SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
PEDRO CRUZ VILLALÓN
Rechtssache C‑464/12
ATP Pension Service A/S
gegen
Skatteministeriet
(Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret [Dänemark])
„Mehrwertsteuer
– Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Richtlinie 77/388/EWG des Rates –
Befreiung der Verwaltung von Sondervermögen – Begriff ‚durch die
Mitgliedstaaten als solche definierte Sondervermögen‘ – Betriebliche
Altersvorsorge – Beitragsorientierte Altersvorsorge“
1. Der
Gerichtshof hat sich wiederholt mit der Mehrwertsteuerbefreiung der
Verwaltung von Sondervermögen durch Kapitalanlagegesellschaften gemäß
Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie(2) befasst(3).
Im vorliegenden Fall hat der Gerichtshof die Gelegenheit, seine
Rechtsprechung zum Begriff „Sondervermögen“, und zwar im Zusammenhang
mit Berufsrentenkassen, zu vertiefen. Es stellt sich hier zudem die
Frage, was unter „Verwaltung“ von Sondervermögen zu verstehen ist, und
es geht auch um die Auslegung der in Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der
Sechsten Richtlinie festgelegten Steuerbefreiung der Umsätze im
Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr sowie im Zahlungs- und
Überweisungsverkehr.
2. Die
Fragen werden in einem Rechtsstreit zwischen der ATP Pension Service
A/S (im Folgenden: ATP) und dem Skatteministeriet (dänisches
Steuerministerium) betreffend die mehrwertsteuerliche Behandlung der
Dienstleistungen von ATP aufgeworfen. ATP erbringt Leistungen für
Berufsrentenkassen.
I – Rechtlicher Rahmen
A – Unionsrecht
3. Nach
Art. 2 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer
Lieferungen von Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher
im Inland gegen Entgelt ausführt.
4. Art. 13
der Sechsten Richtlinie enthält einige Mehrwertsteuerbefreiungen. Zwei
davon sind in dieser Rechtssache einschlägig, nämlich Art. 13 Teil B
Buchst. d Nrn. 3 und 6. Dort heißt es:
„Unbeschadet
sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter
den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und
einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung
von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen
festsetzen, von der Steuer:
(d) die folgenden Umsätze: …
3. Umsätze,
einschließlich der Vermittlung, im Einlagengeschäft und
Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft
mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der
Einbeziehung von Forderungen,
…
6. die Verwaltung von durch die Mitgliedstaaten als solche definierten Sondervermögen durch Kapitalanlagegesellschaften.“
5. Aufgrund
des zeitlichen Rahmens des Sachverhalts ist die Sechste Richtlinie
anwendbar. Dennoch ist erwähnenswert, dass die zitierten Bestimmungen
hier ohne Änderungen, die für das vorliegende Verfahren von Bedeutung
wären, in Art. 2 Abs. 1 Buchst. c und Art. 135 Abs. 1 Buchst. d und g
der Richtlinie 2006/112/EG des Rates(4) übernommen worden sind.
B – Nationales Recht
6. Die
genannten unionsrechtlichen Vorschriften wurden durch § 13 Abs. 1 Nr.
11 Buchst. c und f des Momslov (dänisches Mehrwertsteuergesetz)
umgesetzt. Die einschlägige Rechtsvorschrift lautet:
„Folgende Waren und Leistungen sind von der Steuer befreit:
…
11. Folgende finanzielle Aktivitäten:
…
c) Umsätze,
einschließlich der Vermittlung, im Einlagengeschäft und
Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft
mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der
Einbeziehung von Forderungen,
…
f) Verwaltung von Sondervermögen durch Kapitalanlagegesellschaften.“
7. Wie
das vorlegende Gericht anmerkt, werden einige dieser Begriffe in den
Juridiske Vejledning (Juristischer Leitfaden) definiert(5).
II – Sachverhalt und Ausgangsverfahren
8. ATP
erbringt Dienstleistungen für Rentenkassen. Ihr wichtigster Kunde,
Pension Danmark, ist eine Berufsrentenkasse, die die in Tarif- und
Betriebsvereinbarungen vorgesehene Altersvorsorge verwaltet.
9. Die
betriebliche Altersvorsorge ist ein wichtiges Element des dänischen
Pensionssystems. Dieses System ruht auf drei Säulen: einem
steuerfinanzierten öffentlichen Rentensystem, der betrieblichen
Altersvorsorge und der individuellen Altersvorsorge(6).
10. Die
dänischen Berufsrentensysteme, um die es in diesem Fall aufgrund der
Tätigkeit der ATP geht, sind im Allgemeinen „beitragsorientierte“ Pläne,
die in einem beruflichen Rahmen angeboten werden. Die Arbeitgeber
zahlen für jeden Arbeitnehmer(7)
einen vereinbarten Rentenbeitrag an die Einrichtung, die die
Altersvorsorge anbietet (normalerweise eine Rentenkasse), wobei die
Arbeitnehmer freiwillig weitere Einzahlungen vornehmen können(8).
Die Beiträge, die an solche Fonds gezahlt werden, sind nach dänischem
Einkommensteuerrecht innerhalb bestimmter Grenzen absetzbar. Der Betrag
der ausbezahlten Rente hängt davon ab, wie viel in den Fonds einbezahlt
wurde und wie erfolgreich die Investitionstätigkeit der Rentenkasse
(nach Abzug der Kosten) war. Normalerweise erfolgt die Auszahlung in
Form einer Kombination von drei (steuerpflichtigen) Leistungen, sobald
der Begünstigte einen Anspruch hat: einer lebenslangen Leibrente, einer
laufenden, eine bestimmte Zeit lang in Raten ausgezahlten Rente und
einer Einmalzahlung. Die Details der betrieblichen Altersvorsorge werden
zwischen den Arbeitgeberorganisationen und den Gewerkschaften, die die
einzelnen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten, tarifvertraglich
festgelegt(9).
11. ATP
hat mit der Anlage der Rentenmittel nichts zu tun (darum kümmern sich
die Rentenkassen selbst), erbringt aber drei Arten von Dienstleistungen
für die Rentenkassen. Erstens trägt ATP zur Systemunterhaltung und
Entwicklung bei, indem sie die Plattform, auf der die Dienstleistungen
von ATP erbracht werden, wartet und entwickelt. Zweitens nimmt ATP auch
administrative Aufgaben wahr, z. B. die Information und Beratung von
Arbeitgebern und Arbeitnehmern über die Altersvorsorge. Drittens
erbringt ATP Dienstleistungen betreffend Rentenein- und ‑auszahlungen.
