach Gemeinschaftsrecht durchzusetzen.“
Richtlinie 2008/48
14 Art. 1 der Richtlinie 2008/48 lautet:
„Ziel
dieser Richtlinie ist die Harmonisierung bestimmter Aspekte der Rechts-
und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über
Verbraucherkreditverträge.“
15 In Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie heißt es:
„Rechtzeitig
bevor der Verbraucher durch einen Kreditvertrag oder ein Angebot
gebunden ist, gibt der Kreditgeber und gegebenenfalls der
Kreditvermittler dem Verbraucher auf der Grundlage der vom Kreditgeber
angebotenen Kreditbedingungen und gegebenenfalls der vom Verbraucher
geäußerten Präferenzen und vorgelegten Auskünfte die Information, die
der Verbraucher benötigt, um verschiedene Angebote zu vergleichen und
eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob er einen
Kreditvertrag schließen will. …
Diese Informationen müssen Folgendes erläutern:
…
l) den
anwendbaren Satz der Verzugszinsen und die Art und Weise seiner
etwaigen Anpassung sowie gegebenenfalls anfallende Verzugskosten;
m) einen Warnhinweis zu den Folgen ausbleibender Zahlungen;
…“
16 Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie bestimmt:
„Im Kreditvertrag ist in klarer, prägnanter Form Folgendes anzugeben:
…
l) der
Satz der Verzugszinsen gemäß der zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Kreditvertrags geltenden Regelung und die Art und Weise seiner etwaigen
Anpassung sowie gegebenenfalls anfallende Verzugskosten;
…“
Richtlinie 2009/22
17 Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2009/22 sieht vor:
„Ziel
dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und
Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Unterlassungsklagen im
Sinne des Artikels 2 zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher,
die unter die in Anhang I aufgeführten Richtlinien fallen, um so das
reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten.“
18 In Art. 2 dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Die
Mitgliedstaaten bestimmen die zuständigen Gerichte oder
Verwaltungsbehörden für die Entscheidung über die von qualifizierten
Einrichtungen im Sinne des Artikels 3 eingelegten Rechtsbehelfe, die auf
Folgendes abzielen können:
a) eine
mit aller gebotenen Eile und gegebenenfalls im Rahmen eines
Dringlichkeitsverfahrens ergehende Anordnung der Einstellung oder des
Verbots eines Verstoßes;
…
(2) Diese
Richtlinie lässt die Vorschriften des internationalen Privatrechts und
des internationalen Zivilprozessrechts hinsichtlich des anzuwendenden
Rechts unberührt, so dass normalerweise entweder das Recht des
Mitgliedstaats, in dem der Verstoß seinen Ursprung hat, oder das Recht
des Mitgliedstaats, in dem sich der Verstoß auswirkt, angewendet wird.“
Spanisches Recht
19 Im
spanischen Recht waren Verbraucher gegen missbräuchliche
Vertragsklauseln zunächst durch das Allgemeine Gesetz 26/1984 über den
Schutz der Verbraucher und Benutzer (Ley General 26/1984 para la Defensa
de los Consumidores y Usuarios) vom 19. Juli 1984 (BOE Nr. 176 vom 24.
Juli 1984, S. 21686, im Folgenden: Gesetz 26/1984) geschützt.
20 Das
Gesetz 26/1984 wurde sodann durch das Gesetz 7/1998 über allgemeine
Geschäftsbedingungen (Ley 7/1998 sobre Condiciones Generales de la
Contratación) vom 13. April 1998 (BOE Nr. 89 vom 14. April 1998,
S. 12304) geändert, mit dem die Richtlinie 93/13 im innerstaatlichen
spanischen Recht umgesetzt wurde.
21 Schließlich
wurde mit dem Real Decreto Legislativo 1/2007 por el que se aprueba el
texto refundido de la Ley General para la Defensa de los Consumidores y
Usuarios y otras leyes complementarias (Real Decreto Legislativo 1/2007
zur Billigung der Neufassung des Allgemeinen Gesetzes über den Schutz
der Verbraucher und Benutzer mit Nebengesetzen) vom 16. November 2007
(BOE Nr. 287 vom 30. November 2007, S. 49181, im Folgenden: Decreto
Legislativo 1/2007) die Neufassung des geänderten Gesetzes 26/1984
angenommen.
22 Art. 83 des Decreto Legislativo 1/2007 sieht vor:
„(1) Missbräuchliche Klauseln sind nichtig und gelten als nicht vereinbart.
(2) Der
nichtige Vertragsteil wird nach Maßgabe des Art. 1258 [des spanischen
Zivilgesetzbuchs] und dem Grundsatz von Treu und Glauben angepasst.
Der
Richter, der die Nichtigkeit der Klauseln feststellt, passt den Vertrag
an und kann bei Fortbestehen des Vertrags die Rechte und Pflichten der
Parteien sowie die Folgen ihrer Unwirksamkeit mildern, wenn dem
Verbraucher und Benutzer ein merklicher Schaden entsteht.
