URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
24. Oktober 2013(*)
„Steuerrecht
– Mehrwertsteuer – Glücksspiele mit Geldeinsatz – Regelung eines
Mitgliedstaats, nach der auf den Betrieb von Geldspielautomaten mit
begrenzter Gewinnmöglichkeit kumulativ Mehrwertsteuer und eine
Sonderabgabe erhoben werden – Zulässigkeit – Bemessungsgrundlage –
Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer“
In der Rechtssache C‑440/12
betreffend
ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom
Finanzgericht Hamburg (Deutschland) mit Entscheidung vom 21. September
2012, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Oktober 2012, in dem Verfahren
Metropol Spielstätten Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)
gegen
Finanzamt Hamburg-Bergedorf
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter
Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter
A. Borg Barthet und E. Levits, der Richterin M. Berger
(Berichterstatterin) sowie des Richters S. Rodin,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Metropol Spielstätten Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), vertreten durch Rechtsanwalt B. Hansen,
– der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann und A. Cordewener als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das
Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2,
Art. 73, Art. 135 Abs. 1 Buchst. i und Art. 401 der Richtlinie
2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden:
Mehrwertsteuerrichtlinie).
2 Dieses
Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Metropol
Spielstätten Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) (im Folgenden:
Metropol) und dem Finanzamt Hamburg-Bergedorf (im Folgenden: Finanzamt)
über die Mehrwertsteuerpflichtigkeit der Einnahmen aus der
Veranstaltung von Glücksspielen mit Hilfe von Geldspielautomaten mit
begrenzter Gewinnmöglichkeit (im Folgenden: Spielgeräte oder
Geldspielgeräte).
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Mehrwertsteuerrichtlinie
3 Art. 1 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht auf dem Grundsatz, dass auf
Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die
auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und
Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der
Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer
anzuwenden ist.
Bei allen Umsätzen wird die
Mehrwertsteuer, die nach dem auf den Gegenstand oder die Dienstleistung
anwendbaren Steuersatz auf den Preis des Gegenstands oder der
Dienstleistung errechnet wird, abzüglich des Mehrwertsteuerbetrags
geschuldet, der die verschiedenen Kostenelemente unmittelbar belastet
hat.
…“
4 Art. 73 dieser Richtlinie lautet:
„Bei
der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter
die Artikel 74 bis 77 fallen, umfasst die Steuerbemessungsgrundlage
alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder
Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder
Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll,
einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze
zusammenhängenden Subventionen.“
5 Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
i) Wetten,
Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den
Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt
werden.“
6 Art. 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Unbeschadet
anderer gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften hindert diese Richtlinie
einen Mitgliedstaat nicht daran, Abgaben auf Versicherungsverträge,
Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern, Grunderwerbsteuern sowie ganz
allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter
von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen, sofern die
Erhebung dieser Steuern, Abgaben und Gebühren im Verkehr zwischen den
Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübertritt verbunden
ist.“
Deutsches Recht
7 § 4
(Steuerbefreiungen bei Lieferungen und sonstigen Leistungen) des
Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der für den Ausgangsrechtsstreit
maßgebenden Fassung sieht in Nr. 9 Buchst. b vor, dass „die Umsätze, die
unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fallen“, steuerfrei sind.
8 § 12
Abs. 2 der Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit
Gewinnmöglichkeit – Spielverordnung (SpielV) in der für den
Ausgangsrechtsstreit maßgebenden Fassung bestimmt im Wesentlichen, dass
bei Geldspielgeräten Gewinne in solcher Höhe ausgezahlt werden müssen,
dass bei langfristiger Betrachtung kein höherer Betrag als 33 Euro je
Stunde als Kasseninhalt verbleibt.
9 In § 13 SpielV heißt es:
„(1) Die
Physikalisch-Technische Bundesanstalt darf die Bauart eines
Geldspielgerätes nur zulassen, wenn folgende Anforderungen erfüllt sind:
1. Die
Mindestspieldauer beträgt fünf Sekunden; dabei darf der Einsatz 0,20
Euro nicht übersteigen und der Gewinn höchstens 2 Euro betragen.
…
3. Die Summe der Verluste (Einsätze abzüglich Gewinne) darf im Verlauf einer Stunde 80 Euro nicht übersteigen.
…“
10 Das Hamburgische Gesetz über die Zulassung einer öffentlichen Spielbank in seiner geänderten Fassung sieht in § 3 vor:
„(1) Das
Spielbankunternehmen hat an die Freie und Hansestadt Hamburg eine
Spielbankabgabe in Höhe von 70 vom Hundert der Bruttospielerträge zu
entrichten. Zusätzlich hat das Spielbankunternehmen eine Sonderabgabe in
Höhe von 20 vom Hundert des Bruttospielertrags zu entrichten. …
(2) Die
tarifliche Spielbankabgabe nach Absatz 1 ermäßigt sich um die nach dem
Umsatzsteuergesetz geschuldete und zu entrichtende Umsatzsteuer auf
Grund von Umsätzen, die durch den Betrieb der Spielbank bedingt sind. …“
11 § 4 Abs. 1 des Spielbankgesetzes des Landes Schleswig-Holstein in geänderter Fassung bestimmt:
„Die
Spielbankabgabe beträgt 50 % des Bruttospielertrages. Auf die
Spielbankabgabe wird die nach dem Umsatzsteuergesetz geschuldete und
entrichtete Umsatzsteuer aufgrund von Umsätzen, die durch den Betrieb
der Spielbank bedingt sind, angerechnet.“
12 In § 7 des Spielbankgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern heißt es:
„(1) Der Betrieb einer Spielbank unterliegt der Spielbankabgabe.
(2) Die Spielbankabgabe beträgt
1. bei einem Bruttospielertrag im Wirtschaftsjahr von bis zu 500 000 Euro 25 Prozent,
…
5. für den zehn Millionen Euro im Wirtschaftsjahr übersteigenden Bruttospielertrag 80 Prozent des Bruttospielertrags.
…
(7) …
Auf die Spielbankabgabe ist die nach dem Umsatzsteuergesetz geschuldete
und entrichtete Umsatzsteuer, die durch den Betrieb der Spielbank
bedingt ist, anzurechnen.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
13 Im
Wirtschaftsjahr 2010 betrieb die Klägerin des Ausgangsverfahrens in
sieben Spielhallen in den Bundesländern Hamburg, Schleswig-Holstein und
Mecklenburg-Vorpommern Geldspielgeräte. Auf den Betrieb dieser Geräte
wird durch örtliche Satzungen der jeweiligen Gemeinden in den beiden
zuletzt genannten Ländern bzw. durch Landesgesetz in Hamburg eine
Vergnügungssteuer nach örtlich unterschiedlichen Sätzen und
Bemessungsgrundlagen erhoben.
14 An
jedem Geldspielgerät wurde der Kassensaldo, d. h. das von den Spielern
eingeworfene Geld abzüglich des an sie ausgezahlten Geldes, erhöht um
Entnahmen und vermindert um Geräteauffüllungen (im Folgenden:
Kasseneinnahmen), von der Klägerin des Ausgangsverfahrens monatlich aus
der elektronischen Kontrolleinrichtung ausgelesen. Die Spielgeräte
verfügen neben der Kasse über einen „Hopper“, d. h. eine Münzspeicher-
und Auszahleinheit. Der Hopper verfügt über ein Fach mit 20-Cent-Münzen
und ein Fach mit 2-Euro-Münzen und wird vor jeder Inbetriebnahme des
Geräts vom Betreiber gefüllt. Werfen die Spieler Münzen zu 20 Cent und
zu 2 Euro ein, fallen diese solange in den Hopper, bis er voll ist; der
Überschuss wird sodann automatisch in die Kasse geleitet. Andere Münzen
und eingeführte Scheine gelangen immer sofort zur Kasse, deren Bestand
elektronisch gezählt wird. Bestandsveränderungen des Hoppers werden von
der Kontrolleinrichtung registriert und bei der Berechnung der
Kasseneinnahme ebenfalls berücksichtigt.
