Mittwoch, 2. März 2011

Glücksspielprobleme in Deutschland weit verbreitet - Geldspielautomaten machen am häufigsten süchtig

Pressemitteilung DHS, DG Sucht und fags vom 16. Februar 2011

Ergebnisse des Projektes Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE)

Bisherige Daten zu Problematischem und Pathologischem Glücksspielen in Deutschland waren lückenhaft. Insbesondere hinsichtlich der Auswahl der Befragten, der eingesetzten Erhebungsverfahren und der Auswertungsstrategien bestand der Bedarf nach einer breit angelegten Bevölkerungsstudie, die repräsentativ das Ausmaß der Problematik darstellen sowie begünstigende Faktoren ermitteln kann. Der Glücksspielstaatsvertrag vom 1. Januar 2008 sah vor, dass die Länder die wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung von Suchtgefahren durch Glücksspiele sicherstellen. Aus den zur Verfügung gestellten Mitteln konnte nun eine methodisch fundierte und groß angelegte Studie finanziert werden.

Im Folgenden werden ausgewählte und zum Teil vorläufige Ergebnisse des von den Bundesländern im Rahmen des Glücksspielstaatsvertrags geförderten Projektes PAGE berichtet. Die von den Universitäten Greifswald und Lübeck durchgeführte Studie erlaubt erstmals für Deutschland die Häufigkeit von Problematischem und Pathologischem Glücksspielen über die Lebenszeit zu bestimmen. Dabei erfolgt die Schätzung auf einem hohen methodischen Niveau.

Grundlage ist eine telefonische Befragung der 14- bis 64-jährigen Bevölkerung mit Festnetztelefonanschluss, bei der 14.022 Personen teilnahmen. Ergänzend wurden 1.000 Personen befragt, die nur über mobile Telefonanschlüsse erreichbar sind, und es wurden Personen über weitere Zugangswege gewonnen: Medien,Selbsthilfegruppen, stationäre Behandlungseinrichtungen, Suchtberatungsstellen, Spielhallen und Spielbanken, Schuldnerberater und Einrichtungen der Bewährungshilfe. Auf diesem Wege wurden bisher 575 Personen mit Glücksspielproblemen gefunden und in einem ausführlichen Interview persönlich befragt.

1. Über 4 Millionen Menschen mit Glücksspielproblemen

72% der telefonisch Befragten haben über die Lebenszeit irgendwann mindestens einmal Glücksspiele betrieben. Bei Vorliegen von 5 bis 10 Kriterien nach dem anerkannten Diagnosensystem DSM-IV spricht man von Pathologischem Glücksspielen (also süchtigem Verhalten). Problematisches Glücksspielen wird in der Literatur unterschiedlich definiert (1 bis 4 Kriterien oder 3 bis 4 Kriterien). Für die Darstellung unterteilen wir in: „Problematisches Glücksspielen mit 1 bis 2 erfüllten Kriterien“ (leichte Form) und „Problematisches Glücksspielen mit 3 bis 4 erfüllten Kriterien“ (ausgeprägte Form).

Auf Grundlage der Festnetztelefonstichprobe ergibt sich, dass 0,9% der 14- bis 64- jährigen bundesdeutschen Bevölkerung im Laufe des Lebens mit 5 oder mehr diagnostischen Kriterien die Bedingung für die Diagnose Pathologisches Spielen erfüllen. Weiterhin ergeben die Schätzungen, dass zusätzlich 1,4% Problematisches Glücksspielen mit 3-4 Kriterien im Laufe des Lebens erfüllten und 5,3% mit 1-2 Kriterien. Hochgerechnet ergeben sich folgende Zahlen für die Bevölkerung in der Gruppe der 14-64-Jährigen:

- 480.557 Pathologische Spieler,
- 756.919 Problematische Spieler mit drei oder vier erfüllten Kriterien und
- 2.925.996 Personen, die ein oder zwei Kriterien für Problematisches Glücksspielen

im Lebensverlauf erfüllt haben. Es finden sich deutlich erhöhte Raten bei Männern, jüngeren Personen, Personen mit niedrigerem Bildungsstatus, Personen mit Migrationserfahrung oder -hintergrund und Arbeitslosen. So betragen die Raten für Pathologisches Glücksspielen

- 3,3% bei Arbeitslosen
- 1,8% bei Personen mit Migrationshintergrund und
- 2,7% in der Gruppe der 14- bis 30-jährigen Männer.