12. Vereinfacht
ausgedrückt können die zuletzt genannten Dienstleistungen wie folgt
beschrieben werden. Der Arbeitgeber zahlt regelmäßig die
Gesamtbeitragssumme, die er für alle seine Arbeitnehmer im Rahmen der
betrieblichen Altersversorgung schuldet, auf das Bankkonto der
Rentenkasse ein. ATP errichtet auf der Grundlage der Informationen des
Arbeitgebers individuelle Konten(10)
für die einzelnen Rentenversicherungsnehmer. Sie teilt den
Gesamtbetrag, den der Arbeitgeber einzahlt, aufgrund der Bestimmungen
des Tarifvertrags oder der Betriebsvereinbarung auf diese Konten auf.
Der Rentenversicherungsnehmer hat über das Internet Zugang zu dem Konto,
das von ATP regelmäßig aktualisiert wird. Wenn Zahlungen fällig werden,
initiiert ATP die Abhebung von Beträgen durch die Anweisung an ein
Geldinstitut zur Auszahlung dieser Beträge an den
Rentenversicherungsnehmer.
13. Bis
zum 30. Juni 2002 stellte ATP für die erbrachten Dienstleistungen die
Mehrwertsteuer in Rechnung. Aufgrund des Urteils SDC(11)
gelangte ATP jedoch zu dem Schluss, dass die Dienstleistungen
betreffend Rentenein- und ‑auszahlungen nach Art. 13 Teil B Buchst. d
Nr. 3 der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit seien. Sie
teilte der SKAT (dänische Steuerbehörde) ihre Ansicht am 26. Juni 2002
mit. Die SKAT entschied, dass die Dienstleistungen von ATP im
Zusammenhang mit Rentenauszahlungen tatsächlich von der Mehrwertsteuer
befreit seien, verneinte jedoch eine Anwendung der Steuerbefreiung auf
die meisten Dienstleistungen, die die Einzahlungen betrafen, nämlich die
Registrierung von Arbeitgebern, die Rentenbeiträge einzuzahlen haben,
die Errichtung von individuellen Konten, die Zurverfügungstellung von
Vorrichtungen zur Verwendung bei Einzahlungen der Arbeitgeber, durch die
die Einzahlung des gesamten Rentenbeitrags auf das Konto der
Rentenkasse mittels eines Online-Verfahrens oder einer Einzahlungskarte
erfolgen kann, die Entgegennahme und Registrierung der Meldungen der
Arbeitgeber über die Zuordnung des Gesamtbetrags auf die einzelnen
Arbeitnehmer, die Gutschrift der Beiträge auf individuellen Konten und
die Aktualisierung der Konten, die Registrierung fehlender Einzahlungen,
die Mitteilung an die Rentenversicherungsnehmer über eingezahlte
Beiträge und den Versand von Kontoauszügen. Diese Entscheidung wurde von
der obersten Behörde der dänischen Steuerverwaltung, dem Landsskatteret
(Landessteuergericht), mit Beschluss vom 13. Mai 2009 bestätigt.
14. ATP
focht diese Entscheidung beim Ret i Hillerød (Gericht Hillerød) an, das
den Fall als Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung an das Østre
Landsret (Regionalgericht Ost) verwies. ATP trägt vor, dass die als
mehrwertsteuerpflichtig angesehenen Dienstleistungen von der
Mehrwertsteuer befreit seien, da sie als „Verwaltung von Sondervermögen
durch Kapitalanlagegesellschaften“ nach § 13 Abs. 1 Nr. 11 Buchst. f des
Momslov, wodurch Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie
umgesetzt worden sei, und/oder als „Umsatz im Einlagengeschäft und
Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr“ nach § 13
Abs. 1 Nr. 11 Buchst. c des Momslov, wodurch Art. 13 Teil B Buchst. d
Nr. 3 der Sechsten Richtlinie umgesetzt worden sei, anzusehen seien. Das
Steuerministerium bestreitet, dass die Dienstleistungen von ATP von der
Mehrwertsteuer befreit seien.
III – Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof
15. Nach
Anhörung der Parteien und Beratungen hat das Østre Landsret mit
Beschluss vom 8. Oktober 2012 entschieden, dem Gerichtshof der
Europäischen Union die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung gemäß
Art. 267 AEUV vorzulegen:
1. Ist
Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage
dahin auszulegen, dass der Begriff „durch die Mitgliedstaaten als solche
definierte Sondervermögen“ Rentenkassen wie die im Ausgangsverfahren
beschriebenen mit den nachfolgend genannten Merkmalen umfasst, wenn der
Mitgliedstaat die in Abschnitt 2 des Vorlagebeschlusses angegebenen
Institute als Sondervermögen anerkennt:
a) Der Ertrag für den Arbeitnehmer (Rentenversicherungsnehmer) hängt vom Ertrag der Investitionen der Rentenkasse ab,
b) der
Arbeitgeber nimmt keine ergänzende Einzahlung vor, um dem
Rentenversicherungsnehmer einen bestimmten Ertrag zu sichern,
c) die Rentenkasse investiert die angesparten Mittel kollektiv nach dem Grundsatz der Risikostreuung,
d) der
ganz überwiegende Teil der Einzahlungen an die Rentenkasse beruht auf
kollektiven Vereinbarungen zwischen den Organisationen der
Sozialpartner, die die einzelnen Arbeitnehmer und Arbeitgeber vertreten,
und nicht auf der Entscheidung des einzelnen Arbeitnehmers,
e) der einzelne Arbeitnehmer kann individuell entscheiden, weitere Einzahlungen an die Rentenkasse vorzunehmen,
f) selbständige
Gewerbetreibende, Arbeitgeber und Geschäftsführer können sich dafür
entscheiden, Rentenbeiträge an die Rentenkasse einzuzahlen,
g) ein
im Voraus festgelegter Teil der kollektiv vereinbarten Ersparnisse für
die Altersversorgung wird für eine lebenslange Leibrente verwendet,
h) die Rentenversicherungsnehmer tragen die Kosten der Rentenkasse,
i) Einzahlungen
an die Rentenkasse sind innerhalb bestimmter betragsmäßiger Grenzen
nach dem nationalen Einkommensteuerrecht abzugsberechtigt,
j) Einzahlungen
in eine individuelle Rentenversicherung einschließlich einer durch ein
Geldinstitut angebotenen Rentenversicherung, bei der die Mittel bei
einem Sondervermögen angelegt werden können, sind nach dem nationalen
Einkommensteuerrecht in gleichem Umfang abzugsberechtigt wie unter
Buchstabe i),
k) die Abzugsberechtigung für Einzahlungen nach Buchstabe i) entspricht der Besteuerung von Auszahlungen, und
l) die gebildeten Ersparnisse werden grundsätzlich nach dem Renteneintritt ausgezahlt?
