Eine Zweitwohnungssteuer ist rechtswidrig, wenn sie ohne nachvollziehbaren Grund mit steigender Miethöhe prozentual niedriger ausfällt. Eine solche degressive Gestaltung verletzt nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Die Zweitwohnungssteuer müsse sich als örtliche Aufwandsteuer nach der finanziellen Leistungsfähigkeit richten, erklärten die Karlsruher Richter. Dies leite sich aus dem Gleichheitsgebot in Artikel 3 des Grundgesetzes ab. "Der degressive Steuertarif bewirkt eine Ungleichbehandlung der Steuerschuldner, weil er weniger leistungsfähige Steuerschuldner prozentual höher belastet als wirtschaftlich leistungsfähigere."
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Grundrecht auf Gleichbehandlung des Art. 3 Abs. 1 GG s. Rn 53 ff der Entscheidung
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -
Pressemitteilung Nr. 10/2014 vom 14. Februar 2014
Beschluss vom 15. Januar 2014
1 BvR 1656/09
Degressiver Zweitwohnungsteuertarif bedarf
hinreichend gewichtiger Sachgründe
In einem heute veröffentlichten Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts der Verfassungsbeschwerde gegen einen Zweitwohnungsteuerbescheid der Stadt Konstanz stattgegeben und die zugrundeliegenden Satzungen der Jahre 1989, 2002 und 2006 für nichtig erklärt. Wenn ein degressiver Zweitwohnungsteuertarif - wie im vorliegenden Fall - nicht durch hinreichend gewichtige sachliche Gründe gerechtfertigt ist, verletzt er das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Der Senat hat zudem die Sorgfaltsanforderungen für die Einhaltung von Fristen bei Einlegung von Verfassungsbeschwerden per Telefax konkretisiert: Die erforderliche Sorgfalt hat regelmäßig erfüllt, wer - über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinaus - einen Sicherheitszuschlag von 20 Minuten bis Fristende einkalkuliert.
Sachverhalt und Verfahrensgang:
Die Stadt Konstanz, die Beklagte des Ausgangsverfahrens, zog den Beschwerdeführer für die Jahre 2002 bis 2006 aufgrund einer Satzung zur Zweitwohnungsteuer heran. 1. Die Steuertarife orientieren sich am jährlichen Mietaufwand als steuerlicher Bemessungsgrundlage und pauschalieren den Steuerbetrag durch Bildung von fünf (Zweitwohnungsteuersatzung 1989) beziehungsweise acht Mietaufwandsgruppen (Zweitwohnungsteuersatzungen 2002/2006). Die konkrete Ausgestaltung der Steuertarife führt insgesamt zu einem - in Relation zum Mietaufwand - degressiven Steuerverlauf. Zwar steigt der absolute Betrag der Zweitwohnungsteuer mit zunehmender Jahresmiete in Stufen an. Nicht nur auf den jeweiligen Stufen, sondern auch über die Stufen hinweg sinkt jedoch der sich aus dem Mietaufwand und dem zu zahlenden Steuerbetrag ergebende Steuersatz mit steigendem Mietaufwand ab.
2. Der Beschwerdeführer hatte im Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis zum 31. August 2006 eine Zweitwohnung im Stadtgebiet von Konstanz inne, die ihm von seinen Eltern überlassen worden war. Die Beklagte zog ihn für diesen Zeitraum zu einer Zweitwohnungsteuer in Höhe von (zuletzt) 2.974,32 € heran. Widerspruch und Klage des Beschwerdeführers hiergegen blieben ohne Erfolg.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Wesentlichen begründet. Die degressive Ausgestaltung der Zweitwohnungsteuertarife sowie die Entscheidungen der Beklagten und der Fachgerichte verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
1. Der Beschwerdeführer hat die Verfassungsbeschwerde zwar erst nach Ablauf der Beschwerdefrist erhoben. Er war jedoch ohne Verschulden an der Fristwahrung gehindert, da der Telefaxanschluss des Bundesverfassungsgerichts zwischen dem ersten Übermittlungsversuch um 22:57 und 24:00 Uhr am 29. Juni 2009 belegt war. Dem Beschwerdeführer ist daher auf seinen fristgerechten Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
a) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nur möglich, wenn der Beschwerdeführer die Frist ohne Verschulden, das heißt weder vorsätzlich noch fahrlässig, versäumt hat. Fahrlässig handelt, wer mit der Übermittlung eines Beschwerdeschriftsatzes nebst erforderlicher Anlagen nicht so rechtzeitig beginnt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit dem Abschluss der Übermittlung noch am Tag des Fristablaufs zu rechnen ist.
In Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht hat regelmäßig die im Verkehr erforderliche Sorgfalt erfüllt, wer einen über die zu erwartende Übermittlungsdauer der zu faxenden Schriftsätze samt Anlagen hinausgehenden Sicherheitszuschlag in der Größenordnung von 20 Minuten einkalkuliert. Für die Fristberechnung und damit auch die Einhaltung des Sicherheitszuschlags ist der Zeitpunkt des vollständigen Empfangs im Bundesverfassungsgericht maßgeblich, nicht aber die Vollständigkeit des Ausdrucks.
Den Sorgfaltsanforderungen genügt schließlich nur, wer innerhalb der einzukalkulierenden Zeitspanne wiederholt die Übermittlung versucht.
b) Danach traf den Beschwerdeführer kein Verschulden an der Fristversäumnis, da er einen hinreichenden Sicherheitszuschlag einkalkuliert hatte. Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass er am Tag des Fristablaufs um 22:57 Uhr erstmals versucht hatte, die Verfassungsbeschwerdeschrift nebst Anlagen an das Bundesverfassungsgericht zu übermitteln, und dass er seinen Sendeversuch bis zum Fristablauf mehrfach wiederholte. Er hatte mithin eine Sicherheitsreserve von etwa 50 Minuten eingeplant.
