EuGH Urteil "Admiral" C‑464/15 vom 30. Juni 2016 s.u.
Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 8. September 2010 (Winner Wetten, Rs. C-409/06, Rn. 58) ausgeführt, dass die Grundsätze des effektiven Rechtsschutz ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist:
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nach ständiger Rechtsprechung ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, der sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergibt, in den Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist und auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union bekräftigt worden ist, und dass die Gerichte der Mitgliedstaaten insoweit in Anwendung des in Art. 10 EG niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit den Schutz der Rechte zu gewährleisten haben, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen (Urteil vom 13. März 2007, Unibet, C-432/05, Slg. 2007, I-2271, Randnrn. 37 und 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
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Mit dem Urteil Carmen Media wurde unter der Rn 87 vorgegeben:
"Daher muss ein System der vorherigen behördlichen Erlaubnis, um trotz des Eingriffs in eine solche Grundfreiheit gerechtfertigt zu sein, auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruhen, die der Ermessensausübung durch die nationalen Behörden Grenzen setzen, damit diese nicht willkürlich erfolgt. Zudem muss jedem, der von einer auf einem solchen Eingriff beruhenden einschränkenden Maßnahme betroffen ist, ein effektiver gerichtlicher Rechtsbehelf offenstehen (vgl. Urteil Sporting Exchange, Randnr. 50 und dort angeführte Rechtsprechung)." Direktlink zum Urteil
Schadenersatzpflicht nach Unionsrecht
EuGH: Urteil Rs. C-72/10 und C 77/10 Costa u.a.
Rn 81
Eine Rechtsvorschrift, die einen Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern – sei es auch nur vorübergehend – vom Markt zulässt, könnte nur dann als angemessen betrachtet werden, wenn ein wirksames gerichtliches Verfahren und, falls sich der Ausschluss später als ungerechtfertigt erweisen sollte, Ersatz für den entstandenen Schaden vorgesehen sind.
Rn 93
Eine Maßnahme, die darauf gerichtet ist, zu unterbinden, dass Personen, deren Leumund zweifelhaft ist, dieser Art von Tätigkeiten nachgehen, scheint grundsätzlich ein für die Erreichung des Ziels der Bekämpfung des Betrugs und des illegalen Glücksspiels geeignetes Instrument zu sein, und die Tatsache, dass Art. 23 Abs. 6 des Konzessionsschemas einen Schadensersatzanspruch für den Fall vorsieht, dass der Entzug der Konzession sich nachträglich als unbegründet erweist, stellt einen Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit dar, der nicht zu vernachlässigen ist.(52) Unabhängig davon könnte dieser Tatbestand des Konzessionsentzugs (dem überraschenderweise ein Vertragsinstrument zugrunde liegt) unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit einige Probleme aufwerfen.
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Diese Urteile des Europäischen Gerichtshofs zum Schadenersatz und zum effektiven Rechtsschutz haben alle Behörden wie auch die Gerichte zu beachten.
Weiterhin ergibt sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten den Schutz der Rechte zu gewährleisten haben, die den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen.
Dies betrifft die Grundrechte der Europäischen Union. Demnach sind die europäischen Grundrechte bei der Auslegung des nationalen Rechts zu beachten.
Dem Kläger erwachsen subjektive Rechte unmittelbar aus den Grundrechten. Schutzobjekt ist nicht mehr ausschließlich die Dienstleistungsfreiheit, sondern das Individualinteresse in Form von grundrechtlichen Abwehrrechten.
Die Frage, inwieweit die durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantierten Grundrechte zu beachten sind, wenn eine nationale Rechtsvorschrift in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, wurde durch das EuGH Urteil Pfleger (C-390/12) vom 30. April 2014 abschließend beantwortet, indem festgestellt wurde, dass das Urteil Fransson (C-617/10) grundsätzliche Aussagen zur Einhaltung der Grundrechtecharta enthalte.
EuGH - Rechtsprechung zum Anwendungsvorrang
Mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen ist nämlich jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis unvereinbar, die dadurch zu einer Schwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führt, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, bereits zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden (EuGH Rs. Fransson, C-617/10, Randnr. 45, 46, Urteil Melki und Abdeli, Randnr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
In ihrem Urteil Rs. C-64/08 - Ernst Engelmann vom 09.09.2010 erklärten die Luxemburger EU-Richter, dass der freie Dienstleistungsverkehr der österreichischen Konzessionsregelung entgegenstehe, wenn diese nicht wirklich das Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung verfolge.