2. Ist,
wenn die erste Frage bejaht wird, Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der
Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass der Begriff „Verwaltung“ eine
Dienstleistungserbringung wie die im Ausgangsverfahren beschriebene
(Abschnitt 1.2 des Vorlagebeschlusses) umfasst?
3. Ist
eine Dienstleistungserbringung im Zusammenhang mit Rentenzahlungen wie
die im Ausgangsverfahren beschriebene (Abschnitt 1.2 des
Vorlagebeschlusses) nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Sechsten
Richtlinie als eine einzige Dienstleistung oder als mehrere getrennte
Dienstleistungen anzusehen, die getrennt zu prüfen sind?
4. Ist
Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der Sechsten Richtlinie dahin
auszulegen, dass die in der Bestimmung vorgesehene
Mehrwertsteuerbefreiung für Umsätze im Zahlungs- oder
Überweisungsverkehr eine Dienstleistungserbringung im Zusammenhang mit
Rentenzahlungen wie die im Ausgangsverfahren beschriebene (Abschnitt 1.2
des Vorlagebeschlusses) umfasst?
5. Ist,
wenn die vierte Frage verneint wird, Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 3 der
Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass die in der Bestimmung
vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung für Umsätze im Einlagengeschäft oder
Kontokorrentverkehr eine Dienstleistungserbringung im Zusammenhang mit
Rentenzahlungen wie die im Ausgangsverfahren beschriebene (Abschnitt 1.2
des Vorlagebeschlusses) umfasst?
16. ATP, das Königreich Dänemark und die Kommission haben schriftliche Erklärungen vorgelegt.
17. Diese
drei Parteien sowie das Vereinigte Königreich von Großbritannien und
Nordirland haben am 2. Oktober 2013 mündlich verhandelt.
IV – Würdigung
A – Vorüberlegungen
18. Die
Fragen des vorlegenden Gerichts betreffen drei verschiedene
Problemfelder: die Bedeutung des Begriffs „durch die Mitgliedstaaten als
solche definierte Sondervermögen“ im Zusammenhang mit der betrieblichen
Altersvorsorge (erste Frage), den Begriff der „Verwaltung“ solcher
Vermögen (zweite Frage) und die Anwendbarkeit von Art. 13 Teil B
Buchst. d Nr. 3 der Sechsten Richtlinie auf Dienstleistungen wie jene,
die von ATP erbracht werden (dritte bis fünfte Frage).
19. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu allen drei Problemfeldern ist bereits ziemlich umfangreich(12).
Angesichts dieser Rechtsprechung gehe ich davon aus, dass der
Gerichtshof über genügend Bausteine für eine Entscheidung über das
zweite und dritte Problemfeld verfügt. Ich werde mich daher bei meiner
Analyse auf das erste Problemfeld konzentrieren, nämlich auf die
Bedeutung des Begriffs „durch die Mitgliedstaaten als solche definierte
Sondervermögen“ und hier auf die Frage, ob (und wann) eine
Berufsrentenkasse wie jene, für die ATP Dienstleistungen erbringt, als
Sondervermögen zu betrachten ist. Diese Frage wurde jüngst bereits
zweimal aufgeworfen, und zwar in den Rechtssachen Wheels und PPG
Holdings(13), aber diese Fälle unterscheiden sich erheblich von dem, um den es hier geht.
20. Die
Frage betrifft den hochkomplexen und umstrittenen Bereich der
mehrwertsteuerlichen Behandlung von Finanzdienstleistungen
(einschließlich Dienstleistungen im Bereich der Vorsorge). Diese
Dienstleistungen haben mittlerweile ein sehr hohes
Diversifikationsniveau erreicht(14),
dem die derzeit gültige Mehrwertsteuerrichtlinie, vor allem in Bezug
auf Befreiungen von Finanzdienstleistungen, nicht gerecht wird. Die
Folge ist, dass die Personen, die auf diesem Gebiet arbeiten, keine
Rechtssicherheit haben und dass die jeweiligen Befreiungen von den
Mitgliedstaaten uneinheitlich gehandhabt werden(15).
21. Die
Kommission hat sowohl eine Richtlinie zur Änderung der Richtlinie
2006/112 hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und
Finanzdienstleistungen(16)
als auch eine Verordnung zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen
hinsichtlich der Behandlung von Versicherungs- und
Finanzdienstleistungen(17) mit Definitionen der steuerbefreiten Dienstleistungen vorgeschlagen. Für beide fanden umfangreiche Vorarbeiten(18) statt, in deren Rahmen auch die Rentenkassen und deren mehrwertsteuerliche Behandlung diskutiert wurden(19). Es wurde jedoch keine Einigung über eine Reform erzielt(20).
Gemäß den Ausführungen der Kommission in der Verhandlung ist auch für
die nahe Zukunft keine solche Einigung in Sicht. In welchem Stadium auch
immer sich die Reformbemühungen befinden mögen, der Gerichtshof hat
jedenfalls aufgrund der Rechtsvorschriften zu entscheiden, die zum
maßgeblichen Zeitpunkt in Kraft waren.
22. Ich
möchte meine Analyse mit einem Überblick über die Argumente der
Beteiligten beginnen. Sodann werde ich darauf eingehen, wie der Begriff
„durch die Mitgliedstaaten als solche definierte Sondervermögen“ bisher
in der Rechtsprechung ausgelegt worden ist. Schließlich werde ich die
Auswirkungen der Rechtsprechung auf die Berufsrentenkassen analysieren.
B – Vor dem Gerichtshof abgegebene Erklärungen
23. Dänemark
ist der Ansicht, dass es in der Verantwortung der Mitgliedstaaten
liege, den Begriff „Sondervermögen“ in Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6
der Sechsten Richtlinie zu definieren und Rentenkassen mit den vom
vorlegenden Gericht beschriebenen Eigenschaften aus dieser Definition
auszuschließen.