15 Die
Spielgeräte verfügen über einen Geldspeicher und einen Punktespeicher.
Eingezahltes Geld bewirkt zunächst ein entsprechendes Guthaben im
Geldspeicher. Die Umbuchung von Geld in Punkte wird vom Gerät als
„Einsatz“ registriert, die Umbuchung von Punkten in Geld als „Gewinn“,
wobei ein Punkt einem Cent entspricht. Mit den Punkten kann das Spiel
vom Spieler gestartet werden. Der Punktestand eines Spielers im
Punktespeicher kann von ihm jederzeit in einen Geldbetrag im
Geldspeicher umgebucht werden, und der Bestand im Geldspeicher kann
jederzeit ausgezahlt werden.
16 Die
Umbuchung vom Geldspeicher in den Punktespeicher, d. h. ein „Einsatz“
im Sinne der SpielV, ist in zweifacher Weise beschränkt, nämlich auf 20
Cent pro 5 Sekunden und auf 80 Euro pro Stunde, nach Abzug der Gewinne.
Ist die Grenze von 80 Euro pro Stunde erreicht, kann für den Rest der
Stunde nichts mehr vom Geldspeicher in den Punktespeicher umgebucht
werden („Buchungspause“). Die Veränderungen des Punktestands im
Punktespeicher (umgangssprachlich Spiele, Einsätze, Verluste oder
Gewinne) unterliegen keinen rechtlichen Regelungen.
17 Die
Jahressumme aller monatlichen Kasseneinnahmen aller Geräte der Klägerin
des Ausgangsverfahrens belief sich im Wirtschaftsjahr 2010 auf
1 018 041,78 Euro (sogenannte „Bruttokasse“). Aufgrund des deutschen
Mehrwertsteuer-Normalsatzes von 19 % errechnete Metropol daraus eine
Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer von 855 497,29 Euro (sogenannte
„Nettokasse“, entsprechend 100/119 von 1 018 041,78 Euro) und einen
Umsatzsteuerbetrag von 162 544,49 Euro, der nahezu der gesamten
geschuldeten Umsatzsteuer entsprach. Die Umsatzsteuer auf alle anderen
von ihr getätigten Umsätze beträgt 1 790,20 Euro. Da Metropol Vorsteuer
in Höhe von 69 355,76 Euro gezahlt hatte, setzte das Finanzamt mit
Bescheid vom 29. März 2012 die noch geschuldete Umsatzsteuer auf
94 978,93 Euro fest.
18 Metropol
erhob beim vorlegenden Gericht Klage gegen diesen Bescheid. Sie ist
nämlich der Auffassung, die Modalitäten der Besteuerung der
Geldspielgeräteumsätze verstießen gegen das Unionsrecht, insbesondere
gegen die Grundsätze der Proportionalität, der Abwälzbarkeit und der
Neutralität der Mehrwertsteuer. Sie beantragt daher, den
Umsatzsteuerbescheid für 2010 dahin zu ändern, dass die Umsatzsteuer von
94 978,93 Euro auf 1 790,20 Euro herabgesetzt wird. Das Finanzamt
beantragt, die Klage abzuweisen.
19 Das
mit dieser Klage befasste nationale Gericht führt erstens aus, dass in
anderen Bereichen eine Abgabe, die sich hinreichend von der
Mehrwertsteuer unterscheide, immer neben ihr erhoben werden dürfe.
20 Zweitens
müsse nach Art. 1 Abs. 2 Satz 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie die
Mehrwertsteuer zum Preis der erbrachten Dienstleistungen genau
proportional sein. Zwar habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 5. Mai
1994, Glawe (C‑38/93, Slg. 1994, I‑1679), entschieden, dass bei den
dort in Rede stehenden Geldspielautomaten, die so eingestellt worden
seien, dass ein bestimmter Prozentsatz der Spieleinsätze als Gewinne an
die Spieler ausgezahlt werde, der den Gewinnen entsprechende, gesetzlich
zwingend festgelegte Teil der Gesamtheit der Spieleinsätze nicht zur
Bemessungsgrundlage gehöre. Im Anschluss an diese Rechtsprechung habe
sich aber in Deutschland die Praxis herausgebildet, als
Bemessungsgrundlage nicht die Summe aller Einsätze, sondern nur den
Kasseninhalt – in der Regel pro Kalendermonat – zugrunde zu legen. Die
monatlichen Kasseneinnahmen hingen allerdings von den Gewinnen und
Verlusten der jeweiligen Spieler ab, und es bestehe seitdem keine
Relation mehr zwischen der geschuldeten Mehrwertsteuer und dem Einsatz
des einzelnen Spielers.
21 Zudem
sei die in Deutschland bis Ende 2005 geltende Mindestgewinnquote von
60 % der Einsätze abgeschafft und 2006 durch eine Begrenzung des
Einsatzes und des Verlustes pro Zeiteinheit ersetzt worden. In
technischer Hinsicht erfüllten die Hopper, bei denen es sich um eine
Innovation der Spielgeräte handele, zwar grundsätzlich dieselbe Funktion
wie seinerzeit die „Münzstapelrohre“, um die es im Urteil Glawe
gegangen sei, doch habe der Betreiber auf den Inhalt der Hopper
jederzeit Zugriff.
22 Drittens
äußert das nationale Gericht Zweifel hinsichtlich der Auslegung von
Randnr. 24 des Urteils vom 8. Juni 1999, Pelzl u. a. (C‑338/97, C‑344/97
und C‑390/97, Slg. 1999, I‑3319), sowie der Randnrn. 28, 31, 34 und 37
des Urteils vom 3. Oktober 2006, Banca popolare di Cremona (C‑475/03,
Slg. 2006, I‑9373), wonach es für die Mehrwertsteuer kennzeichnend sei,
dass sie auf den Endverbraucher abgewälzt werde. Aus diesen Urteilen
gehe nämlich nicht klar hervor, ob die Abwälzbarkeit der Mehrwertsteuer
lediglich ein typisches Merkmal dieser Steuer darstelle oder eine
Voraussetzung für ihre Erhebung sei. Bestünden nun, wie hier,
Preisbeschränkungen, könne der Unternehmer den Preis für die Leistung
nicht erhöhen und die Mehrwertsteuer nicht auf den Verbraucher abwälzen,
wenn er bereits am oberen Ende der zulässigen Preisspanne kalkuliere.
23 Viertens
führt das Gericht aus, dass in Deutschland zwei rechtliche Regime für
Glücksspiele bestünden. So bedürften Spielbankbetreiber einer
Konzession, und die Einsätze und Gewinne seien im Prinzip unbegrenzt.
Spielbanken müssten nach den Spielbankgesetzen der Länder Hamburg,
Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern eine spezielle
Spielbankabgabe zahlen, die darauf ausgerichtet sei, ihren Gewinn
weitgehend abzuschöpfen. Die Gründung von Spielhallen sei demgegenüber
grundsätzlich frei, werde aber behördlich überwacht und rechtlich
reglementiert. Die Spielhallenbetreiber würden in der Regel mit einer
örtlichen Sonderabgabe (Vergnügungssteuer) belegt.