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Glücksspielgesetz laut OGH verfassungswidrig
Ein Antrag auf Aufhebung wurde beim Verfassungsgerichtshof gestellt, der sich nun erneut mit dem Gesetz befassen muss
Der Oberste Gerichtshof (OGH) ortete eine Verfassungswidrigkeit und hat den VfGH ersucht, das Gesetz zu kippen. Der Hintergrund des Verfahrens: Die zum Novomatic-Konzern gehörende Admiral-Gruppe hat sechs kleinere Automatenbetreiber in Nieder- und Oberösterreich geklagt, weil diese zu Unrecht kleines Glücksspiel anbieten würden. Dafür braucht man laut Gesetz eine Landeskonzession, über die die Kleinanbieter nicht verfügen.
Inländerdiskriminierung ......
Anreiz zum Spielen
Die Werbung diene auch nicht dem Spielerschutz, sondern verfolge den Zweck, "insbesondere jene Personen zur aktiven Teilnahme am Spielen anzuregen, die bis dato nicht ohne weiteres zu spielen bereit sind".
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Automatenbetreiber klagen Land
Ohne mit der Wimper zu zucken, wurde eine gesamte Branche enteignet“, so die Grazer Anwältin Julia Eckart, die jene Automatenbetreiber vertritt, die sich gegen die seit Jahresbeginn in Kraft getretene Regelung des Glücksspielgesetztes wehren.
Sie kamen, wie bereits berichtet, bei der Vergabe der drei Glücksspiellizenzen nicht zum Zug.
„Die Leute haben Unternehmen gegründet, Standorte eröffnet, investiert und Mitarbeiter eingestellt – diese Unternehmen werden mit einem Schlag wertlos“,kritisiert Eckart die Vergabepolitik an nur drei Lizenznehmer, obwohl ihren Mandanten ursprünglich unbefristete Bewilligungen ausgestellt wurden.
Sechs Entschädigungsanträge wurden bereits bei Gericht eingebracht, das Land ist mit immensen Summen konfrontiert. Betroffene Glücksspielunternehmer haben jetzt einen Verein gegründet und das Internetportal www.glücksspielinfo.at eröffnet.
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Schutzverband gegen unlauteres Glücksspiel
update:
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)
30. Juni 2016(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 56 AEUV – Freier Dienstleistungsverkehr – Glücksspiel – Regelung eines Mitgliedstaats, die ein strafbewehrtes Verbot enthält, Glücksspielautomaten mit niedrigen Gewinnen (‚kleines Glücksspiel‘) ohne eine von der zuständigen Behörde erteilte Erlaubnis zu betreiben –
Beschränkung – Rechtfertigung – Verhältnismäßigkeit – Beurteilung der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage sowohl der Zielsetzung der Regelung im Moment ihres Erlasses als auch ihrer Auswirkungen während ihrer Durchführung – Empirisch mit Sicherheit festzustellende Auswirkungen“
In der Rechtssache C‑464/15
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Wiener Neustadt (Österreich) mit Entscheidung vom 26. August 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 2. September 2015, in dem Verfahren
Admiral Casinos & Entertainment AG
gegen
Balmatic Handelsgesellschaft mbH,
Robert Schnitzer,
Suayip Polat KG,
Ülkü Polat,
Attila Juhas,
Milazim Rexha
Erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin C. Toader (Berichterstatterin), der Richterin A. Prechal und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Admiral Casinos & Entertainment AG, vertreten durch Rechtsanwalt M. Aixberger,
– der Balmatic Handelsgesellschaft mbH und der Suayip Polat KG sowie der Herren Schnitzer, Polat, Juhas und Rexha, vertreten durch Rechtsanwalt
P. Ruth,
– der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
– der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck und M. Jacobs als Bevollmächtigte im Beistand von B. Van Vooren und P. Vlaemminck, advocaten,
– der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, T. Müller und J. Vláčil als Bevollmächtigte,
– der estnischen Regierung, vertreten durch K. Kraavi-Käerdi als Bevollmächtigte,
– der griechischen Regierung, vertreten durch E. Tsaousi und A. Dimitrakopoulou als Bevollmächtigte,
– der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und R. Coesme als Bevollmächtigte,
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo, P. de Sousa Inês und A. Silva Coelho als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und H. Tserepa-Lacombe als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden, folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 56 AEUV.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Admiral Casinos & Entertainment AG (im Folgenden: Admiral Casinos) auf der einen und der Balmatic Handelsgesellschaft mbH und der Suayip Polat KG sowie Robert Schnitzer, Ülkü Polat, Attila Juhas und Milazim Rexha auf der anderen Seite wegen eines Antrags auf Unterlassung des illegalen Betreibens von Glücksspielautomaten in Österreich.
