Bundesrechnungshof:
Mehrwertsteuer verstoße in vielen Teilen gegen geltendes EU-Recht
Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Dieter Engels, nennt das Mehrwertsteuer-System nun "zunehmend unübersichtlicher und widersprüchlicher".
Die Europäische Union habe schon mehr als einmal die steuerlichen Absonderlichkeiten in der Bundesrepublik kritisiert. Es drohen hohe Geld-Bußen.
Die Bundesregierung beschäftigt ein Beamtenheer, um diesen Klagen zeitaufwendig zu begegnen.
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EuGH Entscheidungen zum
hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
Wegen der mehrfachen und langandauernden Verstöße gegen gültiges Gemeinschaftsrecht, hier die unmittelbar gültige Mehrwertsteuerrichtlinie (MwStSystRL), nebst Durchführungsverordnung i. V. mit der fortgesetzten Nichtbeachtung von EuGH-Urteilen wird aus meiner Sicht, hinreichend qualifiziert gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen.
vgl. EuGH, Linneweber/Akritidis; Rs. C-453/02 und 462/02, Rdnr. 2; zur Berufung auf die unmittelbare Wirkung der Mehrwertsteuerrichtlinie
Der EuGH hat bereits mehrfach entschieden, dass ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht offenkundig qualifiziert sei, wenn er trotz des Erlasses eines Urteils, in dem der zur Last gelegte Verstoß festgestellt wird, oder eines Urteils im Vorabentscheidungs-verfahren oder aber einer gefestigten einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes (…) fortbestanden hat“
Verbundene Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Rdnr. 57, erneut zitiert in den Rechtssachen C-118/00, Rdnr. 44; C-224/01, Rdnr. 57, C-446/04, Rdnr. 214, C-524/04, Rdnr. 120, C-446/04, Rdnr. 214, und C-201/05, Rdnr. 123.
Der Bundesdeutsche Gesetzgeber, die Behörden und Gerichte verstießen wegen der unvollständigen Umsetzung und rechtswidrigen Anwendung der RL spätestens seit 1982 gegen das EuGH-Urteil Becker (8/81, Slg. 1982, 53 ) und gegen das Urteil Fischer, vom 11.06.1998, C-283/95, aus dem hervorgeht, dass nach Artikel 13 Teil B Buchstabe f der Sechsten Richtlinie die Veranstaltung oder der Betrieb von Glücksspielen und Glücksspielgeräten grundsätzlich von der Mehrwertsteuer zu befreien ist
(vgl. EuGH, Becker Rn 32, 34, 39; Linneweber/Akritidis, Rs. C-453/02 und 462/02 Rdnr. 23, 25; Urteil Zimmermann, C-174/11)
Unter Beachtung auf mögliche direkt im Gemeinschaftsrecht selbst
begründete Erstattungs- und Staatshaftungsansprüche gewinnt die
Grundfreiheitsdogmatik in jüngerer Zeit zunehmende Bedeutung.
Nationale Maßnahmen, sind im Rahmen der "Rechtfertigung" von
Grundfreiheitsbeeinträchtigungen an den Grundrechten der EMRK zu messen.
(vgl. EuGH, Pfleger Rs. C-390/12, Rn 31ff, EuGH, Åkerberg Fransson,
EU:C:2013:105, Rn. 18).
Im Hinblick auf den Harmonisierungsauftrag war nach Ansicht der EuGH Richter der tatbestandlich festgestellte Grundfreiheitsverstoß auch nicht unter Umständen einer Rechtfertigung zugänglich, so daß die betreffende nationale Norm aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht letztendlich unanwendbar wurde. (vgl. Linneweber, C-453/02, Rn 23, 35, 37)
Seit langem ist anerkannt, daß die Erhebung von Abgaben unter Verstoß gegen unmittelbar anwendbares primäres Gemeinschaftsrecht zu einem Erstattungsanspruch führt, der sich aus dem Gemeinschaftsrecht selbst ergibt als eine Folge und eine Ergänzung der Rechte, die den einzelnen durch die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften eingeräumt worden sind.
(vgl. EuGH-Urteil vom 09.11.1983, S.p.A. San Giorgio; Rs. 199/8, Slg. 1983, 3595, 3612; TZ. 122, TANZER in Holoubek/M. Lang, das EuGH-Verfahren in Steuersachen, S. 207, S. 210 ff)
Spätestens seit der Fortführung der "Francovich" - Rechtsprechung (C-6 u. C-9/90) durch die Eintscheidung "Brasserie du Pescheur" (Rs. C-46 u. C-48/93) im März 1996, steht fest, daß die Mitgliedstaaten - zumindest in "hinreichend qualifizierten" Fällen - einer Einstandspflicht unterliegen können für Schäden, die dem einzelnen Marktteilnehmer aus der Anwendung grundfreiheitswidriger nationaler Vorschriften entstehen.
Eine solche unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung hängt nicht davon ab, dass der betroffene Mitgliedstaat bei der Umsetzung der betreffenden Richtlinie absichtlich oder fahrlässig schuldhaft gehandelt hat oder dass eine hinreichend qualifizierte Verletzung von Unionsrecht vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer, C-62/00, Slg. 2002, I-6325, Randnrn. 25 und 27, vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C-397/01 bis C-403/01, Slg. 2004, I-8835, Randnr. 103, und vom 10. April 2008, Marks & Spencer, Randnr. 36).
Der Gerichtshof hatte bereits
entschieden, dass sich die "Bedingungen" in keiner Weise auf den
Inhalt der vorgegebenen Steuerbefreiung erstrecken dürfen, womit sich
die Regelungsbefugnis der Mitgliedstaaten ausschließlich auf die
Zulassung von Glücksspielen beschränkt. (vgl. Becker Rn 32, 34, 39)
Der Geist des Art. 131 dieser Richtlinie verlangt eine korrekte und einfache Anwendung der Mehrwertsteuerbefreiung (Rn 33, C-58/09, Leo-Libera GmbH; vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2006, Turn- und Sportunion Waldburg, C-246/04, Slg. 2006, I-589, Randnr. 31).