24. Nach
Ansicht Dänemarks haben die Mitgliedstaaten Anlegern die Investitionen
in Sondervermögen zu erleichtern und dabei gleichzeitig den Grundsatz
der Steuerneutralität einzuhalten, was die Mehrwertsteuer betrifft, die
Kapitalanlagegesellschaften auferlegt wird, die mit Ersteren im
Wettbewerb stehen. Die Fonds, um die es in diesem Fall gehe,
unterschieden sich hinreichend von Sondervermögen, um eine
unterschiedliche Behandlung zu rechtfertigen: Die Beiträge würden vom
Arbeitgeber eingezahlt, das Ziel sei eine Rente und kein Sparguthaben,
und es würden auch Versicherungsleistungen angeboten, z. B. eine
Lebensversicherung und eine Berufsunfähigkeitsversicherung(21),
im Fall des Todes des Begünstigten fielen die Beiträge nicht (oder
nicht in vollem Umfang) an dessen Erben, und die Beiträge seien generell
von der Einkommensteuer befreit. Der Arbeitgeber, der die Beiträge
einzahle, investiere nicht, sondern er leiste die Zahlungen, weil er
dazu aufgrund der kollektiven Vereinbarung über die Altersversorgung
verpflichtet sei.
25. ATP
ist der Ansicht, dass Rentenkassen wie jene, die das vorlegende Gericht
beschreibt, von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie
erfasst und daher von der Mehrwertsteuer befreit seien. ATP trägt vor,
dass die Mitgliedstaaten bei der Definition von „Sondervermögen“, obwohl
sie dabei einen gewissen Ermessensspielraum hätten, die Ziele der
Steuerbefreiung und den Grundsatz der Steuerneutralität zu beachten
hätten. Das Ziel der in Frage stehenden Mehrwertsteuerbefreiung liege
darin, es Personen zu ermöglichen, ihre Sparbeiträge gemeinsam zu
investieren, wodurch das Risiko verteilt werde, ohne dass dadurch eine
Mehrwertsteuerbelastung entstehe. Diese Ziele würden auch mit der hier
in Rede stehenden Altersversorgung verfolgt. Dass mit der
Altersversorgung bezweckt werde, Renten zu finanzieren, rechtfertige für
sich genommen keine unterschiedliche Behandlung.
26. ATP
ist auch der Ansicht, dass diese Position durch den
Neutralitätsgrundsatz unterstützt werde, da andere
Kapitalanlagegesellschaften mit den Pensionsfonds in Wettbewerb stünden.
Würden die von den laufenden Einkünften des Arbeitnehmers bezahlten
Beiträge nicht in den Fonds einbezahlt, müsste der Arbeitnehmer das Geld
anderweitig ansparen. Besonders deutlich werde das
Wettbewerbsverhältnis im Hinblick auf die ergänzenden Beiträge oder die
Beiträge von Einzelpersonen, die ursprünglich nicht von der
betrieblichen Altersversorgung erfasst seien. Die Tatsache, dass ein
Teil des Ertrags einer Rentenkasse als Leibrente(22)
ausbezahlt werde, sei irrelevant, weil eine Leibrente ganz einfach mit
einer Einmalzahlung erworben werden könne. Ebenso sei irrelevant, dass
die Beiträge an Rentenkassen steuerlich absetzbar seien und dass die
Rentenkassen für gewöhnlich ein Versicherungselement aufwiesen.
Irrelevant sei schließlich auch, dass die Berufsrentenkassen aufgrund
von kollektiven Vereinbarungen errichtet würden, da die wichtigen
Entscheidungen von den Arbeitnehmern, vertreten durch die
Gewerkschaften, getroffen würden.
27. In
der Verhandlung wies ATP darauf hin, dass die Rentenkassen, um die es
in dieser Rechtssache gehe, sich erheblich von jenen unterschieden, die
Gegenstand der Rechtssachen Wheels und PPG Holdings gewesen seien. Dort
sei es um leistungsorientierte Modelle gegangen, bei denen der
Arbeitgeber durch die Zahlung der Rentenbeiträge eine rechtliche
Verpflichtung erfüllt habe. Nur die Arbeitnehmer hätten sich an der
Regelung beteiligen können. Im Gegensatz dazu gehe es im vorliegenden
Fall um ein beitragsorientiertes Modell, bei dem die Begünstigten und
Investoren das Risiko trügen. Der Arbeitgeber müsse nur den Beitrag
abführen. Eine breitere Öffentlichkeit, nämlich jeder, der Verbindungen
zum Arbeitsmarkt habe, könne diese Altersversorgung in Anspruch nehmen.
28. Das
Vereinigte Königreich brachte in der Verhandlung vor, dass
beitragsorientierte Rentenkassen wie jene, die vom vorlegenden Gericht
beschrieben würden, mit Sondervermögen nicht so weit vergleichbar seien,
dass sie damit im Wettbewerb stünden, und dass diese Kassen daher aus
fünf Gründen nicht von der Mehrwertsteuerbefreiung profitieren könnten:
Berufsrentenkassen könnten nicht beliebig verkauft werden, verliehen
erst Rechte auf die investierten Gelder, wenn der Begünstigte das
Pensionsalter erreiche, und gingen im Todesfall verloren, würden durch
eine kollektive Vereinbarung errichtet und erhielten Einzahlungen vom
Arbeitgeber, anstatt Investitionen des Arbeitnehmers darzustellen, seien
nur für Arbeitnehmer verfügbar und nicht für die breite Öffentlichkeit
und würden schließlich nicht unter die Regelung der Richtlinie
85/611/EWG des Rates (im Folgenden: OGAW-Richtlinie) fallen(23).
29. Nach
Ansicht der Kommission fallen die verfahrensgegenständlichen
Rentenkassen unter den Begriff „Sondervermögen“. Sie unterscheidet
zwischen beitragsorientierten und leistungsorientierten Systemen und
meint, dass in Bezug auf Erstere die Arbeitnehmer aus ihren
Investitionen einen Nutzen zögen und daher in einer ähnlichen Lage seien
wie Kleinanleger in Bezug auf Sondervermögen(24).