Nur
wenn die fortgeltenden Klauseln zu einer unausgewogenen Stellung der
Parteien führen, der nicht abgeholfen werden kann, kann der Richter den
Vertrag für unwirksam erklären.“
23 Art. 1258 des spanischen Zivilgesetzbuchs bestimmt:
„Verträge
werden durch einfache Einigung geschlossen und verpflichten von da an
nicht nur zur Erfüllung des ausdrücklich Vereinbarten, sondern auch zu
allen Folgen, die gemäß ihrer Natur Treu und Glauben, der Verkehrssitte
und dem Gesetz entsprechen.“
24 Hinsichtlich
des Mahnverfahrens heißt es in Art. 812 Abs. 1 der spanischen
Zivilprozessordnung (Ley de Enjuiciamiento Civil) in ihrer Fassung, die
am Tag der Einleitung des dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden
Verfahrens galt, zu den Voraussetzungen für die Anwendung dieses
Verfahrens:
„Ein Mahnverfahren kann von
jedem beantragt werden, der einen anderen auf Zahlung einer entstandenen
und fälligen Geldschuld über einen bestimmten Betrag, der 30 000 Euro
nicht überschreitet, in Anspruch nimmt, wenn der Betrag dieser Schuld
auf folgende Art und Weise belegt wird:
1. durch
Vorlage von Dokumenten in welcher Form, Art oder Verkörperung auch
immer, sei es, dass sie vom Schuldner unterzeichnet sind, sei es, dass
sie sein Siegel, seinen Stempel, sein Kennzeichen oder irgendein anderes
körperliches oder elektronisches Zeichen, das vom Schuldner stammt,
tragen, oder
2. durch Vorlage
von Rechnungen, Lieferscheinen, Zertifikaten, Telegrammen, Telefaxen
oder jedweder anderen Dokumente, die, selbst wenn sie einseitig vom
Gläubiger ausgestellt worden sind, für gewöhnlich verwendet werden, um
Guthaben und Schulden in Beziehungen der Art zu dokumentieren, wie sie
zwischen dem Gläubiger und seinem Schuldner bestehen.
…“
25 Art. 815 („Zulässigkeit des Antrags und Mahnbescheid“) Abs. 1 der Zivilprozessordnung bestimmt:
„Gehören
die dem Antrag beigefügten Dokumente zu denen, die in Art. 812 Abs. 2
vorgesehen sind, oder begründen sie einen Prima‑facie‑Beweis für den
Anspruch des Antragstellers, der durch den Inhalt des Antrags bestätigt
wird, wird dem Schuldner durch Bescheid aufgegeben, innerhalb einer
Frist von 20 Tagen an den Antragsteller zu zahlen und dem Gericht diese
Zahlung nachzuweisen oder vor Gericht zu erscheinen und diesem
summarisch mit schriftlichem Widerspruch darzulegen, aus welchen Gründen
er den geforderten Betrag ganz oder teilweise nicht schulde. …“
26 Art. 818 Abs. 1 der Zivilprozessordnung betreffend den Widerspruch des Schuldners sieht vor:
„Legt
der Schuldner rechtzeitig Widerspruch ein, wird der Rechtsstreit im
hierfür vorgesehenen Gerichtsverfahren endgültig entschieden; das
verkündete Urteil erwächst in Rechtskraft.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
27 Am
28. Mai 2007 schloss Herr Calderón Camino mit Banesto einen
Darlehensvertrag in Höhe von 30 000 Euro (im Folgenden: streitiger
Vertrag) zum Zweck der Anschaffung eines Fahrzeugs, das den „Bedarf der
Wirtschaftsgemeinschaft decken“ sollte. Der Darlehenszins wurde auf
7,95 %, der effektive Jahreszins auf 8,89 % und der Verzugszins auf 29 %
festgesetzt.
28 Obwohl
die Fälligkeit des Darlehens auf den 5. Juni 2014 festgelegt war, war
Banesto der Meinung, dass sie schon vorher eingetreten sei, da im
September 2008 sieben Monatsraten noch nicht geleistet worden seien.
Daher reichte sie am 8. Januar 2009 beim Juzgado de Primera Instancia
n° 2 de Sabadell nach spanischem Recht einen Antrag auf Erlass eines
Mahnbescheids in Höhe von 29 381,95 Euro wegen der ausstehenden
Monatsraten nebst Vertragszinsen und Kosten ein.
29 Am
21. Januar 2010 erließ der Juzgado de Primera Instancia n° 2 de
Sabadell einen Beschluss, in dem er feststellte, dass es sich bei dem
Vertrag um einen Formularvertrag handele, der nicht wirklich habe
ausgehandelt werden können und einseitig auferlegte allgemeine
Bedingungen enthalte, und dass der Verzugszins von 29 % in einer
maschinengeschriebenen Klausel festgelegt gewesen sei, die weder nach
Schrifttyp noch Schriftgröße noch gesonderte Annahme durch den
Verbraucher vom restlichen Text abgesetzt gewesen sei.
30 Unter
diesen Umständen erklärte der Juzgado de Primera Instancia n° 2 de
Sabadell unter Berücksichtigung insbesondere des Euribor („Euro
interbank offered rate“) und des Zinssatzes der Europäischen Zentralbank
(BCE) sowie der Tatsache, dass der Satz der betreffenden Verzugszinsen
mehr als 20 Prozentpunkte über dem Darlehenszinssatz liege, die
Verzugszinsklausel unter Verweis auf die einschlägige ständige
Rechtsprechung des Gerichtshofs wegen Missbräuchlichkeit von Amts wegen
für nichtig. Außerdem setzte er den Verzugszinssatz unter Bezugnahme auf
den gesetzlichen Zinssatz und den Verzugszins nach den
Haushaltsgesetzen der Jahre 1990–2008 auf 19 % fest und gab Banesto auf,
den Zinsbetrag für den in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit
maßgeblichen Zeitraum neu zu berechnen.
31 Banesto
hat gegen diesen Beschluss bei der Audiencia Provincial de Barcelona
Berufung eingelegt und im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Juzgado
de Primera Instancia n° 2 de Sabadell in dieser Art von Verfahren weder
von Amts wegen die Nichtigkeit der von ihm für missbräuchlich
gehaltenen vertraglichen Verzugszinsklausel erklären noch diese Klausel
habe abändern dürfen.
32 In
der Vorlageentscheidung hat die Audiencia Provincial de Barcelona
erstens festgestellt, dass die spanischen Rechtsvorschriften auf dem
Gebiet des Schutzes der Interessen von Verbrauchern und Benutzern die
Gerichte, die mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasst
seien, nicht ermächtigten, von Amts wegen und a limine
missbräuchliche Klauseln für nichtig zu erklären, da die Prüfung ihrer
Rechtmäßigkeit zum Streitverfahren gehöre, das erst im Fall eines
Widerspruchs durch den Schuldner eingeleitet werde.
