Kernbrennstoffsteuergesetz mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig
Pressemitteilung Nr. 42/2017 vom 7. Juni 2017
Mit Beschluss - 2 BvL 6/13 - vom 13. April 2017 bestätigte das BVerfG die Auffassungen der Finanzgerichte (FG) Hamburg und München:
Es handele sich nicht um eine auf Konsumenten umzulegende Verbrauchsteuer, sondern sie verfolge das Ziel, die Gewinne der Kernkraftwerksbetreiber abzuschöpfen. Atomsteuer: Keine Verbrauchssteuer, sondern "Gewinnabschöpfung"
Begründung: Der Bund habe gar kein Recht gehabt, die Steuer zu beschließen.
Bei der Steuer handele es sich nicht um eine in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallende Verbrauchssteuer, hieß es zur Begründung am Dienstag.
weiter lesen auf FOCUS Online
Finanzgericht Hamburg
Pressemitteilung vom 29.01.2013
Kernbrennstoffsteuer verfassungswidrig?
Zum
1. Januar 2011 trat das Kernbrennstoffsteuergesetz in Kraft, mit dem
der Bund eine neue Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoffen
eingeführt hat. Als die Klägerin im Juli 2011 in dem vor ihr betriebenen
Kraftwerk die Kernbrennstäbe wechselte, berechnete sie pflichtgemäß die
Steuer und gab beim für sie zuständigen Hauptzollamt eine
Steueranmeldung über rund 96 Mio. Euro Kernbrennstoffsteuer ab, legte
aber sogleich Rechtmittel ein.
Das
Kernbrennstoffsteuergesetz war von Beginn an rechtlich umstritten.
Aufgrund erheblicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des
Kernbrennstoffsteuergesetzes gewährte das Finanzgericht Hamburg der
Klägerin bereits mit Beschluss vom 16.9.2011 (Az. 4 V 133/11)
vorläufigen Rechtsschutz, der allerdings vom Bundesfinanzhof aus
formellen Gründen wieder aufgehoben wurde. In weiteren Eilverfahren hat
bisher neben dem 4. Senat auch das Finanzgericht München ernstliche
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Kernbrennstoffsteuer geäußert,
wohingegen das Finanzgericht Baden-Württemberg das Gesetz für
verfassungsgemäß gehalten hat.
Nach
Schluss der mündlichen Verhandlung des Hauptsacheverfahrens am 29.
Januar 2013 hat der Präsident des Finanzgerichts Hamburg und Vorsitzende
des 4. Senats Schoenfeld den Beschluss des Senats verkündet, mit dem
der Senat das Kernbrennstoffsteuergesetz dem Bundesverfassungsgericht
zur Überprüfung vorlegt. Das Gesetz sei mangels Gesetzgebungskompetenz
des Bundes verfassungswidrig, denn bei der Kernbrennstoffsteuer handele
es sich nicht um eine in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallende
Verbrauchsteuer.
Im Einzelnen:
Nach
dem Kernbrennstoffsteuergesetz wird der Verbrauch von Kernbrennstoff
(Uran 233 und 235 sowie Plutonium 239 und 241) besteuert, der zur
gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wird. Die Steuer
wird durch die Hauptzollämter von den Kernkraftwerksbetreibern erhoben
und entsteht immer dann, wenn ein Brennelement in einen Kernreaktor
eingesetzt und eine sich selbsttragende Kettenreaktion ausgelöst wird.
Bei einem Steuersatz von 145 EUR je Gramm Kernbrennstoff wurde bei
Einführung der Steuer eine jährliche Einnahme von 2,3 Mrd. EUR erwartet.
Von den damals noch 17 Kernkraftwerken sind nach der auf die
Reaktorkatastrophe von Fukushima folgenden Energiewende allerdings nur
noch 9 Anlagen in Betrieb.
Allein
beim Finanzgericht Hamburg sind eine Reihe von Klagen für verschiedene
Kernkraftwerke anhängig, deren Gesamtstreitwert sich auf rund 1,5 Mrd.
