Montag, 20. August 2012

A: Vorlage des UVS an den EuGH

Das Europäische Parlament forderte die EU-Kommission bereits auf, Fälle von Nicht-Einhaltung des Vertrages zu untersuchen und gegebenenfalls die jeweiligen Staaten an die geltenden Regeln zu erinnern und ihre Rechtsprechung mit den EU-Richtlinien in Einklang zu bringen.  weiterlesen
 

Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zum österreichischen Glücksspielautomatenrecht

von Rechtsanwalt Martin Arendts, M.B.L.-HSG
Nach dem Engelmann-Urteil (Urteil vom 9. September 2010, C-64/08) und dem Dickinger/Ömer-Urteil (Urteil vom 15. September 2011, C-347/09) gibt es ein weitere Vorlage zum österreichischen Glücksspielrecht an den Europäischen Gerichtshof. Der Unabhängige Verwaltungssenat (UVS) in Oberösterreich hat hinsichtlich der Regulierung von Glücksspielautomaten massive europarechtliche Bedenken gegen das österreichische Glücksspielrecht geäußert und deswegen dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mehrere Vorlagefragen gestellt (die gestaffelten, relativ kompliziert formulierten vier Vorlagefragen sind unten im genauen Wortlaut dokumentiert). Der UVS bittet damit den EuGH um eine Auslegung von Vorschriften des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere zu der in Art. 56 AEUV garantierten Dienstleistungsfreiheit sowie grundsätzlich zum Verhältnismäßigkeitsprinzip, und zur Europäischen Grundrechtscharta (EGRC) im Hinblick auf das österreichische Glücksspielgesetz (GSpG).

Der UVS hat in seinem Vorlagebeschluss vom 10. August 2012 zu fünf Ausgangsverfahren (Az. VwSen-740121/2/Gf/Rt u.a.) massive Zweifel daran geäußert, dass die Regelungen des GSpG zu Glücksspielautomaten eine (noch) verhältnismäßige Einschränkung darstellen und mit Europarecht vereinbar sind. Es geht dabei um die Kernfrage, ob diese Beschränkungen im Glücksspielsektor erlaubt sind oder als unzulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit anzusehen ist. Laut Gesetz dürfen in Österreich nur 15 Spielbankkonzessionen sowie pro Bundesland drei Lizenzen für das kleine Glücksspiel (bis zehn Euro Einsatz) vergeben werden.

Die EU-Mitgliedstaaten dürfen nach Europarecht zwar Einschränkungen vornehmen – allerdings nur aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses. Ein Einschränkung kann etwa dann erfolgen, wenn (Quasi-)Monopolregelungen der Kriminalitätsbekämpfung und dem Spielerschutz dienen und nicht nur auf eine Erhöhung der Staatseinnahmen abzielen (wofür der einschränkende Mitgliedstaat allerdings darlegungs- und nachweispflichtig ist). Dass diese Voraussetzungen in Österreich gegeben sind, bezweifelt der UVS in dem Vorlagebeschluss. Die Behörden hätten bisher in keinem Verfahren “auch nur ansatzweise versucht“, nachzuweisen, “dass die Kriminalität und/oder die Spielsucht … tatsächlich ein erhebliches Problem darstellte“. Ebenso unklar sei, ob es dem Staat nicht nur um eine “Maximierung oder massive Erhöhung der Staatseinnahmen” gehe. Daher sei davon auszugehen, dass die “konkret normierte Ausgestaltung des Glücksspielmonopols” nicht mit der Dienstleistungsfreiheit “vereinbar ist“. Ein hoher Verbraucherschutz sei auch durch “weniger einschneidende Maßnahmen” möglich. Die gesetzliche Regelung erscheine daher als “überschießend” und “inadäquat“. Für den UVS stellt sich daher “die Frage, ob die dem österreichischen Glücksspielgesetz zu Grunde liegende Systematik der lückenlos strafsanktionierten (Quasi-)Monopolregelung generell bzw. hinsichtlich ihrer konkreten Ausgestaltung mit den Grundsätzen des Unionsrechts vereinbar ist.“

