Freitag, 1. Januar 2016

Hoffnung für Gutachtergeschädigte?


Deutscher Bundestag
146. Sitzung, Donnerstag, 17.12.2015
Tagesordnungspunkt 20

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
Drucksache 18/6985
(TOP 20, Reden werden zu Protokoll gegeben)

Gesetzentwurf zur Qualität von Sachverständigen
Gegen das Ärgernis mangelhafter Gutachten in Gerichtsverfahren will die Bundesregierung mit einer Neuregelung des Sachverständigenrechts vorgehen.

Ihr Gesetzentwurf (BT-Drs. 18/6985 – PDF, 779 KB), den sie jetzt dem Bundestag zur weiteren Beratung zugeleitet hat, sieht hierzu Änderungen insbesondere in der Zivilprozessordnung sowie im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor.

Das Gesetz solle zum einen regeln, dass ein Gericht künftig den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit zur Stellungnahme geben muss, bevor es einen Sachverständigen benennt. Sie könnten dann von vorneherein Einwände gegen einen vom Gericht vorgesehenen Gutachter vorbringen. Damit solle auch vermieden werden, dass es im Nachhinein Streit über die Person des Gutachters und die Qualität seiner Arbeit gibt. Der Sachverständige selbst werde verpflichtet zu prüfen, ob Gründe vorliegen, die Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit rechtfertigen könnten. Die Bundesregierung schreibt in der Begründung: "Durch höhere Transparenz im gerichtlichen Auswahlverfahren sollen das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Neutralität der Sachverständigen erhöht und sichergestellt werden, dass die Gerichte qualifizierte und auch im Übrigen geeignete Sachverständige ernennen."

Um dem Missstand zu begegnen, dass durch das Warten auf Gutachten Verfahren oft beträchtlich verzögert werden, sollen Richter verpflichtet werden, eine Abgabefrist festzusetzen. Bei Missachtung dieser Frist soll gegen Gutachter ein Ordnungsgeld von bis zu 5.000 Euro festgesetzt werden können.

Um speziell in Kindschaftssachen die Qualität von Gutachten zu verbessern, sollen Qualifikationsanforderungen für Gutachter gesetzlich vorgegeben werden. Die Bundesregierung verweist in der Erläuterung des Gesetzentwurfs darauf, dass die Berufsverbände "parallel dazu und entsprechend der Koalitionsvereinbarung Mindestanforderungen an die Qualität von Gutachten im Kindschaftsrecht" entwickeln. Anstoß dazu ist laut Bundesregierung die "in Fachkreisen und in den Medien verstärkt geäußerte Kritik an mangelhaften Gutachten in familiengerichtlichen Verfahren". Schließlich sieht der Gesetzentwurf noch einige kleinere Änderungen im Bereich von Ehescheidungsverfahren und Familiensachen vor.
Quelle: hib - heute im bundestag

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

A. Problem und Ziel
In jüngerer Zeit wird von Bürgerinnen und Bürgern sowie der öffentlichen Berichterstattung zunehmend die Unabhängigkeit und Neutralität gerichtlich bestellter Sachverständiger in Einzelfällen in Frage gestellt. Zudem wird beanstandet, dass gerichtliche Gutachten teilweise nicht die erforderliche Qualität aufwiesen. Dies sei bisweilen – etwa bei medizinischen Gutachten – auch auf eine fehlerhafte Auswahl der Sachverständigen durch die Gerichte zurückzuführen.
Die Regierungskoalition hat sich deshalb im Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode die Gewährleistung der Neutralität gerichtlich beigezogener Sachverständiger sowie die Verbesserung der Qualität von Gutachten zum Ziel gesetzt. Durch größere Transparenz im gerichtlichen Auswahlverfahren sollen das Vertrauen in die Unabhängigkeit und Neutralität der Sachverständigen erhöht werden und sichergestellt werden, dass die Gerichte qualifizierte Sachverständige ernennen.
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update:
Expertenkritik an Sachverständigenreform
Recht und Verbraucherschutz/Anhörung - 17.03.2016


Berlin: (hib/PST) Im Ziel, aber nicht in der Ausführung haben bei einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses die geladenen Experten einem Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/6985) zugestimmt, mit dem das Sachverständigenrecht reformiert sowie einige Änderungen bei Familiengerichtsverfahren vorgenommen werden sollen. Im Sachverständigenrecht geht es darum, die oft kritisierte Qualität von Gutachten insbesondere für Familiengerichte zu verbessern, im Gerichtsverfahrensrecht vor allem darum, Prozesse zu beschleunigen.