24 Nach
Streichung der früheren Umsatzsteuerbefreiung für die Spielbanken im
Jahr 2006 müssten sie nunmehr Umsatzsteuer zahlen; diese werde auf die –
im Vergleich zur Umsatzsteuer höhere – Spielbankabgabe angerechnet. Das
vorgesehene Besteuerungssystem könnte eine Umgehung des steuerlichen
Neutralitätsgrundsatzes ermöglichen. So könnte ein Mitgliedstaat für
zwei vergleichbare Gruppen von Steuerpflichtigen eine nationale
Sonderabgabe einführen, die nicht den Charakter einer Umsatzsteuer
aufweise, und bei einer dieser Gruppen die Anrechnung der Mehrwertsteuer
auf die Sonderabgabe anordnen. Ein solcher Fall liege hier allerdings
nicht vor.
25 Schließlich
gebe die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung den
Mehrwertsteuerpflichtigen keinen Anreiz, bei den ihnen erbrachten
Umsätzen u. a. für das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung Sorge zu
tragen. Denn fehle die Rechnung oder sei sie nicht ordnungsgemäß,
könnten sie zwar die Vorsteuer nicht abziehen, doch habe dies, da die
dadurch höhere Umsatzsteuerschuld auf die Spielbankabgabe angerechnet
werde, keine wirtschaftliche Auswirkung für sie.
26 Unter
diesen Umständen hat das Finanzgericht Hamburg das Verfahren ausgesetzt
und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist
Art. 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit ihrem Art. 135
Abs. 1 Buchst. i dahin auszulegen, dass Mehrwertsteuer und nationale
Sonderabgabe auf Glücksspiele nur alternativ, nicht kumulativ erhoben
werden dürfen?
2. Nur falls ja zu 1.:
Falls
nach nationalen Vorschriften bei Glücksspielen sowohl Mehrwertsteuer
als auch eine Sonderabgabe erhoben wird, führt dies zur Nichterhebung
der Mehrwertsteuer oder zur Nichterhebung der Sonderabgabe, oder richtet
sich die Entscheidung, welche von beiden Abgaben nicht erhoben werden
darf, nach nationalem Recht?
3. Sind
Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin
auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift oder Praxis
entgegenstehen, wonach beim Betrieb von Spielgeräten mit
Gewinnmöglichkeit der Kasseninhalt („elektronisch gezählte Kasse“) des
Geräts nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums als Bemessungsgrundlage
zugrunde gelegt wird?
4. Nur falls ja zu 3.:
Wie ist die Bemessungsgrundlage stattdessen zu bestimmen?
5. Sind
Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin
auszulegen, dass die Erhebung der Mehrwertsteuer voraussetzt, dass der
Unternehmer die Mehrwertsteuer auf den Leistungsempfänger abwälzen kann?
Was ist gegebenenfalls unter Abwälzbarkeit zu verstehen? Gehört zur
Abwälzbarkeit insbesondere die rechtliche Zulässigkeit eines
entsprechend höheren Preises für die Ware oder Dienstleistung?
6. Nur falls bei 5. die rechtliche Zulässigkeit eines höheren Preises Voraussetzung ist:
Sind
Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin
auszulegen, dass Vorschriften, die das Entgelt für
mehrwertsteuerpflichtige Waren oder Dienstleistungen beschränken,
unionsrechtskonform so anzuwenden sind, dass sich das festgesetzte
Entgelt nicht einschließlich, sondern zuzüglich Mehrwertsteuer versteht,
auch wenn es sich um nationale entgeltregelnde Vorschriften handelt,
die dies nach ihrem Wortlaut nicht ausdrücklich vorsehen?
7. Nur falls ja zu 5., nein zu 6. und nein zu 3.:
Ist
in diesem Fall für den gesamten Umsatz der Spielgeräte keine
Mehrwertsteuer zu erheben oder nur für den Teil, für den eine Abwälzung
nicht möglich ist, und wie ist dieser dann zu bestimmen – etwa danach,
bei welchen Umsätzen der Einsatz pro Spiel nicht erhöht werden konnte,
oder danach, bei welchen Umsätzen der Kasseninhalt pro Stunde nicht
erhöht werden konnte?
8. Ist
Art. 1 Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass er
einer nationalen Regelung einer nicht harmonisierten Abgabe
entgegensteht, wonach die geschuldete Mehrwertsteuer betragsgenau bei
dieser Abgabe angerechnet wird?
9. Nur falls ja zu 8.:
Führt
die Anrechnung der Mehrwertsteuer auf eine nationale, nicht
harmonisierte Abgabe bei den mit dieser Abgabe belegten Unternehmern
dazu, dass die Mehrwertsteuer bei ihren Wettbewerbern nicht erhoben
werden darf, die zwar nicht dieser, aber einer anderen Sonderabgabe
unterworfen sind und bei denen eine solche Anrechnung nicht vorgesehen
ist?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
27 Mit
seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 401
der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit ihrem Art. 135 Abs. 1
Buchst. i dahin auszulegen ist, dass die Mehrwertsteuer und eine
innerstaatliche Sonderabgabe auf Glücksspiele nur alternativ und nicht
kumulativ erhoben werden dürfen.
28 Nach
Art. 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie „hindert diese Richtlinie einen
Mitgliedstaat nicht daran, Abgaben auf … Spiele und Wetten … sowie ganz
allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter
von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen“. Der Wortlaut
dieses Artikels verbietet es den Mitgliedstaaten somit nicht, einen
Umsatz der Mehrwertsteuer und, kumulativ, einer Sonderabgabe zu
unterwerfen, die keinen Umsatzsteuercharakter hat (vgl. in diesem Sinne
Urteil vom 8. Juli 1986, Kerrutt, 73/85, Slg. 1986, 2219, Randnr. 22).
29 Speziell
zu Glücksspielen mit Geldeinsatz hat der Gerichtshof zum einen bereits
entschieden, dass Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der
Mehrwertsteuerrichtlinie, der „unter den Bedingungen und Beschränkungen,
die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden“, eine
Mehrwertsteuerbefreiung u. a. dieser Spiele vorsieht, dahin auszulegen
ist, dass es den Mitgliedstaaten in Ausübung ihrer Befugnis, Bedingungen
und Beschränkungen für die in dieser Bestimmung vorgesehene
Mehrwertsteuerbefreiung festzulegen, gestattet ist, nur bestimmte
Glücksspiele mit Geldeinsatz von dieser Steuer zu befreien (Urteil vom
10. Juni 2010, Leo-Libera, C‑58/09, Slg. 2010, I‑5189, Randnr. 39).
30 Zum
anderen hat der Gerichtshof in Randnr. 38 des genannten Urteils ferner
entschieden, dass es hinsichtlich des Grundsatzes der steuerlichen
Neutralität ohne Belang ist, dass die Höhe einer nicht harmonisierten
Abgabe auf Spiele, zu der bestimmte mehrwertsteuerpflichtige
Veranstalter und Betreiber von Glücksspielen mit Geldeinsatz ebenfalls
herangezogen werden, an die für diese Tätigkeit geschuldete
Mehrwertsteuer angepasst wird. Der Gerichtshof hat also bereits
bestätigt, dass das Unionsrecht einer kumulativen Erhebung der
Mehrwertsteuer und einer anderen allgemeinen Abgabe auf Glücksspiele,
die nicht den Charakter einer Umsatzsteuer hat, grundsätzlich nicht
entgegensteht.
31 Wie
aus der Vorlageentscheidung und den beim Gerichtshof eingereichten
Erklärungen hervorgeht, ist aber unstreitig, dass die im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergnügungssteuern nicht den
Charakter einer Umsatzsteuer haben.
