Donnerstag, 11. August 2016

OLG München: Zur Beleidigung wegen schriftsätzlicher Äußerungen gegenüber einem Richter


OLG München, Beschluss v. 11.07.2016 – 5 OLG 13 Ss 244/16

Titel:  Zur Beleidigung wegen schriftsätzlicher Äußerungen gegenüber einem Richter im Rahmen einer Anhörungsrüge

Normenketten:
StGB § 185, § 193
StPO § 349 Abs. 4
GG Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
§ 193 StGB
§ 185 StGB
StGB § 185
StPO § 349 Abs. 4
Leitsätze:
Der Begriff der Schmähkritik ist im Rahmen von § 185 StGB eng auszulegen. (redaktioneller Leitsatz)
Die Grenze zur Schmähkritik ist nicht überschritten, wenn aus der Äußerung nicht erkennbar ist, dass die Kritik an der Person das sachliche Anliegen vollständig in den Hintergrund treten lässt. (redaktioneller Leitsatz)
Bei der Bestimmung der Grenze zur Schmähkritik ist die Sach- und Verfahrensbezogenheit der Äußerung zu berücksichtigen. Dies gilt auch für die bei der Prüfung von § 193 StGB erforderlichen Güter- und Pflichtenabwägung im engeren Sinne. (redaktioneller Leitsatz)
Vorinstanz:
LG München I Beschluss vom 16.02.201622b Ns 235 Js 132863/15

Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 16. Februar 2016 mitsamt den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückverwiesen.
Gründe
Gründe:
1
Die zulässige Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO), weil die Verurteilung des Angeklagten wegen Beleidigung auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht rechtsfehlerfrei erfolgt ist.
2
I. Das Amtsgericht München hat den Angeklagten nach einem vorangegangenen Strafbefehlsverfahren am 2. Oktober 2015 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100 € verurteilt. Die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht München I am 16. Februar 2016 verworfen.
3
Den Verurteilungen lag zugrunde, dass der Angeklagte in einer in einem Beschwerdeverfahren beim Oberlandesgericht München erhobenen Anhörungsrüge vom 16. Februar 2015, in der er sich mit der Nichteinleitung eines Ermittlungsverfahrens hinsichtlich einer von ihm erhobenen Strafanzeige und der Verwerfung seines diesbezüglichen Klageerzwingungsantrages durch das Oberlandesgericht beschäftigt, u. a. ausführte:
„Ihr Gefühl von Machtvollkommenheit kennt offenbar keine Grenzen, keine Scham. Anders ist es nicht zu erklären, dass Sie ... den reinen Unsinn fabrizieren. (...) Der Unterschied zwischen Ihnen und R1. F. liegt in Folgendem: Während R1. F. im Gerichtssaal schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf dem die Worte „Rechtsstaat“ und „Legitimität“ aufgenäht sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von Pseudolegitimität, die sie aber in Wahrheit in keiner Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit begehen Sie - zumindest in diesem vorliegenden Justizskandal - genauso schlicht Unrecht, wie es auch R1. F. getan hat. So betrachtet ist das Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das Unrecht, das ein R1. F. begangen hat: Bei R1. F. kommt das Unrecht sehr offen, sehr direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie daher: Sie berufen sich auf die Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem aber - zumindest in dem vorliegenden Justizskandal - zuwider.“.
4
Das Landgericht hat ausgeführt, dass durch die Äußerung des Angeklagten der Tatbestand des § 185 StGB erfüllt sei. Es lägen objektiv beleidigende Äußerungen vor, die nicht nach § 193 StGB gerechtfertigt seien. Zwar handele es sich nicht um reine Schmähkritik, die gebotene Abwägung ergebe aber, dass hier die persönliche Ehre der Betroffenen die Meinungsfreiheit des Angeklagten überwiege. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass das Schreiben keine verfahrensrechtliche Relevanz mehr gehabt habe, weil eine anders geartete Entscheidung in der Sache nicht mehr möglich gewesen sei.
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Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung materiellen Rechts rügt und in diesem Rahmen insbesondere beanstandet, dass der Angeklagte mit seiner Anhörungsrüge sehr wohl noch eine Änderung der Sachentscheidung bezwecken wollte und dass das Landgericht die Reichweite der Meinungsfreiheit von Rechtsanwälten im Lichte der Rechtsprechung des EGMR verkannt habe.
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Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Revision für offensichtlich unbegründet. Sie meint, es handele sich bereits um Schmähkritik.
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II.Die erhobene Sachrüge ist begründet. Die Revision rügt im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht die Abwägung im Rahmen des § 193 StGB rechtsfehlerhaft vorgenommen hat.
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1. § 193 StGB ist eine Ausprägung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Allerdings gewährleistet Art. 5 Abs. 2 GG das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nur in den Schranken der allgemeinen Gesetze, zu denen auch die Strafgesetze gehören. Hierin liegt jedoch keine einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts. Vielmehr müssen auch die allgemeinen Gesetze im Licht der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichdemokratischen Rechtsstaat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden (BayObLGSt 1994, 121,123; BayObLGSt 2004, 133, 137f.).
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Eine ehrverletzende Äußerung ist allerdings dann nicht mehr hinzunehmen, wenn mit ihr die Grenze zur Schmähkritik überschritten wird. Selbst eine überzogene und ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähkritik. Eine herabsetzende Äußerung nimmt erst dann den Charakter einer Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. im Einzelnen BayObLGSt 2001, 92ff.). Der Begriff ist eng auszulegen (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 193 Rdn. 18).
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2. Der Angeklagte hat sich hier im Zusammenhang mit einem konkreten, noch anhängigen Gerichtsverfahren im Rahmen eines Rechtsbehelfs nach § 33a StPO geäußert. Er hat unter Bezugnahme auf vorherige Schreiben umfassend ausgeführt, dass er das Vorgehen des Landgerichtes im Zivilverfahren und der Staatsanwaltschaft für rechtswidrig hält und sein Unverständnis über die Entscheidung des Senats, der in keine Sachprüfung eingetreten ist, geäußert. Wegen dieser Anlassbezogenheit der Äußerungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Diffamierung der einzelnen Mitglieder des Strafsenates im Vordergrund stand. Zwar hat der Angeklagte im Rahmen seiner Kritik harsche Worte gebraucht. Die Grenze zur Schmähkritik ist jedoch entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft nicht überschritten, weil nicht erkennbar ist, dass die mittelbar durch die Kritik an der Vorgehensweise des Senates bewirkte Kritik an der Person das sachliche Anliegen vollständig in den Hintergrund treten ließe. Um Formalbeleidigungen handelt es sich bei den hier streitgegenständlichen Äußerungen nicht.
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3. Wie auch das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zunächst zutreffend ausführt, steht im Rahmen der dann bei der Prüfung von § 193 StGB erforderlichen Güter- und Pflichtenabwägung (vgl. Fischer a. a. O. § 193 Rdn. 9 m. w. N.) dem vom Bundesverfassungsgericht (vgl. BayObLGSt 2004, 133, 138) betonten Recht des Bürgers, Maßnahmen der öffentlichen Gewalt auch mit drastischen Worten zu kritisieren, die Ehrverletzung der Mitglieder des Strafsenates gegenüber. Der Abwägungsvorgang des Landgerichtes ist allerdings schon deshalb zu beanstanden, weil es davon ausgeht, dass das Schreiben des Angeklagten keine verfahrensrechtliche Relevanz mehr hatte und die Ausführungen in der Sache selbst nicht mehr dienlich war (UA S. 11). Damit wird das Wesen der Anhörungsrüge verkannt, die bei Vorliegen einer hier behaupteten Verletzung des rechtlichen Gehörs auch zur Nachprüfung der bereits getroffenen Sachentscheidung zwingt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 33a Rdn. 9). Wie jedoch bereits ausgeführt, ist der Umfang der Sach- und Verfahrensbezogenheit der Äußerung bereits bei der Bestimmung der Grenze zur Schmähkritik, aber auch bei der Abwägung im engeren Sinne von entscheidender Bedeutung, so dass hierin ein erheblicher Rechtsfehler der Kammer zu sehen ist.
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Zwar ist die Abwägung grundsätzlich eine reine Rechtsfrage, so dass sie auch der Senat vornehmen könnte (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 07.02.2014, 1 Ss 599/13, zitiert nach juris, Rdn. 21). Hierfür fehlt allerdings vorliegend die Tatsachengrundlage, weil in der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts weder das vollständige Rügeschreiben des Angeklagten noch der vorangegangene und der über die Anhörungsrüge entscheidende Beschluss des Oberlandesgerichts wiedergegeben sind.
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lII. Da somit eine eigene Sachentscheidung des Senates ausscheidet, ist das angefochtene Urteil wegen der aufgezeigten Mängel aufzuheben (§ 353 StPO) und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts München I zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
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Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass unter Berücksichtigung der festzustellenden genauen „Vorgeschichte“ der Äußerung und ihres Kontextes zunächst genauer festzulegen sein wird, wie diese zu deuten ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 16.10.1998, 1 BvR 590/96 (dort Rdn. 17ff.), und vom 10.03.2009, 1 BvR 2650/05 (dort Rdn. 27ff.), jeweils zitiert nach juris). Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird vor dem Hintergrund der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung außerdem zu beachten haben, dass Ehrbeeinträchtigungen gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit in der Regel dann zurücktreten müssen, wenn der Vorwurf Teil einer umfassenderen Meinungsäußerung ist, die der Durchsetzung legitimer eigener Rechte im gerichtlichen Verfahren dient und jedenfalls aus Sicht des Äußernden nicht völlig aus der Luft gegriffen ist (vgl. BayObLGSt 2001, 92, 100). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Richter schon von Berufs wegen in der Lage und auch gehalten ist, überpointierte Kritik an seiner Arbeit beim „Kampf um das Recht“ auszuhalten (BayObLGSt 2001, 92, 100; OLG Naumburg, StraFo 2012, 283f.; vgl. auch OLG München (4. Strafsenat) vom 30.07.2013, 4 StRR 148/13).

Quelle