Montag, 15. November 2010

EG-Wettbewerbsrecht versus staatliches Glücksspielmonopol

Zur Unvereinbarkeit des GlüStV-E mit dem EG-Vertrag wegen unverhältnismäßiger Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG)

Auszug aus dem Rechtsgutachten zum Entwurf vom 14. Dezember 2006 eines Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland

durch Rechtsanwälte
Prof. Dr. Rupert Scholz
Prof. Dr. Clemens Weidemann
www.gleisslutz.com
Berlin/Stuttgart, Februar 2007


An anderer Stelle (Scholz/Schlarmann/Weidemann/Soltész/Freytag, Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit des Entwurfs eines Staatsvertrages zum Glücksspiel in Deutschland vom 14. Dezember 2006 mit dem Europäischen Gemeinschaftsrecht vom 31. Januar 2007, erstattet im Auftrag der bwin Interactive Entertainment AG, Wien.) wurde nachgewiesen, dass der GlüStV-E mit den gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Grundfreiheiten gem. Art. 43, 49 EG unvereinbar ist. Wegen der Einzelheiten kann auf die Ausführungen in jenem Rechtsgutachten verwiesen werden.

Wir beschränken uns an dieser Stelle darauf, die wesentlichen Ergebnisse des Rechtsgutachtens zum Gemeinschaftsrecht wiederzugeben:

(1) Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt das Angebot von Sportwetten und anderen Glücksspielen in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit (Art. 43 EG). Das gilt insbesondere für das grenzüberschreitende Anbieten und Vermitteln von (Internet-) Wetten oder anderen Glücksspielen. Auch grenzüberschreitende Dienstleistungen (Werbemaßnahmen für Sportwetten z.B.) fallen in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit.

(2) Die Gründung von Zweigniederlassungen ausländischer Wettanbieter in Deutschland fällt in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG).

(3) Beschränkungen dieser Grundfreiheiten sind nach dem EG-Vertrag nur zulässig, wenn sie aus „zwingenden Gründen des Allgemeininteresses“ gerechtfertigt sind. (St. Rspr. seit EuGH, Rs. C-55/94, Urt. v. 20.11.1995, Slg. 1995, I-4165, Rn. 37 – Gebhard; EuGH, Rs. C-243/01, Urt. v. 06.11.2003, Slg. 2003, I-13076, Rn. 60 – Gambelli; vgl. auch EuGH, Rs. C-67/98, Urt. v. 21.10.1999, Slg. 1999, I-7289 – Zenatti; Rs. C-275/92, Urt. v. 24.03.1994 – Schindler, Slg. 1994, I-1039; Rs. C-124/97, Urt. v. 21.09.1999 – Läärä u.a., Slg. 1999, I-6067; Oppermann, Europarecht, 3. Auflage 2005, § 26 Rn. 15; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 43 EG Rn. 76.)

Außerdem muss die Maßnahme zur Verwirklichung des vom Mitgliedstaat in Anspruch genommenen Allgemeininteresses geeignet und erforderlich sein. Daraus ergeben sich kumulativ folgende Anforderungen an die gemeinschaftsrechtliche Rechtfertigung der Freiheitsbeschränkungen:

(a) Kohärente und systematische Beschränkung der Spieltätigkeit Mitgliedstaatliche
Beschränkungen müssen dem Ziel dienen, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern. Und sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung dieses Ziels dadurch zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Glücksspieltätigkeiten beitragen. Nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es auf die Kohärenz der mitgliedsstaatlichen Glücksspielpolitik insgesamt an, nicht nur auf die Politik im Bereich Sportwetten oder in anderen Einzelbereichen (EuGH, Rs. C-243/01, Urt. v. 06.11.2003, EuGHE 2003, I-13076, Rn. 69 – Gambelli). Dies ist auch Grundlage des Mahnschreibens der europäischen Kommission vom 04. April 2006.