31% der Befragten, die über die Lebenszeit die Kriterien für Pathologisches Glücksspielen erfüllten, waren in den letzten 12 Monaten spielabstinent und 54% berichteten mehr als 10 Spieltage. Unter den Befragten mit Pathologischem Glücksspielen gaben 41% an, dass innerhalb der letzten 12 Monate mindestens ein Symptom fortbestand und somit die Problematik noch aktuell ist.

Für Deutschland wird von einer zunehmenden Gruppe von Personen in der Bevölkerung ausgegangen, die nicht über einen Festnetztelefonanschluss erreichbar ist. Auf der Basis von 752 bisher realisierten Befragungen in dieser Gruppe zeigt sich, dass die Lebenszeitprävalenz des Pathologischen Glücksspielens in dieser Stichprobe etwa dreifach und bei statistischer Kontrolle von Alter und Geschlecht etwa zweifach erhöht ist. Vorbehaltlich abschließender Analysen ist damit zu erwarten, dass die obenstehende Bevölkerungsschätzung auf Grundlage der Festnetztelefonstichprobe durch Einbezug der Mobilfunkstichprobe substantiell zu erhöhen ist. Auf Basis der jetzigen Zahlen wäre eine Erhöhung um etwa 0,1% erwartbar, so dass eine Lebenszeitprävalenz von insgesamt 1,0% für Pathologisches Glücksspielen resultieren könnte. Hier liegen jedoch noch keine endgültigen Befunde vor.

2. Geldspielautomaten: Suchtrisiko Nummer 1

Verschiedene Glücksspielangebote wurden hinsichtlich ihres Risikos untersucht, eine Lebenszeitdiagnose Pathologisches Glücksspielen zu erhalten. Bei Teilnahme von mehr als zehn Tagen im Leben war die Chance, eine Abhängigkeit zu entwickeln erhöht für:

- Oddset (deutscher Toto- und Lottoblock)
- Pferdewetten
- andere Sportwetten
- Poker
- das sogenannte Große und Kleine Spiel im Casino
- Geldspielautomaten in Spielhallen oder Gastronomiebetrieben sowie
- das private oder illegale Glücksspiel.

Unter Berücksichtigung, dass die meisten Glücksspieler mehrere Formen des Glücksspielens betreiben, blieb das Risiko für die Teilnahme an Oddset (deutscher Toto- und Lottoblock), anderen Sportwetten, dem Kleinen Spiel im Casino, Poker und Geldspielautomaten in Spielhallen oder Gastronomiebetrieben bestehen. Der deutlichste Zusammenhang zwischen Spielform und dem Vorliegen der Diagnose Pathologisches Glücksspielen ergibt sich für Personen, die an Geldspielautomaten in Spielhallen bzw. Gastronomiebetrieben gespielt hatten oder am Kleinen Spiel im Casino teilnahmen. Für Nutzer dieser Angebote findet sich, verglichen mit den übrigen Befragten, jeweils eine um den Faktor 5,7 erhöhte Chance für die Diagnose des Pathologischen Glücksspielens.

Aus der Sicht der Pathologischen Glücksspieler, welche Glücksspielform am meisten zur Entstehung des Problems beigetragen hat, nannten u. a.

- 50,4% Geldspielautomaten
- 14% das Kleine Spiel im Casino
- 10,3% das Große Spiel
- 8,3% Poker und
- 6% Oddset.