Euro beläuft.
Zuständig für diese
Klagen ist beim Finanzgericht Hamburg der 4. Senat, der als Gemeinsamer
Senat für die Länder Freie und Hansestadt Hamburg, Niedersachsen und
Schleswig-Holstein eine länderübergreifende Zuständigkeit für Zoll-,
Verbrauchsteuer- und Marktordnungsrecht hat.
Aus der mündlichen Begründung:
Der
vorlegende Senat ist davon überzeugt, dass das
Kernbrennstoffsteuergesetz formell verfassungswidrig ist, weil die
Kernbrennstoffsteuer keine Verbrauchsteuer im Sinne der
finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzregeln sei und dem Bund auch im
Übrigen keine (alleinige) Gesetzgebungskompetenz zur Verfügung stehe.
Der
Bund habe die sich aus Art. 105, 106 Grundgesetz ergebende
Gesetzgebungskompetenz für Verbrauchsteuern nicht in Anspruch nehmen
können, weil die Kernbrennstoffsteuer weder eine herkömmliche
Verbrauchsteuer sei noch die Typusmerkmale einer Verbrauchsteuer
erfülle. Prägendes Wesensmerkmal der Verbrauchsteuern sei insbesondere
ihr Ziel, den privaten Verbraucher zu belasten. Auch wenn
Verbrauchsteuern typischerweise nicht unmittelbar beim Konsumenten
erhoben würden, sondern indirekt beim Handel oder bei der Industrie,
müssten sie doch darauf angelegt sein, auf den Konsumenten abgewälzt zu
werden.
Dies sei bei der
Kernbrennstoffsteuer nicht der Fall. Schon in der Begründung des
Kernbrennstoffsteuergesetzes sei festgehalten worden, dass eine
Überwälzung der Steuer allenfalls in geringem Umfang möglich sein werde.
Eine Betrachtung des Strommarktes bestätige erwartungsgemäß, dass die
Kernbrennstoffsteuer auf die Strompreisbildung ohne Einfluss geblieben
sei. Dies führt den 4. Senat zu der Feststellung, dass die
Kernbrennstoffsteuer nicht auf Abwälzung angelegt sei, sondern, wie auch
entsprechende Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren belegten, das Ziel
verfolge, die Gewinne der Kernkraftwerksbetreiber abzuschöpfen. Die
Besteuerung von Gewinnen erfolge nach dem Steuersystem des Grundgesetzes
allerdings nicht durch Verbrauchsteuern, sondern typischerweise durch
eine der Ertragsteuern, die jedoch nicht in der alleinigen
Gesetzgebungskompetenz des Bundes lägen.
Zur
Verfassungsmäßigkeit der Kernbrennsteuer im Übrigen – die Klägerin rügt
insbesondere noch den Verstoß gegen den Gleichheitssatz und die
Verletzung der Eigentumsgarantie – hat sich der 4. Senat nicht geäußert;
sie wird vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des
Normenkontrollverfahrens von Amts wegen zu prüfen sein. Eine
Überprüfung, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz gegen höherrangiges
Europarecht verstößt – etwa gegen Beihilfevorschriften oder den
Euratom-Vertrag – hat der 4. Senat zunächst zurückgestellt.
Die schriftliche Begründung des Beschluss liegt noch nicht vor.
Für Rückfragen:RiFG Matthias Tiemann
Pressesprecher des Finanzgerichts Hamburg
Tel.: 040 - 42843 7748 oder 7726
Fax: 040 - 42843 7777
mehr:
Finanzgericht Hamburg gewährt vorläufigen Rechtsschutz in 27 Fällen
weiterlesen
Kernbrennstoffsteuer verfassungswidrig?
