Montag, 27. Oktober 2014
LG Kleve: Entschädigung für ordnungsbehördliche Wettbüroschließung
Veröffentlicht am 24. Oktober 2014
Ein Artikel von Rechtsanwalt Dr. Thomas Bartholmes
Das Landgericht Kleve hat in einem vom Verfasser geführten Klageverfahren mit Urteil vom 23.7.2014 die Verpflichtung einer nordrhein-westfälischen Gemeinde festgestellt, einer ehemaligen Sportwettvermittlerin Entschädigungsleistungen wegen der rechtswidrigen Schließung ihres Wettbüros im Jahre 2006 zu zahlen.
Staatliche Stellen hatten die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 28.3.2006 (1 BvR 1054/01) für die Zeit bis zur Neuregelung des Sportwettenrechts in Bayern (insbesondere Rn. 158) häufig dahingehend mißverstanden, daß auch im Anwendungsbereich des EG-Vertrags die Vermittlung von Sportwetten an nichtstaatliche Veranstalter ordnungsbehördlich unterbunden werden dürfte. Tatsächlich hatte sich jedoch weder durch das Urteil selbst noch durch nachfolgende Selbstbeschränkungen der staatlichen Monopolisten bei der Vermarktung ihrer Wetten etwas an der – auch aus den bundesverfassungsgerichtlichen Urteilsgründen ableitbaren – Unvereinbarkeit des Monopols mit EG-Recht, die insbesondere durch die fiskalische Motivation der entsprechenden Beschränkungen begründet war (Rn. 144), geändert. Für die nachfolgende Zeit unter Geltung des Glücksspielstaatsvertrags (ab 1.1.2008) galt insoweit nichts anderes. Dementsprechend waren (und sind) die damaligen ordnungsbehördlichen Maßnahmen gegen Wettvermittler, konkret also Schließungsverfügungen und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die durchweg von der Existenz eines angeblich europarechtskonformen Wettmonopols ausgingen, rechtswidrig (so z.B. BVerwG, Urt. v. 20.6.2013, 8 C 17.12).
Nach § 39 Abs. 1 lit. b) i.V.m. §§ 42 Abs. 1 S. 1, 45 Abs. 1 OBG NRW ist ein Schaden, den jemand durch rechtswidrige Maßnahmen der örtlichen Ordnungsbehörden erleidet, durch die Gemeinden als Träger der Ordnungsbehörde zu ersetzen, „gleichgültig, ob die Ordnungsbehörden ein Verschulden trifft oder nicht“. Die beklagte Stadt hatte sich darauf berufen, sie habe auf Weisung der Bezirksregierung Düsseldorf gehandelt; zudem hafte sie nicht, da sie die Ordnungsverfügung auf der Grundlage eines verfassungswidrigen und europarechtswidrigen Gesetzes erlassen habe. Das Landgericht hielt diese Einwände nicht für durchgreifend. Das Landgericht verweist darauf, daß ein Entschädigungsausschluß nicht aus dem Urteil des BGH vom 12.3.1987, III ZR 216/85, das zum richterrechtlich geprägten Haftungsinstitut des „enteignungsgleichen Eingriffs“ ergangen war, hergeleitet werden kann:
„Vorliegend ist jedoch Anspruchsgrundlage nicht ein richterrechtlich geprägtes Haftungsinstitut sondern eine entsprechende Norm in einem formellen Gesetz, nämlich § 39 OBG NRW. In dieser Norm kommt der Wille des Gesetzgebers, eine Haftung für jedwede rechtswidrige Maßnahme einer Ordnungsbehörde zu schaffen, deutlich zum Ausdruck. Von der dabei bestehenden Möglichkeit, diese Haftung einzuschränken, etwa auf die Fälle rein fehlerhafter Gesetzesanwendung oder schuldhaften Verhaltens, hat der Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht, sondern durch die Formulierung der Norm deren umfassenden Anwendungsbereich betont. Daher ist dieser Norm auch kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass sie dann nicht anwendbar sein soll, wenn die objektiv zu bestimmende Rechtswidrigkeit der schadensstiftenden Maßnahme darauf beruht, dass bereits die zur Begründung der Maßnahme herangezogene Norm rechtswidrig ist“.