33 Zweitens
hat das vorlegende Gericht zum Unionsrecht ausgeführt, dass zwar in der
Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13
dahin ausgelegt worden sei, dass die nationalen Gerichte gehalten seien,
die Nichtigkeit und Unanwendbarkeit einer missbräuchlichen Klausel
selbst dann von Amts wegen festzustellen, wenn keine der
Vertragsparteien dies beantragt habe.
34 Die
Verordnung Nr. 1896/2006, die gerade das Mahnverfahren auf der Ebene
der Europäischen Union regele, sehe aber kein Verfahren zur Prüfung
missbräuchlicher Verfahren von Amts wegen und a limine vor,
sondern beschränke sich auf die Aufzählung einer Reihe von Anforderungen
und von Informationen, die den Verbrauchern zu erteilen seien.
35 Ebenso
wenig sähen die Richtlinie 2008/48 über Verbraucherkreditverträge und
die Richtlinie 2009/22 über Unterlassungsklagen zum Schutz von
Verbraucherinteressen Verfahrensmechanismen vor, wonach die nationalen
Gerichte die Nichtigkeit einer Klausel wie derjenigen im streitigen
Vertrag von Amts wegen feststellen müssten.
36 Selbst
wenn die Praxis, in einen Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und
einem Verbraucher eine Verzugszinsklausel einzufügen, als „unlauter“ im
Sinne der Richtlinie 2005/29 angesehen würde, seien im Hinblick darauf,
dass das Gesetz 29/2009 zur Änderung der Regelung über den unlauteren
Wettbewerb und die Werbung zur Verbesserung des Schutzes der Verbraucher
und Benutzer (Ley 29/2009 por la que se modifica el régimen legal de la
competencia desleal y de la publicidad para la mejora de la protección
de los consumidores y usuarios) vom 30. Dezember 2009 (BOE Nr. 315 vom
31. Dezember 2009, S. 112039) Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie nicht in
spanisches Recht umgesetzt habe, die nationalen Gerichte jedenfalls
nicht befugt, von Amts wegen zu prüfen, ob die betreffende Praxis
unlauter sei.
37 Unter
diesen Umständen hat die Audiencia Provincial de Barcelona, da sie
Zweifel an der richtigen Auslegung des Unionsrechts hat, das Verfahren
ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
1. Läuft es dem
Unionsrecht, insbesondere dem Verbraucherschutzrecht, zuwider, wenn ein
nationales Gericht davon absieht, von Amts wegen und a limine in
irgendeiner Phase des Verfahrens über die Nichtigkeit und die Anpassung
einer in einem Verbraucherkreditvertrag enthaltenen Klausel über
Verzugszinsen (in diesem Fall in Höhe von 29 %) zu entscheiden? Kann das
Gericht, ohne die durch das Unionsrecht gewährleisteten Rechte der
Verbraucher zu beeinträchtigen, die etwaige Prüfung einer solchen
Klausel von der Initiative des Schuldners (in Form einer prozessualen
Einrede) abhängig machen?
2. Wie
ist Art. 83 des Decreto Legislativo 1/2007 im Licht des Art. 6 Abs. 1
der Richtlinie 93/13 und des Art. 2 der Richtlinie 2009/22
richtlinienkonform auszulegen? Welche Tragweite kommt insoweit Art. 6
Abs. 1 der Richtlinie 93/13 zu, soweit er vorsieht, dass missbräuchliche
Klauseln „für den Verbraucher unverbindlich sind“?
3. Darf die richterliche Kontrolle von Amts wegen und a limine ausgeschlossen
werden, wenn der Kläger in seiner Klageschrift eindeutige Angaben zum
Verzugszinssatz, zum Betrag der Forderung, d. h. der Hauptforderung
einschließlich Zinsen, zu den Vertragsstrafen und den Kosten, zum
Zinssatz und zum Zeitraum, für den Zinsen verlangt werden (oder dahin,
dass der Hauptforderung von Amts wegen der nach dem Recht des
Ursprungsmitgliedstaats geltende gesetzliche Zinssatz hinzuzurechnen
sei), und zum Streitgegenstand einschließlich einer Beschreibung des die
Schuld und die geltend gemachten Zinsen begründenden Sachverhalts macht
und dabei präzisiert, ob es sich um den gesetzlichen oder vertraglichen
Zins, die Kapitalisierung von Zinsen oder den Zinssatz für ein Darlehen
handelt und ob dieser von dem Kläger berechnet wurde und um wie viele
Prozentpunkte er über dem Basiszinssatz der Zentralbank liegt, wie es
die Verordnung Nr. 1896/2006 über das Europäische Mahnverfahren
vorsieht?
4. Begründen im Fall
einer fehlenden Umsetzung Art. 5 Abs. 1 Buchst. l und m und Art. 6 –
soweit darin von der „Art und Weise seiner etwaigen Anpassung“ die Rede
ist – sowie Art. 10 Abs. 2 Buchst. l – soweit darin von „Anpassung“ die
Rede ist – der Richtlinie 2008/48 eine Verpflichtung des
Kreditinstituts, im Vertrag in besonders deutlicher Weise (und nicht
innerhalb des Vertragstexts ohne jede Abhebung) als „vorvertragliche
Informationen“ klar und an hervorgehobener Stelle den Verzugszins und
seine Berechnungsgrundlagen (Finanzierungskosten, Beitreibungskosten …)
anzugeben sowie einen Warnhinweis auf die Kostenfolgen zu geben?
5. Beinhaltet
Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2008/48 die Verpflichtung zur Mitteilung
der vorzeitigen Fälligkeit des Kredits oder des Darlehens, die zum
Anfallen von Verzugszinsen führt? Ist der Grundsatz des Verbots der
ungerechtfertigten Bereicherung des Art. 7 der Richtlinie 2008/48
anwendbar, wenn das Kreditinstitut nicht nur das Gut (das
Darlehenskapital) zurückerlangen, sondern auch besonders hohe
Verzugszinsen anwenden will?