Rechtlicher Rahmen
Österreichisches Recht
Bundesgesetz zur Regelung des Glücksspielwesens
3 Das Glücksspielgesetz (Bundesgesetz zur Regelung des Glücksspielwesens) vom 28. November 1989 (BGBl. Nr. 620/1989) in seiner auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung (im Folgenden: GSpG) bestimmt in seinem Art. 2 („Ausspielungen“):
„(1) Ausspielungen sind Glücksspiele,
1. die ein Unternehmer veranstaltet, organisiert, anbietet oder zugänglich macht und
2. bei denen Spieler oder andere eine vermögenswerte Leistung in Zusammenhang mit der Teilnahme am Glücksspiel erbringen (Einsatz) und
3. bei denen vom Unternehmer, von Spielern oder von anderen eine vermögenswerte Leistung in Aussicht gestellt wird (Gewinn).
…
(3) Eine Ausspielung mit Glücksspielautomaten liegt vor, wenn die Entscheidung über das Spielergebnis nicht zentralseitig, sondern durch eine mechanische oder elektronische Vorrichtung im Glücksspielautomaten selbst erfolgt. …
(4) Verbotene Ausspielungen sind Ausspielungen, für die eine Konzession oder Bewilligung nach diesem Bundesgesetz nicht erteilt wurde und die nicht vom Glücksspielmonopol des Bundes gemäß § 4 ausgenommen sind.“
4 Nach § 3 GSpG („Glücksspielmonopol“) ist das Recht zur Durchführung von Glücksspielen dem Bund vorbehalten.
5 § 4 und § 5 GSpG sehen allerdings Ausnahmen vom Glücksspielmonopol für Ausspielungen mit Glücksspielautomaten vor, deren Regelungen dem Landesgesetzgeber vorbehalten bleiben.
6 § 5 GSpG sieht u. a. vor, dass jedes der neun Bundesländer – unter Beachtung der dort festgelegten ordnungspolitischen Mindestanforderungen durch die Bewilligungswerber und besonderer Begleitmaßnahmen zur Spielerschutzvorbeugung – einem Dritten im Wege einer Konzession ein Recht zur Durchführung von Ausspielungen mittels Glücksspielautomaten erteilen kann.
Strafgesetzbuch
7 Die Veranstaltung von Glücksspielen für gewerbliche Zwecke durch einen Veranstalter, dem keine Konzession erteilt wurde, wird nicht nur mit den verwaltungsbehördlichen Sanktionen belegt, die aufgrund des GSpG verhängt werden können, sondern auch strafrechtlich verfolgt. Nach § 168 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs (im Folgenden: StGB) ist zu bestrafen, „[w]er ein Spiel, bei dem Gewinn und Verlust ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängen oder das ausdrücklich verboten ist, veranstaltet oder eine zur Abhaltung eines solchen Spieles veranstaltete Zusammenkunft fördert, um aus dieser Veranstaltung oder Zusammenkunft sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zuzuwenden“. Die Strafen sind Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe von bis zu 360 Tagessätzen. In derselben Weise kann gemäß § 168 Abs. 2 StGB bestraft werden, „[w]er sich gewerbsmäßig an einem solchen Spiel beteiligt“.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
8 Admiral Casinos, eine Gesellschaft österreichischen Rechts, ist Inhaberin einer Bewilligung für die Durchführung von Glücksspiel in Form der Ausspielung mittels Glücksspielautomaten im Land Niederösterreich.