Vorlagebeschluss zur Kernbrennstoffsteuer
Im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2013 hatte der 4. Senat des Finanzgerichts Hamburg bereits verkündet, die im Jahr 2011 eingeführte Kernbrennstoffsteuer durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Seit Mai liegt nun der schriftliche Beschluss im Volltext vor und kann über folgenden Link aufgerufen werden:
Beschluss vom 29.01.2013, 4 K 270/11, im Volltext als PDF
Kernbrennstoffsteuer verfassungswidrig?
Finanzgericht Hamburg äußert erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernstoffsteuergesetzes
19. September 2011
Kernbrennstoffsteuer verfassungswidrig?
In einer bundesweit ersten Gerichtsentscheidung hat der 4. Senat des Finanzgerichts Hamburg die Anfang des Jahres als Verbrauchsteuer neu eingeführte Kernbrennstoffsteuer – auch „Brennelementesteuer“ genannt – in Frage gestellt und in einem heute den Beteiligten bekannt gegebenen Beschluss (Az. 4 V 133/11) einem Eilantrag eines Kernkraftwerkbetreibers stattgegeben.
Zum Sachverhalt: Zum 1. Januar 2011 trat das Kernbrennstoffsteuergesetz in Kraft, mit dem der Bund eine neue Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoffen eingeführt hat. Das Kernbrennstoffsteuergesetz verpflichtet die Betreiber von Kernkraftwerken, die Kernbrennstoffsteuer selbst zu berechnen und bei dem für sie zuständigen Hauptzollamt anzumelden. So verhielt sich auch die Antragstellerin und gab im Juli 2011 beim Hauptzollamt Hannover eine Steueranmeldung über rund 96 Mio. Euro Kernbrennstoffsteuer ab. Die Antragstellerin zahlte in der Folge auch die Kernbrennstoffsteuer, um die Festsetzung von Säumniszuschlägen zu vermeiden, reichte aber zugleich beim Finanzgericht Hamburg einen vorläufigen Rechtsschutzantrag ein, mit dem sie die Aufhebung der Vollziehung ihrer Steueranmeldung, d.h. die vorläufige Rückzahlung der von ihr gezahlten Kernbrennstoffsteuer begehrt.
Der 4. Senat des Finanzgerichts Hamburg hat dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung der Steueranmeldung ausgesetzt. Das Gericht hat in seinem Beschluss ernstliche Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes geäußert, weil dem Bund keine Gesetzgebungskompetenz zum Erlass des Kernbrennstoffsteuergesetzes zustehen dürfte. Bei der Kernbrennstoffsteuer dürfte es sich nämlich um keine, in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallende Verbrauchsteuer handeln. Auch sei es ernstlich zweifelhaft, ob der Bundesgesetzgeber eine ganz „neue“ Steuer, die im Grundgesetz nicht vorgesehen sei, „erfinden“ dürfe.
Das Finanzgericht Hamburg hat in seinem Beschluss die Beschwerde an den Bundesfinanzhof wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Im Einzelnen:
Nach dem von Beginn an umstrittenen Kernbrennstoffsteuergesetz wird der Verbrauch von Kernbrennstoff (Uran 233 und 235 sowie Plutonium 239 und 241) besteuert, der zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wird. Die Steuer wird durch die Hauptzollämter von den Kernkraftwerksbetreibern erhoben und entsteht, wenn ein Brennelement in einen Kernreaktor eingesetzt und eine sich selbsttragende Kettenreaktion ausgelöst wird. Bei einem Steuersatz von 145 EUR je Gramm Kernbrennstoff wurde bei Einführung der Steuer eine jährliche Einnahme von 2,3 Mrd. EUR erwartet. Von den damals noch 17 Kernkraftwerken sind nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima im März dieses Jahres zwischenzeitlich allerdings 8 Anlagen abgeschaltet worden.
Der beschließende 4. Senat des Finanzgerichts Hamburg ist der Gemeinsame Senat für die Länder Freie und Hansestadt Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit einer länderübergreifenden Zuständigkeit für Zoll-, Verbrauchsteuer- und Marktordnungsrecht.