Der Rechtswissenschaftler Hans-Peter Schwintowski von der Berliner Humboldt-Universität wiederum verwies auf eine empirische Studie, wonach in fast einem Viertel der Fälle der Richter dem von ihm bestellten Sachverständigen signalisiere, in welche Richtung sein Gutachten gehen solle.
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s.a.:
Heute im TV: In der Gutachterfalle
Mi, 9. Dez 2015 · 20:15-21:00 · SWR BW
betrifft: In der Gutachterfalle
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Wie Gerichtsgutachter Familien zerstören
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Kinder nach Falschgutachten von Eltern getrennt
Ein Rechtsstreit um die Trennung zweier Kleinkinder von ihren Eltern nach einem falschen Gutachten hat vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz eine neue Wende genommen. Die Berufung der Gutachterin hatte vor-läufig Erfolg.

Nach einem früheren Urteil des Landgerichts Mainz hatte die Gutachterin nur nach Aktenlage und ohne Unter-suchungen die erblich bedingten Wasserköpfe der zwei Jungen als Folge eines Schütteltraumas fehlinterpretiert. Das wäre Kindesmisshandlung.

Die Ärztin hatte laut ihrer Verteidigung keine Hinweise auf die erbliche Erkrankung, sprich den Wasserkopf des Kindes erhalten, bei dem sie ein Schütteltrauma feststellte. Dennhardt entgegnete, dass ihr Gutachten eindeutig formuliert sei und andere Möglichkeiten als Misshandlung ausschließe.
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Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Mietsache bereits am am 7. April 1997 - 1 BvR 587/95 - eine Verletzung von GG Art 2 Abs 1 iVm dem Rechtsstaatsprinzip durch die nicht vollständige Offenlegung der Befundtatsachen eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens in einem Mietrechtsstreit festgestellt und vorgegeben:
“das Gericht muß immerhin versuchen, sich Gewißheit zu verschaffen, in welcher Weise der Sachverständige seine Daten erhoben hat”  s.u.
Fehlerhaftes Gutachten kann zu einer „Verletzung von Menschenrechten“ führen.
EuGH: Stigmatisierung der Betroffenen gibt Rechtsschutzinteresse
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg stellte jetzt die Verletzung von Menschenrechten in den Urteilsgründen eines Strafurteils des Landgerichts Münster fest.

Auf Grundlage eines – wie sich später herausstellte – fehlerhaften Glaubwürdigkeitsgutachten erhob die Staatsanwaltschaft in Münster Anklage gegen den Mann. Die für das Gutachten verantwortliche Sachverständige wurde in einem späteren, ebenfalls durch Röttgering geführten Verfahren zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an den Mann verurteilt.

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (Grundsatz des fairen Verfahrens) fest und urteilte, dass im Falle eines Freispruchs in den Urteilsgründen Ausführungen dahingehend, dass das Gericht aber gleichwohl der Auffassung sei, an den Vorwürfen „sei etwas dran“, menschenrechtsverletzend seien. Diese Ausführungen stellten einen Verstoß gegen den international geltenden Zweifelssatz – im Zweifel für den Angeklagten – dar. Folglich wurde die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung eines Schmerzensgeldes und zum Ersatz sonstigen Schadens verurteilt.