9 Die Beklagten des Ausgangsverfahrens sind Gesellschaften und natürliche Personen, die im Land Niederösterreich Cafés und Tankstellen betreiben, in denen solche Geräte aufgestellt sind.
10 Betreiber dieser Geräte sind zwei Gesellschaften mit Sitz in der Tschechischen Republik bzw. in der Slowakei, denen die Beklagten des Ausgangsverfahrens gegen Entgelt das Recht zur Aufstellung der Glücksspielautomaten in ihren Lokalen eingeräumt haben. Die Beklagten verfügen in Österreich über keine Bewilligungen für die Durchführung von Glücksspiel in Form der Ausspielung mittels Glücksspielautomaten.
11 Die von Admiral Casinos beim Landesgericht Wiener Neustadt (Österreich) erhobenen Klagen sind darauf gerichtet, den Beklagten des Ausgangsverfahrens aufzugeben, das Betreiben oder die Ermöglichung des Betriebs von Glücksspielautomaten zu unterlassen, solange sie nicht über die dafür erforderlichen behördlichen Bewilligungen verfügen.
12 Die Beklagten tragen im Wesentlichen vor, dass ihre Tätigkeit legal sei, da das GSpG und das staatliche Glücksspielmonopol gegen Unionsrecht, vor allem gegen Art. 56 AEUV über den freien Dienstleistungsverkehr, verstießen.
13 Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass sich das Landesgericht Wiener Neustadt der Judikatur der drei österreichischen Höchstgerichte anschließt, nach der das GSpG im Licht des Urteils vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), mit Art. 56 AEUV vereinbar ist, da dieses Gesetz dem wahren Anliegen des Gesetzgebers entspreche, Glücksspiel zurückzudrängen und die damit verbundene Kriminalität hintanzuhalten.
14 Das Landesgericht Wiener Neustadt schließt sich jedoch nicht der Auslegung des Urteils vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), durch den Obersten Gerichtshof (Österreich) an, wonach sich die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der nationalen Regelung auf die seit ihrem Erlass festzustellende Entwicklung im Bereich der Glücksspiele zu stützen hat.
15 Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts könnten nach dem Erlass der Regelung verschiedene schwer einzuschätzende Faktoren ihre Wirkungen beeinflussen, wie etwa das Bevölkerungswachstum, die wirtschaftliche Lage, die Zuwanderung usw. Es ist der Auffassung, dass die von den Höchstgerichten für den Zeitpunkt des Erlasses der Regelung festgestellte Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht nicht später durch eine nachträgliche Beurteilung der diesem Erlass nachfolgenden Entwicklungen in Frage gestellt werden können sollte.
16 Das vorlegende Gericht hegt insbesondere Zweifel hinsichtlich der zutreffenden Auslegung des deutschen Begriffs „tatsächlich“ („genuinely“ in der englischen Fassung und „véritablement“ in der französischen Fassung) in Rn. 56 des Urteils vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), wonach Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, sofern diese Regelung nicht tatsächlich dem Anliegen entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob dieser Begriff dahin auszulegen ist, dass er die Auslegung des Obersten Gerichtshofs bestätigt, wonach nicht nur die Zielsetzung der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung zu prüfen sei, sondern im Rahmen einer nachträglichen Beurteilung der Verhältnismäßigkeit auch ihre empirisch mit Sicherheit feststellbaren Auswirkungen.
17 Unter diesen Umständen hat das Landesgericht Wiener Neustadt beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 56 AEUV dahin auszulegen, dass es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Regelung, die ein Monopol auf dem Glücksspielmarkt vorsieht, für deren unionsrechtliche Zulässigkeit nicht nur auf die Zielsetzung der Regelung ankommt, sondern auch auf ihre empirisch mit Sicherheit festzustellenden Auswirkungen?
Zur Vorlagefrage
Zur Zuständigkeit
18 Die österreichische Regierung macht geltend, der Gerichtshof sei für die Beantwortung der Vorlagefrage nicht zuständig, insbesondere deshalb, weil in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten kein grenzüberschreitendes Element enthalten sei.