6. Kann
das Gericht mangels einer Umsetzungsregelung und im Licht des Art. 11
Abs. 2 der Richtlinie 2005/29 von Amts wegen die Missbräuchlichkeit der
Praxis prüfen, in den Vertragstext eine Klausel über Verzugszinsen
aufzunehmen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
38 Mit
seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die
Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass sie einer
mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden entgegensteht, wonach ein Gericht, das mit einem Antrag auf
Erlass eines Mahnbescheids befasst ist, weder a limine noch in
irgendeiner anderen Phase des Verfahrens von Amts wegen prüfen darf, ob
eine Verzugszinsklausel in einem Vertrag zwischen einem
Gewerbetreibenden und einem Verbraucher missbräuchlich ist, sofern der
Verbraucher keinen Widerspruch erhebt.
39 Zur
Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das mit
der Richtlinie 93/13 geschaffene Schutzsystem auf dem Gedanken beruht,
dass der Verbraucher sich gegenüber dem Gewerbetreibenden in einer
schwächeren Verhandlungsposition befindet und einen geringeren
Informationsstand besitzt, was dazu führt, dass er den vom
Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen zustimmt, ohne auf deren
Inhalt Einfluss nehmen zu können (Urteile vom 27. Juni 2000, Océano
Grupo Editorial und Salvat Editores, C‑240/98 bis C‑244/98, Slg. 2000,
I‑4941, Randnr. 25, vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro, C‑168/05, Slg.
2006, I‑10421, Randnr. 25, und vom 6. Oktober 2009, Asturcom
Telecomunicaciones, C‑40/08, Slg. 2009, I‑9579, Randnr. 29).
40 In
Anbetracht dieser schwächeren Position sieht Art. 6 Abs. 1 der
Richtlinie 93/13 vor, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher
unverbindlich sind. Wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, handelt es
sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf abzielt, die formale
Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine
materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit
wiederherzustellen (Urteile Mostaza Claro, Randnr. 36, Asturcom
Telecomunicaciones, Randnr. 30, vom 9. November 2010, VB Pénzügyi
Lízing, C‑137/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 47, und vom 15. März 2012,
Pereničová und Perenič, C‑453/10, Slg. 2012, I‑0000, Randnr. 28).
41 Um
den durch die Richtlinie 93/13 angestrebten Schutz zu gewährleisten,
hat der Gerichtshof bereits mehrfach wiederholt, dass die bestehende
Ungleichheit zwischen Verbraucher und Gewerbetreibendem nur durch ein
positives Eingreifen von dritter, von den Vertragsparteien unabhängiger
Seite ausgeglichen werden kann (vgl. Urteile Océano Grupo Editorial und
Salvat Editores, Randnr. 27, Mostaza Claro, Randnr. 26, Asturcom
Telecomunicaciones, Randnr. 31, und VB Pénzügyi Lízing, Randnr. 48).
42 Im
Licht dieser Grundsätze hat der Gerichtshof entschieden, dass das
nationale Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer
Vertragsklausel, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/13
fällt, prüfen und damit dem Ungleichgewicht zwischen dem Verbraucher und
dem Gewerbetreibenden abhelfen muss (vgl. in diesem Sinne Urteile
Mostaza Claro, Randnr. 38, vom 4. Juni 2009, Pannon GSM, C‑243/08, Slg.
2009, I‑4713, Randnr. 31, Asturcom Telecomunicaciones, Randnr. 32, und
VB Pénzügyi Lízing, Randnr. 49).
43 Folglich
ist die Aufgabe, die dem nationalen Gericht in dem fraglichen Bereich
vom Unionsrecht zugewiesen wird, nicht auf die bloße Befugnis
beschränkt, über die etwaige Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel zu
entscheiden, sondern umfasst außerdem die Verpflichtung, diese Frage
von Amts wegen zu prüfen, sobald es über die hierzu erforderlichen
rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt (vgl. Urteil Pannon
GSM, Randnr. 32).
44 Hierzu
hat der Gerichtshof auf ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen
Gerichts, bei dem ein nach dem Widerspruch eines Verbrauchers gegen
einen Mahnbescheid eingeleitetes Streitverfahren anhängig war,
entschieden, dass dieses Gericht verpflichtet ist, von Amts wegen
Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, um festzustellen, ob eine Klausel
über einen ausschließlichen Gerichtsstand in einem Vertrag zwischen
einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher in den Anwendungsbereich
der Richtlinie 93/13 fällt, und, wenn ja, von Amts wegen zu beurteilen,
ob eine solche Klausel möglicherweise missbräuchlich ist (Urteil VB
Pénzügyi Lízing, Randnr. 56).
45 Die
vorliegende Rechtssache unterscheidet sich jedoch von denen, in denen
die Urteile Pannon GSM und VB Pénzügyi Lízing ergangen sind, dadurch,
dass sie die Frage betrifft, welche Aufgaben das nationale Gericht
aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 93/13 im Rahmen eines
Mahnverfahrens hat, bevor der Verbraucher Widerspruch erhoben hat.
46 Da
die nationalen Mechanismen zur Beitreibung unbestrittener Forderungen
nicht vereinheitlicht worden sind, ist es nach dem Grundsatz der
Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der
Mitgliedstaaten, die Modalitäten, nach denen die nationalen
Mahnverfahren durchgeführt werden, festzulegen, vorausgesetzt
allerdings, dass sie nicht ungünstiger sind als diejenigen, die
gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht
unterliegen (Äquivalenzprinzip), und dass sie die Ausübung der den
Verbrauchern durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch
unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsprinzip) (vgl.
in diesem Sinne Urteile Mostaza Claro, Randnr. 24, und Asturcom
Telecomunicaciones, Randnr. 38).
47 Hinsichtlich
des Äquivalenzprinzips ist festzustellen, dass der Gerichtshof über
keinerlei Anhaltspunkte verfügt, die einen Zweifel an der Vereinbarkeit
der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung mit diesem Prinzip
hervorrufen könnten.