C – Rechtsprechung im Hinblick auf „durch die Mitgliedstaaten als solche definierte Sondervermögen [Kapitalanlagegesellschaften]“
30. Die
Rechtsprechung betreffend Art. 13 der Sechsten Richtlinie enthält
sowohl relevante allgemeine Aussagen über die Auslegung von Befreiungen
als auch wichtige Überlegungen zur Auslegung des Begriffs „durch die
Mitgliedstaaten als solche definierte Sondervermögen
[Kapitalanlagegesellschaften]“. Ich werde mich beidem der Reihe nach
widmen und dann bei der Analyse von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der
Sechsten Richtlinie meine eigenen Überlegungen im Zusammenhang mit dem
Ansatz des Gerichtshofs einfließen lassen.
1. Allgemeine Überlegungen zur Auslegung von Mehrwertsteuerbefreiungen
31. Bei
der Auslegung der in Art. 13 der Sechsten Richtlinie enthaltenen
Befreiungen hat der Gerichtshof konsequent die Auffassung vertreten,
dass diese Befreiungen grundsätzlich ihre eigene autonome Bedeutung im
Unionsrecht hätten, „um eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat
unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems zu verhindern“(25). Dies gelte jedoch nicht in Bezug auf Begriffe, mit deren Definition das Unionsrecht die Mitgliedstaaten explizit betraue(26). In diesem Fall sei es Sache der Mitgliedstaaten, die fraglichen Begriffe in ihrem innerstaatlichen Recht zu definieren(27).
Bei der Definition dieser Begriffe dürften sie jedoch „die mit der
Sechsten Richtlinie verfolgten Ziele oder die ihr zugrunde liegenden
allgemeinen Grundsätze, insbesondere den Grundsatz der steuerlichen
Neutralität, nicht beeinträchtigen“(28).
32. Zudem
ist es ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die in Art. 13
der Sechsten Richtlinie enthaltenen Befreiungen eng auszulegen seien, da
grundsätzlich jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen
Entgelt erbringe, der Mehrwertsteuer unterliege(29).
2. Begriff „durch die Mitgliedstaaten als solche definierte Sondervermögen [Kapitalanlagegesellschaften]“
33. Wie
aus dem Wortlaut hervorgeht, überlässt die Europäische Union die
Definition der „Sondervermögen“ den Mitgliedstaaten. Ich möchte zuerst
die Bedeutung dieses Ermessens diskutieren und dann die Rechtsprechung
des Gerichtshofs im Hinblick auf drei Einschränkungen des Ermessens,
nämlich den Wortlaut der Vorschrift und der OGAW-Richtlinie, das Ziel
der Befreiung und den Grundsatz der Steuerneutralität, zusammenfassen.
a) Ermessen der Mitgliedstaaten
34. Wie
ich bereits erwähnt habe, stößt der Grundsatz, dass die Begriffe der
Befreiungen nach Art. 13 der Sechsten Richtlinie autonom auszulegen
sind, an seine Grenzen, wenn die Definition ausdrücklich den
Mitgliedstaaten überlassen wird. Der Gerichtshof hat entschieden, dass
dies im Hinblick auf den Begriff „Sondervermögen“ der Fall sei(30).
Es kann den Staaten jedoch kaum freistehen, alles Mögliche als
„Sondervermögen“ zu definieren. Ein solch uneingeschränktes Ermessen
würde das Risiko des Missbrauchs in sich tragen, die verschiedenen
Befreiungen durcheinander bringen und dem Grundsatz zuwiderlaufen, dass
die Befreiungen grundsätzlich eng zu verstehen sind. Daher muss der
Begriff „Sondervermögen“ ungeachtet dessen, dass nach dem Wortlaut der
Befreiung seine Definition den Mitgliedstaaten überlassen wird, eine
gewisse unionsrechtliche Bedeutung haben.
35. Dieses
Spannungsverhältnis, das dadurch entsteht, dass das Unionsrecht die
Definition eines Begriffs den Mitgliedstaaten überlässt und dennoch
Grenzen festlegen muss, innerhalb deren sich die Definition bewegen
darf(31),
spiegelt sich in folgender Aussage des Gerichtshofs wider: „… [D]ie
Aufgabe der materiellen Definition des Begriffs ‚Sondervermögenʻ
[ermächtigt] die Mitgliedstaaten keineswegs …, bestimmte in ihrem
Hoheitsgebiet angesiedelte Fonds zwecks einer Befreiung auszuwählen und
andere Fonds von dieser Befreiung auszuschließen. … [B]ei dem den
Mitgliedstaaten eingeräumten Ermessen [ist] vom Begriff Sondervermögen
auszugehen.“(32)
Was der Gerichtshof damit sagen wollte, ist, dass das Unionsrecht
logischerweise sowohl einen inneren als auch einen äußeren Rahmen für
den Begriff „Sondervermögen“ festlegen muss, innerhalb dessen es den
Mitgliedstaaten freisteht, ihre Definition des Begriffs zu wählen. Daher
ist das Ermessen der Mitgliedstaaten, den Inhalt des Begriffs
festzulegen, beschränkt. Diese Grenzen leitet der Gerichtshof aus dem
Wortlaut (und späteren legislativen Entwicklungen) der Vorschrift, deren
Zweck und den allgemeinen Grundsätzen ab, auf denen die Richtlinie
beruht, wie beispielsweise dem Grundsatz der Steuerneutralität(33).
36. In
der Praxis haben diese Grenzen die Definitionsmacht der Mitgliedstaaten
signifikant eingeschränkt. Diese Entwicklung könnte man kritisieren,
aber die Rechtssicherheit, die entscheidend ist, wenn es um die
mehrwertsteuerliche Behandlung von Finanzprodukten geht, erfordert es,
die Kontinuität der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu wahren.
b) Wortlaut der Vorschrift und OGAW-Richtlinie
37. Der
Wortlaut von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie ist
eine relativ geringe Hilfe, wenn es darum geht, den Inhalt des Begriffs
„Sondervermögen“ zu bestimmen, vor allem, wenn man die verschiedenen
Termini in den verschiedenen Sprachfassungen berücksichtigt. So wird in
der englischen Version der Sechsten Richtlinie von „special investment
funds“ gesprochen, während es in der französischen „fonds communs de
placement“, in der spanischen „fondos communes de inversión“(34), in der deutschen „Sondervermögen“ und in der niederländischen Fassung „gemeenschappelijke beleggingsfondsen“ heißt.