32 Infolgedessen
ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 401 der
Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit ihrem Art. 135 Abs. 1
Buchst. i dahin auszulegen ist, dass die Mehrwertsteuer und eine
innerstaatliche Sonderabgabe auf Glücksspiele kumulativ erhoben werden
dürfen, sofern die Sonderabgabe nicht den Charakter einer Umsatzsteuer
hat.
Zur zweiten Frage
33 Da
die zweite Frage nur für den Fall gestellt worden ist, dass der
Gerichtshof die erste Frage bejaht, ist sie nicht zu beantworten.
Zur dritten Frage
34 Mit
seiner dritten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob Art. 1
Abs. 2 Satz 1 und Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen
sind, dass sie einer nationalen Vorschrift oder Praxis entgegenstehen,
wonach beim Betrieb von Spielgeräten die Höhe der Kasseneinnahmen dieser
Geräte nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums als Bemessungsgrundlage
zugrunde gelegt wird.
35 Zunächst
ist darauf hinzuweisen, dass die Steuerbemessungsgrundlage bei der
Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen nach Art. 73 der
Mehrwertsteuerrichtlinie „alles, was den Wert der Gegenleistung bildet,
die der … Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom …
Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll,
einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze
zusammenhängenden Subventionen“, umfasst.
36 Überdies
hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Proportionalität der
Mehrwertsteuer zu den Preisen der betreffenden Dienstleistungen oder
Gegenstände, wie aus Art. 1 Abs. 2 Satz 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie
hervorgeht, eines der wesentlichen Merkmale dieser harmonisierten Steuer
ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 31. März 1992, Dansk Denkavit und
Poulsen Trading, C‑200/90, Slg. 1992, I‑2217, Randnr. 11, Pelzl u. a.,
Randnr. 25, und vom 11. Oktober 2007, KÖGÁZ u. a., C‑283/06 und
C‑312/06, Slg. 2007, I‑8463, Randnr. 40).
37 In
den Rechtssachen, in denen die in der vorstehenden Randnummer
angeführten Urteile ergangen sind, hat der Gerichtshof auf die
Proportionalität der Mehrwertsteuer nur Bezug genommen, um
festzustellen, ob eine von dem betreffenden Mitgliedstaat erhobene
innerstaatliche Gebühr oder Abgabe den Charakter einer Umsatzsteuer
hatte und daher nicht kumulativ mit der in der Union harmonisierten
Mehrwertsteuer erhoben werden durfte. In diesen Urteilen ging es
hingegen nicht um die Frage, ob die Mehrwertsteuer proportional zu den
Zahlungen sein muss, die mehrere Adressaten einer Dienstleistung im
Laufe einer komplexen Tätigkeit erbringen, die als solche der
Mehrwertsteuer unterliegt, und noch weniger um die Frage, ob die
Mehrwertsteuer zwingend und in allen Fällen proportional zu den
Zahlungen sein muss, die jeder einzelne Adressat leistet.
38 Hierzu
ist festzustellen, dass sich der Grundsatz der Proportionalität der
Mehrwertsteuer nur auf die Bemessungsgrundlage beziehen kann. Zwar
entspricht die Bemessungsgrundlage meist dem Preis, den der
Endverbraucher als Gegenleistung für die Erbringung einer Dienstleistung
oder die Lieferung eines Gegenstands entrichten muss, doch geht schon
aus dem Wortlaut von Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie hervor, dass
dies nicht immer und zwangsläufig der Fall ist. Nach Art. 73 besteht die
Bemessungsgrundlage nämlich aus allem, was den Wert der Gegenleistung
bildet, die der Erbringer einer Dienstleistung von deren Empfänger „oder
einem Dritten erhält“, und zwar „einschließlich der unmittelbar mit dem
Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen“. Somit richtet
sich die Bemessungsgrundlage danach, was der Steuerpflichtige
tatsächlich als Gegenleistung erhält, und nicht danach, was ein
bestimmter Adressat in einem konkreten Fall zahlt (vgl. in diesem Sinne
u. a. Urteil vom 19. Juni 2003, First Choice Holidays, C‑149/01, Slg.
2003, I‑6289, Randnrn. 28 bis 31 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
39 Eine
Besteuerungspraxis wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, bei
der als Bemessungsgrundlage für Umsätze mit Spielgeräten die monatlichen
Kasseneinnahmen zugrunde gelegt werden, die ihrerseits von der Höhe der
Gewinne und Verluste der jeweiligen Spieler abhängen, verstößt folglich
nicht schon deshalb gegen das Unionsrecht, weil keine Proportionalität
zwischen der geschuldeten Mehrwertsteuer und den isoliert betrachteten
Einsätzen der einzelnen Spieler besteht.
40 Zudem
hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass bei Geldspielautomaten,
die aufgrund zwingender gesetzlicher Vorschriften so eingestellt sind,
dass durchschnittlich mindestens 60 % der Spieleinsätze als Gewinne an
die Spieler ausgezahlt werden, die Gegenleistung, die der Betreiber für
die Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhält, nur in dem Teil der
Einsätze besteht, über den er effektiv selbst verfügen kann (Urteil
Glawe, Randnr. 9). Zwar brauchte der Gerichtshof in diesem Urteil nicht
über die Frage zu entscheiden, ob der Grundsatz der
„Individualbesteuerung“ es gebietet, die Bemessungsgrundlage anhand der
Einsätze für ein Spiel oder eine Spielserie – mit anderen Worten anhand
der Einsätze eines bestimmten Spielers – zu errechnen. Aus den
Randnrn. 5 und 14 dieses Urteils geht in Verbindung mit den Nrn. 27 bis
30 der Schlussanträge von Generalanwalt Jacobs in dieser Rechtssache
aber klar hervor, dass dies nach Ansicht des Gerichtshofs nicht der Fall
war.
41 Da
der Sachverhalt in der Rechtssache, in der das Urteil Glawe ergangen
ist, mit dem Sachverhalt des Ausgangsverfahrens vergleichbar ist, ist
die vom Gerichtshof in diesem Urteil gegebene Antwort auf die
vorliegende Rechtssache übertragbar. Von der im Ausgangsverfahren in
Rede stehenden Regelung sieht nämlich § 12 Abs. 2 SpielV im Wesentlichen
vor, dass bei Geldspielgeräten Gewinne in solcher Höhe ausgezahlt
werden müssen, dass bei langfristiger Betrachtung kein höherer Betrag
als 33 Euro je Stunde als Kasseninhalt verbleibt. Nach § 13 SpielV, der
u. a. Begrenzungen für die Einsätze, Gewinne und Verluste der Spieler
vorsieht, müssen die Geräte so eingestellt sein, dass sie die
Anforderungen der SpielV erfüllen, die zu einer Begrenzung der mit den
Geräten erzielbaren Einnahmen führen.
42 Unter
diesen Umständen wird die Gegenleistung, die der Betreiber für die
Bereitstellung der Automaten tatsächlich erhält, durch „zwingende
gesetzliche Vorschriften“ festgelegt und besteht daher nur „in dem Teil
der Einsätze, über den er effektiv selbst verfügen kann“ (vgl. Urteile
Glawe, Randnr. 9, und vom 19. Juli 2012, International Bingo Technology,
C‑377/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr.
26), d. h. in den Kasseneinnahmen nach Ablauf eines bestimmten
Zeitraums.