48 Den
Akten ist nämlich zu entnehmen, dass nach spanischem Verfahrensrecht
ein nationales Gericht, das mit einem Antrag auf Erlass eines
Mahnbescheids befasst ist, sowohl a limine als auch in
irgendeiner anderen Phase des Verfahrens von Amts wegen weder prüfen
darf, ob eine Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden
und einem Verbraucher im Hinblick auf Art. 6 der Richtlinie 93/13
missbräuchlich ist, sofern der Verbraucher keinen Widerspruch erhebt,
noch, ob eine solche Klausel gegen zwingendes nationales Recht verstößt;
dies festzustellen, ist allerdings Sache des vorlegenden Gerichts.
49 Was
den Effektivitätsgrundsatz angeht, ist darauf hinzuweisen, dass nach
ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jeder Fall, in dem sich die
Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des
Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter
Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren,
des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den
verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist (vgl. Urteil Asturcom
Telecomunicaciones, Randnr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
50 Hier
ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten, dass nach
Art. 812 der spanischen Zivilprozessordnung das Mahnverfahren auf
entstandene, bestimmbare und fällige Geldschulden Anwendung findet, die
zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt einen Höchstbetrag
von 30 000 Euro nicht überschreiten.
51 Um
den Gläubigern einen leichteren Zugang zur Justiz und einen schnelleren
Verfahrensablauf zu garantieren, müssen die Gläubiger nach ebendiesem
Artikel dem Antrag lediglich Dokumente beifügen, die das Bestehen der
Schuld belegen, brauchen aber nicht eindeutig anzugeben, wie hoch die
Verzugszinsen sind, seit wann genau sie fällig sind und in welchem Bezug
der Verzugszinssatz zum gesetzlichen Zinssatz nach innerstaatlichem
Recht oder dem Satz der Europäischen Zentralbank steht.
52 So
darf aufgrund der Art. 815 Abs. 1 und 818 Abs. 1 der spanischen
Zivilprozessordnung das nationale Gericht, das mit einem Antrag auf
Erlass eines Mahnbescheids befasst ist, ausschließlich prüfen, ob die
formellen Voraussetzungen für die Einleitung dieses Verfahrens
vorliegen; wenn ja, muss es dem Antrag stattgeben und einen
vollstreckbaren Bescheid erlassen, ohne a limine oder in
irgendeiner anderen Phase des Verfahrens prüfen zu können, ob der Antrag
im Hinblick auf die Informationen, über die es verfügt, begründet ist,
sofern der Schuldner sich weder weigert, seine Schuld zu begleichen,
noch innerhalb von 20 Tagen ab dem Tag der Zustellung dieses Bescheids
Widerspruch erhebt. Ein solcher Widerspruch muss für Streitigkeiten, die
einen gesetzlich festgelegten Wert – zum Zeitpunkt des dem
Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalts 900 Euro –
übersteigen, zwingend mit Hilfe eines Rechtsanwalts erhoben werden.
53 In
diesem Zusammenhang ist jedoch festzustellen, dass eine solche
Verfahrensregelung – die es einem Gericht, das mit einem Antrag auf
Erlass eines Mahnbescheids befasst ist, unmöglich macht, a limine
oder in irgendeiner anderen Phase des Verfahrens, obwohl es bereits
über sämtliche hierzu erforderlichen rechtlichen und sachlichen
Grundlagen verfügt, von Amts wegen zu prüfen, ob die Klauseln in einem
Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher
missbräuchlich sind, sofern der Verbraucher keinen Widerspruch erhebt –
geeignet ist, die Effektivität des mit der Richtlinie 93/13
beabsichtigten Schutzes zu beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil
vom 21. November 2002, Cofidis, C‑473/00, Slg. 2002, I‑10875,
Randnr. 35).
54 Unter
Berücksichtigung der generellen Ausgestaltung, des Ablaufs und der
Besonderheiten des in den Randnrn. 50 bis 52 des vorliegenden Urteils
beschriebenen Mahnverfahrens besteht nämlich eine nicht zu
vernachlässigende Gefahr, dass die betroffenen Verbraucher nicht den
erforderlichen Widerspruch erheben, sei es wegen der besonders kurzen
Frist, die hierfür vorgesehen ist, sei es, weil sie im Hinblick auf die
Kosten, die ein gerichtliches Verfahren im Vergleich zur Höhe der
bestrittenen Forderung mit sich brächte, davon abgehalten werden
könnten, sich zu verteidigen, sei es, weil sie den Umfang ihrer Rechte
nicht kennen oder nicht richtig erfassen, oder auch wegen der knappen
Angaben in dem von den Gewerbetreibenden eingereichten Antrag auf Erlass
eines Mahnbescheids und folglich der Unvollständigkeit der
Informationen, über die sie verfügen.
55 Demnach
könnten die Gewerbetreibenden den Verbrauchern den mit der Richtlinie
93/13 beabsichtigten Schutz schon dadurch entziehen, dass sie ein
Mahnverfahren anstelle eines ordentlichen Zivilverfahrens anstrengen,
was sich auch als nicht vereinbar mit der Rechtsprechung des
Gerichtshofs erweist, wonach die spezifischen Merkmale der nach
nationalem Recht zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern geführten
gerichtlichen Verfahren kein Faktor sind, der den Rechtsschutz, der den
Verbrauchern nach dieser Richtlinie zu gewähren ist, beeinträchtigen
könnte (Urteil Pannon GSM, Randnr. 34).
56 Unter
diesen Umständen ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in
Rede stehende spanische Regelung nicht mit dem Effektivitätsprinzip
vereinbar ist, soweit sie in den Verfahren, die von Gewerbetreibenden
angestrengt werden und bei denen Verbraucher auf der Gegenseite stehen,
die Gewährleistung des Schutzes, der den Verbrauchern mit der
Richtlinie 93/13 gewährt werden soll, unmöglich macht oder übermäßig
erschwert.