19 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es zwar nach der Verteilung der Zuständigkeiten im Vorabentscheidungsverfahren allein Sache des nationalen Gerichts ist, den Gegenstand der Fragen festzulegen, die es dem Gerichtshof vorlegen möchte, dass es diesem jedoch in Ausnahmefällen obliegt, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem nationalen Gericht angerufen wird (vgl. Urteil vom 9. November 2010, Volker und Markus Schecke und Eifert, C‑92/09 und C‑93/09, EU:C:2010:662, Rn. 39).
20 Dies ist u. a. dann der Fall, wenn das dem Gerichtshof vorgelegte Problem rein hypothetischer Natur ist oder wenn die Auslegung einer Unionsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht. Daher ist der Gerichtshof für die Beantwortung einer Vorlagefrage nicht zuständig, wenn die Vorschrift des Unionsrechts, um deren Auslegung er ersucht wird, offensichtlich nicht anwendbar ist (vgl. Urteil vom 1. Oktober 2009, Woningstichting Sint Servatius, C‑567/07, EU:C:2009:593, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
21 Es ist richtig, dass die Vorschriften des AEU-Vertrags über den freien Dienstleistungsverkehr keine Anwendung auf einen Sachverhalt finden, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 2008, Kommission/Frankreich, C‑389/05, EU:C:2008:411, Rn. 49).
22 Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende – die unterschiedslos auf österreichische Unternehmer und Unternehmer mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten anwendbar ist – im Allgemeinen zwar nur dann unter die Bestimmungen über die vom AEU‑Vertrag garantierten Grundfreiheiten fallen kann, wenn sie für Sachlagen gilt, die eine Verbindung zum Handel zwischen den Mitgliedstaaten aufweisen; es lässt sich jedoch keineswegs ausschließen, dass Unternehmer, die in anderen Mitgliedstaaten als der Republik Österreich ansässig sind, Interesse daran hatten oder haben, in diesem Mitgliedstaat Glücksspielautomaten zu betreiben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. Juli 2012, Garkalns, C‑470/11, EU:C:2012:505, Rn. 21, und vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C‑367/12, EU:C:2014:68, Rn. 10).
23 Während hier, wie aus den Rn. 8 bis 10 des vorliegenden Urteils hervorgeht, sowohl die Klägerin als auch die Beklagten des Ausgangsverfahrens Unternehmen oder Personen sind, die ihren Sitz bzw. Wohnsitz im Hoheitsgebiet der Republik Österreich haben, sind indessen die Betreiber der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Glücksspielautomaten – obwohl sie nicht zu den Beklagten des Ausgangsverfahrens gehören – zwei Gesellschaften mit Sitz in der Tschechischen Republik bzw. in der Slowakei, denen diese Beklagten gegen Entgelt das Recht zur Aufstellung der Glücksspielautomaten in ihren Lokalen eingeräumt haben.
24 Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der Frage zuständig ist.
Zur Beantwortung der Frage
25 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich der Glücksspiele nicht nur auf die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres Erlasses ankommt, sondern auch auf die nach ihrem Erlass zu bewertenden und empirisch mit Sicherheit festzustellenden Auswirkungen.
26 Zunächst ist klarzustellen, dass die Wendung „empirisch mit Sicherheit festzustellende Auswirkungen“ im Wortlaut der Vorlagefrage – wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt – auf der rechtlichen Bedeutung des Begriffs „tatsächlich“ basiert, der in der deutschen Fassung der Rn. 56 des Urteils vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), verwendet wird.
27 Hierzu ist festzustellen, dass die Fassungen dieses Begriffs in Rn. 56 des Urteils vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), sich in vielen Sprachen eher der Bedeutung des Begriffs in der französischen Fassung des Urteils annähern. Dem Begriff „véritablement“ entspricht in der deutschen Sprache nämlich der Begriff „wirklich“ und nicht der Begriff „tatsächlich“ – wobei diese Beurteilung insbesondere durch die spanische („verdaderamente“), die englische („genuinely“), die litauische („tikrai“), die polnische („rzeczywiście“), die portugiesische („verdadeiramente“), die rumänische („cu adevărat“) und die finnische („todellisuudessa“) Fassung des betreffenden Begriffs in dieser Rn. 56 bestätigt wird.