Der Gerichtshof hat nach Auffassung Röttgrings erfreulicherweise klargestellt, dass auch in strafgerichtlichen Entscheidungen die Grenze zulässiger Äußerungen überschritten ist, wenn diese Ausführungen den Charakter einer Schuldfeststellung erreichen, welche die Öffentlichkeit ermuntert, an die Schuld des Betroffenen zu glauben nach dem Motto: „Irgendwas wird schon drangewesen sein“.

Freispruch ist Freispruch, so Rechtsanwalt Röttgering, einen solchen erster oder zweiter Klasse gebe es nicht. Das sei jetzt einmal mehr festgeschrieben.
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Deutsche Richterbund:

Nr. 15/15
August 2015

Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
A. Tenor der Stellungnahme

Der Deutsche Richterbund fordert seit langem, die Qualität von Sachverständigengutachten zu verbessern und begrüßt den vorliegenden Gesetzentwurf.

Besonders unterstützt der Deutsche Richterbund die Festschreibung der beruflichen Qualifikation der Gutachter im Familienrecht. Die Praktiker sehen einen dringenden Handlungsbedarf des Gesetzgebers gerade deshalb,
weil nach der gegenwärtigen Rechtslage keinerlei berufliche Qualifikation erforderlich ist, um ein familienpsychologisches Gutachten zu erstellen. Bedenken bestehen jedoch bei der vorgesehenen Berufsqualifikation in Bezug auf die Pädagogen. Es sollte überdacht werden, ob eine pädagogische Ausbildung allein zur Erstellung eines familienpsychologischen Gutachtens qualifiziert.
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Fall Kampusch: Falschgutachten über den Tod des Entführers Priklopil ?     
Der Gerichtsmediziner im Fall Priklopil sei nicht nach den "üblichen rechtsmedizinischen Standards und üblichen Vorgangsweisen, nicht einmal (nach) denen eines durchschnittlich sorgfältigen Facharztes der Rechtsmedizin" vorgegangen, wichtige Untersuchungen seien unterblieben. "Das Gutachten enthält einen Zirkelschluss, nämlich dass 'unter Bedachtnahme auf die aktenkundige Vorgeschichte' ein Suizid vorgelegen haben soll", urteilen die österreichischen Rechtsmediziner Johann Missliwetz und Martin Grassberger. Das rechtsmedizinische Gutachten zum Tod von Wolfgang Priklopil aus dem Jahr 2006 sei "somit wertlos".

Das Fazit: Die "mangelhafte Fallbearbeitung" zum Tod des Entführers könne als "gerichtsmedizinischer Kunstfehler" bezeichnet werden. Es bestehe die "nicht unerhebliche Gefahr", dass wesentliche Befunde vernichtet worden seien und damit "die Aufklärung in Richtung Verbrechen konkret für immer vereitelt wurde".
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Bundesverfassungsgericht

- 1 BvR 587/95 -


Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

des Herrn S...

-

gegen a)     den Beschluß des Bundesgerichtshofs
vom 8. Februar 1995 - XII ZR 201/93 -,
b)     das Urteil des Oberlandesgerichts München
vom 2. Juli 1993 - 21 U 6514/90 -,
c)     das Urteil des Landgerichts München I
vom 18. Oktober 1990 - 2 O 18060/89 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den

Vizepräsidenten Seidl,
den Richter Grimm
und die Richterin Haas

am 7. April 1997 einstimmig beschlossen:

Das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 2. Juli 1993 - 21 U 6514/90 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Es wird aufgehoben. Damit wird der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 1995 - XII ZR 201/93 - gegenstandslos. Die Sache wird an das Oberlandesgericht München zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe:
I.

2

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, inwieweit die Befundtatsachen eines Mietwertgutachtens offengelegt werden müssen.

3

1. Der Beschwerdeführer und der Erstbeklagte des Ausgangsverfahrens mieteten von dem Kläger jenes Verfahrens ein Ladenlokal und eine Wohnung in dem Bauobjekt "Die Platzlgassen" in der Münchener Innenstadt. Der monatliche Mietzins für das auf die Dauer von zehn Jahren geschlossene Mietverhältnis beträgt 13.000 DM. Der Erstbeklagte betrieb in dem Ladenlokal eine Modeboutique, stellte den Geschäftsbetrieb jedoch schon bald wegen Vermögensverfalls ein. Anschließend teilten beide Mieter dem Kläger mit, daß sie den Mietvertrag wegen überzogen hohen Mietzinses für nichtig hielten.