57 Im
Licht dieser Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass die
Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass sie einer
mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden entgegensteht, wonach ein mit einem Antrag auf Erlass eines
Mahnbescheids befasstes Gericht, sofern der Verbraucher keinen
Widerspruch erhebt, weder a limine noch in irgendeiner anderen
Phase des Verfahrens von Amts wegen prüfen darf, ob eine
Verzugszinsklausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und
einem Verbraucher missbräuchlich ist, obwohl es über die hierzu
erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt.
Zur zweiten Frage
58 Um
das Unionsrecht für das vorlegende Gericht zweckdienlich auslegen zu
können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 2008, Michaniki,
C‑213/07, Slg. 2008, I‑9999, Randnrn. 50 und 51), ist die zweite Frage
dahin zu verstehen, dass mit ihr gefragt wird, ob Art. 2 der
Richtlinie 2009/22 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 einer
mitgliedstaatlichen Regelung, wie sie in Art. 83 des Decreto Legislativo
1/2007 vorgesehen ist, entgegenstehen, wonach das nationale Gericht,
wenn es die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem Vertrag
zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher feststellt, durch
Abänderung des Inhalts dieser Klausel den Vertrag anpassen kann.
59 Hierzu
ist zunächst festzustellen, dass sich der Ausgangsrechtsstreit im
Rahmen eines von einer der Vertragsparteien angestrengten Mahnverfahrens
abspielt und nicht im Zusammenhang mit einer von einer „qualifizierten
Einrichtung“ im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2009/22 erhobenen
Unterlassungsklage.
60 Da
die Richtlinie 2009/22 daher nicht auf den Ausgangsrechtsstreit
anwendbar ist, ist über die Auslegung ihres Art. 2 nicht zu befinden.
61 Gleichwohl
ist, um auf die Frage zu antworten, welche Folgen zu ziehen sind, wenn
eine vertragliche Klausel für missbräuchlich erklärt wird, sowohl auf
den Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 als auch auf Ziele
und Systematik dieser Richtlinie Bezug zu nehmen (vgl. in diesem Sinne
Urteile vom 3. September 2009, AHP Manufacturing, C‑482/07,
Slg. 2009, I‑7295, Randnr. 27, und vom 8. Dezember 2011, Merck Sharp
& Dohme, C‑125/10, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 29).
62 Was
den Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 angeht, ist zum
einen festzustellen, dass nach dem ersten Teilsatz dieser Bestimmung den
Mitgliedstaaten zwar ein gewisser Spielraum in Bezug auf die Festlegung
zugestanden wird, welche rechtlichen Regelungen für missbräuchliche
Klauseln gelten, sie aber dennoch ausdrücklich vorsehen müssen, dass
diese Klauseln „für den Verbraucher unverbindlich sind“.
63 Der
Gerichtshof hat diese Bestimmung bereits dahin ausgelegt, dass die
nationalen Gerichte, die die Missbräuchlichkeit vertraglicher Klauseln
feststellen, verpflichtet sind, alle Konsequenzen zu ziehen, die sich
daraus nach nationalem Recht ergeben, damit diese Klauseln für den
Verbraucher unverbindlich sind (vgl. Urteil Asturcom Telecomunicaciones,
Randnr. 58, Beschluss vom 16. November 2010, Pohotovosť, C‑76/10,
Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 62, sowie Urteil Pereničová und Perenič,
Randnr. 30). Wie nämlich in Randnr. 40 des vorliegenden Urteils
ausgeführt, handelt es sich um eine zwingende Bestimmung, die darauf
abzielt, die nach dem Vertrag bestehende formale Ausgewogenheit der
Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle
Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen.
64 Zum
anderen ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber im zweiten
Teilsatz von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sowie im
21. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 ausdrücklich vorgesehen hat,
dass der Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher
für beide Parteien „auf derselben Grundlage“ bindend bleibt, wenn er
„ohne die missbräuchlichen Klauseln“ bestehen bleiben kann.
65 Aus
dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 ergibt sich demnach, dass die nationalen
Gerichte eine missbräuchliche Vertragsklausel nur für unanwendbar zu
erklären haben, damit sie den Verbraucher nicht bindet, ohne dass sie
befugt wären, deren Inhalt abzuändern. Denn der betreffende Vertrag muss
– abgesehen von der Änderung, die sich aus der Aufhebung der
missbräuchlichen Klauseln ergibt – grundsätzlich unverändert
fortbestehen, soweit dies nach den Vorschriften des innerstaatlichen
Rechts rechtlich möglich ist.
66 Für diese Auslegung sprechen auch der Regelungszweck und die Systematik der Richtlinie 93/13.
67 Nach
ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs stellt diese Richtlinie
nämlich insgesamt eine Maßnahme dar, die für die Erfüllung der Aufgaben
der Union und insbesondere für die Hebung der Lebenshaltung und der
Lebensqualität in der ganzen Union unerlässlich ist (vgl. Urteile
Mostaza Claro, Randnr. 37, Pannon GSM, Randnr. 26, und Asturcom
Telecomunicaciones, Randnr. 51).
68 Aufgrund
von Art und Bedeutung des öffentlichen Interesses, auf dem der Schutz
beruht, der den Verbrauchern gewährt wird, weil sie sich gegenüber den
Gewerbetreibenden in einer Position der Unterlegenheit befinden,
verpflichtet die Richtlinie 93/13 die Mitgliedstaaten, wie sich aus
ihrem Art. 7 Abs. 1 in Verbindung mit ihrem 24. Erwägungsgrund ergibt,
angemessene und wirksame Mittel vorzusehen, „damit der Verwendung
missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den
Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird“.