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes soll das Gericht auf Antrag die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes aussetzen, soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen. Nach Ansicht des Gerichts ist es zweifelhaft, ob dem Bund für den Erlass der Kernbrennstoffsteuer nach dem Grundgesetz eine Gesetzgebungskompetenz zusteht. Der 4. Senat hat zum einen Bedenken, ob die Kernbrennstoffsteuer dem verfassungsrechtlichen Typus einer Verbrauchsteuer entspricht. Bei Verbrauchsteuern handelt es sich nämlich typischerweise um Warensteuern, die den baldigen Verzehr oder den kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs belasten. Als Besteuerung des Verbrauchs knüpfen sie an das Verbringen des Gutes in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr an. Sie werden in der Regel bei demjenigen Unternehmer erhoben, der das Gut am Markt anbietet, sind aber auf Überwälzung auf den Verbraucher angelegt. In seinem Beschluss führt der 4. Senat aus, dass Kernbrennstoffe kein Konsumgut seien, sondern ausschließlich zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet würden, ohne dabei in den allgemeinen Wirtschaftsverkehr zu gelangen. Dass den Stromerzeugern eine Überwälzung der durch die Kernbrennstoffsteuer entstehenden zusätzlichen Kosten möglich sein werde, erwarte ausweislich der Gesetzesbegründung selbst der Gesetzgeber nicht.
Über den konkreten Fall hinaus reicht die Frage, ob der Gesetzgeber neben den im Grundgesetz genannten Steuern und Steuerarten noch neuartige Steuern einführen darf. Der 4. Senat hat in seinem Beschluss erhebliche Vorbehalte gegen ein solches „Steuerfindungsrecht“ geäußert. Er sieht die Gefahr, dass damit die von der Finanzverfassung sorgsam ausbalancierte Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund und Ländern umgangen werden könnte.
Da der 4. Senat des Finanzgerichts Hamburg bereits ernstliche Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass des Kernbrennstoffsteuergesetzes hat, bestand für ihn kein Anlas, sich bereits in diesem Verfahren zu den weiteren streitigen Fragen zu äußern, etwa ob die Kernbrennstoffsteuer auch gegen die Grundrechte auf Gleichbehandlung und auf Eigentum oder gegen Europarecht verstößt.
Beschluss vom 16. September 2011 (4 V 133/11) im Volltext
Für Rückfragen:
VPräsFG Christoph Schoenfeld
Pressesprecher des Finanzgerichts Hamburg
Tel.: 040 - 42843 7749 oder 7726
Fax: 040 - 42843 7777
19. September 2011
Quelle
Das Finanzgericht (FG) Hamburg ist wie das FG München der Auffassung, dass der Bund gar keine Gesetzgebungskompetenz zum Erlass einer Brennelementesteuer hat.
Ihre Begründung:
Es handele sich nicht um eine auf Konsumenten umzulegende Verbrauchsteuer, sondern sie verfolge das Ziel, die Gewinne der Kernkraftwerksbetreiber abzuschöpfen.Ursprünglich wollte der Bund 2,3 Milliarden Euro über die Steuer einnehmen. Von ehemals 17 Atommeilern sind im Zuge der Energiewende nur noch neun in Betrieb.
Weiter zum vollständigen Artikel ...
München (Az. 14 V 2155/11)
Bereits Mitte September hatte das Finanzgericht (FG) Hamburg einem vorläufigen Rechtsschutzantrag stattgegeben, mit dem die Rückzahlung von fast 100 Millionen Euro Kernbrennstoffsteuer verlangt wurde (Az. 4 V 133/11).
Beide Gerichte bezweifeln, dass der Bund die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass einer Brennelementesteuer hat, weil es sich wohl nicht um eine Verbrauchsteuer handele.Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache haben die Gerichte die Beschwerde an den Bundesfinanzhof nach eigenen Angaben zugelassen.
Zudem sei zweifelhaft, ob der Bund eine neue im Grundgesetz nicht vorgesehene Steuer erfinden darf.
Weiter zum vollständigen Artikel ...