3. Hilfesystem muss ausgebaut werden

Nach Schätzungen auf Grundlage der Festnetztelefonstichprobe haben etwa drei Viertel der Menschen mit Pathologischem Glücksspielen in Hinblick auf Spielprobleme keinerlei Kontakt zum Hilfesystem gehabt. Bezüglich des Problematischen Glücksspielens zeigt sich eine nur marginale Kontaktrate von 5% (bei 3-4 Kriterien) und 1% (bei 1-2 Kriterien). Es ist damit von einer gravierenden Unterversorgung von Menschen mit Pathologischem Glücksspielen und einem Fehlen von Frühinterventionen für Menschen mit Problematischem Glücksspielen auszugehen.

Die PAGE-Studie bietet eine hervorragende Grundlage für eine Fülle von weiteren und vertiefenden Analysen, die in der Zukunft erfolgen werden.
Kontakt:
PD Dr. Hans-Jürgen Rumpf
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Lübeck
Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
Tel. 0451 5002871
Fax 0451 5003480

Quelle

Fachstelle für Glücksspiel BBZ Niebüll
Selbsthilfe im Umgang mit der Sucht
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Rechtswirkungen einer Selbstsperre bei Spielbanken
von Rechtsanwalt Dr. Martin Bahr
1. Einführung:
Eine erhebliche Anzahl von Menschen leidet an krankhafter Spielsucht. Die deutschen Spielbanken bieten deswegen die Möglichkeit, dass sich ein Spieler selber von der Möglichkeit ausschließt, weiteres Geld zu verspielen. Er kann bei der Spielbank eine sogenannte Selbstsperre beantragen.
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Zur Glücksspielsucht

Für eine angemessene Einschätzung des gesellschaftlichen Schadens der Glücksspielsucht ist allerdings der Vergleich mit den Dimensionen anderer Süchte wie der Alkoholsucht oder der Nikotinsucht notwendig, und hier stellt man eine eher unterdurchschnittliche Gefahr fest. So geht man nach allgemein zugänglichen Quellen in Deutschland derzeit von rund 1,6 Mio. Personen aus, die als akut alkoholabhängig bezeichnet werden müssen, sowie von etwa 42.000 Todesopfern, die der Alkoholismus jährlich fordert. Die Nikotinsucht betrifft 3,8 Mio. Tabak-abhängige (bei ca. 16,5 Mio. Rauchern insgesamt) und verursacht etwa 140.000 Tote pro Jahr. Hinzu kommen noch 1,8 Mio Medikamentenabhängige und 0,38 Mio. Canabisabhängige, sowie vieler weiterer Erscheinungsformen, wobei das Ausmaß und die Mortalität die Sucht-problematik im Glücksspielbereich um ein Vielfaches übersteigt.

Hierbei muss der Gesetzgeber dem Verbraucher auch ein Mindestmaß an Eigenverantwortung belassen, wie er seine Freizeit gestaltet und was mit seinem Geld macht. Wichtig ist, das dies sozialverträglich geschieht. Mindestens genau so wichtig ist aber auch die Klärung der Frage was aus nicht ausgegebenem, also gespartem Geld wird. Darf die Bank- und Versicherungsberatung zum Glücksspiel werden? Die BMELV-Studie zeigt auf, dass jährlich 20 bis 30 Milliarden Euro Vermögensschaden durch falsche Finanzberatung entsteht. (Rn 30)

In Anbetracht dieser direkten Vermögensschäden, erscheint die Notwendigkeit präventiven strafrechlichen Schutzes vor Selbstschädigung durch Spielsucht, die mit der Erteilung einer Konzession sogleich entfallen soll, die in der Praxis diesen Gefahren kaum entgegen wirkt, ziemlich heuchlerisch. (vgl. Fischer, § 284, Rn 2a)
Wenn jemand spielt, dann weiß er dass er verlieren kann. Wenn jemand sein Geld für später zurücklegen möchte, dann will er gerade seine Zukunft absichern - dass ist der bedeutende Unterschied.