43 Dieses
Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die
Geldspielautomaten, die Gegenstand des Urteils in der Rechtssache Glawe
waren, mit einem Münzstapelrohr versehen waren, das zur Auszahlung der
gesetzlich vorgeschriebenen Gewinne an die Spieler diente, während die
Spielgeräte, um die es im Ausgangsverfahren geht, zu diesem Zweck mit
einem Hopper ausgestattet sind. Denn der Vorlageentscheidung ist zu
entnehmen, dass der Hopper zwar eine technische Innovation der
Spielgeräte darstellt, aber im Prinzip dieselbe Funktion erfüllt wie die
früheren Münzstapelrohre. Irrelevant ist insoweit auch die vom
vorlegenden Gericht angeführte Tatsache, dass der Betreiber jederzeit
Zugriff auf den Inhalt des Hoppers hat. Nach den Angaben des vorlegenden
Gerichts wird nämlich jede Bestandsveränderung des Hoppers von einer
Kontrolleinrichtung registriert und bei der Berechnung der
Kasseneinnahmen ebenfalls berücksichtigt. Diese Kasseneinnahmen, über
die der Betreiber effektiv selbst verfügen kann, können folglich genau
ermittelt werden.
44 Daher
ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 Satz 1 und
Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind, dass sie
einer nationalen Vorschrift oder Praxis, wonach beim Betrieb von
Spielgeräten die Höhe der Kasseneinnahmen dieser Geräte nach Ablauf
eines bestimmten Zeitraums als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt wird,
nicht entgegenstehen.
Zur vierten Frage
45 Da
die vierte Frage nur für den Fall gestellt worden ist, dass der
Gerichtshof die dritte Frage bejaht, ist sie nicht zu beantworten.
Zur fünften, zur sechsten und zur siebten Frage
46 Mit
der fünften, der sechsten und der siebten Frage, die zusammen zu
behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 2
Satz 1 und Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen sind,
dass die Erhebung der Mehrwertsteuer voraussetzt, dass der Unternehmer
die Mehrwertsteuer auf den Spieler abwälzen kann, und ob, wenn ja, zur
Abwälzbarkeit die rechtliche Zulässigkeit eines entsprechend höheren
Preises gehört. Gegebenenfalls möchte das vorlegende Gericht wissen, ob
eine innerstaatliche Regelung, die das dem Betreiber zustehende Entgelt
für mehrwertsteuerpflichtige Waren oder Dienstleistungen beschränkt, so
anzuwenden ist, dass das festgesetzte Entgelt die Mehrwertsteuer nicht
einschließt. Schließlich möchte das vorlegende Gericht, falls die
Mehrwertsteuer mangels Abwälzbarkeit nicht erhoben werden darf, wissen,
ob für den gesamten Umsatz mit den Spielgeräten oder nur für den Teil,
für den eine Abwälzung nicht möglich ist, keine Mehrwertsteuer zu
erheben ist.
47 Um
dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist
zunächst darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des
Gerichtshofs insbesondere die Ziele des Verbraucherschutzes, der
Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben für das
Spielen und der Verhütung von Störungen der sozialen Ordnung im
Allgemeinen zwingende Gründe des Allgemeininteresses darstellen, die
Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können;
in Ermangelung einer Harmonisierung der Regelung der Glücksspiele auf
Unionsebene ist es danach außerdem Sache jedes Mitgliedstaats, in diesem
Bereich im Einklang mit seiner eigenen Wertordnung zu beurteilen,
welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen
ergeben, sofern die vorgeschriebenen Beschränkungen den Anforderungen an
ihre Verhältnismäßigkeit genügen, die sich aus der Rechtsprechung des
Gerichtshofs ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2009,
Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International,
C‑42/07, Slg. 2009, I‑7633, Randnrn. 56, 57 und 59 sowie die dort
angeführte Rechtsprechung).
48 Dass
es speziell eine „Preisregulierung“ und/oder eine gesetzliche
Begrenzung der Verluste der Benutzer von Spielgeräten gibt, ist dem
Grundsatz nach vom Gerichtshof im Urteil Glawe implizit gebilligt
worden, insbesondere im Hinblick auf ihre Behandlung für die Zwecke der
Erhebung der Mehrwertsteuer. In diesem Urteil hat der Gerichtshof
nämlich unter Zugrundelegung eines gesetzlichen Gewinnanteils von 60 %
ausgeführt, dass diese Gewinne, deren Auszahlung das deutsche Recht
vorschrieb, nicht in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen waren (vgl.
Urteil Glawe, Randnr. 9). Die Einführung einer Regelung, mit der im Kern
die Höhe der Verluste der Spieler bei Glücksspielen und infolgedessen
die von den Betreibern solcher Spiele erzielten Einnahmen begrenzt
werden, ist somit im Unionsrecht bereits für zulässig erachtet worden.
49 Demnach
sind die Mitgliedstaaten im Bereich der Glücksspiele mit Geldeinsatz
grundsätzlich berechtigt, insbesondere die Einsätze, Gewinne und
Verluste der Spieler temporär oder absolut zu begrenzen. Hat ein
Mitgliedstaat, wie es im Ausgangsverfahren der Fall zu sein scheint,
tatsächlich von diesem Recht Gebrauch gemacht, stellt sich nicht die
Frage, ob die Betreiber von Spielgeräten ihre Einnahmen über die in der
einschlägigen Regelung vorgesehenen Grenzen hinaus erhöhen dürfen, um
die Mehrwertsteuer in höherem Maße auf die Spieler abwälzen zu können.
Denn unter diesen Umständen ist eine solche Erhöhung schlicht in
legitimer Weise verboten.
50 Sodann
ist festzustellen, dass die fünfte, die sechste und die siebte Frage
auf der Prämisse beruhen, dass eine innerstaatliche Regelung wie die im
Ausgangsverfahren in Rede stehende es den Betreibern von Spielgeräten
nicht erlaubt, die Mehrwertsteuer in vollem Umfang auf die
Endverbraucher, d. h. die Spieler, abzuwälzen. Eine Beantwortung dieser
Fragen ist aber für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nur
erforderlich, sofern diese Prämisse zutrifft.
51 Es
hat jedoch nicht den Anschein, dass eine Regelung wie die im
Ausgangsverfahren in Rede stehende die Abwälzung der Mehrwertsteuer auf
die Endverbraucher verhindert.
52 Wie
nämlich aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, ist Bemessungsgrundlage
im vorliegenden Fall nur die „Nettokasse“, d. h. die Kasseneinnahmen
abzüglich der geschuldeten Mehrwertsteuer. Nach der im Ausgangsverfahren
in Rede stehenden Regelung gehören zur Bemessungsgrundlage für die
Mehrwertsteuer nur die Einnahmen, die der Betreiber von Spielgeräten
tatsächlich erzielt, und die geschuldete Mehrwertsteuer, die sich aus
der Anwendung des gesetzlichen Mehrwertsteuersatzes auf die Nettokasse
als Bemessungsgrundlage ergibt, ist von den Endverbrauchern auch
tatsächlich gezahlt worden.
53 Mithin
ist festzustellen, dass eine innerstaatliche Regelung wie die im
Ausgangsverfahren in Rede stehende, die den Betrieb von Spielgeräten
insbesondere in Bezug auf die Einsätze, Gewinne und Verluste der Spieler
je Zeiteinheit begrenzt, es dem Betreiber erlaubt, die für diese
Tätigkeit geschuldete Mehrwertsteuer auf die Endverbraucher abzuwälzen.
54 Da die fünfte, die sechste und die siebte Frage folglich hypothetischen Charakter haben, sind sie nicht zu beantworten.
Zur achten Frage
55 Mit
seiner achten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1
Abs. 2 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer
nationalen Regelung entgegensteht, wonach die geschuldete Mehrwertsteuer
betragsgenau auf eine nicht harmonisierte Abgabe angerechnet wird.