Für problematisch hält der UVS des Weiteren, dass die Abgrenzung zwischen dem gerichtlich strafbaren Tatbestand und dem Verwaltungsstraftatbestand nicht unmittelbar im Gesetz erfolge. Diesebzüglich zweifelt der UVS daran, dass dies den “demokratisch-rechtsstaatlichen Anforderungen” genügt. Der UVS verweist in diesem Zusammenhang auf die “(grundsätzlich) doppelte, nämlich sowohl gerichtliche als auch verwaltungsbehördliche Strafbarkeit samt den entsprechenden (vorläufigen und dauerhaften) Sicherungsbefugnissen sowie den damit bereits verbundenen negativen Folgewirkungen (wie insbesondere Stigmatisierung [vgl. den Ausgangsfall A] und “Beweislastumkehr” i.S. einer Verpflichtung zur Führung eines Entlastungsbeweises“. Theoretisch könnten bereits Betriebsschließungen angeordnet werden, wenn noch gar nicht geklärt ist, ob eine Verwaltungsstraftat vorliege. Daher wird bezweifelt, dass die “demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen” sowie das “Fairness- und Effektivitätsgebot” erfüllt werden.

Der UVS hat dem EuGH folgende vier, aufeinander aufbauende Vorlagefragen gestellt:

    1. Steht das in Art. 56 AEUV und in den Art. 15 bis 17 EGRC zum Ausdruck kommende Verhältnismäßigkeitsprinzip einer nationalen Regelung wie den in den Ausgangsverfahren maßgeblichen Bestimmungen der §§ 3 bis 5 sowie §§ 14 und 21 GSpG, die die Durchführung von Glücksspielen mittels Automaten nur unter der – sowohl strafsanktionierten als auch unmittelbar sacheingriffsbedrohten – Voraussetzung der Erteilung einer vorangehenden, jedoch nur in begrenzter Anzahl verfügbaren Erlaubnis ermöglicht, obwohl bislang – soweit ersichtlich – von staatlicher Seite in keinem einzigen gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren nachgewiesen wurde, dass eine damit verbundene Kriminalität und/oder Spielsucht tatsächlich ein erhebliches Problem, dem nicht durch eine kontrollierte Expansion von zugelassenen Spieltätigkeiten auf viele Einzelanbieter, sondern nur durch eine kontrollierte, mit bloß maßvoller Werbung verbundene Expansion eines Monopolisten (bzw. sehr weniger Oligopolisten) abgeholfen werden kann, darstellen, entgegen?

    2. Für den Fall, dass diese erste Frage zu verneinen ist: Steht das in Art. 56 AEUV und in den Art. 15 bis 17 EGRC zum Ausdruck kommende Verhältnismäßigkeitsprinzip einer nationalen Regelung wie den §§ 52 bis 54 GSpG, § 56a GSpG und § 168 StGB, durch die im Wege unbestimmter Gesetzesbegriffe im Ergebnis eine nahezu lückenlose Strafbarkeit auch vielfältiger Formen von nur sehr entfernt beteiligten (u.U. in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ansässigen) Personen (wie bloßen Vertreibern, Verpächtern oder Vermietern von Glücksspielautomaten) eintritt, entgegen?

    3. Für den Fall, dass auch die zweite Frage zu verneinen ist: Stehen die demokratisch-rechtsstaatlichen Anforderungen, wie diese offenkundig dem Art. 16 EGRC zu Grunde liegen, und/oder das Fairness- und Effizienzgebot des Art. 47 EGRC und/oder das Transparenzgebot des Art. 56 AEUV und/oder das Doppelverfolgungs- und -bestrafungsverbot des Art. 50 EGRC einer nationalen Regelung wie den §§ 52 bis 54 GSpG, § 56a GSpG und § 168 StGB, deren wechselseitige Abgrenzung mangels eindeutiger gesetzlicher Regelung für einen Bürger ex ante kaum vorhersehbar und berechenbar, sondern im konkreten Einzelfall jeweils erst im Wege eines aufwändigen förmlichen Verfahrens klärbar ist, an die sich jedoch weitreichende Unterschiede hinsichtlich der Zuständigkeiten (Verwaltungsbehörde oder Gericht), der Eingriffsbefugnisse, der damit jeweils verbundenen Stigmatisierung und der prozessualen Stellung (z.B. Beweislastumkehr) knüpfen, entgegen?