28 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der deutsche Begriff „tatsächlich“ hier bei einer Betrachtung im Kontext der ständigen und gefestigten Rechtsprechung, in deren Rahmen er verwendet wurde, analog zu dem Begriff „wirklich“ zu verstehen ist, da beide Begriffe in diesem Kontext austauschbar erscheinen. So hat der Gerichtshof zwar den Begriff „tatsächlich“ in Rn. 98 seines Urteils vom 8. September 2010, Stoß u. a. (C‑316/07, C‑358/07 bis C‑360/07, C‑409/07 und C‑410/07, EU:C:2010:504), verwendet, gleichwohl wird in dieser Randnummer auf eine zugleich ständige und ältere Rechtsprechung verwiesen, die sich aus Rn. 37 des Urteils vom 21. Oktober 1999, Zenatti (C‑67/98, EU:C:1999:514), und Rn. 53 des Urteils vom 6. März
2007, Placanica u. a. (C‑338/04, C‑359/04 und C‑360/04, EU:C:2007:133), ergibt, die in ihrer deutschen Fassung den Begriff „wirklich“ verwenden. Auch in Rn. 36 des Urteils vom 24. Januar 2013, Stanleybet u. a. (C‑186/11 und C‑209/11, EU:C:2013:33), werden so u. a. in der französischen und in der deutschen Fassung im gleichen Kontext die Begriffe „wirklich“ bzw. „véritablement“ verwendet.
29 Daraus folgt, dass die bloße Verwendung des Begriffs „tatsächlich“ in Rn. 56 des Urteils vom
30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), nicht dahin ausgelegt werden kann, dass die nationalen Gerichte damit angeleitet werden, „empirisch mit Sicherheit“ das Vorhandensein von bestimmten Auswirkungen der nationalen Regelung nach ihrem Erlass festzustellen.
30 Sodann ist die Frage zu prüfen, ob das vorlegende Gericht bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich der Glücksspiele nicht nur die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres Erlasses berücksichtigen muss, sondern auch die nach ihrem Erlass zu bewertenden Auswirkungen.
31 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Rn. 52 des Urteils vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), in Bezug auf die Regelung, die auch im Ausgangsverfahren in Rede steht, entschieden hat, dass das nationale Gericht eine Gesamtwürdigung der Umstände vornehmen muss, unter denen eine restriktive Regelung erlassen worden ist und durchgeführt wird.
32 Der Gerichtshof hat also bereits entschieden, dass sich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht auf die Analyse der Sachlage im Moment des Erlasses der betreffenden Regelung beschränken kann, sondern dabei auch der – notwendigerweise nachfolgende – Schritt der Durchführung dieser Regelung zu berücksichtigen ist.
33 Der Gerichtshof hat in Rn. 56 des Urteils vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281), ferner entschieden, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, sofern diese Regelung nicht tatsächlich dem Anliegen entspricht, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen.
34 Aus dem Gebrauch der Wendung „in kohärenter und systematischer Weise“ geht unmittelbar hervor, dass die betreffende Regelung nicht nur im Moment ihres Erlasses, sondern auch danach dem Anliegen entsprechen muss, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern oder die mit Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen.
35 Im Übrigen hat der Gerichtshof in den Rn. 65 und 66 des Urteils vom 15. September 2011, Dickinger und Ömer (C‑347/09, EU:C:2011:582), weiter ausgeführt, dass es im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit Sache des vorlegenden Gerichts ist, u. a. die Entwicklung der Geschäftspolitik der autorisierten Unternehmen und den Stand der kriminellen und betrügerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit Spielen im entscheidungserheblichen Zeitraum zu prüfen.
36 Es bleibt hiernach festzuhalten, dass der Ansatz des vorlegenden Gerichts im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit nicht statisch sein darf, sondern dynamisch sein muss, so dass es die Entwicklung der Umstände nach dem Erlass der genannten Regelung berücksichtigen muss.
37 Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Art. 56 AEUV dahin auszulegen ist, dass es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich der Glücksspiele nicht nur auf die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres Erlasses ankommt, sondern auch auf die nach ihrem Erlass zu bewertenden Auswirkungen.
Kosten
38 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 56 AEUV ist dahin auszulegen, dass es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer restriktiven nationalen Regelung im Bereich der Glücksspiele nicht nur auf die Zielsetzung dieser Regelung im Moment ihres Erlasses ankommt, sondern auch auf die nach ihrem Erlass zu bewertenden Auswirkungen.
Unterschriften
Quelle