56 Erstens
ist hinsichtlich des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität, auf den
das vorlegende Gericht in diesem Zusammenhang Bezug nimmt, darauf
hinzuweisen, dass dieser Grundsatz, der ein Grundprinzip des gemeinsamen
Mehrwertsteuersystems darstellt, Ausdruck des Grundsatzes der
Gleichbehandlung im Bereich der Mehrwertsteuer ist. Er hat insbesondere
zur Folge, dass die Steuerpflichtigen bei gleichartigen und miteinander
in Wettbewerb stehenden Leistungen nicht unterschiedlich behandelt
werden dürfen (vgl. u. a. Urteil vom 19. Dezember 2012, Grattan,
C‑310/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr.
28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
57 Wie
die Kommission zu Recht hervorgehoben hat, verpflichtet der Grundsatz
der steuerlichen Neutralität im Bereich der Mehrwertsteuer jedoch nur im
Rahmen dieses harmonisierten Systems zur Gewährleistung von
Gleichbehandlung und Neutralität. Da die geschuldete Mehrwertsteuer nach
der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung auf eine nicht
harmonisierte Abgabe angerechnet wird und nicht umgekehrt, könnte diese
Regelung allenfalls Zweifel in Bezug auf die Einhaltung des Grundsatzes
der Gleichbehandlung im Hinblick auf diese nicht harmonisierte Abgabe
aufwerfen und nicht im Verhältnis zur Mehrwertsteuer. Im
Ausgangsverfahren kommt dies jedenfalls nicht zum Tragen, da die
Klägerin des Ausgangsverfahrens nach den Angaben des vorlegenden
Gerichts keine Spielbankabgabe entrichten muss.
58 Überdies
hat der Gerichtshof zu einer Argumentation, die im Wesentlichen dem in
Randnr. 56 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Vorbringen
entsprach, bereits festgestellt, dass es für den Grundsatz der
steuerlichen Neutralität ohne Belang ist, dass die Höhe einer nicht
harmonisierten Abgabe auf Spiele, zu der bestimmte
mehrwertsteuerpflichtige Veranstalter und Betreiber von Glücksspielen
mit Geldeinsatz ebenfalls herangezogen werden, an die für diese
Tätigkeit geschuldete Mehrwertsteuer angepasst wird (vgl. Urteil
Leo-Libera, Randnr. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
59 Zweitens
ist zu möglichen Problemen praktischer Art – wie dem fehlenden Anreiz
des Leistungsempfängers, dafür zu sorgen, dass er von seinem
Vertragspartner eine ordnungsgemäße Rechnung erhält – festzustellen,
dass weder die Vorlageentscheidung noch die Erklärungen der Beteiligten
substantiierte Ausführungen enthalten, aus denen der Schluss gezogen
werden könnte, dass solche Probleme bereits in Deutschland aufgetreten
sind, oder die es erlaubten, ihre Auswirkung auf das ordnungsgemäße
Funktionieren des harmonisierten Mehrwertsteuersystems zu beurteilen.
Mangels entsprechender konkreter Angaben ist daher über die möglichen
Folgen dieser vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Hypothese nicht zu
entscheiden.
60 Daher
ist auf die achte Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 der
Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer
innerstaatlichen Regelung, wonach die geschuldete Mehrwertsteuer
betragsgenau auf eine nicht harmonisierte Abgabe angerechnet wird, nicht
entgegensteht.
Zur neunten Frage
61 Da
die neunte Frage nur für den Fall gestellt worden ist, dass der
Gerichtshof die achte Frage bejaht, ist sie nicht zu beantworten.
Kosten
62 Für
die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem
Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 401
der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist in Verbindung mit Art. 135 Abs. 1
Buchst. i dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass die Mehrwertsteuer
und eine innerstaatliche Sonderabgabe auf Glücksspiele kumulativ erhoben
werden dürfen, sofern die Sonderabgabe nicht den Charakter einer
Umsatzsteuer hat.
2. Art. 1
Abs. 2 Satz 1 und Art. 73 der Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen,
dass sie einer nationalen Vorschrift oder Praxis, wonach beim Betrieb
von Spielautomaten mit Gewinnmöglichkeit die Höhe der Kasseneinnahmen
dieser Automaten nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums als
Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt wird, nicht entgegenstehen.
3. Art. 1
Abs. 2 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass er einer
innerstaatlichen Regelung, wonach die geschuldete Mehrwertsteuer
betragsgenau auf eine nicht harmonisierte Abgabe angerechnet wird, nicht
entgegensteht.
Unterschriften
Quelle (pdf-download)
Kritische Anmerkungen zu der EuGH-Entscheidung
Zusammenfassung der EU-Gesetzgebung Quelle
Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (die „Mehrwertsteuerrichtlinie“)
Mehrwertsteuerbefreiungen ohne Recht auf Vorsteuerabzug
Aus sozioökonomischen Gründen wurden Steuerbefreiungen für folgende Tätigkeiten gewährt:
- bestimmte Umsätze, ... unter anderem ......... Glücks- oder Geldspiele ...
Der Artikel 401 der RICHTLINIE 2006/112/EG DES RATES lautet:
”Unbeschadet anderer gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften hindert diese Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, Abgaben auf Versicherungsverträge, Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern, Grunderwerbsteuern sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen, sofern die Erhebung dieser Steuern, Abgaben und Gebühren im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübertritt verbunden ist.”
Quelle
Ich verstehe den Artikel 401 so,
dass eine Umsatzsteuer weder beibehalten noch "neu" eingeführt werden darf !
Lediglich eine andere Besteuerung ist möglich, sofern diese nicht den Charakter von Umsatzsteuern hat und die Erhebung im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht mit Formalitäten beim Grenzübertritt verbunden ist.
Dabei ist jedoch die RL 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem zu beachten. vgl. Schlussanträge in d. Rs C-82/12
Zweck der Mehrwertsteuerrichtlinie sei es, die Umsätze nach Art. 135 von der Mehrwertsteuer zu befreien und den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit zu geben, diese Umsätze nach Art. 401 einer Sonderabgabe zu unterwerfen, die nicht den Charakter einer Umsatzssteuer haben. (vgl. BGZ Leasing; C-224/11, Rn. 67; Generalanwältin Kokott, Schlussanträge Rs: C-385/12, -ausführlich- Rn 90ff; Generalanwalt Bot, Schlussanträge vom 11. März 2010, - C-58/09 - Rs. Leo-Libera, Slg. 2010, I-05189, Rn. 43 f.)
Ich kann nicht verstehen wie der EuGH unter Mitwirkung der Richterin M. Berger* als Berichterstatterin zu obiger Entscheidung kommen konnte, mit der die Grundsätze der Proportionalität, der Abwälzbarkeit und der Neutralität der Mehrwertsteuer in Frage gestellt werden und der aktuellen Rechtsprechung, Urteil (Rs C-189/11) vom 26.09.2013 widersprochen wird. s.u.
Entgegen der verbindlichen DurchführungsVO zur MwStSystRL überlässt es der EuGH mit seiner Entscheidung v. 24.10.14, den Mitgliedsstaaten (...... erhoben werden dürfen) eine Mehrwertsteuer einzuführen bzw. beizubehalten.
Mit dem Urteil vom 24.10.2013 wird das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verfälscht und die rechtliche Vorgabe zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ausgehöhlt.
(s. Schlussanträge Rs: C-385/12, Rn 90ff)
Die MwSystRL soll gerade verhindern dass Mitgliedsstaaten eine eigene Rechtslage entwickeln.
Unionsrechtsakte dürfen sich nicht widersprechen und müssen dem Grundsatz der Rechtssicherheit genügen (EuGH: T-50/06 RENV), weshalb eine durch einen Mitgliedstaat von der MwSystRL abweichende, und damit unzulässige Rechtsanwendung, nicht nachträglich über den EuGH legalisiert werden kann, wenn Abweichungen ausschließlich über den Rat der Union über ein Dispensverfahren gem. Art. 395, 1 MwSystRL genehmigt werden dürfen, weshalb ungenehmigte, abweichende nationale Regelungen grundsätzlich unzulässig sind.