38. Durch
spätere Entwicklungen wurde dieser Begriff jedoch konkretisiert. Im
Jahr 1985 trat die OGAW-Richtlinie zur Koordinierung nationaler Gesetze
betreffend Organismen für gemeinsame Anlagen in Kraft. Es ist nicht auf
den ersten Blick ersichtlich, wie genau diese Richtlinie und Art. 13
Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie zusammenhängen. Wie der
Gerichtshof angemerkt hat, verwenden die spanische, die französische,
die italienische und die portugiesische Sprachfassung der Richtlinie bei
der Benennung der Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren
(OGAW), die Vertragsform haben, denselben Ausdruck, der auch für die
Benennung der Mehrwertsteuerbefreiung verwendet wird, aber dies ist bei
anderen Sprachfassungen jener Bestimmung, wie der englischen, der
dänischen und der deutschen, nicht der Fall(35).
39. Der
Gerichtshof und die Generalanwälte haben daher stets Mühe gehabt, den
Zusammenhang zwischen der OGAW-Richtlinie und Art. 13 Teil B Buchst. d
Nr. 6 zu definieren(36).
Im Urteil Wheels hat der Gerichtshof jedoch eindeutig entschieden, dass
„Fonds, die Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren im Sinne
der OGAW‑Richtlinie darstellen, Sondervermögen sind“(37). Sie stellen somit den Mindestinhalt des Begriffs „Sondervermögen“ dar.
c) Das Ziel der Befreiung
40. Wie
Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache
Abbey National angemerkt hat, ist es das Ziel der Befreiung,
„Kleinanlegern die Geldanlage in Investmentfonds zu erleichtern“(38). Diese Fonds dienen als Pool für das Geld mehrerer Anleger(39),
wobei sich das Risiko auf ein Spektrum von Wertpapieren verteilt. Die
Mehrwertsteuerbefreiung erlaubt es diesen Anlegern, solche Investitionen
zu tätigen, ohne die zusätzlichen Kosten der Mehrwertsteuer tragen zu
müssen(40). Der Gerichtshof hat sich diese Ziele zu eigen gemacht(41).
41. Folgerichtig
hat der Gerichtshof entschieden, dass die Befreiung auf von
Kapitalanlagegesellschaften verwaltete Sondervermögen „unabhängig von
deren Rechtsform“ abstelle(42).
Ob solche Fonds in Vertrags-, Trust- oder Satzungsform errichtet
würden, sei für die Verfolgung des beschriebenen Ziels unerheblich. Der
Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass eine andere Auslegung dem
Grundsatz der steuerlichen Neutralität, der eine unterschiedliche
Behandlung von Wirtschaftsteilnehmern, die gleichartige Umsätze
tätigten, verbiete, zuwiderliefe(43).
42. Ebenso
hat der Gerichtshof entschieden, dass die vom Fonds gewählte operative
Form irrelevant sei: ob ein Fonds offen (d. h. mit veränderlichem
Kapital, der verpflichtet ist, seine Anteile von Investoren, die
verkaufen wollen, zurückzukaufen) oder geschlossen (d. h. mit
Festkapital, dessen Anteile nur auf einem Sekundärmarkt verkauft werden
können) sei, spiele keine Rolle bei der Einordnung in Bezug auf die
Mehrwertsteuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten
Richtlinie. Auch diese Entscheidung könne auf den Grundsatz der
steuerlichen Neutralität gestützt werden(44).
d) Grundsatz der steuerlichen Neutralität
43. Der
Grundsatz der steuerlichen Neutralität lässt es nach Ansicht des
Gerichtshofs „nicht zu, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige
Umsätze tätigen, bei der Erhebung der Mehrwertsteuer unterschiedlich
behandelt werden“. Gleichartige und infolgedessen miteinander in
Wettbewerb stehende Dienstleistungen dürften hinsichtlich der
Mehrwertsteuer nicht unterschiedlich behandelt werden(45).
44. Das
Kriterium eines Wettbewerbsverhältnisses ist nicht unproblematisch.
Generalanwältin Sharpston hat in ihren Schlussanträgen in der
Rechtssache Deutsche Bank auf die dadurch entstehenden Gefahren
hingewiesen und angemerkt, dass sich praktisch jede Tätigkeit in
gewissem Grad mit einer anderen überschneide und dass, „wenn alle
Tätigkeiten, die teilweise miteinander in Wettbewerb stehen,
mehrwertsteuerlich gleichbehandelt werden müssten, letztlich … sämtliche
Unterschiede in der mehrwertsteuerlichen Behandlung beseitigt“ würden(46).
45. Der
von Generalanwältin Sharpston angesprochenen Gefahr kann dadurch
begegnet werden, dass man die richtige Vergleichsgruppe anwendet.
Zuallererst muss eine Vergleichsgruppe festgelegt werden, die unter den
Begriff „Sondervermögen“ fällt. Der streitige Fonds wird dann nur mit
dieser Vergleichsgruppe verglichen. Wie ich oben angemerkt habe, fallen
Fonds, die Organismen für gemeinsame Anlagen im Sinne der
OGAW-Richtlinie sind, unter den Begriff „Sondervermögen“ und können
daher als Vergleichsgruppe dienen(47).
46. Ob
ein analysierter Fonds nun unter den Begriff „Sondervermögen“ fällt
oder nicht, hängt davon ab, ob dieser Fonds und die Vergleichsgruppe
hinreichend vergleichbar sind, um miteinander im Wettbewerb zu stehen(48).
Die Kriterien, anhand deren die Fonds verglichen werden, um
ausreichende Ähnlichkeit für die Existenz von Wettbewerb festzustellen,
werden nicht willkürlich gewählt. Die Analyse berücksichtigt auch
keineswegs nur ökonomische Faktoren. Sie hat vielmehr auf das Ziel der
Mehrwertsteuerbefreiung abzustellen. Relevante Kriterien sind somit
z. B., ob der Fonds zur Risikoverteilung beiträgt, ob die Anleger von
den Gewinnen der Investition profitieren usw.
3. Anmerkungen zum Ansatz des Gerichtshofs
47. Nach
der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird somit das Ermessen der
Mitgliedstaaten bei der Bestimmung des Begriffs „Sondervermögen“ durch
das Ziel der Befreiung, die OGAW-Richtlinie und den
Neutralitätsgrundsatz begrenzt. Wenn man genauer hinsieht, wird
deutlich, dass der Gerichtshof diese (sich überschneidenden(49)) Abgrenzungskriterien wohl so angewendet hat, dass daraus zwei alternative Tests entstehen.