4

Das Landgericht gab der auf Feststellung der Wirksamkeit des Vertrages gerichteten Klage statt.

5

Im Berufungsverfahren holte das Oberlandesgericht ein Sachverständigengutachten über den Mietwert des Ladens und der Wohnung ein. Der Sachverständige bewertete die Geschäftslage mit einem "Mittelwert zwischen der 1a-Lage und 1b-Lage im Stadtkern", die Wohnlage als "gut bis sehr gut". Den Mietwert ermittelte er für den Laden aufgrund von Vergleichsmieten seiner eigenen Mietkartei und Feststellungen in der Umgebung des Objekts, für die Wohnung aufgrund von Vergleichsmieten seiner eigenen Mietkartei. Zur Festigung der Vergleichsmietermittlung für das Ladenlokal nahm er zusätzlich eine Bewertung nach dem Preisspiegel des Rings Deutscher Makler vor. Bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Gericht erläuterte er, daß er als Grundlage für die Bewertung der Geschäftslage Auskünfte von Geschäftsinhabern in der Umgebung der Mietsache eingeholt habe. Er wies darauf hin, daß er hinsichtlich der bei seiner beruflichen Tätigkeit erlangten Kenntnisse einer Schweigepflicht unterliege und deshalb keine näheren Angaben zu den Vergleichsobjekten machen könne, auf die er zur Beurteilung des Laufkundenanteils und der Miete vergleichbarer Objekte zurückgegriffen habe. Der Beschwerdeführer und der Erstbeklagte legten im Berufungsverfahren ein Gegengutachten vor, das einen um mehr als die Hälfte geringeren Mietwert ermittelte.

6

Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Auf der Grundlage des von dem gerichtlichen Sachverständigen ermittelten Mietwerts verneinte es einen Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB. Die vom Beschwerdeführer gegen das Gutachten geäußerten Bedenken griffen nicht durch. Für die vom Beschwerdeführer beantragte Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zur Frage des angemessenen Mietzinses bestehe kein Anlaß, weil die Voraussetzungen des § 412 ZPO nicht vorlägen.

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Die Revision des Beschwerdeführers nahm der Bundesgerichtshof nicht an, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung und im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg habe.

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2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip, Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung macht er im wesentlichen geltend: Das Berufungsgericht habe das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen verwertet, obwohl er nicht bereit gewesen sei, die Vergleichswohnungen und Vergleichsläden in nachprüfbarer Weise bekanntzugeben und die Geschäfte zu bezeichnen, bei denen er Nachfragen angestellt habe. Das widerspreche rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen und dem Recht auf Gehör. Angesichts der Mängel und Widersprüche des Sachverständigengutachtens hätte das Gericht ein weiteres Gutachten einholen müssen.

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3. Zu der Verfassungsbeschwerde hat sich das Bayerische Staatsministerium der Justiz geäußert. Es vertritt die Auffassung, das Berufungsgericht hätte seine Entscheidung nicht auf das gerichtliche Gutachten stützen dürfen, da die Befundtatsachen nicht im erforderlichen Umfang offengelegt seien. Trotzdem sei das Urteil im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das Risiko, daß sich die Einschätzung beider Vertragspartner bei Vertragsschluß, das Objekt sei durch eine sehr gute Geschäftslage gekennzeichnet, als falsch erweise, trage nach der Rechtsprechung jede Partei selbst.
II.

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1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichts ist zur Durchsetzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Berufungsurteil verletzt den Beschwerdeführer in dem genannten Grundrecht. Die für diese Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.