Das Landgericht verweist zudem richtigerweise darauf, daß
„vorliegend der Schaden der Klägerin nicht unmittelbar durch dieses Gesetz entstanden ist sondern durch die objektiv rechtswidrige Umsetzung des Gesetzes durch die Beklagte in Form des Erlasses der Ordnungsverfügung vom 10.05.2006“.
Auch könne sich die Stadt nicht darauf berufen, auf der Grundlage einer Weisung gehandelt zu haben. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, daß der Runderlaß der Bezirksregierung Düsseldorf vom 5.7.2004, der aus zeitlichen Gründen keinerlei Bedeutung für die streitige Maßnahme mehr haben konnte, darum bittet, seine Forderung, daß „weiterhin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gegen illegale Wettbüros vorzugehen ist“, als Weisung gemäß § 9 OBG zu betrachten – was in späteren aufsichtsbehördlichen Schreiben regelmäßig nicht mehr vorkam. Gleichwohl hat das Landgericht „erhebliche Zweifel“, ob es sich seinerzeit wirklich um eine Weisung gehandelt hatte, brauchte dem allerdings wegen des nicht nachgewiesenen Zusammenhangs mit dem Erlaß der Maßnahme nicht näher nachzugehen.
Anders als das OLG Koblenz (Urt. v. 22.8.2013, 1 U 551/12), das ebenfalls bereits – in geringfügigem Umfang – einem Sportwettvermittler Entschädigung wegen einer ordnungsbehördlichen Untersagung zugesprochen hatte, sah das Landgericht Kleve einen Antrag auf umfassende Feststellung der Entschädigungspflicht für zulässig an. Die Klage hatte somit in vollem Umfang Erfolg. Die Stadt hat inzwischen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Berufung gegen das Urteil einzulegen.
Das Urteil macht deutlich, daß örtliche Ordnungsbehörden, die die Vermittlung von Sportwetten untersagen, dem damit verbundenen Haftungsrisiko weder durch Verweis auf entsprechende Wünsche oder Bitten aus der Landesverwaltung noch durch den Verweis auf ein etwaiges gesetzgeberisches Fehlverhalten entgehen können. Dies ist auch deshalb gerechtfertigt, weil in aller Regel den örtlichen Ordnungsbehörden sowohl durch das Gesetz als auch durch die übergeordneten Stellen noch hinreichender Spielraum belassen wird, um eine Schädigung von Wettbürobetreibern infolge einer rechtswidrigen Schließung längerfristig zu vermeiden. So konnten in weiten Teilen des Landes NRW, wie z.B. in Dortmund oder Bonn, private Sportwetten auch in den Jahren 2006 und 2007 mit Wissen der örtlichen Ordnungsbehörden weiterhin durch die ursprünglichen Betreiber der Wettbüros vermittelt werden, da Untersagungsverfügungen gegen sie nicht ergingen oder aber nicht durchgesetzt wurden.
Inzwischen gibt es deutschlandweit nur noch ganz vereinzelt ordnungsbehördliche Schließungsverfügungen, was die Vorstellung, derartige Maßnahmen seien gesetzgeberisch vorgeschrieben und mithin Ausfluß eines „legislativen Unrechts“ in Gestalt des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags, sehr fernliegend erscheinen läßt. Hinzu kommt seit einiger Zeit, daß die Verletzung der unionsrechtlichen Grundfreiheiten von Wettvermittlern und Wettveranstaltern zunehmend weniger dem Gesetzgeber zur Last zu legen ist, der ja immerhin vor mehr als zwei Jahren (!) die gesetzgeberischen Voraussetzungen für eine Zulassung privater Wettangebote geschaffen hat, als vielmehr der Exekutive, die durch strukturelle Vollzugsdefizite z.B. im Bereich der Werbung für privilegierte staatliche Glücksspielangebote oder zuletzt im Konzessionsvergabeverfahren Zustände schafft und zu verantworten hat, die nicht den gesetzgeberischen Vorstellungen entsprechen.
Der Volltext des Urteils ist abrufbar auf www.vewu.com/urteile.php.
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