Mit dem Urteil wird die Einheitlichkeit des harmonisierten Umsatzsteuer nicht gewahrt, die durch die DurchführungsVO zur MwStSystRL 2006/112/EG verbindlich vorgegeben ist und in allen Mitgliedstaaten unmittelbar gilt. weiterlesen
Dr. Stix-Hackl, Generalanwältin am EuGH:
"Aufgabe des Gerichtshofs ist die "Wahrung des Rechts...."Stix-Hackl:
Im Steuerbereich gibt es in der Gemeinschaft eine bruchstückhafte Teilharmonisierung durch einzelne anlassbezogene Entscheidungen des EuGH.Quelle (pdf-download)
Das könnte man als eine Art "umgekehrte Integration" bezeichnen.
Aus meiner Sicht wird mit obiger Rechtsauslegung den rechtlichen Vorgaben aus Art. 135,1,i in Verbindung mit Art. 137 und 401 der Richtlinie 2006/112/EG, mit dem eine Einführung oder Beibehaltung von Umsatzsteuern explizit ausgeschlossen wurden, sowie dem Geist der Richtline i.S. von Art. 131, der eine korrekte und einfache Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiung verlangt, nicht gefolgt. (Rn 33; vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2006, Turn- und Sportunion Waldburg, C-246/04, Slg. 2006, I-589, Randnr. 31)
Der Artikel 135,1,i sieht vor:
1. Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:Im Gegensatz zu einer Reihe von Umsätzen ist ein Ausschluß von der Umsatzsteuerbefreiung für Glücksspielumsätze nicht zulässig, auch nicht als Ausnahmeregelung. (vgl. Abs.2)
i) Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden**
Gemäß Art. 137 können sich Steuerpflichtige nicht für eine Besteuerung der Glücksspielumsätze nach Art. 135 Absatz 1 Buchstabe i entscheiden - eine Besteuerung ist ausgeschlossen !
Art. 137 der MwStSystRL 2006/112/EG
Einer Steuerpflicht steht auch der Art. 137 der RL entgegen, der die Art. 135 und 401 ergänzt und ebenfalls eine grundsätzliche Steuerbefreiung vorgibt.
Der Art. 137 erlaubt nur bei den unter Art. 135, Abs. 1, angegebenen Buchstaben b bis g, sowie den unter Art. 12 genannten Umsätzen überhaupt die Möglichkeit einer Besteuerung, und nur, wenn sich der Steuerpflichtige selbst dazu entscheidet.
Artikel 137
(1) Die Mitgliedstaaten können ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, sich bei folgenden Umsätzen für eine Besteuerung zu entscheiden:
a) die in Artikel 135 Absatz 1 Buchstaben b bis g genannten Finanzumsätze;
b) Lieferung von anderen Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden als den in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a genannten;
c) Lieferung unbebauter Grundstücke mit Ausnahme von Baugrundstücken im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe b;
d) Vermietung und Verpachtung von Grundstücken.
(2) Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten für die Inanspruchnahme des Wahlrechts nach Absatz 1 fest.
Die Mitgliedstaaten können den Umfang dieses Wahlrechts einschränken.
Da Glückspielumsätze gem. Buchstabe ”i” von dieser Möglichkeit ausgeschlossen wurden, kann sich der Steuerpflichtige nicht für eine Besteuerung nach Art. 135, Absatz 1, Buchstabe “i“ entscheiden, weshalb eine Besteuerung ausgeschlossen ist. Dies wird durch Absatz (2) bestätigt, der Umsätze aus 135,1,i erneut ausschließt, weshalb die Mitgliedstaaten keine Möglichkeit haben, die Einzelheiten dieses Rechts zu regeln oder dessen Umfang einzuschränken oder zu erweitern.
Deshalb darf der Glücksspielunternehmer keine Umsatzsteuer abführen und keine Vorsteuern geltend machen, selbst wenn er das wollte. Der Mitgliedsstaat darf nach Art. 137 (1, 2) weder die Besteuerung verlangen noch eine gewünschte Steuerzahlung akzeptieren, bzw. einen Vorsteuerabzug gewähren.
Der Art. 137 unterstreicht nochmals die Umsatzsteuerbefreiung nach Art. 135,1, i, die einen Vorsteuerabzug ausschließt.
Auch, wenn durch die sich ergänzenden Art. 135, 137 und 401der Richtlinie, in ihrer Gesamtheit eine zwingende Steuerbefreiung vorgegeben ist, so stehen doch einige widersprüchliche Entscheidungen des EuGH im Raum, die dadurch zustande kamen, weil der EuGH nur zu einzelnen Artikeln befragt wurde.
Gelegentlich sind die im Wege der Rechtsfortbildung gewonnenen Rechtsprechungsergebnisse nicht frei von Bedenken. So erscheint der Vorwurf durchaus nicht fernliegend, der Gerichtshof habe mit einigen Urteilen die auch seiner Rechtsprechung gesetzten Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, indem er von den Vorgaben der verbindlichen MwStSystRL abwich.
* Berichterstatterin und zuständige Richterin am EuGH, Maria-Margarethe Berger war von 1996 bis 2009 Abgeordnete zum Europäischen Parlament, und dazwischen von 2007 bis 2008 als Bundesministerin für Justiz im Kabinett unter dem damaligen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) in Österreich tätig, der nunmehr zusammen mit dem deutschen EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD) im Aufsichtsrat des Glücksspielriesen Novomatic tätig ist. s.a. Black Box in der Daddelhalle - Undurchsichtige Software steuert das Innenleben von Spielautomaten. Wird sie von großen Konzernen manipuliert?
** Bereits in der Rs 8/81 (Becker, Slg. 1982, 53) hat der EuGH festgestellt, dass sich die "Bedingungen" in keiner Weise auf den Inhalt der vorgegebenen Steuerbefreiung erstrecken dürfen (vgl. Leitsatz Nr 3, Rn 20 ff, 25, 33, 43, 44, 45, 46).
Das Urteil wirft weitere Fragen auf:
Darf eine Norm durch eine Rechtsauslegung so verändert werden, dass der Regelungsgehalt der Norm verändert wird und diese nicht mehr dem Grundsatz der Rechtssicherheit genügt? (EuGH: T-50/06 RENV)
Durch Rechtsauslegung kann aus einer grundsätzlichen Steuerbefreiung keine Steuerpflicht werden! (vgl. BVerwG, 27.06.2012 - 9 C 2.12, Rn 15)
Kann und darf ohne Notifizierung nach der InformationsverfahrensRL 98/34/EG überhaupt eine Umsatzsteuerpflicht für Glücksspielumsätze der Spielbanken nach der Entscheidung Linneweber "neu" eingeführt werden? (vgl. EuGH-Fortuna C-213/11, Rn 38; s.u.a. Englisch/Riege zur unzureichenden Notifizierung, pdf-download)
Kann eine Umsatzsteuerpflicht unter Umgehung eines Dispensverfahren, gem. Art. 395 eingeführt werden, wenn der anzuwendende Art. ”135 i” in Verbindung mit Art. 137 und Art. ”401, der Richtlinie 2006/112/EG eine Steuerbefreiung zwingend vorsieht?
Werden die Kohärenzbestimmungen des Unionsrechts gewahrt, wenn der EuGH nachträglich eine Abweichung von der Richtlinie 2006/112/EG “durchwinkt“ die ausschließlich über ein Dispensverfahren gem. Art. 395, 1 durch den Rat der Union genehmigt werden darf?