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a) Maßstab für die Überprüfung der Entscheidung ist in erster Linie der aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgende Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Zu den für einen fairen Prozeß unerläßlichen Verfahrensregeln gehört, daß das Gericht die Aussagen eines Gutachtens nicht ungeprüft übernimmt. Zur Nachprüfung kann die Kenntnis der einzelnen tatsächlichen Umstände, die der Sachverständige selbst erhoben und seinem Gutachten zugrunde gelegt hat, unentbehrlich sein. In einem solchen Fall ist die Offenlegung dieser Tatsachen aus rechtsstaatlichen Gründen regelmäßig geboten. Die Forderung nach einer eigenen Überprüfung durch die Beteiligten ist um so berechtigter, je weniger das Gutachten auf dem Erfahrungswissen des Sachverständigen und je mehr es auf einzelnen konkreten Befundtatsachen aufbaut ( BVerfGE 91, 176 <181 f.="">).

12

Unter bestimmten Voraussetzungen können allerdings Abstriche an dem Offenlegungsanspruch der Parteien gerechtfertigt sein. Dies kann etwa zutreffen, wenn ein Beteiligter seine Zweifel nicht hinreichend substantiiert oder wenn das Schweigen des Sachverständigen auf anerkennenswerten Gründen beruht und die Nichtverwertung des Gutachtens zum materiellen Rechtsverlust eines Beteiligten führen würde ( BVerfG, a.a.O., S. 183). Unterbleibt eine vollständige Offenlegung aus anerkennenswerten Gründen und kann auf eine Verwertung des Gutachtens aus überwiegendem Interese der beweispflichtigen Partei dennoch nicht verzichtet werden, so muß das Gericht immerhin versuchen, sich Gewißheit zu verschaffen, in welcher Weise der Sachverständige seine Daten erhoben hat ( BVerfG, a.a.O., S. 184).

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b) Diesen Grundsätzen wird das - schon vor der zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergangene - Berufungsurteil nicht gerecht.

14

Das Oberlandesgericht hat das eingeholte Gutachten verwertet, ohne sich mit der Weigerung des Sachverständigen, die Befundtatsachen offenzulegen, überhaupt auseinanderzusetzen. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten und den ergänzenden mündlichen Erläuterungen nicht bloß die Namen der Mieter und die Adressen der zur Beurteilung herangezogenen Geschäftslokale und Wohnungen geheimgehalten, sondern zur Lage überhaupt nur sehr vage Angaben gemacht. Das gilt sowohl für die Objekte, auf die sich seine Feststellungen zum Anteil der Laufkundschaft beziehen, als auch für die zur Ermittlung des ortsüblichen Mietpreises herangezogenen Vergleichsobjekte. Ohne genauere Angaben ist weder die Lagebeurteilung noch die anschließende Preisbeurteilung überprüfbar. Für die Lagebeurteilung folgt dies daraus, daß nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beschwerdeführers in der Umgebung des streitigen Ladenlokals unterschiedlich starke Passantenströme feststellbar sind; die Aussagekraft der gutachterlichen Feststellungen hängt deshalb entscheidend davon ab, in welchen Teilbereichen Befragungen durchgeführt wurden. Noch vager sind die Angaben zur Lage der für den Preisvergleich herangezogenen Objekte. Dies trifft auch für die zum Vergleich herangezogenen Ladenlokale zu. Der Sachverständige räumt ein, daß diese acht Vergleichsobjekte in ihrer Lage dem streitbefangenen Objekt teilweise nicht entsprechen und deshalb "durch Zu- und Abschläge an die Lageüblichkeit herangeführt werden" mußten. Daß das Gutachten insoweit nicht nur auf konkreten Befundtatsachen, sondern auch auf dem Erfahrungswissen des Sachverständigen aufbaut, mag Abstriche am Maß der offenzulegenden Tatsachen rechtfertigen. Der bloße Hinweis, es handele sich um Objekte "aus umliegenden Lagen und anderen Innenstadtlagen", schließt angesichts der Größe der Münchener Innenstadt und des unterschiedlichen Zuschnitts einzelner Innenstadtlagen sowie fehlender Angaben zu den Kriterien, nach denen die jeweiligen Mieten "an die Lageüblichkeit herangeführt" wurden, jedoch selbst eine grobe Nachprüfung des vorgenommenen Vergleichs aus.

