Pressemitteilung Nr. 48/2016 vom 2. August 2016
Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähkritik ist ein Sonderfall der Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben ist. Die Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet. Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf. Dies hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss entschieden und damit einer Verfassungsbeschwerde gegen die strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Beleidigung stattgegeben.
Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und vertrat
als Strafverteidiger den Beschuldigten in einem Ermittlungsverfahren
wegen Veruntreuung von Spendengeldern. Nachdem gegen den Beschuldigten
auf Antrag der Staatsanwaltschaft Haftbefehl erlassen worden war, kam es
bei der Haftbefehlsverkündung zu einer heftigen Auseinandersetzung
zwischen der mit dem Verfahren betrauten Staatsanwältin und dem
Beschwerdeführer, der der Ansicht war, dass sein Mandant zu Unrecht
verfolgt wurde. Am Abend desselben Tages meldete sich ein Journalist,
der eine Reportage über den Beschuldigten plante, telefonisch beim
Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer wollte mit dem ihm unbekannten
Journalisten nicht sprechen. Auf dessen hartnäckiges Nachfragen und weil
er immer noch verärgert über den Verlauf der Ermittlungen war, äußerte
er sich dann doch über das Verfahren und bezeichnete im Laufe des
Telefonats die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin unter anderem
als „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte Staatsanwältin“.
Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer
wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120 €.
Die Revision des Beschwerdeführers war erfolglos. Mit seiner
Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer vornehmlich die
Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG).
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die angegriffenen Entscheidungen verletzten den
Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5
Abs. 1 Satz 1 GG.
1. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt
nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr darf Kritik auch
pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Einen Sonderfall bilden
herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung
darstellen. In diesen Fällen ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen
der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die
Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Diese
für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber,
hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik
strenge Maßstäbe anzuwenden. Bedeutung und Tragweite der
Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung
unzutreffend als Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie
dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie
Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden
Charakter anzusehen sind.
2. Das Landgericht geht bei seiner Verurteilung
ohne hinreichende Begründung vom Vorliegen einer Schmähkritik aus. Zwar
sind die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf und
beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen. Die angegriffenen
Entscheidungen legen aber nicht in einer den besonderen Anforderungen
für die Annahme einer Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr
ehrbeeinträchtigender Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer
Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand. Es hätte
insoweit näherer Darlegungen bedurft, dass sich die Äußerungen von dem
Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur
als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die
Staatsanwältin als solche zu diffamieren. So lange solche Feststellungen
nicht tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten
getroffen sind, hätte das Landgericht den Beschwerdeführer nicht wegen
Beleidigung verurteilen dürfen, ohne eine Abwägung zwischen seiner
Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin
vorzunehmen. An dieser fehlt es hier. Auch das Kammergericht hat diese
nicht nachgeholt, denn es verweist lediglich auf eine „noch
hinreichende“ Abwägung durch das Landgericht, die indes nicht
stattgefunden hat.
3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf
diesem Fehler. Die Gerichte haben folglich erneut über die
strafrechtliche Beurteilung der Äußerung nunmehr im Rahmen einer
Abwägung zu entscheiden. Dabei ist freilich festzuhalten, dass ein
Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm
als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines
Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu
überziehen. Insoweit muss sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das
allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen durchsetzen. Die
insoweit gebotene Abwägung ‑ die sich gegebenenfalls auch auf die
Strafzumessung auswirkt ‑ obliegt jedoch den Fachgerichten.
Quelle
Update zur Meinungs- und Kunstfreiheit
(5. Okt. 2016)
Verfahren gegen Böhmermann nach § 170 Abs.2 StPo eingestellt - ist jetzt alles gut?
Die Mainzer Staatsanwaltschaft hat das Verfahren gegen Jan Böhmermann wegen Beleidigung des Staatsoberhaupts der Türkei, Recep Tayyip Erdogan (§§ 103, 185 StGB) gem. § 170 Abs.2 StPO eingestellt (zum Fall hier der Blog-Beitrag von Prof. von Heintschel-Heinegg). Die StA argumentiert, schon die Erfüllung des objektiven Tatbestands sei zweifelhaft, aber jedenfalls der Vorsatz Böhmermanns sei nicht nachweisbar.
Hier Auszüge aus der gestrigen Pressemitteilung:
„Im Rahmen der Prüfung, ob ein Beleidigungsdelikt objektiv in strafbarer Weise verwirklicht ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu prüfen, ob und inwieweit die Grundrechte aus Artikel 5 Abs. 1 und 3 Grundgesetz, also Meinungs- und Kunstfreiheit eine die Strafbarkeit begrenzende Wirkung entfalten.
Unter den Schutz der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Werturteile und Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen.......
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