Der EuGH hat auch entschieden, dass die Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch einen Mitgliedstaat, der zum Zeitpunkt dieser Rechtsverletzung keine gesetzgeberischen Entscheidungen zu treffen hatte und über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, ausreiche, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.
Rechtssache C-5/94, Rdnr. 28, später erneut zitiert in den verbundenen Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94, Rdnr. 21,sowie den Rechtssachen C-190/94, Rdnr. 25, C-127/95, Rdnr. 109, C-424/97, Rdnr. 38, C-118/00, Rdnr. 38, C-224/01,C-446/04, Rdnr. 212, C-278/05, Rdnr. 71, C-470/03, Rdnr. 81 und C-452/06, Rdnr. 38.
Ob und in welchem Umfang dieser Gestaltungsspielraum vorliege, bestimme sich nach Gemeinschaftsrecht und nicht nach nationalem Recht
Rechtssache C-424/97, Rdnr. 40.
Der Gerichtshof hat in der Frage, ob ein bestimmter Sachverhalt einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt und mithin die Haftung des Staates auslöst, mehrfach direkt Stellung bezogen.
Rechtssache C-392/93, Rdnr. 41, erneut zitiert in den verbundenen Rechtssachen C-283/94, C-291/94 und C-292/94, Rdnr. 49, sowie in den Rechtssachen C-319/96, Rdnr. 26, C-118/00, Rdnr. 40, und C-224/01, Rdnr. 101.
In der Rechtssache Dillenkofer vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass, wenn ein Mitglied keine Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie innerhalb der dafür festgesetzten Frist trifft, um das durch diese Richtlinie vorgeschriebene Ziel zu erreichen, dieser Umstand als solcher einen qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt.
Verbundene Rechtssachen C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94 und C-190/94, Rdnr. 29, erneut aufgegriffen in den Rechtssachen C-319/96, Rdnr. 28, und C-111/97, Rdnr. 21.
Der Gerichtshof argumentiert, dass sich bei Verstoß gegen eine völkerrechtliche Verpflichtung die Haftung des Staates auf alle seine Organe erstrecke und dies erst recht für die Gemeinschaftsrechtsordnung gelten müsse, da diese für alle staatlichen Instanzen einschließlich der Legislative bindend und das Gemeinschaftsrecht dazu da sei, die Situation des Einzelnen unmittelbar zu regeln.
Verbundene Rechtssachen C-46/93 und C-48/93, Rdnr. 32.
Rechtssache C-302/97, Rdnr. 62.
Rechtssache C-424/97, Rdnr. 27.
Rechtssache C-224/01, Rdnr. 32-35; 53, 55-56.
Würde man eine Haftung des Staates ausschließen, sobald der einem nationalen Gericht zur Last gelegte Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht die Auslegung von Rechtsnormen oder eine Sacherhalts- oder Beweiswürdigung beträfe, würde nach Ansicht des Gerichtshofs der Grundsatz der Haftung des Staates ins Leere laufen, denn dies hieße nichts anderes als dass der Einzelne des Schutzes durch ein Gericht beraubt würde, sobald ein letztinstanzliches nationales Gericht einen offenkundigen Fehler bei der Ausübung dieser Tätigkeiten beginge.
Eine nationale Norm, die die Haftung des Staates auf Fälle von Vorsatz oder grob fehlerhaftem Verhalten des Richters begrenze, würde dem Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufen. Er verwies dabei nochmals auf die Haftungsvoraussetzungen, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ableiteten und im Urteil Köbler ausführlich dargestellt worden seien.
Rechtssache C-173/03.
Rechtssache C-224/01.
Rechtssache C-173/03, Rdnrn. 20 und 24, 31, 34, 35, 36, 38, 39, 41, 44; 46.
s.a.:
EuGH zur Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung
Harz (Rs. 79/83) Slg. 1984, 1921 HV, 29
EuGH zur Rechtssicherheit (Gewissheit des Bürgers über seine Rechte)
TA-Luft (Rs. C-361/88) Slg. 1991, I-2567 HV, 170
Zur Zusammenfassung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das EU-Recht
Direktlink zum Gerichtshof der Europäischen-Union (EuGH)
Breuer untersucht die Justiziabilität mitgliedstaatlicher Gerichtsurteile im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 226 EGV
Zusammenfassung von "Urteile mitgliedstaatlicher Gerichte als möglicher Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 226 EG?" von Dr. Marten Breuer, original erschienen in: EuZW 2004 Heft 7, 199 - 201.
Ausgangslage des Beitrages ist das Urteil des EuGH vom 09.12.2003. Nach Ansicht des Autors handelt es sich entgegen dem äußeren Anschein bei dieser Entscheidung nicht um einen ersten Fall einer Verurteilung eines Mitgliedstaates unmittelbar wegen gerichtlicher Fehlentscheidungen. Das Verfahren habe sich hingegen unmittelbar gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers gerichtet. Grundsätzlich bleibe es der Kommission allerdings möglich, auf einzelne Gerichtsentscheidungen direkt mit dem Vertragsverletzungsverfahren zu reagieren.
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RICHTLINIE 2006/112/EG DES RATES
vom 28. November 2006
über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
(ABl. L 347, 11.12.2006, p.1)
vormals (Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern) geregelt.
Die Richtlinie trat gem. Art. 413 am 01.01.2007 in Kraft und war entsp. Art 412 bis 01.01.2008 umzusetzen.
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