Dienstag, 16. Oktober 2012

Neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Glücksspielstaatsvertrag wohl unvermeidlich


Internationale Anerkennung für Kieler Modell
Von Andreas Schultheis
Brüssel/London/München, Oktober 2012 – Der europäische Glücksspielmarkt bleibt eine Regulierungsbaustelle. Und daran ist Deutschland alles andere als unschuldig. Während sich nämlich weite Teile Europas mittlerweile moderne, auf Wettbewerbsfähigkeit und Spielerschutz zielende Glücksspielgesetze gegeben haben, haben die deutschen Bundesländer mit dem Glücksspieländerungsstaatsvertrag (1. GlüÄndStV oder auch E 15-Modell) den Rückwärtsgang eingelegt – zumindest 15 von 16 Bundesländern, denn noch gilt in Schleswig-Holstein das von CDU und FDP auf den Weg gebrachte Landesglücksspielgesetz, das von Branchenkennern als Meilenstein gewertet wird, weil es unter anderem auch den Online-Poker- und Online-Casino-Markt reguliert. Gleichwohl schickt sich die in Kiel regierende Dänenampel aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband SSW an, das geltende Gesetz aufzuheben und dem Glücksspielstaatsvertrag beizutreten, gegen den bis dato – anders als gegen das noch geltende Landesgesetz – nach wie vor Bedenken bei der Europäischen Kommission bestehen. Auch die unabhängige Monopolkommission, die die Bundesregierung berät, hatte im Sommer die Regelungen des Vertrages kritisiert und das Kieler Gesetz gelobt.
Wettanbieter stellen Ausschreibung in Frage
Unterdessen wächst die Front gegen E-15: So hat die European Gaming and Betting Association (EGBA) Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt und fordert diese auf, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik einzuleiten (vgl. http://www.egba.eu/de/press/614). Die EGBA ist die Vereinigung der in der Europäischen Union angesiedelten, lizenzierten und regulierten Online-Glücksspiel- und Wettanbieter. Deutschland sei derzeit dabei, Lizenzen auf der Grundlage einer höchst umstrittenen Ausschreibung zu erteilen, so Generalsekretärin Sigrid Ligné. Laut EGBA mehren sich demnach die Hinweise, „dass dieses Verfahren nicht den eigentlichen Zweck einer offenen, fairen und transparenten europaweiten Ausschreibung erfüllen soll.” Unter anderem wurde zuletzt immer wieder die Neutralität einer Kölner Anwaltskanzlei in Frage gestellt, die die Gesellschaften des deutschen Lottoblocks berät und gleichzeitig die Lizenzvergabe nach dem neuen Glücksspielstaatsvertrag organisiert.
Im Zuge des Notifizierungsverfahrens durch die Europäische Kommission hatte diese bereits im Frühjahr mit Blick auf E-15 zum wiederholten Mal die Ungleichbehandlung von Sportwettenanbietern einerseits und Online-Poker- und Casino-Spielen andererseits sowie die willkürliche Festlegung auf bundesweit 20 zu vergebende Lizenzen kritisiert. Die Möglichkeit eines Vertragsverletzungsverfahrens hatte sich die Kommission ausdrücklich offen gehalten. Die Bundesländer hätten es demnach versäumt, darzulegen, warum Online-Poker und Casino-Spiele besonders süchtig machten und der Geldwäsche dienen könnten. Nun wird bald die Antwort aus Brüssel zu dem Aufhebungsgesetz erwartet. Da keine europarechtlich haltbare Rechtfertigung für den Rückwärtsgang und insbesondere für die Ungleichbehandlung von Online-Poker gegenüber der Online-Sportwette ersichtlich ist, ist wohl ein Nein aus Brüssel genauso wenig vermeidbar wie die Aufnahme eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen das E-15-Ungetüm.
Auszeichnung für Kieler Glücksspielaufsicht
Demgegenüber haben die Macher des schleswig-holsteinischen Gesetzes, das sich am erfolgreichen Modell Dänemarks orientiert und auch den Poker- und Casino-Sektor reguliert, dokumentiert, wie Spielerschutz und Missbrauchsprävention mit attraktiven Spielmöglichkeiten in Einklang gebracht werden können. Ein Blick nach London mag als Beleg für die internationale Bedeutung dieser Gesetzgebung dienen, wo Guido Schlütz, Leiter der Glücksspielaufsicht im Kieler Innenministerium, auf der Herbsttagung der International Masters of Gaming Law (IMGL) (vgl. http://www.gaminglaw.eu/wp-content/uploads/2012/10/Artikel-Schlütz.pdf) in der letzten Woche als „Gaming Regulator of the Year“ in Europa ausgezeichnet wurde. Die IMGL ist eine weltweit in 38 Ländern sowie 32 Staaten der USA vertretene Vereinigung von über 300 erfahrenen Glücksspielrechtsexperten aus dem Bereich der staatlichen Aufsichts- und Regulierungsbehörden, Universitätsprofessoren und Rechtsanwälte. Einer der vorherigen IMGL Award Gewinner ist Morten Ronde, der als ehemaliger Leiter der Rechtsabteilung der dänischen Glücksspielaufsichtsbehörde als Vater des dänischen Regulierungsmodells gilt. In seiner Laudatio verglich Ronde den Schleswig-Holsteiner Schlütz mit einem erfolgreichen Bienenzüchter, der während seiner Arbeit stets aufmerksam alle Beteiligten im Auge gehabt hat, um nicht gestochen zu werden. Das schleswig-holsteinische Gesetz nannte er eine positive Fortentwicklung des dänischen Modells.

Das erste deutsche IMGL-Mitglied ist der internationalen Vereinigung bereits 2005 beigetreten und war bei der Preis-Verleihung in London zugegen: Es ist der renommierte Glücksspielexperte Dr. Wulf Hambach (http://www.timelaw.de), der 2010 den bekannten Carmen Media Fall vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gewonnen hat. Zum Award-Gewinner sagte der Wahl-Münchner: „Als gebürtiger Flensburger freut es mich besonders, dass dieser angesehene Preis nach Spanien und Dänemark nun in meine alte Heimat Schleswig-Holstein und nicht zum Favoriten nach Frankreich geht. Mein Tipp für das nächste Jahr ist Holland, da sich auch die dortige Jurisdiktion auf das erfolgreiche Dänische Modell zu berufen scheint. Der Erfolg lässt sich leicht erklären: Das Modell, das Guido Schlütz nun geschickt fortentwickelt hat, setzt auf die wirkungsvolle Zusammenarbeit aller Online-Glücksspielaufsichtsbehörden, um so einen hohen Grad an Spielerschutz insbesondere bei internationalen Spielformen wie bei Online-Pokertunieren zu erzielen.“

Während sich also die Zeichen mehren, dass auch der Rest Europas modernen und nunmehr erneut ausgezeichneten Regulierungsmodellen wie dem Dänemarks und Schleswig-Holsteins folgt, herrscht in der deutschen Gesetzgebung weiterhin eine strikte Verweigerungshaltung, die geradewegs in ein neues Vertragsverletzungsverfahren münden dürfte.