(b) Nicht diskriminierender Charakter der Beschränkung
Die Beschränkung des Glücksspielangebotes darf nicht diskriminierend sein. Sie muss daher unabhängig davon gelten, in welchem Mitgliedstaat oder in welchen Mitgliedstaaten der Veranstalter oder seine Bevollmächtigten niedergelassen sind (EuGH, Rs. C-275/92, Urt. v. 24.03.1994, Slg. 1994, I-1039, Rn. 48 – Schindler; EuGH, Rs. C-243/01, Urt. v. 06.11.2003, Slg. 2003, I-13076, Rn. 65 – Gambelli)

(c) Mitgliedstaatliche Beweislast für die Rechtfertigung der Freiheitsbeschränkungen
Die Beweislast für Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Freiheitsbeschränkungen liegt beim Mitgliedstaat (EuGH, Rs. C-42/02, Urt. v. 12.11.2003, Slg. 2003, I-13519, Rn 25, 26 – Lindman)

(4) Diese EuGH-Anforderungen erfüllt der Vertragsentwurf nicht. In Deutschland kann von einer kohärenten und systematischen Politik zur Beschränkung von Glücksspielen keine Rede sein. Die Differenzierungen bei der Zulassung privater Anbieter in den wichtigen Bereichen der Pferderennwetten, Spielbanken und Glücksspielautomaten einerseits, sonstiger Sportwetten und Lotterien andererseits stehen im klaren Widerspruch zu dem Suchtgefährdungspotential dieser Glücksspiele, von dem auch die Glücksspielverwaltungen der Bundesländer ausgehen. Eine echte Kohärenz des Glücksspielrechts kann es schon deshalb nicht geben, weil der Bund bei den Glücksspielen, die bundesgesetzlich geregelt sind (Pferdewetten, Glücksspielautomaten), kein Verwaltungsmonopol erwägt, wie es mit dem Vertragsentwurf in allen anderen Glücksspielbereichen etabliert werden soll.

(5) Dass es in Deutschland schon aus kompetenzrechtlichen Gründen kein kohärentes Glücksspielrecht gibt, wissen auch die Ministerpräsidenten der Bundesländer. Denn auf ihrer Konferenz am 13. Dezember 2006 haben die Regierungschefs die Bundesregierung aufgefordert, die in der Gesetzgebungskompetenz des Bundes geregelten Bereiche des gewerblichen Automatenspiels und der Pferdewetten den Zielen und Maßstäben des geplanten Staatsvertrages anzupassen (Protokollnotiz, Ziff. 5.)

(6) Aber auch im Sportwettenbereich ist das von den Bundesländern geplante Verwaltungsmonopol zum Scheitern verurteilt, weil die DDR-Sportwettenerlaubnisse für die Unternehmen bwin, Interwetten, Sportwetten Gera und digibet weiterhin wirksam sind und in ihrer Wirksamkeit durch den Staatsvertrag nicht berührt werden. Nach nationalem Verfassungs- und Verwaltungsrecht können die Länder Berlin, Sachsen und Thüringen die in der Protokollnotiz zur Ministerpräsidentenkonferenz vom 13. Dezember 2006 vorgesehene Verpflichtung zur Aufhebung der alten Erlaubnisse nicht erfüllen, weil eine Aufhebung durch Verwaltungsakt an der bestehenden Gesetzeslage (Bestandskraftregeln gem. §§ 43ff. VwVfG) und eine Aufhebung durch (neues) Landesgesetz am Grundgesetz (keine Gesetzgebungskompetenz der Länder, Eigentumsgarantie des Art. 14 GG) scheitert.

(7) Ein Verwaltungsmonopol in ausgewählten Bereichen des Glücksspielmarktes ist nach den Maßstäben des Gemeinschaftsrechts (in der Auslegung durch den EuGH) auch nicht erforderlich. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, ist von den Bundesländern bisher auch nicht geltend gemacht worden, dass die vom Vertragsentwurf erfassten Glücksspielbereiche höhere Suchtpotentiale aufweisen als andere Glücksspielbereiche, in denen Privatanbieter weiterhin auf bundesgesetzlicher Grundlage zulässigerweise tätig sein dürfen.

(8) Gemeinschaftsrechtswidrig sind auch die durch den Vertragsentwurf entstehenden Beschränkungen der Zahlungsverkehrsfreiheit (Art. 56 Abs. 2 EG). Außerdem ist der Vertragsentwurf mit dem Wettbewerbsrecht des EG-Vertrages unvereinbar. ( Näher dazu in dem Rechtsgutachten (Fn. 448), S. 56ff.; vgl. auch König/Fechtner, EG-Wettbewerbsrecht versus staatliches Glücksspielmonopol, EWS 2006, 529ff.)