Können, entsprechend dem Gleichbehandlungsgrundsatz, auch die Automatenaufsteller die Verrechnung der “Sonderabgabe“ Vergnügungssteuer mit der MwSt verlangen, wenn die Spielbanken die MwSt mit der “Sonderabgabe“ Spielbankabgabe verrechnen können ? (vgl. Rn 57)
Wird mit der neuerlichen Entscheidung des EuGH der Gleichbehandlungsgrundsatz gewahrt, und den Grundsätzen der Rechtsklarheit, Rechtsbestimmtheit und Rechtsberechenbarkeit gefolgt, wenn die Erste Kammer am 24.10.2013 (Rs. C-440/12) entgegen der Entscheidung der Dritten Kammer vom 26.09.2013 (Rs C-189/11) eine pauschale Kassenbesteuerung für zulässig erachtet, während die 3. Kammer Spanien verurteilte, weil die Grundsätze der steuerlichen Proportionalität nicht eingehalten wurden, die vorgibt die Besteuerung auf jede einzelne Dienstleistung abzustellen?
„Das Königreich Spanien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Art. 168, 226 und 306 bis 310 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verstoßen,„… Als Kennzeichen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist in Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/112 der Grundsatz verankert, dass die Mehrwertsteuer „bei allen Umsätzen“ geschuldet wird. In Art. 73 wird zur Definition der Steuerbemessungsgrundlage auf die einzelne Lieferung von Gegenständen bzw. die einzelne Dienstleistung abgestellt. Außerdem können die Kunden bei einer Regelung, die eine globale Berechnung für jeden Steuerzeitraum und den Vortrag negativer Werte auf nachfolgende Zeiträume erlaubt, nicht erkennen, wie hoch der Mehrwertsteuerbetrag ist, den sie als Vorsteuer entrichtet haben, und daher diesen Betrag gegebenenfalls nicht in Abzug bringen.“ (Quelle: Schlussanträge Generalanwältin Sharpston; Rs. C-189/11; Rdnr. 31)
…
dass es Reisebüros, soweit die genannte Sonderregelung auf sie anwendbar ist, gestattet, die Steuerbemessungsgrundlage pauschal für jeden Besteuerungszeitraum zu bestimmen.“ (Rs C-189/11, Rdnr. 108)
Die MwSt wird auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben. (Quelle: Schlussanträge Generalanwalt Wahl; Rs C-82/12) Rechtsgrundlagen (eu/taxation)
Die Auslegung des EuGH in der Rs. 440/12 führt zu dem Paradoxon, dass ausschließlich die “Leistungsempfänger“ die verloren haben, die Umsatzsteuer zahlen, da nur deren Einsatz in der Kasse verbleibt. (Versteuerung der Kasse nach Glawe)
Der Gewinner dagegen, hat keine Umsatzsteuer bezahlt !
Die Steuerbefreiung der Gewinner widerspricht dem Grundsätz der steuerlichen Proportionalität gem. dem aktuellen Urteil vom 26.09.2013 (Rs C-189/11).
Wenn eine Umsatzsteuer für Glücksspielumsätze eingeführt werden soll, so hat dies im Hinblick auf den Harmonisierungsauftrag gem. Art. 93 EG im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens zu erfolgen und nicht über eine zweifelhafte Rechtsauslegung, die nicht der DurchführungsVO zur MwStSystRL 2006/112/EG entspricht und allen Grundsätzen der Rechtsklarheit, Rechtsbestimmtheit und Rechtsberechenbarkeit widerspricht.
Mit dem Urteil vom 24.10.2013 wird das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verfälscht und die rechtliche Vorgabe zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ausgehöhlt.
Nicht die Mitgliedsstaaten können über die Gültigkeit der DurchführungsVO zur Richtlinie 2006/112/EG entscheiden die in allen Mitgliedstaaten verbindlich ist und unmittelbar gilt.
Mit der dualen Strategie, als Automatenbauer und -betreiber haben die expandierenden Großkonzerne ein Interesse an einem Vorsteuerabzug, der nach Art. 137 für Glücksspielumsätze ausgeschlossen ist.
Nur die Hersteller können über die eingesetzte Software die Auszahlungsquote der Geräte steuern und ihre eigenen Kunden (Automatenaufsteller und staatliche Casinos) an interessanten Standorten aus dem Markt drängen, um diese Standorte dann zu übernehmen. Bereits heute werden eine Reihe von staatlichen Casinos subventioniert.
Auf die Wettbewerbsverzerrung durch Steuerstundung/Erlass ging der EuGH nicht ein.
Während den Ostsee-Spielbanken die Steuern lediglich gestundet wurden, wurden staatliche Spielbanken in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz steuerfrei gestellt.
Dadurch, dass staatliche Spielbanken in Baden-Württemberg, und in Rheinland-Pfalz steuerbefreit wurden, wird gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstoßen, (vgl. Linneweber- und die Rank-Entscheidung Rn 33 ff, 41, 68, 75/1ff, des EuGH; FG Baden-Württemberg, 28.11.2012 - 14 K 2883/10) womit die europarechtliche Steuerbefreiung nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. “i“ der Richtlinie 2006/112/EG nicht verweigert werden darf, auf die der Veranstalter nach der Sechsten Richtlinie einen Rechtsanspruch hat, so der EuGH unter der Rn. 68 (Rank).
Hintergrund
Unter Missachtung der Richtlinie 2006/112/EG und ohne ausdrückliche Ermächtigung gem. Art. "395,1" wurde im Mai 2006 entgegen der zwingend anzuwendenden Art. ”135,1,i” in Verbindung mit Art. "137" und Art. ”401” eine Umsatzsteuerpflicht für die Glücksspielumsätze der Spielbanken, durch Neufassung des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG ” eingeführt, die ohne Dispens gem. Art. 395,1 bereits aus formalen Gründen unwirksam und nichtig ist.
Aus meiner Sicht, hatte Deutschland zu dieser Rechtsänderung, die ausschließlich die Spielbanken bindet, keine Gesetzgebungskompetenz.
Das Finanzgericht Hamburg hat mit Beschluss vom 21.9.2012 (Az. 3 K 104/11) den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung einer Reihe unionsrechtlicher Fragen angerufen, die die Umsatzbesteuerung von Spielgerätebetreibern betrifft.
weiterlesen
Rechtsanwalt Bernd Hansen schreibt zu dem heutigen Urteil auf seiner Webseite:
"Der Europäische Gerichtshof hat heute leider das erwartete politische Urteil verkündet.
... schön von dem ans Absurde grenzenden Vorbringen der Europäischen Kommission abgeschrieben. Anders als in den bisherigen Entscheidungen des EuGH in anderen Rechtssachen, soll es nun doch nicht mehr auf den Grundsatz der Individualbesteuerung ankommen.
In meinen Augen ist das Urteil ein Witz!
Halten Sie trotzdem Ihre Umsatzsteuerbescheide für die Zeit ab 2006 in jedem Fall - über die Entscheidung des EuGH hinaus - offen!!!
Für alle Fragen hinsichtlich der weiteren Vorgehensweise gegenüber Ihrem Finanzamt stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Jesteburg, den 24.10.2013
Rechtsanwalt Bernd Hansen"
Quelle
EuGH Kommentierung
Umsätze mit Geldspielgeräten
Die Frage, ob Art. 401 i. V. m. Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL es gebieten, dass die Mehrwertsteuer und eine innerstaatliche Sonderabgabe (hier Spielbankabgabe) auf Glücksspiele nur alternativ und nicht kumulativ erhoben werden dürfen, hat der EuGH ganz klar mit Bezug auf frühere Rechtsprechung verneint.
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