69 In
diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass, wie die Generalanwältin in
den Nrn. 86 bis 88 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, wenn es dem
nationalen Gericht freistünde, den Inhalt der missbräuchlichen Klauseln
in solchen Verträgen abzuändern, eine derartige Befugnis die
Verwirklichung des langfristigen Ziels gefährden könnte, das mit Art. 7
der Richtlinie 93/13 verfolgt wird. Diese Befugnis trüge nämlich dazu
bei, den Abschreckungseffekt zu beseitigen, der für die
Gewerbetreibenden darin besteht, dass solche missbräuchlichen Klauseln
gegenüber dem Verbraucher schlicht unangewendet bleiben (vgl. in diesem
Sinne Beschluss Pohotovosť, Randnr. 41 und die dort angeführte
Rechtsprechung); die Gewerbetreibenden blieben nämlich versucht, die
betreffenden Klauseln zu verwenden, wenn sie wüssten, dass, selbst wenn
die Klauseln für unwirksam erklärt werden sollten, der Vertrag
gleichwohl im erforderlichen Umfang vom nationalen Gericht angepasst
werden könnte, so dass das Interesse der Gewerbetreibenden auf diese Art
und Weise gewahrt würde.
70 Würde
dem nationalen Gericht eine solche Befugnis zugestanden, könnte sie
deshalb von sich aus keinen genauso wirksamen Schutz des Verbrauchers
garantieren wie den, der sich aus der Nichtanwendung der
missbräuchlichen Klauseln ergibt. Außerdem ließe sich diese Befugnis
auch nicht auf Art. 8 der Richtlinie 93/13 stützen, der den
Mitgliedstaaten die Möglichkeit lässt, auf dem durch diese Richtlinie
geregelten Gebiet mit dem Unionsrecht vereinbare strengere Bestimmungen
zu erlassen oder aufrechtzuerhalten, soweit ein höheres Schutzniveau für
die Verbraucher gewährleistet ist (vgl. Urteile vom 3. Juni 2010, Caja
de Ahorros y Monte de Piedad de Madrid, C‑484/08, Slg. 2010, I‑4785,
Randnrn. 28 und 29, sowie Pereničová und Perenič, Randnr. 34).
71 Aus
diesen Erwägungen ergibt sich daher, dass Art. 6 Abs. 1 der
Richtlinie 93/13 nicht dahin verstanden werden kann, dass er es dem
nationalen Gericht gestattet, wenn es eine missbräuchliche Klausel in
einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher
entdeckt, den Inhalt dieser Klausel abzuändern anstatt schlicht deren
Anwendung gegenüber dem Verbraucher auszuschließen.
72 Insoweit
obliegt es dem vorliegenden Gericht, zu prüfen, welche nationalen
Vorschriften auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit anwendbar sind,
sowie unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und
unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden alles zu tun,
was in seiner Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit von Art. 6
Abs. 1 der Richtlinie 93/13 zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu
gelangen, das mit dem mit der Richtlinie verfolgten Ziel im Einklang
steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Januar 2012, Dominguez,
C‑282/10, Slg. 2012, I‑0000, Randnr. 27 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
73 Im
Licht der vorstehenden Ausführungen ist auf die zweite Frage zu
antworten, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist,
dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie Art. 83 des Decreto
Legislativo 1/2007 entgegensteht, wonach das nationale Gericht, wenn es
die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem Vertrag zwischen
einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher feststellt, durch
Abänderung des Inhalts dieser Klausel den Vertrag anpassen kann.
Zu den Fragen 3 bis 6
74 Mit
seinen Fragen 3 bis 6 möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof
wissen, welche Aufgaben die nationalen Gerichte nach der Verordnung
Nr. 1896/2006 und der Richtlinie 2005/29 haben, wenn sie eine
vertragliche Verzugszinsklausel wie die im Ausgangsverfahren in Rede
stehende überprüfen, und welchen Verpflichtungen im Sinne des Art. 5
Abs. 1 Buchst. l und m sowie der Art. 6, 7 und 10 Abs. 2 Buchst. l der
Richtlinie 2008/48 die Kreditinstitute bei der Anwendung des
Verzugszinssatzes in Kreditverträgen unterliegen.
75 Nach
Ansicht des Königreichs Spanien und der Europäischen Kommission sind
diese Fragen unzulässig, da die Bestimmungen des Unionsrechts, auf die
sie sich bezögen, nicht auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar seien und
ihre Auslegung daher dem vorlegenden Gericht bei der Entscheidung
dieses Rechtsstreits nicht helfe.
76 Insoweit
ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung in
dem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung
zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das
nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts
des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des
nationalen Rechts zuständig ist. Ebenso hat nur das nationale Gericht,
das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich
die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die
Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit als auch die
Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen.
Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte
Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen
(Urteile vom 12. April 2005, Keller, C‑145/03, Slg. 2005, I‑2529,
Randnr. 33, vom 18. Juli 2007, Lucchini, C‑119/05, Slg. 2007, I‑6199,
Randnr. 43, und vom 11. September 2008, Eckelkamp u. a., C‑11/07,
Slg. 2008, I‑6845, Randnrn. 27 und 32).
77 Ein
Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts kann demnach nur
dann zurückgewiesen werden, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts
offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem
Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem
hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die
tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine
zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind
(vgl. u. a. Urteile vom 5. Dezember 2006, Cipolla u. a., C‑94/04 und
C‑202/04, Slg. 2006, I‑11421, Randnr. 25, und vom 1. Juni 2010, Blanco
Pérez und Chao Gómez, C‑570/07 und C‑571/07, Slg. 2010, I‑4629,
Randnr. 36).
78 Genau dies ist hier aber der Fall.
79 Insbesondere
in Bezug auf die dritte Frage fehlt der Auslegung der Verordnung
Nr. 1896/2005 jegliche Relevanz für die Entscheidung, die das vorlegende
Gericht in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu treffen hat. So fällt
zum einen, wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt,
der Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits nicht in den Anwendungsbereich
dieser Verordnung, die sich nach ihrem Art. 1 Abs. 1 nur auf
grenzüberschreitende Verfahren bezieht, sondern bleibt ausschließlich
den Bestimmungen der spanischen Zivilprozessordnung unterworfen. Zum
anderen sollen durch diese Verordnung, wie es in ihrem zehnten
Erwägungsgrund ausdrücklich heißt, die nach nationalem Recht
vorgesehenen Mechanismen zur Beitreibung unbestrittener Forderungen
weder ersetzt noch harmonisiert werden.