48. Hin
und wieder verweist der Gerichtshof auf die Ziele der Befreiung, leitet
daraus eine Definition des Begriffs „Sondervermögen“ ab und untermauert
das Ergebnis mit dem Neutralitätsgrundsatz(50).
Bei anderen Gelegenheiten hat der Gerichtshof die OGAW als Herzstück
des „Sondervermögens“ angesehen und dann den Neutralitätsgrundsatz
angewendet(51).
49. Ich
schlage vor, den zweiten Ansatz zugrunde zu legen (und
weiterzuentwickeln). Demnach ist ein Fonds als „spezieller Rentenfonds“
(„Sondervermögen“) anzusehen, wenn er entweder unter die OGAW-Richtlinie
fällt oder mit den OGAW so weit vergleichbar ist, dass er mit ihnen im
Wettbewerb steht. Für den Vergleich kommt es auf jene Merkmale an, die
auch für die Zielsetzungen der analysierten Befreiung maßgeblich sind,
nämlich es mehreren Anlegern zu erlauben, ihre Gelder zu bündeln und das
Risiko dadurch auf ein Spektrum von Wertpapieren zu verteilen.
D – Berufsrentenkassen als Sondervermögen (Kapitalanlagegesellschaften)
50. Nach
alledem möchte ich nun die beschriebenen Grundsätze auf den
vorliegenden Fall anwenden. Hier stellt sich die Frage, inwieweit
Berufsrentenkassen als Sondervermögen (Kapitalanlagegesellschaften)
anzusehen sind. Das Unionsrecht enthält einige Vorschriften betreffend
solche Fonds, harmonisiert sie aber nicht(52).
Wie ich oben bereits angeführt habe, muss ich nun analysieren, ob die
gegenständlichen Fonds OGAW sind und, wenn nein, inwieweit der
Neutralitätsgrundsatz dazu führt, dass sie von der Befreiung Gebrauch
machen können.
1. OGAW-Richtlinie
51. Berufsrentenkassen wie jene, um die es im Ausgangsverfahren geht, fallen nicht unter die OGAW-Richtlinie(53).
Wie Dänemark angemerkt hat, können in unserem Fall die Anteile an den
gegenständlichen Fonds auf Ersuchen der Inhaber zurückgenommen oder
ausgezahlt werden, wie dies bei OGAW gemäß Art. 1 Abs. 2 der
OGAW-Richtlinie der Fall ist.
2. Grundsatz der steuerlichen Neutralität
52. In
einem zweiten Schritt ist der Grundsatz der steuerlichen Neutralität
anzuwenden. Dabei geht es um die Frage, ob die gegenständlichen Fonds
mit den OGAW so weit vergleichbar sind, dass sie mit ihnen im Wettbewerb
stehen(54).
Im Urteil Wheels hatte der Gerichtshof diese Frage im Zusammenhang mit
anderen Arten von Berufsrentenkassen zu entscheiden. Er hat entschieden,
dass solche Fonds nicht von Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten
Richtlinie erfasst seien. Solche Fonds würden das Kapitalvermögen eines
Altersversorgungssystems zusammenführen und seien keine Publikumsfonds,
sondern gewährten bloß einen mit dem Beschäftigungsverhältnis
verbundenen Vorteil. Bezeichnenderweise ging es dort um
„leistungsorientierte“ Systeme, d. h., die Mitglieder trugen nicht die
Risiken der Verwaltung, da der Betrag ihrer Rente fix und daher nicht
vom Erfolg der Anlage abhängig war. Nach Ansicht des Gerichtshofs war
der Fonds auch aus der Sicht des Arbeitgebers kein Sondervermögen, da
Beiträge für ihn ein Mittel dargestellt hätten, seinen gesetzlichen
Verpflichtungen gegenüber seinen Angestellten nachzukommen.
Generalanwältin Sharpston hat diese Argumentation in ihren
Schlussanträgen in der Rechtssache PPG Holdings übernommen und drei
maßgebliche Kriterien genannt: ob das Kapitalvermögen eines
Altersversorgungssystems durch das System zusammengeführt werde, ob die
mit der Verwaltung zusammenhängenden Risiken durch die Mitglieder
getragen würden und ob der Arbeitgeber die Beiträge zahle, um seinen
gesetzlichen Verpflichtungen gegenüber seinen Angestellten nachzukommen(55).
53. Ohne
den Ausgang dieser Verfahren in Frage stellen zu wollen, schlage ich
vor, die Analyse im vorliegenden Fall zu verfeinern. Nach Unionsrecht
sind für einen Vergleich zwischen einem Fonds und den OGAW, der
angestellt wird, um herauszufinden, ob ein Fonds mit Letzteren so weit
vergleichbar ist, dass er mit ihnen im Wettbewerb steht, bestimmte
Kriterien relevant und andere irrelevant. Es ist Sache der nationalen
Gerichte, den relevanten Sachverhalt zu analysieren, diese Kriterien
anzuwenden und zu entscheiden, ob eine Rentenkasse in einem bestimmten
Fall als „Sondervermögen“ zu klassifizieren ist.
a) Vergleichspunkt
54. Bevor
ich die relevanten und die irrelevanten Kriterien auflisten kann,
möchte ich darauf hinweisen, dass Pensionssysteme als das Kapital
zusammenführende Instrumente der Arbeitgeber oder als solche der
Arbeitnehmer analysiert werden können. Welches der beiden Paradigmen
zutrifft, hängt davon ab, ob die Arbeitnehmer oder die Arbeitgeber von
der Anlage profitieren. Nach der Beschreibung des vorlegenden Gerichts
profitieren von dem Fonds, um den es im Ausgangsverfahren geht, die
Arbeitnehmer.
b) Irrelevante Kriterien
55. Da
die Analyse der Vergleichbarkeit der gegenständlichen Fonds mit den
OGAW unter Berücksichtigung des Ziels der Mehrwertsteuerbefreiung zu
erfolgen hat, sind für den Vergleich einige der hier diskutierten
Elemente irrelevant.
56. Entgegen
dem Vorbringen Dänemarks gilt dies für den Zweck der Anlage. Ob der
Anleger eine Pension anspart oder aus anderen Gründen spart, hat
keinerlei relevante Auswirkung auf das Wettbewerbsverhältnis. Die
Tatsache, dass die gegenständlichen Fonds Rentenkassen sind, steht deren
Klassifizierung als „Sondervermögen“ daher nicht entgegen. Im Gegensatz
zum Urteil Wheels meine ich daher, dass die gesetzliche Verpflichtung
des Arbeitgebers im Hinblick auf die Zahlung der definierten
Rentenleistungen ein irrelevanter „Zweck“ der Anlage ist.