2. Der degressive Steuertarif in den Zweitwohnungsteuersatzungen 1989, 2002 und 2006 verletzt das Grundrecht auf Gleichbehandlung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
a) Als örtliche Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG muss die von der Beklagten erhobene Zweitwohnungsteuer dem aus dem allgemeinen Gleichheitssatz abgeleiteten Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit genügen. Das wesentliche Merkmal einer Aufwandsteuer besteht darin, die in der Einkommensverwendung zum Ausdruck kommende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu treffen; diese spiegelt der jeweilige Mietaufwand als Bemessungsgröße der Zweitwohnungsteuer wider.
b) Der degressive Steuertarif bewirkt eine Ungleichbehandlung der Steuerschuldner, weil er weniger leistungsfähige Steuerschuldner prozentual höher belastet als wirtschaftlich leistungsfähigere. Denn aus dem Stufentarif ergibt sich mit steigendem Mietaufwand weitgehend ein sinkender Steuersatz. Diese Ungleichbehandlung lässt sich bereits durch Vergleich der jeweiligen mittleren Steuersätze in den Steuerstufen feststellen. Eine weitere Ungleichbehandlung folgt aus den Differenzen in der Steuerbelastung durch die typisierenden Stufen: So sinkt beispielsweise innerhalb der zweiten Steuerstufe nach der Satzung 1989 die Steuerbelastung von fast 40 % auf rund 26 % und nach den Satzungen 2002/2006 von etwa 34,8 % auf 21,8 %. Am stärksten belastet werden insgesamt Steuerpflichtige mit Jahresmieten im unteren Bereich der jeweiligen Steuerstufen. Die Mindest- und Höchstbetragsstufen verstärken diesen degressiven Effekt zusätzlich.
c) Degressive Steuertarife sind nicht generell unzulässig, weil der Normgeber nicht ausnahmslos zu einer reinen Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips verpflichtet ist. Bei der Rechtfertigung unterliegt er jedoch über das bloße Willkürverbot hinausgehenden Bindungen durch das Leistungsfähigkeitsprinzip als materiellem Gleichheitsmaß. Vom Bundesverfassungsgericht ist hierbei nur zu untersuchen, ob der Normgeber die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit überschritten hat, nicht ob er die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.
d) Die Ungleichbehandlung aufgrund der degressiven Steuertarife ist im vorliegenden Fall nicht mehr gerechtfertigt.
aa) Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse können grundsätzlich sachliche Gründe für eine Einschränkung der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit bilden. Von vornherein nicht zur Vereinfachung geeignet ist der insgesamt, das heißt über verschiedene Steuerstufen hinweg, degressiv gestaltete Verlauf des Steuertarifs. Hingegen bewirken die Steuerstufen zwar eine gewisse Vereinfachung dadurch, dass nicht in jedem Einzelfall die exakte Jahresnettokaltmiete ermittelt und in Zweifelsfällen verifiziert werden muss. Jedoch ist dieser Effekt nicht von hinreichendem Gewicht. Bereits die Differenz zwischen der höchsten und niedrigsten Steuerbelastung auf der gleichen Stufe erreicht ein beträchtliches Ausmaß, das angesichts des insgesamt degressiven Tarifverlaufs nicht hinnehmbar ist. Hinzu treten die Effekte der Degression zwischen den einzelnen Stufen: Zwischen der Zweitwohnungsteuer bei einem Mietaufwand von 1.200 € und bei einem Mietaufwand von 24.000 € kommt es nach der Satzung 1989 zu einer Differenz von 29 Prozentpunkten (Steuerbelastungen von 34 % bzw. 5 %) und nach den Satzungen 2002/2006 zu einer Differenz von 27 Prozentpunkten (Steuerbelastungen von 33 % bzw. 6 %).
bb) Auch Lenkungszwecke rechtfertigen die Ungleichbehandlung im vorliegenden Fall nicht. Es stellt ein legitimes Ziel dar, die Steuerpflichtigen nach den Maßgaben des Melderechts zur Ummeldung des Nebenwohnsitzes in einen Hauptwohnsitz zu veranlassen. Ein weiterer zulässiger Lenkungszweck liegt in der Erhöhung des Wohnungsangebots für die einheimische Bevölkerung und insbesondere für Studierende der Hochschulen vor Ort. Die steuerliche Differenzierung durch einen degressiven Tarifverlauf erweist sich jedoch zur Erreichung dieser Lenkungszwecke weder als geeignet noch als erforderlich. Zwar mag die Erhebung der Zweitwohnungsteuer insgesamt geeignet sein, Zweitwohnungsinhaber zur Anmeldung des Hauptwohnsitzes zu bewegen; die degressive Ausgestaltung des Steuertarifs selbst fördert diesen Lenkungszweck jedoch nicht. Dieses Lenkungsziel würde in gleicher Weise durch einen linearen oder gar progressiven Steuertarif erreicht, bei dem die hier festgestellte Ungleichbehandlung nicht vorläge. Gleiches gilt für den Lenkungszweck, das Halten von Zweitwohnungen einzudämmen.
3. Die Zweitwohnungsteuersatzungen der Stadt Konstanz der Jahre 1989, 2002 und 2006 sind daher nichtig. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten und die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts sowie des Verwaltungsgerichtshofs werden aufgehoben. Die Sache wird an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens zurückverwiesen.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 10/2014 vom 14. Februar 2014
zur Entscheidung: Beschluss (1 BvR 1656/09) vom 15. Januar 2014