    4. Für den Fall, dass eine dieser drei ersten Fragen zu bejahen ist: Steht Art. 56 AEUV und/oder Art. 15 bis 17 EGRC und/oder Art. 50 EGRC einer Bestrafung von Personen, die in einer der in § 2 Abs. 1 Z. 1 und § 2 Abs. 2 GSpG genannten Nahebeziehung zu einem Glücksspielautomaten steht, und/oder einer Beschlagnahme bzw. Einziehung dieser Geräte und/oder einer Schließung des gesamten Unternehmens solcher Personen entgegen?

Kontakt:
Arendts Rechtsanwälte
Rechtsanwaltskanzlei

Rechtsanwalt Martin Arendts
Perlacher Str. 68
D - 82031 Grünwald (bei München)


Quelle: Pressemitteilung des UVS vom 16. August 2012

Glücksspielgesetz landet vor EU-Gericht
Für problematisch hält man zudem, dass die Abgrenzung zwischen dem gerichtlich strafbaren Tatbestand und dem Verwaltungsstraftatbestand nicht unmittelbar im Gesetz erfolge.

Theoretisch könnten bereits Betriebsschließungen angeordnet werden, wenn noch gar nicht geklärt ist, ob eine Verwaltungsstraftat vorliegt, heißt es. Daher wird bezweifelt, dass die "demokratischen und rechtsstaatlichen Anforderungen" sowie das "Fairness- und Effektivitätsgebot" erfüllt werden.  Weiter zum vollständigen Artikel ...   

Zweifel an Konformität mit Europarecht
UVS: Spielsucht nie behördlich untersucht
Dass diese Voraussetzungen in Österreich gegeben sind, bezweifle der UVS. Die Behörden hätten bisher in keinem Verfahren „auch nur ansatzweise versucht“, nachzuweisen, „dass die Kriminalität und/oder die Spielsucht (...) tatsächlich ein erhebliches Problem darstellte“, heißt es dem Zeitungsbericht zufolge in dem UVS-Schreiben.
Ein hoher Verbraucherschutz sei auch durch „weniger einschneidende Maßnahmen“ möglich.  Weiter zum vollständigen Artikel ...   

Juristen zerpflücken Glücksspielgesetzgebung
Namhafte Staatsrechtler gehen hart mit den letzten Glücksspielgesetznovellen ins Gericht. Die Vergabe der Lotterielizenz sei EU-rechtswidrig, die Regeln für Pokersalons sollen der Verfassung widersprechen.

Günther Winkler, renommierter Jurist, übt maßgebliche Kritik an der österreichischen Glücksspielgesetzgebung. Insbesondere im Hinblick auf Poker und Pokerspielsalons ist das GSpG laut Winkler verfassungswidrig und kommt einer unsachlichen und unverhältnismäßigen "Verstaatlichung" zugunsten finanzieller Erträge für den Staat gleich.  Weiter zum vollständigen Artikel ... 

Glücksspiel mit der Behörde
Das derzeitige Gesetz ist nicht aus einer klaren Vision heraus entstanden, wie man Suchtgefährdete schützen, Betrüger bekämpfen und harmloses Freizeitvergnügen erlauben könnte, sondern aus einem Kuhhandel zwischen unterschiedlichen Lobbys – und mit dem Hintergedanken, dem Staat durch Spielabgaben eine beträchtliche Einnahmenquelle zu erhalten.

„Die Glücksspielgesetznovellen der letzten Jahre waren in höchstem Maße rechtsstaatlich problematisch.“ Das sagt nicht etwa die Opposition oder ein unmittelbar Betroffener – sondern Bernhard Raschauer, einer der renommiertesten Staatsrechtler des Landes und Professor an der Universität Wien. Weiter zum vollständigen Artikel ... 

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D - Die o.a. Vorlagefragen zur Konformität mit Europarecht lassen sich ohne Einschränkung auch auf die deutschen Regelungen übertragen. 
In letzter Zeit konnte man beobachten, dass die Bundesdeutschen Höchstgerichte ihrer Vorlageverpflichtung nicht nachkommen und selbst darüber entscheiden ob deutsche Regelungen europarechtskonform sind oder nicht. Im Gegensatz zum deutschen Recht, ist die Grundrechtecharta österreichisches Verfassungsrecht.  mehr   Da den Entscheidungen des EuGH zu folgen ist, wird also auch entschieden ob die entsprechenden, deutschen Vorschriften der in Art. 56 AEUV garantierten Dienstleistungsfreiheit sowie dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, und der Europäischen Grundrechtscharta (EGRC) entsprechen.