15

Dies ist nicht deshalb unbeachtlich, weil der Sachverständige sich bei seiner Preisbeurteilung auch auf den Preisspiegel des Rings Deutscher Makler, also auf statistisch erfaßtes Material, gestützt hat. Der Sachverständige hat den Preisspiegel nach den Angaben im Gutachten lediglich "zur Festigung der Vergleichsmietermittlung" herangezogen. Primär stützt er das Ergebnis seines Gutachtens also auf die von ihm selbst ermittelten Befundtatsachen und zieht den Preisspiegel nur ergänzend heran. Dann aber muß auch die auf der Grundlage der selbst ermittelten Befundtatsachen vorgenommene Vergleichsmietermittlung nachprüfbar sein.

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Anerkennenswerte Gründe, die den Verzicht auf eine weitergehende Offenlegung rechtfertigen würden, bestehen nicht. Angaben über Mietobjekte zählen nicht zu den Daten aus der engsten Privatsphäre, deren Preisgabe niemandem zumutbar ist. Durch den allgemeinen Hinweis des Sachverständigen auf seine berufliche Schweigepflicht ist nicht einmal dargetan, geschweige denn belegt, daß die Mieter bzw. Vermieter der von ihm zur Beurteilung herangezogenen Objekte sich auf Nachfrage gegen eine Preisgabe konkretisierender Angaben - gegebenenfalls beschränkt auf Lagebezeichnungen ohne Adressenangabe - gesperrt hätten. Im übrigen bildet allein der Umstand, daß Dritte der Bekanntgabe von Tatsachen aus ihrer Sphäre widersprochen haben und der Sachverständige sich daran gebunden fühlt, keinen ausreichenden Grund dafür, das Urteil auf ein solches Gutachten zu stützen ( BVerfGE 91, 176 <184>).

17

c) Das Berufungsurteil beruht auch auf diesem Verstoß. Es ist nicht auszuschließen, daß durch die Offenlegung der Befundtatsachen im notwendigen Umfang Fehler des Gutachtens aufgedeckt worden wären, die eine so deutliche Korrektur des ortsüblichen Mietpreises nach unten erforderlich gemacht hätten, daß der vereinbarte Mietpreis nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts als sittenwidrig erschiene. Diese Möglichkeit kann um so weniger ausgeschlossen werden, als der vom Beschwerdeführer beauftragte Sachverständige E. in seiner gutachtlichen Stellungnahme zu eben diesem Ergebnis gekommen ist.

18

Die vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz angeführte Rechtsprechung zu der Frage, welche Mietvertragspartei das Risiko nicht erfüllter Ertragserwartungen zu tragen hat (vgl. BGH, NJW 1970, S. 1313 f.; NJW 1978, S. 2390 ff.; NJW 1981, S. 2405 f.), stellt diese Beurteilung nicht in Frage. Die einschlägigen Entscheidungen befassen sich allein mit dem Vorliegen eines Fehlers bzw. dem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Daß aus dieser Rechtsprechung zwingende Schlüsse für die Prüfung am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB gezogen werden müßten, läßt sich nicht mit Gewißheit feststellen; das Oberlandesgericht hat dies nicht einmal in Betracht gezogen.

19

2. Mit der Aufhebung des Berufungsurteils wird der ebenfalls angegriffene Beschluß des Bundesgerichtshofs gegenstandslos.

20

3. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde auch gegen das Urteil des Landgerichts richtet, ist sie unzulässig und deshalb nicht zur Entscheidung anzunehmen. Der Beschwerdeführer hat eine Verletzung seiner Grundrechte durch dieses Urteil nicht nachvollziehbar dargetan.

21

4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 2 und 3 BVerfGG.

22

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Grimm     Haas     Seidl

Quelle