Auch an dieser Stelle wird deutlich, dass die Suchtbekämpfung als Begründung für das Staatsmonopol erhebliche Kohärenzprobleme aufweist.

Nordrhein-Westfalen sprach sich für die Zulassung des so genannten Eurojackpots aus, künftig wäre dann ein Hauptgewinn von bis zu 90 Millionen Euro möglich. Dem Artikel kann auch entnommen werden, dass die Behörde so dem staatlichen Glücksspiel einen neuen Schub verleihen will. Die Lottogesellschaften erwarten dadurch einen zusätzlichen Umsatz von 590 Millionen € jährlich. weiterlesen

Die zuständige Glücksspielaufsichtsbehörde der Lotterie-Treuhandgesellschaft mbH Hessen (Lotto Hessen) erteilte die Zulassung über den E-Postbrief in Hessen online das Lottospiel anzubieten. (seit 14.7.2010: www.lotto-hessen.de) Der Fachbeirat Glücksspielsucht sieht darin zu Recht nicht nur einen Verstoß gegen das Internetveranstaltungsverbot des § 4 Abs. 4 GlüStV, sondern bestätigt auch, dass das Suchtpotenzial durch dieses Angebot erheblich steigt. (K&R 11/2010 S. 713) vgl. VG Wiesbaden

Diese Praxis, die Herausstellung von Jackpots bis 90 Millionen € und die Zulassung des E-Postbriefs, zeigt, dass die Aufsichtsbehörden der Länder entgegen der Forderung des BVerfG das Glücksspiel nicht zur Suchtprävention eindämmen, sondern im Sinne der fiskalischen Interessen der Länder sogar Ausweitungen des Glücksspiels wie vor dem 28.3.2006 dulden.

In dem die landeseigenen "unabhängigen" Aufsichtsbehörden ihrer Garantenpflicht nicht nachkommen und auch nicht in der Lage sind für die Einhaltung der Konsistenz durch die von den Bundesländern beherrschten Lottogesellschaften zu sorgen sind sie kein taugliches Mittel die Verwirklichung des geltend gemachten Zieles der Spielsuchtbekämpfung zu gewährleisten, wie die vielen von den Aufsichtsbehörden nicht verfolgten Rechtsverstöße, auch beweisen. vgl. EuGH v.08.09.2010; BVerwG v. 24.11.10; LG Mü. I; BGH v. 16. 12.10


680 Mio. Euro: Tourismus und Staat Casino-Gewinner
Wien, Innsbruck – Mit zwölf Casinos im Inland (davon mit Innsbruck, Seefeld und Kitzbühel gleich drei in Tirol) und 63 im Ausland ist die Casinos AG ein auch international sehr aktiver Glücksspielkonzern. Das Industriewissenschaftliche Institut (IWI) hat in einer Studie die Effekte der Casinos in Österreich unter die Lupe genommen. Demnach lösen die Casinos volkswirtschaftliche Gesamteffekte von insgesamt 679,4 Mio. Euro aus. weiterlesen

Das Geschäft mit dem Glück - Der Staat ist größter Gewinner der Spielsucht: Er kassiert mehr als eine Milliarde Euro. Die Kommunen können die Höhe der Vergnügungssteuer selbst festlegen. Warum geht die Politik nicht konsequent gegen Spielautomaten vor? Weil der Staat damit viel Geld verdient. Im Jahr 2005 wurden die gesetzlichen Vorgaben sogar noch einmal ausdrücklich gelockert, um das Spiel weiter anzuheizen. weiterlesen

Rückblick: DER SPIEGEL 48/1986
Das zeigt die ganze Heuchelei des Staates
SPIEGEL-Report über die politische Förderung und wirtschaftliche Ausbeutung der Spielsucht

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