80 Was
die vierte Frage angeht, ist offensichtlich, dass die Bestimmungen des
Art. 5 Abs. 1 Buchst. l und m sowie der Art. 6 und 10 Abs. 2 Buchst. l
der Richtlinie 2008/48, um deren Auslegung das vorlegende Gericht
ersucht, in zeitlicher Hinsicht keine Anwendung auf den
Ausgangsrechtsstreit finden, da er die angeblich nicht ordnungsgemäße
Erfüllung des am 28. Mai 2007 zwischen Herrn Calderón Camino und Banesto
geschlossenen Kreditvertrags durch Ersteren betrifft.
81 Insoweit
genügt nämlich die Feststellung, dass die Richtlinie 2008/48 nach ihren
Art. 27, 29 und 31 am 11. Juni 2008 in Kraft getreten ist und die
Mitgliedstaaten bis spätestens zum 11. Juni 2010, dem Tag, an dem die
Richtlinie 87/102 aufgehoben wurde, die Maßnahmen zu treffen hatten, die
erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. Ferner sah
Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2008/48 ausdrücklich vor, dass sie nicht
für die am Tag des Inkrafttretens der innerstaatlichen
Umsetzungsmaßnahmen bereits laufenden Kreditverträge gilt.
82 Zur
fünften Frage, bei der es darum geht, ob Art. 6 Abs. 2 der
Richtlinie 2008/48 das Kreditinstitut zur Mitteilung der vorzeitigen
Fälligkeit des Kredits oder des Darlehens verpflichtet, um den
Verzugszinssatz anwenden zu können, und ob der Grundsatz des Verbots der
ungerechtfertigten Bereicherung des Art. 7 dieser Richtlinie
herangezogen werden kann, wenn das Kreditinstitut nicht nur die
Rückzahlung des Kapitals, sondern auch besonders hohe Verzugszinsen
fordert, ist zunächst festzustellen, dass sich das vorlegende Gericht,
wie sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt, mit dieser
Frage in Wirklichkeit auf die entsprechenden Artikel der
Richtlinie 87/102 beziehen wollte, die allein für den Gegenstand der
betreffenden Frage einschlägig sind.
83 Selbst
unter der Annahme, dass hierin der wahre Gehalt der fünften Frage liegt
(vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. November 1999, Teckal, C‑107/98,
Slg. 1999, I‑8121, Randnrn. 34 und 39), weist jedoch, wie auch die
Generalanwältin in den Nrn. 99 und 100 ihrer Schlussanträge ausgeführt
hat, nichts in der Vorlageentscheidung darauf hin, dass sich im
Ausgangsrechtsstreit eine Problematik stellen würde, die die Pflicht zur
vorherigen Information des Verbrauchers über jede Änderung des
Jahreszinses oder die Rückgabe einer Ware an den Gläubiger, die zu
dessen ungerechtfertigter Bereicherung führt, betrifft.
84 Somit
ist die fünfte Frage offensichtlich hypothetisch, da die Auslegung der
genannten Vorschriften der Richtlinie 87/102 keinerlei Verbindung zum
Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits aufweist.
85 Was
schließlich die sechste Frage angeht, ob mangels Umsetzung der
Richtlinie 2005/29 deren Art. 11 Abs. 2 dahin auszulegen ist, dass ein
nationales Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Praxis
prüfen kann, die darin besteht, in den Text eines Vertrags eine Klausel
über Verzugszinsen aufzunehmen, genügt die Feststellung, dass, wie auch
die Generalanwältin in Nr. 106 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat,
nichts im Vorlagebeschluss darauf hinweist, dass der Juzgado de Primera
Instancia n° 2 de Sabadell, als er den Beschluss erließ, mit dem der
Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids zurückgewiesen wurde, es als eine
unlautere Geschäftspraxis im Sinne der oben genannten Richtlinie
eingestuft hätte, dass Banesto in den Kreditvertrag, den sie mit Herrn
Calderón Camino schloss, eine Verzugszinsklausel wie die im
Ausgangsverfahren in Rede stehende aufgenommen hat.
86 Zudem
stellt das vorlegende Gericht in seiner Entscheidung Erwägungen zur
Erläuterung dieser Frage an, indem es ausdrücklich auf „die
möglicherweise unlautere Praxis des Kreditinstituts“ verweist.
87 Somit
ist offensichtlich, dass die Auslegung der Richtlinie 2005/29 im
Hinblick auf den Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits rein hypothetisch
ist. In diesem Zusammenhang erweist sich auch die fehlende Umsetzung
dieser Richtlinie als für die Entscheidung des betreffenden
Rechtsstreits bedeutungslos.
88 Nach alledem sind die Vorlagefragen 3 bis 6 des vorlegenden Gerichts unzulässig.
Kosten
89 Für
die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem
Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Die
Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche
Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass sie einer
mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede
stehenden entgegensteht, wonach ein mit einem Antrag auf Erlass eines
Mahnbescheids befasstes Gericht, sofern der Verbraucher keinen
Widerspruch erhebt, weder a limine noch in irgendeiner anderen
Phase des Verfahrens von Amts wegen prüfen darf, ob eine
Verzugszinsklausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und
einem Verbraucher missbräuchlich ist, obwohl es über die hierzu
erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt.
2. Art. 6
Abs. 1 der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass er einer
mitgliedstaatlichen Regelung wie Art. 83 des Real Decreto Legislativo
1/2007 por el que se aprueba el texto refundido de la Ley General para
la Defensa de los Consumidores y Usuarios y otras leyes complementarias
(Real Decreto Legislativo 1/2007 zur Billigung der Neufassung des
Allgemeinen Gesetzes über den Schutz der Verbraucher und Benutzer mit
Nebengesetzen) vom 16. November 2007 entgegensteht, wonach das nationale
Gericht, wenn es die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in
einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher
feststellt, durch Abänderung des Inhalts dieser Klausel den Vertrag
anpassen kann.
Unterschriften
Quellezuletzt aktualisiert: 23.08.2013