57. Die
Tatsache, dass Berufsrentenkassen nicht aufgrund einer individuellen,
sondern aufgrund einer kollektiven Vereinbarung errichtet werden, ist
irrelevant. Zunächst verhandeln die Arbeitnehmervertreter mit den
Arbeitgebervertretern die Merkmale der Fonds. Obwohl eine kollektive
Vereinbarung dazu führen kann, dass es sehr wenig Wettbewerb zwischen
den Fonds und den OGAW außerhalb der freiwilligen ergänzenden Zahlungen
der Arbeitnehmer gibt, ist dies nicht relevant im Hinblick auf das Ziel
der Befreiung. In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof bereits
entschieden, dass die Befreiung für Fonds unabhängig von ihrer
Rechtsform gelte. Insoweit ist auch die Möglichkeit, ergänzende
Zahlungen zu leisten, oder die Tatsache, dass manche Personen freiwillig
in eine Rentenkasse einzahlen, irrelevant.
58. Die
gleiche Überlegung ist anzustellen, wenn es um die Frage geht, ob die
Beiträge an einen Fonds von der Einkommensteuer abzugsfähig sind oder
nicht. Eine einkommensteuerlich günstige Behandlung der Beiträge an
bestimmte Fonds im Vergleich zu anderen könnte beträchtliche
Auswirkungen auf den Wettbewerb haben, hat jedoch keine Bedeutung in
Bezug auf die Ziele der Befreiung und ist daher irrelevant.
59. Gleichermaßen
ist auch der Auszahlungsmodus der Rente (Leibrente oder Einmalzahlung)
ohne Bedeutung für die Charakterisierung des Fonds, da Transfers
zwischen den verschiedenen Optionen mittels einfacher
Finanztransaktionen möglich sind.
60. Wenn
Berufsrentenkassen mit einem Versicherungselement verknüpft sind und
die beiden Elemente nicht getrennt werden können, wie dies hier der Fall
ist, müssen die nationalen Gerichte feststellen, welches Element
überwiegt.
c) Relevante Kriterien
61. Wie
ich oben angeführt habe, müssen die für den Vergleich relevanten
Kriterien aus dem Zweck der Befreiung hergeleitet werden, nämlich der
Bündelung der Gelder mehrerer Anleger und der Verteilung des Risikos auf
ein Spektrum von Wertpapieren.
62. Aufgrund
dieser Prämisse sind bei der analysierten Befreiung nur wenige Elemente
für den Vergleich von Berufsrentenkassen mit OGAW im Hinblick auf die
steuerliche Neutralität wichtig. Zunächst müssen mehrere Begünstigte
ihre Gelder bündeln, um das Risiko auf ein Spektrum von Wertpapieren zu
verteilen. Von einer Bündelung der Gelder der Begünstigten in der Kasse
kann nur dann die Rede sein, wenn diese einen unbedingten Rechtsanspruch
in Bezug auf ihre Investition haben. Möglicherweise können sie über
diesen Anspruch nicht nach Gutdünken verfügen (d. h. ihre Anwartschaft
verkaufen) und erhalten den Ertrag ihrer Anlage erst bei ihrer
Pensionierung. Wenn jedoch die Anlage im Todesfall verloren geht und
nicht an die Erben des Begünstigten fällt, kann man kaum von einer
Bündelung der Gelder der Begünstigten sprechen.
63. Schließlich
müssen die Begünstigten sowohl die Kosten des Fonds als auch die
Risiken der Anlage tragen, obwohl die Beiträge von ihrem Arbeitgeber im
Rahmen der Zahlungsvereinbarung abgeführt werden können. Dies ist meist
der Fall, wenn es um beitragsorientierte Systeme geht, nicht aber bei
leistungsorientierten Systemen. Wie ich bereits angemerkt habe, obliegt
es den nationalen Gerichten, diese Kriterien anzuwenden.
64. Daher
komme ich zu dem Schluss, dass Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 6 der
Sechsten Richtlinie des Rates dahin auszulegen ist, dass der Begriff
„durch die Mitgliedstaaten als solche definierte Sondervermögen“
Berufsrentenkassen umfasst, wenn diese Kassen das Kapitalvermögen
mehrerer Begünstigter zusammenführen und die Verteilung des Risikos auf
ein Spektrum von Wertpapieren ermöglichen. Dies ist nur der Fall, wenn
die Begünstigten das Investitionsrisiko tragen. Die Tatsache, dass die
Beiträge von ihren Arbeitgebern zu ihrem Nutzen aufgrund einer
kollektiven Vereinbarung zwischen Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerorganisationen abgeführt werden und dass erst bei
Rentenantritt Zahlungen aus diesen Kassen erfolgen, ist irrelevant,
solange die Begünstigten eine gesicherte Rechtsposition im Hinblick auf
dieses Kapitalvermögen haben. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu
entscheiden, ob eine Kasse diese Erfordernisse erfüllt.
V – Ergebnis
65. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Frage des Østre Landsret wie folgt zu beantworten:
Art. 13
Teil B Buchst. d Nr. 6 der Sechsten Richtlinie des Rates ist dahin
auszulegen, dass der Begriff „durch die Mitgliedstaaten als solche
definierte Sondervermögen“ Berufsrentenkassen umfasst, wenn diese Kassen
das Kapitalvermögen mehrerer Begünstigter zusammenführen und die
Verteilung des Risikos auf ein Spektrum von Wertpapieren ermöglichen.
Dies ist nur der Fall, wenn die Begünstigten das Investitionsrisiko
tragen. Die Tatsache, dass die Beiträge von ihren Arbeitgebern zu ihrem
Nutzen aufgrund einer kollektiven Vereinbarung zwischen Arbeitgeber- und
Arbeitnehmerorganisationen abgeführt werden und dass erst bei
Rentenantritt Zahlungen aus diesen Kassen erfolgen, ist irrelevant,
solange die Begünstigten eine gesicherte Rechtsposition im Hinblick auf
dieses Kapitalvermögen haben. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu
entscheiden, ob eine Kasse diese Erfordernisse erfüllt.